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Viertes Kapitel

Karl der Große.

Karls Herkunft

In den ältesten Dokumenten findet sich mit dem Namen Karls der Titel Magnus Rex verbunden; er bezieht sich da mehr auf den Umfang der Macht als auf persönliche Eigenschaften. Im Laufe der Zeit hat sich aber die Idee moralischer und historischer Größe unwiderruflich an diesen Namen geknüpft. Große Männer schaffen ihre Zeiten nicht, aber sie werden auch nicht von ihnen geschaffen. Es sind originale Geister, die in den Kampf der Ideen und Weltkräfte selbständig eingreifen, die mächtigsten derselben, auf denen die Zukunft beruht, zusammenfassen, sie fördern und durch sie gefördert werden. Bei der Flüchtigkeit und verhältnismäßigen Kürze des menschlichen Lebens ist es denn immer von größtem Wert, wenn in den hohen Stellungen, die dazu fähig machen, Persönlichkeiten von gleicher Intention und Kraft aufeinander folgen. Nicht allein große Männer, sondern auch Generationen von außerordentlicher Begabung gehören dazu, um neue, lebensfähige politische Gründungen zu vollbringen. Eine Dynastie dieser Art bildeten die Pippiniden, indem sie sich zur höchsten Gewalt erhoben.

Der mittlere Pippin, genannt von Heristal, hat die alte Macht der Arnulfinger in Austrasien erneuert und sie zur vorwaltenden in den drei Austrasien = östliches, Neustrien = westliches, Burgund = mittleres Frankenreich. fränkischen Reichen [Austrasien, Neustrien, Burgund] erhoben [687]. Karl Martell, im Besitz derselben bedroht, hat sie dann erst wahrhaft durchgeführt, unter unaufhörlichem Kampf nach allen Seiten und ihr zugleich durch die erste glückliche Schlacht gegen die Omaijaden [732] eine für die Geschicke der Welt bedeutende Stellung verschafft und gesichert. Eine durch und durch heroische, lebensvolle, unverwüstliche Natur, auf welcher die Vereinigung romanischer und germanischer Gebiete zu einer einheitlichen Macht eigentlich beruht.

Dem hatte darauf der jüngere seiner Söhne, Pippin, eine feste Gestalt gegeben. Ihm ist am meisten die Verbindung Aquitaniens [Südwestgallien] mit dem Frankenreiche zuzuschreiben. Er hat den großen Schritt getan, vor dem seine Vorgänger noch immer zurückgescheut waren, sich die Krone auf das Haupt setzen zu lassen [751]; zuerst nur durch die Großen der Franken und die Landesgeistlichkeit, sodann aber durch den Papst selbst, mit dem er jene Verbindung schloß, von welcher die späteren Geschicke des Abendlandes bestimmt worden sind. Er verstand die Gewalt des heiligen Petrus nur in dem Sinne, den die Erfolge beglaubigten. Man erkennt in ihm einen politischen Kopf ersten Ranges, gleich bedeutend für die kirchlichen und weltlichen Verhältnisse. Er verband, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, die intellektuelle Entschlossenheit, welche neue Gedanken faßt, mit der rücksichtslosen Konsequenz, welche zu deren Ausführung gehört. Noch war er aber bei weitem nicht zur vollen Durchführung seiner Ideen gelangt, als er aus dem Leben schied [768]. In seinen letzten Jahren trat eine Veränderung in Rom ein, durch welche die wichtigste seiner Bundesgenossenschaften, die mit dem Papst, zweifelhaft wurde. Aus der Unterwerfung von Aquitanien war eine Bewegung unter den germanischen Fürstenhäusern hervorgegangen, die auf der Identität der Interessen geborener Stammeshäupter gegenüber dem Königtum beruhte. Mit den Sachsen hatte Pippin Verträge zustande gebracht, die aber nicht eben innegehalten wurden. Man sieht wohl, daß die Herrschaft weder im Westen noch Osten, weder im Frankenreich noch in Germanien gesichert war ... Zweimal hatte Pippin als König diese alten Feinde angegriffen. Das erstemal im Jahre 753 war er bis an die Weser, an die Porta Westfalika vorgedrungen, mit einer Übermacht, der die Sachsen nicht zu widerstehen wagten. Sie verpflichteten sich nicht allein, jährlich dreihundert Pferde den Franken zu liefern, worin doch eine Anerkennung der Hoheit lag, sondern sie machten sich auch anheischig, den Priestern kein Hindernis in den Weg zu legen, welche in ihr Land kommen würden, um den christlichen Glauben daselbst zu predigen und sie im Namen Gottes zu taufen. Darauf muß man wohl den größten Wert legen. Es ist der legitime Anfang der Christianisierung von Altsachsen. Fünf Jahre später ist es noch einmal zum Kampfe gekommen. Pippin hat diesmal nur die Ems und Lippe erreicht. Er eroberte damals einen der festen Plätze zwischen Weser und Lippe, und die Sachsen versprachen, den Willen des Königs überhaupt ins Werk zu setzen. Man wird sich nicht wundern, wenn die auf die Kirche bezüglichen Zusagen unausgeführt blieben. Der religiöse Grundsatz war stärker als jede Annäherung. Die Sachsen verehrten die allgemeine Naturgewalt, welche alles trägt, als ein göttliches Wesen bei der Irminsul in dem für heilig erachteten Osninggebirge. Sie hatten Eresburg gegründet, wahrscheinlich doch für den Gott des Krieges, den sie verehrten, und es wohl befestigt. Dagegen sah Karl in den Göttern der Sachsen Dämonen, deren Einwirkungen eben die christliche Lehre vernichten sollte. In Worms sammelte sich um ihn eine große Anzahl von Priestern in ihren verschiedenen Abstufungen, denen er den Eintritt im Sachsenland auf immer zu sichern dachte. Ohne daß etwas von dem Widerstand, der ihm entgegengesetzt worden wäre, berichtet wird, erfahren wir nur, daß er die Eresburg eroberte, die Irminsul zerstörte, nicht ohne daß man dabei den plötzlich hervorbrechenden Bullerborn als ein die Heiligkeit der Unternehmung bestätigendes Wunder Gottes angestaunt hätte; er rückte darauf an die Weser vor, wo die alten Friedensschlüsse erneuert und durch die Stellung von Geiseln nochmals bestätigt wurden [772]. Sein Sinn war dahin gerichtet, zugleich eine christlich-kirchliche Organisation auf immer zu gründen; sein ganzes Unternehmen war weniger ein Kriegszug, als eine vom König geleitete und mit Gewalt der Waffen unterstützte Mission ...

*

Im Juli 782 hielt er eine seiner großen Reichsversammlungen in Lippspringe ab. Wie so ganz verändert ist der Horizont, der sich uns hier eröffnet. Der König hatte auf seinem letzten Zuge die Sachsen zum Versprechen der Treue genötigt. Er hatte durchgesetzt, was einst seinem Vater und dann ihm versprochen war: das Land war in kirchliche Bezirke eingeteilt worden, wo dann Predigt und Taufe methodisch festgesetzt wurden. Die Sachsen waren dann auch während seiner letzten Abwesenheit in Italien ruhig geblieben. Die Bekehrung ging in der angebahnten Weise fort. Unter Karls Auspizien hatte Willehad, ein Angelsachse wie Bonifatius, das Werk der Bekehrung im Gau Wigmodia mit vielem Erfolg unternommen. Mit dem kirchlichen Fortschritt waren die Landeseinrichtungen eng verbunden. Wie in Frankreich und Aquitanien, so gewann die Grafengewalt im nördlichen Germanien Bestand. Die vornehmsten Sachsen wurden zu derselben herbeigezogen; dabei blieb doch das altsächsische soziale Herkommen unangetastet. Die Stammesoberhäupter waren nach Weise der Angelsachsen durch ein zwölfmal stärkeres Wehrgeld geschützt als die Freien, so daß eine Verschmelzung sächsischer Zustände mit den fränkischen und dann ein enges Anschließen zugleich in der Idee des Christentums zu erwarten war. Auf demselben Reichstag erschienen die Sachsen zahlreich aus allen Gauen, und Botschafter der nächsten heidnischen Nachbarn, des Königs der Dänen, des Chakan der Avaren, deren Bekehrung sich hoffen ließ, wenn die eingeführte Ordnung in Germanien, namentlich bei den Sachsen, sich befestigte. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind auf diesem Reichstag die Kapitularien vereinbart und erlassen worden, welche die geringste Abweichung von dem Christentum als das schwerste aller Verbrechen ahndeten. Wenn z. B. ein Angriff auf den Grafen mit der Einziehung der Güter des Schuldigen bestraft wird, so wird die Ermordung eines Diakonen mit der Todesstrafe geahndet, selbst jeder Einbruch in die Kirche, jede Überschreitung der kirchlichen Gebräuche, z. B. der Fasten. Es sind drakonische Gesetze, ich meine solche, in denen das Prinzip mit äußerster Strenge festgehalten wird. Jede Abweichung wurde als ein Rückfall in das Heidentum, als Apostasie und Feindseligkeit betrachtet ...

Die Sachsen hatten kein monarchisch-hierarchisches Zentrum, selbst die verschiedenen Stämme keine volle Einigung und, wie gesagt, die meisten Großen waren bereits Karl gefolgt. Aber in Zeiten, wie diese, sind immer Männer erstanden, welche die volkstümliche Einheit bewußt oder unbewußt in ihrer Person repräsentieren und sie mit den verwandten Weltelementen in Verbindung bringen.

Eine solche war der Sachse Widukind; er hatte auch in seiner Abwesenheit auf die letzten Erhebungen der Sachsen Einfluß geübt, aber sich immer abseits gehalten; bei dem Reichstage zu Lippspringe hatte man ihn vermißt, wie die Annalen ausdrücklich bemerken. Indem er jetzt in Sachsen erschien, bereitete sich ein allgemeiner Widerstand vor. In dem Leben eines angelsächsischen Missionars, der sich aus Friesland nach Sachsen wandte, wird eine Volksversammlung der Sachsen erwähnt zu Marklo an der Weser, in welcher die äußerste Abneigung gegen jeden Bekehrungsversuch vorherrschte, so daß sein Leben nur durch die Vorstellung gerettet wurde, er sei doch ein Sendbote Gottes des Höchsten. Aber die neu eingerichteten Stätten christlicher Verehrung wollte man nicht dulden. Plötzlich wurden die neuen Pflanzungen angefallen und vernichtet, denn auch der heidnische Glaubenseifer kannte keine Schonung.

Statt von einem gegen die Sorben bestimmten Heereszuge von den Sachsen unterstützt zu werden, mußten die Franken unerwarteterweise ihre eben zu jenem Zweck gesammelten Streitkräfte gegen diese selbst richten. Die Wendung, die sie nahmen, hatte aber einen sehr unglücklichen Erfolg. Man bemerkt dabei einen eifersüchtigen Wettstreit zwischen den fränkischen Heerführern, wie er sonst nicht vorkommt ...

Gleich darauf erhob sich König Karl in eigener Person mit gesammelter Kraft, um seine in Sachsen begonnenen christianisierenden Institutionen nicht zugrunde gehen oder das Volk von seinen Gelöbnissen zurücktreten zu lassen. Seine Vorkehrungen brachten in der Tat die Wirkung hervor, daß Widukind sich entfernte, die Sachsen in einer Reichsversammlung zu Verden an der Aller ihren alten Treueid erneuerten. Was sollte aber mit denen geschehen, die sich empört hatten? Gegen diese wurden die schärfsten Verordnungen, die in den Kapitularien vorkamen, zur Geltung gebracht. Darin war die Todesstrafe gegen alle ausgesprochen, welche sich mit den Heiden gegen die Christen verbinden würden. Der älteste Chronist erzählt, die Schuldigen seien von den Sachsen dem König überliefert worden, um sie zu töten. Es ist die Handlung, welche das Andenken Karls am meisten belastet, daß er die in seinem Kapitular angedrohte Strafe in aller ihrer Strenge vollziehen ließ. Die Überlieferten waren an Zahl viertausendfünfhundert; sie wurden zu Verden an ein und demselben Tage sämtlich enthauptet [782].

Ohne Zweifel meinte Karl einer Wiederholung des Abfalles dadurch auf immer vorzubeugen, allein die Hingerichteten hatten Freunde, Gesinnungsgenossen und einen unbeugsamen Führer in der Fremde. So tief wurden alle öffentlichen und privaten Verhältnisse hierdurch verletzt, daß nun doch der ganze sächsische Name sich gegen Karl erhob; die Empörung, die der König hatte vermeiden wollen, rief er damit vielmehr hervor. Aber auch diesmal ermannten sich die Sachsen nicht zu einem Angriff, wie einst die Cherusker – die übrigens ihre Altvordern nicht waren –, sie erwarteten abermals die Ankunft des Kriegsheeres Karls in ihrem Lande, und dem waren sie nicht gewachsen ...

Karl nahm seinen Aufenthalt im Winter 784/5 in Eresburg und hielt von da aus die widerspenstigen Sachsen durch stete Angriffe in Atem. Dann berief er eine Reichsversammlung in Paderborn. Die mosellanischen Annalen geben an, daß auch Sachsen an der Versammlung teilnahmen. Nach gepflogener Beratung wurden die strengsten Verordnungen zur Erhaltung der Kirche getroffen. Es ist ein schmerzlicher Anblick, den Stamm, der seine Unabhängigkeit und seine Religion verteidigte, immer aufs neue überwunden zu sehen. Aber die Sachsen unterlagen einer Macht, welche die Sache der Religion und der mit ihr verbundenen allgemeinen Kultur nach allen anderen Seiten hin, auch der moslimischen, verteidigte, – einer allgemeinen politischen und kirchlichen Notwendigkeit. Karl war der Vollstrecker der Weltgeschichte ...

Der Gedanke, daß man in den Sachsen Anbeter der Dämonen verfolge, tritt vor allem in der Taufformel hervor, die ihnen vorgeschrieben wurde.

Wie einst bei der Taufe Chlodwigs die Franken, so sagten sich jetzt die Sachsen von dem Satan los, von ihren alten Göttern, den Werkzeugen desselben, Wodan, Donar, sowie den übrigen Unholden, die ihre Genossen seien, und schlossen sich dem Bekenntnis der Dreieinigkeit an, wie es jetzt in der germanischen und romanischen Welt überhaupt herrschte. Der Frankenkönig hatte die Freude, auch den gefährlichsten Verfechter des Heidentums zu diesem Bekenntnis herüberzuziehen. Widukind und dessen Freund Abbio kamen zu ihm, wie er ausdrücklich gefordert hatte, nach Francien, nicht jedoch, ohne daß ihnen Geiseln gestellt wurden, welche ihre Sicherheit verbürgten. Der König empfing sie selbst und ihr zahlreiches Gefolge in seiner Villa Attigny, wo sie dann in der vorgeschriebenen Form getauft worden sind. Karl selbst war der vornehmste der Taufzeugen.

*

Die Züge des Kaisers gegen die Sachsen erschienen nicht eigentlich als Eroberungskriege, sie wurden durch die vorangegangenen Versprechungen und die enge Verbindung des Kaisers mit dem Papsttum gerechtfertigt. Er kam in den Fall, die grausamsten Strafen über seine kirchlichen und politischen Gegner zu verhängen.

Auch hierbei wurde er immer von einer Faktion, die ihm anhing, gegen eine andere, die ihm widerstrebte, unterstützt. Aber man weiß, Faktionen sind kaum jemals zu überwinden. Auch nach erfolgter Entscheidung der Waffen erhob sich der lokale Widerstand aufs neue. Karl der Große meinte das Land nur durch Wegführung seiner unversöhnlichen Gegner beruhigen zu können. Mit den Unterworfenen trat er dann in ein friedliches Verhältnis. Diese Kämpfe zweiter Hand bilden mehr einen Teil der deutschen und norddeutschen Geschichte als der allgemeinen. Von universaler Bedeutung aber sind die Bestimmungen, auf deren Grund der Friede nicht etwa in aller Form geschlossen worden, aber doch zustande gekommen ist. Die wesentlichste ist ohne Zweifel die Unterwerfung unter die kirchlichen Institutionen mit Einschluß der Zahlung des Zehnten, die doch den Neubekehrten sehr beschwerlich fiel. Alle die, welche sich anschlossen, sollten von anderen Lasten frei sein. Es lag doch eine gewisse Konzession darin, wenn von einem Tribut, wie ein solcher jahrhundertelang bestanden hatte, Abstand genommen wurde. Jede Unterscheidung sollte aufhören; die Sachsen sollten den Franken gleichgeachtet werden und mit ihnen zusammen ein Volk bilden. Auch diese Bestimmungen fanden noch immer Widerspruch. Der angebliche Friede war zugleich eine Kriegserklärung für die, welche ihn nicht annahmen, die dann dafür mit den äußersten Strafen heimgesucht wurden. Wenn ich nicht irre, hat dabei auch eine Rücksicht auf die auswärtigen Verhältnisse mitgewirkt, welche die Herstellung der Ruhe im Reiche notwendig machte. Aber im allgemeinen behielt der Gedanke der Vereinbarung die Oberhand. So fand nach so langen, hartnäckigen, blutigen Kämpfen doch zuletzt eine Accession der Oberhäupter und des mit ihnen einverstandenen sächsischen Volkes zu dem Frankenreiche statt. Von den Stammesunterschieden sollte, zumal sich alle zu derselben Kirche bekannten, nicht mehr die Rede sein.

König und Papst

Das Kaisertum, welches die Präsumption hatte, die oberste Gewalt in der Welt zu besitzen, war damals unfähiger als je, diesen Anspruch zu behaupten. Auch den Occident, von dem es doch ausgegangen war, und seinen Einfluß auf den römischen Stuhl hatte es verloren. Ein absoluter Gegensatz gegen das, was im Abendlande vorging, lag darin, daß sich, was noch niemals vorgekommen war, eine leidenschaftliche Frau in den Besitz der höchsten Autorität gesetzt hatte. Nicht gerade daher ist der Übergang der imperatorischen Gewalt an das fränkische Großkönigtum entsprungen, aber es traten Umstände ein, welche denselben unmittelbar herbeiführten.

Papst Leo III., der Nachfolger Hadrians, ist den römischen Nachrichten zufolge durch ein Zusammenwirken des römischen Volkes und der Großen gewählt worden; von einer Anfrage an den Kaiser von Konstantinopel vor der Konsekration wird nichts gemeldet. Seine erste Handlung war, dem alten Chronisten zufolge, daß er dem König Karl die Schlüssel der Confessio Petri und die Fahne der Stadt Rom zusandte. Alles schien also beim alten bleiben und auf dem eingeschlagenen Wege fortgehen zu sollen. In dem Antwortschreiben drückt König Karl den Wunsch aus, das Verständnis, in dem er zu dem Vorgänger gestanden, mit dem Nachfolger fortzusetzen; er will immer Verteidiger der römischen Kirche sein. Gleich in diesem Briefe kommen jedoch Andeutungen vor, welche nicht eben ein großes Vertrauen auf den Papst beweisen; der König ermahnt ihn, den kanonischen Satzungen und dem Vorbild seines Vorgängers zu folgen, wenn er Gehorsam finden wolle wie dieser; eindringend läßt er ihn besonders vor dem Verbrechen der Simonie warnen. Das Verhältnis ist fast das Gegenteil von dem, was man erwarten sollte: moralische Anmahnungen werden nicht von dem Papst an den König, sondern von dem König an den Papst gerichtet. Besonders bemerkenswert ist die Idee, welche Karl über die beiden Gewalten ausspricht, »Uns«, sagt der König, »liegt es ob, die katholische Kirche mit den Waffen nach außen zu verteidigen; Euch aber, Heiliger Vater, mit gen Himmel erhobenen Händen uns in unserm Dienst zu unterstützen.« Der König behält sich die Herrschaft in den praktischen Geschäften vor, in dem Papst sieht er den Repräsentanten der Kirche, den Hohenpriester, der durch seine Gebete die Unternehmungen des Königs, zu denen dieser ja selbst im Interesse des Glaubens schreitet, unterstützt. Man weiß, daß dieses Schreiben von Alkuin verfaßt worden ist, und darf voraussetzen, daß die Gesinnung der Umgebung des Königs sich darin ausspricht ...

Im Jahre 799 stellte es sich heraus, daß die Gewalt Leos III. keinen festen Boden unter sich habe; denn die alten Einwilligungen der Kaiser in die Wahlen hatten den Oberhäuptern der Kirche doch auch wieder eine Unterstützung gegeben. Ohne dieselben war der Papst seiner Römer nicht recht sicher. Die Familie des Vorgängers, dessen Würde und Stellung in Rom ihr Vorteil verschafft hatte, konnte es nicht verschmerzen, derselben verlustig gegangen zu sein. Was es mit den Vergehungen, die sie dem Papste schuld gab, auf sich hatte, erhellt nicht mit der Deutlichkeit, die man wünschen sollte. Die Tatsache ist die Beschuldigung selbst, welche mit der größten Zuversicht gemacht wurde, so daß man sich auf Grund derselben Leos zu entledigen dachte. Bei einer feierlichen Prozession wurde der Papst von Bewaffneten überfallen und das Volk, das um ihn war, auseinandergesprengt. Führer des Überfalles waren die Nepoten des vorigen Papstes. Sie mißhandelten Leo selbst körperlich, verletzten ihn an Augen und Zunge und brachten ihn in das Kloster St. Erasmus in eine Art von Gewahrsam.

Aber der Papst hatte auch hochstehende Anhänger, welche es wahrscheinlich hinderten, daß die ihm zugedachten Mißhandlungen zur Ausführung kamen und welche ihn aus dem Kloster nach St. Peter retteten; was die einen als Wunder betrachteten, schreiben die anderen der Menschlichkeit der Schergen zu. Auch dahin verfolgen ihn seine Feinde, sie erschienen bereits auf dem Petersplatz, als eine tapfere Schar fränkischer Herkunft unter dem Herzog von Spoleto noch zu rechter Zeit eintraf, um den gemißhandelten Papst nach Spoleto abzuführen, von wo er dann seine Zuflucht in das Frankenreich nahm.

Hier wurde er von dem König und seinen Franken mit der gewohnten Verehrung empfangen. Auch die Gegner Leos aber wandten sich an den König. Sie trugen demselben ihre Beschwerden über ihn vor, – sie beschuldigten ihn des Meineides, und wenn sie auch niemand von der Wahrheit dieser Beschuldigungen überzeugten, so schien es doch untunlich, einen mit so schweren Anklagen Belasteten in Schutz zu nehmen oder gar nach Rom zurückzuführen. Die Erwägungen, die man dabei pflog, erhellen besonders aus einem Briefe Alkuins, der von Karl zur Erörterung dieser Angelegenheiten herbeigezogen war, an den ebenfalls mit denselben besonders beschäftigten Erzbischof Arno von Salzburg. Man stellte sich die Frage, ob der Papst durch gerichtliches Verfahren und schwere Eidesleistung sich von dem ihm schuld gegebenen Verbrechen reinigen oder ob man zugeben solle (denn darauf schienen die Absichten seiner Feinde gerichtet zu sein), daß er das Papsttum niederlege und in ein Kloster gehe. Alkuin erklärt sich gegen das eine und das andere. Das erste habe die größten Schwierigkeiten in sich, und ein altes Kirchengesetz verbiete ja überhaupt, den Papst, der jedermann zu richten habe, selbst vor Gericht zu stellen. Das andere aber, die gezwungene Abdankung, würde die ganze Kirche verletzen: denn welcher kirchliche Würdenträger könne sich noch sicher fühlen, wenn das Oberhaupt aller gewaltsam von seinem Stuhle entfernt werde. Die Kirche stehe und falle mit dem Papst, Alkuin ist überzeugt, der eine und die andere werde stehenbleiben, Gott werde Mittel finden, sie zu retten. In diesem Sinne sprach sich Alkuin auch gegen Karl selbst aus. Sein Schreiben an den König ist in der vertraulichen Form abgefaßt, welche die gelehrte Hofgesellschaft an die Hand gab. Alkuin faßt darin die politischen Verhältnisse im großen und allgemeinen ins Auge. Von den islamitischen Völkern überhaupt absehend, gleich als existierten sie nicht, urteilt er, es gebe drei Potenzen auf Erden: den Kaiser, den Papst und den großen König. Den beiden ersten sei Gewalt angetan worden. Der Kaiser im neuen Rom [Byzanz] sei abgesetzt, der Papst im alten Rom mißhandelt worden. Aber beide ersetze der König, der nicht allein besser regiere, sondern auch an persönlicher Würde erhabener sei.

Karl zog nach Rom und setzte nach einer Untersuchung Papst Leo in seine Würde wieder ein (800).

Von dem Papste und seiner Umgebung ist nun der Gedanke gefaßt worden, den fränkischen König selbst zum Imperator zu erheben, wodurch er eine oberstrichterliche Autorität über Rom empfing. Soviel wir wissen, war der Kaiser nicht ohne alle Kenntnis dieser Absichten. Wenn der Schritt, den man vorhatte, dadurch begründet wurde, weil Karl in allen den Metropolen herrsche, welche früher Sitze des Reiches gewesen seien, in Italien, Gallien und selbst in Germanien, so war dies dasselbe Argument, durch welches Papst Zacharias die Übertragung der Königskrone auf Pippin motiviert hatte. Es mußte auch auf Karl selbst Eindruck machen. Der Autorität, wie er sie schon besaß, sollte nur der Name hinzugefügt werden. In der glaubwürdigsten und verständlichsten Nachricht werden wir versichert, daß ihm hierüber Vortrag gehalten ist und der König unter diesen Umständen das Ansinnen wenigstens nicht ablehnte. Abgesehen von einer positiven Einwilligung des Königs war alles zu dem Akte vorbereitet, der sich bei der Feier des Weihnachtsfestes im Jahre 800 in der Basilika des heiligen Petrus vollzog. Die geistlich-weltliche Versammlung, welche den Reinigungseid des Papstes entgegengenommen hatte, war wieder vereinigt, der König der Franken wohnte dem Hochamt bei, er kniete vor der Konfession St. Peter. Als er nun von seinem Sitze aufstand, erhob sich auch der Papst und setzte dem König eine prächtige Krone aufs Haupt. Die Umstehenden und auch das Volk begrüßten den fränkischen König mit dem Rufe: Karl, dem allerfrömmsten Augustus, dem von Gott gekrönten, großen, friedebringenden Imperator, Leben und Sieg. Ohne Zweifel war man über die Formel übereingekommen, dreimal wurde sie vor der Confessio wiederholt. Karl soll gesagt haben, hätte er das gewußt, so würde er bei der Messe nicht erschienen sein. Kaum kann man sich der Ansicht erwehren, daß der Akt eine andere, mehr weltliche Gestalt gehabt haben würde, wenn man im voraus mit ihm selbst davon gesprochen hätte. Unerwartet war ihm nur das Verfahren des Papstes in diesem Moment der Andacht. Den römischen Nachrichten zufolge entschloß sich dann der Papst zu einer Salbung des Kaisers. Die deutschen Nachrichten erwähnen nur, was von politischer Bedeutung ist, daß der Papst durch die Adoration ihm die Huldigung leistete, welche die höchste Geistlichkeit dem Kaiser darzubringen gewohnt war. Das wird sich wohl beides verbinden. Nicht ohne bestimmte, auf den Moment gerichtete Absicht war die Handlung ins Werk gesetzt worden, dieser entsprach nun der Kaiser. Die Schuldigen mußten sich vor ihm stellen. Nach einer Untersuchung, die nicht als ein Gerichtsverfahren betrachtet werden sollte, sondern nur dem neuen Verhältnis gemäß war, nach »dem Gesetz der Römer« sprach der Kaiser die Sentenz aus, welche die Angeklagten als Majestätsverbrecher zum Tode verdammte. Die Idee des Majestätsverbrechens, zwar von populärem Ursprung, aber immer die entscheidende Waffe in der Hand der Kaiser, wurde auch bei dem ersten Akte angerufen, welchen der neue Imperator ausübte. Der Inhaber der kirchlichen Autorität aber konnte diesen Spruch der weltlichen nicht wohl vollstrecken lassen; auf seine Bitten wurde die Todesstrafe in Verbannung verwandelt. Alles hängt in dieser Reihe der Vorfälle genau zusammen. Ein Gericht konnte nicht stattfinden, weil der Papst keinem Gericht unterworfen werden durfte; die geistlich-weltliche Versammlung, die sich wohl als Gerichtshof hätte konstituieren können, begnügte sich mit dem freiwilligen Reinigungseide des Papstes. Infolge dieses Aktes konnten jedoch seine Feinde, die Ankläger, noch nicht als Verbrecher angesehen werden. Sollten sie nicht unbestraft bleiben, so mußte eine höhere, die imperatorische Macht das verfügen. Vor allem dazu nun wurde eine solche auf Karl übertragen, der sie dann auch nach römischem Gesetz anwandte und die Schuldigen verurteilte. Unter den Gewalten des Kaisertums trat zuerst die autonome Jurisdiktion desselben in volle Tätigkeit. Wenn aber diese Eigenschaft des alten Kaisertums bei der Wiederherstellung desselben im damaligen Rom maßgebend gewesen ist, so wird doch niemand meinen, daß sie innerhalb dieser Kreise sich zu halten bestimmt war.

Es ergänzt sich wechselweise, daß der Papst als keinem Gericht unterworfen, also seine volle Souveränität anerkannt, zugleich aber in dem neuen Kaisertum eine Macht geschaffen ward, mit welcher die höchste jurisdiktionelle Autorität verbunden war; der Papst selbst bietet die Hand dazu. Dies Auftreten der beiden Gewalten mit dem Anspruch beiderseitiger Unabhängigkeit ist ein großes politisches Ereignis, es konstituiert ein Hauptmoment der Geschichte des Abendlandes überhaupt. Man hat später die Ansprüche der weltbeherrschenden Päpste damit erklären wollen, daß sie ja die oberste Gewalt, das Kaisertum, auf Karl übertragen hätten. In der Tat aber bestand das Königtum bereits als die erste Autorität im Abendlande, sie nahm das Papsttum in ihren Schutz, das Kaisertum war faktisch mehr eine Annexion an das Königtum. Aber in der Idee war es doch wieder eine andere Autorität von unbegrenztem Umfang, die dem König dadurch zuwuchs. Man kann da wohl von Zufälligkeiten, die auch andere hätten sein können, abstrahieren. Die Entscheidung entsprang mit innerer Folgerichtigkeit aus dem Konflikt der drei Mächte, welche Alkuin bezeichnet hatte. In dem Moment, in welchem das [oströmische] Kaisertum null und nichtig war, vereinigten sich das Papsttum und das Königtum, um ihre gegenseitige Unabhängigkeit zu garantieren. Schon oft war von der Aufrichtung eines occidentalischen Reiches neben dem orientalischen die Rede gewesen, andeutungsweise schon zwischen Antonius und Augustus, dann später in dem Bruderkampfe der Söhne des Septimius Severus, hierauf bei den Verabredungen zwischen Valentinian I. und Valens, immer aus Gründen, die in der Verschiedenartigkeit der Gebiete lagen. Unter der Herrschaft des theodosianischen Hauses war ein Versuch dazu gemacht worden, ein Hof zu Ravenna entstand neben dem Hofe von Konstantinopel. Der Anlaß zu diesen Entwürfen und Versuchen lag immer in der Doppelseitigkeit der Anstrengungen, die zur Erhaltung des Reiches im Orient und Occident gemacht werden mußten. Gerade diese Notwendigkeit aber verhinderte auch die Ausführung des Gedankens. Im Orient konnte das römische Reich der Kräfte des Occidents, im Occident die eingreifende Autorität des Hofes von Konstantinopel nicht entbehren. Jetzt aber war dies Weltverhältnis von Grund aus verändert. In der exklusiv-griechischen Gestaltung, dem sogenannten Byzantinismus, welchen der Hof von Konstantinopel eingenommen hatte, war er überhaupt unfähig, im Occident einzugreifen. Die lateinische und die griechische Welt, jede für sich selbst entwickelt, schieden sich voneinander. Es konnte geschehen, daß das Papsttum in Rom, das sich schon von jeder Einwirkung von Konstantinopel losgerissen hatte, in eine Verbindung mit dem im Occident emporgekommenen fränkischen Königtum trat, bei welcher von den Beziehungen zu Byzanz nicht mehr die Rede war. Diese Koalition war nun zu einer kirchlich-weltlichen Macht erwachsen, welche fremde Einwirkung überhaupt nicht zuließ, so daß die Idee des occidentalischen Imperiums realisiert werden konnte. Daß dem Papsttum an sich ein Recht innegewohnt hätte, das Imperium von Konstantinopel an den Frankenkönig zu übertragen, dürfte doch niemand behaupten. Es war eine Sache nicht der Willkür, sondern der Notwendigkeit, in der Verflechtung der großen Angelegenheiten begründet: denn eine einheitsvolle Gestaltung des Occidents, welche den König und den Palast in sich begriff, war nun einmal das allgemeine Bedürfnis. Der König hatte dieselbe zuerst in kirchlicher Hinsicht zur Geltung gebracht, der Papst fügte den politischen Akt hinzu, daß er ohne alle Rücksicht auf das Herkommen den König zum Imperator krönte. Das Abendland bildete ein Gemeinwesen für sich, welches ebensowohl der geistlichen wie der weltlichen Unabhängigkeit bedurfte. Die Übertragung des imperatorischen Namens von der einen, die Annahme desselben von der anderen Seite war doch, wie groß auch die Neuerung sein mochte, die darin lag, zugleich nur eine Bestätigung des schon Geschehenen. Es war die Vollendung einer neuen Macht, die sich eben im Abendland konsolidierte. Papst Leo hat nicht etwa das abendländische Kaisertum gegründet, er hat es nur anerkannt, indem er sich unter seinen Schutz stellte, und ihm seinen Namen gegeben. Vergegenwärtigen wir uns nun die Zustände des Reiches, das jetzt mit verdoppeltem Anspruch auftrat, im Innern, hauptsächlich aber sein Verhältnis nach außen.

Kulturelle Tätigkeit

Bei seinem zweiten Aufenthalt in Rom im Jahre 781 trat Karl mit den Trägern der Gelehrsamkeit, welche den allgemeinen Umsturz überdauert hatten, in unmittelbare Verbindung. Es war damals, daß er den Geschichtschreiber der Langobarden, Paulus Diaconus, an sich zog und nach Metz schickte, um die Grabstätten des königlichen Hauses mit Epitaphien auszuschmücken, die den in Italien aufbehaltenen entsprachen. Ein wohlbewanderter Grammatiker, des Namens Petrus aus Pisa, folgte dem Hofe als Lehrmeister in den gelehrten Sprachen. An sich wertlos, hat doch der versifizierte Wettstreit zwischen beiden darin Interesse, daß die poetischen Größen des Altertums, Homer und Virgil, selbst Horaz und Tibull, in Erinnerung kommen. Der König nahm an diesen Studien, die wie eine Spielerei aussehen, aber doch eine Tendenz von allgemeiner Bedeutung in sich schlossen, persönlichen Anteil: denn eben darauf kam es an, die Beziehung zu dem Altertum wieder zu erneuern, was dann über den nächsten Zweck des gelehrten Unterrichts hinaus erhob. Nie ganz anders als dort in jenem isolierten Reiche der Mitte: die Studien gewannen einen universalkulturhistorischen Inhalt, der wieder mit der Weltstellung zusammenhing, welche das Großkönigtum Karls einnahm. Bei weitem der bedeutendste unter den Gelehrten, die Karl herbeizog, war der Angelsachse Alkuin. In der literarischen Gesellschaft des Hofes tritt Alkuin als Flakkus auf, der König erhält den Namen David. Der König von Juda wird gleichsam als Vorbild des Großkönig der Franken betrachtet; er ist von Gott erwählt, er hat nach allen Seiten die Völker gebändigt und ist zugleich der Psalmist Israels. So schwingt Karl das Schwert seiner siegreichen Macht in der Hand und läßt die Posaune des Glaubens erschallen; er ist zugleich Fürst und Lehrmeister, unter dessen Schutze die Christen der Ruhe genießen und allen heidnischen Völkern furchtbar werden. Man kann hier, wenn ich nicht irre, eine zwiefache Einwirkung der Verbindung des Reiches mit der Kirche unterscheiden. Die eine bestand in der Überlieferung des Dienstes und der Doktrin, sie bildet den vornehmsten Gegenstand des Eifers, welcher die Ausbreitung der Religion bezweckte. Nicht so konform war die andere. Ohne auf die Einzelheiten der Studien einzugehen, nimmt man doch wahr, daß dem Altertum, welches der Orthodoxie vorausgegangen und von ihr nicht vollkommen absorbiert worden war, ein geistiger Einfluß gesichert wurde: was dann wieder zu einer Opposition innerhalb des Systems führte. Die Briefe Alkuins an den König sind deswegen lesenswürdig, weil sie über die gewohnten klerikalen Begriffe doch weit hinausgehen. Den Beruf des Königs sieht Alkuin darin, das Schlechte zu verbessern, das Rechte zu behaupten und zu befestigen und das Heilige zu erhöhen. Er bespricht einmal ausführlich, wie die Neubekehrten vorbereitet werden sollen, die Taufe zu empfangen. Er geht von dem Grundsatz aus, die körperliche Abwaschung durch die Taufe würde nichts nützen, wenn nicht der Geist in dem christlichen Glauben vorher unterrichtet worden sei. Der Unterricht müsse besonders die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele hervorheben, an welche alles andere anknüpft. In vielen dieser Briefe findet man kalendarische Erörterungen, bei denen Alkuin auf astronomische Anschauungen zurückkommt, die er unter andern auch aus Plinius geschöpft hat. Er bezeichnet den König Karl als einen Mann, der vor allem Grund und Ursache der Dinge einsehen wolle, als einen Erforscher namentlich in bezug auf die Erscheinungen in der Natur. Er selbst gibt ihm Nachricht von der Eröffnung einer Schule, deren Lehrzyklus eben dem Muster entsprach, das in den angelsächsischen Schulen, namentlich der Yorker, aus welcher Alkuin hervorgegangen war, gegeben war. Wie einst bei der Einführung des Christentums in Germanien, so übten die Angelsachsen auch bei der Begründung der gelehrten Studien nochmals den größten Einfluß aus. Die angelsächsische Kirche, die ja einen Teil der occidentalen überhaupt ausmachte, bildete für die analogen Bestrebungen im fränkischen Reiche das Muster. Die kirchliche Rechtgläubigkeit verband die Völker auf beiden Seiten des Kanals, ohne daß hierbei das Wort des römischen Stuhles durchaus maßgebend gewesen wäre. Mit der angelsächsischen verbündet, trat die fränkische Kirche zur Zeit Karls des Großen sehr selbständig auf, gemäß ihrem eigenen Bedürfnis ...

Verwaltung

Die karolingische Macht war im Gegensatz mit der merowingischen emporgekommen. Der Heerbann, welcher Karl den Großen umgab, bestand aus den Verbündeten seiner Macht und Erhebung. Dem schlossen sich alle Stämme an, welche, durch die Gewalt der Waffen in die Enge getrieben, die Rettung nur darin sahen, daß sie die höhere allgemeine Autorität anerkannten. Niemals hat es ein Reich gegeben, in welchem die Gewalt überlegener Waffen und die Freiwilligkeit der Unterwerfung so enge ineinandergreifen. Die Sachsen nahmen fortan, wie zum Teil schon vorher, an den Heeres- und Reichsversammlungen teil, welche die gesetzgebende Gewalt besaßen. Auf diesen Versammlungen sind die Kapitularien ausgefertigt worden, die die Administration und Rechtsverfassung bestimmten, immer jedoch in Abhängigkeit von dem König. Die Kapitularien sind unschätzbare Dokumente nicht allein des bestehenden Zustandes, sondern der historischen Entwicklung überhaupt. Ihren Inhalt aber auch nur annähernd zu wiederholen, würde zu Diskussionen führen, die in der allgemeinen Geschichte nicht an ihrem Platze wären. Ich will nur ein Moment hervorheben, das in dem historischen Gange der Begebenheiten liegt. Der Natur des aus heterogenen Teilen zusammengesetzten Reiches entsprach es, daß Karl die Rechtsgewohnheiten der Stämme, die sich ihm angeschlossen hatten, zu erhalten bemüht war. In dem Jahre 802, wo er keinen Krieg zu führen hatte, beschäftigte er die Reichsversammlung mit einer Durchsicht aller geistlichen und weltlichen Gesetze. Er unterwarf die Rechtsbücher einer Revision; er suchte die auffallendsten Ungerechtigkeiten zu heben, ihre Widersprüche untereinander abzustellen; aber die alten Gesetzbücher ließ er doch bestehen. Ein allgemeines Recht einführen zu wollen lag ihm ferne. Mit diesem konservativen Element mischten sich aber überall die Erfordernisse der Reichsregierung. Aus diesen ist besonders das Institut der Grafen hervorgegangen. In dem ganzen weiten Gebiete romanischer und germanischer Bevölkerung wurde die höchste Gewalt in bezug auf Recht und Verwaltung von den Grafen ausgeübt, die den König repräsentierten, aber zugleich, da sie den Gerichten vorstanden, mit der ältesten Landesverfassung in unmittelbaren Kontakt gerieten. Die Gerichtsverfassung beruhte eigentlich noch auf den frühesten Gewohnheiten, die Gerichtsstätten dienten zugleich zur Einberufung des Heerbannes, zur Proklamation der Regierungsverfügungen überhaupt. Ursprünglich lag in dem Institut der Grafen das Zugeständnis einer gewissen Selbständigkeit der lokalen Verwaltung. Aber Karl der Große setzte Grafen seiner eigenen Wahl ein, die er auch wieder abberufen konnte, wenn er zuweilen sogar Freigelassene mit der Grafengewalt bekleidet hat, so ist daß doch nur sehr ausnahmsweise geschehen; in der Regel mußten es schon nach einer alten merowingischen Verfügung Eingeborene der verschiedenen Provinzen sein. In Sachsen gründete Karl seine Regierung darauf, daß er die Vornehmsten des Landes, die ja Partei für ihn ergriffen hatten, zu Grafen bestellte, selbst auf Lebenszeit: denn darin besteht ein nicht zu übersehender Zug dieses großen Regenten, daß er die einmal ergriffenen Grundsätze doch nicht hartnäckig festhielt, sondern den Umständen Rechnung trug. Ihm lag alles daran, das System im großen und ganzen zur Geltung zu bringen. Dies aber enthielt nicht allein das Prinzip der Regierung und Verwaltung, sondern auch der Erhaltung des Überkommenen bis auf einen gewissen Grad. Die Gerichtsverfassung bildet einen Teil der fränkischen Verfassung überhaupt. Infolge der Einwanderung hatte das salisch-fränkische Recht bereits in den neustrischen Gebieten die Oberhand erhalten; ebenso auch in Burgund, Aquitanien und Septimanien; das westgotische Recht hat sich da nur ausnahmsweise und in einigen Beziehungen behauptet. Größeren Widerstand leistete das schon ausgebildete langobardische Recht, obgleich in Italien das fränkische Rechtsverfahren sich ebenfalls Bahn machte. In Rom ist es einmal zu einem Zusammenstoß der salischen mit den römischen Rechtsgewohnheiten gekommen. In der Grafengewalt waren noch andere Befugnisse begriffen, welche weit über die Rechtspflege hinausgingen. Der Graf hatte den Frieden zu erhalten, welcher auf der Schutzgewalt des Königs beruhte, er konnte sogar die Acht aussprechen. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, daß die Gauverfassung ein republikanisches Element in sich enthalte; es knüpfte an die uralten, einheimischen Gewohnheiten an. In den Namen der karolingischen Gaue findet sich ein Anklang an die alten unabhängigen Völkerstämme der taciteischen Zeit; Hamaland erinnert an die Chamaven.

Unter Karl dem Großen bestanden noch die Hundertschaften, die Vorsteher des Volkes, die darin erwähnt werden, der Richter, Thunginus, und, wie mir scheint, auch die Rachimburgen gehören dem alten Volksrecht an.

Sie wurden durchaus gewählt; das Recht, das in ihren Urteilen erscheint, ist das alte Volksrecht. Aus den Verordnungen Karls des Großen sieht man, daß er darauf Rücksicht genommen hat, eben indem er es bekämpfte. Unter anderem duldete er nicht, daß man sich wie ehedem bewaffnet versammeln dürfe. Unter ihm hatte der Waffendienst einen anderen Charakter bekommen. Dieser Gegensatz zwischen dem Altherkömmlichen, welches seine Grundlagen in der Freiwilligkeit hat, mit welcher die oberste Gewalt doch zuletzt anerkannt worden war, und dem durch die Waffen auferlegten Gehorsam, ohne welchen die Regierung nicht bestehen konnte, bildet den Charakter der karolingischen Gesetzgebung.

Eigentümlich bezeichnend ist hierfür das Institut der Missi [Königsboten], die in späteren Jahren, eigentlich erst nach der Kaiserkrönung, eingesetzt worden sind: denn die kaiserliche vollendete die Autorität des Herrschers auch über die geistliche Gewalt. In einem Kapitulare vom Jahre 802 lesen wir, der Kaiser habe die verständigsten und einsichtsvollsten Männer seines Reiches aus beiden Ständen um sich versammelt, Leute, welche, wie ein Annalist hinzufügt, keine Geschenke zu nehmen brauchten, um überall Recht und Gerechtigkeit auch gegen die Armen auszuüben. Dies ist der Ursprung der Missi für bestimmte Territorien, so daß sie fast eine Territorialgewalt ausübten. Besonders mächtig erscheinen sie in Sachsen, wo sie die Landesversammlungen zu berufen haben; auch in Italien repräsentieren sie die Reichsgewalt unmittelbar. In zweifelhaften Fällen werden sie an die Reichsversammlung verwiesen. Sie sind besonders wichtig, weil sie auch die geistlichen Geschäfte besorgten und den Kirchen das Ihre erhalten sollen, was ihnen entzogen ist. Das Zusammenwirken von geistlicher und weltlicher Gewalt ist sehr merkwürdig. Die Gaue treffen in der Regel mit den Archidiakonaten zusammen, die Centenen, die Hundertschaften entsprechen den Landkapiteln. In dem großen Gemeinwesen greift in den niederen geistlichen Kreisen alles zusammen; von den höheren, den Erzbischöfen und Bischöfen, ist ebenso gewiß, daß sie der alten Stammesverfassung eher widerstrebten. Auf dem Zusammenwirken der gräflichen und bischöflichen Gewalt, von welcher die eine die andere unterstützen oder auch die Aufsicht über sie führen sollte, beruhte die innere Regierung. Über die hohen Geistlichen übte Karl der Große, wie schon angedeutet, eine leitende Autorität aus, er setzte die höchsten Würdenträger ein und ab. Dabei wurde doch die Unabhängigkeit der Geistlichen nicht gebrochen, die wieder ihr eigenes Oberhaupt hatten. Das gehörte dann ebenfalls zu den Momenten, die dem Reiche einen von der absoluten Monarchie verschiedenen Charakter gaben. Der Fortgang der geistlichen Institute hatte nicht allein auf die geistige Bildung eine günstige Einwirkung, sondern selbst auf den wirtschaftlichen Zustand. Die große Wildnis, welche Germanien seit Cäsars Zeiten bedeckte, mußte erst durchbrochen werden, wozu denn nichts mehr beigetragen hat als die Klöster, die zugleich die Mittelpunkte der literarischen Kultur gebildet haben, die sich seitdem ununterbrochen fortgesetzt hat.

Charakter des Reichs.

Welch eine Fülle von mannigfaltigen Lebenskräften aber umschloß das Reich Karls des Großen. Es war zugleich ein Reich von einheitlichem Charakter und eine Völkergenossenschaft, die nicht ohne Akte der Freiwilligkeit sich dem Kern der höchsten Gewalt angeschlossen hatte. Da ließen sich noch die Elemente erkennen, aus denen es erwachsen war. Das westgotische Reich war wenigstens nicht vollkommen untergegangen, das langobardische bestand noch in seiner vollen Ausdehnung; doch auch da waren noch die ostgotischen Grundlagen zu erkennen, so weit sie sich einst dem römischen Reiche in ihrer Besonderheit opponiert hatten. Die Epoche der römischen Weltherrschaft hatte noch tiefe Nachwirkungen zurückgelassen. Über die beiden Teile hatte der langobardische Einfluß triumphiert, er war jetzt selbst der größeren Macht untertan, aber noch immer lebenskräftig. Ein rechtes Beispiel der selbständigen Bildungsfähigkeit gab das damals zwischen beiden Reichen emporkommende Venedig. Verwandte Bestrebungen regten sich auch in den unteritalienischen Bezirken und wurden, wie die Folge gezeigt hat, auch in allen Munizipien des mittleren und oberen Italiens durch die Verfassung genährt. Der Gegensatz zwischen romanischer und germanischer Volkstümlichkeit trat nach und nach zurück, aber die Elemente der römischen Kultur wurden durch die Rechtsbücher Justinians, deren Wirkung nach außen hin eben hierin liegt, und die Kirche, deren Sprache die lateinische war, mit stets erneuter Kraft repräsentiert. Wir haben bemerkt, daß darin zugleich eine Fortsetzung der Kultur der Alten Welt lag. Wenn in Konstantinopel der Staat, die Kirche, die bewaffnete Macht zusammengriffen, so wirkte diese Verbindung auf die westliche Welt nur als ein Impuls der Kultur zurück. Die kirchlichen Institutionen waren eben dazu angetan, diese Beziehungen zu den Anfängen der Menschengeschichte zu erhalten, in legitimer Folgerichtigkeit, welche in dem Islam abhanden gekommen war. In der Verbindung zwischen Kaisertum und Papsttum lag die Kontinuität der Weltgeschichte. Die feste Überzeugtheit von dem göttlichen Ursprung der Heiligen Schrift gehörte dazu, um die Gemüter mit Hingebung für diese Idee zu erfüllen. Zu dieser Gesamtheit waren auf der einen Seite die Bretonen herbeigezogen worden, d. h. die Reste der keltischen Nationalität, die einst den gesamten Occident beherrscht hatte. Auf der anderen die Germanen. Was die Romanen abgesondert nicht vollbracht hatten, die völlige Überwältigung der Kelten, das führten sie in ihrer Verbindung mit den Germanen durch. Diese Verbindung war nun das vorwaltende Ereignis der ganzen Epoche. Will man sich vergegenwärtigen, was darin lag, so braucht man nur die Gegensätze, die sich später entwickelten, ins Auge zu fassen. Frankreich und Deutschland bildeten ein einziges Ganze, in welchem das germanische Element überwog, ohne doch das romanische zu unterjochen. Es hatte sich in den Majordomaten in Burgund und Neustrien erhalten, die an das Fürstentum von Austrasien übergegangen waren. Das größte Gewicht lag aber doch immer in der Vereinigung der germanischen Völker mit dem neuen Königtum. Das merowingische, das noch selbst auf altgermanischen Traditionen beruhte, wäre dazu nicht fähig gewesen. Es wäre weder der Alemannen noch der Bayern, am allerwenigsten der Sachsen jemals mächtig geworden. Die höchste Gewalt mußte des Stammesverhältnisses, aus dem sie hervorgegangen war, wieder entkleidet werden. Dann konnte in den unteren Kreisen das Stammesgefühl noch immer fortleben, selbst in den Rechtsinstituten. Die germanischen Gaue bestanden, wie die gallischen Civitates, mit dem Anflug der Selbständigkeit, aus dem sie hervorgegangen waren. Die höchste Gewalt aber, die durch Heerbann und Geistlichkeit um den Fürsten her gebildet wurde, repräsentierte sich wieder in den Instituten, welche die Gesamtheit zusammenhielten. Die verschiedenen Nationalitäten nahmen an den Reichstagen teil. Die Einheit des Willens aber gehörte dazu, um sie zu dominieren, die Idee der Kirche, um sie zu vereinigen. Diese Idee volkstümlicher und religiöser Natur erschien als Pflicht und bildete das Prinzip des allgemeinen Systems.

Karls Persönlichkeit.

Einer besonderen Charakteristik bedarf es eigentlich bei Karl dem Großen nicht. Die Geschichte seines persönlichen Lebens liegt in seinen Handlungen, ihrer Aufeinanderfolge, Begründung und Bedeutung. Man darf ihm nicht die Genialität seines Vaters, der neue allumfassende politische Kombinationen begründete, zuschreiben, auch nicht die selbst einem stärkeren Feinde gegenüber allezeit schlagfertige Haltung seines Großvaters; eine Schlacht von Poitiers hat er nicht gewonnen. Aber seine Kriegszüge zeugen von angeborenem strategischen Talent, und in der Durchführung des politischen Systems seines Vaters war er doch Original. Er ließ die Dinge kommen, dann ergriff er den rechten Moment, um seinen Erfolg zu sichern. In der immer gefährdeten Stellung, die er innehatte, bewahrte er eine innere Ruhe, die ihm gestattete, den Blick nach verschiedenen Seiten zu richten, und während er das eine ausführte, das andere vorzubereiten. Alles war bei ihm Überlegung, Folgerichtigkeit, Umfassung; er sorgte dafür, daß alles, was er tat, gerechtfertigt erschien. Karl war der oberste Kriegsherr, der Kirche ergeben, aber nicht dienstbar, er übte das Richteramt in höchster Instanz unerbittlich bis zum Vorwurf des Blutvergießens aus, zugleich leitete er die Administration eines großen Reiches mit durchgreifender Umsicht, – ein heroischer Überwinder, ein Herrscher, der keinen Widerspruch ertrug; dann aber Landesvater. Er hatte Sinn für die Verwaltung im einzelnen. In einem seiner berühmtesten Kapitulare erscheint er als Großgrundbesitzer, alle Zweige der Landwirtschaft umfaßte er mit eingehender Sorgfalt, den Gesichtspunkten gemäß, in denen er lebte. Ein echter Germane, der den Landbesitz mit dem Imperium in Verbindung brachte. Es gibt eine angeborene Gabe, zu herrschen und zu regieren; Karl besaß sie wie selten ein anderer Gewalthaber. In allem, was er tat, nimmt man den Impuls der Gegenwart wahr, zugleich die Konservation des Vergangenen und einen allgemeinen Überblick, der in die Zukunft reicht.

Ein rechtes Denkmal für ihn ist der Münster zu Aachen, der eben in den Zeiten gebaut worden ist, als sich sein Großkönigtum in ein Kaisertum verwandelte. Eine Nachbildung byzantinisch-italienischer Bauten, doch von einem einheimischen Meister, Odo, ausgeführt, zugleich Schloßkapelle und Grabmonument. Man wird darin an die Hagia Sophia erinnert, glaubt aber auf der anderen Seite die architektonischen Motive, die zur Errichtung späterer Dome geführt haben, zu erkennen.

Die dominierende Gewalt, die Karl besaß und ausübte, hinderte ihn nicht, nach allen Zeiten hin Auge und Sinn offenzuhalten. Indem er an die Stelle der römischen Imperatoren trat, nahm er die Reste der alten Literatur mit naiver Wißbegierde unter seine Protektion. Indem er das Stammeswesen in Germanien zerstörte, behielt er doch Sinn für die germanische Poesie; er betete nach dem Kirchenritus in lateinischer, zugleich aber auch in seines Herzens Inbrunst in deutscher Sprache. Er konnte sich mit dem kaiserlichen Purpur schmücken, aber er zog doch die fränkische Tracht jeder anderen vor. Bei seinen kriegerischen Unternehmungen vergaß er doch seiner Häuslichkeit nicht. Wir gedenken eines Kriegsberichtes an seine zweite Gemahlin, beim Tode seiner ersten fielen ihm schwere Tränen zwischen Schild und Schwert herab. Er hat sich ihrem Einfluß nicht ganz entzogen. Hildegarde, die Schwäbin, verwendete sich immer zugunsten der milderen, die Frankin Fastrada für die härteren Maßregeln. Seine dritte Gemahlin, Liutgarde, die er nur ein paar Jahre besaß, wird hauptsächlich wegen ihrer religiösen Gesinnung gerühmt. Dem Kaiser sind mehrere natürliche Kinder geboren worden, die zum Teil noch jung waren, als er starb. Er empfahl sie der Fürsorge seines Nachfolgers Ludwig.

In den späteren Jahren seines Lebens hielt er sich am meisten in Aachen auf. Nicht allein durch die zentralgeographische Lage, sondern auch durch die warmen Bäder und die Nachbarschaft großer Jagdbezirke wurde er an diese Örtlichkeit gefesselt, von aller Welt wurde er daselbst aufgesucht, was denn die Jahrbücher fleißig verzeichnen. Er liebte es, Fremde bei sich zu sehen, und versammelte wohl zuweilen die eingetroffenen zu großen Gastgeboten, in der Regel aber beschränkte er sich auf seine häuslichen Umgebungen. Man sah ihn, seine Söhne zur Seite, zur Jagd ausreiten. Hinter ihnen folgten die Töchter, die er nicht verheiraten mochte. Man sagt, er habe sich nicht von ihnen trennen wollen, was ja sehr begreiflich wäre. Aber es gab auch niemand, mit dem er sie hätte vermählen können, ohne Ansprüche zu erwecken, die ihm unerträglich waren.

Er war vertraulich mit jedermann, einfach, unschwer zu gewinnen und zuverlässig in der einmal gefaßten Gesinnung, wie sich denken läßt der Gegenstand der allgemeinen Verehrung, eine hohe Gestalt von starkem Gliederbau, dem nur der Klang seiner Stimme nicht vollkommen entsprach. Er erschien ehrwürdig in seinem greisen Haupthaar, mochte er stehen oder sitzen.


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