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Verfasser und Verfasserin auf der Heimreise.

24. Heimfahrt.

Die Zeit fliesst hin wie lauter Sommersonn- und Feiertage. Wir schlendern planlos in den Tag hinein, geben es dem Zufall anheim, ob er uns etwas erleben lässt oder nicht, spazieren auf dem blanken Deck hierhin und dorthin, sehen über die Reeling auf das ewig schöne Meer, holen uns ein Buch aus der Schiffsbibliothek, lesen ein wenig oder gleich einen halben Band, schreiben Erinnerungen nieder oder einen Brief in die Heimath, legen uns auf den langen Rohrstuhl und blicken dem blauen Cigarrenrauche nach, essen und trinken gute Sachen, baden, träumen und schlafen wie ein Baum.

Bedeutende Ereignisse können wir in unserem auf den Fluthen schwimmenden Reiche nicht erwarten. Zwar sind wir nicht so ausser aller Welt wie seiner Zeit auf dem indischen Ocean. Mit uns und gegen uns ziehen viele Dampfer auf der Meeresstrasse. Von Zeit zu Zeit erblicken wir in zarten Dunst gehüllte bergerfüllte Küstenländer, ein Stückchen Riviera, ein Streifchen Frankreich, ein spanisches Kap, ja wir sehen zuweilen weisse Häuser einzeln und zu Städtchen zusammengeballt in dem Graugrün des Landes liegen, und wenn wir recht nahe an den Küstenlinien steuern selbst helle und dunkle Menschenstriche wandeln, aber alles liegt fern und lautlos, fast nur wie ein Gemälde.

So ein sonnig heiterer Sommersonntag ist auch heute trotz Dienstag auf dem Schiff. Die trotzigen Felsmassen Gibraltars, die Marokkoküste sind hinter uns im weissen Dunst verschwunden, vor uns liegt ein neuer Ocean, die ungeheure Wassertafel, die bis an die ferne neue Welt heranreicht. Obgleich wir noch nach Westen dampfen, liegt unser Ziel nicht in dieser Richtung, wir machen nur noch eine Spazierfahrt um Europa herum, um dann von Bremerhaven in kurzer Eisenbahnfahrt das freundliche Hannover wieder zu erreichen.

Unser Schiff ist der schmucke weisse Dampfer »Prinz Heinrich« vom Norddeutschen Lloyd, noch immer ein flinkes Fahrzeug, das tagtäglich seine 330 Seemeilen und auch wohl mehr läuft. Ein wenig soll es an Geschwindigkeit eingebüsst haben, nachdem es sich neulich mit einem chinesischen Teifun wacker herumgeschlagen hat. Uns persönlich berührt es wenig, ob wir ein paar Meilen täglich mehr oder weniger zurücklegen, denn wir sind auf dem Dampfer gut geborgen und etwa einen Tag länger auf ihm zu bleiben als man ausgerechnet hat ist uns durchaus nicht schrecklich. Sehr angenehm empfinden wir es, dass die erste Klasse mitschiffs liegt, also beim Stampfen des Dampfers nahe dem ruhenden Drehpunkte. Die Kabinen sind ziemlich geräumig, mit breiten Betten, Schrank, Kommode, zwei Waschtischen und Sofa ausgestattet. Das Aussenfenster ist erfreulich gross, Fensterklappen und Gitter an den oberen Wänden sorgen weiter für guten Luftzug. Allerdings giebt es auch minder angenehme Schlafzimmer in der Abtheilung der ersten Klasse, dunkle Innencabinen ohne Fenster nach aussen. Die Räume auf Deck sind schön und luftig, da finden wir einen grossen kuppelgeschmückten Salon, in dem bequem an sechzig Personen speisen können, ein hübsches spiegelreiches Damenzimmer, eine blitzend blanke Anrichte und ein elegantes holzgetäfeltes Kneiplokal. Oberster Herrscher im Reiche ist Kapitän Supmer, eine stattlich hohe und breite Seemannsgestalt. Sein freundliches, gesund geröthetes Gesicht wird von einem langen weissen Barte eingefasst, der ihm ein besonders ehrwürdiges Aussehen giebt. Im Reiche der Mitte, wo der Bartwuchs spät und dann auch noch spärlich gedeiht, taxiren die Leute den wohlbekannten Lloydkapitän auf etliches über 200 Jahre. Er erfreut sich bei den grossen und nicht minder bei den kleinen Passagieren der weitgehendsten Beliebtheit, wie ihm das an seinem Wiegenfeste, das wir bei Suez feierten, reichlich bewiesen ist. Gleich ihm sorgen auch die übrigen Offiziere nach Kräften für die größtmögliche Bequemlichkeit der Reisenden, wie es ja rühmlichst bekannt ist, dass man auf den Schiffen des Norddeutschen Loyd so vortrefflich wie nur wünschenswerth versorgt ist. Das drückt sich in der Passagierzahl natürlich bald aus. Es ist nicht uninteressant den hervorragenden Antheil zu erfahren, den der Norddeutsche Lloyd z. B. an der Verschiffung der Reisenden nach New York nimmt. Nach der Zusammenstellung über das Jahr 1898 ist er hierbei mit 71 118 Personen betheiligt. Die auf ihn folgenden Gesellschaften, Cunard-Linie und Hamburg-Amerika-Linie, nehmen mit 37 157 und 32 731 Reisenden Theil.

Abgesehen von den selbstverständlich engeren Räumlichkeiten lebt man auf dem »Prinz Heinrich« thatsächlich wie in einem erstklassigen Hotel. Vielleicht interessirt es die Leserin oder den Leser, der noch nicht selbst Wochen auf einem schwimmenden Lloydpalaste verbracht hat, einiges über unser Tagewerk zu erfahren.

Natürlich schläft ein jeder so lang er will und kann. Gemeiniglich legen aber Langschläfer ihre Untugend auf dem Schiffe ab und stehen mit der Sonne auf, wenigstens in heissen Gegenden. Meist kann man gegen 7 alles auf den Beinen sehen. Auch wir haben dann bereits unser Bad hinter uns und sitzen bei einer Tasse Kaffee oder Thee. Wer aber etwa dennoch im Bette liegt wird um 7½ Uhr durch das bekannte, militärische Wecksignal gefragt: »Hast Du denn noch immer nicht genug geschlafen?«, denn alle Aufforderungen »zu Tisch« geschehen mit lustigem Trompetenschall. Da klingt denn pünklich um 8 Uhr die Weise durch das Schiff: »Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht.« Zuweilen hörts sich allerdings wie Hohn und Spott an für die Ärmsten, die der Seekrankheit ihr Opfer bringen und deren Lebensfreude genau alles zu wünschen übrig lässt. Heute aber zieht das Schiff ohne Schwanken seinen Weg, und die lange Tafel und kleinen Tischchen im Esssaal sind lückenlos besetzt. Was giebt es denn zu essen? Speisekarte! Es ist zum Frühstück zu haben Hafergrütze, Milchreis, Hummercotelettes, Bratfisch, Hammelcotelettes, Beefsteak, Kalbsgrenadins mit Erbsen, Wiener Schnitzel, Beefsteak mit Hindernissen, Fricadellen, Gebratener Schinken und Speck, Pfannkuchen, Eier nach Wunsch, Eier à la turque, Rührei mit Morcheln, Eierkuchen mit Marmelade, Cacao, Thee, Kaffee, Chocolade, Sahne, frische Milch, kaltes Roastbeef, Mettwurst, Käse, Früchte. Ich denke das genügt zum Aussuchen und nach verschiedentlichem Zulangen auch zur Befriedigung des prächtigsten Seehungers.

Jetzt empfiehlt es sich, einen kleinen Morgenspaziergang zu machen. Also einige Mal um das Deck herum! Dann suchen wir ein stilles Plätzchen im Salon, in dem nun nichts mehr an den Morgenimbiss erinnert, wo bereits wieder gestickte gelbe Decken die Tische zieren, und wo frische Luft durch die Fenster zieht. Wir könnten es ja ein wenig mit regelrechter Arbeit versuchen, die doch in der Morgenfrische verhältnissmässig am besten von der Hand gehen muss. Es geht ja, aber nur sehr verhältnissmässig. Alle Leute sehen ein, dass ein Schiff für geistige Arbeiten nicht der richtige Ort ist. Woran das liegt ist nicht recht klar, an mangelnder Bequemlichkeit in unserem Falle gewiss doch nicht. Ein gut Theil Schuld hat sicherlich das schöne Wetter, der Sonnenschein, der durch die Glaskuppel des Saales bricht, und der uns ja auch zu Hause oft vom Schreibtisch in die freie Weite lockt, die Feiertagsstimmung, die unwillkürlich jeden ergreift, der bei schönem Wetter das Bummelleben auf dem Schiffe angefangen hat zu kosten. Aber weiter (so muss man aufrichtigerweise und leider gestehen) ist eine deutliche Herabstimmung der geistigen Energie mit im Spiele. Macht es das tägliche und nächtliche nie verstummende Sausen, Schäumen, Brausen an den Schiffsseiten, das dumpfe Dröhnen und Schlagen der Maschine, das Ächzen der Balken, das Wiegen auf den Wogen? Alles zusammen scheint uns ein wenig zu hypnotisiren, die Arbeitsfreudigkeit herabzudrücken und den natürlichen Hang zum Faullenzen merklich zu verstärken.

Es findet sich nun an diesem wie an jedem Morgen auch bald ein Grund zum Aufhören, denn jetzt gegen 11 Uhr gehts gerade los mit Taradabumdera! Die Kapelle legt sich mit Militärmusik ins Zeug, dass das Deck wackelt und die Kinder vor Entzücken hüpfen. Der Lloyd hält auf jedem grossen Dampfer eine Anzahl Kellner, die sich auf Musik verstehen. Ihre lustigen Weisen morgens und abends auf der Promenade und ihre zartere und dann wirklich ganz gute Musik beim Abendessen sorgen nicht zum wenigsten für Erheiterung des Gemüths. Sonntags in der Frühe klingt es auch zur Erbauung, denn dann tönt feierlich ein Choral durchs Schiff.

Also zur Morgenmusik aufs Deck hinaus! Zum musikalischen Genuss gesellt sich eine kleine leibliche Stärkung in Gestalt eines Tässchens Kraftbrühe und zierlicher Butterbrödchen mit Sardellen, Kaviar, Zunge oder was sonst etwa von leiser Seekrankheit heruntergekommene Geschmacksnerven reizen kann. Es schmeckt in der That schon wieder, und unglaublicherweise haben wir um 1 Uhr gleichfalls Hunger und begeben uns zum »Tiffin«. Hier die Speisekarte des heutigen Tages. Griessuppe, Kraftbrühe in Tassen, Kaiserschnitzel, Limabohnen, Bratkartoffeln, Kükenbraten, Pflaumen-Compot, Englischer Kuchen, Obst, Kaffee. Dazu aber noch einzuschaltende kalte Speisen nach Wunsch: Spargel- und Kartoffelsalat, marinirte Häringe, Sardinen, Schinken, Mettwurst, Ochsenzunge, Roastbeef, Strassburger Geflügelpastete, Radieschen, Gorgonzola, Schweizer und Edamer Käse. Dabei giebt es Bier vom Fass, das Bier vom Fass, von dem ganz Ostasien spricht. Weil Speise und Trank vortrefflich sind, jeder Tisch im kühlen Luftstrome einer Punka steht, ist mithin nichts zu wünschen übrig. Und so sagen wir in der guten Stimmung, die jeden guten Menschen nach gutem Mahl befällt, gesegnete Mahlzeit und ziehen uns mit einem Buche und einer Cigarre auf den Singapurstuhl oder wenn es nicht zu warm ist in die Kabine (dann aber vorschriftsmässig ohne Cigarre) zurück.

Erscheinen wir gegen vier an Deck, erquickt durch ein zweites Bad, gestärkt durch ein Tässchen Kaffee oder Thee, dann können wir die schöne Zeit gemessen, in der die Sonne sich dem fernen, farbenreichen Kuppelrande zuneigt. Das sind wieder einige Stunden, die man sicher nicht besser als mit Schauen, Plaudern, Rauchen, Wandeln hinbringt. Um ½7 klingt wieder ein lustiges Esssignal durchs Schiff und wiederholt sich nach einer halben Stunde. Inzwischen haben Damen und Herren Toilette gemacht, und wie zu einer Festlichkeit versammelt sitzt die Fahrtgesellschaft bei Tische. Da niemand bei dem Überfluss an Zeit, den man bei langen Schifffahrten hat, durch das Umkleiden belästigt wird, weiterhin auch durch die schwingenden Riesenfächer der Punkas über den Tischen für kühlende Luft gesorgt wird, der Gesellschaftsanzug also nicht lästig fällt, so ist die Sitte, festlich gekleidet zu erscheinen, durchaus zu loben. Aus jeder Abendmahlzeit wird eine kleine Feier. Esssaal und Treppenhaus strahlen im elektrischen Lichte, das natürlich überall im Schiff gebraucht wird, die Musikanten spielen die erste Nummer des Concertprogramms, und alles ist in vortrefflicher Stimmung unter dem Präsidium von Papa Supmer.

Da wir uns nun ein Mal in das Reich des Speisezettels gewagt haben, will ich der Leserin auch das heutige Abendessen vorführen. Ochsenschwanzsuppe, Bouillon, Eissoles à la Montglas, Roastbeef à la jardinière, Salade à l'italienne, Capaunenbraten, Birnen, Selleriesalat, Stangenspargel, Holländische Sauce, Pudding à la Gasgard, Himbeersauce, Fürst Pückler Eis, Makronen, Butter, Käse, Obst, Nachtisch, Kaffee. Jeder wird aus diesem Programme die Gewissheit schöpfen, dass er bei einer zukünftigen Lloydfahrt auch abends nicht zu darben braucht. Für die Liebhaber guter Tropfen sei noch versichert, dass die Weine gut und obendrein recht billig sind. Also! auf in fremde Lande mit dem Norddeutschen Lloyd! Wir können, ohne Aktienbesitzer dieser Gesellschaft zu sein, jedem die Benutzung ihrer reinlichen, eleganten Dampfer, auf denen für das Behagen der Reisenden das Möglichste gethan wird, nur empfehlen. In Ostasien erfreut sich, wie wohl überall in der Welt, der Norddeutsche Lloyd des allerbesten Rufes, und der Zudrang zu seinen Schiffen ist demgemäss sehr bedeutend, so gross, dass man gut thut, sich frühzeitig nach Platz umzusehen.

Damit soll nun nicht gesagt sein, dass nicht noch Einiges auf unserm Schiff verbesserungsfähig sei. Z. B. würden wir ein Kinderzimmer für höchst angebracht halten. Wir haben 31 kleine Menschen an Bord, und da wir wie in einem grossen Hause leben, kann jeder sich ausmalen, was die stattliche, sehr muntere Schaar in dem Haushalt bedeutet. Man denke nur, man hätte diese 31 ein Mal 6 Wochen im eigenen Heim. Es ist zwar zu Zeiten sehr possirlich, den Schwarm der Kinder tosen zu sehen, wie sie sich, trotzdem die einen deutsch, andere holländisch, malayisch, englisch sprechen, mit einander vortrefflich, wenn nöthig handgreiflich verständigen. Eine kleine Schweizerin, die trotz ihrer nur sieben Jahre in Sumatra schon alle die erwähnten Sprachen erlernt hat, hilft dolmetschen. Ein Hauptspass ist es für die Schaar hinter dem Signaltrompeter herzutraben, andächtig vor dem Blaseinstrument zu stehen und den gewaltigen Tönen zu lauschen. Sehr niedlich machten sich die kleinen Reisenden auch am Geburtstagsfeste unseres Kapitäns, dem sie, festlich angezogen und mit Schärpen geschmückt, abends auf dem illuminirten Deck einen famosen Lampionfackelzug brachten, und noch netter fast als lebendes Bild, das zu Ehren des kinderlieben, alten Herrn gestellt wurde, wobei ein hervorragend langer Passagier mit angeklebtem, mächtigen Barte das Geburtstagskind täuschend ähnlich vorstellte. Unbezahlbar drollig ist die grosse Abfütterung der Kinder, die immer ½ Stunde vor unseren Mahlzeiten im Esssaal stattfindet, wo dann die Mütter, Kinderfräulein und einige malayische Wärterinnen die quirlige Schaar in Zucht zu halten suchen.

Man sieht, wir sind keine Feinde der kleinen Gäste. Nichtsdestoweniger wäre es, trotz aller spassigen Scenen, die man so beobachten kann, doch wohl besser, wenn die Horde im Aufenthaltsorte beschränkt würde, damit der ihr natürlich zuzubilligende Radau sich nicht über das ganze Deck verbreitet, man auf den Treppen sich nicht davor vorzusehen braucht, herumkriechenden kleinen Menschen auf die Fingerchen zu treten und damit auch die schöne Einrichtung des Esssaales und des Damenzimmers etwas mehr geschont wird.

Da wir nun grade beim Nörgeln sind, wollen wir unsere Schmerzen auch gleich ganz auskramen und noch etwas in Güte vorschlagen. Wir haben nämlich weiter einen kleinen Wunsch, und der bezieht sich auf die so hübsch mit Bildern ausgestattete Speisekarte, somit auf etwas, was man bei einer sechswöchentlichen Reise immerhin an 150 Mal zu Gesicht bekommt. Noch ein Bischen mehr deutsch, meine Herren Küchenvorsteher! Die Speisekarte ist doch dazu da, dass man sich im Voraus darüber aufklären kann, was es zu essen giebt. Gelegentlich wird das dem Reisenden, wenn er nicht gerade französischer Koch sein sollte, aber recht schwer gemacht. Könnte man nicht für gâteau auch Kuchen sagen, Sauerbraten für vinaigrette u. s. w.? Weshalb auf einem deutschen Schiffe Steward statt Kellner und die deutsch-englische Missbildung Obersteward statt Oberkellner oder Verwalter?

Wir sind auf dem Dampfer ein wahres Völkergemisch. Da giebt es deutsche, holländische und schweizer Pflanzer aus Java und Sumatra, deutsche Kaufleute aus China, Italiener, Ungarn, Russen, Amerikaner, Engländer, einen Pascha u. s. w. Alles in allem vertragen sich die verschiedenen Nationen vortrefflich, wie es am besten gemeinsame Feste erweisen, die wir z. B. am Geburtstage unseres Kapitäns und an dem der jungen Königin von Holland feierten. Dann wurde eine Deckseite zum Ballsaal eingerichtet und mit Nationalflaggen, Lampions und zahllosen bunten elektrischen Lampen sehr malerisch ausgestattet, eine gemeinsame Bowle getrunken und leidlich flott getanzt. Da das Schiff einen doppelten Boden mit Wasserfüllung besitzt, lässt sich durch Vertheilen des Wasserballastes die betreffende Deckseite leicht wagerecht stellen und zu einem geeigneten Tanzplatz umgestalten.

An gewöhnlichen Abenden ist um 12 Uhr Polizeistunde, d. h. es wird nichts mehr verzapft. Die langen Stühle werden zusammengestellt, die Beleuchtung wird eingeschränkt. Damit aber niemand hungrig zu Bett geht, wird gegen ½11 Uhr nochmals Butterbrot herumgereicht. Und nun in das Bett oder wenn es, wie im Rothen Meer, zu warm dafür ist, auf den Singapurstuhl zum Schlafen ausgestreckt.

In dieser Lebensweise haben wir nun schon vier Wochen auf dem »Prinz Heinrich« verlebt, und eine wird noch hinzu kommen ehe wir Abschied von dem gemüthlichen Schiffe nehmen, das uns so angenehm von Singapur bis hierher zu den Säulen des Herkules getragen hat. Auf der Hinfahrt ins Land der Insulinde hatten wir den einsamen Weg von Perim unmittelbar nach Sumatra genommen und 14 Tage keine anderen Lebewesen der Aussenwelt gesehen als Heerden fliegender Fische, die in Schaaren wie entsetzt aus dem Wasser schnellten, um dem dräuenden Schiffsungeheuer zu entgehen. Der »Prinz Heinrich« legte hingegen wie alle Lloydschiffe, die nach Ostasien oder Australien fahren, auch Colombo an und verschaffte uns so eine angenehme Unterbrechung der gleichmässigen Meeresfahrt. Zwar wirkt der flache Ceylonstrand nicht grade sehr malerisch. Die Tropenvegetation bot für uns, die wir aus der Pflanzenfülle Niederländisch-Indiens kamen, nichts wesentlich Neues, aber anderseits interessirten uns recht sehr das bunte Gemisch der Völkerschaften, die hübschen Gestalten der braunen Männer und Frauen, ein kleiner Hindutempel und die schönen Waaren der zahlreichen Kaufläden. Charakteristisch ausser Metallwaaren und Holzschnitzereien sind hier besonders Edelsteine. Wer sich nicht auf diese Sachen versteht kann in Colombo leicht grossartige Diamanten aus Quarz und köstliche Rubine aus Glas für schweres Geld erstehen. Da ich Steine leidlich kenne, habe ich einige echte edle erstanden, von min der werthigen aber auch recht hübschen Sachen liebliche »Mondsteine«, d. s. rundlich geschliffene Feldspathe, die einen prächtigen, wogenden Lichtschein besitzen, sowie hübsche australische Opale.

Vielleicht noch mehr als auf Ceylon heisst es in Aden bei Einkäufen aufpassen. Da unser Schiff, das vor Singapur auch Hongkong berührt hatte, pestverdächtig war, wurde der Verkehr zwischen uns und den Händlern, die in zahlreichen Booten den Dampfer belagerten, hier erst eröffnet als ein englischer Arzt sich von unserem vortrefflichen Gesundheitszustande überzeugt hatte. Dann stürzte die Händlerhorde ins Schiff, schwarze Somalileute, z. Th. mit durch Kalkbehandlung blond gefärbtem Haar, und vor allem eine Anzahl von Kindern Israels. Man konnte allerlei hübsche Sachen erstehen, Antilopen- und Gazellengehörne aus Afrika, Haifischgebisse, Sägefischwaffen, Korbgeflechte, Strausseneier, Straussenfedern und Boas. Ein leider öfter gelungener Kniff der betrügerischen Händler ist es, in dem Augenblicke, in dem der Käufer Geld hervorholt und seine Aufmerksamkeit von der Waare abgelenkt ist, diese gegen ganz minderwerthige ähnliche zu vertauschen und dann zu verschwinden. Leider hat nur ein Mal einer der Hallunken auf der Stelle mit einer kräftig schallenden Ohrfeige von deutscher Hand seinen Lohn bekommen. Um 6 Uhr wurde die ganze Bande vom Schiff entfernt, und bald nachher dampfte der Prinz Heinrich aus Sicht der Felsenwüste von Aden in die Gluth des Rothen Meeres.

Es wurde ungemüthlich warm. Als höchste Temperatur im Schatten massen wir 32 °C. Das ist zwar nicht arg viel und kann man in Berlin ja auch erleben; doch drückte uns die Ständigkeit der hohen Wärme schliesslich etwas nieder. Unerträglich fast war es nachts in der Kabine. Sobald der Wind ungünstig stand und die zum Fenster hinaus gesteckten grossen Kajüten-Blechohren keinen Zug in den kleinen Raum mehr hineinsandten, war es nicht zum Aushalten. Man wachte wohl ein Dutzend Mal in Schweiss gebadet auf. Da giebt es nur das Mittel, sich auf Deck zu lagern, was dann auch vielfach geschah.

Leider machte sich die immerfort herrschende Kabinenhitze sehr ungünstig bei einigen Kranken fühlbar. Als wir in einer Nacht noch spät auf den Stühlen im Luftzuge des Vorderschiffes lagen, hörten wir den Zimmermann mit Sägen beschäftigt. Er fertigte den Sarg für eine dem Fieber erlegene Frau an. Am anderen Morgen fand das Begräbniss statt. Ein englischer Prediger las einen Psalm. Dann setzte die Musik mit einem Choral ein, das Schiff hielt eine kleine Weile, und der durchlöcherte Kasten wurde von vier Matrosen die Falltreppe hinunter getragen und glitt in die blaue Fluth hinab. Ein Begräbniss auf fernem Meere unter blauem Himmel, in seiner stillen Einfachheit so feierlich wie je eins auf dem Lande.

Trotz vieler Unbequemlichkeiten wird das Rothe Meer bei jedem Naturfreund sicherlich einen ausserordentlichen Eindruck hinterlassen. Wer liebliche Bilder verlangt, kommt zwar nicht auf seine Rechnung. Wer aber jeden Erdenfleck in seiner Stellung als Theil des Ganzen betrachtet und nicht sogenannte schöne sondern charakteristische Scenerien kennen lernen will, der darf das Rothe Meer in seinen Wanderjahren nicht auslassen. Er wird dann die steinerne Wüste nicht wie einige unserer Gefährten mit einem kurzen Blick vom Skattisch und den Worten »öde Jejend« abfertigen, sondern im Anschauen der Felsgebilde sehr bald herrliche Farbenzusammenstellungen und eigenartige Landschaftsformen bewundern. Da erheben sich aus dem strahlenden Ultramarin des weissgetüpfelten Meeres die Abstürze vieler gewaltiger Felsmauern, schön geschwungene, lange Bergzuglinien, dreieckig sich heraushebende Kratersilhouetten; kein Pflanzengrün verdeckt das rauhe Gestein, das in der strahlenden Sonne in grossen Flächen goldgelb, braun und braunroth leuchtet oder in schwarzen Massen sich gegen den blauen Himmel abhebt. Da erscheint in dem beiläufig gesagt trotz seiner vielen gefährlichen Stellen sehr spärlich mit Warnfeuern versehenen Meere mitten in die Fluthen gestellt ein weisser Leuchtthurm mit einigen Häuschen darum, eine Idylle im Meere. Mit Alpenumrissen erhebt sich das Sinaigebirge, die Fahrstrasse wird enger, und schliesslich laufen wir in die schmale Wasserader ein, die Europa und Ostasien einander nahe gebracht hat.

Trotz Wüste und Sand oder grade durch Wüste und Sand hat auch der Suezkanal seine hohen malerischen Schönheiten. Nirgends in den grünen Tropenländern kommen solche wundervollen, brennenden, auf riesigen Flächen anhaltenden Farben in gelben, braunen und violetten Tönen vor wie in der Wüstenscenerie. Von Zeit zu Zeit erfrischt sich das Auge an den hübschen, von Anlagen umgebenen Stationen, die die Landschaft an der Seite des Kanals beleben. Gelegentlich sieht man einen Eisenbahnzug durch die Wüste sausen, Karavanen ziehen ihren Weg, Esel, einige Kühe, Kamele grasen in dem spärlichen Grün, an sumpfigeren Stellen sitzen, wie weisse Felder anzusehen, hunderte von Flamingos, braune Kerle laufen am Ufer um die Wette mit dem langsam dahingleitenden Schiffe, das sie abbetteln wie es bei uns zu Hause wenigstens in den Fliegenden Blättern die Handwerksburschen bei den Sekundärbahnen machen.

Die Fata Morgana zauberte interessante Bilder in die Luft, Inseln und weite Wasserflächen, Boote, und selbst ganz Port Said hob sie schon auf einige 25 Kilometer Entfernung hoch in den Himmel.

Leider wurde es nicht gestattet an Land zu gehen. Wir fuhren unter der gelben Quarantäneflagge. Und so dampften wir denn bald, nachdem Kohlen eingenommen waren, in das Mittelmeer hinaus.

Wieder tauchte die italienische Küste auf, Sicilien mit dem gewaltigen Etna, Messina links, Reggio rechts, dann kurze Meeresfahrt, der Schwarm der liparischen Inseln, der rauchende Stromboli, bis wir schliesslich unter Blitzeszucken und Donnerschlag spät abends in die weite Bucht von Neapel einfuhren, das sich lichterstrahlend aus dem Dunkel heraushob. Wir hatten am folgenden Tage grade Zeit die herrlichen Gefilde von St. Martino aus zu überschauen, in der Villa Nazionale zu schlendern und einige Erinnerungskäufe bei Sommer zu machen. Vom Schiffe aus versenkten wir uns in den Anblick der herrlichen Landschaft, sicher eine der schönsten auf der Erde. Vor allem lenkte sich der Blick auf den dampfenden Vesuv, der sich gegen das Bild, das ich von ihm aus einer früheren Italienfahrt im Gedächtniss hatte, stark verändert zeigte. Ein schwarzer Lavastrom hob sich als mächtiger den Hügel des Observatoriums umschlingender steinerner Fluss aus dem Grün der Weinberge deutlich heraus.

Nachmittags ging es bei strahlendem Sonnenschein eilends weiter, dem Hafen von Genua entgegen. Die liebliche Landschaft der phlegräischen Felder, die schöne Inselscenerie von Nisida, Procida, Ischia flog dicht an uns vorüber, und anderen Tages tauchte Elba aus dem Meere heraus; sein rothes, berühmtes Eisensteinlager strahlte förmlich im Glanz der Sonne. Schlag 6 Uhr abends dampften wir langsam unter den Klängen unserer Kapelle in die genueser Hafenbucht. Noch ein schöner Tag auf italienischem Boden, ein Blick vom Righi aus auf das wunderschöne, sonnendurchleuchtete Land und das blaue Meer davor, und nun schwimmen wir, die wir dem Schiff treu geblieben sind, um Europa herum der Heimath zu, die wir vor Jahresfrist verlassen haben.

Die milden Lüfte, die uns in Genua umwehten und anhielten bis wir aus der Gibraltarstrasse hinausdampfend den Kurs nordwärts hielten, machten bald rauhen Winden Platz, sodass wir ungewohnt der 18° C. uns frierend in die Zimmer zurückzogen. Zudem sandte der Ocean seine mächtige Dünung in den Golf von Biscaya hinein, selbst unser stattlicher Dampfer gerieth in weite, ungemüthliche Schwingungen. Im Kanal sank das Thermometersäulchen morgens gar auf 12° C. Sommer- und Winterüberzieher, rothe Nasen und blaue Ohren tauchten auf, und es erhielt selbst der Bäcker, der unten im Schiff mit Dampfkraft in einem mollig warmen Raume Brotteig knetete und in einem grossen Ofen mit Warmwasserheizung backte, unseren Besuch. Der schöne Durst ging fast gänzlich verloren, ein kühles, gutes Glas Bier schien nun gar nicht mehr so sehr verlockend wie das Jahr vorher, als wir unter der Gluth tropischer Sonne nur mit Neid die Ansichtspostkarten unserer Bekannten lesen konnten, die in einem kühlen Keller ihren Schoppen leerten.

Der Leuchtthurm auf der Insel Wight strahlte sein Licht gegen die Wolken und verkündete seinen Ort schon ehe die grelle elektrische Lampe selbst sichtbar war. Zwei nahe bei einander stehende Lichter wiesen uns den Weg nach Southampton. Hier ging wieder ein gut Theil Passagiere am anderen Morgen an Land. Viele Engländer, welche Italien besuchen, lieben es über See nach Hause zu gehen. So setzten denn auch wir einige solcher Reisenden ab, vor allem aber grosse Schaaren englischer Matrosen, die als Deckreisende schon von Ostasien mitgekommen waren. Es war eine schwer zu zügelnde Bande gewesen. Verschiedentlich sollen sie einander unten im Schiff verhauen haben. Für den Ruhe gebietenden Wachthabenden ist es keine leichte Sache, solchen Streit zu schlichten. Unser erster Offizier verstand es aber vortrefflich in diesen Fällen die Kerle auseinander und zur Vernunft zu bringen. Als er z. B. zwei Aneinandergerathene fand, von denen der eine schon mit einer geschwollenen Backe und blauem Auge am Boden lag, während sein Gegner nicht übel Lust hatte, in der Prügelei fortzufahren, entspann sich zwischen ihm und letzterem etwa folgendes Gespräch.

What's the matter here?

Oh, nothing, Sir. We had a little difference in our opinions.

All right. You let alone this man. He has get a blue eye and You have get the opinion.

All right, Sir. Und die Sache war abgethan.

Wenn diese Gäste nun auch eine bösartige Bande waren, so muss doch anderseits gesagt werden, dass sie vielfach gutmüthige und harmlose Lustigkeit entwickelten. Öfter veranstalteten sie abends ein Concert, bei dem ein jeder nach Kräften durch Gesang oder Spiel sein Scherflein zum guten Gelingen beitrug. Es schien den Leuten auf dem Dampfer gut gefallen zu haben. An Beefsteak war auch nicht gespart. Als sie in dem kleinen Dampfboot zur Landung bereit sassen liessen sie drei brausende Hurrahs zu Ehren des Schiffes erschallen, worauf dann ihre Abfahrt mit klingender Musik begleitet wurde.

Alsbald waren auch wir wieder auf dem Wege. In hellem Sonnenschein erschien die Insel Wight mit dem Städtchen Cowes, dem Schlosse Osborne, Wright, ihren dunkelgrünen Wäldern und weissen Felsen, umrahmt von der blauen Flut. Bei Dover liess sich die ganze Meerenge überschauen, rechts tauchten die Felsen der französischen Küste hoch aus dem Wasser, und links zog sich das weisse Küstenband Englands weit hin. Abends strahlten die vielen Lichter Ostendes zu uns herüber, dann kam Vlissingen in Sicht, und als wir am anderen Morgen erwachten hörten wir das Glockenspiel der Kathedrale von Antwerpen und sahen durch das runde Fenster der Kabine ihre zierlichen Thürme. In Folge einer Verzögerung der Ladearbeiten durch einen Ausstand der Hafenarbeiter hatten wir drei Tage Zeit für die Besichtigung der alterthümlichen Scheldestadt und für die belgische Residenz, die man von Antwerpen in einer Stunde Fahrt bequem erreicht.

Noch ein Tag und eine Nacht: das deutsche Land lag wieder vor uns. Die Reise war zu Ende. Genau ein Jahr und einen Tag hat sie gedauert.

Und eine schöne Fahrt voll Sonnenschein und Tropenherrlichkeit ist es gewesen. Die Tropenmühen sind wenn nicht vergessen doch verblasst in der Erinnerung. Ein freundliches Geschick hat uns die wundervolle, ferne Welt gemessen lassen ohne den leider oft zu zahlenden Tribut an Körperfrische und Gesundheit von uns einzufordern.

Nun sitzen wir im Bremer Rathsweinkeller vor einem gewaltigen Fasse. Die Gläser klingen. Willkommen in der Heimath!

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Das Rathhaus zu Bremen.


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