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Unser Häuschen in Belang, Minahassa, Celebes.

7. Im Malayendorfe

Mein Assistent, den ich früh morgens von Pulu Babi aus aufs Kundschaften ausgeschickt hatte, war mit einigen ortskundigen Malayen drei Stunden lang am Meeresstrande entlang gerudert und im Dorfe Belang gelandet. Guter Wind brachte ihn bald zurück, sodass wir schon gegen Mittag durch die Nachricht erfreut wurden, dass wir ohne etwas zu verlieren unser mehr als einfaches Quartier auf Pulu Babi mit einer Wohnung in diesem Malayendorfe vertauschen könnten, ja, dass Belang voraussichtlich einen über alles Erwarten angenehmen Sitz abgeben würde. Also auf nach dieser neuen Heimath!

Der Dampfer van Goens, der uns auf Pulu Babi abgesetzt hatte, nahm uns auf seiner Rückreise wieder auf, lenkte in die weite malerische Belangbai und, wie vor drei Tagen auf dem weissen Korallenstrand der einsamen Insel, standen wir jetzt neben unseren Kisten und Kasten auf dem schwarzen, vulkanischen Sande des Celebesstrandes, in einer herrlichen Palmenanpflanzung, in welcher die braunen Hütten der Eingeborenen und überdies überraschenderweise ein weisses, ungeahnt stattliches Bretterhaus sich halb verbargen. Letzteres und ein grosses, einstöckiges einstiges Kaffeelagerhaus, das zum Theil aus mächtigen Ebenholzbalken errichtet war, wurden für 30 Gulden monatlich von uns gemiethet. Wir fühlten uns geborgen.

Dies nie zuvor erlebte Ereigniss der Ankunft eines Dampfers hatte ganz Belang auf die Beine gebracht. Wohl die gesammte Einwohnerschaft, an 150 Leute, harrte am Strande. Alt und Jung, soweit letztere nicht ganz nackt war, in buntem Sarong, zuweilen auch in Kabaja, starrte uns neugierig an, ohne aber durch irgend welche Ausrufe oder sonstige Lebhaftigkeit ihre Verwunderung über den Besuch zu äussern. Ihre Haupteigenschaft, eine tief gehende Abneigung gegen Arbeit, lernten wir gleich kennen, denn obwohl es gute Gelegenheit für sie gab, durch Hineintragen unserer Tische, Stühle, Koffer u. s. w. etwas zu verdienen, waren aus der ganzen grossen Schaar nur ein paar Leute aufzutreiben, die geneigt waren, gegen schwere Bezahlung den kleinen Transport zu übernehmen.

Belang gefiel uns recht gut. Da gabs breite, sehr reinliche Wege, hübsch gehaltene Gärten, in denen die Häuschen weit zerstreut lagen, ja sogar einen Passanggrahan, ein Gasthaus für etwa hierhin verschlagene Beamte, und schliesslich, nicht zu wenig zu betonen, einen Weg durchs Gebirge nach Menado, sodass wir nicht allein auf den nur alle vier Wochen bei dem etwa 20 km entfernten Dorfe Totok haltenden Dampfer angewiesen waren.

Der Administrator benutzt jetzt den grossen Lagerraum als Wohnsitz, während ich mit meiner Frau das weisse Haus bezogen habe, in dem auch mein Assistent sein Zimmer fand. Unsere Wohnung ist einstöckig, auf hohen Pfählen erbaut, besitzt eine geräumige Veranda und macht sich mit ihrem Wellblechdach ganz stattlich. Allerdings haben die Ameisen Bretter und zum Theil auch Balken stark zerfressen, doch hält alles wohl noch einige Zeit zusammen. An die Veranda schliesst sich ein sehr grosses Zimmer, das zum gemeinsamen Salon erklärt wurde, links von ihm liegen zwei Gemächer, von denen ich eins zur Schlafstube wählte und das andere als Vorrathsraum erkor, rechts von der Veranda befindet sich das Zimmer meines Assistenten, an welches sich dann weiter eine seitliche Veranda und der Küchenanbau anschliesst. Ringsum ist das Haus inmitten eines Gartens frei gelegen, doch beschatten es hohe Bäume. Nach vorn schliesst sich jenseits eines breiten Weges ein grosser Grasplatz an, über welchen hinweg man das nur 300 m entfernte Meer sehen kann, nach hinten zu folgt auf den Garten gleich der Wald. Ein Brunnen und ein Badehäuschen liegen ein wenig seitlich auf unserem Grundstück, kurzum, alle unsere berechtigten Wünsche sind jetzt befriedigt. Zwar gab die innere Einrichtung unserer Behausung noch viel Arbeit. Mancher Leser, oder noch besser, manche geneigte Leserin weiss den betrüblichen Zustand zu würdigen, der beim Einzug in eine neue Wohnung Platz greift. In Belang stieg die Plage aber mathematisch zu sagen ins Quadrat, zunächst schon, was die Dauer anlangte. Man kann ja in Berlin oder Hannover darauf rechnen, gut 3 mal 24 Stunden nach dem Einzug wieder ein leidlich trauliches Heim zu besitzen. Tapezierer und andere Hülfsleute schaffen bald Ordnung und Gemüthlichkeit. In Belang wars aber nach 14 Tagen noch nicht so weit. Schon das Anstreichen der inneren und äusseren Wände unserer Holzvilla währte zwei Wochen. Ein Kuli sass ständig unter dem Hause und mengte weisse Farbe an. Nebenbei gesagt, stammt sie aus heissen, vulkanischen Quellen in dem Gebirge. Seine Streichgenossen holten mit einer Bedächtigkeit, deren sich unsere langweiligsten Maurergesellen nicht hätten zu schämen brauchen, in einem Bambusgefäss ein kleines Theilchen Farbe, um es in grosser Gemüthsruhe nach und nach mit Hülfe eines zerfaserten Bambusstieles, der als Pinsel diente, an den Wänden zu verschmieren. Es war nicht möglich, ein flotteres Tempo in die Arbeit zu bekommen. Nach langem, langen Pinseln war die Malerei schliesslich nun aber doch beendigt, und unser Häuschen sah in seinem blauweissen Anstrich in der grünen Natur recht niedlich aus. Als nun meine Frau erst ihre Ausschmückungsarbeiten beginnen konnte, vor den Fenstern gar weisse Gardinen prangten, Tische und Stühle hübsch angeordnet unsere Zimmer zierten, Photographien, Postkarten mit Ansichten und in Ermangelung eines Besseren auch Liebigbilder an den Wänden sassen, einige Sarongs als Dekorationsstücke nebst grossen bunten Hüten und einigen rothen Matten Farbe in das Bild brachten, da wars gradezu gemüthlich in unserm Hause. Auch im Dorfe sind wir allmählich heimisch geworden, zumal nachdem wir die Sprache der Eingeborenen, hier das sog. Küstenmalayisch, bald gelernt haben. Das ist eine Sprechweise von gradezu naiver Einfachheit. Sie wäre ohne Zweifel als ein Volapük sehr geeignet, das man gar nicht nöthig hat, erst künstlich zu konstruiren, hier vielmehr auf der Strasse auflesen kann. Zudem hat das Malayische schon jetzt eine ausserordentliche Verbreitung. Von Ceylon an bis in die Molukken hinein kann man sich mit ihm, wenigstens bei den Händlern, verständlich machen. Allerdings versagt es oft im Innern der Inseln des Sunda-Archipels, wo es erstaunlich viele Sprachen giebt, ähnlich wie man es im Kaukasus findet. Auf Strecken von einigen hundert Kilometern kann man zuweilen ein halbes Dutzend treffen (so im nördlichen Celebes), die so verschieden sind, dass die Leute sich gegenseitig nicht mehr verstehen, es sei denn, sie reden eben malayisch. Bald konnten auch wir mit unseren braunen Dorfbrüdern radebrechen und schliesslich alles besprechen in dieser einfachen und wohllautenden Sprache, die man nach ihrer Klangfarbe wohl das Italienisch des Ostens nennt. Wie einfach die Redeform ist, mögen einige Beispiele zeigen. Die Hauptwörter haben keinen Artikel. Ob etwas im Deutschen der, die oder das ist, ist im Malayischen ganz gleichgültig. Veränderungen der Endigungen giebt es beim Hauptwort weder im Genitiv u. s. w., noch im Plural. Orang heisst der Mensch, orang-orang sind die Menschen. Ebenso erfreulich leicht ist die Sache mit den Eigenschafts- und Zeitwörtern. Besaar heisst z. B. gross und zwar ein für alle Mal, ohne irgend welche Umänderungen in allen Lebens- und Satzlagen. Orang besaar grosser Mensch; orang-orang besaar grosse Menschen. Makan bedeutet essen. Ob ich nun ass oder ob ich essen werde ändert am makan nichts. Ich ass ist einfach saja (ich) suda (schon) makan (essen), ich werde essen saja (ich) nanti (nachher) makan (essen), und wenn ich jemandem sage: iss, so heissts auch makan. Welche erfreuliche Einfachheit! Ich, meiner, mir, mich immer saja, du, deiner, dir, dich, alles kwe. Und so gehts in allen Sprachlagen.

Hin und wider entdeckt man in der kindlichen Malayenrede allerlei poetische Schönheiten, wie denn z. B. das Auge mata heisst und sehr hübsch mata ari (Auge des Tages) die Sonne bedeutet, anderseits die Quelle als mata ajer, Wasserauge, bezeichnet wird. Das Eis ist ajer batu (Steinwasser), der Traurige ist sakit ati, kranken Herzens. Manche Bezeichnung ist auch drollig in ihrer Kindlichkeit, so die vom Champagner als angur puf, Puffwein.

Belang, unsere jetzige, zeitweilige Heimath in Celebes, hat früher, als es noch ein Hauptort des Kaffeebaues in der Minahassa war, bessere Zeiten gesehen als sie jetzt sind. Nun liegen die Gärten stark verwachsen und verödet, da die Regierung den Kaffeebau zumeist verlassen hat und die Eingeborenen, denen die Pflanzungen übergeben sind, in angeborener Faulheit die Plantagen verkommen lassen. Da Belang wegen des im Rücken des Dorfes gelegenen Sumpfes für ungesund gilt, sind viele vom Ort verzogen. Der Rest wohnt deshalb sehr weitläufig. Jede Familie hat ihr Grundstück, einen Garten mit Kokospalmen, Bananen, auch wohl Zuckerrohr, Muskatbäumen und blühenden Sträuchern und Blumen. Inmitten des umfriedigten Platzes stehen die meist aus Bambus und Palmholz auf starken Pfählen aufgebauten Hütten. Einzelne Häuser zeichnen sich durch Balken- und Bretterbau aus. Die Belanger verstehen es, allein mit Hülfe ihrer Buschmesser saubere Balken und auch glatte Bretter anzufertigen, natürlich unter grosser Verschwendung von Holz, das aber hier keinen Werth besitzt. Der Fussboden wird meist aus Palmen hergestellt, deren inneres Mark man entfernt und deren äussere, runde Holzhülle man flach zu Dielen aufgerollt hat. Zu diesem Zwecke wird der Holzcylinder durch Längshiebe leicht eingespalten.

Im Innern der Hütten siehts sehr einfach aus. Bänke, Tische, Stühle würde man vergebens suchen. Man sitzt in der besonders beliebten Stellung der tiefen Kniebeuge oder legt sich auf den Fussboden, auf dem für den Schlaf eine dünne Matte ausgebreitet wird. Die Küche wird zumeist durch einen Thontopf dargestellt. In den besseren Häusern hat man indes eine Art Herd, der aus einem Holzkasten auf meist sehr schiefen Beinen besteht, in dem auf der Erdefüllung drei Steine, die zwischen sich das Feuer haben, dem Topf als Unterlage dienen. Wir erfreuen uns in unserer Küche auch eines solchen Malayenherdes.

Der oberste im Dorfe ist der Hukumtua, gewissermassen der Dorfschulze, ein junger, ziemlich unverschämter malayischer Herr, der sich sehr stolz in seiner europäischen Jacke, Hose und Mütze fühlt, immerhin aber noch nicht so dick und breit daherkommt, wie sein nächster Vorgesetzter, der Hukumkadua, der es seiner Würde am meisten angemessen hält, beim Gehen immer erst die eine und dann die andere seitliche Körperhälfte vorzuschieben, in die Luft zu gucken und undeutlich zu sprechen. Er kommt nur gelegentlich ins Dorf, jedes Mal mit dröhnendem Gonggetöse und hinter sich eine Schaar seiner ihm untergebenen malayischen Brüder.

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Unser Nachbarhäuschen in Belang, Minahassa, Celebes.

Wohl der nächst wichtige in der Gemeinde ist »tuan« Kandau, »Herr« Randau, wie er von den Dörflern aus Hochachtung aber unrichtig genannt wird, denn das tuan kommt nur den Weissen zu. Er ist ein orang pintar, zu deutsch ein Schlauberger. Wir haben ihn als Aufseher in unsere Dienste genommen, und hat er sich bislang als recht brauchbar gezeigt, wie ja manchmal die durchtriebensten Füchse auch für ehrliche Zwecke besser verwendbar sind als das biederste Schaf. Zur Zeit der noch blühenden Kaffeekultur war er Packhausmeister in Belang, jetzt ist er alles, wenn es nur etwas zu verdienen giebt, eine bei Malayen ganz ungewöhnliche Erscheinung, da sie sich sonst nicht aufs Erwerben zu legen pflegen. Weit und breit hat Kandau Grund und Boden durch gelegentliche Anpflanzung einer Kokosnuss für sich in Beschlag gelegt oder durch Verträge mit den betreffenden Besitzern sich Grundrechte verschafft. Soll dann irgendwo etwas gebaut, gegraben oder ein günstiges Gelände sonstwie benutzt werden, so taucht tuan Kandau mit der nachträglichen Behauptung auf, dass ihm der betreffende Boden gehöre, was ja auch thatsächlich der Fall ist, und dass ihm natürlich eine Entschädigung gebühre. Besonders die Nachbarniederlassung Totok, wo ein Goldbergbau im Entstehen ist, hat er in angegebener Weise angezapft. Man kann ihm eigentlich keinen Vorwurf machen. Das Eindringen der Weissen in Celebes hat er in seiner Weise benutzt, um in ganz europäischer Manier Vortheile zu ziehen. Unter den Belanger Malayen, die im Allgemeinen harmlos, froh, bescheiden und zufrieden in den Tag hineinleben, vertritt er eine neue Richtung, die des Gelderwerbs nach den Sitten Europas, denen er auch sonst hold ist. Im muhamedanischen Belang ist er der einzige Christ; er trägt Hose und Jacke, meist ist er zwar wie sonst die Belanger und Belangerinnen in blossen Füssen, zuweilen aber sogar in Lackschuhen, Gamaschen und mit weissem Tropenhut bedeckt. Von Gestalt ist tuan Kandau kurz und dick, sein Kopf kugelrund, sein Mund, wenn er lacht, eine sehr beträchtliche Sehne im Kreise seines blanken, gelbbraunen Antlitzes. Auch Frau Kandau geht oder fährt (Kandau besitzt ein Wägelchen) zuweilen europäisch in schwarzem Kleid und mit Federhut, zumeist erscheint sie aber wie die übrigen Damen Belangs vernünftiger Weise in Sarong und Kabaja.

Wie erwähnt, sind die sonstigen Dorfgenossen von der Kultur noch nicht beleckt. Die Männer und Frauen gehn in Tuch und Jacke, erstere auch oft nur mit Schurz bekleidet. Die Jungen spazieren im Dorfe umher wie Adam im Paradiese es that, die kleinen Mädchen hingegen selten wie die Eva, meistens tragen auch sie Sarong und Kabaja, und oft sind sie mit Fuss- und. Armbändern und sonstigem Schmuck aus Gold oder Silber hübsch herausgeputzt. Wie es in ganz Indien üblich ist, wird die allerkleinste Welt von der Mutter auf der Hüfte getragen, meist unter Zuhülfenahme eines Tuches. Ein Bein des Kindes hängt dabei vorn, eins hinten an der Trägerin herunter. Wenn die Eltern ihrem Jungen Kleidung umhängen, so erhält er einige Jahre lang eine kurze Jacke, dann erst bekommt er auch einen Sarong für den unteren Körpertheil. Über ihr Alter wissen die meisten Belanger keine Angaben zu machen. Man unterscheidet gewöhnlich nur die Stufen sehr jung, jung, alt und sehr alt. Etwa 60 Jahre Lebenszeit wurde gelegentlich von den Betagtesten als ihr Alter angegeben. Im Allgemeinen scheint die Lebensdauer weit unter dieser Spanne zu bleiben.

Im Grossen und Ganzen sind die Belanger ein für Malayen ganz hübscher Menschenschlag. Auch zeichnen sie sich vortheilhaft durch einen stattlichen Gang aus. Frauen und Männer gehen grade und stolz aufgerichtet und halten die Schultern etwas zurück, wie preussische Soldaten. Wahrscheinlich ist die gute Haltung auf die Sitte zurückzuführen, Körbe auf dem Kopfe zu tragen, was natürlich keinen gebückten Gang zulässt. Erfreulich ist der allgemein verbreitete Hang zum Baden. Täglich wandern die Frauen zum Waschplatz, einer Erweiterung eines Baches im Walde, die Männer gehen öfter ins Meer oder begiessen sich mit Brunnenwasser.

Abstossend hingegen wirkt die leider überall verbreitete Sitte des Sirikauens und Tabaklutschens. Meist haben Männlein und Weiblein einen gewaltigen Pfropfen Tabak zwischen Lippen und Zähnen, wodurch ihr ohnehin nicht allzu zierliches Mundwerk ein wenig schönes rüssel- oder schnauzenartiges Ansehen gewinnt. Das Sirikauen vollends verwandelt den Menschenmund in einen thierischen Rachen. Fast jeder erwachsene Malaye, Männlein oder Fräulein, kaut Siriblätter, zusammen mit gebranntem Kalk, Pinangfrucht und Gambir. Das giebt dann im Munde einen blutrothen Saft, der Lippen und das ganze innere Mundwerk färbt und die Zähne, die den Kindern wie Perlen im Munde sitzen, verdirbt. Bei den älteren Malayen bilden die Kauwerkzeuge meist nur gräulich anzuschauende blauschwarze Ruinen. Zum scheusslichen Aussehen der Sirikauer kommt dann noch die üble Angewohnheit, in unzähligen Spritzern nach Art der Italiener den Mundsaft von sich zu geben, der wie Blut alle Plätze und Wege verklext.

Am Passertage (dem Markttage im Dorfe, der auf jeden Mittwoch fällt) kann man ausser den Belangern auch viele Leute aus der Umgegend sehen. Schon am Tage vorher oder in der Nacht langen die malayischen Händler an, entweder in Ochsenwagen oder zu Fuss. Beim allerfrühsten Tageslicht ist schon alles geschäftig in der kleinen, offenen Markthalle oder auf dem Platze davor. Die Belanger holen sich ihren Bedarf an Reis, Gemüse, Früchten und geben selbst gelegentlich gedörrte Fische ab. Ausser den täglichen Esswaaren sieht man vielfach Tücher zum Verkauf ausgelegt und nicht zum wenigsten allerlei europäische Schund- und Schleuderwaaren, wie miserable Geldtaschen, Küchenmesser gemeinster Art, wunderbare Spiegel (in Deutschland das Dutzend eine Mark, hier das Stück einen Gulden), dann aber auch allerlei brauchbare Sachen, wie Messingdraht, Nägel (die stückweise verkauft werden), Töpfe, Thongefässe, Matten u. s. w.

Das Abhalten von Märkten ist keine ursprüngliche malayische Sitte, vielmehr hier in der Minahassa erst vor einigen 40 Jahren durch die Holländer eingeführt. Natürlich gleichfalls auf letztere zurückzuführen sind die Schulen, welche in vielen Minahassadörfern zu finden sind. Auch in Belang ging ein Theil der kleinen Jugend morgens mit Fibel, thüringer Tafel und Schwamm, manche auch mit Heft und Feder zum malayischen Schulmeister, um Schreiben, Lesen, Rechnen und Gesang zu studiren. Es war für uns überraschend zu sehen, wie die Knirpse sehr manirliche Schriften ohne Klex, schön gradlinig und in schlanken Zügen zu Papier brachten. Ich glaube, ich habe es in jungen Jahren nicht so gut gekonnt und es leider auch später nicht viel besser gelernt. Die Jungen schienen mit einem gewissen Stolze zur Schule zu wandern, denn während sie sonst kaum an unserer Veranda vorüber gingen, unterliessen sie nicht, falls sie mit Buch und Tafel einherschritten, uns auf sie aufmerksam zu machen und einer nach dem andern laut ihr tabe, tuan! (Gruss, Herr!) uns zuzurufen.

Die Frauenfrage schlummert hier noch gänzlich. Selbst der Schulbesuch steht für die Mädchen nicht in Rede. Man hält anscheinend für sie die Unterrichtserfolge für unnöthigen Geistesballast, und so wachsen sie geistig im Urzustande auf.

Unter den grösseren Hütten des Dorfes dient eine als Kirche. Äusserlich zeichnet sie sich durch eine wohl ein Meter lange Trommel aus, deren dumpfe Töne sammt dröhnenden Gongschlägen beim Gottesdienst die Musik ersetzen. Leider fielen die Feiern oft in die Nacht, so dass wir bei der Nähe der Kirche dann sehr in der Ruhe gestört wurden. Die Männer konnten sich nicht genug thun in der Bearbeitung von Gong und Trommel. Dazu sangen sie ganze Nächte bis sie heiser waren ihre einförmigen Weisen. Besonders grosse und langdauernde Festlichkeiten wurden bei Begräbnissen angestellt. Ein paar Tage nach unserem Einzug in Belang hatte der Hukumtua, ein alter Herr, das Zeitliche gesegnet. Sein Tod wurde dem Dorfe sofort durch das langgezogene Geheul der Klageweiber, die sich gegenseitig in entsetzlichen Jammertönen überboten, verkündet. Nach 24 Stunden wurde das Dorfoberhaupt feierlich zu Grabe geleitet. Die Leidtragenden umgaben in Weiss gekleidet den hoch gehaltenen, von weissen Tüchern umhüllten Sarg, über dem noch auf langen Stielen Sonnenschirme schwebten. Abends ging es dann im Sterbehause abwechselnd traurig mit Wehklagen und hoch mit Essen und Trinken her. Nach gewissen Abschnitten wurden diese Feierlichkeiten später wiederholt. Einen gemeinsamen Begräbnissplatz giebt es in Belang nicht. An verschiedenen Stellen in der Nähe des Dorfes findet man Gruppen von Gräbern idyllisch unter den Bäumen des Waldes angelegt. Ja eins haben wir im Schatten eines gewaltigen Mangabaumes in unserem Garten. Meist kennzeichnet lediglich ein Kranz loser Steine die Stätte, in deren Rahmen sich auch wohl noch ein paar weitere grössere Blöcke befinden. Einige Araber, die in unserem Dorfe wohnen, haben sich einen schön gelegenen Platz auf der Spitze einer kleinen Halbinsel als Friedhof ausgesucht, und ehren ihre Todten durch stattliche Gräber mit Holzverzierung und dauerhafter gemeinsamer Umfassungsmauer. Zu gewissen Zeiten schmücken die Dorfbewohner die Grabstellen durch aufgestreute zerschnittene Blätter, auch werden wohl Kupfermünzen als Opfer ausgestreut.

Abgesehen von den vereinzelten Festtagen geht es in unserem Dorfe recht still und gleichmässig her. Die Bewohner leben bequem, nichts oder doch nur sehr wenig thuend, anscheinend recht glücklich dahin. Mit Essen und Trinken hats keine Noth. Das Meer steckt voller Fische, die Palmen hängen voller Nüsse, die Bananen liefern reichlich Früchte. Gegen geräucherte Fische und Kokosnüsse werden von den Gebirgsbewohnern Reis und Mais eingetauscht, gelegentlich wird eine Sagopalme gefällt, die eine Familie wochenlang versorgt, im Walde zapft man Palmwein ab, die Nahrungsfrage ist erledigt. Grösseren Ehrgeiz als den leicht zu befriedigenden nach einem bunten Sarong hat man im Allgemeinen nicht; nach Titel, Würden, Orden, Geld und Gut wird nicht gestrebt, kurzum, fast hat sich das Paradies hier unverfälscht erhalten. Der Europäer bedarf zu seinem Glücke meist dreierlei, in der Erinnerung eine erfreuliche Vergangenheit, eine schöne Gegenwart und den Blick auf eine gedeihliche Zukunft. Der Malaye kümmert sich nicht um Vergangenes und Kommendes, er geniesst das Glück des Augenblickes. Eine heitere Gegenwart genügt ihm vollkommen, und es scheint, im Tropenlande ist das die richtige Philosophie.

Mit der malayischen Genügsamkeit hängt auch die malayische Ehrlichkeit zusammen. Grade weil der Erwerb des Unnöthigen nicht erstrebt wird, das Nöthige leicht zu erlangen ist, kommt der unredliche Trieb selten vor. Selbst auf dem Passer, wo doch viel fremdes Volk zusammenströmt, sieht man oft Reis, Früchte u. s. w. unbewacht stehen, ohne dass Diebstahl vorkommt. Allerdings bringt es der kindliche Charakter des Volkes mit sich, dass gelegentlich doch einmal etwas, an dem der Malaye seine Freude hat, beigesteckt wird. So ging es mit einem netten javanischen Dolche, den ich auf meinem Schreibtisch liegen hatte. Bei Gelegenheit des Hausinstandsetzens muss er einen Liebhaber gefunden haben. Um nicht in den Ruf zu gelangen, dass man aus unserem Hause alles mitnehmen könne, was grade den Herrn Malayen besonders gut gefiel, zeigte ich den Fall dem Hukumtua an. Der erschien dann auch und verhörte unsere Diener und die grade im Hause beschäftigten Anstreicher. Keiner hatte natürlich eine Ahnung, wo der Dolch sein könnte. Darauf wurde dann der Dorfwahrsager vom Hukumtua befragt. Der weise Mann gab die tröstliche Versicherung, den Versteck des Dolches und den Dieb angeben zu können. Es müsse aber erst noch etwas gewartet werden. Damit war die für den Schulzen lästige Sache aus der Welt geschafft oder doch zunächst auf unabsehbare Zeit vertagt.

Auf morgen oder übermorgen verschieben, alles unter gänzlicher Missachtung von Zeitverschwendung thun, wenn überhaupt, immer langsam, sehr langsam arbeiten, ist ein malayischer Hauptgrundsatz. Ob Woche auf Woche vergeht ist gänzlich gleichgültig, die Zeit hat nicht den geringsten Werth. Unser deutsches Gemüth möchte manchmal in einige Wallung gerathen, wenn wir die grossartige Ruhe und Bedächtigkeit anstaunen, mit der unsere Arbeiter ihrer Beschäftigung nachgehen. Was ist der faulste hannoversche Strassenkehrer für ein Ausbund von Fleiss gegen die meisten unserer Kulis. Man thut aber gut, sich hier ein indisches Phlegma nach Möglichkeit gleichfalls zuzulegen, sich den Ärger von der Leber abzuhalten und zu Hause mit Humor an die Idylle unter dem Äquator zurückzudenken.

Alles in Allem werden wir den Belangern ein freundliches Angedenken bewahren. Man muss von den Naturkindern keine europäischen Anschauungen verlangen. Sie sind eben wie die Kinder, haben wie diese einen natürlichen Egoismus, Sinn für fröhlichen Lebensgenuss und eine ausgesprochene Abneigung gegen ihnen unnöthig erscheinende Arbeit. Wer möchte ihnen verdenken, in der paradiesischen Gegend in paradiesischer Glückseligkeit zu leben. Wurden wir doch selbst nach einiger Zeit, in der das Hasten und energische Arbeiten, wie wir es in Europa gewohnt waren, ausklang, etwas angesteckt von dem ruhig behaglichen Leben unserer malayischen Dorfgenossen. Europas nervöses Drängen lag durch eine Erddicke getrennt fern von uns, unser strahlend blauer Himmel und die friedlich schöne Natur luden zu beschaulichem Leben ein. Bald hatten auch wir gelernt, neben unseren Studien und reichlichen Untersuchungsarbeiten den Zauber der Tropenwelt in manchen Stunden nichtsthuend zu geniessen.


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