Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Drei Wochen aus dem Leben des Kurfürsten von Mainz, während seines Aufenthaltes in Erfurt, im November 1795

Unsre Fürsten werden nur zu oft so geschildert wie sie sein könnten und sollten, und diese Schilderungen werden ihnen als wohlgetroffene Porträts vor Augen gelegt. Es kann also wohl nichts schaden, hie und da einen und den andern zu schildern, wie er wirklich ist. Zürnt der Geschilderte, so gleicht er dem Unreinlichen, der lieber den Spiegel zerschlägt, welcher ihm seinen Schmutz zeigt, als zur Quelle geht, um sich zu reinigen. Ich nehme mir daher die Freiheit, das Betragen des jetzt lebenden Kurfürsten von Mainz in dem Augenblicke zu beschreiben, wo derselbe, nachdem er seine Rache an den Klubisten in Mainz genug gekühlt hatte, aufs neue von den fränkischen Heeren zur Flucht genötigt wurde. So kühn er beim Anfange dieses Krieges die Franken gehöhnt und so bitter und schwer er den unglücklichen rheinisch-deutschen Patrioten, welche wehrlos in seine Hände fielen, seinen Grimm hatte fühlen lassen, so wenig fand er für gut, das Schicksal, welches er seinen Untertanen zugezogen hatte, mit ihnen zu teilen.

So wie in gewissen Opern Donner und Blitze vor der Erscheinung eines bösartigen Zauberers vorhergehen, so zeigten sich auch in Erfurt manche Symptome vor der Ankunft des teuren Landesvaters. Ein gewisser Schlag Menschen, der leider überall nur allzu häufig anzutreffen ist, erhob sein Haupt sichtlich. Man hörte vom Verbote einiger Schauspiele, in welchen illuminatische Grundsätze anzutreffen sein sollten, man untersagte jede Zusammenkunft mehrerer Bürger, sobald nicht eine obrigkeitliche Person dabei sei, ganz nach Herrn Pitts Muster, man scheute sich, seine Meinungen offen zu sagen, weil überall Spione sich blicken ließen. Verstellung und Haß, Parteigeist und hämische Rachsucht verbitterten zum voraus jedem geraden Manne das Leben.

Endlich kam der Zeitpunkt der Ankunft des geliebten Landesvaters immer näher. Sie sollte diesmal in aller Stille und nicht so geräuschvoll wie bei der vorigen Flucht erfolgen, bei welcher der Tag des Einzugs mit dem wohlgewählten Schauspiele »Johann ohne Land« gefeiert worden war.

Da Seine Kurfürstlichen Gnaden einen Teil ihrer Leibgarde mit sich brachten und diese in der Gegend der Statthalterei einquartiert werden sollte, so erhoben sich hierüber einige kleine Differenzen. Erstlich nämlich war es manchen Leuten, unter welchen viele erwachsene Töchter hatten, unangenehm, mit solchen Trabanten belastet zu werden, zweitens und vorzüglich waren die vorjährigen Einquartierungen noch nicht bezahlt, und die Bürger hatten Pöstchen von fünfzig, sechzig und mehrerern Talern ausstehen, zu deren Bezahlung um so weniger Anschein vorhanden war, da die Rache des Kurfürsten an den Klubisten, welche sich mit ihrer ehrenvollen Transportierung nach Basel auf Kosten des Staates endigte, und andere zweckmäßige Ausgaben dieser Art in den ohnedem schon erschöpften Kassen wenig Geld übriggelassen hatten. Inzwischen beantwortete man die diesfallsigen Erinnerungen der Bürger durch Exekution, und sie fanden sich dadurch überzeugt, daß ihre Einwendungen ungerecht seien.

Nachdem die Präliminar-Anstalten glücklich zu Ende gebracht waren, traf an einem Sonntage nachmittags die Frau von Ferrete, bekannt durch das Betragen ihres Herrn Gemahls in Straßburg und ihre Verbindungen mit dem Kurfürsten, den sie, wie man behauptet, zur Aussetzung des nützlichen Preises für den gründlichsten Beweis der Vortrefflichkeit des Zölibats veranlaßt haben soll, zu Erfurt ein. Unglücklicherweise begegnete ihr ein armer Fuhrmann, der vermutlich nicht die Ehre hatte, die gnädige Frau zu kennen, und deshalb nicht weit genug auswich. Eigentlich wich er freilich so weit aus dem Wege als er konnte, ohne auf die im Wege liegenden Steinhaufen zu fahren und sich der darauf gesetzten Strafe und der Gefahr des Umwerfens auszusetzen, allein das half nichts. Die gnädige Frau befahl ihren Leuten, mit gezückten Säbeln dem Jakobiner zu Leibe zu gehen, der den gehörigen Respekt vergessen habe, und, da der arme Mann frech genug war, sich zu einer Art von Verteidigung anzuschicken, so wurde er arretiert und auf seine exemplarische Bestrafung angetragen, welche jedoch diesmal, Dank sei es der Redlichkeit der Richter, nicht erfolgte.

Endlich kamen auch Seine Kurfürstlichen Gnaden mit ihrer zweiten Freundin nach. Die Freude machte die Einwohner von Erfurt stumm, sie feierten den frohen Tag in ihren Häusern, und niemand ließ sich sehen, um den hohen Ankömmling zu begrüßen.

Seiner Kurfürstlichen Gnaden Leibarzt fand das für ihn bereitete Quartier zu schlecht und drang darauf, in der Statthalterei Zimmer zu erhalten. Der Koadjutor von Dalberg mußte ihm die seinigen einräumen, zog auch wirklich in die Galerie, allein der Leibarzt fühlte denn doch endlich das Unschickliche seines Verlangens, und die geräumten Zimmer blieben nunmehr ganz leer stehen.

Seine Kurfürstlichen Gnaden und Madame de Ferrete begannen am andern Tage ihre Popularität zu zeigen, indem der erstere auf den Straßen spazierenging und die wenigen Leute, welche stehenblieben, mit der Frage »wer ist er?« beehrten, und die zweite nebst ihrem Herrn Gemahl ein gewisses Schusterhaus häufig besuchte, woselbst milde liebliche Gespräche zur Beförderung der Humanität geführt worden sein sollen. Der Herr General von Ferrete beehrten ein damals in Erfurt anwesendes Kinder-Schauspiel mit ihrer hohen Gegenwart und ließen durch einen Soldaten dem Parterre »Hut ab!« zurufen. Da aber die Hüte wider sonstige Gewohnheit diesmal nicht abgenommen wurden, so hatte dies keine weiteren Folgen.

Die fränkischen Ausgewanderten, die man vorher scharenweise in Erfurt aufgenommen und von denen man jedem Einwohner einige arme Pfaffen zur Verpflegung aufgedrungen hatte, erhielten den Befehl, sich zu entfernen. Man sagt, daß dieser Befehl erfolgt sei, um eine Teuerung zu verhüten, obgleich die geheime Chronik eine andere Ursache angibt, die wir vors erste noch nicht anführen wollen.

Hart war diese plötzliche Verweisung, gerade da der Winter vor der Tür war, immer. Ich bin kein Freund der Ausgewanderten und hätte zu ihrer Aufnahme nie geraten, aber Menschlichkeit hat doch auch ihre Rechte. Im Winter 1795, wo der größte Holzmangel vor der Türe war, wo Not und Sorge den einheimischen Armen drohte, denen bei dem gegenwärtigen Stillstand der wenigen dortigen Fabriken alle Hilfsquellen verstopft waren, nahm man unbedingt alle Ausgewanderten auf. Fünf- bis sechshundert verworfene Priester, alle arm, und bei ihrer Armut brutal und bigott, wurden der Stadt gleichsam aufgedrungen, und wer nicht ein böses Gesicht haben wollte, mußte wenigstens einen dieser Faulenzer erhalten. Da sich zu gleicher Zeit viele reiche Brabaiiter einfanden, so vermehrte sich die Konsumtion in Zeit von wenigen Tagen außerordentlich, es galt für Verdienst, für einen Beweis des Patriotismus, sie vor der Türe abzuweisen, und die Almosen, welche man ihnen bisher gegeben hatte, an jene unnützen Faultiere, deren Arbeitsscheu alle Begriffe überstieg, zu verschwenden. Oft blutete mir mein Herz, wenn ich arme Mütter, die sich zu betteln schämten, mit Dochten und andern Kleinigkeiten von Türe zu Türe gehen sah und sie um Gottes willen umsonst um einige Abnahme flehen hörte.

Jeder der einige gesunde politische Grundsätze besitzt, wird die Unklugheit der Erfurter Regierung begreifen, welche sich bei der unbedingten Aufnahme aller Emigranten an den Tag legte. Vernünftig war es, den Reichern unter ihnen die Hand zu bieten, da Erfurt ohnedem sehr wenig bevölkert ist. Die augenblickliche Verteuerung der Lebensmittel, welche die Folge dieses plötzlichen Menschenzuflusses war, würde natürlich in dem Augenblicke haben abnehmen müssen, da die Landleute der umliegenden Gegend wegen des guten Absatzes ihrer Viktualien häufiger nach Erfurt gekommen sein würden. Menschlich war es auch, einige der ausgewanderten Pfaffen in den Klöstern versorgen zu lassen, aber diese Überhäufung der Stadt mit faulen Armen auf Kosten der Einheimischen, die keine Arbeit und keinen Verdienst bei dem besten Willen finden konnten, diese schlimme Population von fünfhundert Verzehrern läßt sich durch nichts rechtfertigen.

Erst im Sommer 1795 fiel es der Erfurter Regierung ein, diese Leute fragen zu lassen, wovon sie künftig zu leben gedächten.

Ebenso unklug und hart war aber auch die plötzliche Verbannung aller Ausgewanderten vor einem hereinbrechenden Winter. Man hätte wahrlich die Reichen immer bleiben lassen können. Und was war die Folge dieser Maßregel? Die Armen, zumal die Geistlichen, wußten sich falsche Attestate, als seien sie Brabanter, zu erschleichen, und die Reichern gingen fort, nachdem sie vorher die Sitten gänzlich verderbt, einen kleinen Hof gebildet und den dortigen, vorher sehr kleinlauten Adel durch ihren Übermut angesteckt und zu einem Rückfall in seine alten Torheiten gebracht hatten. Plötzlich erschallte nun die frohe Nachricht von dem Entsätze der Stadt und Festung Mainz. Der gebeugte Kurfürst erhob nun sein Haupt wieder und verwandelte sich aus einem frommen Paulus in einen schnaubenden Saulus.

Es wurde, um die erwünschte Begebenheit zu feiern, eine Art von Volksfest veranstaltet. Man hätte freilich einen Bußtag zweckmäßiger finden können, allein der Kurfürst dachte anders. Alle Bürger der Stadt Erfurt mußten an dem Tage der Feier von früh sechs Uhr bis um zehn Uhr gegen Mittag in der Kälte paradieren. Die sogenannte Garnison stand ebenfalls beim Dom in voller Schlachtordnung. Hierauf wurde der Schuljugend anbefohlen, ihre Freude in einem Gedichte an den Tag zu legen, und um zehn Uhr fuhren Seine Kurfürstlichen Gnaden, ganz mit Brillanten überladen und niedlich coiffiert, in den Dom, um dem Hochamte beizuwohnen, welches der Koadjutof von Dalberg hielt. Die auf dem Wege paradierenden Bürger waren zwar angewiesen, ein Vivat zu rufen, allein es erfolgte dennoch nicht, ohnerachtet Kanzleibediente unter die Straßenjungen einige Groschen austeilten, um sie dazu zu vermögen. Im Gegenteil schienen es die Bürger übel zu empfinden, daß der Koadjutor von Dalberg nicht mit dem Zuge, sondern durch andre Straßen fuhr, und das Vivat ertönte bloß in, diesen Straßen.

Da die Ordre gegeben war, daß bloß Honoratioren der Eingang in den Dom, um dieses Volksfest in der Nähe ansehen zu können, gestattet werden sollte, so empfanden dieses die Bürger übel und mißhandelten eine Wache, welche sich unanständiger Ausdrücke bedient hatte, sehr tätlich. Bloß das Zureden einiger Magistratspersonen und die augenblicklich erfolgende Öffnung aller Kirchtüren stellte die Ruhe wieder her.

Übrigens nahmen die Erfurter Bürger an der Begebenheit selbst ebensowenig Anteil als an einer an der Grenze von China vorgefallenen Schlacht. Sie verließen sogar ihre Reihen, noch ehe das Hochamt vorüber war, und gingen nach Hause. Bei Hofe endigte sich die Zeremonie durch einen prächtigen Schmaus.

Nach dieser Begebenheit erfolgte weiter nichts Merkwürdiges, außer daß Seine Kurfürstlichen Gnaden und Ihre Begleitungsdamen ein erschreckliches Gericht verkündigten, welches über alle Illuminaten ergehen solle. Die erste diesfallsige Operation erfolgte, gleich nach der Abreise des Kurfürsten durch die Verhaftnehmung des Erfurter Buchhändlers Vollmer. Die Anstalten dabei waren so schrecklich, daß man den personifizierten Feind der Christenheit und des deutschen Reichs nicht härter hätte bewahren können. Da aber der mutmaßliche Verfasser einiger in dieser Schrift abgedruckten, die Klubisten betreffenden Aufsätze glücklich durch die Flucht entkommen war und man das Vergnügen nicht haben konnte, eine exemplarische Rache an ihm zu nehmen, so endigte sich die ganze Sache aus Mangel hinlänglicher Beweise gegen den Buchhändler. Vollmer mit seiner Verweisung aus Erfurt.

Desto ärger geht es nun über die sogenannten Demokraten in Mainz her, denen man, wenn sie geschickte Ärzte sind, die Praxis verbietet, weil natürlich ein demokratischer Arzt unmöglich so gute Rezepte schreiben kann als ein aristokratischer!!

Diese kleine Geschichte mag zum Beweise dienen, welche nützlichen Folgen die fränkische Revolution auf einen Teil unsrer Fürsten hervorgebracht hat. Man sieht, wie genau sie jetzt ihre Bestimmung erfüllen, wie Recht und Wahrheit ihre einzige Richtschnur ist, wie mild sie alles Murren des Volkes stillen und wie sie durch strenge Ökonomie, Gerechtigkeitsliebe und Popularität ihre etwa vorherbegangenen Fehler in Vergessenheit zu bringen suchen! Geschieht das am grünen Holz (da die fränkischen Heere noch einen Teil der deutschen Provinzen innehaben), was wird erst am dürren werden (wenn dieses Gewitter noch, ohne einzuschlagen, vorüberziehen sollte)?


 << zurück weiter >>