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IX.
Bei den Amoishe-Indianern – Eine waghalsige Bootsfahrt

Fischen mit Dynamit – Die Campas – Missionare auf Vorposten – Affenbraten und Papageiensuppe – Die Arche Noah – Vorbereitung und Abfahrt – Wassertrichter und Baumbarrikaden

 

Bei Sonnenaufgang sah ich erst, wo wir waren. Im Liegen blinzelte ich hinaus in den frischen, sonnenbeglänzten Morgen des tropischen Waldes. Der steile Yanachaga stand klar tiefblau über den großen, seltsam geformten Urwaldblättern und strotzenden Blüten, nicht anders wie ein ornamentales, feinstilisiertes Gemälde, ein Wirklichkeit gewordener Rousseau. Unvergeßlich bleibt mir dieser Anblick.

Wir machten uns bald auf zum Fischen im Rio Omais, der in einer schönen, wilden Talsenkung vorübertost. Der Häuptling setzte seinen Federschmuck auf, die braunen Jungens nahmen selbstgeflochtene Körbe, Don Fausto seinen Vorderlader.

Die Amoishe fischen mit der Harpune und treffen Vögel wie Fische mit dieser Lanze aus leichtem Rohr mit einer eisenharten Holzspitze mit unfehlbarer Sicherheit. Wie alle Indianer, wissen sie an der Bewegung des Wassers, welcher Fisch unten schwimmt, ohne ihn zu sehen. Netze sind unbekannt, Angelhaken willkommen. Zuweilen wird auch, wie ich später noch öfter erlebte, mit einem giftigen Kraut gefischt, das getrocknet und zerrieben ins Wasser gestreut wird. Ist dieser große Fischfang schon ein Fest, das nur einige Male im Jahre veranstaltet wird, so war es diesmal eine ganz besondere Festlichkeit. Don Alexandro besaß nämlich Dynamit, der beim Wegebau zum Sprengen verwendet wird. Das Fischen mit Dynamit ist zwar Raubbau, der aber bei dem unerschöpflichen Fischreichtum der Flüsse kaum Schaden anrichtet. Ein Stückchen Dynamit wird mit einer kleinen Zündschnur in einen Stoffetzen gewickelt, das Päckchen mit der Zigarette angezündet und ins Wasser geworfen. Die Detonation schleudert eine gewaltige Woge in die Luft, und das Wasser wimmelt von betäubten Fischen. Die Indianer, vorzügliche Schwimmer und Taucher, werfen sich unter lautem, übermütigem Lustgeschrei und kindlichem Gelächter ins Wasser und schleudern die Fische klatschend ans Ufer, wo sie die jungen Burschen in die Körbe sammeln. Dieser Fischfang mit allem Drum und Dran macht den großen indianischen Kindern einen Heidenspaß. Athletisch gebaut, sind sie prachtvoll anzusehen, wenn von ihren sehnigen Bronzekörpern das glitzernde Wasser abtropft.

Der erste Schuß hatte uns über siebzig große karpfenartige Fische gebracht. Flußabwärts schossen wir noch einmal, und wieder hatten wir die gleiche Beute. Nachdem der Reichtum zur Hütte geschafft war, gehörte uns der Tag zur Rast. Bei den Amoishes aber begann sofort ein großes Kochen und Braten. Die Weiber kochten in riesigen Tontöpfen Suppen von den Fischköpfen, deren Augen als Delikatesse gelten und in der Tat vorzüglich schmecken. Die Männer wickeln einen Teil der Fische in besondere große glänzende Blätter, klemmen sie in gespaltene Äste und stellen sie in die Nähe des Feuers. Diese im eigenen Saft gedämpften Fische schmecken besonders delikat. Ein anderer Teil wird auf einem Rost aus Zweigen geräuchert, wieder ein anderer Teil, als Vorrat bestimmt, auf einem gleichen Rost einfach in der Sonne gedörrt. Doch muß man nicht denken, daß sehr viel Vorrat übrig bleibt. Soviel ich mich erinnere, wollte lediglich Don Alexandro einen kleinen Vorrat für die nächsten Tagemärsche behalten. Die Indianer denken niemals an ein Morgen. Sie leben dem Augenblick; was sie haben, wird sofort gegessen, so lange, bis nichts mehr da ist oder bis keiner mehr kann. Dafür können sie dann wieder tagelang mit der größten Selbstverständlichkeit fasten. So dauerte denn das Essen samt dem Kochen den ganzen Tag, und wir beteiligten uns nach allen Kräften. Besteck gab es natürlich keines, der Teller war die Hand, die Gabel die andere Hand. Der einzige Nachteil bei dem großen Schmaus war, daß kein Körnchen Salz vorhanden war. Zum Nachtisch legten wir unreife Bananen ins Feuer, und gegen den Durst kauten wir Zuckerrohr.

Am nächsten Morgen wollten die Indianer mit Don Alexandro aufbrechen, drei Tagemärsche in die Berge, um das unentbehrliche Salz zu holen.

Auch wir machten uns am dritten Tag auf die Socken, diesesmal frühzeitig, damit wir nicht wieder in die Nacht hineingerieten, und marschierten ohne Rast zurück.

»Sie sind bleich«, sagte Don Juan, der Canaobauer, als wir am Abend in Chuchuras eintrafen. »Der Urwald greift an, die Hitze, die Feuchtigkeit! Man kommt zurück wie aus dem Grab!«

Die Indianer dieser Gegend würden die Kälte der subtropischen Gebiete nicht ertragen können, ebenso wie wiederum die Seranos das heiße Klima der Tiefebene nicht aushalten und, in gewissen Gegenden wenigstens, dem Fieber ausgesetzt wären. Außer den Amoishes, die richtige sehr nette Bambushäuser bauen und daneben kleine Pflanzungen betreiben, lernten wir in dieser Gegend noch die Campas kennen. In das eigentliche Wohngebiet der Campas gelangt man einige Tagemärsche von Chuchuras nach Osten über die Berge von San Martin, hinter denen das gewaltige unerforschte Gebiet Madre de Dios beginnt. Dort leben die Campas noch wild. Was wir von ihnen in der Gegend von Chuchuras sahen, waren solche, die öfters mit Weißen zusammenkommen und die sich zuweilen auch für eine Zeitlang bei einem Siedler zur Arbeit in der Pflanzung verdingen, freilich meist nicht sehr lange. Diese Campas sieht man gewöhnlich in ihrem selbstgewebten ponchoartigen Hemdkittel oder auch mit nacktem Oberkörper in einer alten Hose, die sie von einem Weißen geschenkt oder als Lohn erhalten haben. Andere wiederum, die plötzlich eines Tages aus dem Urwald kommen, neugierig und scheu im Schatten des Waldes stehen bleiben und wie ein Wild nach den Gefahren ausäugen, die ihnen drohen könnten, diese Campas sind nackt und manchmal bemalt, hauptsächlich im Gesicht. Frauen hingegen sah ich nur nackt und bei besonderen Anlässen, Festlichkeiten und Tänzen, am ganzen Körper reich ornamental und sehr geschmackvoll bemalt. Die Bemalung soll zuweilen nicht nur dekorativen Sinn haben, sondern auch vor Insektenstichen schützen.

Begegnete ich einem Indianer im Walde, so geschah es nie anders, als daß er auf einmal wie aus dem Boden gewachsen dastand. Er geht durch den Wald wie das Tier, lautlos und unsichtbar, unbekleidet; das einemal unbewehrt, ein andermal mit Pfeilen und Bogen bewaffnet, manchmal auch mit einer Vorderladerflinte, die er von einem Weißen eingetauscht hat. Niemals hörte oder sah ich einen Indianer kommen – auf einmal ist er da. Als ich das erstemal einem Campa begegnete – Rolf war eine Strecke vorausgegangen – war ich fast erschrocken durch sein verblüffend überraschendes Auftauchen. Er stand plötzlich drei Schritte vor mir, hielt den Bogen regungslos in der Hand da und schaute ebenso reglos ins Dickicht. Da man sich im Urwald nicht begrüßt, blieb mir nichts übrig, als schweigend an ihm vorbeizugehen. Ich hielt es auch für richtig, mich nicht nach ihm umzusehen.

Die Campas können die Amoishes nicht leiden. Beide stehen sich, wie fast alle Stämme, feindselig gegenüber. Sie sind noch schöner gebaut als diese, muskulös oder sehnig, niemals fett: gesunde, prachtvolle Gestalten. Alle Waldindianer der Tiefebene, mögen sie sich auch gegenseitig nicht ausstehen, sind sich jedoch einig in ihrer Verachtung des Cholo, des nicht mehr reinblütigen, verdorbenen, meist verlogenen und feigen Mischlingsindianers.

Sobald sie durch ihre Freunde gehört oder selbst erfahren haben, daß ihnen der weiße Mann nicht feindlich gesinnt ist, stehen und gehen sie, bekleidet oder nackt, mit gelassener Selbstverständlichkeit umher, als wären sie schon von je hier zu Hause (was sie ja auch sind), antworten, wenn man sich mit ihnen unterhält, oder bemerken in ihrer natürlichen Ruhe, die wie Stolz wirkt, den Vorübergehenden nicht. Alle zusammen, einer wie der andere, sind durchaus keine Freunde vom Arbeiten; der Begriff ist ihnen von Haus aus fremd und erst durch den weißen Mann zugetragen worden; statt auf einer Pflanzung zum Ernten, gehen sie zehnmal lieber auf die Jagd und zum Fischen.

Dem Einfluß der Missionare gelingt es freilich zu allererst, ihnen, wenigstens scheinbar und wohl mehr oder weniger äußerlich, zivilisierte Sitten und Anschauungen beizubringen. Am Rande der unbetretenen Wildnis des Madre de Dios hausen einige dieser unentwegten nordamerikanischen Sektenmänner, die versuchen, die wilden Campas mit Schnaps, Kattunstoffen und anderen Importartikeln zu beglücken. Dem letzten Missionar hatten die Campas sein Warenlager niedergebrannt; er war mit knapper Not mit dem Leben davongekommen. Doch lassen sich diese Vorposten der Zivilisation von solchen Zwischenfällen nicht abschrecken. Es sind mutige, entschlossene Männer, die da den Vormarsch der Kultur und des Dollars auf ihre Fahnen und Hauptbücher geschrieben haben. Ich wäre gerne in das große und, wie man sagt »gefährliche« Gebiet eingedrungen, nicht um Geschäfte zu machen, sondern um den unverdorbenen Kindern der Wildnis einen guten Tag zu wünschen. Aber uns fehlten die Mittel für die Ausrüstung, Verproviantierung und Entlohnung der notwendigen Führer und Begleitmannschaften.

Freund Rolf hatte nach langer Mühe seine Flinte wieder zusammengebaut und benutzte die Gelegenheit, mit Don Juan und einigen Indios auf die Affenjagd zu gehen. Die Indianer essen Affenfleisch mit Vorliebe. Es muß allerdings vierundzwanzig Stunden gekocht werden und ist dann immer noch so zäh wie Stiefelsohlen. Gebraten wird es weicher und schmeckt gar nicht so übel, wenn man sich nicht daran stößt, daß die armen Tiere abgezogen über dem Feuer hängend aussehen wie kleine Kinder. Ich habe einmal gelesen, daß die Affen, wenn sie von einer Kugel getroffen werden, recht erstaunte Gesichter machen, gar nicht verstehen wollen, was der furchtbare Schlag auf die Brust oder in den Kopf auf einmal bedeuten soll, und mit einer sehr menschenähnlichen Bewegung an die verwundete Stelle greifen. Ich legte auf diesen Anblick keinen großen Wert. Rolf, ein großer Nimrod vor dem Herrn, war außerdem scharf auf Papageien, die gekocht eine wohlschmeckende Suppe ergeben. Wenn man Hunger und nichts zu essen hat, ist das nicht zu verachten. Wir waren aber augenblicklich sehr gut verpflegt. Ich fand es darum hübscher, die übermütig kreischenden, in wundervollen Farben leuchtenden Vacamayos so lange und so lustig herumfliegen zu lassen, wie sie wollten, und zog vor, zu Hause zu bleiben und an unserem Badeplatz am Rio Chuchuras in ungestörter Ruhe ein Aquarell anzufertigen. Der Fluß macht hier eine große Biegung, das brausende Wasser spiegelt in allen möglichen Farbtönen, grotesk gekrümmtes Baumwerk, in dem närrische Sonnenflecke tanzen, taucht aus grünem Dunkel in die Flut, am jenseitigen Ufer blitzen hohe silberweiße Stämme aus dem Dickicht und über der grünen Waldkulisse des fernen Ufers leuchten tiefblaue Berggipfel. Einmal flitzte auf der grellweißen Fläche des fernen Wasserbogens ein kleines schwarzes Streichholz daher und erwies sich in der Nähe als ein von einem Indianer gesteuertes Canoa.

Außer dieser fabelhaften Landschaft malte ich noch zwei Papageien. Einer war blau und gelb, der andere rot, und zwar rot in allen Nuancen, vom blassesten Rosa bis zum grellen Zinnober, tiefen Weinrot und leuchtenden Purpur. Ich hätte diese Farbenskala nicht um alles in der Welt im Suppentopf haben mögen. Ich muß hier bemerken, daß Indianer, wenn sie mich malen sahen, sich nie ganz herzutrauten, sondern von weitem schüchtern zuschauten. Als ich den roten Ära malte, stand ein Indianer mit seinem Weib in einiger Entfernung hinter mir und schaute kindlich neugierig her. Ich sagte: »Komm, darfst ihn schon sehen!« Nun erst wagte er sich näher. Als er das Bild lange genug betrachtet hatte, sagte er zu seinem Weib: »Wunderbar – sogar die Augen sind drauf!«

Wenn man von Chuchuras weiter will, gibt es – wie in allen Urwaldgebieten Südamerikas – nur einen Weg: den Wasserweg. Der Urwald ist weglos, unendlich und undurchdringlich. Kein Indianer würde sich, wenn man diese Waldgebiete durchqueren wollte, zum Führer hergeben. Man baut sich also entweder eine Balsa, das ist ein mit Lianenstricken zusammengeschnürtes Floß aus dem korkleichten Balsaholz, das infolge seiner Schwimmfähigkeit eine ziemliche Last trägt und auch darum leicht sein muß, weil man es in den felsigen, stromschnellenreichen Gebirgsflüssen streckenweise tragen muß. Oder man erwirbt eine Canoa, ein langes, schmales, aus einem Baum gebranntes Boot. Wir standen vor der Regenzeit, die Flüsse waren im Steigen, und sie steigen bisweilen über Nacht so rasch, daß gerade noch die Gipfel der Uferbäume aus den tosenden, mit gewaltiger Schnelligkeit dahinschäumenden Fluten spitzen. Aus diesem Grund und wegen der Wichtigkeit unserer kleinen Ausrüstung war uns eine Canoa lieber als ein Floß. Bald war ein geeignetes großes und starkes Boot ausgesucht. Unser Geld reichte eben noch zur Bezahlung. Ich machte noch ein Freundschaftsgeschäft mit Don Juan und überließ ihm meine Elefantenbüchse für eine geringe Summe, die später bezahlt werden sollte. Da der größere Teil der dazugehörigen Munition in Churubamba lag, schickte er einen Indianer mit einem Brief von uns hinauf, der sie holen sollte. Ich erwähne das, weil der Indianer, allerdings unbepackt, den Weg, zu dem wir sieben Tage gebraucht hatten, in vier Tagen hin und zurück gegangen war.

Wir rüsteten zur Abfahrt und hörten inzwischen sehr interessante Erzählungen und anschaulich ausgeschmückte Schilderungen an von den Leuten, die diese Fahrt schon versucht hatten. Es waren hier in den letzten fünfzehn Jahren immerhin etwa acht Menschen durchgekommen, Abenteurer, Goldwäscher und ähnliche Typen, die auch so wie wir weggefahren und von denen die meisten nie irgendwo angekommen sind. Weil Reisende hier so selten sind, weiß man natürlich die Geschichte jedes einzelnen und erzählt sie jahrelang. Diese fesselnden, bilderreichen Erzählungen von Ertrunkenen und Umgekommenen steigerten unsere Begeisterung zwar nicht; wenn man aber einige Zeit in Peru ist, weiß man, daß man von den landesüblichen Räuberromanen ruhig die Hälfte abziehen darf. Sehr angenehm war uns hingegen, daß Juan Frantzen uns eigenhändig eine Landkarte aufzeichnete, auf der alle Flüsse, die wir passieren mußten, mit ihren zahlreichen Inseln und Verzweigungen ersichtlich waren. Die Siedler kennen die Gegenden aus eigener Erfahrung, während die amtlichen Karten, die wir aus Lima mitgebracht hatten, sich als unzuverlässig erwiesen.

Ein weiter unten am Fluß wohnender Farmer namens Kristen wollte um diese Zeit mit einem großen Floß wegfahren, um einige Stück Vieh flußabwärts zu verkaufen. Die Art, wie man hier Geschäfte macht, ist ziemlich kurios. Das Floß, auf dem ein Stall errichtet ist, kostet dem Farmer zwar nichts; es wird ihm von Indianern gebaut und auch gesteuert. Nun fährt der Mann mit einem halben Dutzend Kühen, einem Dutzend Schweinen, zwei Dutzend Hühnern und einigen Arrobas (je 25 Pfund) Schweinefett drei, vier Tage bis zu einer Ansiedlung, wo er, wenn das Floß nicht unterwegs zerschellt oder in einem Strudel versinkt, seine Herrlichkeiten vielleicht absetzt. Verdient ist dabei nichts; denn er muß das Viehzeug auf jeden Fall hergeben, weil er es ja nicht mehr mit nach Hause nehmen kann. Es ist nur, daß er überhaupt einmal wieder ein bißchen Geld sieht. Verwenden kann er es sowieso nicht. Ist der Handel mehr oder weniger günstig erledigt, dann muß er sich eine Canoa kaufen und sich von den Indianern drei bis vier Wochen lang flußaufwärts staken lassen, um wieder heimzukommen.

Es wurde abgemacht, daß wir mit dieser Arche Noah gemeinsam abfahren und ihr in einigen hundert Metern Abstand folgen sollten, um zu lernen, wie man gefährliche Stellen passiert. Außerdem stellte sich noch ein Begleiter ein, ein junger Peruaner, der, vom Militärdienst entlassen, auf der Heimreise war. Er wollte in die Gegend des oberen Marañon, also eben dahin, wohin auch wir wollten. Wir nahmen ihn gerne mit, denn er konnte ein bißchen steuern und kannte den Fluß eine kleine Strecke weit.

Unsere Sachen waren verladen. Das Indianermädel vom Haus, das die Kleinen wartet und das Feuer macht, vielleicht elfjährig und ungewöhnlich entwickelt, war mir immer ausgewichen, wo ich ihr begegnet war. Entweder sie machte einen großen Bogen um mich, oder sie rannte an mir vorbei wie ein gescheuchtes Reh, verbarg sich hinter einem Baum und so weiter. Es war ihre Koketterie. Als wir weggingen, riß sie aus ihrem Lendentuch einen Fetzen heraus, wickelte eine Handvoll Marañons, rote, birnenartige Früchte, die wie ein süßer, saftiger Radiergummi schmecken, hinein, legte das rührende Päckchen an meinen Platz und beobachtete verstohlen, ob ich das Geschenk auch bemerke und annehme.

Wir sausten ab, bewaffnet mit drei kurzen indianischen Paddelrudern. Ich wußte nicht einmal, wie man sie in die Hand nimmt. Es war herrlich, daß wir nun wochenlang kein Gepäck mehr zu schleppen brauchten. Andrerseits beeinträchtigte diese Freude die Besorgnis um den wichtigsten Teil unseres Gepäcks, die Photos und die Filmaufnahmen, meine Notizen und die Apparate. Wenn uns der Laden ins Wasser rutschte, dann war die ganze Reise umsonst gemacht. Mein Compañero Rolf hielt diese Sorge für Angst. Ich fürchtete mich nicht, aber in einem unbeladenen Boot hätte ich mich unbelasteter gefühlt. Das Umkippen ist da halb so schlimm, man kann dann zeigen, ob man schwimmen kann, und ich schwimme ganz ordentlich. Der zivilisierte Mensch ist Nebensache; – die teuren Sachen, die er besitzt, sind wichtiger als er selbst. Wir gehörten sozusagen nur zum Inventar. Achtern also saß unser Peon, der Soldat, und handhabte das Steuerruder. Im hinteren Drittel stand mein schwerer eiserner Koffer, dann kam der große Sack des Peruaners, der gleichzeitig mein Sitz war, dann zwei vollgepackte Rucksäcke, ein Gummisack mit der Schreibmaschine und ein Sack mit Pumafellen und dergleichen Kuriositäten. Links und rechts von mir waren die beiden Apparate angebunden. Weiter vorne lag unser Zelt, das Gewehr, Machete, Bogen und Pfeile, Lebensmittel und Kochgeschirr, dann kam die Feuerstelle und an der Spitze ruderte mein Begleiter.

Proviant hatten wir reichlich: zwei, drei Bananentrauben, von denen jede einen Zentner wiegt; Bananen kosten in dieser Gegend, wenn man unbedingt darauf besteht, sie zu bezahlen, zehn Centavos der Zentner. Da die Siedler aber mit den Bananen das Vieh füttern, werden sie einem gewöhnlich nachgeworfen, ebenso wie die Ananas. In Chuchuras wurden wir wegen unserer Vorliebe für Ananas ausgelacht. Don Juan nannte diese Frucht, die bei uns so teuer ist, Unkraut und verwendete sie zuweilen zur Weinbereitung, in der Hauptsache aber als Schweinefutter. Auch von diesem Unkraut hatten wir einen beträchtlichen Vorrat. Ferner einen Haufen Yuka, Orangen, Limonen und allerlei exotische Früchte, von denen man eine ganze Liste aufstellen könnte; Reis, Bohnen, flüssigen Zucker, Kaffee, Steinsalz, Fett, Tabak, Koka und Farinha und eine Flasche Copaiba. Ich hatte mir in Chuchuras einen ganzen Sack voll Kokablätter gepflückt, obwohl ein namhafter deutscher Gelehrter später behauptete, daß Koka in Peru nur in einer Höhe von eintausendzweihundert Metern aufwärts gedeiht. Er konnte das um so leichter behaupten, als er ja nicht dabei gewesen ist. Farinha ist aus der Yukawurzel geriebenes Mehl. Es wird meist mit Rohzucker vermischt und gegessen und schmeckt nicht übel, wenn auch trocken (man muß mit irgendeiner Flüssigkeit nachspülen), und verursacht einen steinhart aufgeschwollenen Ballen, der im Bauch liegen bleibt – gegen Dysentherie sicher ein sehr geeignetes Mittel. Der peruanische Tabak ist hervorragend. Die Blätter werden zu einer meterlangen Wurst zusammengerollt und mit Rotanggeflecht umwickelt. Durch diese Verpackung hält sich der Tabak, der in dieser Gestalt fast steinhart wird, dennoch in der großen Hitze feucht-frisch und aromatisch. Man schneidet von dieser Rolle dünne Scheiben, zerreibt sie in der Hand und hat den feinsten langfaserigen Zigarrettentabak der Welt. Copaiba endlich ist ein terpentinähnliches flüssiges Harz, das die Indianer von gewissen Bäumen zapfen und womit sie sich den Körper einreiben zum Schutze vor Insektenstichen. Man verwendet, wo es keine Copaiba gibt, dazu auch Petroleum, doch ist jenes wegen seines angenehmen Geruchs diesem unbedingt vorzuziehen.

Das wichtigste Gepäckstück aber, und fast noch wichtiger als der Tabak, war und blieb mein Gummisack. Er enthielt meine Photos, Aquarelle, Zeichnungen und Manuskripte. Ich hätte lieber ein Bein verloren als diese Papiere und hatte mir diesen kostbaren Sack darum so präpariert und mit sinnreich angebrachten Lederschnüren versehen, daß ich ihn mir im »Fall eines Falles« so auf den Rücken praktizieren konnte, daß er mich beim Schwimmen nicht hinderte.

Die Arche Noah schwamm sehr langsam, unser schlankes Fahrzeug schoß immer wieder vor. Allmählich, nachdem wir den geschickten Indianern das Steuern ein wenig abgeguckt hatten, wurden wir mutiger und ließen das schwimmende Haus nur an reißenden Stromschnellen vorausfahren.

Der erste Teil der Reise auf den drei Gebirgsflüssen Chuchuras, Palcázu und Pachitéa, von denen einer in den anderen mündet, ist der gefahrenreichste. Die Flüsse, von der Größe des mittleren Rheins, haben allerlei tückische Eigenheiten, vor denen uns die Siedler nachdrücklichst gewarnt hatten. Das Wasser war im Steigen, wir trieben mit ziemlicher Geschwindigkeit und hatten gehörig aufzupassen, um die Köpfe unter den überhängenden Bäumen zu ducken. Oft ist die Fahrt mit Palisaden verstopft: ein verhängtes und verhängnisvolles Gewirr von riesigen Bäumen, zwischen denen schmale Schnellen abwärts schießen. Da hieß es dann mit Geschick und kaltem Blut und mit noch mehr Glück durchschießen.


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