Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Gerhard Rohlfs

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Sechstes Kapitel

Ankunft in Fesan

Am 18. Oktober erreichten wir nach sechsstündigem Marsch über eine stark gewellte, mit großen Sandsteinblöcken besäte Hochebene das Uadi Schati, das erste bewohnte Gebiet von Fesan, und lagerten um elf Uhr vormittags unter Palmen zwischen den Hirsegärten des Ortes Temsaua.

Kaum waren unsere Zelte aufgeschlagen, als vier Araber bei mir erschienen, die sich nach der üblichen Begrüßung als die Schichs der Megar-Ha, Hotman, Uled-Hassen und Suila vorstellten. Diese Nomadenstämme gehören dem Uadi Semsen und dem Uadi Bei an und kommen jeden Herbst hierher, um von den Bewohnern Datteln einzutauschen; sie besitzen aber auch selbst im Uadi Schati eine Anzahl Palmbäume, welche sie vorzeiten durch Kauf an sich gebracht. Bisher bezahlten sie von ihren Palmen keine Abgaben, denn die früheren Sultane von Fesan hatten sehr geringe Macht über jene entfernten, durch breite Wüsteneien voneinander getrennten Provinzen. In diesem Jahr aber war ein türkischer Efendi hergeschickt worden, um von jeder Palme, auch die ihrigen nicht ausgenommen, eine Steuer zu erheben und die Schichs, mich für einen Bei haltend, trugen mir nun ihre Beschwerde gegen die türkische Regierung vor. »Wir werden dir«, sagten sie, »Hassen Efendi gebunden herbringen, damit er sich vor dir schäme, denn der Sultan kann nicht wollen, daß wir, seine Soldaten, Abgaben zahlen, wir haben nie Abgaben gezahlt.« Ich fragte sie, ob ihr Vorrecht durch Dokumente verbrieft sei. »Das nicht«, antworteten sie, »aber es ist durch altes Herkommen geheiligt«; worauf ich ihnen bemerklich machte, ich hätte mit der Sache nichts zu tun, sie würden sich wohl, wenn es jetzt Gesetz sei, daß von allen Palmen ohne Ausnahme eine Steuer erhoben werde, wie die übrigen Untertanen dem Gesetz fügen müssen, zudem sei ja die Abgabe nicht bedeutend. Ohne Zweifel wird Hassen Efendi den Widerspenstigen ihren Standpunkt klar gemacht haben, denn niemand wird besser mit den Arabern fertig als die Türken.

Wir blieben nur eine Nacht in Temsaua und marschierten am anderen Morgen auf den zwei Stunden entfernten Ort Brak los, die Hauptstadt von Schati und Sitz des Mudir. Auf dem Weg dahin bemerkte ich, daß ein Mensch, von Zeit zu Zeit scheu um sich blickend, fortwährend in einiger Entfernung neben unserer Karawane herlief. Ich ließ ihn endlich durch einen Mschaschia nach seinem Begehr fragen, und er gestand, daß er ein seinem Herrn, einem Araber, entlaufener Sklave sei. Er war von diesem geschlagen worden und dann entflohen, mit der Absicht, nachts unser Lager aufzusuchen, um sich, im Glauben ich sei ein türkischer Bei, unter meinen Schutz zu stellen. Der alte Mann konnte sich uns schwer verständlich machen; vor kurzem erst aus Bagermi gekommen, sprach er nur wenige Worte arabisch, doch flehte er fußfällig und mit so rührenden Gebärden, daß ich mich bewegen ließ, ihn einstweilen aufzunehmen und, damit er nicht sofort entdeckt werde, an Brak ohne Aufenthalt vorbeizuziehen. Um fünf Uhr abends lagerten wir in den Dünen, die in der Breite von einer Stunde durch mehrere Grade von Osten nach Westen sich erstrecken und eine relative Höhe von zwanzig bis dreißig Meter haben.

Anderen Tags gelangten wir nach zweistündigem Marsch in südöstlicher Richtung zu der unbewohnten, zwei Stunden breiten und mindestens fünfzehn Stunden langen Oase Selaf. Ihre herrenlosen Palmen werden von den Bewohnern des Schati abgeerntet, welche die ganze Ernte hier vergraben und sich nach und nach ihren Bedarf davon holen. Jedem Vorüberziehenden ist gestattet, so viele Datteln zu pflücken und zu essen, wie ihm beliebt, nur darf kein Vorrat mitgenommen werden. Wir fanden die Bäume bereits geleert bis auf einen, dessen herrliche Früchte man, ich weiß nicht in welcher Absicht, noch ganz unberührt gelassen hatte; natürlich wurde er gründlich von uns geplündert. Da hier niemand die Palmen beschneidet, ist der Stamm mit bis zum Boden herabhängenden Zweigen besetzt, was ihnen ein eigentümliches buschartiges Aussehen gibt. Um zwei Uhr nachmittags immer südöstlich weiterziehend, hatten wir wieder zwanzig Meter hohe und zum Teil sehr steile Sanddünen zu passieren, deren Übersteigung unsere Kamele große Anstrengung kostete, bis wir um halb sechs angesichts des Djebel ben-Aref lagerten.

Nachdem wir am folgenden Tag fünf Stunden lang durch einen Palmenwald gegangen waren, erreichten wir Djedid, den Hauptort der Oase Sebha. Ich hatte einen Mschaschia mit meinem Bu-Djeruldi vorausgeschickt, um meine Ankunft zu melden, und fand infolgedessen die freundlichste Aufnahme. Der Mudir, ein äußerst gefälliger Mann, erbot sich sogar, mich nach dem Sudan zu begleiten. »Meine Regierung«, sagte er, »gibt mir monatlich nur fünf Mahbub Gehalt, ich höre, du gibst deinen Leuten ebensoviel und dazu noch Kost und Kleidung.« Aber ich dachte, es sei unrecht, der türkischen Regierung ihre Beamten zu entführen, und lehnte daher seine Dienste ab.

Bis zum Jahr 1866 war die Oase nur ein Mudirat (Kreis oder Bezirk), jetzt bildet der südliche Teil das Mudirat Sebha, der nördliche das Mudirat Ubana. Im ganzen ist die Oase sehr schwach bevölkert, so daß es an Händen fehlt, um von allen darin wachsenden Palmen, deren Zahl sich auf mehrere Millionen beläuft, die Datteln zu ernten.

In Djedid fand sich der Herr des von mir aufgenommenen Negersklaven, begleitet von dem Mudir und dem Kadhi des Ortes, in meinem Zelt ein und verlangte die Auslieferung des Flüchtlings. Ich fragte den Mudir: »Ist im türkischen Reich die Sklaverei gestattet oder abgeschafft?« »Sie ist gesetzlich abgeschaffte, erwiderte er, »aber faktisch ist hier in Fesan das Gesetz nie zur Ausführung gekommen.« »Dann gebe ich den Mann nicht heraus, er ist frei wie ihr und ich, und du, Mudir, mußt ihn schützen.« Selbstverständlich konnte ich als Fremder nicht im Ernst daran denken, die Rückgabe des Sklaven zu verweigern und damit die ganze Bevölkerung gegen mich aufzuhetzen, ich wollte nur versuchen, was sich zu seinen Gunsten tun ließe. Da meine Vorstellungen bei dem Besitzer, daß er kein gesetzliches Recht auf den Sklaven habe, wie vorauszusehen war, fruchtlos blieben, bedeutete ich ihm, er möge den Mann durch Güte zur Rückkehr in sein Haus bewegen. Darauf ging er ein. Er versprach dem zahnlosen Alten, ihm irgendeine schwarze Fathma oder Sobeida zur Frau zu geben. Sofort warf sich derselbe vor seinem Herrn nieder und küßte dankbar und demütig dessen Füße. Doch bedang er sich noch aus, den Mudir und den Kadhi als Zeugen anrufend, daß er einen ganzen Monat von Arbeit befreit sein sollte. Liebe und ein Monat Nichtstun brachten also den alten Mann freiwillig in die Sklaverei zurück. Daß ihm die Versprechungen gehalten worden, dafür möchte ich freilich nicht einstehen.

Die Mschaschia, mit denen ich hierher gekommen, hatten hier das Ziel ihrer Reise erreicht. Ich nahm Abschied von ihnen und mietete bis Mursuk Kamele von den Megar-ha. Am Morgen des 22. Oktober brach ich mit meiner neuen Karawane auf.

Eine Stunde von Djedid gelangten wir an das Ende des Waldes und betraten nun eine weite sandige Ebene. Nachmittags gegen ein Uhr wurden westlich von uns in einer Entfernung von etwa drei Stunden die drei getrennten Gipfel des Djebel Rhaib sichtbar, an dessen Fuß sich ein Brunnen befindet. Wir durchschritten den Engpaß Bab und lagerten schon um halb fünf Uhr unter ein paar einzeln stehenden Talhabäumen.

Anderentags früh in schnurgerader südlicher Richtung weiterziehend, hatten wir eine der trostlosen Einöden der Sahara vor uns, eine mit buntfarbenen Kieseln, deren größter kaum so groß wie eine Haselnuß ist, dicht übersäte Sserir oder Ebene. Nirgends findet das ermüdetete Auge einen Punkt, auf dem es ruhen könnte. Alles ein blitzender und blendender Steinteppich, eine unabsehbare Mosaikfläche! Keine Pflanze, kein Tier, kein Baum, kein Strauch ist zu erblicken. Da plötzlich schimmert ein See durch die zitternde, wellenschlagende Luft, kühle Winde scheinen sein Wasser zu kräuseln – eine Täuschung, es ist die Fata-Morgana, die ihr Spiegelbild zeigt. Endlich, endlich taucht fern im Osten ein hohes Gebirge auf, diesmal ist es keine Täuschung, aber als wir mittags bis auf eine Stunde demselben nahe kommen, ergibt sich, daß, was uns als ein hohes Gebirge erschien, ein niedriger, etwa dreißig Fuß über der Ebene erhabener Höhenzug ist, Kaf Maala genannt. Jetzt rechts vom Weg ein Hügel: Es ist der Mukni-Brunnen an einem drei bis vier Fuß hohen Sandhaufen. Nachmittags zeichneten sich am südöstlichen Horizont die Palmenwipfel der Oase Nschua ab, um fünf Uhr war der Wald erreicht, und um sechs Uhr hielten wir vor Rhodua, dem Hauptort der Oase. Einige Leute von Sebha, die vorausgeritten waren, um den Feierlichkeiten meines Einzugs in Mursuk beizuwohnen, hatten in Rhodua mein Herannahen bereits verkündet. Man führte mich daher sogleich in eine Wohnung, welche der Mudir – auch Rhodua bildet ein selbständiges Mudirat – vorher für mich in Bereitschaft setzen ließ. Über den Ort selbst ist wenig zu berichten; es ist ein kleiner ärmlicher Flecken, von echten Fesanern, d. h. Mischlingen bewohnt, die Palmen- und Gartenzucht treiben.

Ich hatte mich von Djedid aus bei dem Kaimmakam von Fesan, Halim-Bei, angemeldet und erhielt hier in Rhodua durch einen Kurier ein Schreiben von ihm, worin er mich bat, ihn Tag und Stunde meiner Ankunft wissen zu lassen, damit er mir einen geziemenden Empfang bereiten könne. Mir war jedoch an einem feierlichen Empfang durchaus nichts gelegen, denn einmal hatte der dreißigtägige Wüstenmarsch meinen Anzug in eine so defekte Verfassung gesetzt, daß ich eine sehr wenig glänzende Figur dabei gespielt haben würde, und zweitens scheute ich die bedeutenden Ausgaben, welche dem offiziell Einziehenden unvermeidlich erwachsen, indem er jeden irgendwie am Empfang Teilnehmenden reichlich mit Bakschisch bedenken muß. Deshalb ließ ich Halim-Bei erwidern, ich sei sehr dankbar für die mir zugedachte Ehre, halte es aber im Interesse meiner Reise für geboten, so wenig Aufsehen wie möglich zu machen; und damit nicht dennoch Empfangsvorbereitungen getroffen würden, fügte ich hinzu, den Zeitpunkt meines Eintreffens könne ich nicht genau bestimmen.

Am 25. Oktober morgens um sechs Uhr marschierten wir von Rhodua ab. Der Weg zog sich immer in der Entfernung von einer Stunde zur Rechten an dem Uadi Nschua entlang, dann biegt dieses mehr nach Westen ab, während die Straße ihre Richtung von 195 Grad beibehält. Um neun Uhr vormittags waren wir in gleicher Höhe mit dem Bir Nschua. Von da ab wurde die Gegend fast ebenso öde und einförmig wie jenseits Rhodua. Die erste Abwechslung bot um vier Uhr nachmittags ein großer Steinhaufen am Weg, ein Alem-el-fers (Wegweiser für Reiter), dem ein zweiter folgte, ein Alem-es-Schantat (Wegweiser für Soldaten oder Postwegweiser, so genannt, weil die Postboten diesen Weg als den nächsten zu reiten pflegen). Etwas später lagerten wir auf der offenen Sserir.

Auf dem gut ausgetretenen Weg den folgenden Tag weitergehend, kamen wir nach drei Stunden zu einer Hattieh, einer kleinen unbewohnten Oase, schon ganz in der Nähe von Mursuk. Hier wurde bis gegen Abend halt gemacht, so daß wir meiner Absicht gemäß erst nach Sonnenuntergang in der Hauptstadt eintrafen.

Halim-Bei hatte, da das frühere englische Konsulatsgebäude zur Zeit an Hammed-Bei, den Rechnungsführer des Kaimmakams, vermietet war, ein anderes Haus, eines der besten in der Stadt, das einem reichen Kaufmann von Sokna gehörte, für mich reinigen und herrichten lassen, und sobald er durch die Torwache von meiner Ankunft in Kenntnis gesetzt worden war, schickte er den Polizeidirektor Hammed-Aga, seinen Schwiegersohn, zu meiner Begrüßung zu mir. Bald brachte auch unter Führung eines Kawassen ein Trupp Diener und Sklaven eine höchst opulente Diffa (Gastmahl), und Hammed-Aga, der auf meine Einladung mit mir speiste, kündigte mir an, der Kaimmakam werde mich in den nächsten drei Tagen auf gleiche Weise bewirten. Ein Offizier wurde mir als Ordonnanz beigegeben, außerdem ein Kawass.

Fesan, das heißt der Teil der Wüste, welcher das ehemalige Sultanat Fesan, das jetzige Kaimmakamat des Paschalik Tripolis, ausmacht, bildet auch geographisch ein von natürlichen Grenzen umschlossenes Ganzes. Die Hammada mit dem Schwarzen Gebirge im Norden, die Hochlande der Asgar im Westen, die Gebirge, welche die Länder der Tebu oder Teda im Süden mit denen der Tuareg vereinigen, rahmen zusammen ein Becken ein, von dem nördlich Araber und Berber, westlich Tuareg, südlich und südöstlich Teda-Völker wohnen. Dieses große Hochbecken war unzweifelhaft vor noch nicht gar langer Zeit mit Meerwasser bedeckt; davon zeugen erstens die geringe Tiefe, in der man überall auf Wasser stößt, zweitens die ausgedehnten Sanddünen, namentlich am Nord- und Südrand des Beckens, drittens die Sserir mit ihrem Mosaik aus rund und glatt geschliffenen Kieseln.

Der Flächeninhalt Fesans, mit Ausschluß von Bondjem und Sokna, die wie früher zum Sultanat auch jetzt noch politisch zum Kaimmakamat gehören, kommt ungefähr dem von Deutschland gleich, wobei jedoch festzuhalten ist, daß der größte Teil aus Hammaden, Sserir, Sanddünen, Sebchen und steinigen nackten Bergen besteht. Die Bodenerhebung des Landes ist eine ziemlich gleichmäßige, denn auch die zahlreichen Uadi, die es nach allen Richtungen durchziehen, liegen nicht viel tiefer als die Sserir, und diese wieder haben ein fast gleiches Niveau mit den Sandflächen, welche ebenfalls von einer Menge grüner, doch meist unbewohnter Inseln durchsetzt sind. Die durchschnittliche Höhe der höchsten Hammaden in Fesan beträgt zirka fünfhundert Meter, nur wenige steigen bis zu sechshundert Meter an. Die Depressionen oder Einsenkungen sind nie mehr als etwa fünfzig Meter tiefer als die Hochebene, und die meisten haben nach keiner Himmelsrichtung hin eine entscheidende Abdachung. Unrichtig scheint mir deshalb ihre Benennung mit »Uadi«, demselben Wort, das ein trockenes, periodisch mit Wasser gefülltes Rinnsal oder Flußbett bezeichnet. Das richtige Wort für diese Einsenkungen würde »Hofra« (Graben) sein; dieser Ausdruck kommt aber nur einmal als Name einer ganz bestimmten Gegend vor.

In allen diesen Einsenkungen ist Wasser unter der Erde zu finden. Das Wasser einiger Quellen oder Brunnen ist vollkommen süß, das in anderen mehr oder weniger salzig oder mit alkalischen Bestandteilen vermischt. Oft kann man schon durch Aufkratzen des Bodens Wasser gewinnen, oft aber müssen auch recht tiefe Brunnen gegraben werden.

Nördlich vom Uadi es-Schergi liegen inmitten hoher Sanddünen zehn Seen mit salzigem, in mehreren auch natronhaltigem, aus dem Seegrund selbst hervorquellendem Wasser. Sie sind sämtlich von Palmen umgeben, und meist findet sich in unmittelbarer Nähe ein Brunnen oder eine Quelle mit Süßwasser, daher an ihren Ufern hier und da eine seßhafte Bevölkerung wohnt. Besondere Erwähnung verdient unter ihnen der zirkelförmige, im Durchmesser zirka dreihundert Meter große und an den tiefsten Stellen vierundzwanzig Fuß tiefe Behar-el-Dud oder Gabra'un (Wurmsee), so wegen eines in ihm lebenden Insekts genannt, das von den Fesanern gegessen wird und ähnlich wie Kaviar schmecken soll. Das Wasser des Sees enthält so große Mengen Salz, daß es beinahe wie Sirup aussieht. Zwei bis drei Meter von seinem Südufer entfernt fließt eine süße Quelle.

Im allgemeinen ist das Klima, wie in der ganzen Wüste, ein sehr regelmäßiges und deshalb, Orte wie Mursuk, das auf einem Sumpf steht, abgerechnet, ein durchaus gesundes, wenn man sich erst an die Trockenheit der Luft und den hohen Wärmegrad gewöhnt hat. Eben die Trockenheit der Luft bewirkt, daß die Sommerhitze hier viel leichter zu ertragen ist als am Meeresufer, wo ihr Feuchtigkeitsgehalt die Ausdünstung der Haut, also die Abkühlung derselben, verhindert.

Obwohl Fesan noch nicht in der Zone der tropischen Regen liegt, kommen diese doch zuweilen, vom Südwind getragen, bis hierher. Die Fesaner wünschen keinen Regen, beten vielmehr zu Gott, er möge es nicht regnen lassen. Zur Bewässerung des Bodens bedürfen sie keiner Niederschläge aus der Luft, da sich überall in der Erde bei geringer Tiefe Wasser findet, ja, die Palmen wachsen ganz ohne Bewässerung, indem ihre Wurzeln von selbst, wie es scheint, die Wassernappe erreichen.

Getreide wird hier durchschnittlich fünfmal im Jahr geerntet: In den Wintermonaten baut man Weizen und Gerste, im Frühjahr, Sommer und Herbst die verschiedenen Hirse- und Durra-Arten, namentlich Ksob und Ngafoli. Ksob, zuerst im März eingesät, gewährt eine viermalige Ernte, deren letzte freilich, die im Dezember stattfindet, der Kälte wegen nicht mehr zu völliger Reife gelangt, doch geben Halm und Frucht ein vorzügliches Viehfutter. Fast alle Gemüsearten, auch die europäischen, würden in diesem Klima gedeihen, leider baut man aber nur die in der Zone gewöhnlichsten, im Sommer Melonen und Gurken, im Herbst Rüben und Wurzeln, im Winter Bohnen, im Frühjahr Mlochia und einige andere, während, solange Konsularagenten in Mursuk residierten, auch Kartoffeln, Erbsen, Kohl usw. gezogen wurden und bei nur einiger Pflege lohnenden Ertrag lieferten. Von sonstigen Nutzpflanzen wird Tabak und Baumwolle angebaut. Der Tabak bleibt, sei es, daß die Pflanze an sich einer schlechten Art angehört oder daß die Fesaner sie nicht zu behandeln verstehen, klein und von schlechter Qualität. Dagegen gedeiht die Baumwollstaude außerordentlich gut, perenniert sechs bis sieben Jahre hindurch und gibt große, wenn auch nicht sehr weiche und langfaserige Knollen. Viele Fruchtbäume der gemäßigten wie der heißen Zone würden ebenfalls sehr gut hier fortkommen; ich sah Oliven aus dem Uadi Schati, die an Größe und Güte denen von Sintan und Ghorian nicht nachstanden. Bis jetzt aber beschränkt man sich fast ausschließlich auf Feigen- und Mandelbäume.

Den Reichtum des Landes bilden, wie in allen Oasen der Sahara, die Dattelpalmen, und zwar scheint Fesan die Grenze ihrer Heimat zu sein. Daß sie in die westlicher liegenden Oasen erst eingeführt und verpflanzt wurden, kann man als sicher annehmen; kleinere Gruppen mögen wohl auch zufällig entstanden sein, indem der Dattelkern, wo er nur einigermaßen günstigen Boden findet, sich außerordentlich entwickelt. Palmenwälder von der Ausdehnung und Dichte wie die um Rhodua, die fast einem Urwalddickicht gleichen, gibt es in den westlichen Teilen der Sahara nicht. Den Fesanern gilt als das eigentliche Vaterland des Baumes die Gegend um Tragen, weil dort die meisten und vorzüglichsten Arten zusammenstehen; vielleicht ist es aber noch weiter nach Osten zu verlegen. Man zählt in Fesan, wie behauptet wird, über dreihundert verschiedene Arten, um Mursuk allein mehr als dreißig, von denen die Tillis, Tuati und Auregh am geschätztesten sind.

Von Haustieren sind nur das Kamel, das Huhn und die Taube zu erwähnen; die wenigen Pferde, höchstens fünfzig in ganz Fesan, Rinder, Schafe und Ziegen verkrüppeln hier und werden nicht heimisch, müssen vielmehr immer neu von auswärts eingeführt werden. Wilde Säugetiere der größeren Art hat Fesan fast gar nicht, auch Hyänen und Schakale kommen nicht vor, obwohl manche Reisende erzählen, sie hätten vor dem Geheul dieser Tiere nicht schlafen können. In unbewohnten Oasen oder Uidan (kleines Uadi oder Flußbett) mögen einzelne Gazellen, Antilopen usw. sich aufhalten; häufig sind sie gewiß nicht, denn es werden nie welche zu Markt gebracht. Von Vögeln sah ich Sperlinge, Schwalben, Raben, Mauerfalken und einige Aasgeier; im Sommer sollen wilde Tauben und Enten sehr zahlreich sein, die gegen den Winter südwärts ziehen, um ein wärmeres Klima aufzusuchen. Insekten, Würmer, Schlangen sind dieselben wie in den anderen nördlichen Oasen.

Der Handel Fesans ist unbedeutend und, den Sklavenhandel abgerechnet, wohl zu keiner Zeit von Wichtigkeit gewesen. Das Land ist nur Durchgangsstation für die Warentransporte vom Norden, von Tripolitanien und Ägypten, nach dem Süden, nach Bornu und den angrenzenden Negerländern, sowie für die aus Zentralafrika kommenden Produkte. Der Sklavenhandel dagegen hat in neuerer Zeit eher zu- als abgenommen, die Sklaven werden von hier zum kleineren Teil nach Tunis und Tripolitanien selbst verkauft, die meisten führt man über Udjila nach Ägypten zum Markt. Die türkischen Behörden fördern, wo sie sich nicht von europäischen Konsuln überwacht wissen, den Menschenhandel, statt ihn zu hindern, und leider scheint auch seitens der christlichen Mächte, wie England und Frankreich, welche doch zuerst die Abschaffung der Sklaverei unternahmen, in diesem Punkt jetzt ein laxeres Verfahren der Türkei gegenüber beobachtet zu werden als früher. Aus dem Munde des Kaimmakam selbst vernahm ich, daß ein einziger Mann in Mursuk, der Hadj Amri, der sich mir erst als englischer Agent vorstellen ließ, und als ich aus dem »Royal Almanac« ersah, daß England keine Agenten in Fesan mehr hält, ein Agent (Ukil) des früheren englischen Konsularagenten Gagliuffi zu sein behauptete, im Jahre 1864-1865 über elfhundert Sklaven exportiert und zur Zeit noch wenigstens fünfzig Schwarze in seinem Haus ›auf Lager‹ habe. Sollte die Behauptung des Mannes wahr sein, so gereicht es Herrn Gagliuffi nichts weniger als zur Ehre, einen Kompagnon zu haben, der so gute Geschäfte in Menschenware macht!

Die hauptsächlichsten Städte sind, außer Mursuk, von dem später ausführlich die Rede sein wird, Tragen im Uadi el-Hofra, Suila ebendaselbst aber östlicher, die ehemalige Hauptstadt, Gatron, die Stadt der Marabutin, südlich von Mursuk, Djedid in Sebha, Djerma und Ubari im Uadi Gharbi, Brak und Edri im Uadi Schati, Sokna und Bondjem im Norden an der Straße nach Tripolis. Keine derselben zählt wohl mehr als tausend Einwohner. Alle Mudir werden vom Kaimmakam angestellt und nach seinem Gutdünken abgesetzt, ohne daß er deshalb Befehle vom Muschir in Tripolis einzuholen braucht. Überhaupt ist die Regierung, wie in allen türkischen Provinzen, tatsächlich eine absolute, denn der Wille des Kaimmakam oder des Mudir gilt als Gesetz, wenn auch der Form nach konstitutionell, indem sowohl dem Kaimmakam wie auch dem Mudir eine Midjelis oder Ratsversammlung zur Seite steht, die nicht bloß beratendes, sondern beschließendes und gesetzgebendes Stimmrecht haben soll, in Wirklichkeit aber meist gar nicht befragt wird. So ergiebig das Land bei der großen Fruchtbarkeit und dem günstigen Klima sein könnte, so wenig weiß das türkische Gouvernement Nutzen aus demselben zu ziehen. Um Mursuk allein mag die Zahl der der Regierung gehörenden Palmbäume eine Million betragen, und in manchen anderen Bezirken ist sie noch größer. Die direkten Einnahmen gehen auf für die Gehälter der Beamten, inklusive des Kaimmakam, und für die Löhnung der Truppen, die indes sehr unregelmäßig ausgezahlt wird. Nach Tripolis und Konstantinopel kommt, außer Geschenken an Sklaven und Sklavinnen und was sonst etwa der Kaimmakam mitzuschicken für gut findet, nichts davon; im Gegenteil, alle Kleidungsstücke, Ausrüstungsgegenstände und selbst Lebensmittel für die Soldaten, wie Reis, Fett, Zucker und Kaffee, müssen von Tripolis oder Stambul nach Fesan gesandt werden. Übrigens kann man nicht sagen, daß die Einwohner mit Abgaben überbürdet seien; infolge ihrer Trägheit, Unwissenheit und der Mangelhaftigkeit aller ihrer Einrichtungen vermögen sie freilich auch die geringen Steuern kaum zu erschwingen, zumal von seiten der Regierung nicht das mindeste geschieht, was das moralische oder leibliche Wohl der Untertanen und den so tief gesunkenen Zustand des Landes heben könnte.

Über die Einwohnerzahl von Fesan bin ich nicht imstande, eine annähernd genau Angabe zu machen. Da das Gouvernement selbst keine Kenntnis davon besitzt, hätte ich, um eine richtige Schätzung zu gewinnen, das Land nach allen Richtungen durchreisen müssen. Rechnet man die in Fesan sich aufhaltenden Araber- und Tuaregstämme hinzu, so dürfte die Zahl von zirka Zweihunderttausend nicht zu hoch gegriffen sein.

Wenn überhaupt von einer Nationalsprache bei einem so gemischten Volk wie dem Fesaner die Rede sein kann, so muß man das Kanuri (die Bornu-Sprache), das im allgemeinsten, namentlich auch von den Kindern gesprochen wird, als solche bezeichnen. Nächst dem hört man am meisten Arabisch sprechen, und sehr viele verstehen die targische sowie die Teda- und Haussa-Sprache. Ferner sprechen die Bewohner von Sokna und Udjila, welches letztere indes jetzt nicht mehr zu Fesan gerechnet wird, eine eigene berberische Sprache, die auffallende Ähnlichkeit mit dem Rhadamesischen hat. Ich habe Gelegenheit gehabt, mich mit dem Soknischen zu beschäftigen, und gefunden, daß zwei Drittel der Wörter ganz mit dem in Rhadames gesprochenen Dialekt übereinstimmen.

Dem Charakter nach sind die heutigen Fesaner ein gutmütiges und ehrliches Volk. Innerhalb der Grenzen des Landes ist man vor Räubern und Dieben sicher; man kann mitten in einem bewohnten Ort seine Sachen unbewacht liegen lassen, ohne besorgen zu müssen, daß sie gestohlen werden, trotzdem daß immer viele Tebu sich in Fesan aufhalten, die in ihrem eigenen Land sehr diebische Gelüste bekunden sollen.

Die Landestracht besteht bei den Männern aus dem Haik oder Barakan, der Mansuria (weites Hemd), kurzen Hosen, dem Fes und roten oder gelben Pantoffeln. Doch sieht man hier schon häufig die dunkelblauen oder weißen Toben von Sudan und Bornu, sowie auch der Litham der Tebu und Tuareg und ihre durch Risse ausgezackten Fellkleider nicht fehlen. Noch einfacher kleiden sich die Frauen, welche in der Jugend recht volle Formen und, da sie wie alle Weiber der nicht zivilisierten Völker klein sind, eine fast kugelartige Gestalt haben. Ihr einziges Kleidungsstück ist der Barakan, den sie rings um den Körper wickeln und festbinden; statt der Schuhe tragen viele aus Palmblättern geflochtene Sandalen. Arme und Beine werden mit schweren messingenen oder silbernen Ringen belastet, von denen oft einer allein das nette Gewicht von fast einem halben Pfund hat. Das Haar, dick mit Butter bestrichen, die im Verein mit dem darauffallenden Staub bald zu einer schmutzigen Kruste verhärtet, klebt in unzähligen kleinen Flechten um den Kopf. Die Kinder laufen ganz oder halb nackt umher bis zur Pubertät, die übrigens hier äußerst früh eintritt; säugende Mütter von zwölf, ja von zehn Jahren sind nichts Seltenes.

Nirgends wohl findet ein so schrankenloser Verkehr der Geschlechter statt wie in Fesan. Der junge Bursche lebt mit einem Mädchen, bis er ihrer überdrüssig ist, und bekümmert sich dann nicht im geringsten mehr um sie, noch um das gezeugte Kind. Wilde Ehen sind ebenso häufig wie legitime; es herrscht Vielweiberei, und das Gesetz gestattet dem Mann, seine rechtmäßigen Frauen zu verstoßen, die sich dann meist der öffentlichen Prostitution hingeben. So werden uneheliche Kinder in Menge geboren und, da keine Findelhäuser existieren, gleich nach der Geburt dem Verhungern preisgegeben, höchstens daß sich bisweilen eines solchen hilflosen Wesens, das seine Mutter nachts auf die Türschwelle einer Sauya gelegt hat, ein mitleidiger Thaleb oder sonst ein Vorübergehender annimmt. Das Volk lebt sorglos in den Tag hinein; des Abends kauert jung und alt im Kreis und schaut dem pantomimischen Tanz der Mädchen zu. Dabei wird reichlich Lakbi und Busa genossen. Lakbi ist gegorener Palmensaft, ein nicht so stark berauschendes Getränk als Busa; letzteres wird aus Ngafolikörnern und Datteln bereitet, es ist sehr konsistent und weißlich von Farbe. Für die hier lebenden Türken brauen zwei Verbannte, ein christlicher Tscherkesse und ein Zigeuner, eine Sorte Dattelschnaps, der aber dem schlechtesten Kartoffelfusel noch weit nachsteht; eine bessere und unschädlichere Sorte verstehen die Juden in Tafilet zu destillieren. Datteln bilden auch, neben Sesometa, Basina und Brot aus Weizen, Gerste oder Ksob, die Hauptnahrung der Fesaner. Fleisch wird wenig und nur in den Städten gegessen; in Mursuk schlachtet man durchschnittlich pro Tag drei Kamele und ein Schaf oder eine Ziege, deren Fleisch für die gesamte, einschließlich der vor der Stadt in Palmhütten wohnenden Leute, wohl an achttausend Seelen starke Bewohnerschaft hinreichen muß. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten bemerkte ich keine Gebräuche, die von denen der Araber sonderlich abwichen; ebenso bei den Beerdigungen. Kaum ist der Leichnam des Gestorbenen erkaltet, so wird er hinausgetragen und ohne Sarg oder Kasten, bloß mit einem weißen Laken umwickelt, in einer flachen Grube verscharrt.


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