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Sechzehntes Kapitel

Zur Zeit Bismarcks

Geschichtliche Grundlagen des Kulturkampfes

Ich halte es für einen Irrtum, in dem kirchlichen Streite auf die Infallibilität des Papstes und irgendeine den katholischen Lehrbegriff berührende Frage einzugehen.. Es scheint mir selbst irrig, das absolute Recht des Staates diesen Begriffen entgegenzusehen. Ich weiß nicht, ob das Vorhaben, die Kirche der juridischen Praxis zu unterwerfen, zum Ziele führen kann. Nicht von dem absoluten Staat, sondern von den verschiedenen konkreten Staaten, wie sie existieren, ist die Rede.

Man hat die Tradition des Verhältnisses verloren, in welchem sich das Papsttum von jeher zu den Staaten befand, namentlich auch zu den Institutionen des deutschen Reiches. Das Reich hat unter den alten Kaisern, sowie nach Erhebung des Protestantismus unter der Autorität der Reichstage immer das Recht behauptet, auch über die kirchlichen Einrichtungen zu verfügen; mochte der Papst einwilligen oder nicht. Die Grundlage von allem später Bestehenden ist der Religionsfriede von 1555. Fragen wir, wodurch er zustande gekommen ist, so war es die Einwilligung der deutschen Bischöfe und Erzbischöfe in den Bestand des Protestantismus. Kaiser Karl V., der die neue Kirchenform in der einen oder anderen Art der alten unterordnen wollte, war eliminiert. Von den Protestanten, die mit einem Schlage die Oberhand gewonnen, wollten die Entschiedensten, unter anderen jener Albrecht Alcibiades, die ganze kirchliche Verfassung zertrümmern. Um ihrem Ruin zu entgehen, schlossen sich die katholischen Bischöfe an die andere Partei an, damals die mächtigere, welche nichts wünschte, als daß durch einen Vertrag der Bestand der neuen Kirchenform anerkannt würde. Wir haben es hier nicht mit Dissidenzen des Bekenntnisses zu tun; nur damit, daß die Kirchenfürsten mit den Protestanten einen Vertrag schlossen, der ihre Existenz sicherte; das Reich als solches behauptete das Recht, in kirchlichen Dingen Maß zu geben, den Protestationen des Papstes zum Trotz. Diese waren überaus wirksam. Sie führten zu dem blutigsten aller Kriege. Es war dann abermals die Reichsgenossenschaft, welche den Westfälischen Frieden zustande brachte, unter dessen Schutz alsdann Deutschland nicht allein seine Ruhe bewahrte, sondern die großartigste Entwicklung nahm. Ich will nur sagen: der Gewalt des Papsttums trat in Deutschland eine andere gegenüber, die auf den Notwendigkeiten des gemeinschaftlichen Lebens beruhte und sich um die Protestationen des römischen Stuhles nicht kümmerte.

Durch die Ereignisse der Revolution, den Sturz der weltlichen Gewalt der Bischöfe und all die Konflikte der späteren Zeit ist diese traditionelle Selbständigkeit des Reiches abhanden gekommen, aber niemals aufgegeben worden. Das Papsttum hat sich in den Besitz der unbedingten Autorität über den Klerus gesetzt, aber mit welchem Recht? Es befindet sich in dieser Hinsicht in der Lage einer okkupierenden Macht. Die Okkupation hat in dem vatikanischen Konzil [1870] gleichsam ihr Ziel erreicht. Das Konzil ist weit davon entfernt geblieben, zu Ende geführt zu werden. Es hat es nur zu einer einzigen Satzung gebracht, die nicht ohne die schwersten Kämpfe zustande kam und dann mit aller möglichen Zierlichkeit proklamiert wurde. Aber ist sie darum gültig? Muß sie anerkannt werden? Nach den alten Begriffen und ihrer Tradition gewiß nicht. Nachdem das Tridentinische Konzilium seine Beschlüsse gefaßt hatte [1563], wurde in allen Reichen erst die Frage vorgelegt, ob diese von denselben akzeptiert werden sollten oder nicht; was sich trotz des Anteils, den die Staatsgewalten der verschiedenen Länder an dem Konzil genommen hatten, keineswegs von selbst verstand. Denn daran hat überhaupt niemals die Welt gedacht, die Selbständigkeit des Staates den kirchlichen Beschlüssen unterzuordnen; in dem Begriffe des christlichen Staates läge das nicht.

Wenn man auf die Grundfrage zurückgeht, so läßt sich doch die Priorität der bürgerlichen Gewalt vor der kirchlichen nicht in Abrede stellen. Die bürgerliche Ordnung bestand, als die kirchliche eintrat. Die Kirche wurde von dem Kaisertum regiert, unmöglich kann das Kaisertum oder die bürgerliche Gewalt gemeint sein, der Kirche eine Autorität zu gewähren, durch welche die weltliche Gewalt absorbiert würde. Die weltliche Gewalt nimmt auch ihrerseits die göttliche Autorität in Anspruch. Es muß ihr überlassen bleiben, ob sie neue kirchliche Satzungen annehmen will oder nicht. Dadurch, daß die Infallibilität des Papstes in Rom proklamiert wurde [1870], ist sie noch nicht eine für den deutschen, oder irgendeinen anderen Staat gültige Regel geworden. Ihre Annahme muß nach den Bedürfnissen der verschiedenen Reiche modifiziert werden.

In dem vorliegenden Fall ist es um so notwendiger, da die Staaten von der Beschlußnahme auf dem Konzil, von dessen Beratungen absichtlich ausgeschlossen sind. Es hängt mit dem politischen Antagonismus jener Jahre zusammen, daß das geschah. Napoleon III. wagte nichts dagegen zu tun, weil er den ultramontanen Klerus nicht beleidigen konnte. Wenn sich nun aber auch die Staaten ihre Ausschließung faktisch gefallen ließen, so sind sie doch nicht an die Folgen derselben gebunden. Die unbedingte Unterordnung aller Geistlichkeiten unter den Willen des Pontifex Maximus widerspricht ihrem Begriff und ihrer Tradition. Wenn die Geistlichkeit sich dem päpstlichen Gebot unterwirft, so kann man sie darüber so sehr nicht schelten. Die Staaten hätten Einspruch gegen die Dekrete erheben müssen, ohne Zweifel, noch ehe sie gefaßt waren. Aber auch jetzt ist dazu noch Zeit; aber sie müssen das auf eine großartige und zugleich energische weise tun. Nicht vielleicht dann liegt die Aufgabe, die Heimlichkeit durch das eine oder andere Gesetz einzuschränken, sondern darin, ihr überhaupt zum Bewußtsein zu bringen, daß sie einer anderen Autorität, die ebenfalls göttlichen Ursprungs ist, Rücksicht und Gehorsam schuldet.

Politischer Rückblick 1840–1788

In alle dem, was wir erleben, läßt sich eine historische, ich sage nicht Notwendigkeit, aber Folgerichtigkeit wahrnehmen. Auf das lebendigste erinnert man sich einer Rede, mit welcher der verstorbene König Friedrich Wilhelm IV., der ebensoviel Geist wie Gemüt hatte, den vereinigten Landtag eröffnete [1847]. Sein Sinn war, durch eine auf die alten ständischen Elemente gegründete Verfassung die Religion und den Thron zu sichern. Denn niemand sah die Gefahr der sozialen Bewegungen, die damals in der Schweiz die Oberhand bekommen hatten und von diesem Mittelpunkt des europäischen Kontinents vordrangen, deutlicher und bestimmter voraus; er schaute sie mit seinen Augen an, die Rede hatte keinen anderen Sinn, als eben das Ziel der neuen Verfassungsedikte, welches darin lag, Provinzen und Bevölkerungen einer alles negierenden Faktion gegenüber um seinen Thron zu sammeln. Fragt man aber nach dem Erfolg dieser Kundgebung, so ward sie auch von sonst verständigen Männern eher verlacht als verstanden. Die Versammlung selbst hatte nur ihr eigenes Interesse im Auge, das konstitutionelle System mit enger Beschränkung des Königtums zu gründen; sie sah in der Rede des Königs eine phantastische Verteidigung des göttlichen Rechtes, das sie zu bekämpfen für ihr Recht und beinahe für ihre Pflicht hielt. Mit vieler Mühe wurden noch die Bestimmungen über die Verfassung so weit gebracht, daß sie lebensfähig erschien. Aber in diesem Momente brach der Sturm schon aus, den der König vorausgesehen hatte. Die neue Einrichtung war viel zu schwach, um dem allgemeinen Sturm widerstehen zu können. Aber vollkommen gelangte die revolutionär-soziale Bewegung doch auch nicht zum Ziele. Die Verfassung, welche endlich zustande kam, weit entfernt, den ursprünglichen Ideen zu entsprechen, nahm nun doch auf liberaler Basis einen Anlauf zum Widerstande, der jedoch bei weitem schwächer war als der früher beabsichtigte, und unter den folgenden inneren Streitigkeiten noch viel schwächer wurde.

Schon in der sogenannten neuen Ära unter dem Prinzregenten, in welcher der Liberalismus dominierte, wurde derselbe doch inne, daß neben ihm noch andere Mächte, die weiter hinaus wollten, vorhanden waren. Jene Zeiten des sogenannten Konfliktes stellen dann bloß die Verlegenheiten dar, in die man geriet, so daß sogar ein großer Krieg unternommen wurde ohne Beistimmung der Versammlung der Abgeordneten. Wären die Kriegsunternehmungen mißlungen, so würden die Inhaber der Regierung vielleicht mit dem Leben dafür haben büßen müssen. Aber sie gelangen – unerwartet rasch und entscheidend. Alles staunte, als dann doch die Regierung, statt ihres Vorteils sich zu bedienen, die Stände nur um Indemnität anging und das liberale System, das offenbar in Nachteil geraten war, wieder adoptierte. Dabei mögen persönliche Gründe mitgewirkt haben, der vornehmste aber war doch ein anderer.

Nach dem errungenen Sieg boten sich zwei verschiedene Systeme dar. Das eine war mit einem Wort: Groß-Preußen. Die Absicht lag vor, die deutschen Staaten noch schwächer zu machen als bisher, z. B. die fränkischen Fürstentümer von Bayern zurückzufordern, zugleich auch Hannover bestehen zu lassen, aber durch Beschränkungen unschädlich zu machen – genug, ein faktisches Übergewicht des alten preußischen Systems zu gründen. Dieser Gedanke stimmte doch aber nicht mit der herrschend gewordenen liberalen Tendenz. Und man ergriff einen anderen, welcher in bezug auf die auswärtige Politik dahin ging, Hannover und Hessen einzuziehen und mit den übrigen Mittelstaaten eine enge Verbindung zu schließen, wie es dann mit dem Norddeutschen Bunde geschah. Dieser Bund enthielt eigentlich die Idee von Klein-Deutschland, ohne daß man sie gerade ausgesprochen hätte. Er war wesentlich liberal, inwiefern auch das welfische Königtum von Gottes Gnaden aufgehoben wurde und in den süddeutschen Staaten das liberale Prinzip begünstigt werden mußte, um dem Partikularismus entgegenzutreten.

Man mißverstehe mich nicht; der Untergang Georgs V. war mir unendlich schmerzlich, peinlich auch die Mißgriffe, die bei den ersten Einrichtungen in Hessen vorkamen; aber dabei hätte man sich doch auch die Augen verschließen müssen, wenn man das große Interesse mißkannte, das eine konsolidierte Bundesverfassung dem mächtigen französischen Reiche gegenüber für den deutschen Namen hatte. Daß Napoleon III., nachdem er Österreich und Rußland besiegt hatte, auch Preußen angreifen würde, um die Machtsphäre der alten französischen Politik wiederherzustellen, darüber konnte kein Zweifel sein. Als es 1870 zu diesem Bruche kam, war doch eine allgemeine Erregung über den Ausgang, den die Sache nehmen könne, erkennbar. Allein die Einziehung von Hessen und Hannover und das Bundesverhältnis zu den süddeutschen Staaten wirkten dahin zusammen, daß man Frankreich glücklich bestehen konnte und bestand. Das napoleonische Regiment stürzte vollkommen zusammen; von dieser Gefahr wurde Europa befreit.

Das Ereignis aber hatte noch eine andere Seite. Die revolutionären und kommunistischen Elemente, welche das Kaisertum gebändigt hatte, gewannen eine freie Bahn; sie gelangten in der großen Kommune eine Zeitlang zu dominierender Gewalt. Es waren dieselben, welche 1848 die Welt in Bewegung gesetzt hatten, und allenthalben traten sie mächtig hervor. Die Niederlage, die sie in Frankreich erlitten, war doch noch weit entfernt, eine vollständige zu sein; überall erhoben sich analoge Bestrebungen. Sie haben zwei hiervon unabhängige Ursachen. Die eine: das übermäßige Gewicht, das man auf Industrie und Fabriken legte; und eine Vermehrung der Menschenzahl in starken Proportionen, die ihre Ernährung eben in diesem Fabrikwesen fanden, in der untergeordneten Rolle, die ihnen darin angewiesen war, unzufrieden, unaufhörlich gegen die Besitzer ankämpften, Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber und dann auch gegen den Staat, her diese beschützte. Indessen war auch eine Partei aufgekommen, welche nicht allein die Religion leugnete, sondern auch alle Moral und dies als Fortschritt der Welt betrachtete. Diese Richtung bekam jetzt dadurch eine wirkliche Macht, daß das allgemeine Stimmrecht eingeführt wurde. Wie kam es, daß man auch diese Erfindung der Franzosen in Deutschland annahm? Es beruhte auf der schon angedeuteten Notwendigkeit, den Partikularismus in den verschiedenen Staaten niederzuhalten, was nur dadurch möglich wurde, daß man den liberalen Ideen das Übergewicht verschaffte. Dabei konnte aber zwischen Liberalismus und Sozialismus ein Unterschied gemacht werden und manchem mag der Gegensatz, welchen der Liberalismus in dem Sozialismus fand, erwünscht gewesen sein.

Genug; diese Direktionen der arbeitenden Klassen, die sich zuerst in all den Streiks, die jahrelang an der Tagesordnung waren, manifestierten und gegen die Herrschaft des großen Kapitals über die kleine Arbeit reagierten, wurden allgemein, wie in der übrigen zivilisierten Welt, so namentlich in Deutschland. Die Freiheit der Presse, der Vereine, welche gesetzlich unantastbar bestand, gab der Agitation ein weites Feld. Das Gegenteil der Religion wurde auf den Dörfern gepredigt. Und da nun alle diese Aufregung doch keine Erleichterung hervorbringt, so erfolgte, daß sie in immer heftigeren Schwingungen pulsierte und zuletzt zu gräßlichen Attentaten geführt hat. Ich glaube bei denselben nicht an ein Komplott, aber an ein Miasma, das eben durch die Presse fortgeleitet wird und besonders da, wo eine Prädisposition des Geistes besteht, die abscheulichsten Gewalttaten hervorruft. Die liberalen Gesetze: Freizügigkeit, Zivilehe usw. haben die Bewegung nicht hervorgebracht, aber sie haben die Gesellschaft der Mittel beraubt, ihr zu widerstehen. Gesetzlich zu widerrufen, was gesetzlich eingeführt ist, das Organ des Fortschrittes zum Organ des Rückschrittes zu machen – wenn wir uns dieser Worte ohne Lob oder Tadel bedienen dürfen –, ist unendlich schwer. Soll man aber darum verzweifeln? Ich denke nicht. In der Gesellschaft liegt doch ein Selbsterhaltungstrieb, welcher unvermeidlich wirken muß. Wir haben noch immer erlebt, daß der Verkehrtheit, der Immoralität und Gewaltsamkeit auch ein Ziel gesetzt ist. Ormuzd und Ahriman kämpfen immer. Ahriman arbeitet immer an der Erschütterung der Welt, aber sie gelingt ihm nicht.

So denkt ein alter Mann.


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