Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.
Im deutschen Siedlungsgebiet

Mahagonihäuser – Zu viel Gold und zu wenig Geld – Das Land der ungehobenen Schätze – Wegebau, eine Lebensfrage

 

Der Handel in Huancabamba spielt sich in altväterlichen Formen ab. Die Indios kommen von weither zu diesem Warenumschlagplatz an der äußersten Grenze der Zivilisation, um ein Stück Steinsalz, Chancaca (Rohzucker), einen Meter Stoff oder eine Vorderladerflinte mit Pulver und Blei gegen Felle, gedörrte Fische, Vogelfedern und dergleichen oder auch gegen ein kleines Indianermädchen, das bei dem weißen Herrn Dienste tun will, einzutauschen. Lastenträger, Tierführer, beladene Lamas und Maultiere umstehen das Haus, Indianer kauern auf der Erde und hocken im Laden von früh bis spät. Die Gegend ist sehr fruchtbar, es wachsen hier Mais, Zuckerrohr, Kaffee, Bohnen, Yuka, Bananen, Ananas, Orangen, Zitronen und Limas (süße Zitronen), die Chirimoya, die schmeckt, als ob ein raffinierter Wiener Konditor hundert Köstlichkeiten zu einer abenteuerlichen Süßigkeit zusammenkomponiert hätte, die Palta, eine pikante Fleischpastete in Fruchtgestalt, Pfirsiche, Aprikosen, Granadillas und ein Dutzend Früchte, von denen ich nicht einmal den Namen weiß. Vieles wächst hier wild, und so ziemlich alles, was angepflanzt wird, wächst ebenfalls.

Ich wollte Oxapampa, den Hauptplatz der deutschen Siedlung, von dem Huancabamba nur eine Art Vorposten ist, kennenlernen und erkundigte mich nach dem Weg. Auskünfte erhält man in Peru stets bereitwilligst und sehr zahlreich.

»Sie kommen durch sechs Flüsse«, sagte Don Alexandro Wyngaert, genannt Mono Lindo, ein ehemaliger russischer Offizier. Er treibt sich in den Wäldern herum, baut einen Weg: ein anstrengendes, aufreibendes Leben.

»Wo sind da sechs Flüsse?« sagte Don Emilio. »Sie kommen über vier Flüsse! Jeder hat eine Brücke. Der erste hat keine, der zweite auch nicht. Bei dem dritten war sie noch, als ich zuletzt da war. Von dem vierten weiß ich es nicht. Aber Sie kommen leicht durch, die Flüsse sind jetzt noch nicht hoch.«

Nun wußten wir es also.

Schlecht geritten ist besser als gut gelaufen, sagt man. Niemand geht hier zu Fuß außer dem Cholo. Wir wären es also sowohl unserer Hautfarbe als unserem Stande als Forscher schuldig gewesen, nach Oxapampa zu reiten; aber unsere Kasse mahnte zur Sparsamkeit. Es sind nur fünfundzwanzig Kilometer, das ließ sich mit vermindertem Gepäck zu Fuß machen. Wir ließen die Kisten zurück, luden uns jeder fünfzig Pfund auf und schoben los. Unterwegs kehrten wir bei Don Emilio ein, einem der vier Brüder Boettger, die Gründer der deutschen Siedlung, jeder über siebzig Jahre alt und jeder noch rüstig und schaffensfroh. Pablo Boettger war allerdings gerade ein bißchen krank, zum ersten Male in seinem abenteuer- und arbeitsreichen Leben, als wir ihn besuchten. Er besaß nicht das mindeste Verständnis für diesen Zustand. »Da muß ich fünfundsiebzig Jahre alt werden, um krank zu werden!« seufzte er. Alt werden und krank werden will man hier nicht kennen.

Von Emilio Boettger erfuhr ich Interessantes über die Gründung der deutschen Siedlung. Er erzählte uns auf meine Frage, wie so eine Siedlung eigentlich entsteht: »Mit meinem Bruder Henrique kam ich nach unseren Kautschukfahrten hierher. Zuerst wurde uns das Vieh mit Pfeilen weggeschossen. Ich ging nach der Küste und kaufte Spielsachen. Die Sachen habe ich im Gebüsch aufgehängt. Am anderen Tage waren sie weggenommen und andere Sachen dafür hingehängt, Waffen, Schmuck und so weiter. Wieder habe ich allerlei Sachen unter einer kleinen Hütte im Freien aufgehängt. Da sind fünfzehn Mann gekommen und haben die Sachen heruntergenommen. Mein Bruder wollte das Gewehr nehmen. ›Du rührst mir kein Gewehr an!‹ sagte ich. Die Wilden umringten uns und machten uns Zeichen, wir sollten mit ihnen kommen. Das wollte ich nicht, ich sagte, sie sollen zu uns kommen. Dann zählten sie an den Fingern: in fünf Monden, fünf Tagen, kommen wir wieder.

Am fünften Tag kamen sie den Berg herunter. Ich hatte alles vorbereitet, ein großes Essen richten lassen und extra einen Stier geschlachtet; auch eine Arroba Schnaps fehlte nicht. Das gefiel ihnen, sie waren sehr zufrieden, und nun gingen wir mit in das Indianerdorf. Es waren viele Wilde, sie behandelten uns wie Brüder. So haben wir angefangen, und heute haben wir eine große Siedlung hier. Genau so haben wir es in Chuchuras gemacht und am Amazonas. Wir haben einige von unseren indianischen Freunden mitgenommen, die gingen voraus und sprachen mit den anderen, und wir warteten so lange am Fluß. Dann holten sie uns, und wir wurden freundlich aufgenommen.«

Der alte Boettger erzählte kunstlos und einfach, wie er selbst ist, in seinem einfachen geradlinigen Bauernhaus mit dem festgestampften Lehmboden und dem schweren selbstgezimmerten Tisch, an dem wir Kaffee tranken, seinen eigenen, der hier in der besten Qualität gedeiht. Dann verabschiedeten wir uns, und der Alte ging mit seinen Leuten nach seiner Pflanzung; es war Kaffeeernte.

Trotz der beträchtlichen Hitze marschierten wir vergnügt darauf los. Aber ich hatte nicht mit den Stiefeln gerechnet, die mir der edle Limeño geliehen hatte. Sie waren und blieben mir trotz zwei Paar Strümpfen und Einlagsohlen aus Malkarton zu groß. Ihr Besitzer konnte nur ein Deutscher sein, denn er mußte Riesenflossen haben, während die Peruaner, wie alle Rassen romanischen Blutes, frauenhaft kleine Füße haben. Ich entledigte mich der fürchterlichen Ungetüme und trabte zuerst in den Strümpfen und, als diese erledigt waren, barfuß. Rolf, mein Freund, fühlte sich in seinen neuen Patenttouristenstiefeln, von denen er mir schon vor der Reise viel erzählt hatte, sehr wohl. Ich hingegen kam auf dem krummen Felsweg, auf spitzen Steinen und allerlei Gesträuch und Geäst recht langsam vorwärts. Wir kamen in die Nacht hinein und machten uns schon auf ein Nachtlager im Freien gefaßt. Dank dem hellen Mondschein fanden wir dann doch noch spät nachts eine bessere Unterkunft. Es war eine primitive Behausung, die sich Kloster nannte. Ein spanischer Padre in zerlumpter Kutte nahm uns auf und bewirtete uns am Morgen mit gebratenen Bananen und Kaffee, ja spendierte sogar einen Schluck Aquardente de cana (Zuckerrohrschnaps) aus seiner Flasche. Der alte Eremit hauste mutterseelenallein in dem zerfallenen Gemäuer, das einen tropisch üppigen Blumenhof umschloß, bedient von einem Dutzend halbindianischer Jungen, die seinen Befehlen hurtig gehorchten. Als wir höflich nach den Kosten des Übernachtens fragten, antwortete er, das koste nichts, wir möchten nur eine Kleinigkeit für die Kirche geben.

In den ersten Morgenstunden erreichten wir Oxapampa.

Einige Tage später sah ich im Hause des Ortsgewaltigen einen wunderschön gezeichneten Plan von Oxapampa, wie es einmal aussehen wird. Eine dreißig Meter breite Fahrstraße, von Oroya kommend, führt zu der Stadt hin – der Grund kostet in Peru ja nichts –, eine riesige, echt spanisch quadratische »Plaza Central« ziert das Zentrum, eine Plaza Leguia, Palmenallee, elektrisches Licht, Villenbauplätze, Hotels, alles ist vorgesehen, nichts fehlt. Also so soll die Sache werden, denkt man sich, und hat nun schon eher eine Vorstellung von der Stadt Oxapampa.

Als ich ankam, war mir das nicht sofort gelungen. Es dauerte einige Tage, bis sich mir das Bild der meilenweit verstreuten Holzhäuser und Hütten zu einer richtigen Ortschaft komponierte. In dreißig, in fünfzig Jahren vielleicht wird sich hier manches verändert haben  …

Vorderhand ist die »Plaza Central« noch eine bucklige Wiese, auf der die Kühe weiden und die Schweine sich tummeln; riesige, vermoderte Baumwurzeln, umgestürzte Urwaldstämme liegen herum; Wasser rinnt hin und her, wacklige Stämme liegen als Brücken darüber. Einen wildverwachsenen Pfad begleitet ein murmelnder Bach: das ist die künftige dreißig Meter breite Straße. Aber das hübsche Holzhaus, das nun aus den exotischen Blütensträuchern lugt, könnte ebensogut im Villenviertel einer deutschen Stadt stehen. Als ich es aufnahm, knipste ich es von der Giebelseite. Ich wollte ein bißchen Landschaft auf dem Bild haben, die Bananenstauden beim Haus und einen Blick in das freundliche Tal von Oxapampa. Aber der Hausherr, Schreiner Müller, war von meiner Aufnahme nicht begeistert. Eine einfache, aber komplette Ansicht seines selbstgebauten Hauses wäre ihm lieber gewesen als mein künstlerischer Standpunkt. In der Tat ist sein Anwesen, ganz aus Mahagoni gebaut, wie in Oxapampa in Ermangelung anderen Holzes allerdings sämtliche Häuser, das stattlichste. Auch Werkstätte und Brettersäge, zu der er sich die Wasserkraft aus dem Bergfluß herleitete, sind, in kurzer Zeit selbst errichtet, Zeugnis eines vorbildlichen Siedlers. Das Holz, das er verarbeitet, kostet nichts, es liegt im Urwald, eine halbe Stunde Wegs; er muß es nur holen.

Señor Müller besprach mit mir einen von ihm langgehegten Plan, die Ersteigung der Yanachaga-Kordillere. Dieser Gebirgsstock ist bisher weder von Weißen noch von Eingeborenen erstiegen worden. Alle bisherigen Versuche, das gigantische Gebirge zu bezwingen, sind an dem Mangel genügender Ausrüstung und Verpflegung gescheitert, mancher Abenteurer und Goldsucher ist in den ungangbaren Wäldern zu Füßen des Gebirges umgekommen. Auch wir mußten von unserem Plan absehen und ihn auf eine spätere Gelegenheit verschieben. Auch andere Unternehmungen, wie z. B. die Durchquerung der großen unerforschten Sacramento-Pampa, mußte ich mir aus dem Kopf schlagen. Da wir immerhin über eine Art Ausrüstung und über Dinge verfügten, die in der Wildnis kostbare Seltenheiten sind, traten immer wieder unternehmungslustige Männer an uns heran, die in uns geeignete Partner zur Eroberung jungfräulicher Wildnis erblickten. Wir waren, was die Entschlossenheit betrifft, nicht ungeeignet; was uns fehlte, waren nur die unentbehrlichen Geldmittel. Einer dieser Waldläufer unterbreitete mir eine alte Planskizze, auf Grund derer er ein reiches Goldvorkommen aufspüren wollte. Auch dieses Unternehmen war ohne Ausrüstung einer ordentlichen Expedition nicht durchführbar. So viel Gold auch in den Flüssen und Felsen abgelegener Gebiete sein mag, so wenig Geld hatten wir, um dahin zu gelangen.

Das Gebiet von Oxapampa, in einem breiten, landschaftlich schönen Hochtal der östlichen Andenausläufer auf 1800 Meter Höhe gelegen, zählt zu den fruchtbarsten Gegenden ganz Perus. Mähen und Pflügen ist unbekannt, man sagt hier: man steckt einen Ast in den Boden und er wächst. Außer allen bekannten Produkten und solchen, die wir nicht kennen, weil sie noch nicht exportiert werden, birgt der Urwald eine Fülle von Pflanzen und Früchten, deren Bedeutung bisher nur die Eingeborenen kennen. Ich erwähne als einziges Beispiel nur die Arzneipflanzen, mit denen die Indianer umzugehen wissen. Ich hatte seit dem halsbrecherischen Ritt in Morococha an einem Finger der linken Hand eine tiefe Frostwunde, die trotz Jodpinselung, Salben und Verband nicht heilen wollte, so daß ich schon fürchtete, den Finger einbüßen zu müssen. Eine Indianerin in Oxapampa legte mir Blätter von irgendeinem gewissen Baum um den Finger. Noch am gleichen Tage wurde die Wunde rein und schloß sich, und am zweiten Tag war sie geheilt.

Das Klima von Oxapampa ist sehr gesund, eine ewige Sommerfrische, in der auch in der Regenzeit die Sonne keinen Tag fehlt. Fieberkranke genesen hier ohne Behandlung und Arznei durch den bloßen Aufenthalt. Ein künftiger peruanischer Luftkurort, der große Entwicklungsfähigkeit gewinnt in dem Augenblick, da der von den Anden herführende, im Bau befindliche Autoweg den Ort erreicht haben wird.

Damit berühre ich den einzigen Mangel dieses paradiesischen Landstriches und seiner zukunftsreichen deutschen Siedlung: das Fehlen der Verbindungswege, die den Warenaustausch ermöglichen. Existenzsorgen sind hier unbekannt. Aber die einzige Klage, die man immer wieder hört, ist, daß die Pflanzer alles selbst aufessen müssen und daß Peru das Land der ungehobenen Schätze bleibt, solange nicht der Bau von Wegen und Straßen zielbewußt durchgeführt und der Kampf mit der ebenso reichen wie über gewaltigen Natur mit modernen, maschinellen Mitteln und Methoden an Stelle des veralteten Handwerkszeuges geführt wird.

Die Siedlung umfaßt heute dreitausend Köpfe. Die führende Persönlichkeit ist Don Leopoldo Krause, ein alter Waldläufer und Siedlungspionier, der ganz Südamerika kennt und es sich zur Lebensaufgabe macht, die gegenwärtige Stagnation zu überwinden und durch Nachschub von Kolonisten aus der Heimat und Modernisierung der Produktionsmethoden eine deutsche Großsiedlung zu schaffen. Krause hatte kurz vor meinem Besuch in Oxapampa begonnen, gemeinsam mit Müller auf eigene Kosten einen Weg nach Chuchurras, der nördlich gelegenen kleinen deutschen Siedlung, zu bauen, und lud uns ein, den im Bau befindlichen Weg zu besichtigen. Um die beste und kürzeste Route nach dem hinter Gebirgshöhen tiefer gelegenen Chuchurras ausfindig zu machen, hatte er alte Indianerpfade verfolgt und sechs Monate im Urwald zugebracht und war dem Umkommen nahe gewesen. Der von ihm geplante und angefangene Weg führt durch bisher ganz unbekannte Gebiete, wie zum Beispiel durch das Quellengebiet des Rio Acusasin, von dessen Lage man bisher noch nichts gewußt hat. Obwohl ein solcher neuer Weg allen Siedlern zugute kommt, fehlt es aber selbst unter den Landsleuten nicht an Gegnern, die ein solches Unternehmen für unmöglich erklären. So lag Krause viel daran, daß wir als durchreisende deutsche Berichterstatter die gebaute Strecke besichtigten und filmten und unser Urteil abgaben.

Er besorgte Pferde und Proviant, und wir ritten los. Der Weg führt bergauf durch phantastisch-üppigen subtropischen Urwald, an dessen Anblick ich mich nie satt sehen kann. Ich fing damals an, seltsame farbenprächtige Blüten und Früchte zu malen; Vögel, Blumen, Käfer, Insekten, Schmetterlinge zu sammeln; dann wieder wollte ich mir eine Sammlung von Blättern anlegen, aus der man einen Begriff bekäme von der unvorstellbaren Fülle von Farben und Formen der tropischen Natur, angefangen von mimosenhaft winzigsten Blättchen bis zu mannsgroßen Riesenfächern. Mein Freund Rolf lachte mich aus mit meiner Heusammlung. Es war kein wissenschaftlicher Sammeleifer, der mich antrieb, sondern nur die Begeisterung und Unruhe über den unerschöpflichen Naturreichtum. Aber ich sah das Aussichtslose eines solchen Beginnens bald ein und warf meinen Rucksack voll gesammelten Krautes weg; ich begriff, daß Jahre notwendig wären, um den Urwald zu »studieren«.

Nun also wieder zu dem Weg! Der Leser unserer Zonen wundert sich vielleicht, daß ich so viel von einem Weg erzähle. Wer einmal in Peru war, kommt davon nicht mehr los. Der Weg ist das peruanische Problem. Überall, wo ich auch hinkam im ganzen Lande, mit wem ich auch sprach, immer und ewig gibt es nur ein Thema, nur einen Gesprächsstoff: der Weg. Bei uns spricht man vom Geld, das man nicht hat – in Peru vom Weg, den es nicht gibt.

Wir ritten so weit, wie man mit Pferden kommt, und bereiteten das Nachtlager in einem kleinen Tambo, ein Dach aus Farnkräutern und Palmzweigen, auf ein paar in den Boden gesteckte Äste gelehnt. Alles schlief schon, ich saß noch am Feuer und horchte auf die hundertfältigen rätselhaften Geräusche der nächtlichen Tierwelt. Am frühen Morgen ging es zu Fuß weiter, und nun begann eine affenartige Kletterei in dem Gewirr und Durcheinander des steilen Bergwaldes, bis wir den von Krause »Abre Esperanza« getauften Kamm der Höhe erreichten, gegen dreitausend Meter. Es war regnerisch, alles troff und tropfte, die grotesk gekrümmten Bäume mit meterlangen Moosbärten machten den Eindruck gespenstischer Fabelwesen, der gründämmerige Wald, aus tausendjährigem Pflanzenhumus und Moder wuchernd und übereinandergetürmt, glich einer phantastischen Theaterdekoration. Ich mühte mich vergeblich, die märchenhafte Szenerie aufzunehmen. Der Urwald ist dunkel, und die Sonne glomm an jenem Tage schwach hinter dunstigen Wolken wie die Londoner Nebelsonne. Wir verbrachten die Nacht im Tambo der indianischen Arbeiter, die um das Feuer hockend ihre monotonen Lieder summten, ein melancholischer Gesang, in dem sich die großartige wilde Einsamkeit der Landschaft ausspricht, in der sie leben. Da sie merkten, daß mich der Gesang interessierte, dachten sie lange nicht ans Schlafen, und einer gab sich sogar die Mühe, mir die Zahlen von eins bis zehn auf Quechua beizubringen.

siehe Bildunterschrift

Europäische Grubeningenieure nach der Arbeit

siehe Bildunterschrift

Das Lama, das Haustier der Bergindianer, wird auch zum Erztransport verwendet

siehe Bildunterschrift

Altspanische Kirche in Huáchon

siehe Bildunterschrift

Cholas vor ihren Lehmhütten mit Berggras- oder Wellblechdächern

Auf dem Heimritt wollte ich eine Aufnahme von dem merkwürdigen Tacunabaum machen, aus dessen Stamm die Indianer Trinkbecher fertigen, indem sie ihn quer durchschneiden, und der über jeder seiner Blüten einen Sonnenschutz trägt, der aussieht wie ein kleiner Lampenschirm. Ich mußte, um zu dem hoch aus dem Grund ragenden Baum zu gelangen, einen Abhang hinunterklettern, das Stativ auf einem umgestürzten Baumriesen, der in der Luft hing, aufpflanzen und dabei etwas vorsichtig zu Werke gehen. Wenn mir der Apparat ausglitt und in das verfilzte Dickicht des Sumpfgrundes fiel, hätte ich ihn schwerlich wiederbekommen. Mein Freund Rolf war über den Aufenthalt, der mit der Aufnahme verbunden war, ungeduldig geworden und rief von oben herunter, ich soll den Unsinn bleiben lassen. Er hielt nicht viel von Bäumen, und wenn sie noch so seltsam waren, und außerdem hatte uns die Señora Müller für den Abend einen selbstgebackenen echten deutschen Kuchen versprochen, was allerdings viel heißen will, weil es in Oxapampa kein Mehl gibt, es sei denn, es wird einige Tagereisen weit auf Maultieren hergebracht. Dieses fortwährende Mahnen zur Eile machte mich auf meinem exponierten Standpunkt zappelig, und ich verdarb natürlich die Aufnahmen.

Freund Rolf, der über einen gesegneten Appetit verfügt und die Botanik mehr aus der Magenperspektive betrachtet, pflegte bei jeder Aufnahme, die ich machte, zu bemerken, es sei ihm rätselhaft, was ich für Dinge aufnehme. Ich hätte von der Technik des Photographierens und Filmens keinen Dunst und solle die Arbeiten lieber ihm überlassen. Wir warfen uns an jenem Tag den zoologischen Garten noch nicht an den Kopf, aber ich ahnte bereits, daß es bestimmt noch so weit kommen würde. Vorläufig versöhnten wir uns noch einmal. Er stellte mir seine Arbeitskraft bereitwillig zur Verfügung und hat mir dann auch an diesem Tage ein halbes Dutzend unterbelichtete Platten, die er verstärken sollte, restlos verdorben.


 << zurück weiter >>