Wilhelm Heinrich Riehl
Ein ganzer Mann
Wilhelm Heinrich Riehl

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Aus dem Begleitschreiben

bei Uebersendung des Buches an eine Freundin.

– – Sie lieben einen fröhlichen Gang durch Wald und Wiesen, über Berg und Thal. Die Natur ist nicht immer freundlich, aber sie ist doch immer – natürlich.

Ein erzählendes Buch lesen Sie gerne, wenn es Sie wie solch ein Gang in der freien Natur anmutet, – am liebsten, wenn Sie's sogar unter grünen Bäumen lesen möchten.

Aber auch in der engen Stube am trauten Winterabend oder an stillen Regentagen auf dem Lande nehmen Sie gerne einen Roman zur Hand, welcher Sie in gemütliche Stimmung versetzt und Ihnen zwischendurch ein behagliches Lächeln entlockt.

Sie suchen die Natur noch in der Kunst und vermögen sich noch an einer Sonate oder einem Quartett von Haydn oder Mozart herzinnig zu erquicken, wie nicht minder an einer Zeichnung von Schwind oder Richter.

Sie haben noch Sinn für eine Kunst, die mehr anregt als aufregt, für eine Kunst, die uns erwärmt, was doch etwas anderes ist als wenn es einem fortwährend heiß und kalt wird. Ich freue mich, Ihren Geschmack zu teilen.

Sie lesen ruhig und langsam, mit Pausen, das Gelesene überdenkend.

Sie erfreuen sich darum an wohlgegliederten Büchern, deren kleine und große Abschnitte für sich ein künstlerisch gerundetes Ganze sind und doch zur Einheit sich verweben. Es ist angenehm, wenn man ein Buch leicht weglegen kann und ebenso leicht wieder dazu zurückkehrt.

Die geschlossene Form in der Sonate hat ihren Reiz für Sie noch nicht verloren. Auch der Roman hat – gleich der ächten Novelle – seine Sonatenform.

Kurze Bücher, bei denen der Leser zuletzt bedauert, daß sie schon zu Ende, sind Ihnen angenehmer als lange, bei denen man sich quält, fertig zu werden.

Sie bewegen sich gerne in guter Gesellschaft, auch wenn Sie einen Roman lesen.

Sie rühmen es als ein besonderes Behagen, daß man sich bei einem fesselnden Roman einspinnen könne in die Zustände eines fremden Ortes, den wir nie besucht und in den Verkehr mit Menschen, die wir nie gesehen haben, daß wir mit diesen vertraut werden wie mit Freunden und zuletzt bedauern, wann der Verkehr zu Ende ist. Heitere Bilder, die Ihnen das Sonntagsgesicht der Menschen zeigen, sagen Ihnen mehr zu als Marterbilder, die uns all unsere Schlechtigkeit und Verkehrtheit grausam offen legen.

Man soll keinen Roman schreiben, den man vor seinen Kindern verstecken muß. So sagten Sie einmal. Darum braucht man doch noch lange keine Romane für Kinder zu schreiben.

Ein gesunder Roman, bei dessen Lektüre es dem Leser recht von Herzen wohl wird, dünkt Ihnen der zeitgemäßere. Denn solcher Bücher haben wir nur wenige und brauchten ihrer viele.

Sie begehren nicht politische, soziale, religiöse, ästhetische und andere Tendenzen in einer erzählenden Dichtung. Sie fordern nur, daß eine inhaltreiche Geschichte, bei der man sich etwas denken kann, schön und gut erzählt werde.

Sie sind noch jung; trotzdem weiß ich nicht, ob es selbst unter den alten Leuten noch viele gibt, die so köstlich altmodisch lesen und beurteilen wie Sie. Vielleicht erstehen solche Leser wieder unter der Jugend.

In Betracht Ihrer seltenen und seltsamen Gedanken vom Bücherlesen wage ich es, Ihnen meinen neuen Roman zu übersenden, hoffend, daß Sie ihn – – lesen werden, und nicht hinterdrein bereuen, ihn gelesen zu haben.


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