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18. Vorläufiger Aufschluß über mein sogenanntes Staatsverbrechen, meine Verfolgung und meine Flucht. In einem Schreiben an des Herrn Koadjutors von Dalberg Erzbischöfliche Gnaden

Hochwürdigster Erzbischof, gnädigster Herr!

Die erste Minute, in welcher ich in Sicherheit bin, kann nicht besser als dazu angewandt werden, daß ich Ew. etc. den untertänigsten Dank für die Gerechtigkeitsliebe abstatte, welche Sie, gnädigster Herr, in der gegen mich anhängigen Untersuchungssache gezeigt haben.

Aber um so mehr bin ich es der Wahrheit, bin ich es Ew. etc. etc., bin ich es mir selbst schuldig, auch mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und selbst in dem Augenblicke, wo unnennbare Leiden mich niederdrücken, wo plötzliche Trennungen von allen, die mir teuer waren, wo die Verfolgungen des literarischen, politischen und moralischen Pöbels auf mich losstürmen, mit freier Stirne und dem Bewußtsein meiner gerechten Liebe zur Wahrheit und Redlichkeit meinen Feinden entgegenzutreten.

Dies kann ich, gnädigster Herr, so sehr auch der Anschein wider mich sein mag. Dies werd' ich so gewiß, als nur einem Elenden das Urteil der Welt gleichgültig sein kann. Dies muß ich, um meine schändlichen Feinde zu enthüllen und, vielleicht arm und unglücklich, aber doch gerechtfertigt vor den Augen guter Menschen, deren Achtung mir teuer ist, wieder zu erscheinen.

Vielleicht kommt bald die Zeit, wo ich kühn meinen Verfolgern entgegentreten kann und wo man es bereuen möchte, mich für unbedeutender angesehn zu haben, als ich wirklich bin. Käme sie aber auch nie, wüßte ich gewiß, daß mich Gram und Jammer im Angesichte meiner Feinde vernichten müßten, dennoch würde ich nicht schweigen. Ich bin nicht geflohen, weil ich Fesseln und Hochgericht gefürchtet hätte, nein! Ich habe mich gerettet, um erst gehört zu werden und mich dann vielleicht selbst den Gesetzen zu überliefern.

Diesen habe ich nie auszuweichen gesucht, weil ich nicht gegen sie gesündigt habe. Solange ich nicht die augenscheinlichste Gewißheit hatte, daß Machtsprüche erfolgen würden, solange war ich ganz ruhig, und ich kann es vor Gott beschwören, daß ich bis zum Augenblicke der Verhaftnehmung des Buchhändlers Vollmer nicht daran dachte zu entfliehen.

Bis zu dem Tage, da die Ankunft einer gewissen Dame sich gleich durch eine Ungerechtigkeit, durch den Angriff eines Mannes auf der freien Straße, auszeichnete, bis zu dem Augenblicke, da diese Dame ihren Einfluß zu Verfolgungen gegen sogenannte Illuminaten anwendete, lebte jedermann ruhig und glücklich in Erfurt. Kein politischer Groß-Inquisitor wagte es, aufzutreten und unter der Maske des Eifers für öffentliches Wohl seine Privatrache zu befriedigen, keine schändlichen Delatoren fanden einen Weg zu Ew. Erzbischöflichen Gnaden. Ihrer milden Regierung, Ihrer Liebe zu den Bürgern sich bewußt, selbst ein Beschützer der Aufklärung, verachteten Sie die kleinlichen Hilfsmittel elender Regierungen. Verfolgung gegen Meinungen war Ihnen fremd, und nur Verbrechen gegen die Gesetze wurden bestraft.

Als der Buchhändler Vollmer ein Privilegium zu Anlegung eines Buchhandels in Erfurt ausgewirkt hatte, hörte ich mit Vergnügen, daß man in dieser Stadt weit von der Ängstlichkeit mancher schwachen Fürsten in Hinsicht auf Preßfreiheit entfernt sei. Man kannte kein Verzeichnis verbotner Schriften, in der besagtem Buchhändler ausgestellten Konzession war ihm bloß auferlegt, seinen Katalog und die unter der Firma »Erfurt« erscheinenden Schriften einem Zensor zur Durchsicht zu übergeben, und auch hierin war die Observanz noch gelinder. Denn es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, 1. daß der Zensor die ihm im Manuskript zugeschickten Bücher erst nach dem Abdruck sehen wollte. 2. Daß das ärgerliche Libell eines gewissen Reichards in Gotha, »Fliegende Blätter« betitelt, die Zensur erhielt. 3. Daß der Buchhändler Keyser eine Vernunft, Moral und Menschheit entehrende Scharteke, »Laterne für die Deutsch-Franzosen«, ohne Zensur bei dem verstorbenen Buchdrucker Gradelmüller auflegen ließ und überhaupt seine Artikel meist selbst zensierte.

Der Buchhändler Vollmer glaubte, mehrerer Sicherheit wegen, sich nach den Worten des Gesetzes richten zu müssen, übergab seinen Katalog und alle unter der Firma »Erfurt« erscheinenden Schriften gewissenhaft der Zensur und, als einmal ihm angedeutet wurde, eine übersetzte Rede Robespierrens nicht mehr zu verkaufen, so hielt er dies Verbot so strenge, daß auch ich diese Rede nicht einmal von ihm erhalten konnte, da ich zu einer gewissen Arbeit ein Exemplar nötig hatte.

Was mich anbetrifft, so lebte ich mit diesem jetzt so sehr gemißhandelten Manne zusammen, schrieb aber nichts für seine Handlung in Erfurt. Meine schriftstellerischen Arbeiten erschienen alle in auswärtigem Verlag, und ich richtete mich dabei nach den Gesetzen des Ortes, wo sie verlegt wurden. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß der Erfurter Regierung je der sonderbare Gedanke einfallen würde, mich darüber zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Aber, worin ich allerdings eine Unvorsichtigkeit beging, ist, daß ich glaubte, ein Privilegium müsse notwendigerweise mit Bestimmtheit abgefaßt sein, und wenn darinnen ausdrücklich nur die unter der Firma »Erfurt« erscheinenden Schriften einer Zensur unterworfen würden, so sei für andere Artikel keine Zensur nötig. In dieser Hinsicht gab ich zu, daß der Buchhändler Vollmer auf inständiges Bitten des Druckers Cramer einige freimütige Schriften für auswärtige Handlungen bei ihm ohne Zensur drucken ließ. Dies allein ist mein Verbrechen, wenn es anders Verbrechen sein kann, die Rechtsregel »interpretatio contra eum facienda, est, qui clarius loqui debuisset« angewendet zu haben. Ich vertraute der Milde der Erfurter Druckgesetze zu sehr und konnte mir nicht träumen lassen, daß sie nur deswegen so unbestimmt geblieben seien, um in einzelnen Fällen der Willkür und der Rache desto freiem Spielraum übrigzulassen.

Mit dem Tage, da Seine Kurfürstliche Gnaden von Aschaffenburg nach Erfurt kamen, veränderte sich in dieser Stadt alles. Gewisse Leute, die es vorher nicht gewagt hatten, sich blicken zu lassen, jetzt aber durch Garderoben- und Schürzenkanäle eine Art Bemerkbarkeit erlangt hatten, suchten nun, hauptsächlich durch den Einfluß einer gewissen – Dame, ihre Feinde zu stürzen und sieh durch Denunziationen und Verleumdungen, denen diese Dame aus Liebhaberei Gehör, gab und seiner Kurfürstlichen aus Ängstlichkeit glaubten, eine vorher nicht gehabte Wichtigkeit zu geben.

Ich werde alle diese Geschichten, die ich aus den richtigsten Kanälen kenne, ich werde diese Berechnungen, nach welcher diese Denunzianten auf die sonderbare Aufnahme eines gewissen in Erfurt veranstalteten Volksfestes ihre Anlagen zum Sturz ehrlicher Leute gründeten, dem ganzen Publikum nebst vielen andern dokumentierten Aufklärungen weitläufiger vorlegen. Eine Regierung wird gewiß in dem Maße schlechter, nach welchem sie sich der Regierung des vorigen Wohlfahrtsausschusses nähert. Es ist ein schlimmes Symptom, wenn eine vorher milde Obrigkeit auf einmal den Zusammenkünften der Bürger Wächter beigesellt und über leichtsinnige Geburten einer gereizten Phantasie Inquisitionen veranlaßt. – Doch ich werde Gelegenheit haben, dies alles weitläufiger zu erörtern. Hier will ich nur im allgemeinen Ew. Erzbischöflichen Gnaden auf den geheimen Gang der gegen mich gestielten Kabale aufmerksam zu machen versuchen.

Der Buchhändler Keyser war vor Vollmers Ankunft zu Erfurt der einzige Buchhändler in dieser Stadt gewesen. Es war natürlich, daß es diesem Manne nicht ganz angenehm sein konnte, einen zweiten Buchhändler etabliert zu wissen. Es war auch verzeihlich, daß er dieses zweite Etablissement zu hintertreiben suchte, hauptsächlich, da sein eben nicht rühmlicher Erwerbszweig, Nachdrucke für Originalausgaben zu verkaufen, nun einen großen Stoß erleiden mußte. Aber sehr sonderbar war es, daß dieser Mann mich, weil ich bei Vollmer wohnte, sowie alle Leute, welche freundschaftlichen Umgang mit uns pflegten, mit einem lächerlichen und ausfallenden Hasse verfolgte, und mehr als lächerlich, wirklich schändlich war es, daß er solche Mittel und Wege einschlug, um sich an mir zu rächen, die kein Mann von einiger Rechtlichkeit sich je erlauben wird.

Zuerst nämlich suchte er allerhand meinen Charakter betreffende Gerüchte in den Kneipen, die er besuchte, auszusprengen. Er sah bald, daß er auf diesem Wege nicht weit kommen würde, da ich mir bald die Freundschaft, und ich darf wohl sagen, die Liebe und Achtung der meisten guten und angesehenen Menschen erwarb, und noch jetzt mit Stolz sagen kann, daß der gute und schätzbare Teil der Erfurter Einwohner mein Schicksal bedauert, während nur schlechte Menschen auf der Seite meiner Feinde und Verfolger sind. Er schlug also einen sicherern Weg ein. Er suchte mich als demokratischer Gesinnungen verdächtig auszuschreien. Man weiß, was dies heutzutage sagen will und wie unglücklich bei der Ängstlichkeit mancher Regierungen der rechtschaffenste Mann ist, den man in diesen Geruch zu bringen weiß. Sie selbst, gnädigster Herr, müßten nach der Meinung dieser Art von Leuten unter die Demokraten, welche man nach einer sehr unlogischen Verwirrung der Begriffe auch Jakobiner zu nennen pflegt, gerechnet werden. Das bezeugt ja die unter Ihrer Veranstaltung erschienene, in Wien verbotene schöne Schrift »Über die Erhaltung der öffentlichen Ruhe«, das bezeugt Ihre Verteidigung der Wissenschaften gegen die Vandalen, welche behaupten, daß die Aufklärung zu Revolutionen führe, das bezeugt noch mehr – Ihre Liebe zum Volke, Ihre gerechte und menschliche Regierung.

Im Verlage des Buchhändlers Keyser kam eine ohne Zensur gedruckte, So wahr ist es, daß gerade die politischen Ketzermacher und Bekehrer mit Feuer und Schwert die ersten sind, welche die Gesetze verletzen. Indem sie Strafe Und Rache gegen alle anderen verlangen, welche im geringsten von der herrschenden Norm abweichen, frönen sie bloß ihren Leidenschaften und wollen durch Strenge gegen andre die Regierungen bestechen, um selbst gesetzlos sein zu können. von ihm mit Anmerkungen versehene Scharteke »Laterne für die Deutsch-Franzosen« heraus, worin Mitleid, Menschlichkeit und Wunsch nach Frieden zum Kennzeichen des Jakobinismus gestempelt und jeder, der nicht so wie Herr Keyser dachte, auf das pöbelhafteste geschmäht wurde. Einige kleinere Spöttereien, die ich über diese Laterne ohne Licht nicht unterdrücken konnte, reizten den Unwillen der kleinen Seele meines Feindes noch mehr. Er wußte Mittel, sich hinter die Mitglieder des in Deutschland bestehenden Obskurantenbundes zu stecken, und nun begann eine neue Periode meiner Verfolgungsgeschichte. Denn nun erst erschien der durch seine Nichtswürdigkeit allgemein bekannte und verächtliche Redakteur der »Fliegenden Blätter« und des »Revolutions-Almanachs«, Herr Reichard, in Gotha, auf dem Kampfplatz. Dieser elende Mensch, dessen Kloaken alles willig aufnahmen, was irgendein Denunziant darin abzulegen für gut findet, wird, weil er keine Ehre mehr beim Publikum zu verlieren hat, von der Jesuiten- und Obskuranten-Herde gleichsam statt der leichten Truppen gebraucht. Sie macht durch ihn ihre ersten Experimente, und da es ihm ganz gleich ist, bald zu trotzen, bald zu kriechen, da er ein im Namen der Mannheimer Einwohner verfaßtes Pasquill so willig aufnimmt als nachher seinen Anteil daran leugnet, da ihm lucri bonus odor ex re qualibet ist, so muß man gestehen, daß die hochwürdigen Väter noch nicht verlernt haben, ihre Leute ganz gut zu wählen.

Bald nachher gebrauchte diese Bande echter deutscher Jakobiner, welche darauf ausgeht, das Schreckenssystem in Deutschland einzuführen und eine Gesellschaft wiederherzustellen, die, sonderbar genüg, sich nach dem aufgeklärtesten und duldendsten Menschen seines Jahrhunderts benennt, ihre gewöhnlichen Mittel weiter gegen mich. In den fliegenden und neuen Zeitblättern, in dem Wiener »Magazin der Literatur und Kunst«, in der abenteuerlichen Nachricht von einer unsichtbaren (jawohl unsichtbaren) Verschwörung gegen die christliche Religion, in hundert andern; immer von den nämlichen Elenden geschmierten Libellen geschahen Angriffe auf mich, deren immer einer sich auf den andern bezog. Dies ist die gewöhnliche Methode, wie diese Herren ihre Verleumdungen beweisen. Man insinuierte unter andern auch folgende Lächerlichkeiten gegen mich:

a) Ich sollte von einer Propaganda Geld empfangen, um den Absatz jener Libelle zu unterdrücken und dagegen freimütige Schriften in Gang zu bringen.

b) Ich sollte mit dem National-Konvent in Korrespondenz stehen.

c) Ich sollte Illuminat, Gott weiß in welchem Grade, sein.

Die erste dieser Beschuldigungen verdient keine Widerlegung. Die beiden andern zwar ebensowenig, inzwischen bemerke ich hier nur soviel, daß meine immer laut bekannten Grundsätze mich unter Robespierrens Regierung unfehlbar zur Guillotine geführt haben würden und daß ich nie in einiger Verbindung mit den Illuminaten gewesen bin. Dies Bekenntnis ist um so unverdächtiger, da ich zugleich versichere, daß ich jetzt erst unter diese Gesellschaft zu treten suchen würde, wenn sie noch existierte, weil sie notwendig aus rechtschaffnen Menschen bestehen muß, um den Pinseln und Schurken so sehr verhaßt zu sein. Ich antwortete auf alle dergleichen Angriffe nur durch Stillschweigen und die äußerste Verachtung und wies erst im 5. Stück des »Neuen grauen Ungeheuers« den verächtlichen Menschen in Gotha derb zurecht, da er im »Revolutions-Almanach« einen neuen Ausfall in einer Note angebracht hatte, die der rechtschaffene Herr Dieterich nicht einmal ganz abdrucken ließ.

Endlich trat der Direktor des Bundes, der bekannte Kleriker und Ritter vom gelben Adler, durch seinen würdigen Sancho Pansa, den Verfasser des »Endlichen Aufschlusses über den Freimaurerorden«, den verräterischen Herausgeber des Philo und Spartakus, den Regierungsdirektor Grollmann oder von Grollmann in Gießen, Wer Lust hat, mit diesem Matador der Obskuranten näher bekannt zu werden, lese eine kleine Schrift von D. Greineysen, dessen Verfolgung durch Herrn Grollmann betreffend. Herr G. war selbst Illuminat und ist dieser Gesellschaft nur deswegen gram geworden, weil er in derselben seine ehrgeizigen und selbstsüchtigen Absichten nicht erreichen konnte. Sein Ordensname war Gratianus. Philo erkannte in ihm gleich den ehrlosen Menschen, der er wirklich war. selbst in der »Eudämonia« auf den Kampfplatz, um mir gleichsam den Gnadenstoß zu versetzen. Ich habe dieses Pasquill erst auf meiner Reise gesehen, und ich weiß nicht, ob ich über die Albernheit oder die giftige Bosheit der Verfasser mehr erstaunen soll. Erst folgt ein Ausfall auf eine unter dem Titel »Reise nach Fritzlar« erschienene Parodie der Lavaterschen Reise, wovon der Freiherr Knigge Erst wird nämlich gesagt, Knigge sei wahrscheinlich der Verfasser, und gleich darauf in der Note wird es schon als gewiß versichert. als der Verfasser angegeben wird. Da im »Neuen grauen Ungeheuer« ein Anfang einer ähnlichen Parodie erschienen ist, so gibt dies dem Pasquillanten zu verschiedenen Ausfällen auf Knigge und seine sogenannten Jünger Anlaß. Diese Leute würden wohl tun, erst Stunden bei einem Informator zu nehmen, um sich richtig ausdrücken zu lernen. Man weiß in der Tat nicht, ob sie Kniggen als den Verfasser des »Neuen grauen Ungeheuers« oder als den Verfasser der »Reise nach Fritzlar« angeben wollen. – Übrigens ist es bloßer Zufall, daß die »Reise nach Fritzlar« einerlei Idee mit der Reise des Propheten Johannes ausführt. Ich schätze zwar den verehrungswürdigen Verfasser des »Umgangs mit Menschen« unendlich, kenne ihn aber bis diesen Augenblick weder persönlich noch auch durch Briefwechsel. Hierauf wird eines in Erlangen vorgefallenen Auflaufs erwähnt, den ein gewisser aus Erfurt gekommener Göbhard geleitet haben soll. Da ich von einem Manne dieses Namens in Erfurt nie etwas gehört habe, so läßt ihn der Verfasser der Denunziation wahrscheinlich nur deswegen aus Erfurt kommen, um sagen zu können, daß diesem Menschen in der Vollmerschen Lesebibliothek Wie lächerlich! Der Katalog der Vollmerschen Lesebibliothek war von der Regierung approbiert, und in den Katalogen Vollmers standen nicht mehr noch andere Bücher als in den Verzeichnissen Herrn Keysers, Herrn Ettingers und jeder andern guten Buchhandlung. der Kopf erhitzt worden sei, und eine Denunziation gegen mich und Vollmer anzuhängen, deren Albernheit und Falschheit ich zergliedern könnte, wenn ich hier den Raum nicht sparen wollte.

So ist zum Beispiel der hier angegebene Roman »Ludwig Wagehals« nicht in Erfurt oder Altona, sondern bei Wilhelm Heinsius in Gera verlegt, wie jeder auf dem Titel lesen kann. So ist überhaupt ein so ekelhafter Mischmasch von Falschheiten in diesen wenigen Zeilen enthalten, daß man billig über die Lächerlichkeit einer Denunziation erstaunt, die der Delator wenigstens wahrscheinlicher und richtiger hätte zusammenstoppeln können, wenn er sich nur etwas genauer erkundigt hätte. So viel mußte ich von diesen elenden Obskuranten, deren gedruckte Verleumdungen bald genug zu Makulatur werden, um zu beweisen, wie klein der Teil des Publikums ist, den sie noch auf ihrer Seite haben, sagen, um den Lesern das folgende klarzumachen.

Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren, glaubte man den Zeitpunkt, da der Kurfürst von Mainz sich vor den siegreichen Waffen der Republikaner nach Erfurt flüchtete und also sich zur Ängstlichkeit mehr als sonst neigte, benutzen zu müssen, um meine stille bürgerliche Glückseligkeit zu untergraben. Die Gesellschaft Jesu wußte zu wohl, daß ich alle andren Neckereien, worunter zum Beispiel die skandalöse Predigt eines Mönchs gehört, nur mit Verachtung erwidern würde.

Die Frau von Ferrete (warum soll ich diese – Dame nicht nennen) erfuhr also zuerst in dem Hause eines gewissen Schusters, das sie mit ihrem Herrn Gemahl öfters besuchte, meine gefährliche Existenz. Da sie stets von Illuminaten träumte und besonders, als eine Anhängerin Lavaters, dem Verfasser der »Reise nach Fritzlar« sehr gram war, so war nichts leichter, als sie geneigt zu machen, alles zur Vertilgung dieser in der Einbildung gewisser Leute existierenden illuminatischen Ungeheuer anzuwenden. Man exaltierte die Nerven dieser – Dame so sehr, daß ihre erste Frage an jeden, der ihr vorgestellt wurde, immer war: »Sind Sie je Illuminat gewesen?«

Ferne sei es von mir, das Kriechen gewisser Insekten durch die schmutzigsten Garderobenwege hier weiter zu enthüllen. Herr Winkopp in Mainz, zu dessen ehemaligen Transport-Geschichte ich einige wichtige und interessante Beiträge zu liefern hoffe, wird bald auch paradieren. Professor Herel, ein seiner philologischen Kenntnisse wegen übrigens schätzbarer Mann, der sich, um das Einheizen im Winter zu ersparen, gemeiniglich beim Buchhändler Keyser aufhielt, enragierter Aristokrat im vollen Sinne des Worts, nahm es über sich, zur Dankbarkeit für das ersparte Holz den Kurfürsten zu meinem Sturz vorzubereiten. Hauptsächlich geschäftig erwies sich aber ein gewisser, ehedem in Preußen eben nicht ehrenvoll bekannter Herr von Dacheröden, der nachher in Erfurt zum Präsidenten der dasigen Akademie gestempelt wurde. Ich habe diesem Manne in meinem Leben nichts zuleide getan und bekümmerte mich nicht im geringsten um seine Existenz. Ich wußte bloß, daß er zu Erfurt den Mäzen einiger armer Kandidaten und den Beförderer armseliger Skribler machte, welche er dann und wann zu Tische bat und welche dafür ehrerbietig den Mund aufsperrten, sooft ihr großgünstiger Gönner, der selbst eine Art von Schöngeist affektierte, etwas sagte. Ob es diesen Mann verdroß, daß ich, der ich mein Publikum nicht zu erbetteln pflegte, mich nicht unter seine Klienten stellte, oder ob es diese ärgerte, daß ich durch meine Arbeit mir eine gemächliche Existenz verschaffte und eine selbständige Rolle spielte, ob sie etwa glaubten, man möchte mir einmal eine Bedienung geben, oder ob der Herr Präsident den Flecken seiner bürgerlichen Geschichte durch Zionswächterei (freilich ein leichteres Mittel als Rechtschaffenheit) auszulöschen und sich wichtig zu machen suchte, das will ich dahingestellt sein lassen. Kurz, dickbesagter Präsident vel quasi legte Seiner Kurfürstlichen Gnaden und der obenbenannten – Dame bald die »Eudämonia«, bald den »Revolutions-Almanach« etc. so lange vor Augen, bis endlich Seine Kurfürstlichen Gnaden auch den Buchhändler Keyser mit einem Paket ungebundener Bücher vor sich kommen ließen und sich mit demselben über meine Wenigkeit unterhielten. Zum Beweise, daß mir diese Kabalen alle nicht unbekannt waren, erinnere ich hier inzwischen Herrn Professor Herel an seine witzige Parallele zwischen den Nürnberger Bürgern und den Erfurter Landesverrätern. Was so ein Mann für Begriffe von Landesverrat haben mag!

Ob die Obskuranten-Verbindung auch Mittel gefunden habe, auf den Kaiserlichen und Kurfürstlich-Sächsischen Hof zu wirken, wie ein Gerücht sagt, muß ich vors erste dahingestellt sein lassen. Traurig und demütigend wäre es aber allerdings für manche Vormünder der Völker, wenn ein Grollmann und Konsorten vermögen sollten, den Arm solcher Machthaber zu ihrer kleinlichen Privatrache zu benutzen. Herr Reichard versäumt freilich kein Mittel, das dahin führen könnte. Seine Schmierereien werden gleich bei ihrer Erscheinung an alle hohen Häupter verschickt, wobei er nicht unterläßt, sein Verdienst als Generaldelator und General-Polizeispion des Heiligen Römischen Reichs bestmöglichst zu rühmen. Auch die »Fliegenden Blätter« wurden kurz vor ihrem Ableben mit der Post an Privatpersonen wie Brandbriefe versendet, um das Publikum gleichsam mit Gewalt zu dieser losen Speise zu nötigen. Verlangt Herr Reichard Beweise, so kann ich ihm meine Leute nennen. Dieser nichtswürdige Mann hat ja die Stirne, öffentlich im diesjährigen »Revolutions-Almanach« zu bekennen, daß er alle ihm zugeschickten Denunziationen benutzt – ein ehrenvolles Geschäft für einen Mann, der nicht einmal Talent genug hat, schickliche Gegenstände zu Herrn Schubarts Zeichnungen zu wählen.

Ich wußte dies alles, ich wußte vierzehn Tage vor dem Anfang der Untersuchung gegen mich, daß Seine Kurfürstlichen Gnaden einen Machtspruch ohne Verhör gegen mich tun wollten. Ich hörte aber zugleich, und nie werde ich dieses vergessen, daß Sie, gnädigster Herr, und einige rechtschaffene Regierungsräte redlich und ehrlich dafür stritten, daß man keinen Prozeß mit der Exekution anfangen müsse. Und doch, gnädigster Herr, doch möchte ich beinahe wünschen, daß diese erste Absicht gegen mich durchgedrungen wäre. Meine Verfolger würden sich dann in ihrer ganzen Blöße gezeigt haben und nicht einmal den Schatten von Förmlichkeit für sich anzuführen haben, den sie jetzt, freilich umsonst, zu benutzen suchen werden, um das Spiel unter der Decke zu verbergen. Allein, ich werde laut prüfen und besitze noch genug rechtliche Kenntnisse, um meinen Inquisitoren und Delatoren Schritt vor Schritt folgen zu können.

Hätte ich auch anfangs vielleicht auf den Gedanken kommen können, einem Machtspruch durch eine Reise zu entgehen, die jetzt noch nicht einmal den Anschein einer Flucht gehabt hätte, so mußte sich doch dieser Entschluß in dem Augenblicke ändern, da ich eine gesetzliche Untersuchung zu gewarten hatte. Diese war mir so wenig furchtbar, daß ich ganz ruhig dabei blieb, ja sogar voll Vertrauen auf Ew. Erzbischöflichen Gnaden Gerechtigkeitsliebe nicht einmal Anstalten auf einen möglichen Fall traf.

Ich hatte meine Überzeugung zwar nie verleugnet, aber niemand dazu zu bereden gesucht, da mir nichts verächtlicher ist als ein sogenannter Freiheitsprediger. Nie hatte ich gegen die Gesetze des Staats, in dem ich lebte, gefehlt. In auswärtigen Buchhandlungen waren meine politischen Schriften verlegt worden, ich hatte zwar auch in das hin und wieder sehr kühn geschriebene »Graue Ungeheuer« Aufsätze geliefert, allein die meisten gingen mich so wenig an als eine Menge andrer Schriften, deren Verfasser ich nicht einmal kenne und von denen es unbegreiflich ist, daß man mir die Schuld gibt, da man nur ihre Schreibart flüchtig mit der meinigen vergleichen darf, um den Ungrund einer Anklage einzusehen.

Ich war im Grunde freilich nicht einmal verbunden, der Erfurter Regierung über allerlei Schriften Rede zu stehn. Man inquirierte, worüber Deutschland lächeln wird, gegen mich, um zu erfahren, wo des Herrn von Heß »Durchflüge« und andere dergleichen Schriften gedruckt sein. Ich konnte einen kleinen Spott nicht unterdrücken, als eine Kurfürstlich-Mainzische Kommission gegen einen flüchtig geschriebenen Roman »Ludwig Wagehals« Der Buchhändler Keyser soll in den Schenken versichert haben, es sei in diesem Roman ein Porträt des Kürfürsten von Mainz enthalten. Ob er wohl den Mut haben möchte, die Parallelen, die er im Sinn hat, öffentlich zu ziehen? (gedruckt mit Zensur) wie jene Dorfschaft gegen einen unschuldigen Rochen zu Felde zog, glaubte aber bei der wirklich rühmlichen Artigkeit und Höflichkeit der braven Deputierten des Stadtrats, die zu aufgeklärt denken, um eine solche Inquisition zu billigen, einen kleinen Sarkasmus unterdrücken zu müssen, der mir auf der Zunge schwebte.

Um so bereitwilliger gab ich auch der Kurfürstlichen Regierungskommission Auskunft und hatte mir fest vorgesetzt, erst am Ende der Untersuchung um Stellung meiner Delatoren zu bitten und zu erklären, daß es eine eigene Anmaßung der Kurfürstlich-Mainzischen Regierung sei, über meine Meinungen und auswärtige Schriften eine Inquisition zu veranlassen, da ich mit Erfurt und dem Kurfürsten in keinem Verhältnis stehe, als daß ich dort eine kleine Summe von fünfhundert bis sechshundert Talern jährlich verzehre.

Der Buchhändler Vollmer, der aufs genaueste nach den damaligen Gesetzen gehandelt hatte, glaubte natürlich, noch weniger zu fürchten zu haben. Ich bin ihm das Zeugnis schuldig, daß er gleich gestehen wollte, den Druck einiger Bogen des »Ungeheuers« für fremde Rechnung in Erfurt besorgt zu haben. Allein der Buchdrucker Cramer schien auf einmal dem Landfrieden nicht mehr zu trauen. Er bat Vollmer und mich, ihn aus dem Spiele zu lassen und versicherte, daß die praktische Anwendung der milden Erfurter Druckgesetze mit der Theorie in keinem Verhältnis stehe. Um dies zu beweisen, berief er sich auf die Geschichte eines gewissen Schlüters, der wegen eines sehr gemäßigten Briefes an den Kaiser aus Erfurt hatte flüchten müssen, ohnerachtet diese Schrift die Zensur passiert hatte. Das Publikum, dem ich diese Schrift, welche Zensur erhalten hatte, und das Verfahren darüber vorlegen will, wird umsonst in der Schrift »Über Erhaltung der öffentlichen Ruhe« den Schlüssel zu der Inquisition über den armen Verfasser suchen. – Es wäre möglich, daß besondere, mir unbekannte Umstände dabei obwaltet hätten. Ist dies nicht der Fall, so muß man – schweigen.

Da die quästionierten Schriften alle unter einer auswärtigen Firma gedruckt waren, so war eigentlich die Frage nach dem Druckorte schon eine sehr überflüssige Frage, und ich beantwortete sie damit, daß ich nicht wisse, wo sie gedruckt worden seien. Übrigens muß ich der Wahrheit zur Steuer gestehen, daß die Herren Kommissarien sich bei meinem Verhör mit dem gehörigen Anstand benahmen. Alles schien einen gesetzlichen und rechtlichen Weg gehen zu wollen, und ich glaubte, bei einem erfolgten achttägigen Stillstände die ganze Sache schon niedergeschlagen. Ich tat deshalb keinen Schritt, als daß ich eine Schrift über Verfolgungen gegen freimütige Schriften und Schriftsteller drucken ließ, worin ich einige Winke gab, die ich auch in einem kleinen Promemoria und mündlich wiederholte. Man wollte sie nicht verstehen und wird sie jetzt tiefer fühlen müssen. Ich glaube, das Publikum und die Regierungen auf diese Schrift aufmerksam machen zu müssen, weil sie von einem bisher noch nicht genug in Betrachtung gezogenen Gesichtspunkt ausgeht. Was ich am Schlusse derselben nur dunkel ahnte, ist wahr geworden, und ich erneuere das Gelübde feierlichst, das ich dort ablegte, ehe ich noch vermuten konnte, daß ich sobald würde gewürdigt werden, für Wahrheit zu leiden.

Sonnabend, den 13. Dezember, kam der Erfurter Buchdrucker Gramer zu mir und gab mir Nachricht, daß er nachmittags vor die Regierungskommission zitiert sei. Man weiß, was gemeine Leute sich unter einer Kommission dieser Art denken, zumal wenn man sie vorher durch bedenkliche Reden von Hochverrat, Majestätsverbrechen und dergleichen einzuschüchtern sucht. Der arme Mann zitterte und bebete. Ich bat ihn, nur guten Mutes zu sein und standhaft auf seiner Aussage zu bleiben, da er einmal den Druck verleugnet habe. Ihm fiel ein, daß er vielleicht werde schwören müssen. Ich tröstete ihn damit, daß man über zu viel Schriften inquiriere, Mir fallen die Titel der Bücher nicht einmal alle ein, deren Druckern, Verlegern und Verfassern man auf einmal in Erfurt den Garaus machen wollte. Hauptsächlich brach man Lanzen gegen des Herrn von Heß »Durchflüge«, gegen die »Kreuzzüge und Wanderungen« etc: etc. um gerade die rechte zu erraten, die er gedruckt habe. Er könne also vielleicht mit gutem Gewissen schwören. Überdies schienen mir Ew. Erzbischöfliche Gnaden und die meisten Regierungsräte zu aufgeklärt, um die Untersuchung ganz strenge zu betreiben. Das Ganze sei wahrscheinlich weiter nichts als eine Mätressen- und Brotneids-Kabale, und ich müsse dafür halten, daß die Kurfürstliche Regierung diese verdrießliche Inquisition baldmöglichst zu beendigen suchen werde. Dies war wirklich meine Überzeugung, und es sollte mir leid tun, wenn sie irrig gewesen wäre.

Dies hat, so wie ich nachher hörte, der Buchdrucker Cramer ausgesagt, und der Stadtpöbel erklärte diese Aussage, als ob ich den Drucker zum Meineid hätte verleiten wollen. Ja, mir wurde sogar erzählt, ich solle geäußert haben, Ew. Erzbischöfliche Gnaden hätten mich aufgefordert, den Buchdrucker zu einem Meineide zu verleiten. Wer eine solche Infamie verbreiten oder der eingeschüchterten Dummheit eines schwachen, zitternden Mannes in den Mund legen kann, muß entweder ein ausgemachter Dummkopf oder ein satanischer Bösewicht sein.

Unbekümmert um alles weitere, spielte ich ruhig auf meinem Zimmer abends um vier Uhr Klavier, als der Buchhändler Vollmer mir sagte, er sei eben zitiert, und mich fragte, ob er erscheinen oder bis Montag warten solle, da er mit Geschäften überhäuft sei. Ich riet ihm an, sogleich der Zitation Folge zu leisten. Kaum war er aus dem Hause, als auch an mich eine Zitation erging, und schon hatte ich meinen Hut in der Hand, als ein Mann, dem ich diese menschenfreundliche Nachricht noch danke, ein Mann, den ich dem Namen nach jetzt nicht kenne, mich eben, als ich in Vollmers unterem Zimmer mit dem Herrn Oberhofmarschall von Frankenstein sprach, abrief und mir eilig zuflüsterte: »Retten Sie sich, die Wache rückt an, und Sie sollen auf die Zitadelle gebracht werden.«

In diesem Augenblick rasselten Winkelmanns Ketten, der eine Bürgerkrone verdient hatte und den der Kurfürst von Mainz dem niedrigsten Pöbel preisgab und ohne Urteil und Recht zehn bange Monde lang im Kerker modern ließ, fürchterlich in meinen Ohren. In diesem Augenblick bereute ich, im Vertrauen auf Ew. Erzbischöfliche Gnaden Gesinnungen meinen Freund Vollmer der Rache eines gefürsteten Priesters ausgesetzt zu haben. Aber noch schien mir alles ein Traum, noch war ich zweifelhaft, ob man so unpolitisch und ungerecht verfahren könne, und ich beschloß, den Erfolg vors erste abzuwarten, als ich um zehn Uhr des Abends die Nachricht erhielt, daß der Buchhändler Vollmer und der Buchdrucker Cramer unter einer starken Bedeckung auf den Petersberg gebracht worden seien und daß man auch mich aller Orten suche.

Man urteile von der Wirkung, welche diese Schreckensbotschaft auf mich machen mußte. Ich war so weit entfernt, eine solche tartarische Behandlung eines gesessenen Bürgers, dessen bereites Vermögen nach dem geringsten Anschlag doch einige Tausende von Talern beträgt und den man also immer finden konnte, zu vermuten, daß ich um halb zehn Uhr schon zwei Schritte von der Türe meines Hauses war, so daß die an derselben stehenden Wächter mit Blindheit geschlagen gewesen sein müssen, da sie mich nicht entdeckten. Bei so bewandten Umständen war es mir nicht einmal möglich, einige bei mir liegende fällige Wechsel oder bares Geld zu meiner Rettung zu mir zu nehmen. Ich verbarg mich erst noch einige Tage und ward bloß durch das Zureden meiner Freunde abgehalten, Vollmers Schicksal freiwillig zu teilen. Diese abenteuerliche Geschichte meiner Flucht werde ich getreu, doch ohne irgendeine der wenigen guten Seelen zu kompromittieren, die zur Zeit der Prüfung sich als meine Freunde zeigten, dem Publikum mitteilen. Ach, ich war so geängstet als der geächtete Louvet zur Zeit Robespierrens, aber ich war noch unglücklicher, denn mir fehlte eine Lodoiska, die mein Schicksal geteilt hätte.

Die Aussage des Buchdruckers veranlaßte mein Unglück, und dieser kann nichts weiter ausgesagt haben, als daß einige Aufsätze im 3. und 4. Stück des »Neuen grauen Ungeheuers« von meiner Hand geschrieben waren – eine Tatsache, die ich, ehe noch an eine Untersuchung' gedacht wurde, im 5. Stück des »Ungeheuers« laut bekannte, der Kurfürstlichen Regierungskommission erklärte und nie leugnen werde. Deswegen wurde mir durch diese Verfolgung ein Schaden von wenigstens einigen hundert Talern zugefügt, deswegen wollte man mich in den Kerker werfen, deswegen vernichtete man meine Aussichten, meine Ruhe, meine bürgerliche Glückseligkeit. Deswegen beschrieb man mich an den Toren, verfolgte man mich mit Schergen und Husaren, deswegen verletzte man selbst den Hausfrieden angesehener Einwohner von Erfurt und durchstörte ihre Hütten. Deswegen mußte ich, gleich einem Missetäter, in Sturm und Regen fliehen!

So, gnädigster Herr, vermögen selbst in einem Staate, wo Ew. Erzbischöfliche Gnaden so schön von Milde und Aufklärung schrieben, einige nichtswürdige Bösewichter die Gerechtigkeit zu mißleiten. So büßt der Mann, der einem Fürsten Wahrheit sagt, diese ebenso hart als der Dieb und Räuber seine Missetat. Ich weiß, daß Fürsten Menschen sind und bin ruhig und kalt genug, auch itzt noch zu wünschen, daß ein höherer Richter die Handlungen des Machthabers, dessen Anathem auf mir liegt, einst nicht mit der Strenge richten möge, mit der jener itzt meine Worte, meine wahren Worte rächt. Und Wahrheit ist doch allein mein Verbrechen, Wunsch nach Gerechtigkeit und Bitterkeit über Unbilligkeit. Denn eine ehrlose Lüge ist es, daß jemals eine unsittliche, sittenverderbende Schrift von mir verfaßt worden sei. Ich bin stolz auf meine Sünde und will jetzt freiwillig, in. dieser noch von keines Schergen Fußtritt entweihten Hütte, mehr gestehen, als irgendein Verhör in Erfurt erpressen könnte.

Ich, gnädigster Herr, war es, der die verheimlichten, echten und nicht zu widerlegenden Akten, die unmenschliche Behandlung des edlen Winkelmanns und der sogenannten Klubisten betreffend, bald hier, bald dort ans Tageslicht brachte. Ich war es, der zuerst laut sagte, daß Pöbeljustiz auch in Deutschland nicht besser sei, als die Gerichte in Masse der Carriers und Marats. Ich war es, der unbezahlt von der fränkischen Nation oder von irgendeiner Propaganda, aber reichlich belohnt von meinem Bewußtsein, mit allem, was ich entbehren konnte, die elenden, mit henkermäßiger Grausamkeit behandelten fränkischen Gefangenen erquickte. Ich war es, dessen lindernde Hand Balsam in ihre Wunden goß. Ich war es, der an fränkische Machthaber mit jedem Posttage schrieb, nicht, um Deutschland zu verraten, sondern um die fränkische Nation aufzufordern, Menschen, denen sie einst Schutz versprochen hatte, nicht im Elende verschmachten zu lassen. Ich war es, der es wagte, jedes Unterdrückten Klagen vor die Ohren des Publikums zu bringen, wenn alle Menschen auch den Mann flohen, den ein mächtiger Bösewicht verfolgte. Ich war es, der heuchlerische Briefe an einen gewissen mächtigen Mann schrieb, um seine Antworten einst dem von ihm betrogenen Monarchen vorzulegen. Ich war es, der den Entwürfen emigrierter Bösewichter gegen die Freiheit durch alle Wege auf die Spur zu kommen und ihre Bubenstücke nach Vermögen zu entdecken und zu verhindern suchte. Ich war es, der den ärger als ein Mörder bewachten Buchhändler Vollmer durch merkantilische Vorspiegelungen zum Werkzeuge meiner Pläne brauchte. Ich bekenne hiermit freiwillig, daß ich auch an der Schrift »Europa«, wegen deren der Kanonikus und Sekretär der königlichen Akademie zu Berlin, Riem, gelitten hat, teilhabe. Dieser würdige Mann dachte vermutlich zu edel, um mich zu nennen. Er soll aber nicht für meine Sünden büßen, ich gebe mich selbst an. Ich bin es endlich, der den Mut hat, dem Tode, und was noch weit mehr sagen will, der Verbannung von allem, was meinem Herzen so teuer war, zu trotzen und künftig den nämlichen Weg mit noch kühnerem Mute zu betreten.

Ja, sie sollen alle erscheinen, meine lange gesammelten und bisher noch zurückgehaltenen Akten. Nicht durch Empörung, aber durch Wahrheit will ich siegen und einst, wenn alle Minister Bernstorffe oder doch wenigstens gerechte Männer sind, dann wird vielleicht eine dankbare Träne manches glücklichen Bürgers den Männern danken, die so viel litten wie ich. Wie teuer habe ich gebüßt! Wie schwer bin ich geprüft worden! Was habe ich verloren! Oh, selbst meiner nichtswürdigen Verfolger ehrloses Herz würde auf einen Augenblick gerührt werden, wenn sie fühlen könnten, welche Hoffnungen sie mir zerstört haben! Bei Gott, es gibt Seiten, die ich, selbst nicht berühren darf, ohne vor dem zu erschrecken, was ich zu tun fähig wäre, wenn nicht die Pflicht, mich zu rechtfertigen, meine Verzweiflung überwände.

Ew. Erzbischöfliche Gnaden sind zu billig, um mir zu verdenken, wenn ich bei den unzählbaren Mißhandlungen von allen Seiten warm und schmerzhaft fühle. Mögen inzwischen meine Feinde jetzt immer frohlocken, mag der Herr Reichard in Gotha die Freude in vollem Maße genießen, zuerst meine Entweichung im Frankfurter Staats-Ristretto bekanntgemacht zu haben. Mag der Trotz der Maulfreunde, die einst vor mir krochen, und der sogenannten Freiheitsprediger, die zur Zeit der Not ihre Grundsätze verleugnen, jetzt immer über mich herstürzen. Ich werde bald nicht mehr als Flüchtling unter falschem Namen außer Deutschlands Grenzen weilen, wenn anders nicht eine höhere, ehrenvollere Bestimmung meine Rückkehr hindert. Ich entfloh nur, um mich ohne Furcht vor Trabanten und Schergen erst vor dem Publikum rechtfertigen zu können, ehe die Gesetze über mich sprechen sollen.

Und ausbleiben wird meine Rechtfertigung nicht. Ich werde nicht schmähen, nicht verleumden, aber ohne Schonung gegen irgend jemand schreiben. Ich würde nicht schweigen, und wenn ich gewiß wüßte, daß, in dem nämlichen Augenblicke, wo ich die Feder niederlege, auch der Henker mit dem Schwerte mein Haupt vom Rumpfe trennen würde. Umsonst wird man meine Rechtfertigung zu unterdrücken und bloß meine Feinde sprechen zu lassen versuchen. In dem Augenblick, da Sie, gnädigster Herr, dieses Schreiben erhalten, ist es auch schon in den Händen des bessern Teils der Erfurter Einwohner, und keine Macht, kein Verbot wird dies zu verhindern vermögen. Zum Behuf dieser meiner Verteidigung fordere ich Ew. Erzbischöfliche Gnaden und die Kurfürstliche Regierung zu Erfurt hiermit Öffentlich auf:

1. meine Anklageakte und das gegen mich erlassene Commissoriale, 2. die Namen meiner Delatoren, 3. einen Auszug der gegen mich verhandelten Akten dem Buchhändler Vollmer einzuhändigen. Noch ist mir bloß ein summarisches Verhör gestattet worden, und diesem sollte die Exekution folgen, der ich klüglich auswich. Dies Verhör kann ich sowenig für eine Beobachtung der rechtlichen Form ansehen, als ein Angeklagter in Paris die herben Formen Fouquiers dafür gelten lassen wird.

Ich danke dem braven Herrn Regierungspräsidenten von Bellmont für seine Rechtlichkeit, erkläre aber zugleich, daß ich den Postraub, der mit einem Briefe an den Kanonikus Riem in Berlin der Sage nach vorgefallen sein soll, für eine Schändlichkeit halte. Ich habe darin gewünscht, in die Dienste der fränkischen Republik zu treten – und wünsche dies noch. Ich erkläre, daß der Buchhändler Vollmer bloß mein merkantilisches Werkzeug war, daß, wenn er einige Bogen ohne Zensur für mich besorgte und dies strafbar ist, meine Erklärung seines Privilegiums ihn dazu verleitet hat. Ich erkläre, daß er weder Aristokrat noch Demokrat, sondern Kaufmann ist und sich nicht um den Inhalt, sondern bloß um den Absatz seiner Artikel bekümmert und ebensowohl die »Fliegenden Blätter« als das »Graue Ungeheuer« verkauft haben würde, wenn sich jemand gefunden haben möchte, der jene verlangt hätte. Der Rechte unkundig, glaubte er, daß bloß der Verfasser einer Schrift für ihren Inhalt verantwortlich sein könne.

Endlich ersuche ich Sie, gnädigster Herr, hauptsächlich Ihr ganzes Ansehen dahin zu verwenden, daß niemand von denen, die mich ihres freundschaftlichen Umgangs würdigten, für mein Verbrechen mit büßen müsse. Wie wenig meine Grundsätze und meine Arbeiten meine Freunde im gesellschaftlichen Leben interessieren konnten, läßt sich leicht begreifen, und wer mich kennt, der weiß, daß ich meine Schriften mündlich lobzupreisen weder pflegte noch bedurfte.

Welches auch mein Los und mein Urteilsspruch sein mag, so werde ich doch stets dankbar daran denken, daß Sie, gnädigster Herr, auch bei meiner Verfolgungsgeschichte Ihren ruhmwürdigen Eifer für Gerechtigkeit nicht verleugneten. Ich werde nie vergessen, daß Sie, zu einer Zeit, da alle Scheinfreunde mich flohen, einen Mann, der sich nie zu Ihnen gedrängt hat, sosehr er Sie auch im stillen schätzte, gegen einen Ausgewanderten verteidigten, der von der Todesstrafe gegen mich sprach. Schon dieser einzige Zug würde hinreichen, die unwandelbare Ehrfurcht auf ewig zu begründen, womit ich verharre

Ew. Erzbischöflichen Gnaden
untertäniger

G. F. Rebmann

*

An meine Freunde

In einer kleinen Hütte, jedes tröstenden Zuspruchs, jeder Freude des Lebens entbehrend, einsam und unter fremden Menschen, deren keiner mich kennt, keiner mich noch lieben kann, schrieb ich diese Blätter. Tränend blickt mein Auge hinaus auf die wilde, stürmische See, düstere Wolken finster wie meine Seele, hängen über dem Horizont, und bloß ein dankbares Andenken an euch, schöne Seelen, hab' ich aus dem Sturme gerettet, der mich aus der Fülle der Freuden an diesen einsamen Strand verschlug. Oh, daß ich eure Namen nicht nennen, daß ich euch nicht danken darf für alles das, was ihr mir wäret! Ach, sie würden auch euch verfolgen, meine niedrigen Feinde, wenn sie nur wüßten, daß ihr mich beklagtet. Der furchtbare Fluch eines gefürsteten Priesters würde auch die Tränen bestrafen, die ihr mir weinet.

Ihr, deren Glaube an mich noch nicht verlorengegangen ist, die ihr mich zu gut kanntet, um durch das Urteil des Pöbels in eurer Meinung über mich irre gemacht zu werden, verzagt noch nicht! Noch schweben hohe Aussichten vor meiner gequälten Seele, es wird eine Zeit kommen, wo ihr wieder laut den Mann Freund nennen dürfet, mit dessen gutem Namen jetzt ungestraft schändliche Wichte ihr ehrloses Spiel treiben. Rein heb' ich meine Hände zum Himmel empor! Kein Blut, kein geraubtes Gut der Witwen und Waisen klebt daran! Der Fluch der Väter und Mütter, deren Söhne dem Ehrgeiz geopfert wurden, verfolgt mich nicht in diese Hütte! Während mancher Fürst sich prunkend mit unbezahlten Edelsteinen keinen freudigen Zuruf des Volks erkaufen oder ertrotzen kann, floß mir im Augenblicke meiner Ächtung manche mitleidige Träne einer schönen Seele.

Bin ich also wohl ganz unglücklich? Wer Recht, wer Vernunft, wer Wahrheit liebt, wird bald anders über mich richten als meine Verfolger und der Pöbel. Kühn werde ich auftreten und den Vorhang wegnehmen, der so manches noch verbirgt.

Fürchtet aber nicht, meine Freunde, daß ich euch in Verlegenheit setzen werde. Was mir Freundschaft vertraute, ist mir heilig! Ich will lieber selbst verkannt werden, als andern Verfolgungen bereiten, um mich zu rechtfertigen. Ihr sollt euch in meinem Gemälde erkennen, aber sonst niemand! Wenn ich euch einst wiedersehe, dann will ich euch erst laut nennen, ihr Geprüften zur Zeit der Anfechtung!

 

Geschrieben an den Ufern der Nordsee am 1. Januar 1796.


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