Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11.

Der Stallbursche vom Kreihorsthof führte zwei prächtige Braune in den Stall. Gleich darauf trat Dankwart aus dem stattlichen Wohnhaus und ging auf die weiße Hausbank zu, auf der sein junges Weib saß. Er trug eine graue Joppe mit grünen Paspeln und kniefreie Hosen, dazu feste Bundschuhe. Elisabeth war noch im städtischen Reisekleid und sah ihn etwas erstaunt an. – Doch lachte sie fröhlich auf, was ihr ernstes Gesicht verschönte.

»Hast du dich aber rasch in den Bauer verwandelt! Hast es so eilig?«

»Bauer war ich immer«, sagte Dankwart ernst. »Oder meinst du, mein verlottertes Rittergut hätte standesherrlich ausgesehen?«

»Ach, sprich doch nicht so! Wie ein Knecht hast du gearbeitet. Der Vater ist des Lobes voll. Und mich macht es glücklich. Aber ich dachte, wir könnten noch ein klein wenig feiern.«

»Erntemonat, Elisabeth. Und wir haben vierzehn Tage gefeiert. Das tut kein Landwirt im Sommer.«

Bauer Kreihorst trat aus der Scheune.

»Da freut mich mein Leben«, rief er fröhlich. »Aus der Hochzeitsreisekalesche heraus in den Bauernfrack. Die kurze Wichs und die Bundschuh. So lob ich's mir. Koch Kaffee, Elisabeth, heut ist der letzte Feierabend.«

»Das steht schon alles drinnen gerüstet«, lachte sie, »hast es ja selbst angeordnet, du Fürsorglicher. Aber vor dem Trinken kleide ich mich selbst um.«

»Ist recht, daß sie uns noch allein läßt.« Bauer Kreihorst paffte heftig wie immer, wenn er etwas verlegen war. »Ich möcht mit dir reden, Dankwart. Und ich red' mich hart. Wie ist's mit deinem Vater? Wird er meine Tochter empfangen? Oder soll's so weitergehen, daß er fortschaut, wenn sie ihm über den Weg läuft?«

»Sie ist jetzt meine Frau, – und er wird sie grüßen!«

»Meinst, Dankwart? Und ist die Elisabeth was Besseres geworden, seit sie deine Frau ist? Ich leg die Hand ins Feuer, daß sie nie auf den Baron geschaut hat ...«

»Und ich lege meine Hand dazu, Vater ...«

»Ist recht. Braten sie zusammen. Wie denkst du dir nun euer zukünftiges Wohnen? Bin begierig.«

»Die Tante Hermine, meine Patin, hat uns ein gutes Nest in der Burg bereitet, Vater. Zwei hohe, schöne Zimmer gehören Elisabeth und mir. Und mit Urväterhausrat sind sie eingerichtet. – Mutter und Tante wollen Lisel damit überraschen. Es ist ihr Hochzeitsgeschenk für uns. Besser als Bargeld, gelle, Vater? Das ohnehin knapp bei den Eulenrieds ist. Ich habe nur die eine Sorge, daß ich dem Einsamen seine Freude nehme. Aber du kannst sie täglich sehen ...«

»Jawohl, – wenn du sie überhast, dann schick sie mir zu.«

Dankwarts Augen sahen versonnen aus. »Die Lisel überhaben – – Vater, wie fängt man das an?«

Jetzt lachte der Bauer derb auf. » Gar nicht fängst es an. Gelingt ja doch nicht. – Was Feines geb ich dir, Dankwart, gib acht, daß sie der Herr Baron droben nicht zerbricht. Übrigens ist's ein rechter Gedanke, daß du dein Weib ins Schloß holst ... Die Nachbarn könnten sticheln ...«

»Die Nachbarn kümmern mich nicht. Es war mein Entschluß von Anfang an, daß die Freifrau Eulenried in ihres Mannes Haus wohnt.«

»Ist recht. Und ehe die Lisel mit dem Kaffee kommt, – wo bleibt sie nur? – sag ich dir noch was Schönes. Solang mein Weichmut anhält. Morgen geht's in die Sielen, da bin ich wieder der grobe Bauer Kreihorst ...«

»Mir bist du recht, Vater.«

»Als ihr vom Standesamt kamt, vor vierzehn Tagen, da fragt ich sie: ›Warum hast nicht ›Freifrau‹ unterschrieben, genau wie er seinen Baron hinsetzte? Ist dein gutes Recht.‹ Was spricht sie?: ›Bin ja keine Freifrau. Bin ja so gebunden – an ihn.‹ Na, was sagst, Schwiegersohn?«

»Ich sag wie du, – sie ist ein feines Seelchen. Aber daß du mir's bringst, diese schöne Geschichte, das ist das Feinste.«

»Nun hören wir auf. Das war ja was Neues. Liebserklärungen zwischen zwei Bauern! Und da kommt's Lisel. Was hast? Tränen? Hat die Base Schaffnerin wüst getan, weil die Herrin wiedergekommen ist?«

Elisabeth schüttelte den Kopf. Sah ihren Mann bittend an.

Da ging der Vater hinaus. »Wenn du auch noch in meinem Hause bist, deine Geheimnisse gehören deinem Mann«, rief er noch in der Tür.

Sie nickte ihm zu. Dankwart nahm sie in seine Arme» »Tränen am ersten Tage daheim? Das tut mir leid.«

»Ich will dir's rasch sagen, mein Dankwart. Und dann wollen wir meinem Vater fröhliche Gesichter zeigen. – Der alte Herr Baron ritt vorbei – dicht an unserm Hause. Er hat mich nicht gegrüßt, Dankwart, – wendete den Kopf fort, rief euern Diener an, – als sei niemand da ... außer ihnen ...«

Aber als sie sah, wie blaß ihr Mann geworden war und wie das Blut ihm gleich wieder ins Gesicht schoß und er zornig an der Lippe nagte, – rief sie leise: »Es ist schon vorbei. Du bist ja bei mir. Ich habe keine Angst.«

»Die sollst du auch nie haben, mein Lisel, – ruf den Vater!«

Auch die Base Schaffnerin erschien und wollte sich bescheiden beiseite setzen, weil ja die Haustochter nun Frau und Gast des Hauses geworden war.

»Nichts da«, gebot Kreihorst. »Wir Bauern ehren immer noch das Alter. Base, du sitzt obenan. Denkst anders, Schwiegersohn?«

»Nein, Vater.«

Die Base schenkte ein, sie blühte ordentlich auf in dem Gedanken, daß der »Herr Baron« mit den bäuerlichen Sitten einverstanden sei. – Und der Vater sah sein Kind an und die tiefe Falte auf der Stirn des Schwiegersohnes, aber er fragte nicht mit Blick, noch Wort, was die Ursache war. So recht wollte kein Gespräch in Gang kommen. Hastig trank Dankwart seine Tasse aus. Dann sagte er bittend: »Darf ich einen Knecht zur Burg hinauf schicken mit einem Brief an die Mutter? Möchte ihr meinen Gruß entbieten. Und dich will ich bitten, lieber Vater, ob wir zwei Eulenrieds, die Lisel und ich, heute nacht noch Gastfreundschaft hier genießen können. Tätest mir einen Gefallen –«

»Und du mir.«

Lisel sah still vor sich hin. Wie sie ihren Mann liebte, der feinfühlig immer das Rechte traf. –

Die Base Schaffnerin stand auf. »Will alles richten derweile. Die Tochter bleibt beim Vater. Nachher kann sie kommen«, und noch sagen, »ob es der Herr Baron anders wünscht.«

»Sixt, Lisel, das wird so bleiben. Du wirst immer für sie die ›Tochter‹ bleiben und dein Mann immer ›der Baron‹. Sie würde sich lieber die Zunge abbeißen, als ihm die Ehre antun, ihn zum ›Neffen‹ zu nehmen ... und er? He? Und er?« »Wir wollen sie nicht zwingen, Vater«, meinte sie still. Und gleich darauf: »Oh, was ist das für eine närrische Welt!«

Dann lachten sie beide.

»Es ist lieb von Dankwart, daß er diese erste Nacht hier bleiben will ...« Lisel sagte es stolz und zärtlich zugleich.

»Jawohl, – und da ich nicht aus Dummsdorf bin, sondern aus Merkshausen, so reim ich mir den Kram zusammen. – Aber dein Mann wird alles schaffen, – ich hab' gutes Zutrauen.«

Ein schmales zusammengefaltetes Zettelchen kam von Dankwarts Mutter als Antwort auf seinen guten Brief.

»Seid Gott befohlen!« schrieb sie. Und Tante Hermine hatte darunter gesetzt: » Mannsleute sind Mannsleute

Wie schön verlief der Abend. – Die Männer rauchten ihre Pfeife, die Base hantierte in der Küche, und Elisabeth »hörte gern, wenn kluge Männer reden«.

»Willst du morgen erst deinen Kram droben einräumen, Schwiegersohn? Die Deinen begrüßen? Da wird manches zu tun sein.«

»Dafür habe ich jetzt meine Hausehre, Vater. Das wird meine Frau besser machen als ich. Und Mutter und Tante Hermine werden sie beraten, wo es nottut. Ich führe sie nur ein, damit die ganze Burg weiß, daß eine junge Herrin da ist.«

Das letzte wurde so betont gesagt, daß Elisabeth begütigt ihre Hand auf die seine legte.

Er fuhr ruhig fort. »Ich möchte gleich in die Sielen gehn. Muß vor allen Dingen sehen, daß mein Gespann in Ordnung ist und kein Werkzeug fehlt. Aber ich denke, der Oberknecht wird auf dem Posten gewesen sein, während wir – feierten. Wäre der Rhein nicht so unsagbar schön, es könnte mir grauen, in der heißesten Arbeitszeit fahnenflüchtig gewesen zu sein.«

Wieder stahl sich eine liebe, wenn auch gar nicht weiche Hand in die seine. Eine Hand, die wußte, was Bauernarbeit ist.

»Will auch sehen, noch Arbeitskräfte zu bekommen.«

»Das wird schwer halten, wir werden alle schuften müssen.« Also der Bauer. »Alle nötige Arbeit, die vor der Ernte gemacht werden kann, muß geschafft werden. Nur keine Störung bei der Ernte.«

»Mein unfähiger Administrator hat im vorigen Sommer den Roggen und Weizen zu reif werden lassen. Ich darf gar nicht an all den Schaden denken, der uns daraus entstand. Auch die Wintergerste wurde zu spät gemäht. Korn und Stroh verloren ja an Wert.«

»Ich weiß Bescheid«, rief Elisabeth lebhafter als sonst je. »Vater hat immer in der Gelbreife gemäht, und so wollen wir's auch tun. Gelle, Dankwart? Und ich werde sorgen, daß die Strohseile zur Hand sind.«

»Jawohl, du Klugschnacker.« Der Bauer lachte so laut, daß er sich verschluckte und von der Base geklopft werden mußte.

»Mit meiner Lisel zur Seite wirst du sämtliche landwirtschaftlichen Preise bekommen, das sehe ich schon«, rief er. »Hast auch genug Kalk und Mergel für die Herbstbestellung, Dankwart? Ich kann dir abgeben.«

»Dank, Vater, daß du mir hilfst. Von keinem andern könnt ich's annehmen, aber deine Art macht es mir so leicht – Vater!«

»Ja, Vater deiner Frau. Und ihr beide seid eins. Solche Verspruchszeit und Ehe, wie ihr sie hattet und jetzt führt, hatten auch mein gutes Weib und ich. Mein Kind wird dich nicht enttäuschen. Was die Leut heutzutag ›Liebe‹ nennen, das kennt sie nicht, und du wirst sie es auch nicht lehren. ›Schmetterlingsleut‹ nenn ich die, – sind keine Menschen. So, und ich bilde mich zum Waschweib aus, Dankwart, hab in meinem Leben nicht soviel geredt. Das macht, weil ich solange Einspänner war. Und jetzt hab' ich einen verläßlichen Kumpan ...«

Dankwart fühlte eine Rührung in sich, die ihn schier übermannte. Dieses festgefügte, liebe Haus, dieser als grob, wortkarg und eigensüchtig verschriene Bauer, der sich nun dem Schwiegersohn aufschloß, wie er wirklich war. Dankwart dachte herzlich an seine Brüder, und ob sie wohl denselben graden, ruhigen Weg gehen könnten wie er ...

Elisabeth war in der Tür stehengeblieben. »Ihr seid so ernst? Habt ihr was miteinander?«

»Freilich, freilich. Gerauft haben wir miteinander. Siehst nicht, wie die Haare fliegen? – So ein bißchen Alarmsignal war sie immer, die dort, das hat sie von ihrer Mutter. So recht! Nimm sie in die Arme, Dankwart. Und nun ist höchste Schlafenszeit. Wir gehen sonst um achteinhalb pünktlich. Jetzt ist's zehn vorbei. Was hat der Hund? Und was soll das Geklopfe? Ja, ja – ich komm schon.«

Aber Dankwart war ihm vorausgeeilt. Wütend riß der Hund an der Kette. »Ruhig, Kerl! Und wen haben wir da?«

»Lassen Sie sich nicht durch die Gamsledernen beirren, Mann, Administrator oder Oberknecht, ich kann Sie nicht erkennen. Rufen Sie mir mal fix den Erbhofbauer, den kenn ich.«

Bauer Kreihorst trat vor. »Ist was passiert, daß die Frau Gräfin mein Haus aufsucht?«

»Sehr richtig. Ich bin noch nie so spät ›fensterln‹ gegangen. Hab' mich verlaufen. Das Kamel von Diener wußte in seinem eigenen Revier nicht Bescheid.«

»So hätten Sie es am Halfterband führen müssen«, sagte Dankwart rasch.

»Wen haben wir denn da? Alle Hagel! Darf ich eintreten? Ich bin müde und möchte sitzen.«

»Wir sind unhöflich«, sagte Elisabeth, schob die Männer beiseite und führte den späten Gast an der Hand in die Stube. Die alte Dame machte große Augen. Es war ein so ungewöhnlich großer Raum, den sie betrat. Er sah mehr einem Herrenzimmer gleich mit seinen Jagdtrophäen, schweren Möbeln, Sesseln und Truhen.

Dankwart verbeugte sich. »Ich bin Eulenried, und dies ist meine Frau.«

»Bauer Kreihorst, zu dienen, Frau Gräfin.«

Gräfin Wartberg sah unverwandt den Jüngeren an. »Daß mir der Teufel doch allerwegen die Eulenrieds in den Weg karrt ...«

»Kennen Sie den Herrn näher?« fragte Dankwart und bekam einen roten Kopf.

»Sie sind genau so respektlos, wie ihr Bruder, der Wildrich. Dabei wären Sie meine Söhne, wenn's mit rechten Dingen zuging.«

»Danke.«

»Was wollen Sie?« fragte der Bauer kurz.

»Na, endlich eine vernünftige Frage. Konnten Sie nicht eher drauf kommen? Sie sind so erfrischend grob, Bauer Kreihorst. Ich will Sie fragen, ob ich eine Hilfe haben könnte. Ja. Eine Gefährtin für die Prinzessin, die ihr kleine Dienste tut und auch vorliest ... ja ...«

»Frau Gräfin, soviel ich weiß, ist jetzt nicht Fastnacht«, polterte der Bauer. »Auch nicht der erste April. Aber es macht mich lachen. Da kommen Sie nachts dahergestiegen zu wildfremden Menschen und wollen in der hildesten Erntezeit eine Hilfe – für was? Fürs Vorlesen ... Da steigt mir die Galle auf ...«

»Lassen Sie sie wieder runtersteigen. Ich seh' schon, ich bin fehl am Ort. Weiß selbst nicht, wie mir der Gedanke kam, daß man in einem Bauernhause noch am ehesten gute Herzen findet. Meine Standesgenossen haben mich im Stich gelassen.«

»Sie fahren schweres Geschütz auf, Frau Gräfin«, sagte Dankwart hastig ... Sie sehen, daß meine Frau hinausgegangen ist. – Wie ich sie kenne, holt sie Hilfe für Sie, wo sie sie auch finden mag ...«

Da stand Elisabeth schon in der Tür, fertig angetan zu einem weiteren Gang. »Für alle Fälle gehe ich erst einmal mit, gelle, du erlaubst es mir«, sagte sie bittend. »Und ihr geht gleich zu Bett, wenn ihr morgen früh um vier Uhr frisch sein wollt.« Sie lachte leise über Dankwarts verdutztes Gesicht.

»Sollen wir die Gräfin so allein und ohne freundlichen Bescheid nach Hause schicken?« raunte sie. »Ich komme morgen ganz früh zurück, will nur sehen, was gebraucht wird. Wir wollen gehen, Frau Gräfin.«

Diese ging auf Dankwart zu. »Sie haben einen guten Fang getan, Baron. Die Eulenrieds haben immer Glück. Ob sie's verdienen, ist eine andere Frage.«

»Meine Frau verdiene ich jedenfalls nicht.« Dankwart drückte abschiednehmend Elisabeths Hand. »Aber schließlich verdient ja auch unser lieber Fürst nicht, daß er für sein Majorat nur eine kränkliche Tochter hat.«

Die beiden Frauen verschwanden im Dunkel. Der Diener trottete hinterher.

Die Gräfin hängte sich in Elisabeths Arm. »Die Eulenrieds sind allzu schnabelfertig, junge Frau, Sie werden Ihren Gatten kurz halten müssen. Immer bekommt man was auf die Mütze, wenn man sich mit ihnen einläßt ...«

»Mir sind sie recht!« sagte Elisabeth still. »Ich habe das große Los gezogen.«

»Und ich eine Niete«, seufzte die Gräfin. »Es läuft sich schwer als Einspänner, wenn man Lasten zu ziehen hat ...«

Elisabeth drückte ihren Arm an sich. »Will mir die Frau Gräfin sagen, an welchem Ende ich schieben soll?«

»Es handelt sich um die Prinzessin Sybille. Sie ist körperlich und seelisch herunter. Ich fürchte, sie bleibt uns nicht. Ach, ich bin zu derb für Mimosenzucht. Das beste ist, Sie bleiben gleich selbst bei uns. Sie gefallen mir ...«

»Und mein Mann?« rief Elisabeth erschrocken.

»Je weniger Sie sich sehen, um so länger wird Ihre Ehe dauern, – ich kenne den Rummel«, erklärte die Gräfin. »Und da liegt das Friedenshaus. – Wir gehen gleich zur Prinzessin. Es setzten plötzlich bei ihr heftige Schmerzen ein, da verloren wir alle den Kopf.«

»Ich habe viel Kranke gepflegt«, meinte Elisabeth schlicht, »vielleicht finde ich Rat für diese Nacht.«

»Sie gefallen mir ausnehmend, Frau von Eulenried, – gerade so etwas braucht die Prinzessin. Sie hätten Ihre Hochzeit verschieben sollen. Ich möchte Ihnen viel sagen. Doktor Krück macht immer ein so banges Gesicht. Der arme Vater! Ich glaube, er ist ahnungslos ...«

Elisabeth bat, allein zu der Kranken gehen zu dürfen. Erstaunt willfahrte die Gräfin.

»Wer kommt so spät?« fragte eine ruhige, wenn auch etwas matte Stimme.

»Elisabeth Eulenried bin ich, – des Bauern Kreihorst Tochter. Ich möchte Sie fragen, Prinzessin, ob es in meiner Macht liegt, Ihnen zu helfen. Heute ist es spät, aber ich kann diese Nacht bei Ihnen bleiben und wachen.«

»Wie eigen ist das, Elisabeth Eulenried. Ich hatte solches Heimweh nach einer jungen Menschenseele.«

»So schickt mich ein guter Geist. Und Sie werden jetzt schlafen, ja? Draußen zieht ein Gewitter auf. – Fürchten Sie sich nicht, Prinzessin?.«

»Nein. Ich fürchte mich nie vor den Naturgewalten. Nur – nur – –«

»Schlafen Sie, liebe Prinzessin, ich weiß schon, wovor man sich fürchten kann. Und was mit Natur gar nichts zu schaffen hat, gelle? Aber was für närrische Gespräche führen wir! Ist es Ihnen recht, wenn ich hier auf der Liege schlafe? Oder ist nebenan eine Bleibe für mich?«

»Das auch. Aber da hat meine Jungfer früher geschlafen. Die Anne ... Bitte, bleiben Sie hier!«

»Ja, bis morgen früh. Und mittags sehe ich nach Ihnen, lese auch vor. Und für die Nacht komme ich auch. Ist es Ihnen recht?«

»Ach, Sie sind so erquickend. Jedes Wort ein Trost. Und man spürt so gar nicht, daß Sie es eilig haben, und daß Sie doch ein Opfer bringen. Und was wird Ihr Mann sagen?«

»Oh, der sagt nichts. Es ist ja Erntezeit. Da sagt kein Bauer etwas.«

»Erquickend!« rief die Prinzessin leise. »Klingeln Sie doch, bat sie. »Das Stubenmädchen soll Ihnen alles zurechtmachen.«

»Nein, nein. Nur ein paar Weisungen von Ihnen und ich schaffe alles herbei. Eine Pflegerin, die noch extra Hilfe braucht, das wäre ja noch schöner!«

Elisabeth hantierte rasch und geräuschlos. Ehe sie das Licht ausdrehte, trat sie noch einmal an das Bett der Prinzessin. Ja, sie war wohl recht leidend und erschöpft. Elisabeth streichelte sacht die blasse Hand auf der Bettdecke. Da schlug Sybille die Augen auf. »Denken Sie, ich fürchte mich auch gar nicht vor dem Sterben ...«

»Nein, davor sollen wir uns ja auch nicht verstecken ...«

»Ach wie schön, daß Sie mir so ruhig beistimmen. Alle anderen Menschen waren immer so entsetzt, – deshalb habe ich es nie mehr gesagt ... Es ist lieb, daß Sie gekommen sind, Elisabeth – und Sie müssen es auch später recht meinem Vater sagen.«

Das Gewitter war nähergekommen und grollte unheimlich in den Thüringer Bergen. Die Kranke fieberte, aber sie schlief doch ein. Auch als Elisabeth ihre Hand fortnahm, wachte sie nicht auf.

Schon um sechs Uhr telephonierte der Fürst an seinen Arzt und besonderen Freund in die Kreisstadt. Und es dauerte nur einundeinehalbe Stunde, bis der Wagen in das Schloßtor einfuhr.

»Ja, – was macht denn mein Prinzeßchen für Sachen? Fieber und bösen Husten? Und so matt?«

»Ach nein, es geht mir ja viel, viel besser. Ich habe prächtig geschlafen. Väterchen! Schon auf? Ängstige dich doch nicht! Sieh, das ist Frau von Eulenried, sie hat bei mir gewacht ... Sie muß eigentlich nach Hause, es ist Erntezeit ... aber – – o gut ist sie ...«

Sybille war schon wieder eingeschlafen.

Die beiden Herren reichten Elisabeth die Hand. Der Fürst drückte sie fest. Dr. Krück zog beide ins Nebengemach.

»Es steht freilich nicht gut«, sagte er, seine rauhe Stimme dämpfend. »Die Kräfte scheinen aufgezehrt. Hat die Prinzessin außer ihrem Leiden einen Kummer?«

Der Fürst schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Und mein Kind hat mir immer vertraut.«

»Können Sie bei ihr bleiben, Baronin«, fragte Dr. Krück. »Sind Sie Pflegerin?«

»Ich bin die Tochter des Bauern Kreihorst und habe viel gepflegt, Sie können sich auf mich verlassen. Nur muß meinem Vater Bescheid geschickt werden. Im Kreihorst ist auch mein Mann.«

Der Fürst sah sie durchdringend an. »Ich werde selbst hinreiten. Die Eulenrieds sind mir immer wert gewesen, besonders die beiden Frauen da oben standen meiner Frau nahe. Und der Bauer Kreihorst ist der vorbildlichste Landwirt ringsum. Ich freue mich, daß zwei alte Geschlechter wieder zusammengekommen sind. Seien Sie meinem armen Kind eine gute Freundin. Ich komme bald zurück.«

Der Fürst verabschiedete sich. Der Arzt blieb im Schloß. Elisabeth setzte sich still neben das Bett der Kranken in einen Sessel. Dr. Krück stand neben ihr.

»Sie müssen etwas genießen, Frau von Eulenried.«

Sie erhob sich sofort. »Ja, das will ich. Ich habe Hunger. Und ich darf auch gleich ein ordentliches Frühbrot für Sie mit bestellen, Herr Doktor? Wir brauchen ja alle unsere Kräfte.«

Sie ging hinaus, leise gab sie einem herbeieilenden Diener freundliche Weisung. Sie hatte ja immer selbständig dem großen Erbhofe vorgestanden, war bekannt als gütige Herrin, und man gehorchte ihr sofort. Ein Tisch wurde hereingerollt, heißer Kaffee mit Schwarzbrot, Butter und Honig gehörte zum ersten Frühstück.

»Ich bin kein Spartaner«, bemerkte der Arzt etwas grimmig. »Muß nachher gleich auf die Walze, und da wären mir ein paar Eier lieber als das Honigbrot.«

»So muß es gleich bestellt werden«, sagte eine matte Stimme vom Bett her. »Und ich selbst möchte meine Schokolade trinken.«

»Was für vernünftige Lebewesen auf einem Fleck!« sagte der Arzt, und Elisabeth ging hinaus, um alles zu veranlassen.

»Wie geht's, Prinzeßchen«, sagte er, an das Bett tretend, mit frischer Stimme. »Sie haben gut, wenn auch nicht lange genug geschlafen. Wir müssen ja dem Herrn Vater mit frohen Gesichtern entgegenkommen. Also angepackt und ein paar Pfund Schokolade angesetzt.«

Sie sah ihn aus so traurigen Augen an, daß er ganz ernst und nachdrücklich sagte: »Sie haben einen Kummer, Prinzeßchen, der Ihnen hart zusetzt. Wir sind aber dazu da, Ihnen viel Freude zu bringen. Kann ich Ihnen helfen? Sprechen Sie. Es ist Beichtgeheimnis, wie Sie wissen ...«

»Ja, Onkel Doktor. Ich beichte Ihnen gern – – Ich möchte jemand sehen, – ja. Der lange nicht bei mir war.« Die Prinzessin sprach stockend und leise, die schönen, fiebrig glänzenden Augen auf den alten Freund gerichtet.

Dr. Krück hatte ein Glas Rotwein eingeschenkt und führte es an ihre Lippen.

»Er ist so ein lieber Geselle, der Wildrich ... und wir verstehen uns gut. Ich möchte ihn nicht nur sehen, ich möchte lange mit ihm zusammen sein, – bis, bis – –«

»Greift Sie das Sprechen nicht zu sehr an? Ich will gern jede Mission übernehmen ...«

»Ach – das ist nicht so einfach, wie Sie meinen. Wir sind ja in dem ›Höfischen‹ so eingeengt ... nein, lachen Sie nicht, hier ist jedes Küchenmädchen ›fürstlich‹. Und für mich schickt sich beinahe nichts.«

»So so, nun verstehe ich schon. Ich werde Ihnen also den ›lieben Gesellen‹ ärztlich verordnen.«

»Ja, so ungefähr. Ich möchte ihn bei mir haben – – wenn – – Onkel Doktor – – ich weiß ja, wie krank ich bin ...«

» Liebes Prinzeßchen – – – «, er drückte ergriffen ihre Hand.

*

Dr. Krück holte Elisabeth, und er ging rasch zum Fürsten, der ihn besorgt anblickte.

»Doktorfreund, – ich bin ein Feigling. Ich konnte längst bei meinem kleinen Mädchen sein. Aber – – Herrgott, Sie sind jetzt die bessere Arznei für sie. Ich bin ganz fassungslos, – ich ahnte, ich wußte nicht, daß das Leiden so furchtbar rasche Fortschritte macht. – Wie geht es ihr jetzt? Ich horchte an ihrer Tür und hörte Sie väterlich mit ihr sprechen. Da habe ich mich wieder entfernt. – Doktor, es ist das Einzige, was ich auf der Welt habe.«

Der Fürst sah mit einemmal alt und verfallen aus.

»Wenn Sie meinen, Durchlaucht, daß ich eine bessere Arznei bin, als der Vater, so weiß ich das beste Heilmittel, – wenigstens den besten Trost für Ihr liebes Kind. Nur muß das rasch verabreicht werden, damit das Prinzeßchen noch eine Freude hat. Vielleicht treibt die Freude das Uhrwerk noch ein wenig weiter.«

Dr. Krück erzählte kurz.

»Wildrich Eulenried???«

»Den Namen hat sie nicht genannt.«

»Es ist Wildrich Eulenried! – Und es ist seltsam ... Doktorfreund! Man geht als Vater mit verbundenen Augen. Man sieht nur die Krankheit des armen Kindes und achtet nicht auf das junge Herz, das nicht ausgeschlossen sein will von jeglicher Freude ...«

»Sie hat wenig gehabt, unsere junge Prinzessin. Und deshalb muß sofort ihr Wunsch erfüllt werden. Ist das möglich? Was kann ich tun?«

»Eilen Sie zum Oberförster. Sie werden ihn aufklären, weshalb er sofort beurlaubt werden muß, Doktorfreund. Wie kann ich je Ihre Freundschaft lohnen, Ihre Aufopferung! Was sagen Ihre Patienten?«

»Ich habe keine Schwerkranken. In der Erntezeit ist der Bauer gesund, oder er läßt sich wenigstens nicht anmerken, wenn der alte Adam streikt. Eulenried heißt der junge Förster? Verwandt mit der Burg?«

»Ja. Er gehört zu den drei Brüdern, die ausgingen nicht das Glück, aber die Pflicht zu suchen.«


 << zurück weiter >>