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14. Einige Ideen über Revolutionen in Deutschland

Der vortreffliche Verfasser der Schrift »Über die Stärke der gegenwärtigen fränkischen Regierung«, Benjamin Constant, hat ein neues, gehaltreiches Werkchen, »Über politische Reaktionen«, bekanntgemacht. Ich glaube nicht, daß persönliche Freundschaft einigen Einfluß auf mein Urteil habe, wenn ich behaupte, daß diese Abhandlung ihrem Verfasser gegründete Ansprüche nicht nur auf die Erkenntlichkeit der fränkischen Nation, sondern der Weisen aller Völker gibt, und daß sie noch lange nach dem gegenwärtigen Zeitpunkt als ein klassisches Werk angesehen werden wird. Richtigkeit der Ideen, Bestimmtheit im Ausdruck, systematische Behandlung des Gegenstandes zeichnen sie um so mehr aus, da gegenwärtig in Frankreich deutliche Ideen und feste Systeme etwas so seltenes sind. Unser Landsmann, der Bürger Gramer, hat diese Schrift bereits ins Deutsche übersetzt, und ich hoffe, daß unser denkendes Publikum sie mehrerer Aufmerksamkeit würdigen werde als gewöhnliche ephemerische Schriften, zu denen sie keineswegs gehört.

Bei Durchlesung dieser vortrefflichen Schrift und bei Gelegenheit eines Gespräches mit ihrem Verfasser über mehrere darin ausgeführte Sätze fielen mir einige Ideen bei; die auf die gegenwärtige Lage Deutschlands Bezug haben und vielleicht gerade in dem gegenwärtigen Augenblick einer nähern Betrachtung nicht unwürdig sind.

Es kann dem flüchtigen Beobachter der allgemeinen Meinung in Deutschland wohl nicht mehr entgehen, daß sich unser Vaterland einer großen Krisis nähert. Unsre Regierungsform, unsre gesetzlichen und religiösen Institutionen stehen seit langer Zeit in dem auffallendsten Mißverhältnis mit unsrer politischen Lage, mit unsrer Aufklärung, mit unsrer öffentlichen Meinung. Unsre Verfassung, so wie sie gegenwärtig beschaffen ist, gewährt uns, wie wohl nicht mehr erst bewiesen zu werden braucht, da Erfahrung es gezeigt hat, keinen von allen den Zwecken, weswegen die Menschen in bürgerliche Gesellschaften sich vereinigen. Wir haben weder Schutz gegen auswärtige Feinde noch Gleichgewicht gegen die Anmaßungen einzelner Stände gegeneinander. Unsre Justiz ist ein Schattenbild, unsre Repräsentation am Reichstag eine Posse, unsre Gesetze Willkür, und wo sich noch eine Art von Übereinstimmung findet, ist diese Übereinstimmung nur das erzwungne Werk einer militärischen Gewalt. Das Deutsche Reich als ein Ganzes betrachtet ist weiter nichts als ein Chaos von Nationen, die sich unter das Recht des stärksten Eroberers beugen und nur da noch einen Schatten von konstitutioneller Form beibehalten haben, wo entweder einzelne Dynasten mächtig genug sind, um eine gewisse Art von Unabhängigkeit zu behaupten, oder wo Eifersucht, Neid und die wenige Bedeutung eines Landstriches zwei Erobrer noch wechselseitig im Zaum halten.

Dieser Zustand der Dinge, diese Anarchie hat schon vor dem Ausbruch der fränkischen Revolution existiert. Ihre Wirkungen wurden aber dadurch gewissermaßen neutralisiert, daß die Mächtigen der dreihundert Souveräne Deutschlandes sich nicht berührten und durchkreuzten wie jetzt, daß ihre Eroberungspläne eine andre Richtung genommen hatten und daß ihre Eifersucht sich wechselweise die Beute nicht gönnte. Die innere Regierung der kleinen Staaten ging noch immer erträglich in den alten Formen, weil die neuen Ideen, die ihre Mangelhaftigkeit zeigten, damals teils noch nicht ausgebreitet genug waren, teils weil man wirklich hie und da einige alte Institutionen nach dem Geiste der Zeit zu reformieren anfing, hauptsächlich aber, weil der Angriff von außen und der dadurch gereizte Widerstand der Despotie gegen den Geist der Zeit mangelte, da jetzt diese baufälligen Gebäude so gewaltig erschüttert und den Völkern die Ohnmacht der kleinen Souveräne, sich zu erhalten, durch Erfahrungen bewiesen hat. So wurde also das Mißverhältnis zwischen unsern politischen und religiösen Einrichtungen und dem moralischen Bedürfnis der Menschen immer anschaulicher und durch diese Anschaulichkeit selbst immer größer. Die natürliche Folge eines solchen Mißverhältnisses ist immer eine Tendenz des Volkes, beide wieder ins gehörige Verhältnis zu setzen. Weder Träume noch Propagande noch Systeme von Revolutionären noch auch der Ehrgeiz einzelner Menschen brauchen wir zu Hilfe zu nehmen, um diese Tendenz zu erklären. Ich berufe mich auf die vortreffliche Ausführung der hieher gehörigen Wahrheiten in der Schrift von Benjamin Constant.

Diese Tendenz gibt sich in Deutschland jetzt so deutlich zu erkennen, daß ihrem Dasein unmöglich widersprochen werden kann. Ein allgemeines Mißvergnügen herrscht überall. Niemand ist mit der Lage zufrieden, in welcher er sich befindet. Die Regierungen, deren Ohnmacht und Mangel an Einsicht, ja deren böser Wille, zu irgendeiner Verbesserung der bestehenden Einrichtungen die Hand zu bieten, sich deutlich an den Tag gelegt hat, werden allgemein verachtet. Was sie noch erhält, ist weder Überzeugung von ihrer Güte noch Meinung von ihrer Stärke, es ist bloß eine vis inertiae, worauf sie sich stützen. Nämlich man fürchtet, daß der Umsturz derselben mit zuviel Stürmen verknüpft sein und die bevorstehende Revolution einen unrichtigen und unzweckmäßigen Gang nehmen möge. Diese Trägheitskraft verliert aber alle ihre Wirkung, sobald die gegenwärtigen gewissen Übel zu einer Höhe angewachsen sind, daß man glauben kann, die künftigen ungewissen könnten unmöglich größer sein, ein Fall, der, wenn das Mißverhältnis nicht gehoben wird, notwendig erfolgen muß.

Wenn ich diese Zeichen der Zeit als Beweise des vorhandenen Mißverhältnisses im allgemeinen angegeben habe, so gedenke ich damit keineswegs zu behaupten, daß man sie auch überall in gleichem Maße antreffen könne. Mehr oder weniger, genug, sie sind vorhanden, mehr, wo das Mißverhältnis größer, weniger, wo es kleiner ist. Einzelne kleinere Staaten Deutschlands, hauptsächlich die protestantischen, besitzen Verfassungen und Regierungen, die mit dem Geiste der Zeit eben nicht in auffallendem Widerspruch stehen, allein wir haben zweierlei Verhältnisse der Staaten in Deutschland, je nachdem wir diese einzelnen Nationen als souveräne Staaten oder in Hinsicht auf ihre Verbindung mit dem Reich betrachten. Wären sie groß genug, um unabhängig zu bestehen, so würde das Mißverhältnis sich leichter heben lassen, allein ihre Kleinheit macht es ihnen unmöglich, sich von der allgemeinen Verbindung zu trennen, sie werden früher oder später verschlungen. Die allgemeine Anarchie wirkt schon jetzt auf ihre besondere innere Verfassung, alles, was sie tun, ist prekär, solange das Reich nicht mit ihnen gleichen Schritt hält.

Möchte jene Trägheitskraft, welche unsre Regierungen noch erhält, wohl imstande sein, dieser allgemeinen Tendenz der Völker zu angemessenern Verfassungen noch lange zu widerstehen? Schwerlich, oder vielmehr unmöglich. Der Grund hievon ist schon oben angegeben worden. Die Furcht vor künftigen Übeln einer Revolution verliert sich von Tage zu Tage immer mehr, je größer die gegenwärtigen werden.

Doch ich sehe mich ohnedem genötigt, diesen Gegenstand weiter unten weitläufiger zu berühren, und fahre fort, die Folgen aus diesen Vordersätzen zu ziehen.

Wenn dies Mißverhältnis existiert, wie es nicht mehr geleugnet werden kann, so muß notwendig eines von beiden erfolgen. Entweder 1. der Geist der Zeit und die Ideen der Völker müssen den vorhandenen Verfassungen und Institutionen angepaßt, oder 2. diese Verfassungen und Institutionen müssen in ein richtiges Verhältnis mit dem Geiste der Zeit, mit den Ideen und Bedürfnissen der Völker gesetzt werden.

Der große Fehler unsrer Regierungen liegt darin, daß sie das erste versuchen, welches wahrscheinlich unmöglich ist. Gemüter, die man aufgebracht hat, lassen sich allenfalls besänftigen, aber Köpfe, welche überzeugt sind, lassen sich ihre Überzeugung weder durch Schmeichelworte noch durch Bajonette entreißen. Festungen kann man zerstören, aber Resultate der Gedanken nicht. Die den alten Verfassungen gefährlichen Ideen sind zu tief gewurzelt und zu allgemein verbreitet, als daß sie durch die Mittel, welche vor Jahrhunderten glückten, bekämpft werden könnten. Sie sind in Deutschland Resultate des Nachdenkens, nicht einer bloßen Nachbeterei oder eines blinden Eifers wie zum Teil in Frankreich. Wir haben nicht Freiheitsenthusiasmus, sondern eine für unsere Regierungen mehr als aller Enthusiasmus gefährliche Überzeugung von der Notwendigkeit einer andern Ordnung der Dinge. Diese Überzeugung ist so fest, daß selbst die kleinen politischen Reaktionen, die wir schon ausgestanden haben, nichts dagegen vermochten. Unser Enthusiasmus mag dadurch gedämpft worden sein, daß wir Custinens Possen in Mainz sahen. Männer, welche die Freiheit wahrhaft liebten, sahen sich damals einer verächtlichen Rotte beigesellt, die in ihrem Namen eine grausame Harlekinade gaben. Ein elender Windbeutel von General, zwei oder drei Hohlköpfe, welche Ministerrolle bei ihm spielten, einige Studenten und entlaufne Pfaffen, welche in lächerlichen Pamphleten den Thronen Zerstörung verkündeten – freilich schämte sich jeder Freund der Freiheit, mit diesen in Parallele gestellt zu werden. Diese Farce machte die Freiheitsprediger in Deutschland lächerlich, aber unsre Fürsten zerstörten den Vorteil, den sie daraus hätten ziehen können, selbst, indem sie durch grausame Maßregeln diese ephemerischen Harlekins als Märtyrer darstellten. Mitleiden trat an die Stelle der Verachtung, und der Zorn des Volks gegen diese neuen jakobinischen Despoten in Miniatur fiel bald auf die Fürsten zurück, da diese gerade gegen die wenigen rechtschaffenen Leute, die zu ihrem Unglücke in die Posse verwickelt worden waren, am heftigsten wüteten. Nun kamen die Greuel in Frankreich. Eine zweite Reaktion war die Folge derselben für Deutschland. Die Fürsten hätten sie benutzen können, aber ihre Torheit trieb sie dahin, durch ihre Übertreibungen das Volk gegen die Wahrheit selbst mißtrauisch zu machen. Endlich kam die dritte Reaktion, verursacht durch das schändliche Betragen der Franken in Deutschland. Allerdings mußten die Räuberhorden, welche Jourdans und Moreaus Armee unter dem Namen von Kommissärs begleiteten, mußte die schändliche Käuflichkeit einiger unsrer ephemerischen Männer von Einfluß, müßten die aristokratischen Offiziere und die indisziplinierten Soldaten unsrer Armee den Deutschen nicht die beste Meinung von der fränkischen Regierung und der fränkischen Nation beibringen. Diese Reaktion in der politischen Meinung vernichtete sich aber dadurch, daß sich die österreichische Armee nicht viel besser betrug. Ja, am Ende entsprang noch für die öffentliche Meinung ein Vorteil daraus. Der Deutsche sah, daß unsre Regierung, ohnerachtet sie aus fünf im Grunde sehr unbedeutenden Menschen besteht, schon soviel vermöge, er sah, daß es nicht die Schuld der Sache ist, wenn ihre Instrumente nichts taugen und wenn ein Moreau kein Buonaparte ist. Er sah, daß die fränkische Nation die sklavischste, verdorbenste, leicht verführbarste von allen sei, und dachte gleich: Wenn diese Nation bloß durch ihre noch lange nicht ganz gefaßte und befestigte neue, bessere Ordnung der Dinge soviel getan hat, was würde erst die unsrige vermögen? –

Diese kleinen Reaktionen waren gleichsam von der Vorsicht veranstaltet, um die der Freiheit würdigste, kräftigste, aufgeklärteste Nation der Deutschen zu prüfen. Sie waren vorübergehend, und der Geist der Zeit tritt stärker auf als je. Mit was will man ihn im Zaum halten? Mit dem Pomp der Macht? Er ist zum Spott geworden, und jedermann lacht der verächtlichen Nabobs, die zwar jagen und Komödien gaben, aber nicht soviel Kraft auftreiben können, um der militärischen Gewalt ihrer mächtigen Mißstände einigen Widerstand entgegenzusetzen. Mit den Schrecken der Religion? Man spottet der Pfaffen und Ihrer Schwänke. Ihre Blitze aus Hexenpulver erregen keine Furcht mehr, denn man weiß jetzt, daß sie nichts schaden. Unsre Regierungen und ihre armseligen Ratgeber machen sich von Tage zu Tage lächerlicher und verhaßter. Man brannte an ihren Edikten und an ihren armseligen Proklamationen die Pfeifen an. Man spottete über den kaiserlichen Kommissar, der die Bewaffnung der Bayern in Tirol organisierte und zuerst davonlief, als er seine eigne Haut mit zu Markte tragen sollte. Man spottete des großen Retters, der, von heimlichen Sünden entnervt, alle vor ihm überwundne Generäle für Jakobiner erklärt und nun selbst sich in die Rinde der Pastete verbergen möchte, die man ihm auftischte, um ihn zur Annehmung des Kommandos zu bewegen. Man lacht, des Ruhms, den er dadurch erlangte, daß die fränkischen Armeen von Paris aus desorganisiert wurden. Jeder andere General als der Prinz Karl, gesteht Moreau, würde ihn mit seiner ganzen Armee abgeschnitten haben. Aber gerade in dem entscheidenden Augenblick blieb dieser Retter Österreichs in einem Dorfe liegen, nahm Glückwünsche an und wohnte Bällen bei. Nachher verlor er siebenzehntausend Mann bei Kehl und 4000 bei Hüningen, wo die Franken ihn amüsierten und in deren Besitz er sie immer hätte ruhig lassen können, da an keinen Übergang zu denken war und die Franken auch ohne diese Plätze immer übergehn konnten, wenn sie sonst gewollt hätten, wie die Erfahrung nächstens lehren wird. Murren und Unzufriedenheit bemächtigten sich der Armeen, die man zur Schlachtbank führte. Der Landmann, der seinen Landesherrn ohne Kraft und ein Opfer der Verblendung werden sieht, mit der er sich in diesen Krieg mischte, gärt auf und wird bald den günstigen Augenblick ergreifen, wo er die Fesseln seines großen Souveräns zugleich mit den Fesseln der Reichsverbindung abwerfen kann. Man haßt die Regierungen nicht mehr, sie sind so tief gesunken, daß man sie bloß verachtet. Das neue fränkische Kabinett allein (so traurig diese Wahrheit auch ist, sosehr sie unsre neuen Machthaber entehrt, die schon jetzt monarchische Tugenden annehmen, so wahr ist sie leider!) hat aus einer stumpfen, kurzsichtigen, feigen, feilen Politik noch jetzt den kleinen deutschen Herrschern ihre Stühlchen garantiert. Aber je mehr man die Völker wie einen Ballen Ware behandelt, desto reifer werden sie, wenn sie einmal soweit sind wie jetzt endlich Deutschland.


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