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Drittes Kapitel

Die Franken und die anderen deutschen Stämme. Begründung der deutschen Kirche.

Die deutschen Stämme im inneren Germanien hingen noch der religiösen Tradition der vorangegangenen Zeiten an. Ihre Verbindung mit dem fränkischen Reiche enthielt zugleich einen Gegensatz zu demselben und hatte ihre Bekehrung nicht herbeigeführt. Es schien wohl, als werde diese dem Eifer der irischen Glaubensboten gelingen. Wir sehen die Missionare, die von der irischen Kirche ausgingen; überall drangen sie vor.

In Alemannien und Bayern knüpften sie an die Überreste der Kirchen an, die in dem römischen Reiche bestanden hatten. In dem alten Brigantia [Bregenz] wirkte St. Gallus, in den Ruinen von Juvavium [Salzburg] hatte Rupert seinen Sitz genommen; die alten lokalen Prästigien übten aufs neue ihre Wirksamkeit aus. Doch war auch das volkstümliche Heidentum noch mächtig im Schwange.

*

Von denen, welche in den Stämmen eine altherkömmliche Autorität besaßen, begreift man es, daß sie den Missionaren Widerstand entgegensetzten oder doch leicht mit ihnen zerfielen.

Die Gewalt der austrasischen Fürsten war eigentlich mit der Mission verbündet. Erinnern wir uns, daß der Fortgang der Bekehrung im südlichen Friesland von den Erfolgen abhing, welche Karl Martell im Kampfe gegen die Friesen davontrug, so kann man sich nicht der Wahrnehmung verschließen, daß der Herzog von Austrasien [Nord- und Ostfranken] eine mit diesem Fortschritt verwandte Machtstellung hatte. In allen Grenzgebieten war seine Herrschaft so lange zweifelhaft, als es die Religion war. Für diese lag nun ein Vorteil darin, wenn die angelsächsische Mission der irischen zur Seite die Bekehrung des mittleren Germaniens, von Ostfranken, Thüringen, Hessen unternahm. Von dem Ursprung dieser Mission und deren Zusammenhang mit Rom wird sogleich die Rede sein. Zunächst erscheint sie in ihrer Verbindung mit dem austrasischen Herzogtum als solchem. Man hat es dem Herzog und Majordomus zum Vorwurf gemacht, daß er nicht mehr für Bonifatius getan habe. In Wahrheit aber hat er das unbedingt Notwendige getan; er ließ der Bekehrung freien Lauf, soweit seine Autorität überhaupt reichte. Ein entscheidendes Moment dafür liegt in der Fällung der heiligen Eiche bei Geismar unfern Fritzlar, die von dem Volke als Heiligtum verehrt wurde. Man darf in der Eiche wohl noch einen Überrest der alten Haine erblicken, welche in der ältesten Zeit die Stätten der religiösen Verehrung bildeten. Solange sie stand, fand die Bekehrung in dem Aberglauben, der sich an den heiligen Baum knüpfte, einen populären Gegensatz, der die Gemüter teilte. Für das Volk bildete es ein Stück seines Glaubens, daß der heilige Baum noch stand, wie hätte nun der Missionar es wagen können, Hand an den Baum zu legen, wenn er nicht den Schuh des regierenden Fürsten für sich gehabt hätte. Ob die heilige Eiche stehenbleibe oder fallen würde, war die entscheidende Frage für die Bevölkerung. Mit dem Baume fiel die alte Religion und erhob sich die neue. Es ist ein Akt, wie ihn St. Patrik in Schottland vollbrachte; wie wir einem ähnlichen in den arabischen Yemen begegnen. Die Nichtigkeit der Gottesverehrung, die an den heiligen Bäumen vollzogen wurde, kam eben dadurch zutage, daß der Gott, dem sie geweiht waren, sie nicht schützte. In Hessen war das um so bedeutender, da die Lokalität schon einst unter den alten Einwohnern, den Chatten, einen Mittelpunkt für das Volk gebildet hatte. Es war bei Geismar, unfern von Fritzlar, daß dem Missionar die Handlung gelang, daß er sie glücklich vollbrachte. Die Bevölkerung sah darin einen neuen Beweis für die Göttlichkeit der neuen Lehre, welche der Missionar verkündigte. Durch einen über die Sachsen erfochtenen Vorteil war deren Rückwirkung auf das mittlere Deutschland zurückgedrängt.

Überall stiftete Bonifatius Klöster, die wieder Sitze der Missionare waren, und Kirchen. Er erfreute sich der Unterstützung der vornehmsten Eingesessenen, die zur Partei der Pippiniden übergetreten waren. Politische und religiöse Interessen wirkten zusammen.

Sie begründeten zum ersten Male eine gewisse Einheit von Germanien. Der Stifter derselben beherrschte zugleich die beiden anderen fränkischen Königreiche. Indem alles zu zerfallen schien, wurde die Macht des fränkischen Reiches erst eigentlich begründet. Und ewig denkwürdig ist es nun, daß dieses in der Epoche geschah, in welcher die arabische Weltherrschaft das gesamte Abendland bedrohte. Man darf die Christianisierung von Deutschland nicht allein unter dem Gesichtspunkt des religiösen Glaubens und seiner Lehre ansehen. Denn so wichtig diese auch sind; es war eine welthistorische Notwendigkeit, wenn dem Islam, der noch immer in dem europäischen Kontinent vordrang, ein Gegengewicht geschaffen werden sollte. Bonifatius wußte recht wohl, was in Spanien geschehen war; die von ihm geleitete Bekehrungsarbeit hat am meisten dazu beigetragen, daß sich das in Gallien und Germanien nicht wiederholte. Der Fürst und Majordomus, dem er sich anschloß, war sofort berufen, die schwerste Probe in jenem universalen Kampfe zu bestehen.

Nach der Zerstörung des Westgotenreiches in Spanien drangen die Araber über die Pyrenäen vor, wurden aber von Karl Martel wesentlich mit germanischen Kriegern in der Schlacht von Tours und Poitiers (732) besiegt. Hierdurch wurde die christliche Kultur vor der Vernichtung durch den Islam bewahrt.

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Bonifatius und Rom

Wir haben der Verbindung der Mission und des Fürstentums innerhalb Germaniens bereits gedacht. Einen bestimmten Charakter empfing dieselbe durch den Angelsachsen Wynfreth-Bonifatius. Der aber brachte nun die romanistischen Tendenzen in die germanische Mission. In ihm verschmolz sich der propagandistische Eifer der irischen Klosterbrüder mit den Doktrinen der angelsächsischen Kirche. Dieser hatte er, selbst gegen den Wunsch seiner Angehörigen, durch einen unwillkürlichen Trieb dahingezogen, seine Kräfte gewidmet. Er lebte und webte in der Idee der engsten Verbindung der Kirche mit Rom, wohin in dieser Zeit der Sinn des Volkes und der Könige ging. Schon im Jahre 719 ist er in Rom gewesen; man nimmt an, daß damals sein angelsächsischer Name, Wynfreth – Wyn bedeutet Glück – in Bonifatius, ein Wort, dem man denselben Sinn unterlegt, verändert worden ist. Er hat zu dieser Zeit seine Anweisung zur Mission empfangen. Im Jahre 723 war er wieder in Rom und wurde zum Bischof geweiht. Auch in einem Leben, das nicht gerade in die Kreise der höchsten Entscheidungen gezogen ist, spiegeln sich doch die Momente, die zu solchen führen. An sich ist es von Bedeutung, daß es eben einer der großen Vorfechter der kirchlichen Hierarchie war, mit dem Bonifatius in Verbindung trat. In der ersten Vollmacht zur Mission bringt Gregor II. den Anspruch, das Oberhaupt der Kirche zu sein, mit derselben in charakteristischen Kontakt. Der Knecht Gottes rühmt den religiösen Presbyter, der, dazu sehr befähigt, sich der Heidenbekehrung widme deshalb, weil er, ein Glied der Kirche, das Haupt derselben suche und sich diesem in aller Bescheidenheit unterwerfe: denn dem sei die Übertragung des Lehramts in der Kirche anvertraut. Im Namen der unerschütterlichen Autorität des heiligen Petrus, dessen Befugnisse auf den römischen Papst übergegangen seien, wird der Missionar beauftragt, den Dienst im Reiche Gottes und die Predigt des Alten und Neuen Testamentes den Unwissenden zu verkündigen und bei der Bekehrung die in Rom gebräuchlichen Formeln inne zu halten; gerate er aber in Zweifel, so möge er sich an den römischen Stuhl wenden. Man kann die Gewalt des Oberhauptes der Kirche und die Pflicht der Unterwürfigkeit des Missionars unter dieselbe nicht stärker ausdrücken. Aber auch das ist bemerkenswert, daß vor allem die Lehre des Alten und Neuen Testamentes gepredigt werden soll: denn darin liegt der unterscheidende Charakter des christlichen Glaubens von dem damals in Europa mächtig vordringenden Islam. Während dieser auf der Offenbarung beruhte, die der angebliche Bote Gottes, Mohammed, persönlich empfangen habe, weist der Papst den Missionar an, die Lehre der Heiligen Schrift zu predigen, wodurch alle Willkürlichkeiten abgeschnitten werden. Die Formen der römischen Kirche, die man auf den heiligen Petrus zurückführt, erscheinen als verbunden mit dem Dienst und dem Leben im Reiche Gottes. Die Stabilität der Glaubensformel hängt eben von dieser Überlieferung ab. Historisch erwächst dadurch eine Begründung der Ausbreitung der christlichen Lehre in fester kirchlicher Gestalt ...

Die geistliche Gewalt war in ihrer Emanzipation von dem Kaisertum, die weltliche in ihrer Zurückweisung des alten Königtums begriffen. Ohne die Unterstützung der weltlichen Macht hätte Bonifatius nichts ausgerichtet, aber diese selbst bedurfte einer anerkannten Autorität, um in Germanien zu einem festen Bestande zu gelangen. Die Durchführung des Christentums wurde dadurch sehr erleichtert, daß die weltlichen Dynasten sich großenteils an den Majordomus anschlossen. Aber eine definitive Organisation wäre doch ohne die Einwirkung von Rom unmöglich geblieben. Ein wesentlicher Schritt war, daß Bonifatius bei seiner dritten Reise nach Rom im Jahre 732 vom Papst Gregor III. zum Erzbischof erhoben wurde. Der Papst verlieh ihm das Pallium, das er bei den geistlichen Handlungen, hauptsächlich aber bei der Weihe der Bischöfe, tragen solle. Er sprach ihm das Recht zu, Bischöfe einzusetzen mit Assistenz zweier oder dreier anderer. Das aber genügte, um allmählich eine Organisation der germanischen Kirche zustande zu bringen. Zugleich gehörte der Spruch der römischen Kirche dazu, den Abweichungen der religiösen Meinung im Volk und bei den Großen ein Ende zu machen; die Autorität des heiligen Petrus umfaßte und bedingte alles. Man muß sich diesen Ursprung der deutschen Kirche vergegenwärtigen, um nicht ungerecht zu werden. Alles hing mit den allgemeinen und besonderen Interessen zusammen. Ein Usurpationsgelüste des römischen Stuhles kann man darin nicht sehen. Der Papst tat nur, wozu er in der Lage der Angelegenheiten befugt und selbst genötigt war: denn den Angriffen Leos des Isauriers gegenüber bedurfte er einer Stütze. Es war ein historischer Akt von unermeßlicher Tragweite, daß er sich vom Orient abwandte und den vornehmsten Schauplatz seiner Tätigkeit im Occident suchte. Ebenso tat Bonifatius nur eben das, was seines Amtes war, was er in seinem Kloster gelernt hatte, und worin er die Summe aller Religion erblickte. Bonifatius arbeitete in steter innerer Bewegung der Seele, außen Kampf, Bedenklichkeiten im Innern.

Am wenigsten könnte den Majordomus Karl Martell ein Vorwurf treffen. Eine feste Begründung der kirchlichen Ordnungen war für ihn unentbehrlich, wenn Austrasien mit den anderen deutschen Völkern unauflöslich vereinigt und mit beiden die Gesamtmacht des fränkischen Reiches auch den Sarazenen gegenüber behauptet werden sollte. Die Septentrionalen, wie der alte spanische Bericht sagt, haben in der Schlacht bei Poitiers das Beste getan; zu denen aber gehörten ohne Zweifel auch die Neubekehrten. Die Aufrichtung der Kirche in Deutschland kann nicht gerade als eine Realisation der reinen christlichen Idee betrachtet werden. Sie war das Werk der zusammengreifenden Weltkräfte in Rom und im fränkischen Reiche, beruhte aber einer sehr ausdrücklichen Versicherung zufolge auf den ältesten Grundlagen des Glaubens. Indem die deutsche Nation der Religion der Welt sich anschloß, vereinigte sie sich zugleich in sich selbst. Für die deutsche Nation war sie mehr als in einer Rücksicht unschätzbar. Sie kam ihrem religiösen Bedürfnis entgegen, das sich sonst sporadischen, doch wieder willkürlichen und vorübergehenden Influenzen hingegeben hätte. Sie verband sie mit der größten Hervorbringung des Menschengeschlechtes und vereinigte sie in sich selbst. Sonst hätte den Gegensätzen der Stämme, die sich immer aufs neue regten, doch kein Ende gemacht werden können. Schon durch alles dies hatte der Papst unter Vermittlung des Bonifatius den größten Einfluß auf die Weiterbildung des fränkischen Reiches, namentlich in Germanien.


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