Wilhelm Heinrich Riehl
Ein ganzer Mann
Wilhelm Heinrich Riehl

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Drittes Kapitel.

Das Reklamebild.

Am Nordwestrande der Stadt in schönster Sonnenlage breitete sich ein Kranz von Gärten, aus dem Thalgrunde zu den sanften Höhen ansteigend. Sie führten zusammen den alten Flurnamen »im Bangert« (Baumgarten). Seit den frühesten Zeiten hatten hier die wohlhabenden Bürger ihre Familiengärten besessen, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbten. Und in guten und bösen Tagen hatten sich hier die glücklichen Eigentümer – so nahe den engen Gassen des Städtchens – ländlicher Gemütlichkeit erfreut.

Viele dieser Gärten sahen denn auch heute noch altmodisch genug aus. Von Weißdornhecken umzäunt, bestanden sie zum größeren Teile aus Gemüse- und Obstpflanzungen, zum kleineren aus Blumenbeeten, die mit Buchs umrahmt waren. Halb verwahrlost, halb gepflegt konnten sie dem Auge eines Malers oder Poeten gefallen, während der Blick des Gärtners nur mit Mitleid auf ihnen ruhte. Ein jeder Garten hatte ein gemauertes altes Gartenhäuschen, welches so viel Raum bot, daß eine kleine Gesellschaft bei einfallendem Regen behaglich darin im Trockenen sitzen konnte. Diese Häuser wurden freilich fast nur noch zur Aufbewahrung von Gartengeräte benützt und waren baufällig und verwittert; die Großväter und Urgroßväter dagegen hatten sich in ihnen heiterer Geselligkeit erfreut, auch wenn es nicht regnete. An gar manchem Sommerabende waren da die Familien aus den Nachbargärten wechselnd zusammengekommen; eine jede brachte ihr Abendbrot in kalter Küche mit, der jeweilige Wirt spendete etliche Krüge Aepfelwein und wohl auch noch eine Flasche köstlichen Johannisbeerweines, der im Garten gewachsen war. Die Alten plauderten gemütlich, die Jungen schwärmten dazwischen für die »süße, heilige Natur«, und wann die Dämmerung hereinbrach, dann sangen alle zusammen, erhobenen Gemütes, Chorlieder von Hölty und Voß, von Miller und Claudius nach den schlichten Weisen des Meisters »im Volkston«, Johann Abraham Schulz.

Wie weit, weit weg liegt diese Zeit! Wir haben nur noch Sinn und Verständnis für das idyllische Behagen solch trauten Kleinlebens, wenn es uns im Stimmungsbilde der Vergangenheit vor die Seele tritt; es selber wieder lebendig zu machen und in uns zu erleben, vermögen nur die Wenigsten. Wir besitzen noch die alten Lieder »An die Zufriedenheit«, aber die Zufriedenheit besitzen wir nicht mehr.

Ein Einziger jener altmodischen Gärten, und zwar der größte und schönst gelegene, war neuerdings völlig umgestaltet worden. Er gehörte Herrn Alfred Saß, dem früheren Mitbesitzer, jetzt stillen Teilhaber der großen Maschinenfabrik »Hephästos«, deren rauchende Kamine sich vor dem Südende der Stadt erhoben.

Herr Saß hatte Geschmack und überflüssig viel Geld und Muße dazu, um seinem Geschmack zu huldigen. Die Weißdornhecke des Gartens war verschwunden, um einem kunstreich geschmiedeten Eisengitter mit vergoldeten Spitzen Platz zu machen, welches auf Granitwürfeln ruhte. Wer durch das monumentale Portal eintrat, den begrüßte ein kleiner Teich mit Springbrunnen, von Teppichbeeten aus gleichfarbigen Blumengruppen umgeben. Die ehemaligen Gemüseländereien waren in eine parkartige Anlage verwandelt. Das alte Gartenhäuschen war verschwunden; an seiner Stelle erhob sich ein Pavillon im zierlichsten modernen Rokokostil mit breit vorgelagerter Terrasse, deren Aufstieg rechts und links mit zierlichen Marmorfiguren geschmückt war. Von dieser Terrasse übersah man im Vordergrunde die ganze sanft ansteigende Gartenanlage und weiterhin die Stadt und das Thal und die Höhenzüge, welche den Hintergrund abschlossen.

Dort tafelte heute abend – es war am 25. Mai 1869 – eine äußerst fröhliche Gesellschaft.

Herr Saß hatte die Parteihäupter der »Mauerbrecher«, welche zugleich sämtlich Mitglieder des »Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs« waren, zu einem kleinen Gartenfeste geladen, wie er sich bescheiden ausdrückte. Er bewirtete seine Gäste mit Forellen und Pasteten und Braten und Hochheimer Domdechantei 1865er.

Das kleine Gartenfest sollte ein Jubelfest sein. Die »Fledermäuse« waren geschlagen, der Abbruch des alten Haderturms durch alle Instanzen bestätigt. Herr Saß wollte die Festesfreude seiner Freunde zugleich der ganzen Stadt sichtbar kundgeben. An den Bäumen des Gartens waren für den spätern Abend farbige Papierlaternen aufgehangen und zuletzt sollte ein Feuerwerk abgebrannt werden.

Doch bis dahin war noch geraume Zeit.

Nachdem die Siegesfreude sich überreich ausgebraust hatte, ergriff Herr Saß das Wort, um einen andern naheliegenden Gegenstand zur Sprache zu bringen. Er rief: »Verehrte Freunde! Wir stehen zusammen an der Spitze des ›Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs‹. Unser Verein, der wesentlich mitgewirkt hat, den Haderturm zu brechen, muß nun zeigen, daß die aufgeklärten Bürger Frankenfelds nicht nur zu zerstören, sondern auch aufzubauen wissen, und daß die von dem garstigen Turmungetüm befreite Stadt hiermit in eine neue Aera ihrer Entwickelung eingetreten ist. Ich schlage vor, daß wir ein großes Reklamebild von Frankenfeld anfertigen lassen, welches in den Wartsälen von tausend Bahnhöfen und in den Treppenhäusern von tausend Gasthöfen Deutschlands ausgehängt werden soll. Das Bild würde in der Mitte die Gesamtansicht der Stadt und in zehn kleinen Randzeichnungen die schönsten Einzelpartien von Stadt und Umgegend in Farbendruck darstellen. Am Fuße des Blattes steht gedruckter Text, der die Geschichte und Statistik ebenso kurz als lockend schildert. Ich habe darum heute schon den ersten Künstler Frankenfelds, Herrn Klodwig Stiefel, den hochberühmten Zeichenlehrer unsres Gymnasiums, hierher eingeladen« – (Herr Stiefel erhob sich und machte eine Verbeugung) –: »er wird die Photographien aller betreffenden Ansichten aufnehmen. Früher pflegte man dergleichen peinlich wahr zu zeichnen, wobei oft nichts effektvolles herauskam; die modernen Maler zeichnen nicht mehr nach der Natur, sie zwingen die Natur sich selbst abzuzeichnen. So wird auch unser Künstler die Sonne zwingen, daß sie unsre gute Stadt peinlich wahr zeichne, damit er selbst dann hinterher das Lichtbild in freiester Phantasie zu den lockendsten Effekten aufbessere und in Farbe setze.«

Wie anmutig lag Stadt und Gegend im Abendlicht vor den Beschauern, die nach den Worten des Herrn Saß minutenlang im Anblicke des Originals schwelgten, welches noch viel schöner auf dem Bilde wiedergeboren werden sollte!

»Auf der Anhöhe hinter der Pfarrkirche stehen fünf vereinzelte, ziemlich dürftige Tannenbäume,« bemerkte endlich der Ratsapotheker Fink.

»Ich werde sie zu einem Tannenwald verdichten!« rief Maler Stiefel.

»Aber das Schönste liegt fernab hinter den Tannen, das Gebirg mit der hohen Pyramide des Kreiselsteins,« fuhr der Apotheker fort.

»Nur schade, daß man' s im ganzen Stadtbilde nirgends sehen kann!« warf der alte Oberst Sickenwolf dazwischen, Oberst außer Dienst, der selbst bei Hochheimer Domdechantei seine gewohnte trockene Kritik nicht unterdrücken konnte.

»Allein man würde die stolze Gebirgskette sehen, wenn man sich in einem Lustballon tausend Fuß über unsern gegenwärtigen Standort erhöbe,« bemerkte eifrig der Bürgermeister Madenbach.

»Ich werde die ganze Kette samt dem Kreiselstein in zartester Luftperspektive auf dem Bilde anbringen,« rief der Maler begeistert. »Jeder Künstler hat das Recht, sich seinen Augenpunkt zu wählen wo er will. Ich werde Frankenfeld zur Gebirgsstadt machen.«

Der Oberst flüsterte vor sich hin, so »beiseite«, wie es in den Theaterweisungen heißt, wobei aber das ganze Haus die »beiseite« gesprochenen Worte muß hören können: »Man hat gesagt, auf den heutigen Reklamebildern pflegen die größten Lügen grün und gelb und braun und blau gemalt zu werden. Da nach einem bewunderten Dramatiker unserer Zeit das Ideal in Kunst und Leben die Lüge ist, so darf doch auf einem Farbendruck die Lüge mitunter auch das Ideal sein.« Dann erhob er seine Stimme höher und rief: »Mißverstehen Sie mich nicht, meine Freunde: jede Reklame ist Uebertreibung, und jeder Vernünftige weiß, daß er sie als solche zu nehmen hat. Wir leben und atmen in der Luft der Parteien. Auch Stadt gegen Stadt wird mehr und mehr wettstreitende Partei, und dieser Wettstreit führt dazu, daß zuletzt alle Wände an öffentlichen Orten mit den gemalten Reklamen aller Städte bedeckt sein werden. Man wird die – idealisierte Städtetopographie von ganz Deutschland sehr bequem beim Vorübergehen in Hausgängen und Wartesälen studieren können. Schelten wir die Partei, schelten wir die Reklame nicht: was wäre die Zukunftsmusik ohne die Reklame ihrer Bekenner?«

Die letzten Worte entfesselten einen Sturm, hier des Widerspruchs, dort des Widerspruchs gegen den Widerspruch. Bis dahin so friedlich verlaufen, drohte die ganze Jubelfeier in grimme Fehde sich aufzulösen.

Allein Herr Saß rief donnernd dazwischen: »Keinen Hader! Was kümmern uns hier die musikalischen Harmonien, welche alle Welt in Disharmonie versetzen. Keinen Hader! Wenden wir uns lieber zum Haderturm. Soll er auf dem Idealbilde der Stadt noch stehen bleiben?«

Der Bürgermeister und der Apotheker sprachen eifrig dawider; der Oberst hingegen meinte, wenn man den Turm weglasse, so sehe das aus, wie wenn sich Einer die Nase aus dem Gesicht geschnitten hätte, – er meine natürlich nur auf dem Bilde; denn in Wirklichkeit habe er ja immer für den Abbruch des Turmes gestimmt.

Es entspann sich ein lebhaftes Wortgefecht, welches zu dem Beschlusse führte, daß der Turm gemalt stehen bleiben solle für die Fremden, während er abgebrochen werde für die Einheimischen.

Man besprach hierauf die kleinen Randzeichnungen, welche das Mittelbild umrahmen sollten. Zuletzt zog Herr Saß den belehrenden Text aus der Tasche, welcher am Fuße des Bildes neben der Figur der »Francofeldia« – griechische Tracht mit Mauerkrone – abzudrucken sei.

Er begann zu lesen: »Frankenfeld, Stadt von 8913 Einwohnern« – Hier warf der Apotheker die Frage ein: »Soll die Summe nicht auf 10 000 abgerundet werden?« Allein der Oberst rief mit feierlich erhobener Stimme: »Heilig sei uns die Statistik! ihre Zahlen sind das Gewisseste auf Erden – sofern sie richtig sind.«

Und in der That blieben nun die 8913 Seelen stehen.

Ueber die weiteren statistischen Notizen einigte man sich rasch. Die Industrie Frankenfelds wurde hervorgehoben mit besonderer Betonung der Maschinenfabrik Hephästos und der zahlreichen Gerbereien, welche längs des die Hauptstraße durchströmenden Baches lagen.

Der Oberst meinte, diese Angabe könne doch etwas abstoßend wirken – auf den Fremdenverkehr. Das Getöse der Maschinen beleidige das Ohr, der Rauch der Kamine das Auge, und die Gerbereien die Nase. Man beschloß darum sich statt weiterer Aufzählung mit dem duftigen Worte »Industrieblüte« zu begnügen.

Mit gesperrten Lettern sollte des Schwefelbades gedacht werden; denn Frankenfeld war auch aufstrebender Kurort. Es hatte hierbei einen bedrohlichen Wettbewerber in dem benachbarten Städtchen Groß-Runenstein, welches eine viel stärkere Schwefelquelle zu besitzen behauptete und schon weit länger die Badegäste anzog.

Mehrere Stimmen forderten, man solle in der Reklame sagen, daß das Verhältnis vielmehr umgekehrt sei, allein Herr Saß rief: »Keine Polemik auf unserm friedlichen Bilderbogen! Wir müssen vornehm sein! Wir dürfen unsere Stadt rühmen: das ist kein Selbstlob, sondern Heimatliebe. Aber wir dürfen nicht streiten gegen unsere wettkämpfenden Nachbarn, und wären sie auch noch so neidisch und ihre Kuranstalten noch so jämmerlich. Hüllen wir uns in vornehmes Schweigen!«

Das »vornehme Schweigen« wurde genehmigt.

Um so kräftiger beschloß man sodann, die herrlichen schattenreichen Kuranlagen herauszustreichen, die hundertjährigen verschnittenen Hainbuchengänge, die Wandelbahn, welche aus dem halbverfallenen Kreuzgange der Klosterräume von St. Margareten hergerichtet war, das geborstene Chorgewölbe der Klosterkirche, unter dem die Kurkapelle ihre Ouverturen, Tänze und Potpourris spielte und die vereinzelt noch stehengebliebenen gotischen Pfeiler des Schiffes, zwischen welchen man vor zwei Jahren einen modernen Pavillon eingebaut hatte für ein Café-Restaurant, dessen Wirt nur kurgemäße Getränke und Speisen auftragen durfte. Die Heilquelle selbst aber sprudelte in der früheren Vorhalle der Kirche. Der Kaffeepavillon müsse dann als besonders merkwürdig hervorgehoben werden.

Hier widersprach Herr Blödel, der Gastwirt zur »Schwedischen Krone«. Eine gewöhnliche Kaffeeschenke, meinte er, gehöre doch nicht in das Reklamebild einer so berühmten Kur- und Reisestadt.

Der Oberst dagegen bemerkte: »Wenn wir den neuen Kaffeepavillon streichen, dann bleibt eben nur noch die Klosterruine und der auf Abbruch gestellte Haderturm dazu, und bei den Spaziergängen die zerfallene Burg Sonnenstein und das verwaiste und verwahrloste Rokokoschlößchen auf der Luisenhöhe – lauter Altertümer! Und wir wollen doch den lockenden Glanz des modernen Frankenfeld zeigen!«

Eifrig fiel Blödel ein: »Da nenne man vor allen Dingen unsere vortrefflichen Gasthöfe, mit jeglichem Komfort der Neuzeit ausgestattet: die ›Schwedische Krone‹, das ›Goldene Lamm‹, den ›Türkischen Kaiser‹.«

»Das sind ja lauter ganz altmodische Namen!« rief der Oberst. »Wollen Sie nicht, Herr Blödel, zur Einweihung der neuen, mit dem Fall des Haderturms beginnenden Aera Ihre ›Schwedische Krone‹ in ein ›Grand Hôtel-Royal‹ umtaufen?«

Blödel entgegnete erhobenen Tones: »Ich bin immer und überall für das Neueste; aber mein Gasthof hat den Ruhm, der älteste der Stadt zu sein, wie schon der Name beweist. Er stammt aus dem Dreißigjährigen Krieg, und Gustav Adolf war, sicherem Vernehmen nach, der erste Gast. Man könnte dies wohl in den Text aufnehmen.«

»Wir leben in einer wunderlichen Stadt,« bemerkte Herr Saß. »Das Alte ist bei uns das Neue – die Klosterruine wird zur hochmodernen Kuranstalt – und das Neueste ist das Alte, wobei ich nicht bloß an die ›Schwedische Krone‹, sondern weit mehr noch an das Museum des Herrn von Rohda denke. Fremde, auf welchen der Geist der ›Fledermäuse‹ ruht, nennen es sogar die größte Sehenswürdigkeit Frankenfelds, welche von Tausenden besichtigt wird, nur nicht von den Frankenfeldern selber. Sollen wir das Museum in den Text des Reklamebildes aufnehmen?«

Die meisten Stimmen sprachen dafür.

Dieses Museum war eine reiche Sammlung von Altertümern, die ihr Besitzer, Freiherr von Rohda, seit fünfundzwanzig Jahren mit ansehnlichen Mitteln, brennendem Eifer und feinem Spürsinn zusammen gebracht hatte. Es enthielt einzelne Stücke von hohem künstlerischem und geschichtlichem Wert und erfüllte das ganze große freiherrliche Haus. Obgleich Herr von Rohda höchst einsiedlerisch gelebt, hatte er doch den Besuch seiner Sammlung immer aufs freisinnigste gestattet. Auch nach außen hatte das Museum Ruf.

Aber der Freiherr war vor vierzehn Tagen gestorben, und seine einzige ledige Schwester, die ihm seit vielen Jahren hausgehalten hatte, galt für die unzweifelhafte Erbin des großen Vermögens samt dem Museum. Man fürchtete, daß letzteres jetzt der Stadt verloren gehen werde, zerstreut, verkauft.

Die Freunde des Herrn Saß fanden diese Aussicht höchst betrüblich: hätte doch der Text des Reklamebildes seines feinsten Glanzlichtes entbehrt ohne das Rohdasche Museum. Sie begeisterten sich mit einemmal für dasselbe, obgleich es noch Keiner von ihnen seines Besuches gewürdigt hatte.

Nur Herr Saß war andern Sinnes: »Seien wir froh, wenn uns der alte Plunder genommen wird. Es lebe die Gegenwart! Diese zahllosen Kunstaltertümer, welche man jetzt in Museen aufhäuft, ersticken nur die freie Kraftentfaltung unsrer lebenden Künstler.«

Und Oberst Sickenwolf ergänzte: »Die alten Griechen waren klüger als wir. Sie zerschlugen und verbrannten von Zeit zu Zeit die älteren Kunstwerke, damit die lebenden Künstler Luft gewönnen zu neuem Schaffen, eigenartig, selbstherrlich, unbeeinflußt durch den Bann verblichener Größen.«

Die ganze Gesellschaft war verblüfft über diese neue Kunde aus dem alten Hellas, die noch Keiner von ihnen vernommen hatte, aber der Oberst versicherte mit der treuherzigsten Miene, aus welcher doch der Schalk und Spötter deutlich genug hervorlugte, die Griechen hätten es wirklich so gehalten, er habe es gedruckt gelesen – im Feuilleton einer Wiener Zeitung.

»Machen wir es den Griechen nach,« so schloß er pathetisch, »lassen wir das Rohdasche Museum fahren, wohin es will, und gründen wir in Frankenfeld eine neue Kunst auf neuem Boden!«

Hier aber fand der Oberst wie Herr Saß den stärksten Widerspruch. Die Andern riefen, man müsse das Museum der Stadt erhalten. Freilich wußte Keiner anzugeben, wie dies geschehen solle; denn die mutmaßliche Erbin war Allen ein Rätsel. Keiner kannte sie näher, sie lebte ebenso einsam und unnahbar wie ihr verstorbener Bruder gethan. Man geriet in lärmenden Streit über Dinge, die man nicht wußte, über Personen, die man nicht kannte und über Pläne, die man in die Luft baute.

Zuletzt gebot der Bürgermeister Friede. »Wir sind ja doch zusammengekommen, um den Fall des Haderturmes zu feiern, der die Bürgerschaft so lange in Hader versetzt hat, und nun machen wir uns aus dem Museum wieder einen neuen Haderturm!«

Herr Saß ergriff den günstigen Augenblick und ließ Champagner kommen und bewirkte durch den schäumenden Wein, der so manchmal die Köpfe im Kreise dreht, daß die Gedanken der Streitenden im Kreislauf wieder auf den ursprünglichen Zweck ihrer Zusammenkunft zurückkamen. Sie entsannen sich, daß sie ja eigentlich ein Fest feierten. Darum jubelten sie zuletzt wieder statt zu streiten und fielen sich gar in die Arme aus heller Freude über den errungenen Sieg, über den Fall des Haderturmes.

Der aufsteigende Mond beleuchtete die rührende Scene. Herr Saß befahl, daß man die farbigen Laternen anzünde und sich zum Abbrennen des Feuerwerks rüste. Hinter dem Gitter hatte sich schon ein ganzer Schwarm von Buben und Mädchen versammelt, des seltenen Schauspiels harrend.


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