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Dorf Kali, Minahassa, Celebes.

9. Zu Hause in Belang

Manche, die Zeit, Geld und auch einige Neigung für eine Tropenfahrt haben, lassen sich trotz des Besitzes dieser drei unerlässlichen Erfordernisse für grosse Vergnügungsreisen durch die Befürchtungen von dem Unternehmen abhalten, dass einmal die lange Seereise, nicht minder auch der Landaufenthalt ihre Gefahren für Leib und Leben in sich schliessen, und dass weiterhin doch wohl die übergrosse Hitze einen wirklichen Genuss der von keinem natürlich bestrittenen Schönheiten der Tropenlandschaften vereitelt. Sie mögen alle ruhigen Gemüthes nach Java und wenn sie Lust haben auch zu uns nach Belang in Celebes kommen. Die prächtigen grossen Dampfer verschiedener Linien, die von Europa nach dem fernen Osten fahren, zumal die ausgezeichneten Lloyd-Schiffe, lassen den Gedanken an Seegefahren gar nicht aufkommen, der Anblick so vieler kräftiger, behäbiger und vergnügter Europäer in Indien beweist mehr als Reden, dass es sich hier doch wohl sehr bekömmlich leben lässt, wenn man vernünftig auf sein Wohlergehen bedacht ist, und schliesslich ist die Hitze doch nicht so gross, dass das Eisen schmilzt, ja gewiss nicht schlimmer, als sie auf dem Asphalt unter den Linden in Berlin zur Augustzeit öfter brütet. Dazu kommt, dass man sich hier den Verhältnissen entsprechend kleidet, in luftige, schneeweisse Gewänder hüllt, während man im Vaterlande zur noch so heissen Zeit in steifem Faltenhemd steckt und sich meist mit Unter- und Oberzeug der Tageshitze nicht genügend anpasst. Dann wären dort faltenlose Hemden, dünnstes (oder gar kein) Unterzeug, schneeige, kühle Anzüge ebenso angebracht, wie sie hier sind, und man würde sich in ihnen wohl fast ebenso wohl fühlen, wie wir es hier im Allgemeinen thun. Natürlich gehört es unter dem Äquator dazu, dass täglich nicht nur alles Unterzeug, sondern auch der äussere Anzug gewechselt wird, was bezüglich der leicht waschbaren Leinensachen ja auch keine Schwierigkeiten macht. Wir thun nun noch ein Übriges und stecken uns so lange als möglich indisch in tjelana, die bunte Kattunhose, das Kohlstockhemd, das nicht genug zu empfehlen ist, und die dünnste Kabaja-Jacke, und nur bei feierlichen Tageszeiten und Gelegenheiten kommt der elegantere Tropenanzug zu Ehren.

Auch Frau Else hat sich ganz gut mit der Hitze abgefunden. In ihren »Babykleidern« fühlt sie sich ganz behaglich, und sie würde es wahrscheinlich in noch höherem Grade thun, wenn sie, gleich allen anderen Europäerinnen Niederländisch-Indiens, in den heissesten Tageszeiten sich in Sarong und Kabaja hüllte, wie es die Malayen machen.

Unsere Veranda-Temperatur schwankt jetzt, zur deutschen Winterszeit, zwischen 22° und 30° C., was sich doch noch immer leidlich ertragen lässt. Im strahlenden Sonnenschein allerdings kann die Hitze bösartig werden, so habe ich gelegentlich zur Mittagszeit im schwarzen Sande am Meere 60° C. gemessen. Wie überall in den Tropen muss man sich sorgfältig vor unmittelbarer Bestrahlung des Kopfes hüten, zumal ist das für uns künstliche Kahlköpfe angebracht. Unser Haupthaar wird alle 8-14 Tage mit der 1½ Millimeter-Maschine durch unseren hier ernannten malayischen Hoffriseur heruntergenommen. Wir schützen uns durch weisse Tücher unter den Mützen, den mit Kreide angestrichenen Korktropenhut oder am besten durch gewaltige, flachkegelförmige, fein geflochtene Palmblatthüte, wie sie unsere Dorfgenossen hin und wieder tragen, und in denen man ganz praktisch gleich einen stiellosen Regenschirm hat. Die bunten Farbentöne dieser runden Kopfbedeckungen harmoniren vortrefflich mit unseren Kattunhosen, sodass wir in der Ferne in Form und Färbung wandelnden Pilzen gleichen.

Einzig schön sind die frühesten Morgenstunden, so schön, dass niemandem beikommt, sie im Schlafe zu verpassen. Jedermann in den Tropen Indiens ist Frühaufsteher., Auch wir in Belang erheben uns gegen 5½ bis 6, wenn die Sonne durch rosigen Glanz über dem Meere sich ankündigt. Tag für Tag strahlt ein herrlicher Morgen in unser Kammerfenster. Es umrahmt ein liebliches Bild: blauer Himmel, schlanke graustämmige Palmen mit grünen riesenblättrigen Wipfeln, mächtige Mangabäume, so grüsst uns täglich draussen die sonnige Tropennatur. Vor dem Fenster blüht ein Strauch mit hunderten von grossen rothen Blüthen, die sich beim Anbruch des Tages aus ihrer nächtlichen Ruhestellung öffnen.

Wir lassen die 25-gradige Frische des Bades über uns ergehen, erquicken uns an Kaffee, selbstgebackenem Weissbrot, Marmelade, Conserven, Butter aus Holland und gehen an des Tages Arbeit, sei es, dass wir im Laboratorium chemisch wirken, kochen und schmelzen, wobei dann, wie in jeder solchen chemischen Arbeitsstätte, auch die Fabrikation eines Schnapses unterläuft, sei es, dass es zu bauen, zu köhlern, zu schreiben oder zu studiren giebt. Mittags ruft uns meine Frau mit unserem kleinen Gong zu Tische, muss auch wohl noch unseren Badjo schicken, der das »makanan suda klar« (das Essen ist schon fertig) meldet. Natürlich speisen wir frei auf der Veranda. Dank Albert Rehse Sohn in Wülfel bei Hannover schmeckt es uns vortrefflich. Seine Conserven haben uns fast vergessen lassen, dass wir fern in Celebes sitzen, wo es eigentlich nur Reis zum Essen giebt. Unsere deutschen Suppen, Gemüse, Fleisch und Nachtisch haben uns weit besser gefallen als die holländischen Sachen, bei denen man in Anbetracht der besonderen Namen auf den Etiketten, wie Huispot, Boerenkol u. s. w. bei geschlossener Büchse meist nicht weiss, was man zu erwarten hat, häufig aber auch beim Essen noch ganz verständnisslos darüber ist, ob man Hammel-, Schweine- oder Rinderbraten geniesst, denn eins schmeckt so ziemlich wie das andere. Nachdem wir jetzt eine grosse Zucht von Hühnern im Gange haben, giebts gelegentlich auch zur Abwechslung einen solchen Vogel mit Reis, Rührei, selbst heimathliche Pfannkuchen u. dergl. Kartoffeln beziehen wir vom Schiff, zuweilen bekommen wir sie auch auf dem Markte, und Früchte sind meist von unseren Nachbarn zu erwerben. Herrliche Ananas wachsen vielfach im Walde. Wir kaufen sie für 5–8 Cent das Stück. Unser Garten liefert vortreffliche Mangas, die man trotz ihres mehr oder minder ausgeprägten Terpentingeschmacks bald schätzen lernt. Die gewöhnlichste Frucht ist der Pisang, die Banane, von denen man das Stück gewöhnlich zu einem oder einem halben Cent ersteht.

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Unsere Küche in Belang, Celebes.

In ganz Niederländisch-Indien ist es unter den Europäern üblich, falls die Möglichkeit vorhanden ist, sich nach dem Mittagsessen ein oder zwei Stunden in das Himmelbett zurückzuziehen, und da die malayische Dienerschaft nach dem Verschwinden ihrer Herren im dämmrigen Schlafgemach eine ungestörte Pause auch für sich gekommen sieht und sich gleichfalls in einem schattigen Winkel ausstreckt, so ist das Hauswesen in diesen Stunden, in denen die Hitze draussen flimmert, wie verwunschen und erstorben. So wars denn auch bei uns. Mensch und Thiere schliefen feste. Gegen ½4 wurden die von der brütenden Schwüle heruntergestimmten Nerven durch kräftigen Kaffee und ein Bad aufgefrischt, sodass noch einige Stunden Arbeit geleistet werden konnten. Bald aber machte sich der Zauber des Sonnenuntergangs geltend. Er lockte uns zumeist ans Meer, auf dem sich allabendlich das wundersamste Farbenspiel im Scheine des roth, gelb, grün und blau strahlenden Himmels entwickelte. Wenn wir uns dann in der schnell hereingebrochenen Dunkelheit meist mit einem Umwege durch die Reihen der Hütten nach unserer Veranda zurückwandten, kam noch ein Plauder- oder Lesestündchen zu Stande, das sich auch nach dem Abendessen (von meiner Frau in deutscher Weise mit Thee, Brot, Butter und vortrefflichen Conservenbeilagen hergerichtet) fortsetzte.

An der Brüstung unserer Veranda stehen zwei lange, bequeme Singapurstühle. In einem geruht abends meine Frau zu ruhen, im anderen strecke ich mich aus, während mein Assistent einen Schaukelstuhl vorzieht. Manche wundervolle Abendstunde haben wir hier erlebt. Der hübsche offene Raum, der uns als Hauptaufenthaltsort dient, ist von hellem Licht erfüllt, das grell von der heute pechdunklen Nacht absticht. An den weissen Wänden treiben sich die Tjitjaks umher, niedliche grauweisse Eidechsen mit dunklen Augen, die eifrig nach Fliegen und kleinen Schmetterlingen ausspähen. Zuweilen schnappen sie sich auch untereinander, und nicht selten büsst eines der Thierchen seinen Schwanz dabei ein. Von Zeit zu Zeit rennen dicke, farbenprächtige Nachtfalter oder auch manches andere oft sehr merkwürdige fliegende Insektengethier an den strahlend leuchtenden, von der Verandadecke hängenden Brenner; und gelegentlich sammeln sich ganze Heerden fliegender Ameisen auf dem Tische unter unserer Lampe an, sodass man Ess- und Trinkwaaren kaum vor ihnen retten kann. Es scheint den Thieren förmlich Spass zu machen, in unseren Gläsern zu ertrinken. Wir sehen jetzt ein, weshalb uns in Java so vielfach hübsche Perlmutterdeckel für Trinkgläser und Tassen zum Kauf angeboten sind.

Heute ist frische Post angelangt. Sie kommt von Menado über das Gebirge zu uns. Erst die Briefe. Dann wird die neuste Zeitung aus Hannover (kaum 8 Wochen alt) entfaltet und überflogen. Wie stehts denn in der guten Stadt? Lokales: Neuer Concertpark, Militärmusik, Königliches Theater, Meistersinger, Liederabend, Gemälde- und Kunstausstellung, ja das ist eine ganz andere Welt. Technische Hochschule: Prof. Dr. F. Rinne hat eine geologisch-technische Untersuchungsreise nach Celebes unternommen. Anzeigen: Verlobungen, Winterausverkauf u. s. w. Wetterbericht: Anhaltend trübe und regnerisch. Glückliches, sonniges Celebes! Berlin, den so und so vielten: Deutscher Reichstag ... Wie fremd klingt der Hader der Parteien in unsere friedliche Einsamkeit hinein! Drum lieber wieder zur stillen Beschauung der Tropenherrlichkeit.

Badjo und Martin, unsere beiden malayischen Hausdiener, sorgen für guten Brand der »roko«, durch deren Rauch wir in die schweigende Nacht hinaussehen. Ganz schattenhaft treten die hohen Manga- und Tamarindenbäume vor unserem Hause aus der Dunkelheit heraus. Vom schwarzen Himmelsgewölbe funkeln die südlichen Sterne in heimathlicher Pracht. Wie ein grosses Friedenszeichen leuchtet das vielgerühmte Kreuz des Südens in einer Lücke zwischen den schwarzen Wedeln unserer Palmen, jetzt ein wunderschönes Sternbild, das aber alsbald an Reiz verliert, wenn es nicht mehr, wie grade in dieser Abendstunde, senkrecht aufgerichtet am Himmelszelte steht.

Aber merkwürdig, wie wir in die zahllosen Lichter sehen, scheint es mir, als wirbelten viele der blinkenden Sterne an einzelnen Stellen des Himmels durcheinander. Ich mache meine Frau darauf aufmerksam. Thatsächlich, sie fangen an zu wackeln und hin und her zu springen. Das ist ja eine eigenartige Unordnung in der sonst so unheimlich mathematisch genauen Astronomie! Doch glücklicherweise ist alles Täuschung. Die vielen hellen Punkte, die sich in merkwürdigem Spiel bewegen, sind Leuchtkäferchen, die in den Wipfeln einiger in der Dunkelheit verborgener, naher Bäume sich tummeln und ein bewegliches Sternenbild vortäuschen. Manchen Abend haben wir den Anblick der lichtergeschmückten Wipfel genossen, die zuweilen mit an- und abschwellendem grünen Lichte wie eine Geisslersche Röhre strahlten.

Nur schwer kann man von dem nächtlichen Tropenbilde Abschied nehmen, aber schliesslich macht sich denn doch die Ermüdung nach mancher Tagesarbeit geltend. Wir ziehen uns hinter den Klambu zurück, das ist das hier unumgänglich nöthige feine Netz, das die Betten umhüllt. Die fliegende Tropenplage der Moskitos fällt uns in Belang aber nicht allzu lästig. Es kommen wenigstens nicht sehr viele der Blutsauger in unser Haus. Dafür haben wir aber eine besonders grosse Sorte mit merkwürdig schwarz-weiss gefärbten Beinen.

In den ersten Wochen unseres Belanger Aufenthaltes tauchte öfters, wenn wir im ersten Schlummer lagen, unerwünschteweise neues Leben im Hause auf. Dumpfe Schritte tappten auf der Veranda, klappten auf dem Wellblechdache. Hier und dort gabs plötzlich heftiges Gepolter und Geraschel auf der hölzernen Zimmerdecke über uns. Es hatten sich also ausser uns noch sonst Gäste im Hause eingefunden. Wie wir uns alsbald überzeugten, waren es keine menschliche Diebe und mordsinnende Malayen, auch keine Affen, wie wir wohl zuerst dachten, sondern Hunde, Katzen und Waldratten, die ihr Theil von unseren Essvorräthen beanspruchten. In den ersten Tagen, als der Plage schon genug vorhanden schien, war es sehr betrüblich, morgens unser so nöthiges, mühevoll selbstgebackenes Brot oder den Zwieback aus der Blechbüchse bis auf das letzte Krümchen verzehrt zu finden, die Milchbleche leer und statt der Eier, die uns ein gutes Rührei liefern sollten, nur die Schalen anzutreffen. Oft genug sind wir nachts mit der Reitpeitsche zwischen die Hunde gefahren, bis wir alle Zugänge und die Löcher im Fussboden unseres offenen Hauses, ausgenommen natürlich die Fenster, durch Matten und Gestelle verschlossen hatten.

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Idylle unter unserem Wohnhause in Belang, Celebes. Rechts eine gute Monatsleistung.

Die Katzen hatten es offenbar auch auf unseren possirlichen Papagei abgesehen, der auf der Veranda an ein hängendes offenes Gestell gekettet war. Zur grossen Betrübniss meiner Frau hat nun thatsächlich neulich solch ein schändliches Katzenthier sich den netten Grünrock geholt und natürlich aufgefressen. Hoffentlich geht es seinem Nachfolger, den ich von einem Belanger Jungen erstanden habe, besser.

Allmählich haben wir uns an die nächtlichen Unruhen, die von Zeit zu Zeit sich ereignen, gewöhnt. Wir lassen die Hunde im Dorfe und unter unserem Hause heulen was sie wollen, die Katzen schleichen und die Ratten rascheln und nur in ganz seltenen Fällen uns wieder aus den Betten bringen. Mit gewaltigem Dröhnen wie von einem Schuss fällt gelegentlich nachts eine schwerreife Mangafrucht oder gar eine Kokosnuss auf das Wellblechdach unseres Hauses. Es sind uns das jetzt bekannte Sachen geworden, grade wie die kleinen Erdbeben, die gelegentlich den Boden erschüttern.


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