Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Gerhard Rohlfs

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Siebtes Kapitel

Aufenthalt in Mursuk

Die Stadt Mursuk bildet ein zwei englische Meilen umfassendes Viereck, dessen Nord- und Südseite etwas länger sind als die West- und Ostseite. Sie ist von stellenweise geborstenen, aus an der Sonne getrocknetem Lehm errichteten Mauern umgeben, die eine Höhe von zwanzig bis dreißig Fuß haben, an der Basis zehn Fuß, oben aber nur zwei Fuß dick sind und von dreißig zu dreißig Schritt von viereckigen Türmen flankiert werden. An den Ecken der Ostseite befinden sich Bastionen, mit einigen Geschützen besetzt.

Eine breite Straße, echt negerisch »Dendal« genannt, führt in ziemlich gerader Richtung von Westen nach Osten durch die Stadt. In ihr steht gleich an dem stets von einem Doppelposten bewachten Tor das Zollhaus, zu meiner Zeit unbenutzt, da außer für Sklaven kein Zoll für ein- und durchgehende Waren erhoben wurde. Die Straße weiter verfolgend, gelangt man rechts an die Hauptwache und daneben an die Wohnung des Kaimmakams, des Gouverneurs der Festung. Schräg gegenüber auf der linken Seite steht das ehemalige englische Konsulatsgebäude, das jetzt der Katib el-mel, der Finanzdirektor, bewohnte. Von da an hat die Straße zu beiden Seiten nur kleine Hanut (Buden aus Holz oder Ton) – es ist der Bazar von Mursuk –, bis sie auf einen freien Platz mündet, dessen nordwestliche Seite die Kasbah (Schloß) und die Kischlah (Kaserne) einnehmen.

Die Kasbah, ehemals Residenz der Sultane von Fesan, war seitdem die Amtswohnung des türkischen Kaimmakam gewesen, von Halim-Bei aber verlassen worden, angeblich weil Djennun (Geister) darin hausten, in Wahrheit, weil der Wind überall durch die unverwahrten Tür- und Fensteröffnungen pfeift. Trotz des Verfalls, in welchen die türkische Regierung den Palast geraten ließ, imponierte er jedoch äußerlich noch durch seine Masse, denn die Mauern sind mindestens achtzig Fuß hoch und manche wohl zwanzig Fuß dick. Das Innere freilich machte mir den Eindruck eines riesigen, von labyrinthischen Gängen und engen Kammern durchsetzten Erdklumpens. Einigermaßen ansehnliche Dimensionen hat nur der ehemalige Thronsaal, in dem die feierlichen Audienzen abgehalten wurden; alle übrigen Zimmer, auch die des Harem, sind klein und niedrig. Auf der einen Seite stößt das Schloß an die Kaserne, von den Türken gebaut und für dortige Verhältnisse geräumig genug, auf der anderen Seite an eine Djemma, in welcher die Sultane ihre Gebete zu verrichten pflegten. Sonst gibt es fast nur einstöckige, aus Tonklumpen errichtete Häuser mit platten Dächern; die wenigen, die zwei Stockwerke haben, gehören fremden Kaufleuten. Der Dendal ist die breiteste Straße, doch sind auch die anderen ziemlich gerade und nicht ganz so schmal wie gewöhnlich in afrikanischen Städten.

Im Osten der Stadt liegen die Kirchhöfe, auf deren einem sich das Grabmal des englischen Reisenden Ritchie befindet, der dem Klima von Mursuk zum Opfer fiel. Die Gräber der Fesaner machen sich, da kein Sarg dem einsinkenden Erdreich Widerstand leistet, durch muldenförmige Vertiefungen kennbar. Als Schmuck legen die Hinterbliebenen Straußeneier darauf nebst Scherben von zerbrochenen Töpfen und allerhand anderem Tongeschirr. Auf einem Grab bemerkte ich unter den Scherben ein defektes Porzellangefäß, dessen Bestimmung bei uns eine ganz andere ist, das aber hier vielleicht als Trinkschale gedient hat; auf einem anderen, offenbar dem eines Reichen, ein paar gesprungene Weinflaschen. Die Grabstätten der ehemaligen Sultane sind durch nichts von den übrigen Gräbern ausgezeichnet als durch etwas breiteren Raum und durch größere Haufen von Scherben und Straußeneiern.

Ich bin der Meinung, daß die Einwohnerzahl Mursuks gegenwärtig nicht ab-, sondern zunimmt. So schlecht auch die türkische Regierung sein mag, so hat sie doch den unsicheren Zuständen ein Ende gemacht, die unter den Sultanen in Fesan bestanden. Da zogen die Herrscher selbst plündernd und brandschatzend durchs Land, da bekriegten sich die Provinzen, ja die einzelnen Städte und Ortschaften untereinander in blutiger Fehde, da wetteiferten Tuareg und Tebu mit nomadischen Araberhorden in Überfällen und Beraubungen der Karawanen. Jetzt ist doch Ruhe und Sicherheit des Eigentums hergestellt. Aus den vielen leerstehenden Häusern darf man nicht auf den Verfall der Stadt und das Zurückgehen der Bevölkerung schließen. Durch starke Regenschauer werden die aus salzhaltigem Ton gekneteten Wände eines Hauses gelockert, die Insassen verlassen ihre vom Einsturz bedrohte Wohnung, errichten sich aber sofort an einer anderen Stelle ein neues Haus aus demselben unhaltbaren Material. Ganze Dörfer werden auf diese Weise verlassen und andere dafür aufgebaut.

In Mursuk hat die Landesregierung ihren Sitz, an deren Spitze der Kaimmakam steht. Den zweiten Rang nimmt der Kolrassi, der oberste militärische Beamte, ein. Er hat in der Regel fünfhundert Fußsoldaten und etliche Reiter unter seinem Befehl sowie vier Feldkanonen zu seiner Verfügung. Die Soldaten werden zum größten Teil aus Fesanern rekrutiert, doch werden auch Sklaven zum Dienst gepreßt. Alle Offiziere und Unteroffiziere sind Türken.

Der dritte Beamte ist der Katib-el-mel, Finanzdirektor, der die Abgaben einzieht, überhaupt dem gesamten Steuer- und Finanzwesen vorsteht, und der vierte im Range der Kawasbascha, der Polizeimeister, eigentlich nur der ausführende Arm des Kaimmakam.

Neben den genannten vier türkischen Beamten fungiert ein Eingeborener als Kadhi, oberster Richter, und zwar erbt das Amt wie früher unter den Sultanen so auch jetzt unter der türkischen Herrschaft in der Familie fort, ja, das Recht der Erblichkeit des Kadhiats in dieser Familie ist jetzt gewissermaßen gesetzlich anerkannt.

Auch das Amt des Schich-el-bled, des Bürgermeisters, hat sich seit längerer Zeit in einer Familie, in der Familie Alua fortgeerbt. Der Name Alua hat übrigens bei den neueren europäischen Reisenden einen guten Klang, denn Barth, Beurmann, ich selbst und nach mir Dr. Nachtigal standen mit der Familie in den freundschaftlichsten Beziehungen.

Ich hatte in Mursuk noch Gelder aus Europa zu erwarten, zirka fünfzehnhundert Taler von Gotha und hundert Pfund Sterling, welche mir die Londoner Geographische Gesellschaft als Reisestipendium gewährte, und da auch meine Ausrüstung in vielen Stücken gründlicher Nachhilfe bedurfte, mußte ich auf einen Aufenthalt von längerer Dauer Bedacht nehmen. Das Haus, das man mir zur Wohnung eingeräumt hatte, lag im nordöstlichen Teil der Stadt, also eigentlich nicht in dem fashionablen Viertel, zu dem nur der Dendal und die Umgebung der Kasbah gerechnet wird, es bot aber hinlängliche Bequemlichkeit. Erdgeschoß und Hof den Dienern überlassend, richtete ich mich im oberen Stockwerk ein, das ein Zimmer und eine große Veranda auf dem flachen Dach enthielt.

Sodann machte ich den hohen Würdenträgern des Landes meinen Besuch, zuerst natürlich dem Kaimmakam. Halim-Bei bewohnte, wie oben erwähnt, nicht die Kasbah, sondern ein großes am Dendal gelegenes Haus. Er empfing mich nicht nur mit konsularischen, sondern auch mit militärischen Ehren und versprach mir die schönsten Dinge; ein Revolver neuester Konstruktion, den ich ihm als Geschenk überreichte, schien enge Bande der Freundschaft zwischen uns zu befestigen. Leider sollte ich in der Folge erfahren, daß nicht alles Gold ist, was glänzt! Bekanntlich müssen bei solchen Staatsbesuchen außer dem Herrn des Hauses auch seine sämtlichen Diener und die Hauptsklaven beschenkt werden, und denselben Betrag hat jener bei seinem Gegenbesuch den Dienern des anderen zu schenken. Man verständigt sich vorher über das Wieviel. Wenn ich nicht irre, war ich mit Halim-Bei übereingekommen, daß jeder zehn Mahbub schenken sollte. Sonderbare Steuer, die man sich gegenseitig auferlegt! Wäre es nicht viel einfacher, wenn jeder gleich seinen eigenen Dienern das Geld gäbe?

Der Reihe nach besuchte ich hierauf den Kolrassi, den Kadhi, den Schich-el-bled und den Katib-el-mel. Bei letzterem lernte ich einen Mann namens Mohammed Besserki kennen, den letzten Sprößling der ehemaligen Beherrscher von Fesan.

Nachdem die Türken Fesan erobert hatten, war es ihnen natürlich darum zu tun, so bald wie möglich ihre Herrschaft über die neue Provinz dauernd zu befestigen, und sie glaubten nicht sicherer zum Ziel zu kommen, als wenn sie die ganze Sultansfamilie ausrotteten. So wurden zweihundert Mitglieder dieses unglücklichen Herrschergeschlechts enthauptet, erdrosselt oder auf andere Weise umgebracht. Der kleine Mohammed Besserki war dem gleichen Schicksal nur dadurch entgangen, daß eine Sklavin, der er anvertraut war, mit ihm zu den Tebu flüchtete. Fern von der Heimat, in Tibesti, wuchs er auf. Später wagte er es, nach Fesan zurückzukehren, und die türkische Regierung duldete ihn, wohl wissend, daß der arme Prinz ihr nicht gefährlich werden könne, umsoweniger, als die ehemaligen Sultane, die alle ihre Untertanen wie Sklaven oder Leibeigene behandelten, niemals die Liebe und Achtung der Fesaner genossen hatten. Man verlieh ihm sogar zu seinem Lebensunterhalt zweihundert Palmen, was freilich zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig war. Teils Mangel an Energie, teils aber auch sein Stolz hielten ihn ab, beim Kaimmakam um eine weitere Verleihung einzukommen. »Alle Palmen des Landes«, sagte er, »sind ja mein rechtmäßiges Eigentum; wie sollte ich mir da ein paar hundert davon bei den Türken erbetteln! Nein, lieber darben!« Nur manchmal, wenn ein Opium- oder Haschischrausch seinen Mut gehoben hatte, sprach er die Absicht aus, nach Konstantinopel zu gehen und von dem türkischen Sultan als letzter Erbe der Herrscher von Fesan, als Abkömmling Mohammeds, sein Land zurückzufordern. Eines Tages, als er eine besonders reichliche Portion Opium zu sich genommen, sagte er plötzlich zu mir: »Ich habe eine einzige Tochter, sie ist nicht hübsch, nicht häßlich, fünfzehn Jahre alt, heirate sie, mein Freund, werde mein Schwiegersohn!« Ich äußerte mein Befremden darüber, daß er, der Sohn eines Sultans, der Nachkomme des Propheten, seine Tochter mit einem Christen verheiraten wolle; da rief er: »O Wunder, soll ich etwa mein Kind einem von den Türkenhunden zur Frau geben, die mir mein Land geraubt haben, oder einem Mann in Fesan, der einst Sklave meines Vaters gewesen ist? Lieber soll sie sterben. Aber dir will ich sie geben, o Mustafa Bei, und als Mitgift übertrage ich dir meine Rechte auf Fesan. Geh mit ihr nach Europa; die christlichen Mächte werden deinen gerechten Anspruch unterstützen, der Sultan von Stambul wird das geraubte Land herausgeben müssen, du wirst zurückkehren und glücklich über Fesan herrschen!« »Und was verlangst du für deine Tochter und die Zedierung deiner Rechte?«, fragte ich. »Was ich verlange?« – und seine sonst so matten Augen begannen zu funkeln, frisches Blut schien durch seine Adern zu rinnen. »Ich verlange nichts als einige tausend Palmen, die mir ja ohnedies gehören, und so viel Opium und Haschisch, wie ich brauche.«

Ich kam noch oft mit Mohammed Besserki zusammen. Er war in nüchternem Zustand ein Mann von guten Manieren und lebte bescheiden von dem dürftigen Ertrag seiner zweihundert Palmen, zu dem er sich noch ein kleines Nebeneinkommen durch Schreiben von Amuletten erwarb. Wenn auch nicht als letzter Sprößling der ehemaligen Herrscher des Landes, stand er doch als Faki, als Gelehrter, in Ansehen beim Volk, namentlich bei den Tebu-Reschade, bei denen er seine Jugend verlebt hatte.

Als der Kolrassi meinen Besuch erwiderte, lud er mich ein, eine Revue über seine Truppen abzuhalten. Ich galt nämlich in Fesan ohne mein Zutun für einen Militär höheren Ranges, wahrscheinlich weil mein Firman mir den Titel »Bei« zulegte; ein Offizier war mir als Ordonnanz beigegeben, und ging ich an einer Wache vorüber, so wurde herausgerufen und die Soldaten machten das Ssalam-Dur (Präsentieren des Gewehrs). Um ihn nicht zu verletzen, nahm ich die Einladung dankend an, denn ich merkte wohl, wie sehr er wünschte, daß ein Europäer seine Truppe in Parade defilieren sehe. Der Kolrassi war eine Zeitlang in Frankreich gewesen und hatte als Hospitant einen Kursus in der Militärschule zu St. Cyr durchgemacht. Er hielt sein Bataillon für das bestgekleidete, das bestgeübte und bestdisziplinierte in der ganzen Türkei. Und er mochte recht haben, wenigstens habe ich noch keine besseren türkischen Truppen gesehen. Einige von den Offizieren waren zwar zu der Revue in Pantoffeln erschienen, sei es der großen Hitze wegen oder weil sie keine Stiefel besaßen, aber die Mannschaft trug saubere Uniform, machte die Gewehrgriffe mit Präzision und marschierte selbst nach preußischen Begriffen tadellos.

Ein andermal mußte ich den Kolrassi in die Kaserne begleiten. Betten gab es da nicht, auch waren die Säle nicht gedielt; doch fand ich die Pritschen rein gewaschen, jeder Soldat zeigte seine wollene Decke, seinen Brotbeutel und Tornister, Schuhe usw. vor, und die Gewehre, gute Enfieldbüchsen, standen in Ordnung an den Ständern. Den Leuten, meist von dunkler Hautfarbe, sah man keine Not an. Eben wurde ihnen das Essen gebracht, eine große Schüssel voll Reis mit Kamelfleisch für je sechs Mann.

Aus der Kaserne wurde ich in das Militärlazarett geführt, dessen Einrichtungen mir der türkische Arzt der Truppe bereitwilligst zeigte. Es enthielt zwölf Betten mit Matratzen, wollenen Decken und sonstigem Zubehör und übertraf an Reinlichkeit und Ordnung meine allerdings nicht hohen Erwartungen von einer türkischen Krankenanstalt. Beim Abschied bat der Doktor um die Erlaubnis, mich in meiner Wohnung besuchen zu dürfen, er möchte in einer wichtigen Angelegenheit unter vier Augen mit mir reden.

An einem der nächsten Tage trat er bei mir ein, und nachdem er sich überzeugt, daß wir allein seien und uns niemand hören könne, begann er mit geheimnisvoller Miene: »Es scheint, Mustafa Bei, du tust deine Augen nicht auf und bemerkst nicht, welche Menge Sklaven hier eingebracht und unter dem Schutz des Kaimmakams verkauft werden. Der Kolrassi hat mir gesagt, in den zwölf Monaten seit er hier in Garnison steht, waren es 4048 Köpfe. Er weiß die Zahl genau, denn alle Transporte kommen nur bei Nachtzeit in die Stadt, und der wachthabende Korporal, der das Tor öffnet, hat dem Kolrassi des Morgens zu melden, aus wieviel Köpfen der nächtlich einpassierte Transport bestand. Nun denke dir, für jeden eingehenden Sklaven läßt sich Halim-Bei zwei Mahbub und für jeden ausgehenden sein Schwiegersohn, der Kawasbascha, zweieinhalb Groschen bezahlen! Außer den Transporten, die durch Mursuk passieren, gehen aber noch mindestens ebensoviele durch andere Orte Fesans, und überall erhebt der Kaimmakam durch eigens dazu angestellte Agenten dieselbe Steuer pro Kopf. Die Einnahmen, die er sich dadurch neben seiner Besoldung verschafft, beläuft sich also, wie du leicht berechnen kannst, auf jährlich zwanzigtausend Mahbub.« Hier machte der Doktor eine Pause. Ich war natürlich neugierig zu erfahren, was einen türkischen Beamten veranlassen mochte, mir, dem Fremden, alle diese Tatsachen unaufgefordert mitzuteilen. Geschah es aus Menschenliebe, aus philanthropischem Mitleid mit dem Los der unglücklichen Sklaven? Oder wollte er seiner Entrüstung darüber Ausdruck geben, daß der Statthalter des Landes selbst dem Gesetz, das den Sklavenhandel in allen türkischen Staaten verbietet, auf so eklatante Weise Hohn sprach? Beides hielt ich nicht für wahrscheinlich. Das Rätsel löste sich indes, als er fortfuhr: »Und du wirst es nicht glauben, von all dem vielen Geld hat Halim-Bei, der schändliche Geizhals, weder dem Kolrassi noch mir je einen Para zukommen lassen! Nun bin ich überzeugt, wenn du das, was ich dir erzählt habe, an den Muschir nach Tripolis berichtest, so wird Halim-Bei auf der Stelle abgesetzt, obgleich er den Muschir immer reichlich beschenkte und ihm erst kurz vor deiner Ankunft zwölf Sklavinnen zugeschickt hat. Denn der Muschir muß fürchten, daß du sonst den Konsuln in Tripolis die Sache anzeigst oder daß du ihn selber in Konstantinopel verklagst.«

Neid und Habgier allein hatten also den Mann geleitet, indem er das gesetzwidrige und abscheuliche Treiben des Kaimmakam in seiner ganzen Blöße enthüllte. Mir kam indes die Kenntnis dieser genauen Details sehr erwünscht, und ich benutzte die Gelegenheit noch weiterer, möglichst vieler Notizen über den Betrieb des Sklavenhandels in Fesan und über die vorzugsweise daran teilnehmenden Personen, in der Absicht, sie dem Muschir in Tripolis sowie dem dortigen englischen Generalkonsul in einem ausführlichen Bericht mitzuteilen. Nur konnte dies nicht eher als bei der Abreise von Mursuk geschehen, wollte ich nicht jeden Versuch, in das Innere Afrikas vorzudringen, sofort aufgeben; denn sicher hätte man mich überall aufs feindseligste behandelt, wenn es ruchbar geworden wäre, daß ich dem einträglichen Menschenhandel entgegenwirkte. Ein wesentlicher Erfolg war überdies, das mußte ich mir leider sagen, von meinen beabsichtigten Schritten nicht zu erwarten. Was helfen alle Verbote seitens der türkischen Regierung in Konstantinopel, da ihre Beamten in den entfernten Provinzen, vom höchsten bis zum niedrigsten, sobald sie nicht streng überwacht sind, immer dem Handel mit Negern Vorschub leisten werden, um ihn als Einnahmequelle für sich auszubeuten. Es gibt nach meiner Überzeugung nur ein Mittel, das dem Unwesen in wirklich erfolgreicher Weise steuern kann: Eine europäische Macht, sei es England, Frankreich oder Deutschland, muß in Fesan und in Rhadames ständige Vertreter halten und dieselben ausreichend besolden, damit sie den Lokalbehörden durch ihr Auftreten den nötigen Respekt einflößen. Der Konsularagent, den England früher in Mursuk hielt, bezog nur ein jährliches Gehalt von vierzig Pfund Sterling; die Folge davon war, daß z. B. Gagliuffi, der zuletzt zwölf Jahre als solcher fungierte, von den bedeutendsten Sklavenhändlern, den Schichs von Bornu, Uadai, Tebu usw., Geschenke nahm, ja sogar selbst, wie ich bereits erzählt habe, als stiller Kompagnon an einem schwunghaft betriebenen Sklavengeschäft interessiert sein soll.

Kurz nach meiner Ankunft in Mursuk kampierte eine von Tuat kommende Pilgerkarawane drei Tage lang vor der Stadt. Ich traf unter den Pilgern einen alten Bekannten, Mulei Ismael von der Sauya Kinta. Sein Erstaunen, mich hier wiederzufinden, war groß, und als er bei einem gemeinschaftlichen Gang durch die Straßen die uns begegnenden Soldaten vor mir Front machen und die Wachtmannschaften ins Gewehr treten sah, sagte er: »Ah, du stehst jetzt in türkischen Diensten!«

In Tuat war ich der Gast Mulei Ismaels gewesen; selbstverständlich sorgte ich daher jetzt meinerseits für seine Bewirtung. Ich schickte ihm morgens und abends eine große Schüssel Basina mit Kamelfleisch, mittags einen Teller voll ausgesuchtester Datteln nebst einem Topf Buttermilch dazu. Außerdem hatte ihm mein Diener ein halbes Pfund Tee und drei Hüte Zucker als Gastgeschenk von mir zu überbringen. Drei Hüte sind nämlich die zu einem halben Pfund Tee gehörige Quantität Zucker; weniger zu schenken, wäre ein Verstoß gegen die gute Sitte. Beim Abschied bedankte er sich für die ihm gesandten »zwei« Hüte Zucker, und auf meine Bemerkung, er müsse sich wohl irren, beteuerte er mit einem Eid, nicht mehr als zwei erhalten zu haben. Jetzt wurde der Diener zur Rede gestellt; er leugnete zwar hartnäckig und erbot sich, mit dem Koran in der Hand auf dem Grabe eines Marabut seinerseits zu beschwören, daß er die Sendung richtig abgeliefert habe. Allein ich konnte und mochte nicht glauben, daß Mulei Ismael, einer der reichsten und angesehensten Männer von Tuat, wegen eines Hutes Zucker einen falschen Eid abgelegt hatte, zumal er auf einer Pilgerfahrt nach Mekka begriffen war und während einer solchen die Mohammedaner sich mehr als sonst vor wissentlichen Vergehen hüten. Übrigens hatte ich den Diener auch schon zweimal auf einer Veruntreuung ertappt, und so entließ ich ihn auf der Stelle. Bald sollte ich Ersatz dafür bekommen.

Ein reicher Sklavenhändler aus Kordofan, der mit einer Ladung »Menschenfleisch« in Mursuk angekommen war, erkrankte hier schwer und ließ mich um meinen ärztlichen Rat und um Medizin ersuchen. Der Beschreibung nach mußte er die sogenannte Große Krankheit (mrd el kebir der Araber) haben, ich gab ihm vorläufig eine Auflösung von Kali hydrojodicum. Nach drei Tagen besuchte mich ein Freund von ihm, um mir zwei Mahbub für die Medizin zu behändigen, die ich jedoch nicht annahm, worauf er sagte: »Da du kein Geld nehmen willst, so wird dir mein Freund und Landsmann – ich verspreche es in seinem Namen –, wenn du ihn soweit wieder herstellst, daß er aufstehen und gehen kann, einen jungen Sklaven umsonst überlassen.« Für Afrikaner, die den Arzt möglichst gering zu bezahlen pflegen, war das ein ungewöhnlich splendides Anerbieten; denn ein männlicher junger Sklave wurde in Fesan zu der Zeit mit mindestens fünfzig Talern verkauft. Die Aussicht, einen Menschen aus der Sklaverei befreien zu können, bewog mich, selbst nach dem Kranken zu sehen. Meine Vermutung in betreff der Natur seiner Krankheit bestätigte sich; ich wandte nun die geeigneten äußerlichen Mittel an, und nach Verlauf von vierzehn Tagen war der Patient völlig genesen. Beim ersten Ausgang führte er mir den versprochenen Negerknaben zu. Er nannte ihn Abd-el-Faradj und gab an, es sei ein Königssohn, aus Bagermi gebürtig; auch unterließ er nicht zu betonen, man habe ihm bereits siebzig Real (zirka achtzig Taler) dafür geboten. Der unglückliche Kleine, ein Kind von sieben bis acht Jahren, zum Skelett abgemagert und so entkräftet, daß er kaum noch aufrecht gehen konnte, kroch auf allen vieren zu mir heran, um seinem neuen Herrn die Hand zu küssen, und sein erstes Wort war: »Ich bin hungrig!« Unter den furchtbarsten Strapazen, barfuß, beständig mit Hunger, Durst und Ermüdung kämpfend, hatte er den viermonatigen Weg durch die Wüste vom Tschad-See nach Fesan zurücklegen müssen. Seine Erinnerung schien infolge der namenlosen Leiden völlig geschwunden; er wußte nichts von seiner Herkunft und Vergangenheit zu sagen, ja hatte selbst die Muttersprache vergessen und sich dafür, auf dem Marsch mit anderen Sklaven aus Uadai, Bornu, Haussa usw. zusammengekoppelt, ein Gemisch aller dieser verschiedenen Sprachen angeeignet. Ich war erst unschlüssig, ob ich ihn bei mir behalten und auf meinen beschwerlichen Reisen mitnehmen sollte, aber der Gedanke, daß ohne Pflege das arme, schon so von Kräften gekommene Kind unfehlbar dem Tode verfallen wäre, überwog schließlich alle Bedenken. Da es eben um die Weihnachtszeit war, gab ich ihm – das deutsche Wort Weihnachten schien mir zu lang – den Namen Noël. Nun wurde er von meinen Leuten gründlich gesäubert, ich kaufte ihm Kleider, sorgte für angemessene Ernährung, namentlich mit Fleischkost, und nach kurzer Zeit sah ich zu meiner Freude seine verlorenen Kräfte vollständig wiederkehren. Der kleine Noël ist mir während mehrerer Jahre ein treuer, aufopfernder Begleiter gewesen. Jetzt befindet er sich in Berlin, wo ihn der Deutsche Kaiser auf seine Kosten erziehen läßt.

Einen weiteren und besonders wertvollen Zuwachs erhielt mein Gefolge an dem ehemaligen Diener Barths, dem alten Mohammed el-Gatroni. Derselbe hatte sich nach der Beendigung von Barths afrikanischer Reise an einem kleinen Ort in Fesan niedergelassen. Sobald er nun vernahm, es sei ein Europäer, ein Vetter von Abd-el-Kerim (so wurde Barth genannt) in Mursuk angekommen, machte er sich auf, um nach dem Befinden seines früheren Herrn zu fragen. Obschon er seiner Ehehälfte geschworen hatte, er werde nicht wieder auf weite Reisen gehen, nahm er die Aufforderung, in meine Dienste zu treten und mich nach Kuka zu begleiten, ohne Zögern an. Doch wollte er noch so lange wie möglich mit seiner Familie zusammen sein, und gerne erlaubte ich, daß er sie nach Mursuk brachte und dann mit seinem Tebuweib, seinem Sprößling, seinem Kamel, seiner Ziege, kurz mit seinem gesamten Haushalt in meine Wohnung einzog.

Zu Ehren des Muschir von Tripolis, der irgendeine neue Auszeichnung vom Sultan erhalten hatte, veranstaltete der Kaimmakam ein öffentliches Fest, an dem er auch mich teilzunehmen bat. »Alles soll a la franca sein«, sagte er zu mir. »Wir werden Illumination haben, Musik wird spielen, du wirst tanzen sehen, und ein Maskenzug wird erscheinen.« Nachmittags ließ er einen Firman auf dem Dendal verlesen, der die Einwohner zum Illuminieren aufforderte, und abends wurden vor seiner Residenz sechs Lampen, mit Öl gefüllte Wassergläser, angezündet; vor jedem Haus und Hanut (Hütte) stand eine große oder kleine Laterne, ich selbst stellte meine Blendlaterne vor die Haustür. Bei dieser glänzenden Beleuchtung entwickelte sich der Aufzug, an der Spitze zwei Musikkorps mit bunten Papierlampen, gefolgt von unverschleierten Tänzerinnen. Den Glanzpunkt des Zuges bildete ein aus Stäben und gelben Lappen verfertigtes Kamel, das von zwei Männern statt der Beine im nachgeahmten Kamelschritt fortbewegt wurde und in der Tat komisch genug anzusehen war. Selbst der gravitätische Halim-Bei ließ sich herab, aus seiner Wohnung auf die Straße zu treten, um das Wunderwerk in der Nähe zu betrachten. Bis spät in die Nacht zog die Menge singend und lärmend durch die Stadt – eine echte Rhamadan-Belustigung.

Solche Unterbrechungen meines einförmigen Lebens in Mursuk kamen jedoch selten vor. Ich pflegte gegen sieben Uhr morgens aufzustehen. Nach dem Kaffee studierte ich mit Hilfe von Barths Vokabularien die Kanurisprache, die in Bornu und ziemlich allgemein auch in Fesan gesprochen wird. Hierauf wurden Besuche abgestattet oder empfangen und nachmittags ein Spaziergang vors Tor gemacht. Oder ich begab mich um vier Uhr zu der im lebhaftesten Teil des Dendal gelegenen Polizeiveranda und schaute dem Treiben des Marktes zu. Hier tauschten Fesaner, Tuareg und Tebu Erzeugnisse des Sudan, Elfenbein, Straußenfedern, Rhinozeroshörner, mit Bewohnern der Oasen von Rhat, Rhadames, Djalo, Tuat und Tafilet gegen europäische Waren aus. Sklaven aber werden nicht auf offenem Markt, sondern nur in den geschlossenen Häusern und Höfen verhandelt. Dazwischen boten junge Mädchen aus Fesan, meist von goldroter Hautfarbe, die Landesprodukte, also Getreide, Melonen, Gras, Milch, Eier und Hühner, feil. Meine Hauptmahlzeit nahm ich um sechs Uhr abends. Oft war dabei Besserki, der letzte Abkömmling der Fesan-Dynastie, mein Gast, und in der Regel blieb er auch zum Tee, obschon er diesen weniger liebte als Araki, Haschisch und Opium.

Anfang Januar unternahm ich einen kleinen Ausflug nach der Stadt Tragen, zwei Tagereisen östlich von Mursuk. Ich hatte schon am Abend vorher die Zelte außerhalb der Ringmauer aufschlagen lassen und kampierte darin mit meinen Leuten, damit wir uns gleich frühmorgens in Marsch setzen könnten. Während der Nacht wurde es aber so kalt, daß die Mündungen unserer Wasserschläuche vereisten und wir selbst vor Frost erstarrt waren. Wir mußten in die Stadt zurückkehren, um uns wieder zu erwärmen, und marschierten erst am folgenden Tag wirklich ab. Die Ausrüstung zur Reise war von mir ganz meinem neuen Diener, dem erfahrenen Gatroner, überlassen worden. Weil es nun mitten im Rhamadan war, wo er als strenggläubiger Muselman fastete, vergaß er leider, für den nötigen Mundvorrat zu sorgen, so daß es mit unserer Verpflegung diesmal sehr übel aussah. Denn in Hadj Halil, wo wir übernachteten, gab es nichts als drei Eier für alle zusammen, und hätte man auch Ngafoli (Sorghum, Sudangetreide) gehabt, es wäre nicht möglich gewesen, einen Brei daraus zu kochen, da uns ein heftiger, zwar nicht heißer, aber desto mehr Sand führender Gebli überfiel, der uns nötigte, unter den niedergewehten Zelten auf dem Boden liegenzubleiben.

Im übrigen aber lernte ich bereits auf diesem kurzen Marsch die unschätzbaren Eigenschaften des Mohammed Gatroni kennen. An den Späßen und der oft ausgelassenen Lustigkeit der anderen Diener nahm er keinen Teil, er schritt immer ernst und würdevoll einher; dagegen tat es ihm niemand gleich in der Behandlung der Kamele, in Geschicklichkeit und Raschheit beim Auf- und Abladen der Bagage, in der praktischen Anordnung der Märsche und im Auffinden guter Lagerplätze. Seine Treue und Hingabe, seine Ehrlichkeit waren über jeden Zweifel erhaben. »Ihr in eurer Religion, wir in unserer«, hatte er beim Eintritt in meinen Dienst zu mir gesagt, »aber wenn du willst, daß ich mit dir gehe, im Namen Gottes, wie ich für deinen Vetter mein Leben gewagt, bin ich auch für dich zu sterben bereit.« Und dies waren keine leeren Worte. Er hat bei vielen Gelegenheiten seine Aufopferung für mich bewiesen und die gute Meinung, die Barth von ihm hegte, stets vollkommen gerechtfertigt.

Stadt und Schloß Tragen sind nur noch ein großer Trümmerhaufen, zwischen dem etliche dreißig bewohnte Häuser stehen. Der bei weitem größte Teil der Bevölkerung wohnt, wie in Mursuk, in den zahlreichen Palmenhütten außerhalb der ummauerten Stadt. Auf einer kleinen Anhöhe im Südwesten befinden sich die Gräber der sogenannten Bornu-Statthalter, dreißig bis vierzig niedrige, wie von Maulwürfen aufgeworfene Hügel.

Mehr als Tragen selbst befriedigte mich der Weg dahin, der stundenweit zur Rechten und Linken mit Palmen besetzt ist. Die Regierung könnte aus diesen Palmen einen größeren Ertrag ziehen, als die jetzigen gesamten Einkünfte von Fesan einschließlich aller Abgaben betragen. Aber aus Mangel an irgendwelchen Pflege sind die Bäume abgestorben, und die wenigen noch Früchte tragenden werden durch Abzapfen des Saftes zur Lakbibereitung getötet.

In meinem Zelt vor Tragen erhielt ich am 1. Februar die erschütternde Nachricht vom Tode Barths. Noch wenige Wochen vorher hatte ich Briefe nebst zwei Aneroids und einigen Thermometern von ihm empfangen. Wir standen in fortgesetztem brieflichen Verkehr, namentlich über die Sprachen Innerafrikas, und Barth zollte meinen Bemühungen, mit dem Studium derselben in seine Fußstapfen zu treten, die schmeichelhafteste Anerkennung. Plötzlich nun ein Brief von meinem Bruder, der mir den Tod des verehrten Mannes meldete! »Der ist im Paradies, Gott erbarme sich seiner!« sagte der alte Gatroner, als ich ihm die Trauerkunde mitteilte.

Halim-Bei hatte die Freundlichkeit gehabt, am selben Tag, an welchem der Schantat von Tripolis mit der Post in Mursuk eintraf, einen Kurier an mich abzusenden. Dieser erreichte unser Lager spät abends, doch da ihm das Licht in meinem Zelt die Richtung zeigte, ging er ohne zu rufen darauf los. Etwa noch fünfzig Schritte entfernt, wird er von meinem wachsamen Spitz grimmig angefallen, und als wir, durch das wütende Bellen des Hundes aufmerksam gemacht, herzueilen, sehen wir, wie der Ärmste am Boden hockt und ihm Mursuk mit seinen Zähnen den Burnus zerfetzt. Wir befreiten ihn von seinem Angreifer; ich legte einige Taler auf die Löcher seines ohnedies schon sehr mitgenommenen Burnus, ließ ihm ein reichliches Mahl vorsetzen, dann das Nachtlager im Zelt meiner Diener bereiten, und am anderen Morgen hatte er sich von dem gehabten Schrecken völlig wieder erholt.

Nach der Rückkehr von Tragen begann ich meine Weiterreise eifrig zu betreiben. Noch gab ich die Hoffnung nicht auf, daß ich nach Tibesti würde gehen können, obschon die Aussicht, über Borgu nach Uadai vorzudringen, immer schwächer wurde. Ein Tebufürst namens Maina Adem, der sich eben in Mursuk aufhielt, der Bruder des regierenden Königs von Kauar, bot mir an, ich möge mich mit meiner Karawane der seinigen bis Kauar anschließen. Seine Persönlichkeit machte einen günstigen Eindruck auf mich, und da man zu der Zeit nur mit größerer Karawane die Reise nach Bilma wagen konnte, war mir der Vorschlag willkommen. Als ich Maina Adem das erste Mal besuchte, bewirtete er mich mit frischer Goro-Nuß (Cola acuminata), die bei den Negern die Stelle des Tees und Kaffees vertritt. Getrocknete Goronüsse, Kola genannt, werden in Menge nach Fesan gebracht, frische aber sind hier sehr rar und ein kostbares Luxusgericht.

Es stand in Mursuk noch ein Koffer mit Kleidungsstücken und Büchern, den Beurmann dort zurückgelassen; obwohl die Sachen an sich wenig Wert hatten, benutzte ich eine Gelegenheit, sie nach Tripolis zu schicken, damit sie von dort an die trauernden Eltern des Verstorbenen expediert würden. Von einem ehemaligen Diener Beurmanns wurde ich angegangen, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, in dem er wegen Falschmünzerei saß. Wie ich auf meine Erkundigungen erfuhr, war aber der Mann, ein Renegat, der alle schlechten Sitten des Islam angenommen, übel beleumundet; überdies wurde er in seiner Haft keineswegs übermäßig streng behandelt, man hatte sogar gestattet, daß er sich währenddem verheirate, und ich fand somit nicht Ursache, mich für seine Freilassung zu verwenden.

Mitte März traf endlich mein sehnlichst erwarteter Diener Hammed mit dem für mich erhobenen Geld sowie mit Kamelen, Waren und Lebensmitteln von Tripolis ein. Nachdem nun auch Maina Adem und sein fürstliches Gefolge sich reisefertig gemacht, wurde der 24. März zur Abreise bestimmt. Ich verbrachte jedoch diesen Tag noch in meinem vor der Stadt aufgeschlagenen Lager, da am folgenden Vormittag die Behörden von Mursuk herauskommen wollten, um mir feierlich Lebewohl zu sagen. Zur festgesetzten Stunde erschienen denn auch sämtliche Würdenträger: der Kaimmakam, gefolgt von allen seinen Leuten, selbst den Pfeifenträger und Kaffeemacher nicht ausgenommen, der Kolrassi, der Kadhi, ein Greis von 126 Jahren, mit seinem siebzigjährigen Sohn (er hatte noch ein erst fünf oder sechs Jahre altes Söhnchen, ein Beispiel von der lang dauernden Zeugungsfähigkeit der Orientalen), der Schich-el-bled und der Vorsitzende des Rats, letztere zwei aus der mir befreundeten Familie Alua. Unter dem üblichen Zeremoniell ging die Abschiedsszene vor sich, nur mit den beiden Ben Alua tauschte ich herzlichere Worte. Mittlerweile nahmen auch meine Diener rührenden Abschied von den schwarzen Schönen, deren Herz sie während des Aufenthalts in Mursuk gewonnen hatten, und Mohammed Gatronis reizende Ehefrau, mit einem großen Korallenstück im rechten Nasenflügel, heulte ihren Schmerz über die Trennung von dem Gatten aus, ohne daß er sich davon erweichen ließ; Rührung zu zeigen, wäre gegen seine Würde gewesen. Am längsten verweilte der letzte Abkömmling des ehemaligen Herrschergeschlechts von Fesan bei mir, bis auch er endlich schweigend auf seinem Esel in die Stadt zurückritt.


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