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XIV.
Am Ursprungslauf des Amazonas

Rioja – Gibt es Chirimoyas? – Chachapoyas – Armer Weißer, armer Indio – Cajamarca

 

In Moyobamba hatte ich, da es dort eine Zeitung gibt, nicht versäumt, die Redaktion zu besuchen. Es war eine kleine Werkstätte, in der eine alte Handpresse steht, die der Redakteur selbst bedient, Journalist, Verleger, Herausgeber, Setzer, Drucker und Austräger in einer Person. Ich hielt meinen Vortrag und konnte noch während meines Aufenthaltes den schwungvollen Artikel genießen, den »La Montaña« über mich losließ. In Moyobamba begegnete ich auch dem Dichter Karr y Corona wiederum. Wäre ich ihm in Honolulu oder San Francisco begegnet, so hätte ich mich darüber nicht aufgeregt; hier jedoch, wo eine Reise eine Angelegenheit ist, war es immerhin ein hübscher Zufall, daß er, ebenfalls von Iquitos kommend, an demselben Ort sich aufhielt wie ich. Er reiste allerdings wohlausgerüsteter und war, dank seiner geschickten Organisationsgabe, als spanischer Dichter überall eingeladen und hochgeehrt. In Iquitos hatte er mir seine Gedichte verehrt, jetzt dedizierte er mir einen weißen Anzug, der mir zwar zu klein, aber immer noch besser war als mein zerknautschtes und zerweichtes graubraunes Kakhigewand voll fettiger und schimmeliger Flecke, von denen man sich vergeblich fragt, woher sie stammen. In dieser meiner neuen Eleganz konnte ich, nachdem ich mehr und mehr gehen lernte, wenn ich nicht gerade einen Fieberanfall hatte, nun auch offiziellen Einladungen Folge leisten, so einer des dortigen Staatskassiers, dessen Grammophonkasten ich, nachdem ich monatelang so etwas nicht gesehen hatte, anstaunte wie ein Wilder. Lockender noch als diese Musik klangen mir die merkwürdig metallenen und atonalen Töne der Rohrstengelflöte im Ohr, die die Indianer blasen, wenn sie unterwegs sind und am frühesten Morgen die Stadt verlassen. Diese Flöte, die der altgriechischen Pansflöte gleicht, mahnte und zog mich fort. Aber wie weiterkommen? Ich hatte kein Pulver mehr, weder zum Zahlen noch zum Schießen, und verkaufte darum meinen Photoapparat an Brachowicz. Er konnte ihn zwar nur teilweise bezahlen, aber ich kam dadurch wenigstens wieder ein Stück weiter.

Von Moyobamba nach Chachapoyas, acht Tage, reiste ich mit der Post. Sie bestand aus zehn Maultieren und zwei Führern, die sich recht wenig aus mir machten, da die Post Reisende nur aus Gnade und Barmherzigkeit mitnimmt. Ich ritt auf einem hölzernen Gepäcksattel ohne Bügel und Zügel, eine ziemlich unbequeme Reitart, an die man sich erst gewöhnen muß. Das Reisen mit der Post ist wenig schön, weil sie es besonders eilig hat. Der Tagesmarsch geht immer bis zu einem nächsten Lagerplatz. Die Reise muß so schnell wie möglich und ohne allen Aufenthalt vor sich gehen, die Arrieros wollen es so und wissen genau die Stunden, die man von einem Lager zum anderen braucht; nur stimmt es nie. Jede Verzögerung, jeder Halt von einer halben Stunde bedeutet Eintreffen in der Dunkelheit. Flüsse werden von der ganzen Kolonne mit Sack und Pack durchwatet; wenn sie zu tief sind, wird alles abgepackt, die Tiere werden durchs Wasser getrieben, Mannschaft und Gepäck mit der Canoa übergesetzt. Der einzige Aufenthalt, den es geben kann, ist, daß ein angeschwollener, unpassierbarer Fluß kommt und man gezwungen ist, zu warten, bis das Wasser fällt. Dies passierte uns (zu meinem nicht geringen Vergnügen) am Rio Hindoche bei Rioja. Wir mußten drei Tage warten. Ich wohnte in der Hütte des Telegraphisten, eines Mannes, der barfuß in den Steigbügeln die Strecke abreitet und im Urwald übernachtet, um den ewig abgerissenen Draht zu flicken. Mein ministerielles Schreiben imponierte ihm so gewaltig, daß er zur Ehre meiner Anwesenheit eigenhändig ein Schwein schlachtete und mir bei dem sehr herzlichen Abschied einen Empfehlungsbrief an seine Schwiegermutter in Chachapoyas mitgab.

Wir ritten durch das schluchtartige Tal des oberen Amazonas, fünf Tage lang fluß- und bergaufwärts. Obwohl im Hochgebirge, waren wir immer noch im Urwald; jeden Augenblick fliegt der Hut vom Kopf, die Ameisen fallen einem von den Bäumen in den Halsausschnitt, beißende Zecken setzen sich in die Hand- und Fußgelenke, und immer wieder mal blieb ich in einer hundert Meter langen Liane hängen und merkte es erst, wenn der Pflanzenstrick schon so verwickelt war, daß ich den Fuß nicht mehr herausbrachte, aber auch das Tier nicht zum Halten bringen konnte, weil eines dem anderen nachrennt wie ein Schaf; bis dann auf mein erbärmliches Geschrei (denn es ist nicht angenehm, sich ein Bein ausreißen oder sich vom Tier herab auf den ungepolsterten Boden knallen zu lassen) ein Indianer herzusprang und den gefährlichen Lasso mit der Machete abhieb.

Der Amazonas, der Vater aller Wasser, ist hier oben nicht der behäbige, massive Großvater der Tiefebene, sondern ein stürmischer Jüngling, ein wilder, temperamentvoller Sohn der Berge. Tagelang neben seinen tosenden Sprüngen und Fällen reitend, empfand ich, wie geheimnisvoll das ununterbrochene, rastlose, unerschöpfliche, ewige Abwärtstreiben des Wassers von Berg zu Tal ist. Trotz der Gefühlsverbundenheit mit der herrlichen Natur ist jeder Tagesmarsch ermüdend endlos. »Wie weit ist es noch?« kann man sich endlich nicht mehr enthalten zu fragen. »Lejito!« heißt es dann, nicht mehr weit. Man meint also, noch eine Stunde. Dann vergehen zwei Stunden. Jetzt muß es bald so weit sein. Das Auge sucht das wirre Waldgestrüpp ab, ob nicht irgendwo ein Licht hereindringt. Aha, da vorne, jetzt wird es hell! Dann vergeht noch eine Stunde. Man fragt jetzt nicht mehr. Die Antwort wäre ja doch wieder: »Lejito!«

Es ging aufwärts, die Vegetation blieb zurück, das Hochgebirge wurde kahl und schwierig, der Paßweg bestand aus steilen Wasserrinnen und meterhohen natürlichen Felsstufen, die das Mula mit gemsenartiger Gewandtheit erklettert. Freilich kümmert sich das Tier dabei um den Reiter sehr wenig. Wenn er sich nicht an die Mähne klammert, saust er unfehlbar nach hinten hinunter. Sehr angenehm ist auch das rücksichtslose Durchzwängen des Tieres durch die schmalen Gassen zwischen den Baumstämmen oder durch eingeengte Felsschächte, die gerade so breit sind, daß das Tier eben noch durchkommt. Ein Halten gibt es nicht. Wenn nun das Mula spürt, daß es anstreift, reißt es sich einfach durch, mögen dabei Sattel und Gepäck in Fetzen gehen. Auch die dicksten Packtaschen sind nach kurzer Zeit durchlöchert. An die Beine des Reiters, die auch ihren Platz brauchen, denkt es dabei natürlich nicht. Man nimmt die unmöglichsten Stellungen ein, aber trotzdem waren meine Knie aufgeschunden, die Hosen zerfetzt, die Beine voll Beulen und Löcher.

Wir hatten die kahle Paßhöhe überschritten und übernachteten schutzlos im eisigen Regen, der die Schlafdecken in aufgeschwollene Schlammgebilde verwandelte. Der Rheumatismus brannte in allen steifen Gelenken wie frostiger Starrkrampf. Zitternd und gekrümmt schleicht man zum Feuer, das die Indios mit großer Mühe und Geduld anfachen, und versucht, sich ein wenig aufzutauen. Aber nun geht es wenigstens abwärts, das heißt, jetzt wiederholt sich dieselbe Gymnastik, nur umgekehrt. Wie beim Aufwärtsreiten an der Mähne, so hält man sich beim sprunghaften Abwärtsreiten über die stufigen Felsen mit beiden Händen rückwärts am Schwanz fest; und wie man sich tags vorher platt an den Hals des Tieres gedrückt hat, so hängt man jetzt mit dem Kopf nach hinten hinunter. Jeden Augenblick müssen die Treiber hinter jedem Tier nachspringen und den Schwanzriemen herunterzerren, um zu verhüten, daß der Sattel samt der Last oder dem Reiter kopfüber nach vorn hinunterplumpst.

Ich bat die Peones immer, es so einzurichten, daß wir nicht in die Nacht hineinkämen. Dennoch hatten wir uns einmal verspätet. Es ging plattige Schluchten abwärts, und es war so stockfinster, daß ich nicht einmal den Kopf meines Mulas sah. Dabei ging es in ziemlichem Tempo. Abzuspringen ist wegen der Enge des Weges nicht möglich, und Gehen wäre in der Dunkelheit, in der die Tiere immer noch sehen oder instinktmäßig Tritt finden, ebenso unmöglich. Es bleibt nichts übrig, als sitzenzubleiben, sich so tief wie möglich zu bücken und an der Mähne festzuhalten. Trotzdem knallte ich mit dem Schädel an einen der Baumstämme, die alle Augenblicke in anderthalb Mannshöhe über den Weg liegen, so daß man gerade drunter durchgehen, weniger gut aber durchreiten kann. Ich bewahrte zum Andenken an diese nächtliche Lustpartie ein ansehnliches Loch im Kopf.

Aber es ging talwärts! Am nächsten Tag schon wird die Landschaft freundlicher, die Sonne hat sich durchgekämpft, leichte, warme Regenschauer übersprühen die blauen Bergketten, der Wald öffnet sich zu grünen Lichtungen und bepflanzten Flächen, aus den Feldkuppeln steigen Agaven und Kakteen, und dann und wann blickt schon ein Bauernhaus in spanischem Stil freundlich aus dem strotzenden Grün.

Die Mulas sind bekanntlich eigensinnige Tiere, aber gerade darum muß man mit ihnen Geduld und Nachsicht haben. Einmal ließ ich diesen Grundsatz außer acht und hätte meine Unbesonnenheit beinahe übel büßen müssen. Ich sollte vorausreiten, aber das Tier war nicht dazu zu bewegen. Kaum merkte es, daß seine Kameraden zurückgeblieben waren, blieb es stehen, steif wie ein Stock. Sporen hatte ich keine, also schlug ich es mit der Gerte. Statt zu gehen, biß das Tier nach mir. Da wurde ich wütend und hieb es über den Kopf. In diesem Augenblick machte es einen mächtigen Satz und raste, ohne auf Weg oder Richtung zu achten, wie eine Furie dahin, durch dick und dünn und Dorn und Strauch unter so niedrigen Ästen durch, daß ich nur mit knapper Not nicht geköpft wurde. Von Halten war keine Rede mehr, das Mula war aus Angst rasend geworden. Das konnte nicht gut ausgehen. Ich sah mich schon halbiert oder gevierteilt in irgendwelchem Geäst hängen, ein Sturz war unvermeidlich. Dennoch hatte ich fast mehr Angst um das Tier, das ich ersetzen mußte, wenn es sich die Knochen brach. Aber es endete verblüffend glücklich: ich verlor endlich den Halt, flog über den Kopf des Mulas hinaus und blieb in den Zügeln verwickelt hängen; in diesem Augenblick blieb das kluge Tier mit einem Ruck stehen und schaute mich an, neugierig und zufrieden, als wollte es sagen: »Ist dir was passiert? Das kommt davon!« – Ich konnte nicht so rasch aufstehen und hatte Zeit, am Boden liegend darüber nachzudenken, wer von uns beiden der Vernünftigere war. Von da an habe ich nie wieder ein Tier geschlagen.

Wir hatten Molinopampa und Pisco passiert, mein Tier war wund geworden und mußte gewechselt werden. Man gab mir eine junge, unberittene, vor jedem Nichts scheuende »Bestia«. Plötzlich, unerwartet, ohne jeden Anlaß scheute es, brannte durch und schleuderte mich samt Sattel und Gepäck hinunter auf den nicht eben weichen Felsboden, aber doch zum Glück nicht in den Abgrund daneben. Ein Glück war es auch, daß es in dem kleinen Gebirgsnest Daguas sogar einen Arzt gab. Es war ein Indio mit spärlichem Ziegenbart, barfuß, den zerrissenen Poncho umgeschlungen, einen schmutzigen Räuberhut auf dem struppigen Haupt. Er renkte mir die ausgefallene Schulter ein, nahm einen Schluck Wasser in den Mund und spuckte es auf die wunde Stelle. Dann legte er ein großes kühles Blatt darüber und machte aus meiner alten Hose eine Schlinge für den Arm. Ein Fieberanfall gesellte sich noch dazu, ich mußte zwei Tage in dem Gebirgsdorf bleiben. Die Postarrieros gingen weiter, versprachen aber, mir gegen geringes Entgelt ein anderes Pferd und einen Jungen zu schicken, der mich nach Chachapoyas führen sollte, was sie auch getreulich gehalten haben.

Chachapoyas war nun nicht mehr weit, eine gute halbe Tagereise. Gemütlich ritt ich durch ein hübsches Gebirgstal dahin, der Indianerjunge lief hurtig als Wegweiser voraus. An einem Bergfluß, überwölbt von fruchtbeladenen Chirymoyabäumen, standen zwei, drei primitive Steinhütten. Keine Menschenseele war zu sehen. Ich hielt an und rief mein »Hola!« Ich wollte ein bißchen Feuer haben, Streichhölzer gab es schon lange nicht mehr. Eine Indianerin kam aus der Hütte, zwanzigjährig, robust, strahlende schwarze Augen. Ich bat um ein bißchen Feuer. Sie ging und brachte mir einen glimmenden Ast.

»Gibt es Chirimoyas?« fragte ich, während ich die Zigarette anzündete. Ich wußte gut, daß es noch keine geben konnte, wollte nur noch ein wenig stehenbleiben, weil sie so lachte.

»Sie sind noch nicht reif, Señor. Wollen Sie nicht rasten?«

Sie deutete auf ihr Häuschen. Rings war alles still, brütende Sonne, Einsamkeit der Wildnis. Sie war augenscheinlich ganz allein.

»Ich kann leider nicht«, sagte ich, »mein Junge ist schon davongelaufen!« Gab dem Tier die Sporen und jagte davon wie von der Hölle verfolgt. Warum hatte ich es so eilig? Ich wäre doch gern ein wenig bei der Kleinen geblieben.

Eine merkwürdige Verwandlung ging mit mir vor, so oft ich mich einer Stadt näherte. Alle Strapazen waren auf einmal vergessen. Ich schämte mich, daß ich das bißchen Anstrengung und Entbehrung so wichtig genommen hatte, und überlegte, daß die Postarrieros diese Reise, die ich nur einmal gemacht habe, alle vierzehn Tage machen müssen.

Der letzte Fluß war durchquert. Es ging noch einen Hohlweg hinauf, schon kamen die Weiber mit den Tonkrügen auf dem Kopf und die ersten Lehmhütten, und dann endet der verwilderte Weg in einer wirklichen Straße. Alles bleibt stehen, ein Fremder, ein Weißer, der eine große Reise hinter sich hat, ist angekommen! Junge Mädchen, Cholitas, halten ihre fruchtgefüllten Körbe anpreisend hoch. »Kommt in mein Haus«, sagte ich, »dann werde ich Chirimoyas kaufen!« – »Wo wohnen Sie denn?« – »Im Hause der Señora Valdez de Ruyz.« – »Bueno, wir kommen!«

siehe Bildunterschrift

Pueblo bei Saposoa

siehe Bildunterschrift

Bei San Antonio fischt man mit Gift

siehe Bildunterschrift

Der Fußball ist bei den Indios ebenso beliebt wie bei uns

So spielt man den großen Herrn und hat keinen Knopf Geld in der Tasche.

Ich übergab der Señora Catharina den Brief ihres Schwiegersohnes und sagte dabei meinen Vers her, den ich schon auswendig konnte: »Buenos dias, Señora, estoy el escritor aleman Hans Reiser. Entschuldigen Sie mein wildes Aussehen, ich komme von der Reise.« Die Señora, eine umfangreiche Dame, glich einem realistischen Porträt von Velasquez. Wenn sie so dasaß, massiv und wuchtig, die Zigarette lässig schief im welken Mund, verkörperte sie das Prinzip der Herrin und die Würde des Alters. Sie besitzt eine kleine Tienda und ein großes Haus mit breiten Rissen in den gestützten Mauern. Chachapoyas ist Erdbebengebiet. Das letzte Beben hat die Kirche und viele Häuser beschädigt und zerstört. Die Familie Valdez, bestehend aus der Mutter, einem Sohn Juan und einer Tochter Nadividad, nahm mich gastfreundlich auf, mich bewundernd und bewirtend.

Chachapoyas besitzt zwei Kirchen und sogar, welch ein Wunder, eine Straßenbeleuchtung. Um acht Uhr werden, sofern kein Mond scheint, fünf, sechs Petroleumlampen aufgehängt. Und um neun Uhr freilich wieder weggenommen.

Ich hielt mich acht Tage auf, erstattete meinen unvermeidlichen Besuch bei der Redaktion des »Eco de Amazonas« und beim Präfekten, den ich bat, mir weiterzuhelfen, was er bereitwilligst tat. Er lieh mir ein Reittier, gab mir noch ein kleines Taschengeld, und seine Gattin stopfte mir die Satteltaschen mit Proviant voll.

Meine Reise durch das große wilde Land strebte ihrem Ende zu, langsam zwar, allzu langsam für uns Zivilisationsgewohnte. Aber da hilft keine europäische Ungeduld, hier heißt es warten und sich fügen und viel Zeit haben. Wochenlang hatte diese Reise durch die Anden gedauert, und immer noch nahm das Gebirge kein Ende, immer noch und immer wieder tauchte eine Höhe hinter der anderen auf. Manchmal meint man, der Bergrücken, den man vor sich hat, muß aber jetzt unbedingt der letzte sein. Es kann nicht sein, daß hinter ihm noch einer ist, es ist unmöglich, man sieht ja schon den freien blauen Himmel! Nach ein paar Stunden hat man die Biegung hinter sich und steht wieder vor einer Kette neuer Berge. Aus einem Ort geht es hinauf, über Dutzende Höhen, und wieder hinunter; ist nach acht oder zehn Tagen das Tal erreicht, dann geht es wieder von vorn an: wieder hinauf und wieder hinab. Und immer wieder geht es auch noch durchs Wasser. Man möchte sich manchmal am liebsten aus dem Sattel gleiten lassen und einfach liegenbleiben.

Und an diesen Verhältnissen wird sich in den nächsten zwei, drei Generationen sehr wahrscheinlich wenig oder nichts verändern. Wer also Lust dazu hat, der kann in Peru noch lange Zeit so unbequem reisen wie ich.

So kam ich nach Celendin, wieder eine jener Städte, die nur so heißen. Um gerecht zu sein, muß ich jedoch erwähnen, daß Celendin sogar ein Hotel besitzt. Das Bett, aus ungehobelten Brettern zusammengenagelt und ohne Matratze, ähnelte sehr den Unterstandsmöbeln, die wir uns im Felde, wenn Zeit dazu war, in ruhigen Stellungen zusammengeschustert hatten, und der Indioboy, der als Zimmermädchen fungierte, leerte ein gewisses Gefäß kurzerhand zum Fenster hinaus auf die Straße. Trotzdem war dieses das erste Hotel, das ich seit Iquitos gesehen hatte, ein Vorbote und erstes Anzeichen der zivilisierten Region, der ich mich nun doch allmählich näherte.

Celendin liegt in einem hübschen Hochgebirgstal. Die Vegetation hat sich allmählich verändert, das Klima ist subtropisch-alpin, in weiten Feldern steht der Weizen. Dann steigt der Weg bergauf, wieder ins Gebirge. Nach einem solchen nicht endenwollenden Ritt hielten wir, mein Peon und ich, vor einer niedrigen Steinhütte. Er begrüßte die davor hockende Indianerin, erzählte, woher er kommt und wohin er geht, und sagt dann: »Habt ihr was zu essen für meinen armen Weißen?« Unser Proviant neigte sich nämlich seinem Ende zu. Wir krochen auf allen vieren in die Hütte, und ich versuchte, so gut es ging, meine langen Beine, über die die ganze Indiofamilie, alt und jung, Männer, Weiber und Kinder, stolperte und krabbelte, in der Nähe des Feuers zu verstauen. Es gab natürlich kein Licht, nicht einmal Holz. Das dürftige Feuerchen unterhielt eine Cholita mit eben denselben dürren Kräutern wie jene Chola vor elf Monaten auf dem Huagarunchonpaß. Aber diese hier waren ganz arme Bergindianer, ja mehr als arm, da sie nicht einmal Holz besaßen. Es wird mir ewig rätselhaft bleiben, warum sie ausgerechnet auf diesem kahlen, kalten und pflanzenlosen Hochplateau leben, wo doch keine halbe Tagereise von ihnen der subtropische Urwald Holz und Pflanzen und Früchte in Hülle und Fülle spendet. Zu essen gab es nur die kartoffelähnlichen Batates, von denen mir die Mama eine Kürbisschale voll, in Wasser gesotten, überreichte. Ich gab ihr dafür die kläglichen Reste meines Mundvorrats, ein bißchen Zucker, ein bißchen Salz, eine kleine Handvoll Kaffeebohnen, für welche Kostbarkeiten sich der Indianerpapa mit einer Handvoll groben Tabaks revanchierte. Das Nachtlager war nicht sehr komfortabel. Ich lag die ganze Nacht krumm und lahm und frierend auf dem buckligen, steinharten Boden, den ein wenig zu ebnen sie sich gar nicht erst die Mühe machen, unter mir ein schmutziges Schaffell und dicht über meinem Haupt das Dach aus Farnzweigen, durch das der eisige Regen tropfte. Dafür war der nächste Tag, der letzte vor Cajamarca, um so schöner. Um vier Uhr morgens ritten wir weg über die flache, nebeldampfende Pampa. Die Pferde versanken bis über die Fesseln im kurzgrasigen Sumpfboden, vor mir blinkte die wässerige Marschspur des Führers im Morgenlicht, während auf den dunstigen Gipfeln der blaukalten Bergkette ein warmer Goldschimmer lag, der erste Gruß der aufsteigenden Sonne. Es war anfangs noch recht kalt. Fröstelnd wickelte ich mich in den nassen Poncho und versuchte, mit steifen, zitternden Fingern eine Zigarre zu drehen. Aber in den Vormittagsstunden stieg die Wärme von Stunde zu Stunde und steigerte sich rasch zur wohltuenden Hitze. Gemächlich ritten wir dahin, froh und zufrieden summte ich ein kleines Liedchen, das mir Señorita Valdez beigebracht hatte, ein Arriero-Lied mit einer reizenden spanisch-indianischen Melodie, vor mich hin:

Mamita mucho me gusta,
choclito de guerta á jéna,
la panca para mi burro,
la tuca para su duényo.

Endlich war die letzte Höhe überschritten, und vor unseren Blicken lag im tiefen, weiten und grünen Tal, umschlossen von gewaltigem Hochgebirge, sonnblitzend und weiß die Stadt Cajamarca.


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