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16. Die Laterne. Zweite Nummer

Die politische Lage Deutschlands hat sich seit einigen Wochen so sehr verändert, daß andere Maßregeln zur Notwendigkeit geworden sind als diejenigen waren, welche damals jeder Deutsche, der es mit seinem Vaterland redlich meinte, anraten mußte. Wir wollen, ehe wir in dieser neuen kritischen Lage einen Rat geben, die Begebenheiten der neusten Zeit kaltblütig betrachten.

Drei Kabinette haben gegenwärtig den größten Einfluß auf Deutschlands Schicksal: das fränkische, das preußische und das österreichische.

1. Das fränkische ist das mächtigste unter allen. Stark durch eigne Kraft, stärker noch durch die Teilung und die Zwietracht seiner Feinde, buhlet es doch nicht mehr wie vor wenigen Jahren um die Ehre, von irgendeiner kleinen Macht anerkannt zu werden, sondern ihm höfeln Spanien, Sardinien, Preußen und bald auch Österreich, die kleinen deutschen Stände Württemberg, Baden etc. haben ihm im eigentlichsten Verstande die Fortdauer ihrer Existenz abgekauft, und selbst diese erkaufte Existenz ist nur prekär. Bei der ersten Gelegenheit betrachtet Frankreich diese kleinen Stände als Gegenstände des Tausches oder Verkaufs, um sich mit Preußen oder Österreich zu vereinigen. Das fränkische Direktorium wiegt weit schwerer in Europens Waagschale als ehedem das Kabinett von Versailles.

Überlassen wir es dem preußischen Kabinett, kostbare Porzellanservicen hieher zu schicken und es nicht übelzunehmen, wenn man nur ein sehr geringfügiges Gegengeschenk macht. Überlassen wir es gewissen Agenten, dem einen der fränkischen Gewalthaber seine Mätresse oder gar seine Frau und seine Tochter zuzuführen, dem andern einen kostbaren Juwelenschmuck zu überreichen etc., um unsre Regierenden zu gewinnen, welche sehr übel tun würden, wenn sie diese neuen Freundschaftsbezeugungen nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte ansehen und sich nicht daran erinnern wollten, daß noch vor drei Jahren alle diese jetzt so schmeichelnden Herren ihnen Lafayettens Schicksal bereitet hätten und es wohl noch jetzt bereiten würden, wenn es in ihrer Macht stünde.

Wir betrachten die jetzigen fränkischen Gewalthaber bloß aus einem einzigen Gesichtspunkte. Wir fragen, was hat die Sache der Menschheit und der Freiheit von ihnen zu erwarten? Wir fragen als Deutsche und in Hinsicht auf Deutschland und beantworten diese Frage mit Ehrlichkeit, mit Aufrichtigkeit, wie wir uns wohl schmeicheln dürfen, mit einiger Sachkenntnis.

Den Deutschen, welche unsere Regierung in der Ferne und bloß nach den in die Augen fallenden Resultaten beurteilen, geht es (si magna licet componere parvis), wie es hier mit der bekannten Schauspielerin Madame Raucourt ging. Ich sah sie auf dem Theater in der erhabensten Rolle und nachher außer demselben. Ich müßte mich immer daran erinnern, daß sie der Inbegriff aller Laster sei, welche nur eine französische älter gewordene Kurtisane in sich vereinigen könne, um sie nicht als das übermenschliche Wesen zu verehren, welches sie auf der Bühne darstellte. Dies Gleichnis hinkt, wie alle Gleichnisse in der Welt, aber es hinkt noch dazu in dem wichtigsten Punkte. Denn die Menschen, welche wir jetzt hier in Paris auf unserm politischen Theater erblicken, sind nicht einmal die nämlichen, welche eine große Rolle spielten. Die Gründer des größten Resultats der menschlichen Vernunft, das wir kennen, der fränkischen Republik, haben die Früchte ihrer Arbeiten nicht mehr gesehen, ja selbst kaum hoffen können. Sie schlummern dort unter jenen Säulen, geopfert am Fuße der tönernen Fratze der Freiheit. Die, welche jetzt glänzen, waren damals unbekannte, subalterne Menschen, von Talent und Ehrgeiz vielleicht, aber fremd dem heiligen Enthusiasmus, der das Werk gründete. Um sie zu erheben, mußten wir erst um vieles fallen. Wären wir nicht klein geworden, so wären sie nicht so groß. Sie haben uns nicht wieder erhoben, und es ist ihre Schuld nicht, wenn wir nicht noch tiefer gesunken sind. Um sich zu erhalten, sich zu erheben, mußten sie freilich die Grundsäulen des großen Gebäudes nicht vollends umreißen lassen. Diese stehn noch, haben sich befestigt, und diese Menschen genießen des Vorteils, welchen ihnen ihr Standpunkt gewährt, ohne sich um uns oder um die Vollendung des Gebäudes zu bekümmern. Wenn wir darin inzwischen bequem und sicher wohnen, so sind sie es wahrlich nicht, denen wir dafür Dank schuldig wären.

Doch ich habe wider meinen Willen lange in Bildern gesprochen, und ich sehe nicht ein, warum ich nicht deutsch und ohne Bild sprechen soll. Die Grundlage unsrer neuen Regierung sollte und mußte bloß auf Moralität und Grundsätzen des Rechts beruhn, darauf gründete sich ihre Stärke. Nach diesem System handelte auch einst unser Kabinett, wenn ich eine Masse edler Menschen so nennen darf, solange unsre Regierung in den Händen der Gironde war. Diese rohen Stifter der Republik, unfähig, mit der teuflischen List Pitts zu ringen, fielen auf dem Blutgerüst, wenig geachtet und verlacht von den betrügerischen Kabinetten. Der Wohlfahrtsausschuß, wahrlich nicht durch Grundsätze, aber durch ein System der feinsten, auf die furchtbarste Täuschung gegründeten Tyrannei wurde von den Kabinetten gefürchtet. Unser neues Kabinett, stark durch seine Grundlage, die immer auf Moralität und öffentlicher Meinung in der Hauptsache ruht – ein Werk der Gironden – stark durch die gewaltigen Kraftäußerungen der Nation und ihre nie zuvor erlebten Taten – ein Werk des Wohlfahrtsauschusses – bewaffnete sich noch überdies mit dem, was man Kabinettspolitik nennt, das heißt mit der Kunst, kein Mittel zu verschmähen, das zum Zweck führt, so unmoralisch es auch sein mag, und wird bewundert und geschätzt von den königlichen Kabinetten, die zwar noch wenig Gewissen, aber glücklicherweise auch weniger Verstand besitzen und also im Kampf der Treulosigkeit zu kurz kommen. Man sieht also, daß die Achtung der Kabinette gegen unsre Regierung gerade im umgekehrten Verhältnis zur Rechtschaffenheit derselben steigt oder fällt und daß die Könige sich erst seit der Zeit mit uns verbinden und uns höfeln, wo wir wirklich schlechter geworden sind.

Ob eine republikanische Regierung sich irgend andre als moralische Mittel erlauben dürfe, ob sich diese Kabinettspolitik mit unsern Grundsätzen vereinigen lasse, ob nicht vielmehr Wahrheit und Gradheit, mit unsrer Stärke verbunden, viel mehr ausrichten würden als alle diese Schlangenwege, das ist bei mir keine Frage. Aber wir müssen nur bei der fränkischen Regierung sorgfältig die Regierenden von der Regierung und die Regierung in Hinsicht aufs Ganze und in einzelnen Fällen voneinander trennen. Unsre Regierenden sind nicht besser als andre, nur klüger. Auch sie betrachten sich zuerst, und wenn ihr Vorteil zugleich so eng mit der Befolgung der moralischen Grundsätze im allgemeinen verbunden ist, daß sie in Hauptsachen nicht ganz davon abweichen können, so haben wir das unsrer Verfassung, nicht den Individuen zu danken, welche das Ruder in Händen haben. Aber mein Privatglück möchte ich ebensowenig als die große Sache der Menschheit unumschränkt in die Hände eines Carnots oder Reubells oder irgendeines andern Machthabers geben als in die Hände Richelieus oder Mazarins. Enthusiasmus und Aufopferung des einzelnen fürs Ganze sind bei allen Regierenden in der Welt Torheit.

Zusammengenommen aber sollten diese unsre Kabinette dirigierenden Leute freilich nichts als die Erreichung des großen Zwecks der Revolution, die Ausbreitung der Herrschaft der Moralität und die Unterdrückung der Immoralität in der Welt zum Ziele haben. Aber dies ist auch nur ein Soll, und das fränkische Kabinett ist nicht viel besser als jedes andre, welches Menschen als Mittel zum Zwecke – nicht immer der Regierung, sondern öfter der Regierenden – wider ihren Willen braucht. Der fränkischen Regierung liegt daran, sich zu erhalten und da ihre Erhaltung bloß auf den Grundsätzen beruht, so muß sie in der Hauptsache freilich auch eine moralische Linie befolgen. In Nebensachen aber tut sie leider, was jedes Kabinett tut, sie benutzt die Ereignisse zum Privatvorteil der Regierenden – worunter Ehre bei den Kabinettern, Einfluß in die Spitzbübereien von Europa etc. gerechnet werden.

Wer also glaubt, daß unserm Kabinett daran liege, die Ausrottung der Tyrannei und die Herrschaft der Gesetze in Europa zu befördern, Deutschlands Völker glücklich zu sehen, wechselseitige Freundschaft zwischen den Völkern, politische Reformation zu befördern, der irrt sich sehr, und ein solcher Traum ist nur einem jungen, feurigen Schwärmer, der das große Schauspiel bloß von ferne oder aus Büchern kennt, zu verzeihen, und bei einem Höfling gilt eine solche Fabel für ein Mittel, seinen Herrn aufzuhetzen oder zu törichten Streichen zu verleiten.

Frankreichs Kabinett wünscht – Ohnmacht Deutschlands, Zerstückelung desselben, um den Prinzen von Libanon, den die Bataver verjagt haben, zu entschädigen, Bestechung einiger schwächern Staaten, um von Zeit zu Zeit sie zu pressen, und (wenn es sich bequem tun läßt) Einverleibung einiger Provinzen mit der fränkischen Republik, um auf die Kosten dieser armen Länder Prokonsuln zu versorgen, die man hier fürchtet, und Kreaturen zu befördern, denen man hier keine Stelle anzuweisen wagt. Dies würde in der Tat das Schicksal dieser Länder sein, wenn sie als integrierender Teil mit Frankreich vereinigt werden sollten. Ich gestehe, daß ich einst ein warmer Apostel der Rheingrenze war, so wie ich jetzt, als Deutscher; der heftigste Gegner derselben bin, und so sehr ich auch z. B. den Kurfürsten von Mainz hasse, so wollte ich, wenn keine andre Wahl wäre, ihn lieber wieder in Besitz seines Landes als Mainz mit Frankreich vereinigt wissen. Diese Vereinigung würde einst zwischen der deutschen und der fränkischen Nation einen blutigen Krieg vorbereiten, sie würde die Verbreitung der Freiheit in Deutschland hindern, statt sie zu befördern, sie würde die Einwohner dieser Länder zu Heloten machen, stiefmütterlich von der Republik behandelt. Was man in diesen Ländern sogenannte Patrioten nannte und angestellt hat, ist meistens der Auswurf der Nation, die wahren Patrioten leiden und zeigen sich nicht, bis einst die Zeit kommt, wo sie Gelegenheit haben werden, für wahre Freiheit ihres Landes zu wirken.

Wenn die Revolutionäre in Deutschland (das heißt in meinem Sinne die Männer, weiche statt der militärischen Tyrannei und Erniedrigung unsers Vaterlandes eine vernünftige Verfassung wünschen) also auf Frankreich bei ihren Unternehmungen rechnen, so irren sie sich und werden vielleicht zum Opfer einer Politik werden, welche, wenn sie auch zuzeiten Miene macht, Gärungen in angrenzenden Despotien unterstützen zu wollen, dabei nichts ernstliches sucht, sondern bloß Freude daran hat, wenn ihre Feinde auch durch innere Schwäche verhindert werden, ihr zu schaden. – Wenn wir Deutschen aber stark genug wären, durch eigne Kraft einen Staate mit einer vernünftigen Verfassung zu bilden, so würde das fränkische Kabinett natürlich in andre Verhältnisse zu diesem neuen Staate antreten, und wir würden die Stelle einnehmen, die uns unsre Kraft und unsre neue, vernünftige Regierung anweist. Wenden wir aber keine Art von Stärke an, um uns aus dem schimpflichen Zustande von Herabwürdigung zu reißen, in welchem wir uns befinden, so erwartet uns das Schicksal, welches eine Nation verdient, die bei aller ihrer Aufklärung und Kraft dennoch lieber Peitschenhiebe erträgt, als etwas Anstrengung anwendet, um von der Stelle zu rücken. Dies Schicksal wollen wir weiter unten betrachten, wenn wir erst einige Worte über die beiden übrigen Kabinette gesagt haben, welche zunächst den wichtigsten Einfluß auf Deutschland haben.

 

2. Das preußische.

Dies Kabinett hat das Glück gehabt, immer im trüben zu fischen und sein System, welches dahin abzweckt, ohne alle Hinsicht auf öffentlichen Glauben, auf Bündnisse, immer von den Ereignissen des Augenblicks zu profitieren und Freund und Feind zugleich zu betrügen, hat ihm verschiedne einträgliche Räubereien verschafft. Man kann freilich unter unsern Höfen bis jetzt wenig Moralität finden, sie handeln alle so, daß, wenn die Bürger der Staaten gegeneinander die nämlichen Gesetze befolgten, jeder Nachbar in dem andern seinen Meuchelmörder und Dieb finden müßte. Allein auch unter Dieben gibt es Klassen, und der Räuber auf der Landstraße verachtet gewiß den Hausdieb und fühlt sich im Verhältnis gegen diesen halb ehrlich. Ungefähr so mögen die Kabinette untereinander das preußische betrachten. Brabant, Lüttich, Holland, Polen, Österreich, Frankreich sind nach und nach alle von Preußen betrogen worden, und es wird endlich als ein Axiom in der europäischen Politik gelten, daß man Preußen lieber zum erklärten Feind als zum Freunde und Verbündeten haben müsse.

Inzwischen hat diese Macht für den jetzigen Augenblick großen Einfluß auf Deutschlands Schicksal. Sie machte Spekulation auf mehrere Provinzen für sich sowohl als für den Statthalter, ist aber in ihren Entwürfen dadurch sehr gehemmt worden, daß sie immer mit der dem fränkischen Kabinette versprochnen Erklärung gegen Österreich zauderte, um gelegentlich Frankreich zu schwächen und vielleicht im Fall einer bedeutenden Niederlage der Franken wieder als Feind der Republik aufzutreten. Der schnelle Friede machte einen Querstrich in Preußens Plane, und wenn Österreich, wie es zu hoffen steht, gerade und rechtlich gegen die Republik handelt, so wird Frankreich dem Kabinett von Berlin vielleicht zeigen, daß es die Falschheit desselben kannte und nur durch die Umstände bewogen wurde, seit einiger Zeit soviel nachzugeben. Gebe der Himmel nur, daß ein unbestochener und mit den Verhältnissen Europens bekannter Mann ins Direktorium eintrete.

 

3. Das österreichische.

Meine Meinung über die Schwachheit und Tyrannei dieses Kabinetts in Hinsicht auf den Krieg, in welchen es das Reich mit verwickelt hat, ist bekannt genug. Um so weniger zweideutig wird es sein, wenn ich bei allem gerechten Haß gegen die Hartnäckigkeit und Grausamkeit des Kaisers dennoch dafür halte, daß das österreichische Kabinett in Ansehung der Rechtlichkeit und Geradheit, mit der es zu Werke ging, in der öffentlichen Meinung weit mehr gewinnen muß als das preußische. Wenn man mit Österreich als Feind zu tun hat, so strengt es alle seine Kräfte an, aber als Freund verrät es doch nicht und hält seine Bündnisse ziemlich gewissenhaft. Ich gestehe, daß ich Österreich eher etwas Übergewicht in Deutschland gönne als dem Hofe von Berlin, und man muß dem Kaiser die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er bis jetzt allen Teilungsprojekten Deutschlands standhaft sich widersetzt hat.

Aber welche Aussichten für die Zukunft ergeben sich aus allen diesen Verhältnissen fürs Deutsche Reich? Wir wollen den Vorhang etwas zu heben versuchen, und die Zukunft wird lehren, daß wir nicht falsch gesehen haben.

Zu glauben, daß Preußen seine Vergrößerungsprojekte aufgeben oder daß Österreich sie gleichgültig ansehen und gestatten werde, ohne entweder einen Krieg zu wagen oder endlich auch seinerseits zuzugreifen, würde Wahnsinn sein. Entsteht zwischen beiden Mächten ein Streit, so blutet Deutschland aus tausend Wunden, und da die ohnmächtigen Fürsten mit ihrer erkauften Existenz unmöglich neutral bleiben oder ihre Neutralität, wenn sie auch diplomatisch erklärt wird, schützen können, so teilt sich das Deutsche Reich in zwei Parteien, und wir haben den Bürgerkrieg. Dieser endigt sich später oder früher damit, daß der Reichsverband aufgelöst wird und jeder nimmt, was ihm ansteht. So werden denn die geistlichen Stifter und die Reichsstädte, in welchen allein noch ein Schatten von Freiheit in Deutschland übrigblieb, vernichtet und aufgefressen. Deutschlands Leichnam wird von zwei Raubvögeln zerhackt, die allenfalls noch einem Raben etwas abgeben, um seinen Menschenhandel weiter ausbreiten zu können. Alle die kleinen Vorteile, welche uns bisher bei aller ihrer Unförmlichkeit unsre föderative Verfassung gewährte, verlieren wir nach und nach, ohne eine bessere Verfassung, ohne mehr Freiheit und mehr Stärke dadurch zu gewinnen. Deutschland verschwindet wie Polen aus der Reihe der Völker. Krieg zum Anfang, dann Papiergeld, dann Pensionen für die beraubten Fürsten, dann neue Militäreinrichtungen, dann Vorkehrungen gegen Jakobinismus, dann Religionsedikte, dann Menschenhandel, dann Wiener Staatsinquisition und Berliner Kabinettsjustiz und neuen Krieg, sobald die Raubvögel um ein Stück der Beute uneinig werden. O mein Vaterland, welche Zukunft! –

Welches Mittel bleibt uns übrig, um alles das zu verhüten? Zu einer förmlichen Revolution ist es jetzt zu spät. Umsonst hat man auf Leidenschaften und auf Verstand der Deutschen zu wirken gesucht, selbst die Verzweiflung vermochte sie nicht aus dem Schlummer zu reißen. Es bleibt also, um jener fürchterlichen Zukunft vorzubeugen, jetzt nur noch ein Mittel übrig – eine Assoziation der geistlichen Stifter und der Reichsstädte zu ihrer Erhaltung. Der geistlichen Stifter, höre ich hier Hunderte rufen. Welche politische Ketzerei! Kann man sich etwas abgeschmackteres denken, als einen Edelmann, der zugleich Priester ist, zum Fürsten zu wählen und diese Abgeschmacktheit erhalten zu wollen! –

Geduld, meine Herrn Gegner, ich verlange über diesen Gegenstand mit Ihnen nicht zu streiten. Die geistlichen Stifter sind eine Abgeschmacktheit, das gebe ich Ihnen gerne zu. Allein, wenn von Rechten zur Regierung die Rede ist, so belieben Sie mir nur zu sagen, ob das Recht des Hauses Hohenzollern auf die preußische Krone oder die Rechte irgendeines Königes oder Fürsten auf sein Land nur um ein Titelchen heiliger sind als das Recht eines Edelmanns, in gehörigen Formen zum Bischof oder Erzbischof gewählt zu werden? Ein Übel ist hier immer, aber laßt uns doch ja das kleinere dem größern vorziehn. Wir wollen lieber noch eine Zeitlang uns mit einer Krücke behelfen, als daß wir uns ganz lähmen lassen sollten.

Um aber meine politische Ketzerei etwas zu mäßigen und gegen die großen Verteidiger der Säkularisation nicht zu sehr anzustoßen, so schlage auch ich eine Art von Säkularisation vor. Nämlich meine Idee besteht kürzlich darinnen:

  1. Alle kleineren Stände Deutschlands, denen an ihrer Erhaltung etwas gelegen ist, hauptsächlich die Stifter und Reichsstädte des südlichen Deutschlands, eröffnen einen Kongreß, der wohl am füglichsten nach Frankfurt verlegt werden könnte.
  2. Zu diesem Kongreß erscheinen Deputierte des Stiftsadels, des Landadels, der Patrizier und der Bürgerschaft.
  3. Die geistlichen Stifter lassen künftig nicht nur den unmittelbaren Reichs-, sondern auch den landsässigen Adel zur Stiftsfähigkeit und zum Eintritt ins Kapitel zu. In das letzte können sogar Bürgerliche zum dritten Teil, jedoch ohne daß einer aus ihnen zum Fürstbischof gewählt werden kann, eintreten.
  4. Die Reichsstädte, bei welchen das Patriziat eingeführt ist, erklären, daß diejenigen Bürger, welche jährlich von ihrem Gewerbe eine bestimmte große Summe abgeben, und die, welche zehn Jahre lang ein richterliches oder anderes angesehenes Amt begleitet haben, ins Patriziat eintreten sollen.
  5. Diese Konföderation wählt einen beständigen Ausschuß, welcher in Frankfurt seinen Sitz hat und von welchen alle auf Erhaltung des neuen Verbandes Bezug habende Gegenstände gehören.
  6. Diese Konföderation erhält ein gemeinschaftliches Militär, worin alle ihre stehenden Truppen einverleibt werden.
  7. Diese Konföderation verbindet sich, die Integrität Deutschlands nach dieser neuen Modifikation mit allen Kräften zu erhalten.
  8. Diese Konföderation erwählt den Kaiser zu ihrem Prorektor und einen gemeinschaftlichen General, unter dessen Kommando alle Truppen stehn und der vom beständigen Kongreß seine Befehle erhält.

Auf diese Art könnte doch wenigstens vors erste die Integrität Deutschlands erhalten und vielleicht der Grund zu einer künftigen Selbständigkeit gelegt werden. So klein dieser Schritt dazu auch wäre, so ist es doch immer ein Schritt, und die militärische Regierung hörte denn doch endlich in Deutschland auf.

Doch – ich vergesse, daß meine deutschen Landsleute nicht mehr sind, was sie zu den Zeiten der Reformation waren, Menschen voll Kraft und Stolz auf die Unabhängigkeit ihrer Ahnen. Man will durchaus gar nichts tun, sondern sich vom Strom der Umstände treiben lassen. Nun wohl! Zum Schlusse dieser politischen Rhapsodie mag eine Fabel hier Platz finden:

Ein Kadi in einer türkischen Stadt saß mit einigen seiner Freunde am Fenster und rauchte seine Pfeife, indem er sich damit belustigte, die Vorübergehenden zu betrachten. Ein Kameltreiber, sitzend auf einem dieser Tiere, zog vorüber. Die Scheide vom Säbel des Reiters war verloren, und die scharfe Spitze hatte sich so unglücklich gestemmt, daß sie mit jedem Schritte des Tieres tiefer in die Haut eindrang und das Blut des Kamels immer stärker aus der Wunde rann. »Der Unmensch!«, rief der Kadi. »Den Augenblick verhafte man diesen hartherzigen Bösewicht, der nicht soviel Menschlichkeit besitzt, um sein Tier zu schonen und die Ursache des Schmerzens wegzuräumen. Ich will ihn dafür züchtigen lassen, wie es eine solche Barbarei verdient.« – »Daran würdest du sehr unrecht tun, Freund Kadi«, antwortete ihm einer der Umstehenden. »Der Reiter fühlt keinen Schmerz und weiß vielleicht nicht einmal, daß seine Säbelspitze soviel Unheil verursacht. Du müßtest vielmehr das Kamel strafen, welches fühlt, daß bei jedem seiner Schritte die Wunde tiefer wird, und dennoch zu faul ist, um entweder den Reiter abzuwerfen oder doch wenigstens ihn durch Schütteln und Brüllen zu erinnern, daß er nach der Ursache sehen müsse. Solang das Kamel dumm genug ist, geduldig fortzuschreiten, solang, Freund Kadi, verdient es kein Mitleid.«

Möchten meine lieben deutschen Landsleute doch ja eine Lehre aus dieser Fabel ziehen!


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