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8. Knigge

Die Toren und Narren in Deutschland feiern ein Freudenfest, und die Klugen und Rechtschaffenen trauern, denn es starb ein edler deutscher Mann, Adolph Freiherr von Knigge.

Seit sechs Jahren an sein Bett geschmiedet, der edelsten aller Gottesgaben, der Gesundheit, beraubt, war er dennoch ununterbrochen tätig fürs Wohl der Menschheit. Jeder Augenblick, den ihm seine Berufsgeschäfte übrigließen, jeder Augenblick, worin die Schmerzen seines körperlichen Zustandes ihn nicht völlig zu Boden drückten, wandte er zu Arbeiten an, die ganz Deutschland zur Genüge bekannt sind. Unermüdet geißelte er Toren und Affen, wo er sie fand, und züchtigte Bösewichter, lohnte, teilte der Welt aus dem Schatze seiner praktischen Menschenkenntnis Erfahrungen mit, die er ach nur zu teuer erkauft hatte, und half, unterstützte, tröstete wenigstens die unschuldig Leidenden. Mit männlichem Mute griff er jedes Vorurteil an, wo er es fand, und achtete nicht der unmenschlichen Neckereien, womit das Heer der Pinsel und Buben ihn, wie jeden redlichen Mann, um so heftiger verfolgte, da diese elenden Pygmäen vor dem Talente und dem unerschöpflichen Witze des guten Knigge zu beben Ursache hatten.

Bekanntermaßen war der Selige eines der tätigsten Mitglieder des Illuminatenordens, als diese Gesellschaft noch existierte. Es ist jetzt noch nicht Zeit, alles zu enthüllen, was über den Untergang und die Verfolgung dieses in seiner Art einzigen Ordens eigentlich gesagt werden könnte. Wer aber nicht von einer gewissen nichtswürdigen Partei verblendet ist, wird eingestehen müssen, daß, wenn je eine geheime Gesellschaft Bewunderung verdient, dies allein die Illuminaten waren. Ihr Zweck war erhaben, himmlisch, edel, die Organisation meisterhaft, und, wenn sie zugrunde ging, so fiel sie wenigstens groß. Sie hat unendlich viel Licht vor ihrem Falle aufgesteckt. Sie hat den Sieg der Wahrheit und des Rechts wenigstens insoweit vorbereitet, daß es bloß die Schuld unsrer Langsamkeit und Feigheit ist, wenn er nicht ganz erfochten würde. Weit entfernt, Revolutionen stiften oder befördern zu wollen, hatte sie vielmehr eine philanthropische Reformation zum Zweck, die allein gegen jede gewaltsame Empörung das einzige und sicherste Mittel ist. Die wenigen erträglichen Fürsten, welche Deutschland hat, dankt es größtenteils der Erziehung der Illuminaten. Die Nachwelt wird einst sehen, wer eigentlich die Verfolger und Feinde dieses Bundes waren, dessen Plan nur zu menschenfreundlich kühn ist, als daß sterbliche Wesen ihn in seiner ganzen Reinheit hätten ausführen können.

So schlichen sich denn bald leichtsinnige, unmoralische Menschen, ja selbst auch Spione der immer gegen jede Art von Aufklärung und Menschenwohl wirkenden Jesuiten in den Orden ein, denen eine Gesellschaft, welche überall die Werke der Finsternis entlarvte, nicht gleichgültig sein konnte. Ich führe hier nur den saubern Regierungsdirektor von Grollmann in Gießen an, der als Spion des Betrügers Starck unter dem Namen Gratianus einige Mitglieder des Illuminatenordens, hauptsächlich Ptolomäus Lagi zu hintergehen wußte. Der Menschenkenner Knigge erkannte in ihm gleich den Niederträchtigen, der er wirklich war, wurde aber teils überstimmt, teils mißtraute der gutmütige Mann seinem eignen Urteil zu sehr.

Die Folge bewies ihm freilich, daß er sich nicht geirrt hatte. Gerade diese niederträchtige Klasse von Menschen, welche dem Illuminatenorden darum so feind waren, weil sie keine gefährliche und schändliche, aber ihrem Ehrgeize und Eigennutze schmeichelnden Zwecke dabei entdeckten, wie sie gehofft und erwartet hatten, wurden nachher Kniggens und überhaupt des Ordens grimmige Verfolger. Jeder Bube, der gewahr wird, daß er einen redlichen Mann nicht hintergehen kann, wird eben deswegen der Feind dieses ehrlichen Mannes, weil er dessen Überlegenheit fühlt und ihn wider Willen achten muß.

Vermutlich werden sich unter seinen hinterlassenen Papieren Materialien zur Entlarvung dieser Bösewichter finden. Ich übergehe daher die ganze Periode seiner Verfolgungsgeschichte mit Stillschweigen und erlaube mir nur eine allgemeine Bemerkung.

Der Charakter der Deutschen nämlich, die gleich Kindern jedes dargebotene Spielwerk begierig ergreifen, aber nie einen ernsthaften Plan mit Standhaftigkeit und Aufopferung befolgen, sobald sie nur von weitem gewahr werden, daß irgendein Großer ein saures Gesicht darüber machen möchte, zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit nur zu deutlich. Solange Fürsten, Minister, Erzbischöfe etc. dem Orden anhingen, weil sie zum Teil ihre Erbärmlichkeit dadurch zu verdecken und eine Art von Zelebrität als aufgeklärte, gelehrte Regenten zu erlangen hofften, solange der Orden Aussichten, Gewalt und Einfluß hatte, solange war alles recht, schön und gut. Als aber die Sache ernsthaft zu werden begann, als die Inquisition in Bayern losbrach, als die durchlauchtigen und hochwürdigen Mitglieder sich zurückzogen, weil sie einsahen, daß sie nicht nur redlich und aufgeklärt scheinen, sondern es auch wirklich sein sollten – da sprangen alle die eifrigen Glieder ab, bewahrten sich feierlich vor jedem Verdacht weiterer Teilnahme oder traten wohl gar auf die Seite der Verfolger des Ordens. Da stand Knigge allein. Aber schändlich und niedrig ist es, daß, als das Pack Schurken und Narren, welches die »Eudämonia« herausgab, alle Mittel aufbot, den Seligen zu kränken, als ihm noch kurz vor seinem Tode ein feiger Pasquillant eine Schmähschrift unter dem Titel »Des Freiherrn Knigge Welt- und Menschenkenntnis« zuschickte, daß da keiner aufstand, sich des verfolgten Redlichen anzunehmen. Einer der ersten Nationalobern der Illuminaten, der xxx, unter dessen Autorität alle jetzt so verschrieenen Grade zu einer Zeit sind ausgeteilt worden, wo Knigge längst nichts mehr mit dem Orden zu schaffen hatte – ein Mann, bei dem der Pfaffe und der Edelmann selbst dem Sonntagsgesichte, welches er dem deutschen Publikum zeigt, mit sichtlichen, unzweideutigen Zügen eingeprägt ist, saß ganz ruhig bei allen diesen Mißhandlungen und ließ es geschehen, daß der Selige so, wütend verfolgt wurde. »Der Tag seines Gerichts«, schrieb mir der edle Verstorbene noch kurz vor seinem Tode, »ist noch nicht gekommen. Bis jetzt habe ich ihn und andre geschont und alles über mich ergehen lassen, aber, aber – er hüte sich, sonst keine schiefen Streiche zu machen oder zu begünstigen. – Ein Pfaffe weiß sich zwar immer herauszulügen, allein ich bin auch ein bißchen mit Pfaffenkünsten bekannt.« –

Dies zur einstweiligen Warnung für diesen Mann und andere seinesgleichen. Was der Selige aus Edelmut, weil es ihn selbst betraf, verschwieg, das können und dürfen seine Freunde nicht verschweigen, sobald niedrige Verleumder es wagen sollten, seine Asche verunglimpfen zu wollen. Wage es ja keiner, denn es werden sich Rächer finden! Es ist nicht wahr, daß Knigge in den letzten Jahren seines Lebens noch Mitglied oder Oberhaupt irgendeiner organisierten geheimen Gesellschaft gewesen sei. Ebenso unbegründeterweise wurden ihm für manche Schriften und Teilnahme an manchen andern Schuld gegeben. Schon seine fortdauernde Kränklichkeit würde ihn daran verhindert haben, wenn er auch sonst Lust gehabt hätte, das kleine Häuflein wieder zu sammeln. Wie klein ist auch nicht das geprüfte Häuflein. »Bis jetzt«, schrieb er auf eine solche Aufforderung mir einst zur Antwort, »möchte eine solche Unternehmung den Obskuranten auch bei der unschuldigsten und edelsten Absicht nur Stoff zu neuern Verleumdungen geben. Überdies finde ich überall nur Leute, die sich mit guten Wünschen begnügen und sich warm und herzlich über das freuen, was andre auf eigne Verantwortung unternehmen. Aber selbst mit anzugreifen – ja gehorsamer Diener – davon kann man Verdruß haben.«

Zu Ende des Junius-Monats wollte der Selige eine Reise nach Lauchstädt in seinem Bettwagen machen und versuchen, ob seine durch unaufhörliche Neckereien aller Art zerrüttete Gesundheit vielleicht dadurch einigermaßen hergestellt werden könne. Aber am 6. Mai schon entschlief er an den Folgen einer Entzündung an der Wange.

So ruhe denn sanft in deiner Gruft, edler, oft verkannter Dulder! Verfolgter Freund des Rechts und der Wahrheit, Feind jedes schädlichen Aberglaubens und jedes Wahnes, unermüdeter Arbeiter für Menschenglück, ruhe sanft. Auch mir warst du Lehrer und Freund, wurdest es erst gerade in den trüben Tagen, da die Scheinfreunde sich zurückzogen, weil sie auf die Probe gesetzt werden sollten! Grausam war das Schicksal, das dich mir gerade jetzt entriß, grausamer als alle anderen Verfolgungen und Kränkungen, die mich trafen! Ja, ich darf an deinem Grabe weinen, und wenn dein Geist noch diese Gefilde der Unvollkommenheit seiner Aufmerksamkeit würdigt, so wird er sanft und gütig mich umschweben! Tugend, Wahrheit, Gerechtigkeit – so bleibt euch denn endlich nichts als eine kühle Gruft, wo kein Bösewicht euch mehr verfolgen kann! –


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