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3. Pöbel-Justiz und Exekution durch militärische Gewalt. Ein Gemälde deutscher Greuelszenen, als Gegenstück zu den Carreriaden in Nantes

Der National-Konvent fängt jetzt an, gerecht und kaltblütig zu untersuchen, wo und wem die jetzige politische Exaltation zu willkürlichen Barbareien, zu Befriedigung schändlicher Privatleidenschaften unter dem Deckmantel der allgemeinen guten Sache Gelegenheit gegeben habe. In den Augenblicken des Widerstandes, des blutigen Kampfes war eine solche Kaltblütigkeit nicht möglich, es kam damals nur darauf an, daß man sich wehrte, wie und durch welche Mittel man sich wehrte, ließ man unerörtert. Parteien herrschten, Namen entschieden, Meinungen verdammten zum Tod. Stillschweigen und Zuschauen war unmöglich, Partei zu nehmen die einzige Rettung. Schreckliches Los, das der Menschheit durch den Kampf der Unterdrückten gegen die schändlichen Unterdrücker bereitet wurde! Denn nun entschied nicht mehr Recht, nicht mehr Tugend, nicht mehr guter Wille, ein schreckliches Band knüpfte Tausende an das Steigen und Fallen der Faktionen. Siegten sie, so ward Verrat und Verbrechen gekrönt, unterlagen sie, so büßte man Irrtum, guten Willen, nicht selten auch Wahrheit und Recht mit dem Tode.

So war der Fall bei der politischen Erschütterung in Frankreich – so war er noch bei allen Erschütterungen dieser Art, seitdem die Welt steht. So wird er immer sein, solang Namen Verbrechen sind und solang man nur jemanden mit diesen Namen zu belegen braucht, um ihn aus der Grenze aller Untersuchung über Recht oder Unrecht zu bringen und der Willkür preiszugeben.

Hierüber werden wohl selbst unsre deutschen Marats, die Herren Schirach, Reichard etc. mit mir einig sein, weil sie glauben, ich rede bloß von der Parteiwut in Frankreich. Aber ich rede von aller Parteiwut, von aller Willkür, von allen Verdammungen ohne Gesetz und Urteilsspruch, in welchem Lande und in welcher Zone sie auch vorfallen mögen.

Eben das ist das Lächerliche und Schreckliche, daß niemand hier in seinen eignen Busen greifen will! Der Fanatiker im Okzident findet den im Orient abscheulich, die Katholiken schrieen über die Greuel der Türken, die Calvinisten über die der Katholiken, ohne an Servet zu denken. Die Deutschen schrieen über die Volkswut, welche die sogenannten Aristokraten in Masse ohne Urteil und Recht ersäufte und hinrichtete – aber kein Mensch erwähnt die Schändlichkeiten, welche in Deutschland gegen die sogenannten Demokraten vorgenommen wurden und noch vorgenommen werden.

Laßt uns unparteiisch sein, meine Brüder, laßt uns gegen jeden Fanatismus, gegen jede Parteisucht, gegen jede Unterdrückung zu Felde ziehen ohne uns darum zu bekümmern, wer sie begeht und gegen wen sie begangen wird und ob sie grade den äußersten Grad erreicht oder nicht. Willkür, die einmal Unschuldige mißhandelt, braucht nur von den Umständen aufgereizt zu werden, um sie bald auch zu morden. Jeder Gemißhandelte ohne Recht, ohne Urteil, ohne Gesetz verdient unsre Verteidigung! Ich will den Schleier aufheben und versuchen, den Stolzen, die hohnlächelnd auf unsre Nachbarn herabsehen und gleich dem Pharisäer in dem Gleichnis Gott danken, daß sie nicht sind wie jene, eine kleine Schamröte abzujagen.

Ich spreche hier nicht von dem ohnmächtigen Geschrei »Kreuzige«, welches unsre deutschen Flugblätter erheben, um nach Belobungsdekreten und nach goldnen Dosen etc. zu angeln, einem Sündenlohn, den sie so willig hinnehmen als der Verfasser des Vater Duchesne seine Pension, die der Minister Bouchotte der Nation ebenso stahl, wie jene Pretiosen unsern Bürgern gestohlen werden, um platte Produkte des Parteigeistes damit zu bezahlen. Feige und elende Menschen, feile Schreier und Renegaten hat es zu jeder Zeit gegeben, und es würde ebenso unbillig sein, manchen unsrer Fürsten es vorzuwerfen, daß sie diesen Schreiern mit Verachtung etwas hinwerfen, um uns unsre Ketten vergessen zu machen, als es unrecht sein würde, die Diebe der französischen Nation deswegen zu tadeln, daß sie durch das Geschrei des belobten Duchesne die Aufmerksamkeit des Volkes von ihren Diebesgriffen ablenken wollten.

Nein, ich will selbst die Septembergreuel, selbst die schändliche Panegyrisierung kalter Meuchelmörder mit Parallelen außer Frankreich zusammenstellen, wobei wir wahrscheinlich nicht gewinnen, da unmöglich der, welcher sich grausam wehrt, so straffällig sein kann als der, welcher grausam angreift.

Eroberer Pragas! Großer Suworow! Vor dem Richterstuhl der kalten Vernunft stehst du auf der Leiter der Geschöpfe viele Stufen tiefer als der Kopfabschneider Jourdan. Dein brillantenbesetzter Marschallstab wiegt nicht mehr als die blutige Jakobinermütze.

Manifeste Rußlands! An Unverschämtheit mögen euch Barèrens Rapporte fast gleichkommen, aber an schändlichem Hohn der Menschheit übertreffen sie euch nicht. Transporte der französischen Gefangenen auf der Donau nach Ungarn und von Frankfurt bis Magdeburg! Wer euch erblickt hat, wer deutsche Kannibalen in der Uniform Tausende nicht mit Dolchstichen morden, nein mit kalter Bosheit zur Verzweiflung bringen gesehn hat, der hat nicht mehr den Mut, den Septembrisierern den kleinsten Vorwurf zu machen.

Wär' ich ein französischer General, ich würde die Beschreibung eines solchen Transportes Man lese die Aufsätze im Novemberstück des »Genius der Zeit«, wo diese Greueltat, nur mit etwas zu gemilderten Farben, erzählt ist. Von den noch weit gräßlichern Donau-Transporten hoffe ich im nächsten Stück ausführlichere Nachrichten geben zu können. meinen Soldaten vorlesen lassen, ehe «sie stürmen, und ich bin überzeugt, diese Greuel müßten sie zur Rache begeistern.

Urteile ohne Recht und Form! Verhöre falscher Zeugen! Gerichte, wo das Urteil vor der Untersuchung gesprochen ist! – In England hat man euch bei den neuesten Hochverratsprozessen in eurer Blöße weit mehr erblickt als bei den Revolutionsgerichten in Frankreich! Hier will ich mich jetzt nur auf einen einzigen Punkt einschränken und eine aktenmäßige und mit Belegen versehene Nachricht von dem Verfahren gegen die Klubisten in Deutschland liefern.

Ich bitte bloß um kaltes Gehör. Diejenigen, welche gegen die Klubisten im voraus eingenommen sind, mögen sich ja nicht dadurch von Lesung dieses Aufsatzes abschrecken lassen, daß sie etwa eine Verteidigung der Klubisten Es ist unbegreiflich, wie selbst Girtanner, der an Marktschreierei übrigens seinem Kollegen Schirach nichts nachgibt, sich so herabwürdigen konnte, alle albernen Sagen zu verbreiten, die man auf Rechnung dieser Unglücklichen, welche sich nicht verteidigen konnten, dem Publikum aufzuheften für gut fand. Sogar treffe ich bei ihm das niedrige Schimpfwort »Schandbuben«. hier erwarten. Dazu habe ich weder Beruf noch Lust, ob ich gleich, vermöge der Aktenstücke, die ich in Händen habe, etwas Besseres liefern könnte, als bisher geliefert worden ist. – Aber soviel glaube ich doch voraussetzen zu dürfen. Unter diese von Deserteurs herrührenden lächerlichen Beschuldigungen gehört vorzüglich die Verzögerung der Übergabe von Mainz. Die Klubisten wurden bei den diesfallsigen Unterhandlungen nie zu Rate gezogen und konnten sich auf keine Weise dareinmischen, ferner das Verfahren der Exportationen, wo sie nichts als ihre Pflicht taten. Andere Vorwürfe werden im Verfolg dieser Geschichte widerlegt werden.

Haben doch unsre deutschen Zeitungen sogar die erkauften Mordbrennereien in Mainz auf Rechnung dieser armen Opfer schreiben wollen. Der Redakteur dieses Journals könnte, wenn hier Raum dazu wäre, aus den Papieren des »Comité de sureté« zu Mainz diese Albernheiten widerlegen, aber es schrieen ja auch nur die Girtanner und Konsorten! – daß jeder meiner Leser den Satz annimmt: Auch Verbrecher können bloß nach Gesetzen und nach vorhergegangener Untersuchung gerichtet werden. Und dann habe ich gewonnen.

Um den Grad der Straffälligkeit der sogenannten Klubisten zu bestimmen, muß vor allen Dingen die Präjudizialfrage entschieden werden, inwiefern derjenige als Verbrecher angesehen werden könne, der in einem eroberten Lande der Gewalt des Eroberers weicht und sich nach den neuen Gesetzen bequemt? Wir treffen in der neuesten Zeitgeschichte auf zwei Fälle, wo man ganz entgegengesetzte Maximen im nämlichen Fall beobachtet hat.

In Polen wurden Kosciuszko und die Edlen, die sich einer fremden Räuberei entgegensetzten und dem gepriesenen Rechte des Eroberers nicht huldigen wollten, als Verräter, als Rebellen (doch wohl gegen die fremde Macht?) angesehen und bestraft. – In Deutschland hingegen betrachtet man diejenigen als Aufrührer, welche sich in die neue Ordnung der Dinge fügten und also der fremden Macht gehorchten.

Was soll also die Handlungen des Bürgers in Kriegszeiten bei solchen Fällen bestimmen. Der Grund der Eroberung? Dann möchten die Russen schamrot werden müssen: Oder die wahrscheinliche Dauer des neuen Besitzstandes? Wer will diese bestimmen, solange Fortunas Kugel rund bleibt. Oder die individuellen Vorteile des Landes?

Nimmt man die letztern als Entscheidungspunkt an, so haben ohne Zweifel die Klubisten recht gehandelt. Denn ihr Widerstand würde fruchtlos gewesen sein, um die neue Ordnung der Dinge zu hemmen, wohl aber konnten sie durch Annahme der ihnen von der neuen Regierung übertragenen Stellen verhindern, daß Schurken, Räuber, heimloses Gesindel oder, wenn dieser Fall auch nicht eingetreten wäre, Fremdlinge, mit der Verfassung und den Vorteilen des Landes unbekannt, diese Stellen an sich rissen. Geblieben wäre sicherlich die alte Regierungsverfassung auf keinen Fall.

Daß diese Gründe wenigstens bei einigen dieser Klubisten eintraten, daß manche alle möglichen Vorsichtsregeln beobachteten, um sich in der Folge wegen Annahme ihrer neuen Ämter rechtfertigen zu können, darüber lese man die Bittschrift, welche im ersten Heft der »Annalen der leidenden Menschheit« mitgeteilt ist, und die diesem Aufsatz nachstehende Beilage A. In der Annahme der öffentlichen Ämter kann also die Strafbarkeit der Klubisten nicht liegen. Der einzige Punkt, weshalb man sie in Anspruch nehmen kann, ist die Art ihrer Verwaltung.

Will man nun konsequent sein und das Recht des Eroberers wie in Polen gelten lassen, so muß man gestehen, daß sie dieserhalb nur der französischen Nation verantwortlich waren. Aber ich will keine Sophismen zu Hilfe nehmen, weil ich ihrer nicht bedarf und Gründe dieser Art mehr für den Verteidiger der Klubisten gelten.

Also gesetzt, aber noch lange nicht zugegeben, daß diese Menschen strafbar, daß sie Verbrecher im eigentlichsten Sinn, daß sie Hochverräter gewesen seien, so bleiben doch gewiß folgende Sätze unwidersprechlich.

1. Ein besonderer, auf der Heiligkeit des Völkerrechts beruhender Vertrag hebt die allgemeinen Verhältnisse auf.

2. Der Verbrecher kann nur nach Untersuchung seines Verbrechens und nach rechtlichem Urteil gerichtet, und

3. die Vollziehung des Urteilsspruchs kann nicht der Willkür des Pöbels überlassen, sondern muß nach Gesetzen und Recht ausgeführt werden.

Ich glaube nicht, daß irgend jemand einen von diesen drei Sätzen antasten wird, oder er öffnet der Anarchie Tür und Tor und bringt uns bald Carreriaden und Revolutionstribunale zu Nantes. Wir wollen nun das Verfahren gegen die Mainzer Klubisten näher beleuchten.

Die Klubisten kamen als Geiseln, nicht als Untertanen in die Hände der Deutschen. Dies beweist das unter B. angedruckte Handbillett des Generals von Kalkreuth an den General d'Oyré und der gleichfalls angedruckte Auszug C. eines Berichts des Generals d'Oyré an den Wohlfahrtsausschuß, noch mehr aber die von der Mainzer Regierung selbst verlangten Zeugnisse über acht akkordierte Punkte D.

Diese Verträge, ohne deren Abschließung weder die Festung Mainz noch die Klubisten in deutsche Hände gekommen wären, heben alle anderen Verhältnisse, in denen die Klubisten als Untertanen gegen ihre vorigen Landesherren standen, auf, und ihre gewissenhafte Haltung beruht auf der Heiligkeit des Völkerrechts.

Man hat sie nur nach Gutdünken gehalten und würde sie vollends gebrochen haben, wenn die französischen Waffen minder glücklich gewesen wären. Man hat diese Geiseln gleich beim Ausmarsch aus Mainz geplündert, Das Plündern scheint überhaupt an der Tagesordnung gewesen zu sein. Sogar die eigentlichen Geiseln, unter welchen der General d'Oyré war, haben auf ihrem Transport von Mainz bis Wesel der Raubsucht nicht entgehen können. Die preußischen Soldaten nahmen die Mühe auf sich, für ihre Gepäcke zu sorgen, und so verloren die armen, unter dem Schutz des Völkerrechts stehenden Geiseln ihre Kleider, Wäsche, Geld etc. bis jetzt noch ihr Eigentum ihnen vorenthalten, sie in Königstein und an andern Orten in Kerker geworfen, aus welchen nicht einmal die Leichname verwesender Franzosen eher weggeschafft wurden, als bis die Aufwärter den verpestenden Duft nicht mehr ertragen konnten. Jeder Tyrann in der Uniform hatte das Recht, diese unverhörten, zum Teil auf bloßen Verdacht eingezogenen Menschen zu mißhandeln, und jede willkürliche, schreckliche Strafe wurde nicht dem gehörigen Richter, sondern der militärischen Gewalt überlassen. Menschen wie Winkelmann, eines bequemen Lebens gewohnt, mußten sich vom Ungeziefer auffressen lassen usw. Tatsachen, welche weiter unten vorkommen werden und wozu die Belege in den Händen des Herausgebers und vielleicht auch in den Händen der französischen Nation sind.

So haben wir Deutsche aus Parteiwut gegen das Völkerrecht gehandelt, während unsre siegenden Feinde in ihre Hände gefallne Brüder pflegten. So haben wir Verträge, Heiligkeit und Versprechungen, Großmut und Menschlichkeit mit Füßen getreten, bis uns die Schmach unsrer wiederholten Niederlagen im ungerechtesten Kriege zu einer Änderung zwang.

Wie wir gegen die Gerechtigkeit handelten, läßt sich schon aus der oben angeführten Bittschrift Winkelmanns schließen, der siebzehn Monate ohne Verhör und Urteil im Kerker schmachtete. Aber ich will den Vorhang noch mehr heben und hier, mit Zurückweisung auf die oben aufgestellten Sätze, inzwischen den Anfang eines Greuelgemäldes liefern, das ich von einem Augenzeugen erhielt. Alle Dokumente meiner Erzählungen sind in meinen Händen, und wenn ich nicht mit meines Namens Unterschrift auftrete, so geschieht dies bloß aus gewissen Rücksichten, die man in einem Lande nehmen muß, wo solche Abscheulichkeiten vorfallen können. Ich bringe meine Klagen vor den Richterstuhl der deutschen und der fränkischen Nation, ich lege sie als Denkmal der Barbareien des achtzehnten Jahrhunderts in dem Archiv der gedrückten Menschheit nieder, ohne Furcht, ohne Scheu! Wer ein Herz im Busen trägt, sei Richter!

Der General d'Oyré hatte den Tag vor dem Abzug der Franken aus Mainz die Glieder des Rheinisch-deutschen Konvents versichert, daß der preußische General Graf Kalkreuth eine schriftliche Erklärung an d'Oyré geschickt habe, worinnen den Mainzern, die nach Frankreich auswandern wollten, Schutz und Ungehindertheit zugesichert werde. Nur müsse dem preußischen General vorher ein Namensverzeichnis derselben überschickt werden, um die gehörige Eskorte bis zur französischen Grenze besorgen zu können, wo dann die Auswanderer gegen die in Frankreich befindlichen Mainzer Geiseln sollten ausgewechselt werden. Am ersten Tage des Ausmarsches machte d'Oyré den Auswanderern eine zweite Sendung von Kalkreuth bekannt, worin die Erklärung vom vorigen Tage nur dahin abgeändert war, daß die in der Liste zur Auswanderung aufgezeichneten (81 an der Zahl) sich vor dem Münstertore versammeln sollten, wo eine preußische Eskorte sie übernehmen und über Bingen an die französische Grenze bringen werde, weil in Bingen die Besatzung nur aus Preußen, die zu Oppenheim aber aus Kaiserlichen und Preußen bestehe und auf dem ersten Wege der Transport also weniger Schwierigkeiten verursache.

Die fränkischen Konventskommissarien und der General hatten (vermutlich aus allzu großem Vertrauen auf diese Abrede) keine Sicherheitsanstalten getroffen. Hingegen mischten sich (dem ausdrücklichen 10. Artikel der Kapitulation zuwider) schon zwei Tage vor dem Ausmarsche der Franken emigrierte und exportierte Mainzer und preußische Offiziere unter das Volk und den Pöbel in Mainz, sprachen laut von dem schrecklichen Schicksal, welches der Mainzer sogenannten Patrioten warte, und versicherten, daß nichts sie gegen die blutige Rache schützen werde, die man an ihnen nehmen wolle. Gepreßt zwischen Angst und Furcht, ohne Anstalten zur Sicherheit zu gewähren, durch zweideutige und unbestimmte Antworten der Konventskommissarien Denn wirklich hatte Mannstein, der eigentlich mit dem General d'Oyré unterhandelte (Kalkreuth war unschuldig und hörte bloß zu), trotz aller Vorstellungen d'Oyrés darauf bestanden, die Klubisten aus der Kapitulation zu lassen. Umsonst führte der fränkische General alle Gründe der Menschlichkeit und Vernunft an, die Stimme der Rache übertäubte den Ruf der Ehre, des Völkerrechts. D'Oyré widerstand zwar als Mann und opferte die Armen durchaus nicht auf. Allein man brach die Kapitulation. Man war einmal fest entschlossen, ein politisches Autodafé zu geben, und wie leicht ist nicht ein rasender, von Priestern und Soldaten exaltierter Pöbel gegen Wehrlose aufzuhetzen, die man mit einem verhaßten Namen bezeichnet. Wie, wenn aber einst dieser nämliche Pöbel seine Wut, der man jetzt Beifall zulächelte, gegen andere Gegenstände kehrte? Sollte man dann diese Exaltation nicht bedauern? beunruhigt, wählten die Auswandernden ein sichreres Mittel, sich unter die fränkischen Kolonnen zu mischen. Die Folge zeigt, daß dieser Weg noch der beste war, denn die versprochene Eskorte war weiter nichts als eine Kriegslist, wenn jemand anders Lust haben sollte, ihr diesen Namen zu geben. Alle auf Kalkreuths Wort vor dem Münstertore Versammelten wurden rein ausgeplündert, geschlagen und so gemißhandelt, als Pöbeljustiz nur immer mißhandeln kann.

Von denenjenigen, die sich am ersten Tage unter die fränkischen Kolonnen gemischt hatten, kamen manche glücklich durch. Allein Kunz, Metternich, Rompel, Schreiber und Stenner hatten das Unglück, ohnweit Marienborn auf der Chaussee, etwa dreiviertel Stunden von Mainz, aufgegriffen zu werden.

Die Methode, deren man sich bei diesen Arretierungen (wenn man sie anders mit diesen Namen belegen will) bediente, war folgende: Der Mainzer, von den Preußen seit drei Tagen unaufhörlich exaltierte Pöbel stürzte auf die erkannten Klubisten los, riß den Unglücklichen alles ab, was sie am Leibe trugen, sogar die Schnallen von den Schuhen. Kunz war im Augenblick aller Kleider bis auf Hemde, Beinkleider, Strümpfe und Schuhe beraubt und Metternichs Kleider so zerrissen, daß er seine Blöße nicht bedecken konnte. Dies war das Vorspiel. Nun begann der eigentliche Angriff mit Darniederreißen an den Haaren, mit Faustschlägen ins Gesicht, Rompeln wurden drei Vorderzähne ausgeschlagen, ein preußischer Kadett oder sonst so ein junger Bube zu Pferd hieb ihm mit schneidender Klinge und mit den Worten, »Halt, ich will ihm den Kopf spalten« nach dem Kopfe – ein Hieb, der jedoch, weil Rompel behend auswich und der junge Herr wohl das Hauen an einem Wehrlosen erst lernen wollte, nur eine schmerzhafte Kontusion verursachte und nur den Hut und Oberrock durchschnitt. – Kann wohl die Pöbeljustiz in Frankreich je schlimmer gewesen sein, oder schmerzen die Hiebe eines deutschen Kadetts minder als die eines französischen Sansculotten? mit Herumschleppen auf dem Boden etc. Wenn nun der Gemißhandelte endlich sinnlos dalag oder doch gar kein Sträuben mehr gegen Schläge, Stöße und Fußtritte äußerte, dann ließ man ihn liegen, und der zweite Akt begann. Die preußischen Soldaten bemächtigten sich seiner und schleppten oder besser schleiften ihn vom Wege etwa fünf- bis sechshundert Schritte abwärts nach Marienborn (dem Hauptquartier des Generals Kalkreuth) in ein Wachtstübchen, wo die Aufgegriffenen sogleich in Ketten, und zwar paarweise aneinander, geschlossen wurden. Der Zug von der Chaussee nach Marienborn ging durch eine gedoppelte Reihe des zügellosesten Pöbels, der Lästerungen aller Art, Staub und Speichel auf die Gefangenen warf und von preußischen Offizieren, Mainzer Adeligen und Domherren (unter welchen sich ein gewisser Herr von Kerzer, Domherr zu Mainz und Worms, vorzüglich auszeichnete) zu Wiederholung und Schärfung dieser Barbareien gegen Arrestanten, die doch schon als solche unter dem Schutz des Gesetzes stehen mußten, aufgemuntert wurde. Als Metternich unter Begleitung einer Horde von Kannibalen nahe zum Wachthaus gekommen war, wurde er auf der Straße einem Manne in einem grünen Rocke mit aufgesticktem Kreuze (vermutlich preußischer Offizier) vorgeführt, der ihn um seinen Namen mit dem Beisatze fragte, ob er gekommen sei, sich der Gnade des Königs von Preußen zu übergeben? Als Metternich hierauf antwortete, daß er unter dem Schutze der Gesetze zu sein wünsche, so donnerte der Kreuzherr den Soldaten zu: »Werft die Kanaille in Ketten und Bande«, was denn auch sogleich erfolgte. Metternich und Mitter wurden an eine Kette geschlossen, die diesem am linken Fuße und jenem an der rechten Hand befestigt war. Die Handschelle war so enge, daß die Hand davon aufschwoll, blau wurde und nicht geringe Schmerzen verursachte. Allein allen Bitten ohngeachtet, ihm die Schelle doch an die linke Hand zu legen, mußte er selbige von halb fünf Uhr abends bis halb acht Uhr morgens unter Schmerzen und mehrern Ohnmachten so tragen. Zudem kam noch Lebensgefahr, indem sich bei Metternich ein heftiger Blutauswurf Die Ursache dieses Blutauswurfs war folgende: Metternich wurde aus einer Reisekutsche von dem Hofbuchbinder Sartorius, einem baumstarken Kerl, der durch Adelspiel das ansehnliche Vermögen seiner Frau durchgebracht hatte und nun seine einzige Tugend, Anhänglichkeit an den Kurfürsten, zeigen wollte, bei den Haaren herausgezogen, ihm der Kopf gewaltsam bis dicht an die Brust gebeugt und so fortgeschleift. eingestellt hatte, der durch diese Hemmung der Zirkulation sich leicht in einen Blutsturz verwandeln konnte.

Die natürliche Hitze des Tages (24.7.), noch mehr das Stöhnen und Emporarbeiten, um der wütenden Rotte, die bei der Gefangennehmung auf jeden zustürzte, aus den Klauen zu kommen, hatte die Arretierten ganz abgemattet, und brennender Durst stellte sich bei ihnen ein. Die Arretierten baten zu wiederholten Malen um Wasser, allein die preußischen Unteroffiziere sowie die Gemeinen erwiderten diese Bitten nur mit Schimpf und Lästerungen, die zu pöbelhaft sind, um hier angeführt zu werden. Oberoffiziere, die in der Wachtstube ab- und zugingen, machten es ebenso oder schwiegen mit Achselzucken. Ein Offizier, dem Metternich auf einen ihm gemachten Vorwurf antwortete »Freund, die Sache ist ihnen falsch erzählt worden«, ging drohend auf ihn los, mit den Worten »der Teufel ist dein Freund! du bist eine Kanaille und sollst nicht reden«. Ein andrer Witzling von Lieutenant sagte zu seinen Kameraden, »diesem da muß man doch erst den Gnadenstoß aufs Herz geben, ehe man ihn hängt«, und wurde herzlich belacht. Anderthalb Stunden vergingen so, und obschon die Klagen in dem Maße lauter wurden wie der Durst brennender, so würde doch alles Stöhnen und Bitten nichts geholfen haben, wenn nicht ein Bekannter aus der Gegend durch ein gutes Trinkgeld endlich Erlaubnis erhalten hätte, ein Maß Wasser unter sechs vom Durst gequälte Menschen verteilen zu lassen.

Überdies war die zur Wachtstube genommene sehr enge und niedrige Bauernstube beständig mit Menschen vollgepfropft, da es gegen Abtragung eines Legegelds an die Wache erlaubt war, die Gefangnen hier mit Muße nach Herzenslust zu insultieren, eine Erlaubnis, welche sich Adlige, Beamte, Pfaffen und sogar Juden trefflich zunutze machten. Dies Gedränge verursachte eine so verpestete Luft in dem Stübchen, daß die Arretierten, denen es schlechterdings nicht erlaubt wurde, ans Fenster zu gehn, um einmal reine Luft zu atmen, sich in einer beständigen ohnmächtigen Betäubung befanden. Etwas Geld und sonstige Sachen, die bei der Gefangennehmung nicht waren gefunden worden, wurden hier noch in der Wachtstube geraubt, ja Mittern wurde sogar in Kalkreuths Quartier noch eine Uhr und etwas Geld genommen, wobei man ihn mit Schlägen bedrohte, weil er es nicht eher hergegeben habe. Offiziere sahen lachend zu, hatten vielleicht auch Anteil an dieser ehrenvollen Beute.

Noch am Abende dieses greuelvollen Tages ward Metternich vor den General Kalkreuth in dessen Quartier gefordert. Der mit ihm an eine Kette geschlossene Mitter mußte also sich mitschleppen, so gut es die kurze Kette erlaubte. Die Anrede des Generals an Metternich war: »Ihr seid zwar dem Galgen entgegengegangen, doch wird man euch nicht aufknüpfen. Warum seid ihr nicht in Mainz geblieben?« Metternich: »Weil keine Sicherheit und keine Anstalten zu unserm Schutz zu sehen waren.« Kalkreuth: »Wißt ihr denn nicht, wie der 4. Artikel der Kapitulation lautet? Ihr hättet in Mainz bleiben sollen, und es würde euch kein Haar gekrümmt worden sein.« Metternich: »Wir wissen zwar, daß eine Kapitulation geschlossen, aber von ihrem Inhalte wissen wir nichts. Der Pöbel drohte mit Wut, und wir bemerkten keine Anstalt, um diese Wut abzuhalten.« Kalkreuth: »Ihr habt euch auch pöbelhaft betragen, geht nun hin und erwartet euer Schicksal.«

So mußten nun die Verketteten ihren Rückweg nach der Wachtstube nehmen, durch einen Haufen rasender Menschen, die unter tausend Lästerungen mit Kot warfen und von den begleitenden Wachen zu neuem Unfug sorgfältig aufgemuntert wurden.

Am Abend kam ein Offizier, vermutlich ein Auditeur, der jedes Arretierten Namen aufschrieb und dann sagte: »Morgen früh um sieben Uhr wird ein Verhör gehalten werden, ich bedeute aber jeden zum voraus, daß auf eine Lüge fünfzig und auf das geringste Stottern in der Aussage fünfundzwanzig Prügel folgen werden.« Morgens um fünf Uhr brachte wirklich der Kerkermeister ein Bund junger Buchstämme und grinste mit einem dieser Menschenklasse eignen Henkerlächeln: »Das ist ein Frühstück für die Bursche da!« Diese Formalität, welche übrigens dem Ganzen ziemlich angemessen gewesen wäre, unterblieb nun zwar, aber das Verhör selbst (wenn man das Fragen um Namen und die in Mainz obgehabten Funktionen mit diesem Namen belegen kann) zeichnete sich dennoch durch Eigenheiten in der Manier aus. Es geschah auf offner Straße vor dem Wachtstübchen. Warum dies geschah, da man doch sonst mit der Justizpflege nicht so offen zu sein pflegt, ist nur aus folgendem zu erklären. Erstlich scheuten die hohen Frager (Standespersonen und wohl gar Prinzen, denn sie trugen alle Zeichen auf der Brust, daß sie keine gewöhnlichen Menschen seien) die verdorbne Luft im Wachtstübchen, zweitens und hauptsächlich wollten sie dem Pöbel und sich ein erneutes Schauspiel der Mißhandlungen wehrloser Leute geben und ihre Fertigkeit im Schimpfen zeigen.

Ein Fragment aus diesem Quasiverhör mag als Probe des Ganzen hier Platz finden.

Frage an Metternich: Wie er heiße und was er für ein Amt unter der kurfürstlichen Regierung bekleidet habe?

Antwort: Er heiße Metternich und sei Professor der Mathematik und Physik zu Mainz gewesen.

Der jüngste Frager: »Was? Ihr Professor von der Mathematik und Physik? Von der Sauerei seid Ihr Professor gewesen, nicht wahr Bursche?«

Metternich (trocken und mit Nachdruck): »Professor der Mathematik und Physik.«

Der junge Frager (nimmt die Handschuhe unter dem linken Arm hervor in die Hand, schlägt sie Metternichen um die Nase): »Gehe hin, Bursche, du sollst gehangen werden.« (Sieht sich pathetisch um, um Beifall einzuernten. Die Umstehenden verbeugen sich und lachen aus Leibeskräften.) usw.

Um neun Uhr kam ein Auditeur und ließ den Geschlossenen die Ketten abnehmen. Nur Schneider von Oberolm wurde kreuzweise geschlossen und bedeutet, daß er nach Mainz abgeführt und dort gehangen werden solle. Dieser Mann war bei der Munizipalisierung seines Wohnortes zum Maire daselbst gewählt worden. Er war bekannt durch seine besondere Anhänglichkeit an das französische Regierungssystem und hatte daher viele Feinde, hauptsächlich an den benachbarten kurfürstlichen Beamten, Jägern und dergleichen. Bei der Berennung von Mainz war er schon von preußischen Husaren durch Verrat gefangen, entkam mit Not durch List und hatte sich in die Stadt geflüchtet. Er arbeitete mit noch einem andern auch wegen der Ursache nach Mainz geflüchteten Niederolmer Einwohner, namens Michael Looz, in einem Garten, worin fürs Hospital Gemüse gepflanzt wurde, wodurch der Konventskommissar Merlin de Thionville Gelegenheit hatte, beide kennenzulernen.

Am Abende der Nacht, wo der berüchtigte Ausfall auf Marienborn geschah, wurden die beiden Niederolmer ins Hauptquartier, wo auch Merlin war, gerufen und bedeutet, daß sie in derselben Nacht eine Kolonne nach Marienborn führen müßten, jedoch so durch die durchs Feld sich hinschlängelnden Vertiefungen, daß die preußischen Batterien auf den Anhöhen aufwärts gegen das heilige Kreuz der Kolonne nicht zu nachteilig werden möchten. Beide weigerten sich und gaben zur Ursache die Gefahr an, die sie laufen würden, sobald der Feind ihrer habhaft werden sollte. Man versicherte sie, daß sie gar nicht ins Gefecht kommen sollten, auf der andern Seite aber werde auch ihre Weigerung nichts helfen, weil man, wenn sie nicht gutwillig sich fügten, Zwang brauchen würde, indem sie beide das Lokale des Feldes genau kennten. Sie verlangten Waffen, um sich im Notfalle wehren zu können, aber auch das wurde ihnen abgeschlagen. Sie führten nun die Kolonne, und der Ausfall, ob er gleich nur halb gelang, war doch sehr nachteilig und eben nicht rühmlich für die Belagerer, weil es doch wohl Sorglosigkeit beweist, wenn selbst das Hauptquartier umzingelt wird. Die beiden Führer, Looz und Schneider, wurden vorher mit Wein berauscht, und ersterer, der auch französisch sprach, durch Zureden und Versprechen, noch mehr aber durch den Wein erhitzt, führte einen Teil der Kolonne bis hart an das Gebäude hin, wo Kalkreuth und ein preußischer Prinz einquartiert waren. Ersterer soll abwesend gewesen sein, der andere aber sich im Hemde durch ein Fenster und den daran stoßenden Garten gerettet haben. Mehrere Nachrichten über diesen Vorfall stimmen überein, daß es gewiß den Franzosen gelungen sein würde, die Wagenburg mit allen Pferden, selbst das Hauptquartier mit allem Zugehör nebst mehreren Batterien zu erobern, wenn nicht ihr Übermut zu früh Lärm gemacht hätte.

Bei der Retirade ward Looz gefangen und am zweiten Tage darauf schon gehangen. Die Preußen sprachen noch zu Marienborn von dieser Exekution wie von einer Heldentat und mit einer Freude, die bewies, wie gut es für sie gewesen sei, ein Opfer zu finden, welches die Sünde ihrer Unachtsamkeit trug und an dem sie volle Rache ausüben konnten. – Betrachtungen über diese Hinrichtung eines Gezwungenen kann und wird jeder machen, dem Menschenleben teurer ist als einer durch tyrannische Disziplin ausgearteten Schießmaschine. Dies nämliche Schicksal war auch Schneidern bei der obigen Kettenanlegung gedroht. Man wußte lange nicht, was aus ihm geworden, man wußte nur, daß er nach vier Monaten noch in Ketten schmachtete. Man weiß nun, daß er zu Königstein bei Frankfurt verhaftet sitzt, aber was er gelitten, ist dem Herausgeber dieses bis jetzt unbekannt. In ebendieser Festung Königstein sitzen noch an etliche und fünfzig sogenannte Klubisten, ein großer Teil Mainzer Bürger ist anderswohin exiliert und des Elendes allenthalben viel. Der politische Fanatismus unsrer Zeit will Opfer und Rache, und diese Furie wütet in Deutschland sowohl als in Frankreich gegen Meinungen.

Eine halbe Stunde nach Abnehmung der Ketten wurden die Arretierten bedeutet, daß sie sich zum Abmarsch bereithalten sollten. Mitter erinnerte nun, wie er am vorigen Tage schon einige Mal getan hatte, daß ihm bei seiner Arretierung dreihundert Stück Carolinen seien abgenommen worden, die er bei sich getragen, um in die Pfalz zu gehen und Vieh einzukaufen. Mitter war ein wohlhabender Landwirt von Kastel bei Mainz. Er war von seiner Gemeinde zum Maire gewählt worden, hatte während der Belagerung alle Sorge für Erhaltung der Ruhe und Sicherheit in seiner Gemeinde angewandt, die man nur fordern konnte. Er war ein ehrlicher Mann, und sein Verbrechen bestand lediglich darin, daß er, seiner Amtspflicht gemäß, die Exportationen von Kastel hatte vollstrecken helfen. Er bat um die Zurückgabe mit der dringenden Bemerkung, daß, da er ganz ohne Geld sei und nun fortgeführt werde, ohne zu wissen wie weit und wohin, man ihm doch für jetzt wenigstens etwas geben solle. Der Obrist hatte ihm abends sagen lassen, daß sich von seinem Gelde achtzehn Carolinen vorgefunden hätten, und er bat wenigstens um diese, erhielt aber nur drei, also fürs Hundert gerade ein Stück, mit dem Bedeuten, daß er das übrige zu einer andern Zeit wiedererhalten sollte. Vermutlich am jüngsten Tage. Denn nach 26 Wochen, solang M. erster Arrest dauerte (er wurde auf dem Wege von Ehrenbreitstein nach Erfurt freigegeben, soll aber darauf wieder zu Mainz arretiert worden sein), hatte er noch keinen Heller weiter erhalten. Der Gefangenwärter forderte nun auch seine Gebühr für das An- und Aufschließen, und zwar sechzehn Kreuzer oder dreieinhalb Groschen für die Person. Als die Arretierten ihm sagten, daß sie nichts mehr hätten, weil sie rein ausgeplündert wären, so drohete er, denen die Röcke auszuziehen, die noch welche hatten, also mußte Mitter hier sowie auf der bevorstehenden Reise nach Bingen von seinem aus dem allgemeinen Raub geretteten drei Carolinen das Geld hergeben.

Noch hatten die Arretierten nichts über die Zunge gebracht, und doch war Speise ihnen höchst nötig. Seit dem vorigen Mittag, als sie Mainz verlassen hatten, hatten sie noch keinen Bissen erhalten. Durch die grausamen Tätlichkeiten am vorigen Tage, noch mehr aber die eben verflossene ruh- und schlaflose Nacht waren ihre Kräfte erschöpft, und der angesagte Marsch (noch wußte man nicht, wohin dieser gehn werde) machte sie sehr besorgt. Sie ließen dem Offizier, der ihnen die Marschordre überbracht hatte, sagen, daß sie unmöglich in dem Zustande abgehen könnten, wenn man ihnen nicht einiges Essen reichen würde. Die Antwort war: Er habe die Ordre zum Abmarsch zu überbringen, nicht aber für Essen zu sorgen. Durch die diebische Gefälligkeit der Soldaten Als die Arretierten einem der Soldaten, die sich (sobald von einem Trinkgeld die Rede war) zudrängten, einen Laubtaler gaben, um etwas Wein und Butterbrot zu holen, kam der Soldat über eine Weile mit dreizehn Xr. Rheinl. zurück und sagte, daß er das Verlangte dafür nicht schaffen könne. Den erhaltenen Laubtaler leugnete er kurz und gut ab. Ein anwesender Jude wechselte einen andern Laubtaler, man gab einem Soldaten wieder 12 Batzen und ein Trinkgeld, er brachte dafür auch wirklich – für fünf Batzen Wein und Butterbrot. erhielt man endlich etwas Wein und Butterbrot, welches in der Eil verschluckt werden mußte, indes man auch noch einige Hüte und Sacktücher einkaufte, um bei dem heißen Tag sich doch in etwas schützen zu können.

Eine Anekdote vom Kerkerwärter verdient um ihrer Naivität und Wahrheit willen hier angeführt zu werden. Der Mann war seiner Natur nach plauderhaft und fing nun, nachdem er sein Schließgeld erhalten hatte, an, sein bißchen wohlgemeinten Rat mitzuteilen. Er sagte nämlich: »Ihr müßt euch gute Freunde erwerben, sonst seid ihr verloren.« Die Arretierten bemerkten hierauf, daß sie sich auf ihr gutes Gewissen und auf den Schutz der Gesetze verließen, aber der Mann erwiderte: »Was Gesetze? Gesetze sind nichts. Ich kenne die Welt, wenn ihr keine guten Freunde habt, so seid ihr verloren.« Der Mann hatte recht!

Der Abzug von Marienborn erfolgte gegen elf Uhr morgens. Sieben Reiter waren zur Eskortierung von fünf unbewaffneten, ganz entkräfteten Menschen bestimmt. Beim Ausmarsche befahl der preußische Offizier, nur auf die C...n zu schlagen, wenn sie nicht fort wollten. Und wenn nun (wie es bei den Abgematteten und hauptsächlich bei dem bejahrten Kunz leicht hätte der Fall sein können) die Kräfte diese Armen ganz verlassen hätten, so wäre dies auch am Wollen gelegen! O Menschlichkeit gegen Wehrlose, bebe beim Worte: Preußischer Offizier vom gemeinen Schlag! Und kaum hatte die Eskorte den Ort passiert, als die Reiter Beweise gaben, wie sehr sie Befehle zu respektieren wüßten. Denn als Metternich die Riemen an den Schuhen einstecken wollte, die wegen der geraubten Schnallen herumflatterten und ihn am Gehen hinderten, so stach ein Reiter ihn mit der Klinge in den Rücken. Er hatte nur Hemd und Weste an, zum Glücke war die Klinge vorne breitauslaufend. Dies und schnelles Zurückziehen des Vorderleibes verhinderte das tiefere Eindringen, doch war mehrere Tage hindurch die Quetschung noch blau. Bis nach Findheim, eine Stunde von Marienborn, mußte der Zug durch zwei preußische Lager gehn. Die Offiziere dieser Lager, traten an den Weg, schimpften auf die pöbelhafteste Art, befahlen, nur geschwinde zu reiten, und wenn die C...n nicht fort könnten, sie an die Pferdeschweife zu binden. Schimpfen und den Gefangenen nach Möglichkeit wehe tun schien an diesem Tage das Feldwort bei den Preußen zu sein. So sehr die Gefangenen auch baten, bei der Hitze und dem fürchterlich brennenden Staube, den die Pferde um sie auftrieben, doch etwas langsamer zu reiten, so war doch alles vergebens. Der Unteroffizier antwortete, daß er sich durch langsameres Reiten den größten Verdruß zuziehen würde. Man möge nur jetzt alle Kräfte anwenden, nur solange aushalten, bis die Lager passiert wären, und wirklich wurde nachher ein etwas langsamerer Schritt vergönnt. Abends nach sechs Uhr traf der Zug in Bingen ein.

(Die Fortsetzung folgt:) Entweder in diesem Journal oder in einer eignen Schrift wird dies Greuelgemälde vollendet werden. Hier ist nur ein Schatten vom Ganzen. Gräßlicher ist das Verfahren mit denen, welche sich nach erhaltener Anweisung unter preußischen Schutz begaben, und am allergreuelvollsten mit den Zurückgebliebenen in Mainz.

Wer sich noch mit dem Gedanken schmeichelt, der Pöbel sei nur in Frankreich so raffiniert grausam, der wird, sich, hier widerlegt finden. Ein unaufgeklärtes Volk schont in seiner Rache weder des Unschuldigen noch des Minderstrafbaren. Mägde wurden für die Fehler ihrer Herren gestraft, Kinder mit den Köpfen auf die Altarstufen der Mönchsklöster gestoßen, achtzigjährige Greise gemordet. Das Militär plünderte, raubte nach Gutdünken.

Sechs bange Tage dauerte diese Pöbeljustiz, Und dann erst wurde das Schauspiel gewechselt, weil Einerlei ermüdet. Wie nun die beraubten Unglücklichen in Kerker kamen, wo Blut und Unflat an den Wänden klebte, wo die Sonne aufs brennendheiße Dach schien und alle umsonst um einen einzigen Trunk Wasser baten, wie Mitleid Verbrechen und Grausamkeit Verdienst war – das alles sollen die Leser noch hören und schaudern.

Man muß bei allen diesem den Umstand nicht vergessen, daß in Paris zwei Grafen von Leiningen als Geiseln für die Sicherheit der Rheinischen Patrioten saßen.

Wahr ist es allerdings, daß unter den Anhängern des französischen Systems in Deutschland manche Menschen waren, die nicht aus reinen Absichten, die bloß aus Eigennutz den Bürgereid geschworen hatten, aber Männer wie Georg Forster, Hofmann, Blau, Winkelmann, Metternich etc. verdienen doch wohl, daß das Publikum sein Urteil nicht im allgemeinen fällt oder lieber solange suspendiert, bis eine ruhigere Zeit die Ursachen und Motive ihrer Handlungen an den Tag bringt. Und gesetztermaßen (was ich jedoch nie zugeben kann), alle diese Leute wären Verbrecher oder wenigstens Schwärmer gewesen, so muß doch auch der Verbrecher nach Formen gerichtet werden.

Machen wir einmal den Pöbel zum Richter und zugleich zum Vollstrecker der Gerechtigkeit, selbst über Verbrecher, so erleben wir bald auch in Deutschland Septemberszenen. Es kommt dann nur darauf an, daß irgendein Bösewicht oder Phantast der Pöbelwut einen andern Gegenstand unterzuschieben weiß. Volkswut zum Werkzeug der Regierung zu machen, ist immer gefährlich. Der Pöbel ist ein Schwert, das zu plump ist, um es nach Willkür führen zu können. Bei der Bartholomäusnacht brauchten Könige das Volk, und die Jakobiner lenkten es nachher gegen die Könige.


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