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9.

Wildrich erhielt zwei Briefe zu gleicher Zeit mit der Weisung, sie an Illo weiterzugeben. Er öffnete den zuerst, den ein Bauernknecht brachte. Der andere von seinem Vater war mit der Post gekommen. Dankwart schrieb: »Am nächsten Sonntag will ich mit Lisel Kreihorst Hochzeit feiern. – In aller Stille. Wir halten das für das richtigste. Wir – das sind der Vater meiner Braut, sie selbst und ich. Ich weiß, daß die Wünsche und Gedanken unserer guten Mutter und der Tante Hermine, dieses guten Engels unserer Burg, in Treuen bei uns sind, und Ihr Brüder werdet desgleichen tun. Ich lade Euch nicht ein. Wir werden still zum Gemeindevorsteher und zur kleinen Kirche wandern und ohne Trara den Tag beschließen. Die Ernte ist im Gang, ein rechter Bauer hat keine Zeit für Gefühlsduseleien. – Macht Euch auch keine Ausgaben! Schenkt uns Eure dauernde Liebe, das ist das Wichtigste. Vater Kreihorst ist ein guter Hausvater und mir wahrhaft ein rechter Vater geworden. Er hat mir ohne viel Worte geholfen, weil er weiß, daß das Glück seiner Einzigen bei mir gute Heimstatt gefunden hat. – Unser Erzieher, das Senfkorn, ist ganz zu uns gezogen, weil wir sahen, daß er immer weniger geworden war, seit er die Speisekammer von Tante Hermine verlassen hatte. Bei uns wird er aufgepäppelt, aber einen Bauch wird er wohl nie bekommen. Wenn er mal seine melancholischen Zustände hat, weil er meint, er könnt nie gleich machen, was er bei uns empfinge, dann sagt Vater, er solle später unsere Jungs umsonst unterrichten. – Mein Lisel darf freilich so was nicht hören. Sie ist nicht für voreilige Scherze. Ich mag es gern, wie sie so schämig ist. – Ihr haltet mich ja für einen trocknen Kerl, ich weiß, aber eben deshalb will ich Euch melden, daß ich glücklich bin. – Illo würde wahrscheinlich in die Lüfte fahren und auf dem Schornstein sitzen. Das ist nicht meine Art. – Aber ich grüße Euch von Vater und Braut und hoffe auf ein Wiedersehn nach der Ernte.

Euer Bruder Dankwart.«

Nachschrift: As, c, es: »Nun fangen die Weiden zu blühen an. – Wir haben 32 Grad im Schatten.«

Der Brief vom alten Baron war entschieden temperamentvoller.

Meine Söhne!

Der Teufel soll dreinschlagen, wenn einer von Euch auf die Bauernhochzeit geht, die vom Nachbar Kreihorst wahrscheinlich mit Hussah und Peitschenknall eingeläutet wird. – Keiner aus meiner Sippe soll daran teilnehmen, habt Ihr mich verstanden? Ihr könnt natürlich lachen über den kollernden Truthahn, denn Ihr seid alle mündig, aber Eure Mutter, dieser geborene Engel, meint, Ihr werdet es nicht tun, sondern mir gehorchen. Weil sie gesehen hat, daß mir Dankwarts Unbotmäßigkeit beinahe den Rest gegeben hat. Gleichwohl weint Eure Mutter viel, und ich will nicht ergründen, ob über meinen Befehl an die Sippe, oder über die bäuerliche Braut. Frauen und Mütter werden nie den rechten Stolz für einen reinen Stammbaum aufbringen, die unvernünftige sentimentale Liebe zu ihrer Brut wird sie immer über alle Vernunft beherrschen. Meine leibliche Schwester, Eure Tante Hermine, mimt die Niobe. Sie spricht gar nicht mit mir ... Das alte Mädchen hatte sich doch, weiß Gott, ein neues Schwarzseidenes gekauft, das in einer Ecke von allein steht, wenn man es hinstellte. Sie gab zu, daß sie in dem Gebäude würdig die Baronie Eulenried hatte vertreten wollen.

Euer ehemaliger Hauslehrer, der undankbare Schuft, wird als erstes Gewürz diese Ehe schmackhaft machen. Hol der Teufel dieses Senfkorn! Ihr seht, ich bin schon viel ruhiger geworden. Aber wenn ich so sehe, wie das Gut des Nachbarn aufblüht und er fortgesetzt in unser Gewese, das heißt in meins oder auch in Dankwarts, Werte hineinbuttert, weil der Kerl eben Geld wie Mist, und Mist wie Geld hat, dann wird mich schon mal der Schlag rühren. – Und laßt erst mal den Dankwart 'n Jungen kriegen, oder auch seine Frau, dann können wir Eulenrieds uns 'n weißen Stecken kaufen. Ich hab's gesagt, Thassilo von Eulenried. –

Nach dem Lesen dieser Epistel rief Illo erst ein paarmal den Namen seines Gottes an, aber nicht »unnützlich«, sondern als Gebet. Dann ging er mit dem Meister durch die Werkstatt und alle anderen Räume des großen Hauses, in dem soviel wertvolle Uhren hingen; und sie suchten eine reich geschnitzte Kuckucksuhr heraus, die wurde ins Hochzeitshaus geschickt. Kaspar Gärisch verfaßte das Hochzeitscarmen, und es war gar nicht so schlecht, wie dem feinfühligen Illo beim Lesen wurde. Illo verpflichtete sich dem Meister, die Uhr treulich in Raten abzuzahlen, genau wie der Wildrich von ihrem beiderseitigen Gehalt oder Lohn, den sie aber noch nicht empfangen hatten.

»Schon gut, schon gut«, rief Meister Distelfink. »Ihr beiden seid mir bar Geld. Und bar Geld habe ich seit Jahren nicht gesehen. Glaubt's oder glaubt's nicht, – die Kunden betrachten das Handwerk als eine große Pumpstation. Das wird aber auch nochmal anders. Und wenn dieser Kuckuck dem Ehepaar Dankwart Eulenried lauter gute Stunden ruft, dann ist die Uhr schon so gut wie bezahlt.«

Illo Eulenried stürzte sich wieder in sein Handwerk mit all seinen Gedanken, seinem Wollen und seiner Arbeitskraft. – Die Worte von Bruder und Vater traten freilich oft in seinen Gedankenkreis. Aber er ließ sie nicht das Räderwerk der zu bessernden Uhren stören. Er litt nur an Heimweh nach der Mutter.

Wildrich aber bat zum erstenmal seinen Oberförster um einen kurzen Urlaub, um nach Vater und Mutter zu sehen.

»Den können Sie haben, Forstgehilfe.«

So stieg denn Wildrich an einem Vollmondabend hinunter ins ehemals Eulenriedsche Revier, das aber längst wieder dem Fürsten gehört und nun mit seinen prächtigen Schonungen und Altbeständen ein herrlicher Wildpark war. Stieg dann wieder hinauf bis zur Burg seiner Väter, »Nunquam retrorsum« grüßte ihn das uralte Tor, und Wildrich nahm den Jägerhut ab. »Weidmannsdank.«

Er sah im hohen, verhüllten Fenster des Raumes, darin die Mutter lag, ein mattes Licht schimmern und wußte, daß sie wohl in viel Schmerzen wachte. – Die »Beschließerin« der Burg, – ach sie hatte wenig zu »beschließen«, tat einen Freudenschrei, als sie den späten Gast einließ.

»Die beiden Damen sind noch wach, aber der Herr Baron schlafen schon.« Erleichtert atmete Wildrich auf. Dann saß er am Lager der Gütigen, und sie war gar nicht erschrocken. Welche Mutter wäre es wohl, die sich Tag und Nacht nach den fernen Kindern sehnt ...

Tante Hermine hatte sich gleich dazu gesetzt und man war bald flüsternd bei dem Thema Dankwart angelangt.

»Ich will nur eins wissen, Mutter«, sagte Wildrich und bettete sie recht an seine Schulter, damit sie sein versehrtes Gesicht nicht deutlich sehen konnte. »Was sagst du zu Lisel Kreihorst?«

»Alles Gute sag ich, und Gott Lob und Dank! Keine Bessere hätte er haben können. Aber er hätte wohl von selbst nie etwas gesagt, aus Sorge als Mitgiftjäger zu gelten. Es ist sehr reich, das liebe Mädchen ...«

Tante Hermine nahm das Wort: »Die Lise sah, was ihn quälte und sagte ganz unerschrocken: ›Dankwart, soll das elende Geld zwischen uns stehen? Vater ist dir gut, und ich hab' dich lieb.‹ So hat sie gesprochen und es uns selbst erzählt.«

»Und Bruder Dankwart?«

»Ja, das hat er uns nun wieder erzählt. Er war wie erlöst, daß sie ihm das Geständnis abnahm. Er hat auch gar nichts gesagt, hat nur geküßt. Das muß ja ganz schön sein, ich hab's nie erlebt«, meinte Tante Hermine seufzend. »Also über unsere Gefühle kannst du dich völlig beruhigen, mein alter Wildrich. Das Mädchen ist ein Prachtsgeschöpf und weit über unser Dorf hinaus durch ihre Hilfsbereitschaft bei Frauen und Kindern bekannt. Man heißt sie die ›Fürsorge‹. Das ist ein schöner Titel für eine Frau. Warten wollen sie natürlich auch nicht. Wozu auch. Kommt die Erntezeit, haben sie anderes zu tun, als sich zu schnäbeln. Wir werden bald 'ne Einladung kriegen. Ich werde dabei ein neues Staatsgewand tragen. Das alte ist ein Trümmerhaufen.« –

»Das Lisel ist mir lieb wie eine eigene Tochter«, hörte Wildrich die Mutter noch schlaftrunken sagen, und dann schlief sie in seinen Armen ein. Er ließ sie ruhen, bis der Morgen dämmerte. Dann löste er sich sacht von ihr, und Tante Hermine brachte ihn selbst an das Tor der Burg.

»Wenn deine Pflicht dich ruft, Wildrich, halt ich dich nicht. Geh mit Gott! Noch einen Augenblick. Man sagte uns, du seist zuschanden geschlagen von einem Wilddieb. Ich finde, du bist schöner als je.«

Erschrocken preßte sie ihre Hand auf seinen Mund. »Um Gotteswillen, nicht laut lachen. Denk an den Vater ...«

»Tante Hermine«, sagte Wildrich, tief Atem holend und umfaßte sie ritterlich zärtlich. »Bei dir sind die Flügel nur noch Frage der Zeit. Jeder fühlte sich verpflichtet mir zu sagen, daß ich schauderhaft aussehe, ein Kinderschreck sei und sonst noch etwas. Aber deine Verklärungskraft – Tantchen – sieh, ich bin neugeboren ...«

Er war bald in der Dunkelheit verschwunden, aber das alte Jüngferchen konnte nie mehr behaupten, daß sie noch nicht geküßt worden sei.


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