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Vierzehntes Kapitel

Nach der Besiegung Napoleons.

In dem Kampfe mit Napoleon hatten die europäischen Mächte jede ihre besondere Stellung genommen. Da wurde Norwegen von Schweden gewonnen, die Zurückgabe Hannovers an den König von England festgesetzt, die Unabhängigkeit der Niederlande eingeleitet; Österreich breitete seine Herrschaft über Italien aus. Die vornehmste der unentschiedenen Fragen betraf das Verhältnis Rußlands zu Polen und den durch Verträge gesicherten Anspruch Preußens, zu einer seiner Macht von 1805 entsprechenden Vergrößerung zu gelangen. Denn auf das engste hingen beide Momente zusammen; es war die erste Idee, welche Alexander in der Unterredung mit Boyen ausgesprochen hatte, daß Preußen nicht geradezu in den alten Besitz wiederhergestellt werden, aber eine der früheren gleichbedeutende Machtstellung erlangen solle. Die Zusage war bei der Kapitulation von Tauroggen wiederholt und bei der Allianz von Kalisch [28. Febr. 1813] festgehalten worden. Die polnisch-preußischen Provinzen behielt Alexander seiner weiteren Verfügung vor und stellte dagegen gleich im ersten Augenblick für Preußen die Erwerbung von Sachsen in Aussicht. Dabei blieb es nun um so mehr, da der König von Sachsen an dem Kriege gegen Napoleon nicht allein nicht Anteil genommen, sondern sich auf dessen Seite gestellt hatte und in der entscheidenden Schlacht von Leipzig mitten in der Stadt zum Gefangenen gemacht wurde, während ein Teil der sächsischen Truppen zu den Verbündeten überging. Im Laufe der kriegerischen Ereignisse glaubte man ein Recht der Verfügung über diese Länder durch die Gewalt der Waffen erworben zu haben, so gut wie über die anderen, dem französischen Imperator abgerungenen Gebiete. Die Sache hatte nun aber zwei sehr verschiedene Seiten.

Als im Spätjahr 1814 die Fürsten und die Diplomaten in Wien zu jenem Kongreß zusammenkamen, welcher die allgemeinen Angelegenheiten durch gemeinsame Übereinkunft regeln sollte, trat vor allem anderen die Besorgnis vor dem Umsichgreifen Rußlands zutage. Kaiser Alexander gab die Absicht zu erkennen, Polen mit Rußland zu vereinigen, wie Ungarn mit Österreich vereinigt sei, und nahm Grenzen für sich in Anspruch, die mit ihren einspringenden Winkeln die Sicherheit Österreichs sowohl wie Preußens gefährdeten. Die Herstellung des Königreichs Polen schien überdies dahin führen zu müssen, daß auch die für Österreich und Preußen vorbehaltenen polnischen Landesteile durch die Idee der Nationalität, die in dem Königreiche repräsentiert sein würde, diesen Staaten wieder entfremdet werden möchten. Man sah in der Stellung, welche Rußland nahm, eine Gefährdung des europäischen Gleichgewichtes, was besonders in England Mißbehagen erweckte: denn dazu hatte man ja die Waffen in die Hand genommen, um die gegenseitige Unabhängigkeit der europäischen Staaten zu sichern; diese Idee aber, die soeben in Frankreich triumphiert hatte, wäre nun wieder von Rußland in Frage gestellt worden. In England machte man die Reflexion, daß, wenn Preußen ansehnlich vergrößert werde, nicht aber zugleich eine sichere Grenze gegen Rußland erlange, also von Rußland abhängig bleibe, das allgemeine Staatenverhältnis vollkommen unhaltbar werden würde.

In der Natur der Verhältnisse lag, daß Österreich seiner vor und bei dem Kriege beobachteten Politik gemäß den Einwendungen Englands hiergegen beitrat; es verlangte eine volle Sicherheit seiner polnischen Provinzen und seiner Grenze Rußland gegenüber.

In den ersten Wochen der großen Zusammenkunft suchten nun die beiden Mächte Preußen für sich zu gewinnen, um es zu einer gemeinschaftlichen Opposition gegen Rußland zu vermögen, für die sich insofern vieles sagen ließ, als auch für Preußen eine sichere Grenze nach Osten hin unbedingt notwendig war. Auch seinerseits wollte es die polnischen Gebiete, die ihm noch übrigblieben, nicht unter den Einfluß des neuen Königreichs Polen geraten lassen. Es ist deshalb sehr erklärlich, wenn Preußen den Kundgebungen der beiden anderen Mächte gegen die russischen Pläne beistimmte. Man meinte, auf den russischen Kaiser durch die Vorstellung, daß er mit seiner eigenen Idee über die Unabhängigkeit aller in Widerspruch geraten werde, Eindruck zu machen. Aber um dieser Streitfrage willen mit Rußland zu brechen, dachte man doch vom ersten Augenblick an in Preußen nicht: denn es leuchtete sofort ein, daß die beiden anderen Mächte auf Frankreich rekurrieren würden, welches auch unter der wiederhergestellten bourbonischen Dynastie eine starke Stellung im Sinne des alten Königtums einzunehmen trachtete.

Die Opposition gegen Rußland gewann einen eigentümlichen Charakter dadurch, daß der Minister des royalistischen Frankreich, Talleyrand, sich an die Spitze derselben zu sehen suchte. Er hat dem Kaiser Alexander geradezu gesagt: er dürfe nichts weiter behalten, als was ihm von Rechts wegen zukomme; der Kaiser antwortete: die Konvenienz von Europa bilde das Recht; er werde behalten, was er habe, und es lieber zu einem Kriege kommen lassen, als es aufgeben. Einem preußischen Gesandten hat er gesagt, er habe 700 000 Mann in Kriegsbereitschaft und werde seine Stellung zu behaupten wissen. Ein Augenblick trat ein, in welchem wirklich ein Krieg von Frankreich, England und Österreich gegen Rußland bevorzustehen schien. Dazu aber konnte man in England den Entschluß nicht fassen. Man hat dort auf die dahin zielenden Zumutungen geantwortet: bei einem solchen Kriege würden Holland und Flandern doch wieder der Obhut der Franzosen anvertraut werden müssen, denen man dieselben vor kurzem entrissen habe. Noch weniger konnte Preußen darauf eingehen: denn die soeben besiegte napoleonische Armee, die aber noch bestand, würde unter den königlichen Fahnen wieder im Felde erscheinen und zu einem neuen militärischen Ansehen, das für Preußen unerträglich geworden wäre, gelangt sein. Auch ohne sich in eine solche Gefahr zu stürzen, ließen sich wohl genügende Grenzbestimmungen für Preußen erlangen. Und was die andere Besorgnis anlangt, die Einwirkung der Idee der polnischen Nationalität, die durch die konstitutionelle Verfassung, welche Alexander dem Königreiche zu geben dachte, verstärkt werden würde, so bemerkten Stein und Humboldt, daß darin eine so große Gefahr nicht liege, weil der dadurch unvermeidliche Zwiespalt zwischen Rußland und Polen die Macht des Kaisers wieder beschränke. Dazu kam dann das alte freundschaftliche Verhältnis zwischen Alexander und Friedrich Wilhelm III. Die Franzosen erzählen von einem vertraulichen Mittagsmahl, bei welchem der Kaiser dem König ihre alte Freundschaft in Erinnerung und die Aussicht auf weiteres Verständnis zur Sprache gebracht habe: sie seien beide gleichen Alters; noch lange würden sie Zeugen des Glückes sein können, das ihre Völker ihrer innigen und persönlichen Verbindung zu verdanken hätten. Worte, welche, wenn sie wirklich ausgesprochen worden sind, unwiderstehlich für Friedrich Wilhelm gewesen sein werden. Da nun Preußen nicht dahin zu bringen war, gegen Rußland aufzutreten, so wurde es die Aufgabe Hardenbergs, zwischen Rußland einerseits und Österreich und England andererseits eine Mediation zu versuchen. Dem Kaiser Alexander legte er dar, wie gefährlich es für ihn sei, den Ausbruch eines neuen Krieges zu veranlassen. Stein verband seine Vorstellungen mit denen Hardenbergs. Allmählich zeigte sich der Kaiser, indem er die Hauptsache festhielt, nachgiebiger in dem Minderbedeutenden. Und auch auf Österreich übte Hardenberg eine ähnliche Einwirkung aus; Österreich genehmigte die Errichtung des Königreichs Polen, vorbehaltlich der geforderten Garantien, und bestand hauptsächlich im Namen der beiden deutschen Mächte auf eine Bestimmung der Grenzen, wie sie für ihre eigene Ruhe und Sicherheit erforderlich sei. Am 23. November 1814 hat Hardenberg eine Unterredung mit Kaiser Alexander gehabt, in welcher er ihm sowohl die Konzessionen Österreichs in bezug auf das Königreich als dessen Forderungen in bezug auf die Grenzen vortrug. Die deutschen Mächte hätten die Weichsel und Narew zur Grenze zu bestimmen gewünscht; da dies aber schlechterdings nicht zu erreichen war, so begnügten sie sich, Krakau und Zamosc für Österreich, Thorn für Preußen vorzubehalten; sie verloren nicht aus den Augen, daß ihr Interesse auch gegen Rußland vielfach ein gemeinschaftliches sei. Man kam auf die in den früheren Verhandlungen besonders von Metternich oftmals ausgesprochene Idee zurück: es komme darauf an, Österreich, Preußen und Deutschland so zu konstituieren, daß sie weder von Frankreich noch von Rußland etwas zu fürchten hätten. Gegen Ost und West sollten Preußen und Österreich sich zu einer mitteleuropäischen Macht vereinigen.

Schon aber trat die andere Frage in den Vordergrund, bei welcher Österreich dem Anspruch Preußens, die ihm in den Verträgen vorbehaltene Entschädigung für die polnischen Landschaften in der Reunion Sachsens mit der Monarchie zu suchen, mit aller Entschiedenheit entgegentrat. Hardenberg brachte dafür, von Stein unterstützt, Argumente zum Vorschein, die sich nicht leichthin von der Hand weisen ließen: durch die preußischen Waffen sei den meisten anderen Fürsten eine sichere Stellung zuteil geworden; sollte Preußen allein leer ausgehen? Vom Niemen dehne sich sein Gebiet bis an die Maas aus; irgendwo müsse es eine zentrale Kraft haben, um imstande zu sein, nach allen Seiten hin mit Nachdruck aufzutreten. Das könne aber lediglich durch die Reunion von ganz Sachsen geschehen. Die Aufstellung Preußens am Rhein sei eine Forderung des allgemeinen Wohles; in dem Interesse Preußens würde sie besser aufgegeben, wenn die Monarchie nur sonst zu einer konzentrierten Stellung gelange, wie sie eine solche bis zu dem Jahre 1806 besessen habe. Preußen dürfe dies um so mehr verlangen, da sein Territorium jetzt von fremden Gebieten allenthalben durchbrochen werde. Der vornehmste Gesichtspunkt der beiden Minister ist immer der allgemeine: Alles wird von der Notwendigkeit hergeleitet, den preußischen Staat in eine Lage zu sehen, in welcher er stark genug werde, seinem deutschen und europäischen Berufe zugleich zu genügen. Dem aber setzte Metternich andere Argumente, die von der eigentümlichen Stellung Österreichs und von den inneren Verhältnissen Deutschlands hergenommen waren, entgegen: die Inkorporation Sachsens in den preußischen Staat werde die allgemeine Beunruhigung eher vermehren als vermindern; die deutschen Fürsten würden sich weigern, in den vorgeschlagenen Deutschen Bund einzutreten, wenn die eine der zur Protektion bestimmten Mächte eines der bedeutendsten deutschen Länder sich selbst zueigne; und auf den Fall einer Entzweiung mit Preußen liege für Österreich eine Gefahr darin, den Angriffen dieser Macht nicht allein von Schlesien, sondern von Sachsen her ausgesetzt zu sein. Aus diesen Gründen sprach er aus, daß dem König von Sachsen ein unabhängiges Gebiet und eine politische Existenz gerettet werden müsse. Wenn nun aber Metternich in einer ferneren Konferenz der vier Mächte den Grundsatz aufstellte, daß der König von Sachsen zu jedem Abkommen, welches man treffe, seine Einwilligung geben müsse, so lag darin ein Präjudiz für die ganze Angelegenheit, weil die Einwilligung dieses Fürsten in eine Teilung seines Landes nimmermehr erwartet werden konnte. Schon ließ sich jedoch bemerken, daß England und Österreich nicht ganz einverstanden waren. Wäre der englische Bevollmächtigte Castlereagh dieser Ansicht beigetreten, so würde an kein Abkommen zu denken gewesen sein und man hätte sich vielleicht nochmals zum Kriege anschicken müssen. Aber der englische Minister war hierin nicht der Meinung des österreichischen; er erklärte, sein Auftrag gehe dahin, die Rekonstruktion von Preußen nach den in den Verträgen enthaltenen Bestimmungen zu unterstützen; auf die Beistimmung des Königs von Sachsen komme es dabei nicht an. Einer anderen Behauptung, welche Metternich in jener Konferenz aussprach, daß nämlich die sächsische Frage nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische sei, stimmte dagegen der Lord zu; auch er war für die Herbeiziehung Talleyrands zu der weiteren Beratung.

Zwischen den Bevollmächtigten von England, Frankreich und Österreich hatten schon mancherlei Besprechungen stattgefunden, die hauptsächlich durch die Äußerung Hardenbergs veranlaßt wurden, Preußen werde sein Recht zu wahren wissen, so daß die Meinung sich ausbreitete, zwischen Rußland und Preußen sei bereits eine besondere Allianz zu diesem Zwecke geschlossen worden. Auf eine solche Eventualität war es berechnet, daß die drei anderen Mächte sich verpflichteten, einander mit allen ihren Kräften zu unterstützen, wenn infolge der von ihnen vereinbarten Vorschläge eine von ihnen Feindseligkeiten erfahren sollte.

Der Vertrag hat später, als er bekannt wurde, das größte Aufsehen gemacht. Damals ist er nicht allein geheimgehalten worden, sondern auch ohne Wirkung geblieben; er würde die schwersten Folgen nach sich gezogen haben, wenn England und Österreich einverstanden gewesen wären, die preußischen Ansprüche zurückzuweisen oder den König von Sachsen, wie man gesagt hat, zum Herrn der Frage zu machen. Allein so verhielt es sich nicht. Wenn auch Rußland und Preußen die Zulassung Talleyrands genehmigten, so geschah es doch nur unter der Bedingung, daß Castlereagh die Beistimmung des Königs von Sachsen zu den Festsetzungen, die man treffe, für nicht notwendig erklärte. Erst hierauf (11. Januar 1815) wurde Talleyrand zu der Konferenz gezogen. Entscheidend konnte dann seine Einwirkung nicht mehr werden. Bereits fünf Tage früher hatte Castlereagh dem Kaiser Alexander ausgesprochen, daß England in eine Teilung von Sachsen willige. Wenn er noch darauf rechnete, daß der Kaiser dem Könige von Preußen ein größeres Territorium in den polnischen Provinzen zugestehen würde, worauf denn die Ansprüche Preußens für seine Wiederherstellung geringer geworden wären, so schnitt ihm der Kaiser diese Erwartung ab: denn die polnische Sache sei abgemacht; alles komme darauf an, den König von Preußen zu befriedigen; sobald dies geschehen, sei auch er bereit, zu unterzeichnen.

Wie die Besorgnis vor einem allgemeinen Kriege den Kaiser Alexander veranlaßt hatte, die drohende Stellung aufzugeben, die er in Polen einzunehmen im Begriff war, so trug nun der Wunsch, den Frieden zu erhalten, ebenfalls dazu bei, daß England in eine Teilung von Sachsen, inwieweit sie zur Rekonstruktion Preußens unentbehrlich wurde, ohne Rücksicht auf die Beistimmung des Königs von Sachsen, willigte. Am 9. Januar 1815 gab Castlereagh diese Erklärung zu Protokoll. Hierauf hat auch Metternich seine Bedingung fallen lassen, ohne das doch zu Protokoll geben zu wollen.

Die beiden Hauptfragen waren hierdurch im allgemeinen erledigt, der Friede gesichert, eine neue Einwirkung Frankreichs ausgeschlossen. Wir enthalten uns, die verschiedenen Velleitäten und ihre Anwandlungen zu erörtern. Die Begebenheit entwickelte sich auf der einmal genommenen historischen Grundlage mit innerer Folgerichtigkeit. Die vier Mächte verfuhren eben, wie es ihre Lage und die eingegangenen Verpflichtungen mit sich brachten; um einen Konflikt zu vermeiden, welcher alles in Frage gestellt hätte, war die Auskunft, die man traf, eine gebotene, im ganzen unabänderliche. Noch immer boten die Festsetzungen im einzelnen erhebliche Schwierigkeiten dar. Eine der wichtigsten betraf die Festungen. Hierin ließ endlich auch Metternich das sächsische Interesse fallen; er schlug es Preußen sehr hoch an, daß es hierdurch der gewaltigen Bollwerke an einem der Hauptströme Deutschlands und Europas Meister wurde. Und wer könnte verkennen, wie sehr die militärische Position des Staates, wie er nunmehr wurde, dadurch verstärkt worden ist! Wenn nun aber Preußen für seinen Anteil auch die Stadt Leipzig forderte, so war der österreichische Minister nicht dahin zu bringen, das nachzugeben: denn eine politische Existenz müsse der König von Sachsen behalten; auch ohne Leipzig erlange Preußen durch die Erwerbung gewerbfleißiger Landschaften und einer guten kommerziellen Linie große Vorteile. Hierüber ist nun noch mancherlei verhandelt worden: unter Vermittlung Castlereaghs wurden die Städte Görlitz, Weißenfels, Naumburg zum preußischen Anteil geschlagen. Selbst über die Zahl der den beiderseitigen Gebieten zuzuteilenden Untertanen war man verschiedener Meinung. Zu einem definitiven Abkommen trug der englische Minister durch Nachgiebigkeit in den Territorialbestimmungen für die Niederlande und Hannover wesentlich bei.

Es waren immer die großen politischen Verhältnisse, welche die Sache selbst entschieden und die einzelnen Bestimmungen herbeiführten. Für die Ausführung derselben konnte nun die Beistimmung des Königs von Sachsen nicht mehr maßgebend sein. Es war eben alles politische Übereinkunft: der Verlust, der ihm zugemutet, der Besitzstand, der ihm gesichert wurde. König Friedrich August befand sich damals in Preßburg. Es waren die Bevollmächtigten von Österreich, Frankreich und England, welche bisher auf der Seite von Sachsen gestanden hatten, die nun dem Könige Friedrich August den über die Zukunft seines Landes gefaßten Beschluß ankündigten; sie machten das Aufhören der provisorischen Regierung in den ihm zurückzugebenden Landschaften davon abhängig, daß er die Teilung, wie sie jetzt festgesetzt worden, annehme. Man ging von dem Grundsatz aus, daß dem Sieger in einem gerechten Kampfe zustehe, den besiegten ungerechten Feind zu ferneren Feindseligkeiten unfähig zu machen. Dem Könige von Sachsen wurde gesagt: nicht zwar Preußen, aber die Verbündeten hätten das Recht erworben, über das Land zu verfügen; es sei ihr freier Wille, wenn sie ihm die Hälfte desselben zurückgäben; aber seine Einwilligung sei die Bedingung dieser Zurückgabe.

In diesem Augenblick war Napoleon von Elba zurückgekommen und von dem Jubel der Armee in Frankreich begrüßt worden. Für den König von Sachsen lag darin keine Erleichterung seiner Lage. Mit verdoppeltem Ernst gedrängt und, wenn er zögere, aufs neue mit dem Verlust des Ganzen bedroht, fügte er sich – man kann erachten, unter welchen Gefühlen – in die Teilung des Landes (18. Mai 1815). Sachsen verlor dadurch seine Bedeutung in dem System der europäischen Staaten, – für das Land, dessen Existenz gerettet wurde, kein Unglück, da die Politik des Hofes, besonders die Verbindung desselben mit Polen, ihm eher schädlich als nützlich gewesen war. Die Kombination, die einst von Hardenberg in Kydullen und dann von Kaiser Alexander bei der ersten Wendung der großen Angelegenheiten in Aussicht genommen war, gelangte so weit zur Ausführung, als dies das gegenseitige Verhältnis der Mächte und die Lage der Dinge in Deutschland gestatteten.

Eine nicht viel weniger wichtige Angelegenheit als die Festsetzung seiner eigenen Territorien bildete für Preußen die Entscheidung über die künftige Gestaltung von Deutschland. Unter den mannigfaltigen Schwankungen der Beratung war bei den kleineren deutschen Fürsten nochmals der Gedanke aufgetaucht, das Kaisertum in dem Hause Österreich wiederherzustellen. Dem hat sich damals selbst Stein angeschlossen: denn nur ein Kaiser schien ihm fähig, die Einheit und Sicherheit Deutschlands zu erhalten. Auch Alexander erklärte sich nicht abgeneigt, wenn nur Preußen einwillige. Aber von Anfang an war es eine Grundlage der neuen Verbindung zwischen Preußen und Österreich gewesen, daß Österreich darauf verzichtet hatte, die kaiserliche Würde in dem alten deutschen Reiche wiederherzustellen. Kaiser Franz, der die Unannehmlichkeiten, in welche er als deutscher Kaiser verwickelt worden, in frischem Gedächtnis hatte, blieb immer bei seiner Weigerung. Nicht so unerschütterlich erschien sein erster Minister in dieser Beziehung; und es mag immer zweifelhaft sein, was Österreich geantwortet haben würde, wenn ihm der Antrag gemacht worden wäre. Aber die preußischen Minister waren weit entfernt, demselben beizupflichten. Unter den Gründen, die Humboldt dagegen anführt, ist der einleuchtendste, daß das Kaisertum nicht mit einer dieser Würde entsprechenden Gewalt ausgestattet werden könne; Preußen könne sich einer solchen Autorität nicht unterwerfen, Bayern und Württemberg würden es nicht wollen; die Abhängigkeit der kleineren Fürsten laufe den Ideen entgegen, nach welchen der Pariser Friede geschlossen sei. Hardenberg sagte: er würde in Berlin einen Sturm gegen sich erwecken, wenn er Österreich noch mehr verstärke. Sie waren beide der Meinung, daß ein Bund dem großen Bedürfnis genüge, namentlich wenn Österreich und Preußen zusammenwirkten. Ein Bund werde, so sagte Humboldt, dem Geiste der Nation, der weder unruhig noch aufrührerisch sei, aber vorwärts strebe und die Aufklärung der Zeiten benutzen wolle, am besten entsprechen. Hardenberg hat Stein persönlich ersucht, die Herstellung des Kaisertums in dem Hause Österreich fallen zu lassen, da dasselbe nur Veranlassung zur Eifersucht zwischen Österreich und Preußen geben werde. Auch Wellington, der jetzt bei dem Kongreß eingetroffen war, erklärte sich für den Bund und gegen das Kaisertum, welches jetzt unmöglich sei.

Wir erinnern uns der Entwürfe, welche Hardenberg schon im Jahre 1805 für die Neugestaltung Deutschlands gemacht hatte. Diese gingen eigentlich dahin, den mittleren und kleineren deutschen Fürsten zwar ihren Rang und ihre Besitzungen zu lassen, nicht aber die Prärogative der Souveränität, namentlich nicht in bezug auf Krieg und Frieden; Bewaffnung und Kriegführung sollten schlechterdings den beiden Hauptmächten anheimgegeben sein. In diesen Entwürfen waren jedoch seitdem mancherlei Modifikationen eingetreten, veranlagt hauptsächlich durch die Wiederherstellung Hannovers und die politisch-militärische Stellung, welche sich Bayern errungen hatte. Man durfte nur einen Bund souveräner Fürsten und freier Städte ins Auge fassen, bei dem so wesentliche Beschränkungen, wie sie ursprünglich beabsichtigt wurden, nicht stattfinden konnten. Der vornehmste Gedanke blieb dann immer dahin gerichtet, der unabhängigen Politik der Bundesstaaten Schranken zu ziehen; dieses ist bei der definitiven Feststellung der Bundesakte zuletzt doch erreicht worden. Das alte Recht der Bündnisse, welches die Reichsstände seit dem Westfälischen Frieden besessen hatten, konnte den Bundesstaaten zwar nicht geradezu entrissen werden; aber es ward auf eine Weise bestimmt, welche einen Gebrauch desselben, wie es sich bisher so nachteilig erwiesen hatte, unmöglich machte; sie verpflichteten sich, keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Glieder desselben gerichtet sein könnten.

So kam es nun doch dahin, daß Österreich, der Deutsche Bund und Preußen eine große Bundesgenossenschaft bildeten, die den Frieden von Mitteleuropa sicherte. Sie war weit entfernt, den Wünschen der Nation und ihren Bedürfnissen zu entsprechen; aber es konnte nun eben nicht weitergebracht werden. Es war nicht das Ziel, aber eine Stufe der deutschen Entwicklung. Für Preußen lag ein Fortschritt seiner Macht darin, daß es der Unterordnung, die ihm die alte Reichsverfassung auferlegte, entledigt wurde und ebenbürtig neben Österreich auftrat.

Um die Verhandlungen des Kongresses zu würdigen, muß man die Situation des Momentes erwägen. Als Talleyrand sich nach Wien begab, hatte er eine Verbindung der souveränen Fürsten mit Frankreich zustande zu bringen beabsichtigt; und die Besorgnis, daß es ihm damit gelingen könne, gehört zu den Motiven, den Bundesfürsten keine größeren Beschränkungen aufzuerlegen. Aber dahin führten die Ergebnisse der Beratungen des Kongresses, daß auch die Möglichkeit einer solchen Verbindung ausgeschlossen wurde. Talleyrand hatte ferner kein Hehl daraus gemacht, daß Frankreich die Nachbarschaft von Preußen scheue; gerade diese aber wurde durch die Bestimmungen des Kongresses unwiderruflich festgesetzt. Es war der Gedanke, den William Pitt bei der Koalition von 1805 im Auge gehabt hatte, um eine starke Macht den Franzosen von der deutschen Seite her entgegenzustellen. Die rheinischen Landschaften, welche Preußen erwarb, waren eben solche, die einst von den Franzosen in Besitz genommen, aber infolge des Pariser Friedens zurückgegeben worden waren. Preußen gelangte dadurch zu einer Stellung im Westen, welche dem Staate eine neue politische Richtung anwies, die für die Folgezeit von entscheidender Wichtigkeit geworden ist. In den westfälischen Gebieten, die an Preußen zurückkehrten, trat es in die Stelle wenigstens der mittelbaren Herrschaft von Frankreich. Auch bei den übrigen Entschädigungen, welche Preußen erwarb, ist der deutsche Gedanke maßgebend gewesen. Um das Abkommen über Sachsen möglich zu machen, hatte sich Kaiser Alexander zuletzt doch entschlossen, Thorn an Preußen zu überlassen, was für die Aufrechterhaltung des deutschen Elementes an der Weichsel von vielem Werte war.

Da wurde nun auch der skandinavische Einfluß auf Deutschland möglichst eliminiert. Indem sich Preußen entschloß, Ostfriesland an Hannover aufzugeben, erwarb es dagegen Schwedisch-Pommern, was nicht allein einen Vorteil für den Körper des Staates, wie er damals konstituiert wurde, sondern auch einen unschätzbaren Gewinn für das gesamte Deutschland in sich schloß. Denn diese Landschaft repräsentierte seit mehr als anderthalb Jahrhunderten die Einwirkung Schwedens auf Deutschland, die durch die Verbindung desselben mit Frankreich die schwersten Gefahren herbeigeführt hatte. Der Westfälische Friede, der ein Grundgesetz für Jahrhunderte bildete, war doch nur das Resultat der tiefsten inneren Zerwürfnisse. Der Wiener Kongreß hat das Verdienst, die Festsetzungen dieses Friedens in mehr als einer für die Nation wichtigen Beziehung vernichtet zu haben; er schaffte das Recht der Bündnisse ab und gab Pommern dem deutschen Hause zurück, dem ein uralter und gesetzlicher Anspruch darauf zukam.

Welch eine Aufgabe war es nun aber, alle diese Landschaften von den verschiedensten Einrichtungen, Erinnerungen und Gewohnheiten, die nicht einmal geographisch zusammenschlossen, zu der Einheit eines Staates zu verbinden! Einen Moment dafür bildet die Durchführung der angebahnten Gesetzgebung; auch die Verordnung vom 22. Mai 1815, welche eine allgemeine Staatsverfassung im Zusammenhang mit den bereits vorhandenen oder zu bildenden ständischen Institutionen der verschiedenen Landschaften verhieß, fällt dafür ins Gewicht. Bei dieser Verordnung haben, wie bei so vielen anderen zum Zweck neuer Einrichtungen des Staatswesens, Stein und Hardenberg zusammengewirkt.

Wie oft haben wir Stein zu erwähnen gehabt! Hier am Schlusse dürfen wir wohl nochmals ihr Verhältnis zueinander erwägen. Die Natur liebt es nicht, alle wünschenswerten Eigenschaften in einem Menschen zu vereinigen. Für die Geschichte ist das Gegeneinanderstreben oder das Zusammenwirken von verschiedenen Standpunkten aus nicht selten förderlich gewesen; in diesen beiden Individualitäten erschien Gegensatz und Einverständnis gleich bedeutend. In Stein lebte der Impuls ursprünglicher Gedanken und Gefühle, in Hardenberg mehr Empfänglichkeit für die allgemeinen Tendenzen, welche die Welt beherrschten, die er insofern teilte, als sie seiner eingeborenen Sinnesweise, seinen Studien und seiner Lebenserfahrung entsprachen. Beide begegneten einander in der Opposition gegen die nicht mehr ausreichenden Formen der Staatsverwaltung. Die erste Idee einer Nationalrepräsentation ist ohne Zweifel von Stein gekommen; aber Hardenberg hat den Moment ergriffen, in welchem an eine Ausführung derselben zu denken war; er hat dann unter heftigen Gegenwirkungen einen Versuch dazu gemacht. Für eine ausgedehntere Volksbewaffnung zeigten beide gleichen Eifer; unter den schwankenden Beratungen hat Stein die Pläne näher bestimmt; die Ausführung ward später durch die Verwaltung Hardenbergs vermittelt. Man könnte nicht sagen, wer bei der neuen Gesetzgebung das größere Verdienst hat. Die Entwürfe Hardenbergs vom Jahre 1807 haben den Grund zu allem gelegt; sie sind jedoch, wenigstens in einigen der wichtigsten Punkte, nicht ohne Teilnahme Steins gefaßt worden; die ersten entscheidenden Edikte sind dann von diesem ausgegangen. Stein war ein gläubiger Orthodoxe; Hardenbergs Religiosität hatte mehr einen philosophischen Anstrich; er war ein Mann der allgemeinen Bildung. Stein dachte die Kirche aufrechtzuerhalten; Hardenberg verwandte sich für die Universität. Stein hatte mehr aristokratische, Hardenberg mehr demokratische Sympathien; doch hätte keiner darüber das Wohl des Ganzen oder den Willen des Königs aus den Augen gesetzt. Die kräftigsten Anregungen zu einer populären Erhebung gegen Napoleon rühren von Stein her. Hardenberg war ihnen nicht entgegen; aber er suchte sie zu mäßigen, um das für den Staat noch unbedingt erforderliche gute Verhältnis zu Frankreich zu wahren; er wußte zu erreichen, daß Napoleon dem gegen ihn gefaßten Widerwillen entsagte und seinen Wiedereintritt in die ministerielle Tätigkeit guthieß. Dagegen warf sich Stein in den heftigsten Antagonismus gegen Napoleon und hat in dem großen Kampfe gegen ihn eine entscheidende Wirksamkeit ausgeübt. Wir möchten nicht so viel Wert darauf legen, daß er den russischen Kaiser in dem System des Widerstandes bis auf das Äußerste bestärkt hat: denn dazu wurde Alexander durch seinen eingeborenen Sinn schon von selber bestimmt; aber unzweifelhaft hat Stein in ihm den Gedanken erweckt, seinen Kampf mit Hilfe der deutschen Nation fortzusetzen; er hat dann mehr als irgendein anderer Mensch dazu beigetragen, daß die Deutschen in diesen Bund eintraten; er hat die erste Vereinigung einer deutschen Population mit dem Europa umfassenden Unternehmen Alexanders herbeigeführt, ohne der Selbständigkeit der ersteren Eintrag zu tun. Hauptsächlich von Stein ist die Allianz zwischen Rußland und Preußen zu dem Zwecke einer unmittelbaren Waffenerhebung angebahnt und durchgesetzt worden. Daraus entsprang folgerichtig der Entschluß, dem französischen Imperium von Grund aus ein Ende zu machen und Napoleon zu stürzen. Eine großartigere Wirksamkeit läßt sich kaum denken. Aber ohne Hardenberg wäre sie doch nicht zum Ziele gelangt. Die ganze Geschicklichkeit eines geübten Diplomaten gehörte dazu, um dem preußischen Staate für seine Wiedererhebung Raum zu verschaffen und dabei doch die Feindseligkeit des übermächtigen Gegners nicht vorzeitig zu erwecken. Wenn in Kalisch der preußische Gesandte und Stein verschiedene Direktionen repräsentierten, so hat sich der Staatskanzler, durch fortgeschrittene eigene Erwägungen bestimmt, für Stein entschieden; mit eigener Hand hat er dem ursprünglichen Entwurfe die von den russischen Bevollmächtigten nachträglich eingebrachten Verbesserungen, die dessen Annahme erst möglich machten, beigeschrieben. Durch sein ebenso umsichtiges wie entschiedenes Verhalten wurde es möglich, daß unter den Augen des Feindes die populäre Bewaffnung ins Werk gesetzt wurde, die bereits im stillen vorbereitet war. Unverhohlen trat er erst hervor, als die Dinge so weit gekommen waren, daß die ganze Nation sich wie ein Mann für das neue System erklärte. Wenn in den Augen der Nachwelt Stein als der größere erscheint, so rührt das daher, daß er sich weniger auf den gewohnten Bahnen bewegte und einen moralischen Schwung besaß, welcher Ehrfurcht erweckte; es war etwas in ihm, das den großen Mann charakterisiert. Von Hardenberg läßt sich das nicht sagen; aber er hatte den Schwung des politischen Gedankens und alle die unbeugsame Zähigkeit und Unverdrossenheit, die dazu gehörten, einen solchen zu realisieren. Von alledem, was ihm gelang, möchte das vornehmste sein, daß er die Idee einer Koalition gegen die Übermacht Napoleons, mit der er sich von jeher getragen hatte, in dem rechten Momente wiederaufnahm und durchzuführen wußte. Davon aber hing die Wiederherstellung Preußens ab. Um Preußen, als Staat betrachtet, hat Hardenberg sich ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst erworben. Nach dem großen Kampfe richtete er sein ganzes Bestreben dahin, die Einheit des gleichsam umgeschaffenen Staates fest zu begründen. Er wußte die auswärtigen und inneren, die materiellen und ideellen Interessen zugleich zu umfassen. Das vornehmste Werk seiner letzten Jahre war die Einführung einer gleichmäßigen Steuerverfassung und Administration für alle Provinzen. Aber indem er für die Gegenwart sorgte, behielt er die Zukunft im Auge. Den Schlußstein bildet jene Verordnung, durch welche die Vermehrung der Staatsschulden an die Einwilligung der künftigen Reichsstände geknüpft und diesen dadurch im voraus eine das Ganze umfassende und für die folgenden Generationen maßgebende Wirksamkeit gesichert wurde. Alles geschah unter stetigem, oft nicht unberechtigtem Widerspruch.


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