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1. Auf der Fahrt zur Insulinde.

An Bord der Koningin Regentes im indischen Ocean.

Unser wackeres Schiff zieht nun schon manch sonnigen Tag und manch dunkle Nacht seinen einsamen Weg durch die Weite des indischen Oceans. Wir sehen an den vorbeigleitenden Wellenzügen, wie die Koningin Regentes rastlos weitereilt, wie sie die gekräuselte Wasserfläche mit ihrem scharfen Buge gleichwie mit einem Schwerte aufschneidet und den grünen, schmalen Streifen des Kielwassers als lange Narbe fast bis an den Horizont hinter sich lässt. Und doch bleibt um uns stets dasselbe Bild: in der weiten Runde dehnt sich in einsamer Kreisfläche das tiefblaue Meer, und unser Schiff ist seit vielen Tagen das Centrum der sichtbaren Welt. Kein anderes Fahrzeug taucht auf, kein fernes Gebirge steigt höher und höher, kommt uns zur Seite und verschwindet in allmählicher Verjüngung hinter der Linie des Horizonts. Tag um Tag dieselbe, grosse, einfache Scenerie.

Gleichmässig wie ferner Paukenschlag dröhnt die Dampfmaschine im Takte des Kolbenganges. Die Schraube lässt mit dumpfem Poltern das Deck erzittern, schlägt auch gelegentlich wohl krachend in die Luft, wenn eine lange Welle das Schifflein vorn zur Tiefe senkt und das Hinterdeck in weitem Schwunge emporträgt. Wie manche schnelle Schwimmer es thun, legt sich unser Dampfer abwechselnd tief auf die eine, dann auf die andere Seite, und beim Blick durch die Thüren unseres Obersaals steigt der scharfe Rand des Horizonts bald hoch zur Decke, bald sinkt; er tief zum Boden. Wir werden in den mächtigen Armen des Oceans gewiegt, und für den, der solche Liebkosungen vertragen kann, ist es eine köstliche Fahrt.

Welch verschwenderischer Reichthum ringsum an Licht, Glanz und Farbe! Tage ja wochenlang haben wir in unserer norddeutschen Heimath gelegentlich zur Winterszeit, und leider auch zuweilen im kurzen Sommer vergebens nach einem Sonnenblick und blauem Himmel ausgeschaut. Nicht durch einen Schlitz in den Wolkenmassen konnte der Sonnenglanz auf das verdriessliche Antlitz des deutschen Bodens herunterfluten. Hier zu Lande oder vielmehr zu Meere gemessen wir nach Belieben geschlagene zwölf Stunden täglich diese Herrlichkeit: das ganze Himmelsgewölbe ist ein blauer Schein, das ganze Meer strahlt in blauem Glanze, und die ganze Luft ist ein Lichtbad.

Die freundlichen Leser und Leserinnen mögen diese kleine Schwärmerei entschuldigen und uns glauben, dass wir nicht gesonnen sind, ihnen bei jeder guten Gelegenheit von der Schönheit des tropischen Meeres oder Landes etwas vorzujubeln. Es giebt schon Leute und Bücher genug, die keinen Wasserfall erwähnen können, ohne in gefährliche Verzückungen zu gerathen und wenn es sich gar um Italien oder sonstige südliche Länder, um Pinien und Palmen handelt, ihre schwärmerischen Ausdrücke nun gar nicht mehr bändigen können. So bitten wir denn Leserin und Leser zu glauben, dass unsere indische Meeresfahrt wirklich etwas Herrliches, in ihrer grossartigen, einfachen Pracht Herzerhebendes ist, etwas – doch um nicht gleich wieder mit den Worten durchzubrennen – also etwas sehr Schönes ist.

Tag für Tag steigt die Sonne morgens gegen 6 Uhr über den Meeresrand empor. Durch einen goldigen Saum erhebt sie sich schnell in fast lothrechter Bahn über die Fluth. Sie findet eine ganze Reihe Frühaufsteher schon auf Deck, einige sogar von gestern her noch hier, denn in heissen Nächten zieht man den Schlaf auf Deck in einem langen Singapurstuhl dem in enger dumpfer Koje vor. Die meisten tragen den in Holländisch-Indien üblichen, dünnen Morgenanzug, der im Übrigen beim Schlaf eine Decke entbehrlich macht. Die Herren bleiben in diesem luftigen Gewande bis gegen 9 Uhr, die Damen sogar in einer entsprechenden Kleidung bis 5 Uhr nachmittags. Beide sehen sie in ihrer tropischen Morgentoilette höchst ergötzlich aus, die ersteren etwa wie der bekannte »August« im Circus Renz; gegen die Damen will ich nicht ungalant sein. An Einfachheit lässt die Kleidung kaum etwas zu wünschen übrig. Fangen wir bei den Herren unten an: Schlapp-Pantoffeln; Strümpfe fehlen, also blosse Füsse, dann sehr weite, baumwollene Hosen in den unmöglichsten rothen, blauen, braunen u. s. w. Farben, dazu mit den gediegensten bunten Zickzack-, Stern-, Kugel- oder Blüthenmustern, zugeknöpfte weisse dünne Jacke, das ist alles; und alles sicher sehr bequem. Und nun die Damen. Ihre gleichfalls nackten Füsse stecken mit den Zehen in zierlichen, gestickten Pantöffelchen mit vergoldeten Absätzen; ein bunter Sack umschliesst die untere, eine weisse Jacke die obere Körperhälfte bis zum Halse. Der rockartige Theil dieser originell einfachen Kleidung ist der Sarong, die Jacke die Kabaja. Der Sarong ist weiter nichts wie ein Tuch, (womit aber nicht gesagt sein soll, dass nicht doch ein grosser Luxus in Stoff und Farbe mit ihm getrieben werden kann), das um die Hüften geschlungen, mit dem oberen Rande zwecks Festhaltens umgeklappt wird und bis auf die Knöchel herabfällt. Die Kabaja wird vorn durch Nadeln mit Kettchen, oft kostbarer Art, geschlossen. Während der Anzug der Herren meist unfehlbar komisch wirkt, steht mancher Dame die Sarong-Kabaja-Kleidung in der That nicht schlecht, falls nämlich die in die luftige Hülle Gekleidete jung, hübsch und schlank ist. Dann sehen aber sogar die hessischen schwalmer Mädchen trotz ihrer geschmackswidrigen Tracht noch leidlich lieblich aus. Bei älteren und besonders den dickeren Damen, welch' letztere unter den Holländern auf unserem Schiff ziemlich verbreitet sind, weiss man zunächst nicht, soll man beim Anblick der unter den leichten Tüchern üppig quellenden Körperformen lachen oder in stummem Entsetzen von dannen ziehen.

Jedenfalls macht die eigenartige Kleidung der Herren und Damen das Gesellschaftsbild in den Morgenstunden aber doch interessant und giebt ihm ein eigenartiges Gepräge.

Verfolgen wir nun unseren täglichen Lebensgang weiter. Nach dem Erscheinen auf Deck geniesst der indische Holländer, und wir natürlich jetzt auch, grundsätzlich zunächst eine Tasse starken Kaffee, aus Extract und viel Milch zusammengebraut. Sind so die Lebensgeister angefacht, geht's zum Morgenbad. Dann macht man einen Spaziergang auf dem langen Deck, oder wer's bequemer haben will, geniesst die Frische des Morgens auf seinem langen Stuhl. Nach Belieben geht man nach 8 Uhr zum Frühstück. Mittags und abends sind die Mahlzeiten gemeinsam. Die Speisen sind ganz leidlich zubereitet und werden reichlichst gereicht. Natürlich ist alles typische Wirthshauskost, und wir malen uns schon manchmal »Hausmannsgerichte« aus, Erbsensuppe mit Pökelfleisch und ähnliche schöne, jetzt unerreichbare Sachen. Oft tritt schon allerlei Südliches in Erscheinung, vor allem die »Reistafel«, das variationsreiche, holländisch-indische Nationalgericht mit seinen unglaublich vielen Zuthaten. Doch davon ein ander Mal. Vielleicht lernen wir später erst würdigen, was uns jetzt als eine schauderhafte Geschmacksverirrung erscheint. Als besonders empfehlenswerth in der Mahlzeitvertheilung soll hier noch erwähnt werden, dass die wunderschöne Zeit des Sonnenunterganges, die herrliche Viertelstunde gegen 6, nicht am Esstisch verbracht wird, die Hauptmahlzeit vielmehr erst um 7 beginnt.

Wir haben unseren Tag mit köstlichem Nichtsthun, mit Lesen und Schreiben, Rauchen, Baden, Essen und Trinken hingebracht, die grelle Tagesleuchte hat ihren mächtigen, fast senkrechten Bogen über das Himmelszelt gezogen und strebt schnell dem fernen Meeresrande zu. Ist sie nahe dem Horizonte angelangt und taucht sie in den gelbrothen Dunstkreis ein, so hat man oft Gelegenheit, die merkwürdigsten Sachen im Gesichte der Frau Sonne zu beobachten. Nur selten bleibt ihr Antlitz kugelrund, wie es von Rechtswegen ist und sonst ja auch am Tage erscheint. Meist wächst an das in kleinem Abstande vom Horizont befindliche Scheibengesicht ein kräftiger Hals, dann flammen wohl seitlich ein paar lange, goldige Ohren empor, die obere Rundung zackelt und sträubt sich wie wildes Haar, das ganze blanke Gesicht zieht sich gewaltig in die Breite, die Rundung der vollen Backen verliert sich, ganz eckig sieht das Sonnenantlitz aus, das sich nun allmählich mehr und mehr, oft auch merkwürdig schnell unter die tiefschwarzblaue Meeresdecke verkriecht. Merkwürdige Scherze der Strahlenbrechung!

Mit dem Sonnenabschied ändert sich das Meeresbild. Eben noch ein weites, himmelblaues, krauses Feld tönt es sich im Glanze der rothstrahlenden Abendwolken in kupferigen Farben, die bald weite Flächen bemalen, bald einzelne, unruhig springende Flecke auf dem blauen Untergrunde zeichnen. Das schmale Band des Kielwassers wogt in grünblauen Wirbeln und zieht sich wie flüssiges Metall stark glänzend von dem schäumenden Strudel der Schraube weit ins Meer hinein. Bald aber entfärben sich die Wolkenbänder, und ein ganz verändertes, düsteres, blaugraues Meer wogt um unser Schiff. Die kurze Dämmerung verläuft in schwarze Nacht, die einen Schleier über die unruhige Wasserfläche zieht. Man hört das dumpfe Brausen, Fliessen und Schäumen der Gewässer, sieht aber nur einzelne weisse Wellen hier und dort im Scheine des elektrischen Lichtes leuchten, das unser Schiff reichlich überflutet.

Ein schwarzer, sternenreicher, mit dem silbergrauen, zerfetzten Milchstrassenbande geschmückter Himmel wölbt sich über uns. Auf die hellstrahlende Venus zu zieht sich ein spiegelnder Streifen im Meere hin. Der Polarstern steht tief am Horizont, denn die [Drehachse] des Erdballes liegt für uns schon beinahe wagerecht. Auch im Wasser blitzen mit grünem Lichte Sterne auf. Dass Meer leuchtet. Im Schaume an der Seite unseres Schiffes erstrahlen die Noktiluken wenn man so will wie im Zorne über den Aufruhr, den das vorüberbrausende Fahrzeug im Meere erregt.

So Tag um Tag in unserem Reiche, das von der ganzen übrigen Menschenwelt durch eine gewaltige Wasserwüste abgesondert und von den engen Grenzen der Schiffsplanken umschlossen ist. Die oberste Gewalt im Staate übt der lange, hagere Kapitän aus, der aber auf dieser seiner 123 sten und überdies so ruhigen Fahrt nach Java und ferner zumal hier im weiten Indischen Ocean wohl wenig zu regieren findet. Er kann sich auf seine Offiziere verlassen und sich deshalb oft den Passagieren widmen und ihren mancherlei Fragen, ob weiter gutes oder schlechtes Wetter in Sicht sei, ob nicht bald wenigstens ein ganz kleines Inselchen oder ein Leuchtthurm in Sicht komme, ob viele Haie hier im Meere auf uns lauern, wo das Kreuz des Südens stehe, wie warm es wohl in Java sei u. s. w. u. s. w. Auch die Schiffsoffiziere und der Obermaschinist geben freundlich und höchst geduldig Auskunft. Wir erfahren von ihnen, dass die Kessel unserer Koningin Regentes täglich an 1000 Centner Kohlen verspeisen, also mit etwa 1000 Mark Kosten in 24 Stunden genährt werden, dass an 2500 Pferdekräfte den Dampfer bewegen. Unser Schiff ist also kein sehr grosses Fahrzeug. Die stattlichen Lloyddampfer gebrauchen wohl die dreifache Menge Kohlen bei gewöhnlicher Fahrt, und der Dampfer »Kaiser Wilhelm der Grosse« soll täglich sogar für etwa 10 000 Mark in die Luft rauchen. Die offizielle Bekanntmachung über die letzte Tagesleistung wird durch Anschlag vom ersten Offizier mittags verkündet, und wir ersehen, dass wir unsere Uhren täglich um 20 Minuten vorstellen müssen. Schon rüsten wir uns zum Mittagessen, wenn unsere Angehörigen in Deutschland noch beim Morgenkaffee sitzen.

Sehr verdient um unser und der anderen Reisenden Wohl und deshalb hier nicht zu vergessen ist unser guter alter Schiffsadministrator. Die Zusammenstellung der Tischkarten ist sein eigenstes Werk, und so liegt also eine der für uns trotz allem wichtigsten Angelegenheiten in seinen guten Händen. In dem Bestreben, heitere Stimmung auf dem Schiffe zu erhalten, leistet er, was nur irgend für ihn möglich ist. Bei Tisch erfreut er besonders die Damen durch kleine Aufmerksamkeiten, widmet jeder einen hübschen Fächer, schnitzt drollige Schweinchen und Ratten aus Früchten und kann sogar aus einer Apfelsine einen Kopf mit Augen, Mund und Ohren herstellen, der auf einer über ein Glas gespannten Serviette sich drollig bewegt. Selbstverständlich amüsirt sich die ganze Tischgesellschaft über solche und ähnliche Scherze ganz vortrefflich.

Von den Matrosen bekommt man für gewöhnlich nur einzelne zu sehen, die auf Deck Dienst haben, die Sonnensegel als Schattenspender ausspannen und für frisch gewaschene Fussböden Sorge tragen. Sie halten sich zumeist im Vorderschiff auf. Da flattern ihre zum Trocknen nach der Wäsche aufgehängten Hosen und Jacken im Winde und schaukeln ihre Hängematten. Dort hämmert der Schiffsschmied und hobelt der Tischler. Hier vorne finden wir bei unseren Streifzügen auch das liebe Vieh, das uns allmählich zum Opfer fällt, Kühe und Kälbchen, Schweine und Ferkelchen, Hühner, Truthähne und Enten. Ohne Zweifel ist es aber mehr zu empfehlen, Fleisch auf Schiffen in Kühlkammern frisch zu erhalten, schon des flauen Stallgeruchs wegen, der besonders in Tagen gelinder Seekrankheit bei entsprechender Windrichtung die Reisenden nicht gerade lieblich umweht.

Die Arche wird vervollständigt durch einen schwarzen, kleinen Hund von sehr unbestimmter Rasse, der sich friedlich zwischen zwanzig jungen und einigen alten Katzen tummelt, die unter Ratten und Mäusen aufräumen sollen. Von solchen unerwünschten Gästen haben wir bislang in unserer Kajüte nichts bemerkt. Nebenbei gesagt haben wir auch genug an den Kakerlaken in unserer Kabine, die mit unheimlicher Geschwindigkeit auf dem Boden und an den Wänden hin und her rasen. Einige Tausende sehr kleiner, rother Ameisen haben sich über unsere hannoverschen Cakes hergemacht, die wir ihnen nun nothgedrungen haben überlassen müssen. Zur Strafe haben wir ganze Heerden in den Ocean versenkt.

Die Bedienung ist malayisch und gut gezogen. Die braunen Gesellen sind anscheinend ganz vortrefflich als Diener verwendbar. Sie stehen in stattlicher Menge bei Tisch hinter den Reihen der Gäste vertheilt und passen höchst aufmerksam auf etwaige Wünsche der Passagiere, gehen geräuschlos auf blossen Füssen und verschwinden, nachdem sie Gewünschtes gereicht haben, lautlos hinter unserem Rücken. Ein gleichfalls malayischer Oberkellner, der mandur, sorgt mit leisen Worten dafür, dass die Darmo, Sariman und wie die südlichen Wärter sonst heissen, sich wie am Schnürchen bewegen. Der indische Holländer, natürlich auch die Holländerin, erspart sich bei Tisch, wie im Übrigen auch sonst gern, selbst die kleinsten eigenen Bemühungen. Wenn z. B. die Wasserflasche oder ein Salzgefäss mit geringfügiger Armbewegung zu erreichen wäre, heisst es doch für Darmo kassi ajer (bring Wasser), kassi garam. Kein Nachbar bemüht sich für den anderen mit solchen Gefälligkeiten, und man muss bekennen von Rechts wegen. In Deutschland fühlt man sich gewissermassen verpflichtet, bei Tische sich gegenseitig kleine Höflichkeitsleistungen zu widmen, was aber ohne Zweifel gelegentlich auch lästig sein kann.

Anfänglich war es nicht gerade anheimelnd, aus den braunen Händen unserer Malayen Speise und Trank zu empfangen. Man gewöhnt sich aber sehr schnell an die dunklen Farben. Schön sind die schwarzbraunen Gesellen mit ihren kurzen Nasen, ihren pechschwarzen, oft etwas vorquellenden Augen gerade nicht. Sie sind aber hübsch gekleidet in einen weissen Matrosenanzug mit rothem Kragen. Auf dem Kopfe tragen sie einen Turban mit lustig abstehenden Tuchzipfeln.

Während sie den Reisenden das Leben möglichst bequem gestalten, sind sie selbst von einer rührenden Anspruchslosigkeit. Sie schlafen auf dem harten Fussboden, höchstens auf einer dünnen Matte, auf Deck oder in irgend einem Schiffswinkel. Auch sonst bedienen sie sich nicht vieler Bequemlichkeiten europäischer Civilisation, essen z. B. ihren Reis oder was es sonst für sie giebt, auf dem Boden kauernd mit der angeborenen fünfzinkigen Gabel.

Unsere Mitreisenden sind auf diesem holländischen Schiffe natürlich zumeist Unterthanen der jungen, schönen, vielverehrten Königin Wilhelmine. Was holländisch unter den Passagieren ist, hält anscheinend gut zusammen und bildete bald eine grosse Familie, deren Mitglieder sich unter einander die Zeit verkürzen. Für deutsche Verhältnisse giebt es dabei mit Singen und Lachen, beim stark betriebenen Kartenspiel und bei der Misshandlung von Geige und leider auch vorhandener Guitarre reichlichen Lärm, zu dem einige kleine und ganz kleine Holländer bezw. Holländerinnen das Ihrige nach nicht geringen Kräften beitragen. Unser englischer Bekannter, der mit seiner Frau für Kinder nicht sonderlich schwärmt, behauptet, nächstens einige über Bord werfen zu wollen.

Bei Tische hat man bekanntermassen mit am Besten Gelegenheit seine Mitreisenden kennen zu lernen und näher zu ergründen ganz besonders zunächst bezüglich allerlei kleiner Schwächen, auf die der Mitmensch leider ja zuerst seine Aufmerksamkeit richtet. Da ist uns schräg gegenüber Herr Overtop aus Holland. Seine indische Bequemlichkeit verleitet ihn leider dazu, beim mittäglichen Essen in Pantoffeln zu erscheinen. Er hat nur drei Schritt von seiner Kabinenthür zu seinem Platz an der Tafel und bildet sich ein, den Weg machen zu können, ohne dass man seine mangelhaften Fusshüllen bemerkt. Nach dem Hinsetzen entledigt er sich ihrer sogar der Wärme wegen ganz. Zur Strafe entzieht sie ihm sein Nachbar unvermerkt mit dem Fusse, und es ist dann ergötzlich zu sehen, wie der gute Overtop nach dem Essen vergeblich mit den Enden seiner langen Beine grosse Bogen beschreibend, unter dem Tische nach seinen Sloppen angelt. Herr Overtop hat die fernere Eigentümlichkeit, seiner Meinung nach krank, vor allem appetitlos zu sein. Ein unbefangener Beobachter kann aber nichts davon bemerken. Unser Holländer macht sich eine Reistafel zurecht, an der ein Anderer wohl mehrere Tage Verdauungsbeschwerden haben würde. Wir möchten ihn wohl ein Mal in von ihm zugestanden gesunden Tagen bei der Tafel sehen. Sein Nachbar, ein Apotheker, hat eine Schwäche für Zwiebeln, von denen er unglaubliche Mengen merkwürdiger Weise als Magenschluss verzehrt. Ein besonders originelles Exemplar eines europäischen Indiers habe ich zur Linken, Er ist ein knurriger, alter Pflanzer, der auf alle Welt böse zu sein scheint und ganz aufgeregt guckt, wenn ich nur einen Blick links werfe. Wenn er Reistafel isst (er kann in diesem Fache auch sehr Bedeutendes leisten), äugt er ingrimmig rechts und links, ob ihm auch keiner zusieht. Er hat gar keine Ursache für seinen Zorn, denn wir gönnen ihm ja alles herzlich gern.

Es giebt natürlich auch angenehmere Tischgenossen als wie dieser durch längeren Javaaufenthalt etwas vermalayte Indier einer ist. So einzelne holländische Offiziere, ein Direktor einer Chininfabrik und uns gegenüber ein Engländer mit seiner Frau, welch letztere sogar etwas deutsch spricht, während ihr Gemahl jede nicht heimathliche Ausdrucksweise schlank ablehnt. So fand sich denn doch bald ein kleiner Kreis Reisender zusammen, die sich gegenseitig sympathisch sind, und die wohl treu bis zum Ende der Fahrt zusammenhalten werden.

Das enge Beieinanderleben auf dem Schiffe bringt es mit sich, dass man gegenseitig nach kurzer Zeit darin eingeweiht ist, was dies Häuflein Menschen über das weite Meer nach den fernen Inseln zieht. Die einen gehen als Regierungsbeamte, Militär, Ärzte nach in Europa verlebtem Urlaub in den indischen Dienst zurück, andere sind auf der Suche nach den goldigen Schätzen von Borneo oder Celebes (man fasst sie scherzweise als Klondyker zusammen), und wieder andere wollen den braunen Brüdern das Christenthum bringen. Letztere Schiffsgenossen sind deutsche Missionare, in derem Schutze auch einige Bräute bereits unter den Heiden thätiger Prediger in die weite Ferne reisen. Man bespricht miteinander seine Pläne, Hoffnungen und Befürchtungen, holt sich von den erfahrenen Indiern Rath und theilt sich die kleinen Beobachtungen über Wind, Wetter, Schiff und Meer mit.

Hin und wieder aber findet man eine stille Ecke, wo man seinen Erinnerungen nachhängen kann. Ich hole mir eine gute Holländer Cigarre, lasse mir von unserem Darmo das tali api bringen, das ist das glimmende »Feuertau«, das an Stelle der Streichhölzer getreten ist und ständig in einem Kupferkasten bereit liegt, und schaue nun in den blauen Rauch. Da taucht dann vor uns die Heimath wieder auf und der ganze, lange Weg, der uns bis hierher auf den ungeheuren Ocean führte und uns weiter führen soll zu den Herrlichkeiten und wohl auch Mühsalen auf der tropischen Insulinde.


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