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Zweites Kapitel

Weichen der Römer. Emporkommen der Franken.

Die Sagengeschichte, die sich in jedem Stamme besonders gebildet hat, gehört einem andern Gesichtskreis an, als dem rein historischen. So mag es mir denn auch bei den Franken erlaubt sein, von den Erzählungen, die ein mehr oder minder fabelhaftes Gepräge tragen, abzusehen.

Das große Ereignis, durch welches der Zustand der westlichen Welt – ich weiß nicht, ob man sagen soll, verändert oder nur wiederhergestellt worden ist – die massenhafte Ansiedlung der Germanen auf dem linken Rheinufer, ist nicht erst eingetreten, nachdem die Römer ihre Grenzbefestigungen am Rhein aufgegeben haben; man muß es – denke ich – in die Zeit setzen, in welcher Magnentius die römischen Grenztruppen am Rhein gegen Constantius [um 350] ins Feld führte; der hatte fränkische Scharen auf seiner Seite. Indem er nun aber den Limes am Rhein der Besatzungen entblößte, welche den Germanen immer die Spitze geboten hatten, wurden diese in dem Rheingebiete überhaupt mächtig. Aus einer Stelle des Libanius über Julian entnimmt man, wie oben angedeutet, daß das Eindringen der Germanen in das römische Gebiet in diese Epoche gefallen ist; man gab es dem Mangel an römischen Truppen in jenen Regionen, noch mehr aber der Aufforderung des Constantius schuld, welcher in der Absicht, Magnentius, der in den Grenzgebieten seinen vornehmsten Rückhalt hatte, zu widerstehen, die Umwohner aufgefordert habe, sich an die bestehenden Verträge nicht weiter zu kehren und so viel Land zu nehmen als sie könnten. So ergossen sich die Germanen über das römische Rheingebiet. Die römischen Kastelle wurden umlagert, die Vici eingenommen; man sah die Einwohner mit ihren Habseligkeiten in kläglicher Gestalt abziehen. Wer Weib und Kind vor Insulten zu schützen versuchte, wurde niedergehauen. Die Dienstfähigen wurden zum Anbau des germanischen Landes abgeführt, während die Germanen in den eroberten Territorien verblieben. Denen, die sich in festen Städten behaupteten, blieb doch nur ein sehr geringes Gebiet übrig; sie waren genötigt, innerhalb der Mauern selbst die freien Plätze mit dem Pflug zu beackern, um von dem Ertrag der Saaten zu leben; sie waren beinahe noch schlechter daran als die gefangen Fortgeführten ...

Das Wesentliche der Weltbewegung liegt darin, daß die Franken, welche in Gallien vordrangen, eben solchen Stämmen angehörten, in denen das altgermanische Wesen auf das stärkste ausgeprägt war. Auch darin unterscheiden sich die Franken von den Goten, daß ihre Stämme nicht in den militärischen Dienst der Römer eingetreten sind. Wenn das bei einigen Oberhäuptern der Franken früher der Fall gewesen ist, so hat es doch mit dem Vordringen der Stämme nichts zu schaffen.

Die erste aggressive Bewegung fränkischer Stämme gegen das römische Reich wird von König Chlojo gemeldet, der sich erst über den Zustand der Römer in den Grenzlanden unterrichtet und dann mit einem zahlreichen Heer über den Rhein geht, durch den Kohlenwald nach Tournai, dann nach Cambrai vordringt, hier die Römer entweder vor sich hertreibt oder niedermacht und dann eine Richtung gegen die Somme hin einschlägt [um 450]. Über dies letzte Unternehmen haben wir ein Zeugnis, gegen dessen historischen Wert sich keine Einwendung machen läßt, in dem Panegyrikus des Sidonius auf Majorian, der sich schon lange vor seiner Thronbesteigung im Gebiet der Atrebaten mit Chlojo geschlagen hat. Man sieht da vor allem den Eindruck, welchen die Erscheinung der Franken auf die Gallo-Römer machte. Ihr blondes Haar ist von dem Nacken über die Stirn gezogen, man erblickt nur eben den glänzenden, weißen Nacken; man nimmt ihre blauen scharfen Augen wahr. Panzer tragen sie nicht, wohl aber sind sie mit Schilden bewehrt. Ihr Knie ist nackt, aber die hohen Gestalten treten bei der enge anschließenden Kleidung um so kräftiger hervor. Sie vergnügen sich damit, ihr Wurfgeschoß in die Luft zu schleudern, doch mit sicherem Blick, wo dasselbe treffen wird. Dem eilen sie dann mit beinahe wetteifernder Geschwindigkeit nach. Noch als Knaben haben sie sich an die Waffen gewöhnt und sind derselben vollkommen mächtig geworden; wenn sie einmal unterliegen, so weichen sie doch nicht zurück; sie fallen auf der Stelle, gleich als wären sie unbesiegt, wie Sidonius sagt; sie leben gleichsam noch nach ihrem Tode.

So erscheint die kriegsbereite Jugend dieser wohlgeordneten germanischen Stämme in offenem Kampfe gegen die Römer in den belgischen Provinzen. Es bildete eine neue Phase in dem Kampfe, auf welchem die Fortentwicklung der Weltgeschichte beruht, wenn diese fränkischen Scharen, indem sie auf eigene Hand und, ohne sich von ihren Stammesgenossen loszureißen, zu neuen Unternehmungen schritten, unter dem Nachfolger Chlojos Meister der Grenzgebiete wurden. Sie hatten dann einen nationalen Rückhalt; eine Organisation konnte gegründet werden, der nach beiden Seiten hin ein entscheidender Einfluß zufallen mußte.

Vornehmlich unter Chlojos Enkel Chlodwig (481–511) dehnten die Franken unter siegreichen Kämpfen mit den Römern, Alemannen, Burgunden und Goten ihre Herrschaft in Gallien aus.

Chlodwig ist der Mann, durch welchen im Gegensatz zwischen den Römern und den Germanen der entscheidende Schritt zu einer beide Elemente umfassenden neuen Ordnung der Dinge geschehen ist. Durch die Siege, die er erfocht, brachte er die höchste Autorität in Gallien in die feste Hand eines mächtigen Königsstammes. Er trat gleichsam in die Stelle des Kaisertums und hielt dadurch die Idee der Katholizität, die in demselben vorwaltete, allen Abweichungen kirchlicher Natur gegenüber aufrecht. Dadurch eröffnete er zugleich den Franken und allen Germanen die Möglichkeit, weiteren Fortbildungen Raum zu geben in engster Verbindung mit der allgemeinen Kultur, die sich nun einmal an die Kirche des athanasianischen Bekenntnisses anschloß. Wir erörtern nicht seine moralischen Qualitäten. Chlodwig erscheint in der Mitte der Zeiten und Nationen als eine heroische Kraft, die ihre Verbindung begründet und sie gleichsam vermittelt; auf seinen Handlungen beruht die Geschichte von Deutschland und Frankreich ...

Es ist ein vielleicht nicht von hohem geistigen Schwunge ausgegangenes Ereignis, aber von unausdenkbarer historischer Wirksamkeit so für Gallien wie für die Welt überhaupt, daß Chlodwig mit seinem Gefolge das Christentum annahm.

Indem diese Kriegsgenossenschaft hierauf den Glauben unter den stammverwandten Franken und anderen Germanen bis an den Rhein und über den Rhein ausbreitete, machte sie der uralten Feindseligkeit der germanischen Völker gegen Römer und Gallier ein Ende. Sonst möchte eine vollkommene Germanisierung, wie sie im Rheintal, den Niederlanden und Britannien sich vollzog, auch an der Marne und Seine nicht verhindert worden sein. Die Religion glich, wie ihre Bestimmung ist, den schroffsten Gegensatz der Nationalitäten aus; die Franken konnten die Stätten, wo sie anbeteten, nicht mehr zerstören wollen. Vielmehr schlossen sie sich ihren Bekehrern auch in der besondern Form des Glaubens und des Dienstes, welche diese ihnen überlieferten, mit frischem Eifer an. Noch war der Streit zwischen dem katholischen und dem arianischen Bekenntnis nicht ausgefochten; das letztere, zu dem sich Westgoten und Burgunder hielten, erlangte durch die Einwanderung dieser Völker eine neue Macht in Gallien, zum tiefsten Mißvergnügen der rechtgläubigen Bischöfe. Aber eben bei den Franken, mit denen manche von ihnen schon lange in Verbindung standen, fanden sie Hilfe. Der heilige Remigius, der Chlodwig und sein Volk zu Reims in die Kirche aufgenommen hat, war nicht nur als ein Zerstörer der Götzenbilder, sondern auch als ein glücklicher Streiter gegen die Arianer berühmt. Der Ehrgeiz des fränkischen Heerkönigs und der Religionseifer der romanischen Bischöfe traten in den engsten Bund. Unterstützt von der Bevölkerung des Landes warfen Chlodwig und seine Söhne die Macht der germanischen Könige, welche Arianer waren, in Gallien nieder und blieben Meister in allen Provinzen, sowie sie ihre Herrschaft weit nach dem innern Germanien hin ausdehnten. Sie vollzogen, was das römische Reich nicht mehr vermocht hatte, sie wehrten den Andrang des kolonisierenden Germanentums von Gallien ab und bezwangen im Innern die abweichenden Sekten. Die Eroberer beschützten die romanische Nationalität und die Einheit der katholischen Kirche. Als dem römischen Reiche seine Waffen versagten, ward der allgemeine Ruin durch die bekehrten Barbaren verhütet.

Wie mancher von den blondgelockten Königen erschien gleichsam als ein Priester Gottes und wollte so erscheinen. Wenn sie ihre Schätze der Kirche zuwandten, so lag ihnen ohne Zweifel daran, die Pracht des äußeren Dienstes zu vermehren; aber zugleich hatte ihre Freigebigkeit auch eine Beziehung auf das besiegte Volk. Die Schriftsteller der Zeit bezeichnen es als den vornehmsten Beweggrund zu den Schenkungen an die Kirche, daß sie genug haben müsse, um freigebig zu sein, damit diejenigen, welche nichts besitzen, doch etwas besitzen; und man kennt die Satzung des Konzils von Orleans, nach welcher der Ertrag der von dem König geschenkten Ländereien auch zur Ernährung der Armen und zum Loskauf der Gefangenen bestimmt sein soll. Die Kirche brachte die bisher ganz verabsäumte unterste Klasse der Bevölkerung und ihr Bedürfnis mit dem Sieger in Beziehung.

Überhaupt lag eine absichtliche und systematische Zerstörung der römischen Welt außerhalb der Möglichkeit der Dinge. Romanen waren im unmittelbaren Dienste der Könige; sie erscheinen fortwährend fast als die reichsten Besitzer, die Vornehmsten des Landes. Der Gehorsam und die Pflicht der Untertanen wurde von den fränkischen Königen in Anspruch genommen wie von den römischen Imperatoren; das alte Finanzsystem soviel wie möglich aufrechterhalten, die alte Steueranlage sowohl auf Grund und Boden als auf die Personen, was ein Fortbestehen der früheren Zustände im allgemeinen in sich schließt; hören wir doch, daß die Spiele des Zirkus unter den merowingischen Königen erneuert werden. Man glaubte noch in dem alten Reiche zu leben, die römischen Majestätsgesetze wurden in Anwendung gebracht. Aber zugleich war doch eine Veränderung ohnegleichen wie in den Zuständen, so in den Gedanken der Menschen eingetreten. Ihre Summe kann man darin sehen, wenn anders überhaupt große Veränderungen durch wenige Worte zu bezeichnen sind, daß die öffentliche Gewalt als ein persönlicher, durch Vererbung und Vergabung zu übertragender und teilbarer Besitz betrachtet wird. Dem alten Volkskönig steht ein unbedingtes Erbrecht zu; von einer Wahl, einer Teilnahme des Volkes oder der Großen an seiner Erhebung ist in gewöhnlichen Fällen nicht die Rede. Ihm sind die öffentlichen Beamten zu persönlicher Treue verpflichtet, Romanen so gut wie Germanen; er besoldet sie durch Verleihung des königlichen Gutes; an den Palast knüpft sich die Regierung; der Vorsteher des königlichen Hauses ist der oberste Reichsbeamte. Indem nun aber das Amt und die damit verbundene Vergabung auch wieder als persönlicher und unwiderruflicher Besitz erscheint, gewinnt alles eine Tendenz der Unabhängigkeit und Eigenmacht. Bald hören wir die Könige klagen, die einen, daß alle ihre Ehre an die Bischöfe der Städte übergegangen sei, die andern, daß die weltlichen Großen ihnen Gut und Macht entziehen. Sie sehen sich von selbständigen Magnaten umgeben, die für den Anteil, den sie an der Errichtung des neuen Reiches genommen haben mögen, einen Mitgenuß der Macht in Anspruch nehmen. Das Prinzip der persönlichen Gewalt, nachdem sie einmal auf andere übertragen worden, lehnt sich gegen den Fürsten auf, der sie im ganzen als sein Eigentum betrachtet.


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