Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Gerhard Rohlfs

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Neunzehntes Kapitel

Auf dem Benue nach Lokoja

An der Stelle, wo wir den Benue erreicht hatten, steht auf den Karten der Ort Dagbo verzeichnet, allein es war weit und breit am rechten Ufer entlang überhaupt kein Ort zu sehen, und meine späteren eifrigen Nachforschungen ergaben nicht die geringste Spur, daß ein Ort Dagbo existiert oder jemals existiert hat. Den Eingeborenen ist der Name völlig unbekannt.

Sobald es Tag geworden war – es war der 19. März –, erhoben wir uns von unserem Lager im Ufersand. Gerade gegenüber, ungefähr achthundert Meter vom Ufer entfernt, lag die Flußinsel Loko, die auf den englischen Karten fehlt, obgleich sie als die frequentierteste Übergangsstation über den Benue selbst in Keffi und noch weiter nach Norden bekannt ist. Die Fährleute auf derselben hatten uns schon bemerkt und kamen nun mit ein paar Kanus, das heißt ausgehöhlten, wenig mehr als einen Fuß breiten und nicht ganz so tiefen Baumstämmen, herübergefahren, um uns abzuholen. Sie verlangten für die kurze Fahrt auf den primitiven Fahrzeugen ein unverhältnismäßig hohes Fährgeld, dreitausendzweihundert Muscheln, indes blieb uns nichts übrig, als ihre Forderung zu bewilligen. Drüben am Landungsplatz wartete eine neugierige Volksmenge, die uns bei der Ankunft sogleich mit Zurufen und Fragen bestürmte. Es dauerte lange, ehe sie sich bedeuten ließen, daß wir ihre Sprache nicht verstünden. Endlich führten sie uns einen Kanuri aus Lafia-Bere-Bere und einen Mann aus Benghasi zu, und nachdem ihnen diese verdolmetscht hatten, daß ich kein Araber oder Pullo, also kein Kinderräuber, sondern ein Bruder der weißen Männer in Lokoja sei, wurden wir in eine Hütte geleitet und zur Genüge mit Speisen versehen.

Loko gehört zu der am linken Ufer liegenden großen Stadt Udje, der Hauptstadt der Bassa-Neger, die lebhaften Handelsverkehr mit Wukari und Kontja unterhält. Der schmale Flußarm dazwischen dient als Hafen für die einlaufenden Schiffe. Vier Kilometer lang und einen halben Kilometer breit, erhebt sich die Insel, wenn der Benue am niedrigsten steht, fünfzehn Fuß über den Wasserspiegel, bei seinem höchsten Stand aber wird sie mehrere Fuß hoch überflutet. Die Bewohner, etwa tausend an der Zahl, brechen dann ihre Hütten ab, die zeltartig bloß aus Binsen und Matten zusammengesetzt sind, und begeben sich ans Land; nur einige Fährleute bleiben in einer auf Pfählen errichteten Hütte zurück. Ein einziges Gebäude besteht aus Ton, es enthält eine Bank mit sieben Steinen, auf welcher die Weiber das Korn zu Mehl zerreiben.

Meine erste Sorge war nun, ein Kanu zur Weiterfahrt auf dem Fluß zu mieten. Man verlangte für ein schmales Boot von Loko bis Imaha zehntausend Muscheln und ging sogar, da ich Vorausbezahlung zusagte, bis auf achttausend herab, ein Preis, der mir im Vergleich mit dem teuren Fährgeld sehr mäßig erschien. Der Kontrakt wurde geschlossen und die Abfahrt auf den folgenden Morgen festgesetzt. Nur eine Schwierigkeit blieb noch zu lösen: Mein ganzer Geldvorrat betrug kaum noch dreitausend Muscheln, Elfenbein war hier nicht verkäuflich, und an Waren besaß ich nichts mehr als einen letzten Tuchburnus; ich half mir indessen damit, daß ich das Entbehrlichste von unseren Kleidungsstücken zum Kauf ausbot und von dem Ertrag die Summe entrichtete.

Nachmittags machte mir der Galadi-ma, der Gouverneur von Loko, einen Besuch in unserer Hütte. Er warf dabei ein begehrliches Auge auf meinen Revolver und ließ es nicht an zarten Andeutungen fehlen, wie gern er ihn zu haben wünsche, gab sich jedoch schließlich zufrieden, als ich ihm in Ermangelung anderer Gegenstände ein Handtuch schenkte, das ich in Keffi-Abd-es-Senga gekauft hatte, um es als eine Probe von dem Gewerbefleiß der Eingeborenen mit nach Europa zu nehmen.

Den ganzen Tag über war es furchtbar heiß gewesen, am Nachmittag stieg das Thermometer auf +40 Grad im Schatten, und die Feuchtigkeit der Luft ließ die Schwüle um so drückender erscheinen. In der Nacht entlud sich nun ein Donnerwetter von so elementarer Gewalt, wie ich es auch in der heißen Zone kaum jemals erlebt habe. Die Insel schien in ihren Grundfesten zu beben. Dicke Staubmassen, vom Land herübergefegt, mischten sich mit dem vom Sturm gepeitschten Regen. Ein Windstoß entführte das schwache Binsendach von unserer Hütte; andere wurden noch ärger beschädigt oder ganz umgerissen. So tobte das Wetter mehrere Stunden lang mit gleichem Ungestüm, ein grausenerregendes Vorspiel zu der nahenden Regenzeit. Als endlich die Nacht vorüber war, beleuchtete die Morgensonne ein Bild der Zerstörung, und alle Hände hatten zu tun, um niedergeworfene Hütten wieder aufzurichten. Dadurch verzögerte sich auch unsere Abfahrt von Stunde zu Stunde.

Das Oberhaupt der Bassa führt den Titel Madaki und residiert in der Hauptstadt Udje. Ich hätte Zeit gehabt, nach Udje überzusetzen und den Madaki zu begrüßen, mußte aber davon Abstand nehmen, weil ich ihm nicht die üblichen Geschenke überreichen konnte. Religion des Landes ist der Fetischdienst. Bis jetzt haben dem Bekehrungseifer und der Eroberungssucht der Fellata die Wellen des Benue Schranken gesetzt; indes kommen schon einzelne Apostel des Islam bis Udje und Wukari, und in nicht ferner Zeit dürfte auch hier der Koran seinen siegreichen Einzug halten. Der Sprache nach scheinen die Bassa mit den Nupe verwandt zu sein. Die Männer sind meist gut gebaut, muskulös und auch der Waden nicht entbehrend. Auf dem kurzen, dicken Hals sitzt der breite Kopf mit fast viereckigem Gesicht und, wie es mir vorkam, etwas höherer Stirn, als sonst die Neger zu haben pflegen. Sie feilen sich die Zähne spitz und tätowieren ihre Wangen mit zwei Einschnitten, die in gewundener Linie von den Schläfen nach dem Kinn zu verlaufen. Bis zum Alter von fünfzehn Jahren geht die Jugend beiderlei Geschlechts ganz nackt, nicht einmal die Scham wird mit einem Blatt bedeckt.

Erst um drei Uhr nachmittags kamen die Leute mit dem gemieteten Kanu. Kurz vorher hatte mir der Galadi-ma noch ein Huhn, zwei große getrocknete Fische und zwanzig Madidi, in Bananenblätter gewickelte Portionen Mehlbrei, geschickt, und beim Abschied bat er mich, ich möchte die Christen in Lokoja veranlassen, den Benue heraufzufahren, um Handelsverbindungen mit Loko und Udje anzuknüpfen. Am Ufer waren wieder viele Neugierige versammelt, die unserer Abfahrt beiwohnen wollten und mir ein Lebewohl nachriefen. Das Fahrzeug, dem wir uns anvertrauen mußten, war, wie die am vorigen Tag benutzte Fähre, nichts weiter als ein ausgehöhlter Baumstamm, nur von etwas größeren Dimensionen: Es maß dreißig Fuß in der Länge, eindreiviertel Fuß in der Breite, hatte einen Fuß Tiefe und kaum drei Zoll dicke Wände; seine Tragfähigkeit ward von dem Eigentümer mit zehn Mann nebst Gepäck angegeben. Mein Elfenbein und die Reiseeffekten wurden in der Mitte niedergelegt, wir selbst verteilten uns zu beiden Seiten; vorne hißte ich die Bremer Flagge, hinten stand der Steuermann mit seiner Schaufel. Ich hätte allerdings ein breiteres Boot haben können, aber der Preis, den man dafür verlangte, war mit den mir verbliebenen Barmitteln unerschwinglich.

Anfangs trug uns der Wind reißend schnell von dannen; als wir die Insel aus dem Gesicht verloren hatten, ging es langsamer vorwärts, ja, bisweilen hemmten Gegenströmung und Gegenwind dermaßen die Fahrt, daß wir uns nicht von der Stelle zu bewegen schienen. Hier und da geriet das Kanu auch auf eine Sandbank, und wir mußten dann alle aussteigen und helfen, es wieder flott zu machen. Die Ufer, mit hochstämmigen, dicht belaubten Bäumen bewachsen, sind durchschnittlich drei bis vier Kilometer voneinander entfernt, doch wird das Fahrwasser häufig durch Inseln eingeengt, von denen mehrere mit Ölpalmen, Mangroven und Adonsonien bestanden waren. Die Nacht kampierten wir auf einer ziemlich hoch über das Wasser herausragenden Sandbank.

Vor Sonnenaufgang fuhren wir am folgenden Tag wieder ab. Unbedeutende Krümmungen abgerechnet, nimmt der Fluß einen geraden Lauf, immer westlich einige Grad zu Nord. Am linken Ufer guckten überall zwischen dem grünen Laubwald die spitzen, zuckerhutförmigen Dächer von Negerhütten hervor. Das rechte Ufer scheint weniger stark bewohnt zu sein; hier sprangen Affen von Ast zu Ast, und Tausende von bunten Singvögeln erfreuten Auge und Ohr. Auf dem Fluß selbst gab es Wasservögel verschiedener Art; nicht selten streckten Flußpferde ihre dicken Köpfe schnaubend und prustend aus der Flut. Leider befand ich mich nicht in der Verfassung, die reizende Szenerie dieses jungfräulichen Stromes in vollen Zügen zu genießen, denn gleich nach der Abfahrt von Loko hatte ich einen heftigen Fieberanfall, der meine Lebensgeister zu völliger Kraftlosigkeit und Apathie herabdrückte.

Mehrmals sahen wir ein acht bis zehn Fuß langes Krokodil auf einer Sandbank sich sonnen und bei unserer Annäherung ins Wasser untertauchen. Man erzählte mir von der höchst verwegenen Weise, auf welche die Eingeborenen auf das Krokodiljagd machen. Sie schleichen sich nämlich zu dritt oder viert an den ruhenden Saurier heran, einer stößt im richtigen Moment seinen Speer mit aller Kraft durch den Schwanz des Tieres hindurch in den Boden; wütend kreist das festgenagelte Ungetüm um sich selbst, bis die Gefährten des kühnen Angreifers herbeieilen und es mit Keulen- und Axtschlägen töten. Das Fleisch, obwohl stark nach Moschus riechend, wird von den Negern gegessen, und auch die Eier des Krokodils, die ungefähr die Größe eines Gänseeis haben, gelten bei ihnen als Leckerbissen.

Es begegneten uns an dem Tag viele Kanus, beladene und unbeladene, die zu einem Uferdorf zu Markt fuhren oder von dort herkamen. In den meisten unterhielten die Leute ein kleines Feuer, bloß zu dem Zweck, um ihre Tabakspfeifen mit großem messingenen Kopf, aus denen sie fast beständig rauchten, immer neu in Brand zu setzen, und in keinem fehlte ein Topf mit Bum (im Norden Busa oder Merissa), dem berauschenden Lieblingsgetränk der Neger. Unser Bootsmann ließ kaum ein Kanu vorüber, ohne eine Weile zu halten und mit seinen schwarzen Kameraden zu rauchen und zu schwatzen. Nachmittags um vier Uhr traf er einen Freund, einen Koto-Neger aus dem in der Nähe am linken Ufer liegenden Ort Amara. Mit ihm hatte er besonders viel zu verhandeln, und ich mußte es geschehen lassen, daß bei Amara angelegt und unsere Tagesfahrt beendet wurde. Der Sultan des Orts lud mich ein, in seiner Wohnung das Abendessen einzunehmen, aber ich war so kraftlos und fieberkrank, daß ich nicht an Land gehen konnte; er schickte mir darauf getrocknete Fische, für welches Geschenk ich mich mit einem Paket Zündhölzchen revanchierte, einem von den tabakrauchenden Negern sehr hochgeschätzten Artikel. Um vor der zudringlichen Neugier der Bewohner Ruhe zu haben, ließ ich abends unser Boot zum Übernachten an das rechte Ufer hinüberrudern.

Das Wasser des Benue hat meist, im Widerschein der bewaldeten Ufer, einen grünlichen Schimmer, ist jedoch in Wirklichkeit farblos, klar und ohne Beigeschmack. An Fischen, die fast alle wohlschmeckend sind und wenig Gräten haben, ist der Fluß außerordentlich reich. Da sie die Hauptnahrung nicht bloß der Ufer- und Inselbewohner, sondern der gesamten Bevölkerung bis weit ins Land hinein ausmachen, wird ihr Fang sehr eifrig und auf mannigfache Art betrieben: mittels strohgeflochtener, mit einer Falltür versehener Körbe, die an geeigneten Stellen unfern vom Ufer ins Wasser gesetzt werden, mit Trichter-, mit Sack- und mit langen Strand-Netzen, mit der Angel oder durch Anspießen der Grundfische. Krebse gibt es auch, doch sah ich sie nirgends feilbieten.

Wir waren morgens gegen sechs Uhr von Amara wieder abgefahren und bekamen um zehn Uhr den etwa fünf Kilometer vom linken Ufer entfernten Gebirgszug Akologo in Sicht. Um drei Uhr nachmittags langten wir bei der Station Imaha an, bis zu der ich das Kanu von Loko gedungen hatte. Quer vor der Stadt streckt sich eine lange Insel im Fluß hin, mit schönem Laubwald bewachsen, der Herden von Pavianen, Meerkatzen und anderen Affenarten zum Aufenthalt dient. Sobald man dem Sultan von Imaha, namens Schimmege, unsere Ankunft gemeldet, schickte er uns einige von seinen Leuten zum Ausladen und Tragen des Gepäcks. Die Hütte, in die wir geführt wurden, starrte jedoch von Schmutz; zudem herrschte ein unerträglicher Leichengeruch darin, denn es war erst vor kurzem ein Toter unter dem Boden verscharrt worden. Als Willkommensgeschenk ließ uns der Sultan eine junge Ziege zustellen.

Die zehntausend Einwohner der Stadt gehören zum Stamm der Koto-Neger, welcher die Gara-Sprache spricht; gegenüber am rechten Ufer hat der Stamm der Akoto seine Wohnsitze. Alle ohne Ausnahme gehen bekleidet, und seltsamerweise liebt es das weibliche Geschlecht, mittels einer feinen Tonerde Gesicht, Brust, Arme, Beine, kurz den ganzen Körper ziegelrot anzustreichen; doch muß die Schminke rar und teuer sein, denn nur die reichen Frauen können, von den ärmeren natürlich aufs höchste beneidet, sich diesen Luxus gestatten.

Am Vormittag des anderen Tages begab ich mich zur Audienz in die Wohnung des Sultans. Diese umfaßt einen sehr weiten quadratischen Raum, in dessen Inneren mehrere länglich viereckige Hütten stehen, während alle übrigen Hütten der Stadt die gewöhnliche runde Form haben. In der größten empfing mich Sultan Schimmege, ein etwa sechzigjähriger Mann von untersetzter, robuster Gestalt, der vollkommen unabhängige Herrscher über Imaha und die dazu gehörigen Dörfer. Von Lokoja aus genügend mit Feuergewehren und Pulver versorgt und durch die Protektion der Engländer zu Ansehen erhoben, gelingt es ihm, den eroberungssüchtigen Pullo gegenüber die Unabhängigkeit seines kleinen Gebietes zu behaupten. Dabei ist er ein tätiger und spekulativer Geschäftsmann; er liefert das Elfenbein aus der ganzen Umgegend nach Lokoja, während er seinen Untertanen aufs strengste verbietet, Elefantenzähne, namentlich größere, zu kaufen oder zu verkaufen, und bezieht für den Erlös europäische Waren von da, die er weiter nach dem Inneren vertreibt. Bis von Rhadames kommen Kaufleute nach Imaha, um mit ihm Geschäfte zu machen. Er war zur Zeit noch Heide, hat sich aber wahrscheinlich inzwischen durch einen Imam, der in der Stadt lebte und bereits großen Einfluß auf ihn zu haben schien, für den Mohammedanismus gewinnen lassen. Ich überreichte ihm das Letzte, was ich zu verschenken hatte, den bis hierher aufbewahrten Tuchburnus, und erhielt als Gegengeschenk eine Flasche Branntwein. Unter den Elefantenzähnen, die er mir zeigte, sah ich die zehn größten, die mir je vorgekommen waren. Gerade den folgenden Tag sollte eine Schiffsladung abgehen, und gern nahm ich sein Anerbieten an, ich möge diese Gelegenheit zur Fahrt nach Lokoja benutzen. Als ich nach beendigter Audienz aus der Empfangshütte wieder heraustrat, standen im Hof etwa zwanzig junge Weiber, die sich den weißen Mann in der Nähe betrachten wollten, vermutlich des Sultans Frauen oder Töchter, denn alle waren mit der kostbaren Schminke rot gefärbt.

Am 27. März gegen Mittag bestiegen wir das Transportschiff Schimmeges. Es war ein wirkliches aus Planken zusammengefügtes Boot, in dem wohl dreißig Menschen Platz finden konnten, schien aber an Altersschwäche zu leiden und machte keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck. Außer einer bedeutenden Partie Elfenbein hatte es auch andere Produkte geladen. Die Schiffsgesellschaft bestand aus fünfzehn Personen, einschließlich von fünf Ruderern oder vielmehr Schauflern, denn statt der Ruder haben die Neger breite Schaufeln, die nicht zwischen Pflöcken auf dem Rand des Fahrzeugs ruhen, sondern aus freier Hand betätigt werden. Vom Strom in westsüdwestlicher Richtung getrieben, fuhr das Boot mindestens doppelt so geschwind wie unser Kanu von Loko. Die Ufer unterhalb Imaha sind weniger dicht bewaldet und auch spärlicher bewohnt; nur selten sah ich einen von den Fischkörben, die bis dahin so häufig waren, im Wasser stehen. Dagegen zeigten sich hier mehr Flußpferde und Krokodile sowie Scharen von Tummlerfischen, die schuhhoch aus dem Wasser springend oft ganze Strecken weit unser Boot umkreisten. Abends wurde auf einer Insel zum Übernachten angelegt. Dabei bemerkte ich erst, daß sich auch zwei Sklaven, eine bejahrte Frau und ein halberwachsener Knabe, auf dem Schiff befanden; man band die Unglücklichen an einem Baum fest, aus Furcht, sie möchten in der Dunkelheit ihren Eigentümern entwischen.

Vor Sonnenaufgang stieß das Boot wieder von der Insel ab, in derselben Richtung und mit gleicher Geschwindigkeit wie am vorigen Tag die Fahrt fortsetzend. Jetzt wurden die Dörfer und Hütten an beiden Ufern wieder zahlreicher, und mehrmals stiegen die Händler aus unserem Schiff ans Land, um mit den Bewohnern, friedlichen Bassa-, Afo-, Koto-, Akoto- oder Igbira-Negern, Geschäfte abzumachen. Auch auf dem Fluß selbst herrschte reges Leben; stromauf und stromab fuhren viele größere und kleinere Boote, die meisten mit bunten Wimpeln beflaggt; fast von jedem wirbelte der Rauch eines offenen Feuers in die Luft, an dem sich die Insassen ihre Pfeifen anzünden oder das Essen kochen oder die gefangenen Fische auf Stangen zum Räuchern aufhängen.

Gerade um zwölf Uhr mittags erreichten wir die Stelle, wo der Benue in den Niger mündet. Schräg gegenüber am rechten Ufer des Niger, dessen Strom hier sehr eingeengt und nur halb so breit wie der Benue ist, ungefähr eine Stunde oberhalb des Zusammenflusses, liegt Lokoja. Ich mußte indes meine Ungeduld, dort anzukommen, noch zügeln, da wir erst an einem in dem Winkel zwischen den beiden Flüssen gelegenen Ort längere Zeit hielten. Die Lage dieses Ortes scheint mir besonders günstig zur Anlage einer europäischen Faktorei, günstiger, auch in strategischer Hinsicht, als die von Lokoja; denn während letzteres bisweilen monatelang durch die angeschwollenen reißenden Fluten des Niger vom jenseitigen Ufer abgeschnitten ist, würde hier der Verkehr mit den produktionsreichen Gebieten Zentralafrikas nie eine Unterbrechung erleiden.

Endlich fuhren wir in den Hafen von Lokoja ein. Der Anblick zweier in Europa gebauter Schiffe gab mir meine ganze Kraft und Elastizität wieder. Bisher hatte ich mich mit Mühe aus der liegenden Stellung aufzurichten vermocht, jetzt sprang ich, als kaum die Spitze unseres Bootes das Ufer berührte, mit einem Satz an Land.

Auf halbem Weg zum Gouvernementshaus kam mir ein schwarzer Diener in europäischer Kleidung entgegen, der mich auf Englisch grüßte, und wenige Schritte hinter ihm der Gouverneur Mr. Fell selbst, begleitet von seinem hier ansässigen Landsmann Mr. Robins. Die Herren reichten mir die Hand zum Willkomm und schüttelten die meinige, als wären wir schon viele Jahre miteinander befreundet; hatten doch auch sie schon seit Jahresfrist keinen Europäer gesehen, und waren sie doch durch meine Ankunft vollständig überrascht worden. Wie sehr wuchs aber erst ihr Erstaunen, als ich auf die Frage, in welcher Zeit ich den Weg von der Küste des Atlantischen Ozeans bis Lokoja zurückgelegt habe, ihnen berichtete, daß ich nicht von Westen, sondern vom Mittelmeer durch die Wüste über Bornu an den Niger vorgedrungen sei. Sie führten mich zum Gouvernementsgebäude, das aus zwei langen einstöckigen, durch ein gemeinsames Strohdach verbundenen Häusern bestand. Zwischen dem Dach und den Wänden war ein fußhoher Raum gelassen, um dem kühlenden Wind freien Durchzug zu eröffnen. Vor der Front wehte von einer hohen Stange herab die britische Flagge, und in einer Lunette mit offener Kehle standen zwei sechspfündige Kanonen, von schwarzen Soldaten bewacht, die zu einem aus Westindien hierher kommandierten kleinen Detachement gehörten. Das eine der beiden Häuser wurde mir und meinen Leuten als Gastwohnung eingeräumt.

Auf wiederholte Anregung der Westafrikanischen Kompagnie, welche die Wichtigkeit dieses Punktes für den Handel nach Innerafrika erkannt hatte, beschloß die englische Regierung im Jahre 1865, eine ständige Niger-Mission in Lokoja zu etablieren. Sie erkaufte von Massaban, dem König von Nyfe, die Erlaubnis, eine Handelsfaktorei errichten und zum Schutz derselben eine Garnison von fünfzig Negersoldaten halten zu dürfen. Herr des Gebiets blieb jedoch der König. Die Engländer müssen durch häufige Geschenke an König Massaban sich die fortdauernde Gunst des Landesherrn sichern.

Der Export von afrikanischem Elfenbein beginnt die Richtung nach der Westküste zu nehmen. Für diese Richtung gewährt nun die Handelsfaktorei Lokoja den wesentlichsten Stützpunkt. Von Keffi Abd-es-Senga gehen jetzt die Elfenbeintransporte nach Egga, dort wird die Ware von Agenten der Engländer in Empfang genommen und dann zu Wasser in das Hauptdepot befördert. Einen bedeutend größeren Umfang aber könnten die Transporte nach Südwesten erreichen, wenn der Benue in seinem oberen Lauf von Adamaua an der freien, ungehinderten Schiffahrt offenstände. Der Zentner Elfenbein kostet bis Lokoja nominell zweihunderttausend Muscheln (fünfzig Mariatheresientaler), allein da die Engländer meist importierte Waren als Zahlung geben, so kommt ihnen in Wirklichkeit der Zentner nicht höher als auf hunderttausend Muscheln zu stehen. Die gängigsten der als Tauschmittel verwendeten Waren sind: deutscher, holländischer und amerikanischer Branntwein, Pulver, Schießgewehre, Glasperlen, Korallen und verschiedene Sorten von Geweben. Außer Elfenbein hat man in jüngster Zeit auch angefangen, in Nyfe angebaute Baumwolle zu exportieren, bis jetzt allerdings nur geringe Quantitäten, doch unterliegt es bei der außerordentlichen Ergiebigkeit des Bodens keinem Zweifel, daß nicht nur Baumwolle, sondern auch Getreide, Indigo und Tabak in großer Menge und vorzüglicher Güte für den Export angebaut werden könnten. Um die Produktion und den Handel zu beleben, müßte vor allen Dingen eine direkte, rasche und sichere Verbindung mit der Küste hergestellt werden. Das Einfachste wäre regelmäßige Befahrung des unteren Niger mit Dampfschiffen; läßt sich aber eine solche zur Zeit noch nicht ermöglichen, so ist wenigstens für einen sichern Landweg durch die Joruba-Länder zu sorgen, was bei dem friedlichen Charakter der dort wohnenden Negerstämme, vorausgesetzt, daß der Gouverneur von Lagos mit richtiger Einsicht in die Verhältnisse zu Werk geht, nicht allzu große Schwierigkeiten bieten würde.

Binnen der zwei Jahre von 1865 bis 1867 war die Bevölkerung des Orts durch Zuzug von Eingeborenen von einigen hundert auf zweitausend Seelen angewachsen. Gleichzeitig mit der Faktorei hatte der Bischof der englischen Hochkirche eine Mission zur Einführung des Christentums unter den Negern gegründet, und schon zählte die Christengemeinde hundertfünfzig Mitglieder. Ich wohnte dem sonntäglichen Gottesdienst bei, der, nach englischem Ritus abgehalten, einen recht erbaulichen Eindruck machte und nur zu lange, nämlich volle vier Stunden, währte, weil der Missionar, ein in Sierra Leone ordinierter Neger namens Jonston, erst in englischer und dann in der Haussa-Sprache predigte. Vortrefflich hörte sich der Choralgesang der schwarzen Gemeinde an, wie ja bekanntlich die Neger viel Sinn für Musik haben und eine vorgespielte Melodie leicht nach dem Gehör erfassen. Nach beendigtem Gottesdienst empfing mein Negerknabe Noël durch den Missionsprediger die christliche Taufe, wobei Mr. Fell und die Frau des Schulmeisters, eine getaufte Negerin, die Patenschaft vertraten.

Meine beiden Gastfreunde waren um die Wette bemüht, mir die Tage, die ich bei ihnen verlebte, so angenehm wie möglich zu machen. Den Abend brachten wir gewöhnlich unter der offenen Veranda des Robinsschen Hauses zu, das ganz aus Eisen erbaut und komfortabler eingerichtet war als die Gouverneurswohnung. Dort fanden sich auch der Missionar und der Schulmeister ein. Mr. Jonston, ein äußerst gemütlicher und für seinen Beruf tüchtig gebildeter Mann, hatte die sonderbare Gewohnheit, bei der ernsthaftesten Unterhaltung in helles Lachen auszubrechen, was er in Gesellschaft von Weißen für eine Pflicht des Anstands hielt. Er klagte mir, daß seinem christlich apostolischen Werk das immer weitere Vordringen des Islam vielfach Abbruch tue und daß leider die englische Regierung, auch wo es ganz in ihrer Macht stehe, dem Mohammedanismus nicht hindernd entgegentrete, seinen Fortschritten vielmehr eher noch Vorschub leiste. Äußerlich gewandter und mehr mit europäischer Sitte vertraut war der Schulmeister, zwar ebenfalls ein Neger, der aber einige Jahre in den Küstenstädten unter Europäern gelebt hatte. Die Pausen zwischen dem Gespräch wurden durch Musik ausgefüllt, indem die Herren abwechselnd auf einem in der Veranda stehenden Harmonium spielten oder den Gesang deutscher, englischer und französischer Lieder begleiteten. Wenn dann ab und zu ein Blitzstrahl die Dunkelheit draußen erhellte, sah man auf dem freien Platz vor dem Haus die Diener mit anderen von der Musik angelockten Schwarzen sich im Tanze drehen und in der Ferne den Niger und Benue ihre vereinigten Fluten dahinwälzen.

Ein Hauptthema unserer Unterredungen bildete von Anfang an die Beratschlagung über den Weg, den ich nehmen müsse, um an die Küste zu gelangen. Mein Plan war gewesen, mit einem Boot von Lokoja den Niger bis zur Einmündung des Nun hinabzufahren, wo nach den Kartenangaben die englische Station Palm-Port liegen soll; von da, meinte ich, würden mir die dort ansässigen Europäer bei der Weiterfahrt behilflich sein. Mr. Fell belehrte mich aber, daß es eine Niederlassung Palm-Port an der Nun-Mündung nicht gebe und daß ich mit meinem Boot unfehlbar einem der wilden, raub- und mordsüchtigen Negerstämme, die in den Gegenden am unteren Niger hausen, in die Hände fallen würde; ebenso gefahrvoll und ungangbar sei der Landweg über den Berg Patte direkt nach Westen, seit mehreren Monaten schon hätten selbst von den in seinem Dienst stehenden Botenläufern keiner sich zur Küste durchschlagen können. Wiederholt redete er mir daher zu, ich möchte bei ihm bleiben, bis nach beendeter Hochwasserzeit, also in fünf bis sechs Monaten, das Dampfschiff von Lagos heraufkäme. Da ich indes auf meinem Entschluß, die Reise fortzusetzen, beharrte, machte er mir den Vorschlag, mit Geschenken für den König von Nyfe den Niger stromauf nach Rabba zu fahren und von da südwestlich durch das Joruba-Gebiet gehend die Küste zu erreichen. Die bezeichnete Route war freilich ein bedeutender Umweg, doch schien einerseits in der Tat eine direktere Linie weder zu Wasser noch zu Land passierbar, andererseits gereichte es mir auch zur Befriedigung, dem gastfreundlichen Gouverneur einen Dienst erweisen zu können; er hätte sonst nämlich selbst die Reise nach Rabba unternehmen und die Geschenke an König Massaban in Person überbringen müssen. So ging ich denn ohne langes Besinnen auf den Vorschlag ein.

Jetzt beschäftigten sich die Herren aufs angelegentlichste mit der Sorge für meine Ausrüstung zur Reise. Sie mieteten das Boot, auf dem ich von Imaha gekommen war, für die Nigerfahrt bis Egga, ließen es ausbessern und mit sechs Ruderern bemannen. Den für Massaban bestimmten Waren, roter Samt, seidene Tücher, Korallen, Glasperlen usw. fügten sie eine Menge anderer bei, damit ich mir durch Geschenke an die Häuptlinge in den noch zu durchreisenden Gebieten deren Freundschaft und gute Aufnahme erkaufen könne. Desgleichen verproviantierte man mich reichlich mit Lebensmitteln und ergänzte auch meinen zu Ende gehenden Vorrat an Chinin. Zwei beim Gouvernement angestellte Dolmetscher wurden mir beigegeben, einer für Nyfe und einer für die Joruba-Länder. Meine beiden Diener Hammed und Noël erhielten an einem getauften, etwas englisch redenden jungen Neger namens Tom einen neuen Kameraden.

Bis zum 2. April waren alle die fürsorglichen Reisevorkehrungen beendet. Am Morgen dieses Tages versammelten wir uns noch einmal in Mr. Robins' Veranda zum gemeinsamen Frühstück; dann begleitete man mich ans Ufer, wo das Boot zur Abfahrt bereit lag und die halbe Einwohnerschaft von Lokoja sich als Zuschauer eingefunden hatte. Als ich das Boot bestieg, wurde die englische Flagge aufgehißt, und gleichzeitig donnerten neun Salutschüsse aus den Kanonen vor dem Gouvernementsgebäude. Ich tauschte mit den zurückbleibenden Freunden die letzten Abschiedsgrüße. Es sollte leider ein Abschied auf Nimmerwiedersehen sein; bald nach meiner Ankunft in Europa ging mir die betrübende Nachricht zu, daß Mr. Fell bei der Abwehr eines Angriffs feindlicher Neger seinen Tod gefunden und daß um dieselbe Zeit Mr. Robins infolge der geringen Widerstandsfähigkeit seiner Körperkonstitution einer klimatischen Krankheit erlegen war.


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