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2.

Am andern Morgen schienen alle Uhren des Thüringer Waldes die vierte Stunde laut zu verkünden, damit der schmucke Wanderbursch beizeiten an sein Ziel käme und sich nicht unnütz versäume. Den Frühkaffee hatte er sich verbeten. Er hatte schon am Abend vorher Abschied von der treuen Tante Hermine genommen, hatte der Mutter ein Brieflein hinterlassen, in dem alle guten Sohneswünsche und auch seine festen, guten Vorsätze enthalten waren. Die Mutter mußte laut ärztlichem Machtwort immer lange der Ruhe pflegen, und Illo wußte, die Leidende hatte ein starkes Herz und würde über die unerwartete Trennung rascher hinwegkommen, wenn sie dem Blondkopf nicht erst in die Augen sah. Waren doch die ihren sicher von Tränen verdunkelt, seit der Vater ihr die Nachricht vom Scheiden des Sohnes überbrachte. Baron Eulenried war auch unsichtbar geblieben, auch nicht so sentimental, um Illo etwa durch die Brüder seinen Vatersegen nachträglich zu übermitteln. Aber ein ganzes Pfund Barinas Mischung Nr. l, seine Spezialmarke und ein blankes Fünfmarkstück fand Illo auf seinem alten tannenen Schreibtisch liegen, auch die großmächtige Visitenkarte des Vaters lag obenauf. Sie enthielt alle Standesbezeichnungen fein lithographiert, und es waren so viele, daß die ganze vordere Seite davon bedeckt war. Dafür stand auf der Rückseite nur eine kurze Widmung, die aber dem Scheidenden die lange Wanderschaft merkwürdig verschönte, nämlich: »Schafskopp!«

Illo quittierte mit einem Abschiedsgruß, indem er die braune Wandermütze nach dem Schlafzimmer des Vaters schwenkte. Dr. Senfkorn stand in Nachthemd und Zipfelmütze am Turmzimmer und winkte mit der Hand. Illo wußte, er würde sich darauf wieder in sein schmales Bettchen strecken, das früher ein Kinderbett der Enakssöhne Eulenrieds gewesen war, aber dem kleinen Dr. phil. vollkommen genügte. Illo wußte auch, daß er eine endlos lange Epistel im Laufe der Zeit von seinem alten Hauslehrer erhalten würde, worin dieser über ungeratene Zöglinge wettern und über gebrochene Elternherzen philosophieren würde. Illo besaß schon mehrere solcher Briefe, die aber unendlich feine und treffende Wendungen und Humoristika enthielten und wert waren, gedruckt zu werden. Nur wenige Minuten dachte er über all dieses nach. Er sah nur seine Heimat, seine alte Burg mit den steinernen Zinnen, den hohen Torbogen, die Zugbrücke, die aber festlag und nie mehr aufgezogen werden konnte. Er nahm noch eine ordentliche Nase voll des hier unten sattsam üblen Geruches vom alten Schloßgraben mit, und dann flog er wie ein Pfeil durch das Tor mit dem steinernen Spruch: Nunquam retrorsum! Einmal würde und wollte er zurückkehren, als wohlbestallter Meister, – und man sollte den deutschen Meister ehren ...

Einen Jodler stieß er aus, halb lustig, halb von Rührung sich überschlagend, denn auf dem Waldweg standen seine Brüder. Er lief direkt in ihre ausgebreiteten Arme hinein, und sie taumelten alle drei. Da lachten sie überlaut, aber Worte wollten nicht aus den Kehlen kommen. Dankwart faßte sich zurerst. »Schafskopp«, rief er, und Illo lachte: »Ja, ja, weiß schon! Hat mir Vater schon vorhin schriftlich gegeben.« Da war der Bann gelöst. Ernsthaft – fröhlich berieten sie über die Richtung, die Illo nehmen wollte, über seine Pläne, die alle einfach genug waren. Illo bückte sich über die rauschende Ilm, in deren besonntem Spiegel man die Forellen stehen und spielen sah. Er schöpfte seine Mütze voll klaren Heimatwassers und goß es sich über den Kopf. Die Brüder taten es ihm nach. »So, das ist wie ein Gelübde«, sagte Wildrich nachdrücklich. »Und wir sind keine Buben mehr, und werden es halten. Hier wollen wir uns wiedertreffen, an diesem Fleck, wo die Moosbank steht und der verwitterte Pfahl: ›Nach Eisenach‹.«

»Recht so! Mir ist, als warte Doktor Martinus auf mich.«

»Laß fahren dahin, sie habens kein Gewinn, das Reich muß uns doch bleiben.«

»Bruder, leb wohl!«

»Auch soviel!«

Noch einmal standen sie im Kreis. Wann wären sie je auseinandergegangen ohne Lied? Gottgesegneter Dreiklang! »Drauß ist alles so prächtig« –

Die Felsen gaben das Echo wieder. Dann winkten sie, bis sich eine hohe Waldwand zwischen sie und den Scheidenden schob. –

Noch verhielten sie eine Weile. »Hör doch, Wildrich – wie Illos Tenor tönt! Sänger hätte er werden müssen, anstatt – Uhrmacher.«

»Und im Mai, im schönen Maien hab i viel noch im Sinn.« –

Nun wurde das Rauschen der Ilm stärker, sie tanzte über mächtige Steine und übertönte Stimme und Wort. Nach drei verschiedenen Seiten trennten sich die Brüder. –

Illo schlug einen Wildpfad ein, der ihn über eine steile Felswand führte, welche die Brüder als Knaben das »Raubschloß« nannten, wenn auch nirgends Türme noch Mauern zu sehen waren. Hier atmete er sich noch einmal ordentlich »den Feind aus der Brust«. Zorn gegen den Vater, Leid über die sieche Mutter, die ganze wehleidige Abschiedsstimmung. Wann würde er sein Eulenried wiedersehen? Und würde er als Sieger kommen? Schwer und unbequem schlenkerte er das wertvolle Erbstück im Felleisen an seiner rechten Seite; schon ein paarmal hatte er es umgewechselt. In welcher Ecke seines lieben Thüringens würde er den Meister finden, der das Kunstwerk wirklich wertete und erkannte? Und der den Besitzer der »Bronzenen« in sein Haus, an seinen Herd aufnahm und das Ührlein mit Liebe studierte? »Mit Liebe«, das war der Spruch einer Ahne gewesen. Ein Kochbuch besaß die Mutter, das war von dieser Ahne geschrieben, und in jedem Rezept war »die Liebe« erwähnt. – Liebe als Untergrund, Liebe als Einlage bei Backwaren, ja bei einem köstlichen Fleischgericht, das den närrischen Namen trug: »Mutter Treuen und ihre Töchter«, stand am Schluß des Rezeptes: »Zieht man den Tiegel aus der Bratröhre, so fahre man noch einmal mit Liebe und einer glühenden Schaufel über die ganze Pastete. Probatum est!« – Das war im Schloß Eulenried zum fliegenden Wort geworden. – Diese Gedanken überdachte Illo noch einmal, während er ringsum seine köstliche Heimat erlebte und ihren Duft in sich hinein trank. Dann fegte er buchstäblich den moosigen Waldweg hinunter, daß ihm die Mütze vom Kopfe flog und er sie erst wieder aufsammeln mußte. Wo mochten seine Brüder jetzt wandern?

Dankwart war zum Schlosse zurück geschritten, hatte mit einem uralten Tulapfeifchen seinem Hunde Hasso gepfiffen, der sich beinahe vor Freuden überkugelte, daß er seinen Herrn begleiten durfte.

Dankwart schlug jetzt den Weg zu seinen Wiesen und Feldern ein, stutzte, als er an den Acker trat, der an die Gehöfte des Großbauern Kreihorst grenzte. Der Bauer selbst ging vor dem Acker auf und ab, nahm Schollen auf, zerbrach und zerkrümelte sie, roch ergiebig daran und schaute dann immer wieder ringsherum, als wolle er das hundertmal schon Gesehene, noch einmal messen. Langsam schlenderte Dankwart heran. Großbauer Kreihorst tat, als sei er immer dagewesen, und er hätte nur ein angefangenes Gespräch fortzusetzen. – »Ja, das ist nun so, Herr Baron. Hier fehlt etwas, und das ist schade. Denn an sich ist der Boden gut.«

»Ich brauche nicht zu fragen, was fehlt«, rief Dankwart rasch, ohne die Tageszeit zu bieten, denn er kannte die Eigenart des Nachbarn vom Hörensagen. Kreihorst pflegte sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten.

»Mist ist die Seele des Landwirtes, Herr Baron, wo Mist fehlt, hat der Kaiser sein Recht verloren.«

»Das sind starke, gute Worte, Herr Nachbar, die mir einleuchten.«

»Es ist gut, wenn Sie verständig sind.«

Dankwart besah sich seinen Nachbar genau. Der alte Bauer sah aus wie »aus dem Schächtelchen«, wie der Thüringer die Sauberkeit und Unverbrauchtheit eines Menschen bezeichnet. Seine Hände waren Pranken, aber gut geformt und merkwürdig gepflegt. Er sollte aber wie seine eigenen Knechte arbeiten, das erzählten diese überall. Das bartlose Gesicht war gut rasiert, die scharfen, klugen Augen unter den buschigen Brauen sahen den Besucher durchdringend an.

›Ich mag den Mann leiden‹, dachte Dankwart, ›und ich wollte, ich hätte mich eher um ihn gekümmert. Oder er sich um mich, – denn er wird in jedem Falle der Gebende sein.‹

»Die Eulenrieds hausen ja schon etwas länger als wir in den Thüringer Bergen, aber immerhin kann ich doch mit dreihundert Jährchen aufwarten.«

»Man sieht es Ihnen nicht an, Großbauer«, lachte Dankwart und setzte dann ernst hinzu: »Ich wollte, wir wären mit unsern sechshundert Jahren weiter in der Wirtschaft.«

»Sie haben ein gutes Lachen, Herr Baron. Das hat schon seinen Ruf, wissen Sie das? Ich hab schon meinem Großvater sagen hören, wenn er einen guten, gesunden Menschen bezeichnen wollte: ›Er lacht wie'n Eulenried‹.«

»Hm. Das ist mir neu. Aber die Eule lacht ja auch. Doch hab ich mir nie was drauf eingebildet.«

»Wer die Eule im Wappen hat, muß gescheit sein. Mich dünkt, ich hab so was in der Schule gelernt. – Sie sind gescheit, Herr Baron, sonst würden Sie mir nicht meinen Ehrentitel geben, sondern ›Herr Kreihorst‹' zu mir sagen.«

»Um Gott, Großbauer, es würde mir nicht einfallen, Sie je so zu nennen ...«

»›Baron‹ ist auch nicht schlecht. Aber, wie gesagt, Mist muß im Acker sein ...«

Dankwart dachte: ›Wir kommen heute nicht von dieser »anrüchigen Seele« ab‹, und verabschiedete sich. Er wollte dem Nachbar die Hand reichen, aber der schlug schon wieder Feuer für seine kurze Pfeife und hielt außerdem nichts von städtischen Gewohnheiten. –

»Sie können morgen mal auf ein Stündchen zwischen »Dämmern und Siehstmichnicht« kommen, Herr Baron. Da reden wir dann mehr von der Sach'.«

Dankwart nickte und kopfschüttelte zugleich. Der Großbauer hatte sich ihm ganz anders gezeigt, als man ihn ringsherum schilderte. Die Eulenrieds hatten keinen Umgang, sie waren zu arm, um irgendwelche Geselligkeit zu pflegen, die Mutter zu leidend und der Vater zu hitzköpfig. Der alte Herr verstand die Nachkommen seiner Standesgenossen nicht mehr. – Sehr langsam und nachdenklich schritt der junge Besitzer durch sein ganzes Gewese und sah heute in der klaren, unnachsichtigen, nichts beschönigenden Helle des Frühlingstages den ganzen Verfall seiner Wirtschaftsgebäude, wie auch der Burg selbst, darin er mit den Seinen hauste. »Die romantischste Burg des Thüringer Waldes ist der Eulenried«, stand in den Reisebüchern. – Die massiven, gut erhaltenen Mauern des Nachbarhofes erwiesen sich nicht als romantisch, aber das Herz konnte einem Landwirt im Leibe lachen beim Anblick des stattlichen Hauses, der prächtigen Stallungen, der gepflegten Kühe, die schon draußen weideten. Am Waldrand saß der alte Schäfer, rauchte seinen selbstgesuchten Tabak aus der kurzen Pfeife und spuckte nach ein paar Zügen immer in großem Bogen über das Land hin. Neben der Pfeife hatte er noch sein Priemchen im Mund. Daheim in seinem Häuschen, dessen zwei Stuben neben dem warmen Stalle seiner Schafherde lagen, durfte er weder priemen noch spucken. Da kam auch die große, lange Pfeife an die Reihe und feinster »Pastertabak«, das Pfund zu fünfundsiebenzig Penning, – damit versorgte ihn »das Lisel«, die einzige Tochter seines Brotherrn. Ein Prachtsmädchen, »das Lisel«, fast zu ernst für ihre zweiundzwanzig Jahre. Aber sie hatte ja auch die Mutter hergegeben und zwei Brüder im Kriege. Und hatte immer schwer arbeiten müssen, trotz ihres Reichtums, und nie zu Tanz gehen und sich freuen können. Es war eine Ehre, auf dem Kreihenhorst dienen zu dürfen. So sprach man in den Nachbardörfern, und mancher angesehene Bauernsohn hatte eine »resche« Magd vom Kreihenhorst geheiratet, und man war gut mit ihr gefahren. Eine Base vom Bauern war auch noch da von gutem Thüringer Schrot und Korn. Die sorgte für die gute Sitte im Hause und rief abends alles Gesinde in die große Stube. Da wurden noch die Spinnräder herzugetragen und die Fäden genetzt, die Räder surrten um die Wette. Auch Stricknadeln klapperten, und die Base erzählte Thüringer Märchen und Sachen »zum Gotterbarmen grauslich schön«. Aber auch »Rudolstädter Bilder und Klänge« vom alten Pastor Sommer wurden vorgelesen, und man konnte sich krumm, schief und bucklig lachen. Die Haustochter saß immer dabei, ernst und herb, und der Name der Landgräfin Elisabeth, die ja später heilig gesprochen wurde, hätte besser zu der »Besonderen« gepaßt, als »das Lisel von Ilmenbach«.

Es waren Gedanken dieser Art, die den jungen Baron Dankwart Eulenried auf seinem Weg nach dem Schlosse begleiteten. Er trat hochaufgerichtet und froh in das Zimmer der leidenden Mutter, die ihn jeden Morgen um diese Zeit erwartete. Denn die herben Schmerzen verkürzten ihr die Nachtruhe. – So plauderte sie gern in aller Herrgottsfrühe mit ihrem Ältesten, während der Gatte sein Podagra in der Bettwärme vergaß.

»Du siehst frisch aus, mein Dankwart. Wie beneide ich dich! So herumwirtschaften zu können in der jungen Frühlingszeit. Was macht das Gut? Wie steht die Saat? Ist das Vieh schon auf der Weide? Auch des Nachts? Ich bin eine schlechte Gutsfrau geworden, und war doch früher mit dem Gesinde auf und allen voran.«

»Das warst du, Mutter. Und hast dich für uns und für das Gut abgerackert.« Dankwart küßte zärtlich den Scheitel der Mutter, der frühzeitig ergraut war, trotzdem ihr alle schweren Sorgen ferngehalten wurden.

»Die Insten scheinen nicht mehr so anhänglich zu sein, wie früher«, klagte sie. »Es klopft niemand mehr von ihnen an meine Tür, und ich hatte doch die jungen, frischen Thüringer Meidli so gern... Auch der Administrator läßt sich seit Monaten nicht mehr sehen.«

Dankwart scheuchte mit nicht ganz sicherer Stimme ihre Sorgen fort. Er durfte ihr ja nicht sagen, daß das »Gesinde« auf die kleinste Zahl zusammengespart war und durch die Frauen und Mütter der unbedingt notwendigen männlichen Insten ersetzt wurde. – Der Administrator hatte sich dem Trunk ergeben, leistete nichts mehr. – Dankwart wollte ihm heute kündigen. Aber nun mußte er der geliebten Kranken noch die plötzliche Abreise des Jüngsten ganz behutsam beibringen. Abreise? Der jüngste Sproß des stolzen freiherrlichen Geschlechts befand sich auf der »Walze«.

Dankwart suchte nach Worten. Er ließ sich vor dem Ruhesessel der Mutter auf die Knie nieder. Das war die beliebte Weise der Söhne, ihrer Mutter nahe zu sein. Da konnte man sie mit beiden Armen umschlingen und »beichten«, wie das früher geschah. Konnte in ihre guten, klugen Augen hinein alles erzählen, was vom Jungsherzen herunter wollte. Und fand bei ihr immer Verständnis, im Gegensatz zum leicht aufbrausenden Vater. –

Frau von Eulenried strich mit den feinen Händen über die Stirn des Sohnes. »Da liegt eine Furche, – und da, und da – – viel zu früh für meinen jungen Dankwart.«

»Jung? Mutter, ich bin Dreißig.«

»Auch für deine Dreißig sind die Falten zu tief. Hat es was gegeben? Mir ist schon bange, als verbergt ihr mir etwas, um mich zu schonen. Schonung kann auch quälen. Weil ich so gefesselt bin, mich nicht rühren kann ... Dankwart, – wir sind so lieb allein – du wirst mir wieder mal ›beichten‹, wie früher, – ja?« Hastig und drängend sprach die Mutter, und wirklich gequält sah sie ihn an. »Ist es etwas mit dem Vater? Wart Ihr ungehorsam? Ist Wildrich durchs Examen gefallen? Und Illo? Mein Gott, wo steckt er? Kommt doch sonst immer gleich nach dir in meine Kemenate gestürmt – – – Und du selbst, Dankwart? Eben warst du noch so frisch, und nun ich all die Zweifel ausspreche, – kannst du sie nicht widerlegen? Was gibt's?«

Wildrich sah forschend in ihre heischenden Augen. Und er fühlte, daß man ihrer geistigen Stärke, die so tapfer die körperlichen Schmerzen ertrug, wohl auch Sorgen anvertrauen konnte. Das Versteckspiel vor der Mutter, das der Vater anbefohlen, hatte ihn und seine Brüder immer gequält. Wildrich glaubte auch nicht daran, daß sie zusammenbrechen würde, wenn die Kenntnis von dem Ruin des Hauses über sie kommen würde. »Liebste Mutter, heute ist noch viel zu schaffen, – ich kann dir nicht langatmig beichten, – von mir selbst überhaupt nichts. Bin ein trockner Geselle geworden, Mutter – – – –, nein, unterbrich mich nicht, Mutter ... Wir sind alle sorgenvoll, – weißt du, so wie der alte Schäfer immer sagt: ›Für'n Taler acht Groschen‹ Sorgen. Na, so billig tun es aber die Eulenrieds nicht. Es ist etwas mehr. Aber das soll meine Muusch nicht kümmern, hörst du? Ich werd's schon schaffen. Nur darf sich der Vater gar nicht mehr um die Gutswirtschaft kümmern, das muß er mir versprechen.«

»Um Gott – Dankwart ...«

Er sah finster und entschlossen aus. Dann aber nahm er die feine, zarte Frau zärtlich in seine Arme und versuchte zu scherzen: »Muusch, wir haben so etwas wie Palastrevolution. Unser Illo ist schon ausgerückt – – aber auf gutem Wege. Nur nicht zittern und bang sein, Mutterle, wir drei Jungs haben alles wohl überlegt.«

Aber die schmalen, feinen Hände zitterten doch in den seinen, und sie schmiegte sich eng an ihren starken Ältesten.

»Sieh, Mutterle, – der Wildrich will uns sparen helfen, denn das ist nötig. Und er gibt seine teure, langwierige große Karriere auf und wird einfacher Förster. Forstgehilfe beim alten Ehrlich auf der Domäne.«

»Was macht ihr für Sachen! Es erschreckt mich. Aber der Illo? Was will er? Dankwart, – er war so sehr Vaters Stolz, – unser aller Zukunftshoffnung, gelle, Dankwart?«

So rührend echt thüringisch klang die letzte Frage.

»Ja, Mutter – das bleibt er auch. Das weiß ich. Aber nun mußt du dich ganz fest an die Kandare nehmen, – denn der Illo, – der Illo – – ja der tut etwas ganz Ausgefallenes – er will Uhrmacher werden ... Er ist schon fort – Mutterle – ist auf die ›Walze‹ gegangen. – Abertausendmal läßt er dich grüßen.«

Frau von Eulenried schmiegte sich noch etwas fester in des Sohnes Arm. Sie schien gar nicht erschrocken zu sein. Es kam Dankwart seltsam vor. – Eine Weile verhielt er sich schweigend. Dann sah er in versonnene Augen und sah einen lächelnden Mund, der sprach leise, rührende Worte.

»Dankwart! Das ist etwas unendlich Feines, – das Uhrmacherhandwerk ...«

Verträumt und beinahe jung sah die schöne Mutter aus.

»Nun will ich einmal dir beichten, mein Junge – hätte das nie geglaubt ... weißt du – ich hab einmal einen Uhrmachergesellen geliebt, – ja, nun darfst du nicht lachen ...«

»Ich lache nicht, Mutter ...«

»Sechzehn Jahre war ich alt, – ja – und er und ich schrieben uns stürmische und innige Briefe. An meinem achtzehnten Geburtstage kam er zu uns aufs Schloß. Er war ein Künstler, Dankwart, bei allen Höfen wohlgelitten, ja hochangesehen ... Auch bei uns hatte er alle wertvollen Uhren, auch die Turmuhr, neuerstehen lassen, mein Vater schätzte ihn, bewunderte seine Arbeit. – – Aber als er die einzige Tochter forderte, – – wie aus uralten Ritterbüchern klingt es – jetzt darfst du lachen, Dankwart – – da wurde er mit Hunden hinausgehetzt.

»Mutter – dies wird immer neu bleiben, glaubst du nicht? Die alte Geschichte. – Und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei ..., heißt es nicht so, Mutter?«

»Ich glaub es jetzt nicht mehr sicher, Dankwart. Aber damals war doch das vierte Gebot eine strenge Macht, die uns Kinder regierte ... Und die sich ihr Recht nahmen, die haben gehabt weder Glück noch Stern, sie sind gestorben, verdorben. – Ist auch ein Lied, mein Junge ...«

»Ja, Mutter. Aber man kann doch auch mit dem Segen der Eltern in eine Verbindung gehen, die nicht die vorschriftsmäßigen Ahnen oder Bedingungen zeigt, aber die Gewähr leistet, daß man eine wahrhaft gute Mutter, oder einen Ehrenmann als Vater der zukünftigen Kinder sich holt. – Meinst nicht, Mutterle?«

»Mein Vater hatte mich deinem Großvater als Schwiegertochter versprochen. Und dann hieß es biegen oder brechen. Ich bog mich. War ja so jung, und wir hatten uns nie aussprechen können, nie ein Liebeswort mündlich getauscht, oder gar eine Zärtlichkeit. Aber außer meinem zaghaften Herzen schlugen ja alle hochwerten Uhren für ihn, schlagen heute noch, wenn auch sein Herz längst still steht.«

»Hast du ihm nie geschrieben oder ihn wiedergesehn?«

»Das wäre gegen alle Sitte gewesen, da ich doch bald deines Vaters Frau war. Ein zaghaft Ding dazu. Aber meinen Lieblingshund, den schönen ›Greif‹, erschoß ich vor meines Vaters Augen, weil er den Liebsten gehetzt hatte.«

Dankwart streichelte ihre Hand. Aber die Mutter zog sie hastig fort. »Was tust du, Dankwart? Die Tat hat mich mein Lebtag gereut, es war ein so treues Tier, und es gehorchte nur einem Befehl. Wie ich auch.«

»Mutter!«

»Du lieber Junge! Wollen die alten Geschichten begraben. Mir wurde nur jetzt wunderlich zumute, weil nun der Enkel des stolzen Großvaters auf die Walze geht und – Uhrmacher wird. Lach doch, Dankwart. Das Leben ist oft so lächerlich, und du hast solch liebes Lachen an dir wie der Illo – Gott segne ihn!«

»Mutter, das war schon eine gesegnete Stunde! Wie groß du alles Geschehen aufgefaßt hast. Vater wird es nicht glauben.«

»So geh jetzt gleich zu ihm, Dankwart. Sag ihm, daß ich mit lauter herzguten Gedanken dem Illo nachdenke. Davon halte ich viel.«

Dankwart trug erst noch die Mutter auf die Liege. Ordnete dann die Kissen des Krankenstuhles und setzte die Leidende wieder sorglich hinein.

»Du Braver!« raunte sie leise. »Wenn ich dich nicht hätte. Lauf mir nur ja nicht fort, um etwa Schuster oder Schneider zu werden, ich brauch dich wie das liebe Brot.«

Dankwart fand den Vater recht griesgrämig.

»Mir war's immer, als hätte ich drei Söhne«, knurrte er. »Wie man so dumm träumen kann! Ich hätte dich gern bei mir gehabt. Knacke noch an der verd ... Nuß von Illos Weglaufen. Wie wird es Mutter ertragen?«

»Die Nuß ist schon von ihr geknackt, Vater –, und der bittre Kern bewundernswert vom Mutterle genossen worden. Tante Hermine, ich bitt' dich, geh zu ihr. Ich glaube, dich verträgt sie jetzt am besten als Nachtisch.«

»Was für Glossen zu solch schwerer, widerlicher Sache!« schalt der Burgherr. »Wenn ihr Brüder etwa vorhabt, mich jetzt auszuschalten, alias kaltzustellen, so wartet gefälligst, bis ich tot bin.«

Dankwart schwieg. Er fürchtete einen Jähzornsanfall, wenn er dem Gekränkten widersprach.

»Was hattest du mit deinem ›Schwiegervater‹ zu konferieren?« fuhr er bissig fort. »Wieviel kriegt ›sie‹ mit? Ich hörte was von Fünfzigtausend bar, außer der Ausstattung, wenn sie überhaupt ›ja‹ sagt. Soll ja eine ›Turandotten‹ sein ...«

Die schweigende Überlegenheit des Sohnes schien unerträglich, und er steigerte sich in einen kalten Zorn hinein. Aber das wollte Dankwart nicht. Es kam ihm in den Sinn, wieviel Ungutes man dem Vater nach dessen Meinung angetan, wie man ihn Schritt für Schritt beiseite geschoben, der doch einstmals ein strenges Regiment auf Eulenried geführt hatte.

Dankwart ergriff seine Hand und umschloß sie mit festem Druck.

»Vater, ich habe die Elisabeth Kreihorst gar nicht gesehen, und ich glaube nicht, daß die Erbin gerade auf den armen Schlucker Eulenried wartet. Aber mit dem Alten habe ich ein paar vernünftige Worte gewechselt. Er ist ein ganz vorzüglicher Landwirt ...«

»Von dem sich der Großgrundbesitzer Baron Eulenried Rat einholen muß. Daß ich nicht lache ...«

»Es gibt nichts mehr zu lachen, Vater. Wir haben keinen Großgrundbesitz mehr. Und was davon übrig ist, ist verlottert. Nicht durch meine Schuld, Vater, weiß Gott nicht ...«

Wild fuhr der alte Herr auf.

»Will mir der Herr Sohn Vorwürfe machen?«

»Ja, Vater. Wenn du nicht im Guten mit dir reden läßt. Der Administrator hat Unterschleife gemacht, du hast ihn trotz meiner und der Nachbarn Warnungen auf seinem Platze belassen. Heute kündige ich ihm, gleich jetzt ...«

»Du hast gar nichts zu kündigen. Noch bin ich Herr.«

»Vater, du hast dich bei deinem eigenen Leiden und Mutters Krankheit nicht um die Gutswirtschaft kümmern können. Mich hattest du auf Reisen geschickt, – unnütze, kostspielige Reisen, wenn ich mich auch einschränkte. Aber du ließest mich mein Erlebtes und Erlerntes gar nicht für unser Gut verwerten. ›Maul halten, Ordre parieren‹ war dein Befehl für deinen Ältesten. Und während du dann mit schweren Schmerzen zu Bett lagst und ich ›das Maul hielt‹, verkaufte der Administrator die von dir angeschafften Düngemittel an einen anderen verlotterten Landwirt. Ich sah, wie die Wagen vom Hofe fuhren. Habe nur gerade dem Landjäger Bescheid geschickt, daß der Administrator verhaftet wird. Schwer betrunken ist er, wie immer. Aber wenn er nüchtern wird, muß ich mich vor ihm in acht nehmen.«

»Daß dich ein Donner! Hast du darüber mit dem Kerl, dem Kreiherhorst, gesprochen?«

»Nein. Aber er ist wirklich ein Kerl, ein ganzer Kerl, und ich werde ihn zu meinem Ratgeber machen, das steht fest. Sein Wort: ›Wo kein Mist ist, hat der Kaiser sein Recht verloren‹ ist eine Weisheit.«

»Die Weisheit des Bauern Kreihorst geht uns einen Dreck an«, tobte Eulenried, aber dann sank er in sich zusammen und greinte hilflos. Dankwart rief die alte Schwester herbei, verständigte sie rasch und eilte dann auf den Wirtschaftshof, wo ein paar Knechte und mehrere Tagelöhner schimpfend umherstanden. Eine verhärmt aussehende, ältere Frau war bei ihnen, sie weinte. Als sie Dankwart gewahrte, kam sie rasch auf ihn zu: »Sie werden uns nicht unglücklich machen, Herr Baron, – mein Mann schlägt mich tot, wenn Sie ihm kündigen.«

»Liebe Frau Danz, es schlägt sich nicht so leicht tot, und ich kann keinen Schritt zurück tun. Ihr Mann hat unsere Vorräte verkauft ...«

Die Frau sah mit irren Augen um sich. »Schwer betrunken ist er«, lallte sie und ging mit unsicheren Schritten der eigenen Wohnung zu. – Eben ritt der Landjäger in den Gutshof. –


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