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Sechstes Kapitel

Sächsische und Fränkische Kaiser.

Wie nun aber dann, wenn das herrschende Haus entweder abging oder sich unfähig erwies, die Regierung eines so großen, von allen Seiten angegriffenen, in sich selber gärenden Reiches zu führen?

In den Jahren 879, 887 entschlossen sich nach und nach die verschiedenen Nationen, von Karl dem Dicken abzufallen: es ist sehr merkwürdig, wie sie sich hierbei voneinander unterschieden.

In dem romanischen Europa hatte abermal die Geistlichkeit allenthalben den Vortritt. Im zisjuranischen Burgund waren es »die heiligen Väter, bei Mantala versammelt, die Heilige Synode zugleich mit den Vornehmsten«, die »unter Inspiration der Gottheit« den Grafen Boso zum König wählten. Aus dem Wahldekret für Guido von Spoleto sieht man, daß »die demütigen Bischöfe, von verschiedenen Seiten nach Pavia zusammengekommen«, es waren, welche ihn zu ihrem Herrn und König wählten, vor allem »weil er versprochen hat, die heilige römische Kirche zu erhöhen und die kirchlichen Gerechtsame aufrechtzuerhalten«. Auch die Zusagen, zu welchen sich Odo von Paris bei seiner Krönung verstand, sind lediglich zugunsten der Geistlichkeit: er verspricht, die Rechte der Kirchen nicht allein zu beschützen, sondern nach seinem besten Wissen und Können zu vermehren. Ganz anders ging die Sache in Deutschland. Hier waren es vor allem die weltlichen Großen, Sachsen, Franken und Bayern, welche sich unter Leitung eines mißvergnügten kaiserlichen Ministers um Arnulf sammelten und ihm die Krone übertrugen. Die Bischöfe, selbst der Bischof von Mainz, waren eher dagegen, und erst nach einigen Jahren verständigten sie sich durch förmliche Unterhandlung mit dem neuen Herrscher: sie hatten ihn nicht gewählt, sie unterwarfen sich ihm.

Von jenem der Geistlichkeit jedesmal geoffenbarten Rechte wollten die Deutschen noch immer nichts wissen, auch jetzt noch hielten sie sich der legitimen Succession so nahe wie möglich: auch nach dem völligen Abgang der Karolinger [911] war der Grad der Verwandtschaft mit demselben eine der bedeutendsten Rücksichten, durch welche die Wahl erst auf Konrad, dann auf den Sachsen Heinrich I. fiel. [919]

Konrad hatte wohl einmal die Idee, sich an die allerdings auch in Deutschland sehr mächtige Geistlichkeit anzuschließen, Heinrich war ihr dagegen von Anfang an wenig zugetan. An seiner Wahl hatte sie keinen Teil, die Sanktion durch das heilige Öl, welche dem alten Pippin und Karl dem Großen so viel wert gewesen, wies er von sich: wie die Sachen in Deutschland standen, konnte sie ihm nichts bedeuten. Vielmehr finden wir, daß er, wie er selber in seinem Sachsen die Geistlichkeit in seinem Gehorsam hielt, sie auch anderwärts den Herzogen überließ, so daß ihre Abhängigkeit größer wurde als jemals. Für ihn kam es nur darauf an, daß er mit diesen großen Gewalthabern, die ihm an Macht nicht ungleich waren, in gutem Vernehmen stand: und daß er dann andere von den Umständen geforderte wesentliche Pflichten erfüllte. Da ihm dies gelang, da er entscheidende Siege über die gefährlichsten Feinde erfocht, die allenthalben durchbrochenen Marken wiederherstellte, sich auch über dem Rhein nichts entreißen ließ, was den deutschen Namen bekannte, so hielt sich auch der Klerus notgedrungen an ihn: ohne Widerrede hinterließ er die Herrschaft seinem Hause. Es war ein Einverständnis des Hofes und der weltlichen Großen, wodurch von den Söhnen Heinrichs Otto auf den Thron erhoben wurde [936]. Zur Zeremonie der Wahl versammelten sich nur die Herzöge, Fürsten, großen Beamten und Kriegsleute; den Gewählten empfing dann die Versammlung der Geistlichkeit. Ohne Bedenken konnte Otto die Salbung annehmen: der Klerus durfte jetzt nicht mehr glauben, ihm damit ein Recht zu übertragen: Otto wäre König gewesen auch ohne die Salbung, wie sein Vater. Und so fest war diese Macht begründet, daß Otto nunmehr die von seinen karolingischen Vorfahren erworbenen Ansprüche zu erneuern und auszuführen vermochte. Die Idee des deutschen Kaisertums, die von diesen nur gefaßt, nur vorbereitet worden, brachte er zu voller Erscheinung. Er beherrschte Lothringen und verwaltete Burgund: ein kurzer Feldzug genügte ihm, um die oberherrlichen Rechte seiner karolingischen Vorfahren über die Lombardei herzustellen: wie Karl den Großen rief auch ihn ein von den Faktionen der Stadt bedrängter Papst zu Hilfe: wie dieser empfing er dafür, 2. Febr. 962, die Krone des abendländischen Reiches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbstherrschaft, das sich den Usurpationen des geistlichen Ehrgeizes von Anfang an entgegengeworfen, gelangte hierdurch zu der großartigsten Repräsentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.

Auf den ersten Anblick möchte es scheinen, als sei nun Otto auch in ein ähnliches Verhältnis zu dem Papst getreten wie Karl der Große; näher betrachtet aber zeigt sich ein nicht geringer Unterschied.

Karl der Große ward mit dem römischen Stuhle durch eine von gegenseitigem Bedürfnis hervorgerufene, die Resultate langer Epochen, die Entwicklungen verschiedener Völker umfassende Weltkombination in Verbindung gebracht: ihr Verständnis beruhte auf einer inneren Notwendigkeit, durch welche auch alle Gegensätze vermittelt wurden. Die Herrschaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem dem Umsichgreifen der geistlichen Tendenzen ursprünglich widerstrebenden Prinzip. Die Verbindung war momentan: die Entzweiung lag in dem Wesen der Dinge: – wie denn auch sogleich der nämliche Papst, der ihn gerufen, Johann XII., an der Spitze einer rebellischen Faktion sich gegen ihn empörte. Otto mußte die förmliche Absetzung desselben bewirken, die Faktion, die ihn unterstützte, mit wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Gehorsam fand; den Papst, mit dem er sich verstehen konnte, mußte er erst setzen. Die Päpste haben oft behauptet, das Kaisertum auf die Deutschen übertragen zu haben, und wenn sie dabei von den Karolingern reden, so haben sie so unrecht nicht, die Krönung Karls des Großen beruhte auf ihrem freien Entschluß; bezeichnen sie aber damit die eigentlich so zu nennenden deutschen Kaiser, so ist das Gegenteil ebenso wahr: wie Karlmann, wie Otto der Große, so haben auch deren Nachfolger sich das Kaisertum immer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten müssen.

Man hat wohl gesagt, die Deutschen würden besser getan haben, sich mit dem Kaisertum gar nicht zu befassen, wenigstens erst ihre einheimische politische Ausbildung zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geist in die allgemeinen Verhältnisse einzugreifen. Allein nicht so methodisch pflegen sich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das Innerlich-wachsende wird schon in demselben Augenblick berufen, sich nach außen auszubreiten. Und war es nicht selbst für das innerliche Wachstum von hoher Bedeutung, daß man in ununterbrochener Verbindung mit Italien blieb, welches in Besitz aller Reste der alten Kultur war, von wo man die Formen des Christentums empfangen hatte? An dem antiken und romanischen Element hat sich der deutsche Geist von jeher entwickelt. Eben durch die Gegensätze, welche bei der fortdauernden Verbindung so unaufhörlich hervortraten, lernte man in Deutschland Priesterherrschaft und Christentum unterscheiden.

Denn wie sehr nun auch das weltliche Prinzip hervorgekehrt ward, so wich man doch um kein Haarbreit von den christlich-kirchlichen Ideen ab, selbst nicht in den Formen, in denen man sie empfangen. Hatte sich doch die Nation überhaupt in denselben wiedergefunden, vereinigt, ihr gesamtes geistiges Leben knüpfte sich daran. Auch das deutsche Kaisertum erneuerte die kultivierenden, christianisierenden Tendenzen Karl Martells und Karls des Großen: Otto der Große gab denselben dadurch eine neue nationale Bedeutung, daß er mit der Ausbreitung des Christentums in slawischen Ländern zugleich deutsche Kolonien in denselben pflanzte, die bezwungenen Völkerschaften zugleich bekehrte und germanisierte. Die Eroberungen seines Vaters an Saale und Elbe befestigte er durch die Errichtung der meißnisch-osterländischen Bistümer; nachdem er dann selber in langen und gefährlichen Kriegszügen die Stämme jenseit der Elbe besiegt hatte, richtete er auch hier drei Bistümer ein, durch welche die Bekehrung für den Augenblick außerordentlich rasche Fortschritte machte; in der Mitte seiner italienischen Verwicklungen verlor er doch diesen großen Gesichtspunkt nie aus den Augen: eben von dort aus hat er das Erzbistum Magdeburg gegründet, das alle diese Stiftungen umfaßte. Und wo dann an ein eigentliches Germanisieren nicht gedacht werden konnte, ward durch diese Wirksamkeit wenigstens das Übergewicht des deutschen Namens befestigt. In Böhmen und Polen entstanden Bistümer unter deutschen Metropolitanen: von Hamburg aus machte sich das Christentum Bahn in dem Norden: die Passauer Missionarien durchzogen Ungarn: es ist nicht unwahrscheinlich, daß dies großartige Bemühen bis nach Rußland reichte. Das deutsche Kaisertum war der Mittelpunkt der fortschreitenden Religion: es breitete den kriegerisch-priesterlichen Staat, der zugleich die Kirche war, vor sich her aus: in ihm hauptsächlich erschien die Einheit der abendländischen Christenheit, und schon dazu mußte es des Papsttums mächtig sein.

Denn bei diesem Übergewicht des siegreichen weltlichen und germanischen Prinzips blieb es nun auch eine lange Zeit. Otto II. hat dem Abt von Clugny die Stelle eines Papstes geradezu angeboten, Otto III. hat erst einen seiner Verwandten und dann seinen Lehrer Gerbert zum päpstlichen Stuhle befördert: alle Fraktionen, welche dieses Recht bedrohten, wurden niedergeschlagen: unter den Auspizien Heinrichs III. trat ein deutscher Papst an die Stelle der drei römischen Bewerber. Als der römische Stuhl im Jahre 1048 erledigt worden, begaben sich, wie ein gleichzeitiger Chronist sagt, Gesandte der Römer nach Sachsen, fanden daselbst den Kaiser und baten ihn, ihnen einen Papst zu geben. Er wählte den Bischof von Toul, Leo IX. aus dem Hause Egisheim, von dem er mütterlicherseits selber abstammte. Was aber an dem Oberhaupt, geschah nun notwendig noch unzweifelhafter an der übrigen Geistlichkeit. Seitdem es Otto dem Großen gelungen war, in den Irrungen seiner ersten Jahre den Widerstand, welchen ihm die Herzogtümer vermöge ihrer stammesartigen Zusammensetzung leisteten, im allgemeinen zu brechen, stand die Besetzung der geistlichen Stellen ohne Widerrede in der Hand des Kaisers.

Welch eine großartige Stellung nahm da die deutsche Nation ein: repräsentiert in dem mächtigsten europäischen Fürsten, und von ihm zusammengehalten: an der Spitze der fortschreitenden Zivilisation, der abendländischen Christenheit: in der Fülle jugendlich aufstrebender Kräfte.

Bemerken wir jedoch, und gestehen wir ein, daß sie ihre Stellung nicht ganz verstand, ihre Aufgabe nicht vollkommen erfüllte.

Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abendländischen Reiches die volle Realität zu geben, die es unter Otto I. gewinnen zu sollen schien. An allen Grenzen der Deutschen erhoben sich unabhängige, wenngleich christliche, doch häufig feindselige Gewalten, so in Ungarn wie in Polen, in den nördlichen wie in den südlichen Besitzungen der Normannen; England und Frankreich waren dem deutschen Einfluß wieder entrissen; in Spanien lachte man der deutschen Ansprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit, die dortigen Könige glaubten selber Kaiser zu sein; ja, selbst die nächsten, die überelbischen Unternehmungen wurden eine Zeitlang rückgängig.

Fragen wir dann, woher diese schlechten Erfolge rührten, so brauchen wir nur unsere Augen auf das Innere zu richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen aller Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweise konnte es in Deutschland zu keiner festen Succession kommen. Der Sohn und der Enkel Ottos des Großen starben in der Blüte der Jahre; die Nation ward in die Notwendigkeit gesetzt, sich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erste Wahl brachte Deutschland und Italien in eine allgemeine Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch stürmischere, da man sogar zu einem neuen Hause, dem fränkischen, überzugehen genötigt war. Wie wäre von den mächtigen und widerspenstigen Großen, aus deren Mitte durch ihren Willen eben der Kaiser hervorgegangen, nun ein voller Gehorsam gegen ihn zu erwarten gewesen? Wie hätte sich ferner der Stamm der Sachsen, der bisher die Herrschaft geführt, einem auswärtigen Geschlechte so geradehin unterwerfen sollen? Es erfolgte, daß sich zwei Faktionen, die eine in Gehorsam, die andere in Feindschaft gegen die fränkischen Kaiser, einander gegenübersetzten und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die strenge Sinnesweise Heinrichs III. erweckte ein allgemeines Murren. Nicht übel bezeichnet ein Traumgesicht, das uns von dem Kanzler desselben erzählt wird, die Lage der Dinge. Er sah den Kaiser auf seinem Throne sitzen und sein Schwert mit dem Ausruf zucken, er gedenke sich noch an allen seinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die Kaiser, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beschäftigt, an der Spitze der europäischen Menschheit zu irgendeiner großartigen Unternehmung sich erheben, den Anspruch der Oberherrlichkeit, den ihnen ihr Titel gab, verwirklichen können?

Merkwürdigerweise war das Element, auf das sie sich stützten, doch hauptsächlich wieder die Geistlichkeit. Schon Otto der Große verdankte der Unterstützung der Bischöfe, z. B. seines Bruders Bruno, den er zum Erzbischof von Köln gemacht und der ihm dafür Lothringen in Pflicht hielt, wenigstens zum Teil seine glücklichen Erfolge in den inneren Streitigkeiten: nur mit der Hilfe seiner Geistlichen besiegte er den Papst. Die Kaiser fanden es geraten, mit den Bischöfen zu regieren, sie zu Werkzeugen ihres Willens zu machen. Bei der nicht mehr zurückzuhaltenden allgemeinen Tendenz aller Beamtung zur Erblichkeit mußte es ihnen als ein Vorteil erscheinen, weltliche Rechte mit den Bistümern zu vereinigen, über welche ihnen eine freie Disposition zustand. Die Bischöfe waren zugleich ihre Kanzler und Räte, die Klöster kaiserliche Meierhöfe. Daher kam es, daß eben in den Zeiten, wo die Unterwürfigkeit der Geistlichen unter das Kaisertum am entschiedensten war, ihre Macht sich am meisten ausdehnte und befestigte. Schon Otto I. begann die Grafschaften mit den Bistümern zu verbinden; aus den Regesten Heinrichs II. sehen wir, daß er mancher Kirche zwei, mancher drei Grafschaften, der Gandersheimischen sogar die Grafschaft in sieben Gauen übertrug. Noch im elften Jahrhundert gelang es den Bischöfen von Würzburg, in ihrer Diözese die weltliche Grafschaft ganz zu verdrängen, die geistliche und weltliche Gewalt daselbst zu vereinigen: ein Zustand, zu welchem es nun auch die übrigen Bischöfe zu bringen wetteiferten.

Es leuchtet ein: die Stellung eines deutschen Kaisers war ebenso gefährlich wie großartig. Die ihn umgebenden Magnaten, Inhaber der weltlichen Macht, von der er selbst ausgegangen, konnte er nur in stetem Kampfe, nicht ohne Gewaltsamkeit im Zaume halten: er mußte sich auf die andere, die geistliche Seite stützen, die doch im Prinzip von ihm verschieden war. Die europäische Bedeutung seiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen. Wie kontrastiert mit der Ruhe und Selbstgenügsamkeit des Reiches, das Karl der Große beherrschte, dies ewige Hin- und Widerfluten entgegengesetzter Parteien, dies stete Sichaufrichten widerspenstiger Gewalten! Es gehörte eine Kraft und Mannhaftigkeit ohnegleichen dazu, sich zu behaupten!

Ein Weltereignis war es, daß in dieser Lage der Dinge der Fürst, der Eigenschaften hierzu besaß, Heinrich III., in frühen Jahren verstarb (1056), und ein sechsjähriger Knabe, in dessen Namen aber zunächst eine schwankende vormundschaftliche Regierung seinen Platz einnahm.


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