Wilhelm Heinrich Riehl
Ein ganzer Mann
Wilhelm Heinrich Riehl

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Siebentes Kapitel.

Bekenntnisse.

Am nächsten Tage ging Saß zu Herminen – etwas langsamen Schrittes; denn der Gang wurde ihm sauer genug. Mußte er doch berichten, daß sein Versuch, den Freiherrn von Landfried umzustimmen, völlig mißglückt sei, und er hätte so gerne jubelnd das Gegenteil verkündet.

Im Rohdaschen Hause angelangt, war Saß höchlich überrascht, die Kammerjungfer Herminens auf dem Vorplatze mit dem Packen der Koffer ihrer Herrin beschäftigt zu sehn.

»Uebermorgen reisen wir ab!« rief ihm die Zofe vergnügt entgegen; denn sie hatte sich während der fünf Monate in Frankenfeld sehr gelangweilt.

»Verreist das Fräulein auf längere Zeit?« fragte Saß.

»Das weiß ich nicht,« lautete die Antwort.

»Wohin?«

»Das wird sich finden, wenn wir nur erst einmal zum Tempel hinaus sind,« – und sie schlüpfte in das Zimmer, um Herrn Saß zu melden.

Hier fand derselbe die beiden Freundinnen, gleichfalls mit Reisevorbereitungen beschäftigt. Hermine begrüßte ihn besonders herzlich und sagte, er komme ihr zuvor, sie habe ihn heute noch besuchen wollen, um Abschied zu nehmen und ihn zu bitten, daß er in ihrer Abwesenheit ein wachsames Auge auf ihre kleinen Stiftungen haben möge, vorab auf ihren Teil des Lazaretts. Alles solle fortgehen, wie wenn sie hier zugegen sei.

An Aufträgen fehlte es bei Fräulein Aweling nie.

»Es treibt mich weg von hier,« so fuhr sie fort, »Frankenfeld wird mir zu eng –, und doch, welche Fülle anregenden Lebens habe ich hier gefunden! Mich dürstet nach neuen Menschen, – ach, ich bin sehr undankbar! so liebe Freunde wie hier werde ich anderswo nicht wiederfinden. Ich fliehe den trauten Ort, – und fliehe doch eigentlich vor mir selbst und kann mir nicht entfliehen! Ich bedarf des Luftwechsels! – Die Aerzte rühmen dessen Heilkraft bei körperlichen Leiden: – könnte der Luftwechsel auch Seelenleiden heilen, ich wäre längst genesen. Und doch bedarf ich dessen immer wieder aufs neue. Dieses Frankenfeld ist eine wahre Friedensstadt – so schien es mir anfangs. Je länger ich aber hier lebe, um so höher steigt meine innere Unruhe. Genau bedacht, habe ich gar keinen Grund fortzugehn: bedenke ich's aber ungenau, verschleiert sich der Gedanke durch die Empfindung, dann entdecke ich tausend Gründe.«

Saß sprach seine Ueberraschung und sein Bedauern aus über die plötzliche Abreise, deren Ursache er trotz all der tausend Gründe nicht zu fassen vermöge. Leider habe er eine Mitteilung zu machen, die nicht dazu beitragen werde, Fräulein Hermine beruhigter und heiterer zu stimmen.

Und nun berichtete er genau von seinem letzten Gespräch mit dem Freiherrn von Landfried, von seiner warmen Fürsprache für Marie und von der ruhmredigen und doch so herzlosen Antwort des Freiherrn, die er fast wortgetreu seinem Gedächtnisse eingeprägt hatte und in aller Schärfe wiedergab. Er beklagte die arme Witwe, brach aber auch in Klagen über sich selber aus. Habe er doch so sehnlich gehofft, den Wunsch und Auftrag Herminens zu erfüllen! Nun sei dieser Wolfgang Landfried nach Frankenfeld verschlagen worden, wie vom Himmel gesandt, die Gelegenheit sei die günstigste gewesen, und doch sei sein ganzer Plan mißglückt.

Die beiden Frauen waren empört, zumal über den Schlußsatz in der Rede Landfrieds. Hermine aber schlug plötzlich einen ganz andern Ton an, es war, als sei sie von ganz neuen Gedankenblitzen erleuchtet, sie dankte Saß in stürmischer Heftigkeit, sie pries ihn, daß er durch seinen Mißerfolg für sie wenigstens erreicht habe, was er durch vollständiges Gelingen nicht hätte erreichen können.

»Jetzt fühle ich mich frei!« rief sie. »Die schwerste Last ist von mir genommen. Trotz aller Abneigung hielt ich Wolfgang doch für einen edeln Mann: jetzt sehe ich, daß er nur ein Edelmann ist. Die dunkle Abneigung, welche ich stets gegen ihn hatte, war nur allzu wohl begründet; es war mein Schutzgeist, mein guter Geist, der mich trieb, dem Manne in der letzten Stunde noch zu entfliehen; ich hätte das früher thun sollen und darum habe ich gefehlt. Aber jetzt erkenne ich, daß ich in jener fürchterlichen Stunde tatsächlich trotzdem recht gehandelt habe. Und diese Erkenntnis danke ich Ihnen, Herr Saß. Sie haben mich von dem Alpdrucke befreit, der seit Jahren auf mir lastete! Sie glaubten gar nichts ausgerichtet zu haben und haben das Beste ausgerichtet.«

»Werden Sie dennoch übermorgen abreisen?« fragte Saß. »Ist Ihnen Frankenfeld auch jetzt noch zu eng? Die Luft zu drückend?«

Hermine besann sich eine Weile. Sie erwachte wie aus einem Traume, sie hatte offenbar gar nicht mehr an ihre Abreise gedacht. Als sie sich dann aber wieder zurecht gefunden, sprach sie mit fester Stimme: »Ja!«

»Und warum so bald, so plötzlich?«

»Weil – weil meine Koffer schon gepackt sind; es wäre doch lächerlich, wenn ich sie wieder auspacken ließe.«

In diesem Augenblick klopfte es sehr heftig an die Thüre, und Kaspar Zuckmeyer trat ein, sich entschuldigend, allein er habe eine eilende Botschaft an Herrn Saß. Dann sprach er zu diesem gewandt: »Ich habe das Buch dem Herrn Major von Landfried zurückgebracht. Er dankt und läßt sich Ihnen empfehlen.«

»Ist das die ganze eilende Botschaft?« fragte Saß unwillig.

Kaspar fuhr fort: »Sie müssen wissen, daß der Herr Major wieder gesund ist; – der Arzt hat ihn vorgestern freigesprochen; – übermorgen reist er ab und würde sich freuen, Sie, Herr Saß, noch einmal zu sehen; – heute abend oder morgen früh; denn der Herr Major reist übermorgen ab, und darin liegt das Eilende meiner Botschaft.«

»Uebermorgen?« rief Amalie.

»Am Ende gar mit demselben Zuge wie Sie!« rief Saß gegen Hermine gewandt.

»Wer weiß es? Ich fürchte mich nicht vor Herrn von Landfried,« entgegnete diese.

»Oh, der Herr Major ist auch nicht zu fürchten,« fiel Kaspar ein. »Er ist ein gar freundlicher Herr. Nachdem ich mich ihm vorgestellt hatte, sagte er zu mir nur noch ›mein lieber Zuckmeyer‹. Er hat mit mir gesprochen, als ob ich seines Gleichen wäre, eine volle Stunde lang, und schenkte mir sechs Cigarren.«

»Eine volle Stunde?« rief Saß bestürzt. »Und was habt ihr denn da gesprochen?«

»Gar mancherlei. Ich erzählte ihm von unserm gnädigen Fräulein Aweling, und wie sie so gut sei und für die Verwundeten und Armen sorge, sogar für die Komödianten, und diesen ganzen Flügel des Lazaretts gemietet und ausgestattet habe und Alles bezahle, was hier gebraucht werde. Als dies der Major hörte, war er so gerührt, daß er einen heftigen Fluch ausstieß und wie toll aufsprang. Er pflegt überhaupt in der gemütlichsten Rede so zwischendurch zu fluchen: das ist kavaliermäßig.«

»Unglücksmensch!« fuhr Saß den Kaspar an. »Das haben Sie dem Major erzählt?« und er schlug sich vor die Stirne. »Und ich selber trage die Schuld; ich hatte vergessen, wie geschwätzig Sie sind; ich hatte vergessen, als ich Sie zum Major sandte, Ihnen Stillschweigen zu gebieten über –«

»Fürchten Sie nichts,« beschwichtigte Zuckmeyer. »Der Major hat nichts Neues von mir erfahren, er kennt Fräulein Aweling schon von lange her. Als ich ihm sagte, das Fräulein habe wunderschönes schneeweißes Haar und sei doch noch so frisch und jung und munter wie es manches Mädchen von fünfundzwanzig Jahren nicht mehr ist, da wußte er sogleich, wen ich meine und fluchte und fragte mich, seinen lieben Zuckmeyer, gar viel über das gnädige Fräulein, und ob sie auch mit der schönen Schauspielerin befreundet sei, die sich Marie Landfried nennt, und mit Ihnen, Herr Saß, und so plauderten wir eine ganze Stunde. Als ich ihm aber zuletzt dankte für seine angenehme Unterhaltung und für die Cigarren und ihm sagte, wie sehr ich mich geschmeichelt fühle, daß er mich seinen lieben Zuckmeyer genannt habe, sprach der seltsame Herr: ›Bilden Sie sich darauf nichts ein. Wenn ich zu Ihnen sage ›mein lieber Zuckmeyer‹, so heißt das gerade so viel, als wenn ich gesagt hätte: ›Schere Er sich zum Teufel‹. Und bei diesem Abschiedsgruße wandte er mir den Rücken und legte sich zum Fenster hinaus. Das war doch recht kavaliermäßig.«

»Und ich sage Ihnen recht bürgerlich, daß Sie dummes Zeug gemacht haben mit Ihrer Schwatzhaftigkeit,« rief Saß. »Entfernen Sie sich!«

Dann wandte er sich zu den Damen: »Ich muß den Major besuchen und ihn aufklären; es wäre ja entsetzlich, wenn er den Sachverhalt nur aus Kaspars Bericht kennen lernte.«

»Sie werden nicht zu Landfried gehen,« sagte Hermine sehr bestimmt. »Er wird Sie beleidigen, Sie werden Händel mit ihm bekommen. Sie werden ihn nicht besuchen, ich bitte Sie darum um Ihretwillen.«

»Und ich werde ihn doch besuchen,« entgegnete Saß noch bestimmter, »und zwar um meinetwillen, um meiner Ehre willen, damit er erfahre, daß wir ihn nur um seinetwillen im Dunkel über Sie gelassen haben.«

»So werde auch ich zu Landfried gehen,« rief Hermine, steigend erregt, »um ihm auch meine Aufklärungen zu geben.«

»Das werden Sie nicht!« rief Saß, »und zwar um Ihretwillen. Es genügt, wenn ich ihm sage, was zu sagen ist.«

Beide sahen sich erstaunt an, und Saß dachte: »Hermine glaubt doch, mir sehr nahe zu stehen, daß sie mir so kurzweg befehlen will,« und diese: »Alfred Saß ist doch schon sehr vertraut mit mir geworden, daß er mir so kurzweg zu befehlen wagt.«

Saß fragte, ob die verehrte Freundin nicht lieber heute noch als übermorgen abreisen möge. Vorhin habe er gewünscht, daß sie ihre Abreise möglichst weit hinausschiebe; jetzt wünsche er's nicht mehr.

Nun aber ergriff Amalie das Wort: »Wir kommen nicht früher fort. Ich bin noch gar nicht gerüstet; Hermine war nämlich so gütig, mich zur Mitreise einzuladen.«

Und Hermine fügte hinzu: »Wir Beide sind uns seit bald zwei Jahren so nahe getreten, wir haben so Vieles miteinander durchlebt und unser ganzes früheres Leben nachgelebt, aber wir sind noch niemals zusammen gereist. Ich war seit Monaten Amaliens Hausgast, sie soll nun auch einmal mein Reisegast sein. Wir unternehmen eine Freundschafts-Hochzeitsreise. Eine gemeinsame Reise ist eine kleine Ehe. Mit seinen Freunden muß man gereist sein, um sich ihnen ganz verbunden zu fühlen.«

Saß sprach wehmütig: »Um so schmerzhafter werde ich, der Zurückbleibende, den anregenden, erquickenden Umgang beider Damen vermissen!«

Hermine bemerkte etwas spöttisch zu Amalien: »Wir lassen unsern Freund Saß ja nicht ganz allein zurück. Er verkehrt in seiner Phantasie wundersam innig mit einem teuern Wesen, welches von seiner Neigung nichts weiß und ihn darum niemals im kühnsten Fluge seiner Huldigung stören kann.«

Amalie errötete tief und schlug vor Saß die Augen nieder.

Hermine fuhr fort, immer zu Amalien gewendet: »Du weißt, wie jenes geheimnisvolle Wesen heißt; ich weiß es nicht.«

»Ich habe nichts verraten,« sagte hastig die sonst so redegewandte Amalie zu Saß, verlegen wie ein Kind, welches sich entschuldigt.

»Nichts? wohl kaum,« entgegnete dieser, »sicher etwas, aber doch, wie es scheint, nicht Alles. Nun, so will ich selber Alles verraten. Eine Vision schwebt vor meinem Geiste, die mich seit Jahr und Tag begleitet, entzückt, quält, erhebt, niederdrückt. Doch in diesem Augenblicke ist es keine Vision: die Erscheinung hat leibhaftes Leben gewonnen, um nur allzu rasch wieder zu entschwinden und – vielleicht für immer – wieder Vision zu werden und zu bleiben.«

Nun errötete Hermine. Es glühte und zuckte in ihrem Gesicht, sie schlug die Augen nieder und ließ sie dann wieder aufleuchten. Sie gedachte ihrer früheren ziellosen Schwärmerei: wie wunderbar war doch die Verwandtschaft des Selbsterlebten und der Gleichklang ihrer Seele mit dem Denken und Fühlen dieses Mannes, der trotzdem wieder ganz anders geartet, der ihr innerlich bereits so nahe getreten und äußerlich doch so fern geblieben war. Sie erschrak über sich selbst, nicht ohne ein geheimes Entzücken: war sie doch eifersüchtig gewesen auf das Traumbild der Unbekannten, und mochte sich's nicht gestehen, und jetzt hatte sie keine Ursache mehr, eifersüchtig zu sein.

Sie hätte reden mögen, aber sie konnte es nicht. Saß und Amalie warteten sichtbar auf ein lösendes Wort. Hermine schwieg.

Endlich faßte sie sich und sagte, einen ruhigen Gesprächston erzwingend, welcher die tiefe Erregung nicht ganz verschleiern konnte: »Ich werde nicht zu Landfried gehen, Ihnen zu lieb, mein teurer Freund. Wir sagen Ihnen heute Lebewohl; – wir wissen noch nicht, wohin wir gehen; – wir werden fern bleiben und wissen noch nicht wie lange.«

»Aber Sie müssen sich doch wenigstens ein nächstes Reiseziel ausgedacht haben,« rief Saß unmutig. »Fahrkarten ins Blaue werden, glaube ich, auf unserm Bahnhofe nicht abgegeben.«

»Unser nächstes Reiseziel liegt nicht allzufern; es ist Wiesbaden. Dort wollen wir ein paar Wochen verweilen und unsern weiteren Plan festsetzen. Wiesbaden ist ein reizender Ort, auch in dieser Winterzeit; man kann dort großstädtisch leben und ländlich zugleich, einsam und in der Welt: wir werden die Einsamkeit zunächst vorziehen.«

»Und darf ich Sie in dieser Einsamkeit durch einen Brief stören?« fragte Saß.

»Durch einen Brief? Ich bitte um einen regelmäßigen Briefwechsel. Wünsche ich doch so dringend, fortlaufende Nachrichten zu erhalten über meine kleinen Frankenfelder Unternehmungen, die mir so sehr am Herzen liegen.«

Saß bemerkte: »Die arme Marie Landfried wird Ihre Abwesenheit am schmerzlichsten empfinden. Sollten Sie, teueres Fräulein, nicht heute schon beschließen, wie der Verlassenen und ihrem Kinde zu helfen wäre?«

»Wie gut, daß Sie mich an das Drängendste erinnern,« sprach Hermine, mit dankend liebevollem Blick. »Wir müssen sofort ans Werk gehen. Aber mein Kopf wirbelt mir, – nicht heute, nicht morgen! Hier gilt es Ruhe und Klarheit, die ich in Frankenfeld nicht mehr finden werde; – um so sicherer in Wiesbaden. Ich hoffe, Ihr erster Brief bringt mir Ihre ausführlichen Vorschläge über Marien.«

»Dergleichen läßt sich mündlich viel besser beraten als schriftlich,« erwiderte Saß, merklich spitz und kühl, denn er konnte es noch nicht verwinden, daß Hermine auf sein Bekenntnis von der Vision nur mit Schweigen geantwortet hatte. »Ich könnte ja auf einen Tag nach Wiesbaden kommen, natürlich bloß, um Ihnen meine Vorschläge wegen Mariens zu unterbreiten.«

»Das wäre in der That notwendig,« entgegnete Hermine. »Denn da Sie die Güte haben wollen, mein Geschäftsträger in Frankenfeld zu sein, so bleibt uns doch noch Vieles zu besprechen.« Sie sprach aber, im Gegensatze zu Saß, diese kalten Worte sehr warm und verbindlich – und der Ton macht die Musik.

»Ihr Besuch wäre nicht bloß notwendig, er wäre uns ein großes Vergnügen,« rief Amalie dazwischen. »Aber kommen Sie bald, lieber Freund!«

»Ja, kommen Sie bald,« wiederholte Hermine. »Ich bin ein unruhiger Gast, ich weiß nicht, wie lang ich an dem neuen Ort bleiben werde, wo ich einen Frieden suche, welchen ich noch nirgends gefunden habe, nicht einmal in Frankenfeld.«

»Den Frieden gibt uns kein Ort,« sprach Saß sehr ernst. »›Ein immer fröhlich Herz und edeln Frieden,‹ worum wir in dem frommen Liede bitten, gibt uns nur Gott durch und in uns selbst und aus dem Herzen – geliebter Menschen.«

»Wir müssen scheiden!« rief Hermine wehmütig. »Suchen Sie mich morgen nicht mehr auf: überlassen Sie mich meiner Unruhe. Auf Wiedersehen! Auf ruhigere Stunden in Wiesbaden!«

Amalie hatte wieder, wie im Anfang unserer Geschichte, fast nur als »stumme Person« dem merkwürdigen Gespräche beigewohnt.

Um so weniger blieb sie stumm, als sie sich nachher mit ihrer Freundin allein sah, und auch diese begann, ihr nun zu gestehen, was sie bisher sich selbst zu gestehen kaum gewagt hatte.

Am späten Abende noch schrieb Amalie in ihr Tagebuch, welches mehr Gedanken als Thatsachen enthielt:

»Es gibt seltene willensstarke Frauen, die nur dann einen Mann lieben können, wenn sie selber ihn gesucht, wenn sie ihn unter Schmerzen und Hindernissen sich erkämpft haben. Und trotzdem wissen sie im günstigen Augenblicke das lösende und erlösende Wort nicht zu finden. Sie scheuen sich auszusprechen, was sie hundertmal sich selbst bekannt, sie wollen sich nicht beugen vor dem Manne, den sie doch suchten. Lieben aber heißt, sich beugen vor dem Geliebten, als einem edleren und besseren Wesen.

»Es gibt auch willensstarke Männer, die sich nur für diejenige Frau in Liebe begeistern können, welche ihnen nicht entgegenkam, sondern die sie selber gesucht und unter Schmerzen und Hindernissen sich erkämpft haben, und denen es dann doch unendlich schwer wird, um Gegenliebe zu werben, zu sagen, daß sie ihren starken Willen beugen, daß sie sich hingeben wollen dem geliebten bessern Wesen. Denn wer die Geliebte nicht für reiner und besser hält als sich, der liebt nicht wahrhaft.

»Welch seltenes und großes Zusammentreffen aber, wenn eine willensstarke Frau unerwartet sich gerade von dem gleich selbstherrlich gearteten Manne gesucht sieht, den sie selber suchte, und wenn endlich aus dem Zwange des Entsagens und des Kampfes mit sich selbst das gegenseitige Geständnis der Liebe, alle Banden zersprengend, hervorbricht, und beide nun in rückhaltloser leidenschaftlicher Hingabe ihre Beseligung finden!

»Wird das nicht die glücklichste Ehe werden?«


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