Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Gerhard Rohlfs

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Der Sitte gemäß durfte ich erst mehrere Tage nach der Ankunft dem König meine Aufwartung machen. Nachdem ich ihm inzwischen durch den Magadji meine Geschenke hatte überreichen lassen, darunter zwei Stück Seidenzeug, womit mich die Herren in Lokoja zu dem Zweck ausgestattet, beschied er mich am 12. Mai zur Audienz. Unter der offenen, an der Außenseite seiner Wohnung befindlichen Veranda kam mir einer von den Hofbeamten entgegen und hieß mich dort warten, bis der König nach mir schicken würde. Wieder hatte ich hier das entsetzliche Schauspiel von vier Gepfählten vor Augen; von dem einen steckte nur noch der Kopf auf der Stange, während der Rumpf losgetrennt und heruntergeglitten war; und das Grauenvolle des Anblicks wurde für mich durch den Umstand erhöht, daß die Leichname, wahrscheinlich weil das dunkle Pigment unter der Haut geschwunden war, beinahe wie Weiße aussahen. Auf mein Befragen, was die so grausam Hingerichteten verbrochen hätten, erwiderte der Beamte, die drei am Tor Aufgestellten seien Diebe, die vor der Wohnung des Königs Rebellen gewesen, unter letzteren ein Häuptling; dieser sei lebendig gepfählt worden, die anderen habe man vorher erdrosselt.

Ich atmete auf, als endlich die königlichen Diener erschienen, um mich ins Innere des Hauses zu führen. Durch mehrere Höfe und Gemächer folgte ich ihnen bis zu einem länglichen, oben offenen, aber schattigen Raum. Zu beiden Seiten saßen in Reihen die Großen des Hofes. Ich schritt durch den in der Mitte freigelassenen Gang auf ein am Ende desselben stehendes, mit Bambusrohr vergittertes Häuschen zu, in welchem Seine Majestät wie in einem Käfig thronte. In einiger Entfernung davon war ein Schaffell über den Boden gebreitet. Man bedeutete mir, darauf niederzusitzen, und nun wurden mit Hilfe der Dolmetscher die Begrüßungsformeln gewechselt. Bei den Worten des Königs neigten sämtliche Hofleute den Kopf so tief, daß sie mit der Stirn die Erde berührten. Die Unterhaltung war übrigens sehr kurz, da der König krank zu sein schien, sie beschränkte sich auf herkömmliche Redensarten. Trotzdem wünschten mir nachher die Großen Glück zu dem äußerst gnädigen Empfang, der mir seitens des Herrschers zuteil geworden sei. Als Gegengabe für die überreichten Geschenke erhielt ich zehntausend Muscheln und einen Ziegenbock.

Die Stadt bildet ein fast regelmäßiges Polygon und ist von hohen, aber schlecht unterhaltenen Mauern umschlossen. Ich schätze die Zahl der Angesessenen, ungerechnet die fremden Kaufleute und Warenträger, deren allerdings immer sehr viele sich hier aufhalten, auf sechzig- bis siebzigtausend. Über den viereckigen Häusern erheben sich hochragende Dächer, die aus Palmästen gezimmert und mit den langen dürren Halmen eines wildwachsenden Grases gedeckt sind. Die verhältnismäßig breiten Straßen und die zahlreichen offenen Plätze waren alle mit Verkaufsbuden besetzt, doch gibt es nur vier größere eigentliche Marktplätze.

Ilori ist der letzte Ort nach der Küste zu, bis wohin die Haussa Produkte aus dem Inneren, z. B. Natron vom Tschad-See, und vom Mittelmeer oder von Ägypten her eingeführte Waren zum Verkauf bringen, und es muß wundernehmen, daß die Engländer, die doch Ilori um so viel näher sind, noch nicht den ganzen Handel dahin sowie nach allen Negerländern bis zum Tschad-See an sich gezogen haben, sondern sich damit begnügen, Branntwein, Flinten und Pulver für die Haussa auf den Markt von Ilori zu schicken. Das Monopol des Branntweinhandels im Reich besaß damals ein Bruder des Magadji.

Von den Einwohnern selbst werden übrigens verschiedene Gewerbe und Industrien mit großer Geschicklichkeit betrieben. Sie verfertigen schöne Lederwaren, Schüsseln und Teller mit Holzschnitzerei, Matten von ausgezeichnet zierlichem Flechtwerk, Stickereien, Tongefäße aller Art, halb gelb- und halb rotlederne Schuhe, und in der Landwirtschaft brachten sie es zur Käsebereitung, deren Kenntnis ich bei keinem anderen der von mir besuchten Negerstämme und auch bei den Fellata-Nomaden nicht gefunden habe. Die Trachten sind hier infolge des starken Fremdenverkehrs und der leichten Verbindung mit der Küste von ziemlicher Mannigfaltigkeit, einmal begegnete mir sogar eine in farbigen Samt gekleidete Negerin.

Da ich die Erfahrung gemacht hatte, wie schwer oft unterwegs Leute zum Tragen des Gepäcks zu bekommen sind, nahm ich die Gelegenheit wahr, auf dem Markt von Ilori den entbehrlichen Teil meiner Waren in Muscheln umzusetzen und mir für den Erlös drei Esel zu kaufen. Über dem Feilschen und dem Abzählen der Muscheln verging ein voller Tag. Unterdes ersuchte ich den Magadji, er möge mir bis zum 14. mittags eine Abschiedsaudienz beim König oder doch dessen Erlaubnis zur Abreise verschaffen. Nicht zweifelnd, daß mir solche im Laufe des Vormittags zukommen werde, schickte ich am Morgen des 14. meine Diener mit den bepackten Eseln unter Hameds Aufsicht bis zu dem Dorf Jara, dem ersten Ort jenseits der Grenze, voran; dort sollten sie auf mich und Noël, den ich bei mir behielt, warten. Es wurde indes Mittag, und eine Botschaft vom König war mir nicht überbracht worden. Da erklärte ich dem Magadji auf das bestimmteste, ich würde in keinem Fall länger als höchstens noch drei Stunden verweilen. Allein er glaubte immer noch nicht an den Ernst meiner Worte; wie jemand sich unterstehen könne, ohne ausdrückliche königliche Erlaubnis die Stadt zu verlassen, schien ihm undenkbar zu sein. Punkt drei Uhr brachte Noël mein Pferd vorgeführt, ich schwang mich in den Sattel und ritt, während der Minister vor Erstaunen ob so unerhörter Kühnheit wie festgewurzelt dastand, die breite Straße hinab, dann so rasch, wie Noël zu folgen vermochte, dem südwestlichen Tor zu.

Daß ich, um nach Ibadan zu gelangen, in südsüdwestlicher Richtung vorwärts gehen müsse, war mir nicht zweifelhaft. Nun liefen aber vom Tor aus drei oder vier verschiedene Pfade nach derselben Himmelsrichtung. Mit Fragen durfte ich mich nicht aufhalten, um keinen Verdacht bei der Torwache zu erregen; ich schlug also auf gut Glück den sich zunächst darbietenden ein. Erst über eine Stunde von der Stadt entfernt, wagte ich, von Leuten, die mir begegneten, durch Zeichen den Weg zu erkunden, und da ergab sich, daß ich zu weit östlich geraten war. Ich lenkte auf den richtigen Pfad, der mehrere Stunden weit zwischen Dörfern und einzelnen Höfen westwärts führte, und erreichte endlich, als es schon dunkel geworden, das sehr ausgedehnte Dorf Jara, jedoch an einer anderen Stelle als dem gewöhnlichen Eingang von Ilori her. Von den herbeigekommenen Bewohnern vernahm ich mehrmals das Wort »kattakatta«, das in der Joruba- wie in der Nyfe-Sprache Esel bedeutet, und es gelang mir dadurch, noch abends das Gehöft aufzufinden, wo meine Leute mit den Eseln kampierten.

Am frühen Morgen setzte sich dann unser vereinigter Zug in Marsch. Hinter Jara beginnt das Terrain, das von den Ufern des Niger bis dahin immer sanft angestiegen, ebenso allmählich sich nach dem Meer hin zu senken. Der Weg führte beständig durch hohen Wald von Butterbäumen und Ölpalmen, der aber an vielen Stellen sumpfig und dicht mit Unterholz verwachsen war; zudem begegneten uns auf dem schmalen Pfad zahlreiche kleine Karawanen, das Ausweichen verursachte Stockungen und Zeitverlust, kurz, es ging sehr langsam vorwärts. Um drei Uhr nachmittags trafen wir auf einen jener offenen Marktplätze am Weg, wie sie durch ganz Joruba an frequenten Verkehrsstraßen von Strecke zu Strecke vorhanden sind, gewöhnlich mit drei bis vier Hütten besetzt, in denen man allerhand Lebensmittel, auch gekochte oder sonst zubereitete Speisen zu kaufen bekommt. Meine Leute verzehrten hier eine Schüssel voll zäher, kleistriger Klöße, die in einer stark gepfefferten Adansonien-Soße schwammen. Dann zogen wir weiter und gelangten abends bei Mondschein durch eine angepflanzte Allee von Feigenbäumen an das Tor des großen ummauerten Ortes Ogbomoscho. Breitästige, schattengebende Bäume standen auch im Ort selbst auf den Straßen und Plätzen. Ogbomoscho war bisher die äußerste Missionsstation nach dem Inneren zu; doch schien augenblicklich kein Missionar dort fest stationiert zu sein. Wir waren an dem Tag elf Stunden in Marsch gewesen, hatten aber bei der Langsamkeit, mit der die Esel fortzubringen waren, nur sieben Wegstunden zurückgelegt.

Am 17. wurde wieder den ganzen Tag marschiert, ohne daß wir mehr als fünf Stunden vorwärts kamen, denn auf dem kaum eineinhalb Fuß breiten Pfad mußten die bepackten Esel sich durch Urwaldgebüsch hindurchwinden. Drei Stellen des Waldes hatte man zu Marktplätzen gelichtet. Diese Plätze am Weg erleichtern das Reisen in Joruba, für manche Lebensmittel werden aber unverhältnismäßig teure Preise gefordert; für eine Ente sollte ich sechstausend Muscheln = eineinhalb Taler, für ein Schaf vierzigtausend Muscheln bezahlen. Sehr beliebt sind die Koloquintenkerne, die entweder geröstet verspeist oder zerstampft zu Soßen verwendet werden. Auch Goro-Nüsse, jedoch von schlechter Qualität, sah ich als einheimisches Produkt feilbieten.

Die Goro-Nuß spielt auch im gesellschaftlichen Leben der Neger Zentralafrikas eine wichtige Rolle. Wie der Orientale den ihn Besuchenden mit einer Tasse Kaffee und dem Tschibuk bewirtet, so ehrt hier der Wirt seinen Gast dadurch, daß er ihm eine Goro-Nuß vorsetzt oder mit ihm teilt. Die Übersendung eines Korbes Goro-Nüsse von seiten des regierenden Fürsten gilt als Zeichen huldvoller Begrüßung; je voller der Korb und je größer die Nüsse sind, desto gnädigeren Empfangs darf der Fremde gewärtig sein.

Wir kampierten die Nacht auf dem Marktplatz Emono, und zwar, weil das Wohnhaus des Marktvorstehers von Ratten wimmelte, im Freien; bei dem starken Tau, der in der Regenzeit auch hierzulande des Nachts niederschlägt, ein keineswegs angenehmes Lager. Ganz durchnäßt machten wir uns früh um sechs Uhr wieder auf den Weg. Die grüne Baumwand des Waldes tritt jetzt stellenweise zu beiden Seiten etwas zurück, und der freibleibende, leichtgewellte Boden wird zum Anbau von Mais und Yams benutzt. An diesem Tag hörte ich zum erstenmal graugefiederte rotschwänzige Papageien von den hohen Bäumen herab ihr »Aku, aku« rufen. Dieser Ruf ist in die Sprache der Eingeborenen als Begrüßungswort übergegangen. Die Straße scheint recht belebt zu sein; es begegneten uns mehrere aus Ibadan kommende Karawanen von Lastträgern, eine davon transportierte Pulver, eine andere Branntwein, wobei jeder Neger zwei Fäßchen von je zwanzig Pfund auf dem Kopf trug. Schon nach einem Marsch von drei Stunden, die erste in südsüdwestlicher, die zwei letzten in südwestlicher Richtung, war die Stadt Juoh erreicht. Um zur Wohnung des Ortsvorstehers zu gelangen, mußten wir fast die ganze Stadt durchziehen, gefolgt von einem großen Schwarm Neugieriger, denen der Anblick unserer Esel etwas ganz Neues war. Auf dem Markt standen viele Götzenbilder von Ton und von Holz, bekleidete und unbekleidete, zum Verkauf; doch soll unter der Bevölkerung Juohs der Islam bereits zahlreiche Anhänger haben. Der Ortsvorsteher nahm uns sogleich in sein Haus auf, und zum erstenmal seit Ilori wurden wir hier wieder gastlich bewirtet.

Ibadan ist noch gute neun Stunden von Juoh entfernt, war also mit den bepackten Eseln nicht in einem Tagesmarsch zu erreichen. Da ich mich aber nach möglichst baldigem Zusammentreffen mit den Europäern sehnte, die als christliche Missionare, wie man mir sagte, dort wohnen sollten, ritt ich zu Pferd am anderen Morgen dem langsamer folgenden Zug voraus. Eine Stunde weit windet sich der Pfad südwestwärts zwischen Yams-, Mais-, Koloquinten- und Baumwollfeldern hin bis zum Fluß Oba. Der Wasserstand des Flusses war niedrig genug, daß ich ihn mit meinem Pferd hätte durchwaten können, aber ein stämmiger Neger, zu einer eben vorbeiziehenden Karawane aus Lagos gehörig, ließ es sich nicht nehmen, mich auf seinen Schultern hinüberzutragen. Gleich am jenseitigen Ufer beginnt wieder prächtig bestandener Hochwald, mit Gebüsch und Schlingpflanzen verwachsen. Auf dem schattigen Weg durch ihn kamen viele Eingeborene einzeln und in Gruppen daher, die mich alle höflich grüßten, indem sie mir die gewöhnliche Formel »Aku, aku, akuabo« zuriefen; eine vorbeipassierende junge Negerin reichte mir sogar zutraulich die Hand und sagte: »I thank you«, diese irgendwo von Engländern vernommenen Worte jedenfalls auch für einen Gruß haltend. Um fünf Uhr nachmittags langte ich in der Stadt Ibadan an, die zu den größten Städten West- und Zentralafrikas gerechnet wird.

Ich war schon beinahe eine Stunde durch endlos lange Straßen und Budenreihen geritten, ohne ein Haus von europäischem Aussehen entdeckt zu haben. Das arabische, bei den Haussa gebräuchliche Wort »nassara« (Christ), durch das ich mich verständlich zu machen suchte, kannte man hier nicht; endlich erriet indes einer aus meinen Pantomimen, wohin ich wollte, und geleitete mich zu dem aus Eisen erbauten Missionshaus. Mein Pferd stieß mit dem Kopf das nur angelehnte Hoftor auf, und als ich in den Hof einritt, sah ich auf dem Rasen eine blonde, in Seide gekleidete Dame sitzen, umgeben von einem Kreis junger Negermädchen, denen sie aus der Bibel vorlas. Bei meinem Anblick erhob sie sich, rief die Diener, mir das Pferd abzunehmen, und hieß mich in englischer Sprache willkommen. Nun stellte ich mich vor, zugleich wegen meines unangemeldeten Eintritts um Entschuldigung bittend, und folgte ihr dann ins Innere des Hauses. An der Schwelle eines europäisch möblierten Zimmers empfing mich ihr Gemahl, der Missionar, in dem ich zu meiner freudigen Überraschung einen deutschen Landsmann aus Schwaben fand namens Hinderer. Er lud mich freundlichst ein, samt meiner Begleitung in der Mission zu herbergen, was ich natürlich dankbar annahm.

Die Missionsanstalt, etwas gegen Südwesten, aber ziemlich im Mittelpunkt der Stadt gelegen, die von hier nach allen Seiten amphitheatralisch ansteigt, umfaßt ein bedeutendes Areal. Rings von einer Mauer umgeben, enthält sie außer dem eisernen Wohnhaus, dem geräumigen Hof und mehreren kleineren Gebäuden einen großen Garten mit den verschiedensten Fruchtbäumen und Sträuchern. Dicht daneben außerhalb der Mauer steht die dazugehörige Kirche.

Ibadan wird nicht von einem erblichen, sondern auf Lebenszeit gewählten Fürsten beherrscht, der nominell unter der Oberhoheit des zu Oyo residierenden Königs von Joruba steht und den Titel Bale führt. Einen Monat vor meiner Ankunft war der Bale Ogomalla, ein kräftiger Herrscher, der sich fast ganz von Oyo unabhängig gemacht hatte, gestorben. Der hierauf ernannte Nachfolger war gleich nach der Wahl gestorben, ebenso ein dritter Bale, und bis zur Wahl eines neuen lag nun die Regierung provisorisch in den Händen des Balago, des Oberbefehlshabers der Truppen. Diesem wollte ich meine Aufwartung machen, um die Mitgabe eines Geleitmannes von ihm zu erbitten; er ließ mir aber sagen, wegen der Landestrauer könne er mich nicht empfangen, und was den Geleitsmann betreffe, so möge ich mich mit meiner Karawane einem reitenden Boten, den er demnächst nach Lagos schicke, anschließen.

Der Bote des Belago wurde am 23. Mai abgefertigt, und unter seiner Führung traten wir die Weiterreise an. Unaufhörlich strömender Regen hatte den gewellten Tonboden so schlüpfrig gemacht, daß Menschen wie Tiere sich kaum darauf fortbewegen konnten. Bis zu dem kleinen Marktort Faudo, anderthalb Stunden südwestlich von der Stadt, reichen die angebauten Ländereien; dann folgt wieder der dichtverwachsene Urwald. Sein Saum bildet zugleich die Grenze zwischen den Reichen Joruba und Jabu. Im Wald, in den wir südsüdwestwärts eindrangen, stellten sich unserem Fortkommen neue Hindernisse entgegen; mächtige Baumstämme lagen oft quer über den Weg, da mußten die Esel des Gepäcks entledigt und durch die Leute hinübergehoben werden. So kam es, daß wir eine Strecke von höchstens drei Stunden zurückgelegt hatten, als die Dunkelheit uns nötigte, mitten in dem feuchten Dickicht zu lagern. Es regnete zwar nicht mehr, aber das Holz war durch und durch naß; kein Feuer ließ sich anbrennen, und eine Tasse Kaffee konnte ich nur an der Flamme von Zeitungspapier warm machen. Dazu die gellenden Schreie des Trompetenvogels, vermischt mit dem dumpfen Gequak der Frösche, und als dieses Konzert verstummt war, das Brüllen der Raubtiere und von fern her rollender Donner!

Auch den ganzen folgenden Tag kamen wir nicht aus dem Wald heraus. Nur hier und da unterbricht eine lichtere Stelle, mit rotem Pfeffer und wilder Ananas bewachsen, das Dickicht. Bald wurden wir von Regengüssen durchnäßt, bald plagten uns Moskitos oder giftige schwarze Ameisen. Letztere rennen blitzschnell an den Beinen der Menschen und Tiere herauf und verursachen durch ihre Bisse heftigen Schmerz; bisweilen nahm eine Schar derselben einen mehrere Zoll breiten Streifen des Weges ein, vor dem dann unsere Esel zurückscheuten und unaufhaltsam zur Seite ins Gebüsch sprangen. Die Schwierigkeiten für die Reit- und Lasttiere, auf dem schlüpfrigen Pfad zu schreiten, waren um so größer, als von den zahlreichen Trägerkarawanen, wobei der Hintermann immer genau in der Fußspur seines Vorgängers folgt, eine tiefe Rille in den weichen Boden getreten ist, so daß die Esel fortwährend Gefahr liefen, hineinzugleiten und sich ein Bein zu brechen. Meine Hoffnung, vor Einbruch der Nacht einen bewohnten Ort zu erreichen, zerrann unter solchen Umständen. Wir waren kaum sieben Stunden südsüdwestlich vorwärtsgekommen und mußten abermals auf Sumpfboden, ohne Feuer, diesmal sogar in durchnäßten Kleidern und Decken, die Nacht verbringen. Durch einen Schluck Rum und ein Stückchen Schweinefleisch, das mir Frau Hinderer mit auf den Weg gegeben hatte, suchte ich mich wenigstens innerlich etwas zu erwärmen.

Noch vier Stunden mühten sich anderentags unsere armen Tiere auf dem beschwerlichen Weg ab; endlich öffnete sich der Wald, und eine breite Allee führte ans Tor des Ortes Ipara. Hier erwartete uns der Bote des Balago, der schon am Tag vorher angekommen war und für gutes Quartier gesorgt hatte. Die etwa achthundert Einwohner von Ipara erwerben jetzt ihren Lebensunterhalt meist als Lastträger, während sie früher, zur Zeit der Spanier und Portugiesen, eifrig der Sklavenjagd oblagen. Allerdings reicht das geringe Stück Feld, das sie in der nächsten Umgebung dem Wald abgewonnen und urbar gemacht haben, zu ihrer Ernährung bei weitem nicht aus.

Ungeachtet der Ermüdung unserer Tiere, denen ich gerne eine längere Rast gewährt hätte, brachen wir schon am nächsten Morgen wieder von Ipara auf. Beim Abmarsch hatten sich mehrere Ortsbewohner unserem Zug angeschlossen. Der Weg ging, immer sanft geneigt, gerade südwärts; er führte uns über den Fluß Iba in zweieinhalb Stunden nach Makum. In diesen Ort, der zum Nachtquartier bestimmt war, wollte man uns wieder nur gegen Erlegung eines Durchgangszolls einlassen; da ich aber nicht eine einzige Muschel mehr besaß, verschaffte ich mir durch die Drohung Einlaß, wenn man uns nicht sofort ohne Bezahlung das Tor öffne, würde ich in Lagos beim englischen Gouverneur von dem feindseligen Verfahren gegen einen Weißen Anzeige machen. So weit wirkt also hier das Ansehen der Engländer. Indes rächte sich der Ortsvorsteher für die ihm entgangene Einnahme dadurch, daß er uns, obgleich starker Tau fiel und der Ozean feuchten Nebel herübersandte, keine Herberge anbot, sondern auf dem offenen Marktplatz kampieren ließ.

Früh gegen fünf Uhr stieg ich zu Pferd und ritt, nur von Noël und einem ebenfalls berittenen Neger aus Lagos begleitet, in scharfem Trab der Küste zu. Um ein Uhr mittags gelangten wir nach Ikorodu und eine halbe Stunde später an die Lagune, welche Lagos, das auf einer Nehrung liegt, vom Festland trennt. Am Ufer standen einige leere Hütten zum Obdach für die hier wartenden Karawanen und ein paar Buden, in denen Lebensmittel feilgehalten wurden. Ich handelte für mein letztes seidenes Taschentuch einen Teller voll in Palmöl gesottener Küchelchen, ekareoa genannt, ein: eine Speise, die zur Not auch ein europäischer Magen genießbar findet. Gegen Abend holte mich das Fährschiff ab, und nach einer sehr stürmischen, gefahrvollen Überfahrt landete ich auf der Reede von Lagos.

Der englische Gouverneur, Mr. Glover, der mich aufs freundlichste empfing, wollte nicht eher glauben, daß ich zu Land von Lokoja gekommen war, als bis ich ihm die von dort mitgebrachten Briefe aushändigte. Sobald die in Lagos wohnenden Deutschen die Kunde von der Ankunft eines Landsmanns vernommen hatten, erschienen sie im Gouvernementshaus, um mich zu begrüßen und mir Wohnung bei sich anzubieten. Sie logierten mich in die Faktorei der großen Hamburger Firma O'Swald ein und ließen mir dort die ausgesuchteste Gastfreundschaft zuteil werden. Nach vierzehn Tagen kam dann der englische Dampfer, auf dem ich mich nach Europa einschiffte.

Ich kann meinen Bericht nicht schließen, ohne dem Bremer Senat, der Stadt Bremen und der Geographischen Gesellschaft in London, welche mir die Mittel zu dieser Reise gewährt haben, desgleichen Herrn Dr. Petermann, der mir den Rest des für Dr. Vogel gesammelten Fonds übermittelte, nochmals meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. In die Heimat zurückgekehrt, ward ich durch die Großzügigkeit Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm wie durch neue Beiträge der Stadt Bremen und der Londoner Geographischen Gesellschaft in den Stand gesetzt, sowohl das in Kuka aufgenommene Darlehen wiederzuerstatten, als auch meine Diener und Begleiter nach Wunsch zu belohnen. Hammed, dem treuesten und bewährtesten derselben, wurde außerdem von der Londoner Geographischen Gesellschaft die Viktoria-Medaille zuerkannt. Der Unterstützung mit Rat und Tat, deren ich mich seitens des Herrn Dr. Petermann, des seitdem verstorbenen Dr. Barth und meines Bruders Hermann zu erfreuen hatte, werde ich stets dankbar eingedenk bleiben.


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