Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Deutschland und Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV.

Die Reunionen.

Einsichtsvolle Zeitgenossen sahen in Ludwig XIV. weniger einen Eroberer – und wer wollte ihn mit den großen Eroberern irgendeiner Epoche vergleichen –, er erschien ihnen mehr in dem Lichte eines Befehlshabers einer Festung, der, um diese zu behaupten und furchtbar zu machen, seine Umgriffe nach allen Seiten über die Grenze derselben ausdehnt. So hat ihn einer der großen geistlichen Redner seiner Epoche gerühmt, daß er ganz Frankreich gleichsam zu einer einzigen Festung gemacht habe.

In seinem ersten Kriege gegen das deutsche Reich (1673–78), der mit dem Frieden von Nimwegen endete, eroberte Ludwig eine Anzahl flandrischer Städte, die Franche-Comté und zehn Reichsstädte im Elsaß.

Bereits in den Nimwegischen Verhandlungen [1678] kommt der Gedanke vor, der viel später ausgeführt worden ist, Lothringen gegen irgendeine entfernte Abtretung – man dachte damals an Sizilien – einzutauschen. Da nun aber nicht allein eine solche Auskunft unmöglich, sondern der rechtmäßige Besitzer nicht einmal dahin zu bringen war, die Bedingungen anzunehmen, unter denen ihm das Land wiedergegeben werden sollte, so daß hier kein gültiges staatsrechtliches Verhältnis zustande kam, so schien es um so nötiger, Lothringen vor möglichen Angriffen zu sichern. Man kann denken, daß die Franzosen hierfür Luxemburg ins Auge faßten, durch welches der Besitz von Thionville und Longwy doppelten Wert bekommen hätte: in den Vorschlägen zum Frieden ist von der Abtretung dieser großen Festung die Rede. Auch die Erwerbung einiger kleineren Plätze, wie Homburg, Bitsch, Kaiserslautern, ward dem König von seinen Generalen empfohlen. Aber vor allem anderen war das Augenmerk auf den Besitz des Elsaß gerichtet, der in vollster Ausdehnung, selbst mit Einschluß von Straßburg und von Kehl, als unentbehrlich für die Aufrechthaltung des jetzt gegründeten Systems betrachtet zu werden anfing. Der Grund ist: wenn der König diese Provinz in Händen habe, seien Franche-Comté, Champagne und ein Teil der Bistümer gedeckt: dann könne Lothringen sich nicht losreißen, dann bleibe die Schweiz um so stärker an Frankreich gebunden, dadurch werde Deutschland in Zaum gehalten. Selbst daß, wenn dies nicht der Fall sei, der Krieg sich dahin wenden müsse, erschien als ein Vorteil. Denn sonst würde sich die gesamte deutsche Macht auf die obere Maas und die obere Mosel stürzen und doppelt gefährlich werden. Genug, das gegenwärtige und künftige Machtverhältnis schien sich daran zu knüpfen, wer dieser Landschaften Meister sei: die Franzosen faßten die bestimmte Absicht, sie sich anzueignen.

Politischer Anspruch.

Welches Recht aber hatten sie, welche Mittel standen ihnen zu Gebote, dieselben nach geschlossenem Frieden zu erwerben?

Von langer Zeit her hatten sie sich Ansprüche, die das möglich machten, im geheimen vorbehalten, und fühlten sich jetzt stark genug, sie durchzuführen. Sie gründeten dieselben auf die Auslegung, die sie dem Westfälischen Frieden gaben. Widmen wir ihnen ein Wort parteiloser Erörterung.

Wenn man die Artikel dieses Friedens liest, welcher eine Grundlage des europäischen Rechts sein sollte und so lange gewesen ist, so kann man sich nicht genug wundern, wie dunkel und zweifelhaft diejenigen abgefaßt sind, welche die Abtretungen betreffen, die das deutsche Reich an die französische Krone machte. Die drei Bistümer [Metz, Toul, Verdun] nicht allein, sondern auch deren Distrikte sollen danach Frankreich ebenso angehören wie bisher dem deutschen Reich. Ob mit dem Wort Distrikt bloß der weltliche Umfang oder auch die kirchliche Diözese gemeint sei, in welches Verhältnis die von dem Bistum abhängigen Lehensträger des Reichs gestellt werden sollten, darüber wird nichts bestimmt. In bezug auf das Elsaß war man etwas näher herausgegangen. Dem Artikel, durch welchen die Landgrafschaft in Ober- und Niederelsaß, der Sundgau, und die Landvogtei über die elsässischen Zehnstädte an die französische Krone aufgegeben werden, war später ein anderer hinzugefügt worden, welcher die Rechte der Landvogtei auf die Befugnisse, die das Haus Österreich ausgeübt habe, einschränkte und die Reichsunmittelbaren der Fortdauer ihrer Unabhängigkeit versicherte, aber diese Beschränkung selbst ward durch den Zusatz, daß damit den früher übertragenen Rechten nichts entzogen sein sollte, wieder zweifelhaft gemacht. Man würde den Altvordern Unrecht tun, wenn man sie der Nachlässigkeit in der Fassung dieser Verträge beschuldigen wollte. Die Ursache der Unbestimmtheiten liegt darin, daß sie sich darüber mit den Franzosen nicht zu vereinigen vermochten. Ein auf den Wunsch der Reichsstände formulierter Entwurf nahm die Lehensrechte der Bistümer von ihrer Abtretung aus; der französische Entwurf schloß sie ausdrücklich ein; da darüber kein Vergleich zu treffen war, so blieb die Angelegenheit unerwähnt. Wohl ward in Erinnerung gebracht, wieviel stärker die Lehensabhängigkeit in Frankreich sei als in Deutschland; eine nähere Bestimmung war aber bei den Franzosen nicht zu erreichen. Die Reichsstände versäumten nicht, ihren Sinn durch eine Deklaration zu erläutern: der französische Gesandte Servien verweigerte ihre Annahme. Dessen bewußte Absicht war es vielmehr, gerade damit Ansprüche für eine fernliegende Zukunft anzubahnen; er hat einmal in bezug auf die zehn Städte unumwunden gesagt, in dem Frieden sei soviel Recht auf dieselben enthalten, daß man es, wenn sich eine günstige Gelegenheit zeige, mit dem Schwert geltend machen könne. Die Reichsstände richteten eine Erklärung über das Verständnis des Vertrags an den französischen Hof selbst; dieser fand es angemessen, das Schreiben unbeantwortet zu lassen.

So umfassend und empfindlich die Verluste waren, welche das Reich durch den Frieden von Münster erlitt, so lag doch noch fast ein größerer Nachteil in den Verwicklungen, in die es dadurch mit Frankreich geriet. Einen von größerem Unheil schwangeren hat es nie geschlossen. Eben aus diesen Verhältnissen sind anderthalb Jahrhunderte später die Irrungen hervorgegangen, welche den Krieg mit dem in der Revolution begriffenen Frankreich hervorgerufen und dadurch den Umsturz des Reiches selbst veranlagt haben. Aber auch schon die Feindseligkeiten zwischen dem Frankreich und dem Deutschland des siebzehnten Jahrhunderts nährten sich an ihnen.

Der französische Hof sah in den Festsetzungen, wie er sie auslegte, gleichsam einen Markstein der Grenzen und Rechte, die er sich verschaffen wollte. Solange die Unruhen der Fronde, die damaligen Kriege mit Spanien dauerten, vermied er es, die vermeinten Ansprüche ernstlich in Anregung zu bringen; das hätte damals leicht eine Entscheidung der Frage im deutschen Sinne herbeiführen können. Dazu kam, daß der Westfälische Friede erst durch den pyrenäischen [1659], in welchem der König von Spanien seine Rechte auf diese Landschaften ebenfalls abtrat, zu vollkommener Wirksamkeit gelangte; erst alsdann zahlte Ludwig XIV. die der [habsburgischen] Linie von Innsbruck bestimmte Entschädigungssumme. Auch dann war es bei den denkenden Franzosen nicht so ausgemacht, daß man in dieser Sache vorschreiten sollte. Die in den deutschen Angelegenheiten erfahrensten Staatsmänner warnten vielmehr den König vor jeder Neuerung. Denn er würde dadurch die Stellung, die er als Verfechter der reichsständischen Rechte gegen das Haus Österreich einnehme, gefährden, das Vertrauen seiner Freunde verscherzen: sie rieten ihm, auch nicht einen Gedanken daran durchblicken zu lassen. Aber Ludwig XIV. fühlte sich so mächtig, daß er sich durch Rücksichten dieser Art nicht mehr binden ließ. Als La Meilleraye, Duc de Mazarin – derselbe, den der Kardinal zum Fortsetzer seines Stammes und Hauses erwählt hatte – die Landvogtei übernahm, forderte er die zehn Städte auf, die Hoheit von Frankreich in bezug auf Rechtspflege, militärische und kirchliche Dinge anzuerkennen: und suchte sie, als sie sich weigerten, mit mannigfaltigen Gewalttätigkeiten heim. Kaiser und Reich nahmen sich ihrer an; auf ihre Vorstellungen antwortete der König bereits in ziemlich gereiztem Tone, doch gab er noch nach – denn damals wollte er mit dem Reich nicht brechen –, daß ein Schiedsgericht, zu dem er selbst einige Mitglieder namhaft machte, niedergesetzt wurde. Besonders die Forderung der französischen Krone, daß ihr die Städte den Eid der Treue schuldig seien, ward von dem Fürsten einer Prüfung unterworfen, und auf eine, den Punkt, auf den es ankam, fein und glücklich treffende Weise abgelehnt. Der König aber blieb dabei, daß ihm ein einfacher Eid der Treue und des Gehorsams geleistet werden müsse. Noch wurde hierüber Rede und Gegenrede gewechselt – über andere Beschwerden war aber noch nicht einmal ein umfassender Vorschlag gemacht –, als der Krieg ausbrach, der die Entscheidung wieder auf die Spitze des Schwertes stellte [1673].

Von deutscher Seite hat man während desselben einmal beabsichtigt, die dem König gemachten Abtretungen für verfallen zu erklären: der König ergriff, wie wir sahen, den günstigen Augenblick, die zehn Städte im Elsaß völlig zu unterwerfen [1673]. Ihre Mauern, die zu ihrer Unterwerfung niedergerissen waren, ließ er, nachdem diese erfolgt war, wieder aufrichten, um sie gegen jeden Angriff von Deutschland her zu behaupten. Wer sollte nicht erwarten, daß diese große Differenz einen der vornehmsten Gegenstände der Friedensverhandlungen von Nimwegen ausgemacht haben würde? Ludwig XIV. vermied dies sorgfältig. Er hielt nicht für nötig, sein Recht aufs neue feststellen zu lassen; er erklärte es für unzweifelhaft, da es ihm durch den Wortlaut des Münsterschen Friedens hinreichend gesichert sei. Die kaiserlichen Gesandten haben einmal den Antrag gemacht, für die Rückgabe von Freiburg einige elsässische Städte, etwa Schlettstadt oder Kolmar, abzutreten: die Franzosen antworteten, das sei eben, als wenn man ihnen eine Stadt in der Mitte von Frankreich anbieten wollte. Die Kaiserlichen brachten dann die Erneuerung des Schiedsgerichts in Antrag; die Franzosen erklärten, daran nicht mehr gebunden zu sein. Auch um dieser Sache willen verlangte Brandenburg die Wiederaufnahme des Krieges: aber der Kaiser fühlte sich nicht in der Lage, es deshalb auf einen neuen Bruch ankommen zu lassen. Er suchte sich durch eine Protestation zu helfen, welche von dem Reiche nicht allein gebilligt, sondern durch die Aufforderung, die Reichsfreiheit der Gefährdeten zu schützen, verstärkt wurde. Aber die Franzosen erklärten dies für Akte der inneren deutschen Politik, um welche sich ein Dritter nicht zu bekümmern brauche; sie hielten sich an den Frieden und dessen Ratifikation durch den Kaiser, in welcher der Rechte der bedrohten Reichsstände nicht weiter gedacht wurde. Bei den Verhandlungen über die Herstellung der Ruhe wies der französische Gesandte die von den Kaiserlichen aufgestellte Liste der von beiden Seiten zu räumenden Orte zurück, weil darin auch einige elsässische Städte und einige Lehen des Bistums Metz begriffen waren, die sie bereits als durch den Münsterschen Frieden erworben ansahen.

Wenn die Franzosen die Behauptung aufgestellt haben, daß bei diesen Erörterungen durch die Nachgiebigkeit des Reiches ihre Ansprüche anerkannt worden seien, so sieht man wohl, wieviel daran fehlt; Kaiser und Reich waren in unaufhörlichem Widerspruch dagegen begriffen. Es kann nur als eine Folge der schlechten Verfassung ihrer Angelegenheiten betrachtet werden, daß sie den Frieden unter solchen Umständen eingingen. Aber da es nun einmal geschehen war, so konnte sich auch niemand darüber täuschen, daß der König seine vermeinten Rechte nicht sowohl trotz desselben, als nun auf ihn Bezug nehmend, mit aller Kraft ausführen würde.

Ludwig XIV. glaubte eine neue politische Grundlage für die Ausführung seiner militärischen Entwürfe gewonnen zu haben; eben das war sein Ehrgeiz, alle seine Ansprüche, so zweifelhaft sie auch sein mochten, jedem anderen zum Trotz zur Geltung zu bringen. Indem die Welt hoffte, sich der Herstellung der allgemeinen Ruhe zu erfreuen, schritt er, diese durchbrechend, zu den Unternehmungen, die er sich vorgenommen hatte, fort, ohne alle Rücksicht auf die Rechte der anderen. Er wendete vielmehr eine lediglich der französischen Ordnung der Dinge entsprechende Form auf diese an. Sein Verfahren war folgendes.

Reunionskammern.

Die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun, ohnehin Geschöpfe von Ludwigs Hand, wurden aufgefordert, die zu ihren Bistümern gehörigen Besitzungen und Rechte, wie einst von dem Kaiser, so jetzt von dem König zu Lehen zu nehmen. Sie antworteten, davon sei so viel abgekommen und ihnen entrissen, daß sie es nicht einmal anzugeben vermöchten; sie baten um einen Gerichtshof, vor welchem die im Laufe der Zeit geschehenen Usurpationen untersucht werden könnten. Hierauf ward in dem Parlament zu Metz eine besondere Abteilung zu diesem Zweck gebildet; die Bischöfe legten ein langes Verzeichnis von Inhabern solcher Güter, die ihren Kirchen entrissen, und von Vasallen, die ihrer Lehenspflicht nicht eingedenk seien, vor. Gleich als sei ein französisches Parlament ein allgemein europäischer Gerichtshof, wurden nun die ersteren von selten des Berichts zur Verantwortung vorgeladen, die zweiten aber, welches auch übrigens ihre Stellung sein mochte, aufgefordert, keinen anderen Souverän anzuerkennen als den König, noch einen anderen Gerichtshof als das Parlament zu Metz. Auf den Grund, daß die Rechte des Reiches in den Bistümern sämtlich an ihn übergegangen seien, stellte sich Ludwig als Oberlehensherr aller derer auf, welche ihm als Vasallen der Bistümer bezeichnet wurden. Was ihm dies bedeutete, sieht man daraus, daß er unter anderen Nomeny in Anspruch nahm, worauf die Reichsstandschaft der Herzöge von Lothringen beruhte. Aber auch noch andere Reichsfürsten von uraltem Ansehen, den Pfalzgrafen von Veldenz und Lützelstein, den Herzog Friedrich Ludwig von Zweibrücken – die Grafen von Salm und von Saarbrück – meinte er als Untertanen der französischen Krone betrachten zu können und forderte sie auf, ihm zu huldigen. Folgerechterweise ward auch Georg von Württemberg, Graf von Montbelliard, welches zu der Franche-Comté gehört, als Vasall von Frankreich in Anspruch genommen.

Was schon an sich eine Vergewaltigung war, ward durch die Verschiedenheit der staatsrechtlichen Begriffe in beiden Ländern vollends unerträglich. Das Wort Souveränität, das in Deutschland nur eine Unabhängigkeit von der Reichsgewalt und den Reichsgerichten bezeichnete, sollte förmliche Oberherrlichkeit in einer Ausdehnung und einem Umfang, von der hier niemand einen Begriff hatte, bedeuten. Das Provinzialgericht in Breisach, vor kurzem zu einem obersten inappellablen Gerichtshof nach der Weise der französischen Parlamente erhoben, machte es recht zu seinem Geschäfte, denselben auszubilden. Wohl waren in dem Münsterschen Frieden die Reichsunmittelbaren auf völlig unzweideutige Weise von der Übertragung der obersten Autorität ausgenommen worden, aber wer war reichsunmittelbar? Die Intendantur des Elsaß stieß in den dortigen Archiven auf Nachrichten von einer Zusammenkunft in Schlettstadt, bei der sich eine große Anzahl geistlicher und weltlicher Unmittelbaren um den Erzherzog Leopold gesammelt hatten: der Gerichtshof schloß daraus, daß diese alle von dem Erzherzog abhängig gewesen und nun ebenso von Frankreich abhängig geworden seien. Auf diesen Grund hin wurden die im Elsaß angesessenen Reichsunmittelbaren, Fürsten, Ämter, Stände, Ritterschaft für Vasallen des Königs erklärt. Allerorten wurde das französische Wappen angeschlagen, der Eid der Treue, nach französischem Gebrauch, von den Untertanen wie von den Herren gefordert. Vor der drohenden Nähe einer schonungslosen Gewalt beugten sich die meisten. Der Bischof von Straßburg, die Grafen von Hanau, die Herren von Fleckenstein erschienen nun in dem Verzeichnis der französischen Vasallen; die elsässische Ritterschaft schickte in den ersten Monaten des Jahres 1681 eine Deputation nach Paris, der der König die Erhaltung der unter Kaiser und Reich hergebrachten Privilegien und gewisse Ehrenrechte zusicherte. Die Entfernteren, namentlich die mächtigen Reichsglieder, welche von diesen Maßregeln betroffen wurden, widerstrebten, aber ihre Beamten wurden verjagt, ihre Archive verschlossen, ihre Renten vorenthalten; wendeten sie sich an den französischen Hof, so wurden sie an die Gerichtshöfe von Metz oder von Breisach gewiesen: die Minister versagten jede Rücksprache und Unterhandlung, denn in dem, wozu er kundbar berechtigt sei, könne nun der König sich einmal die Hand nicht binden; sie verweigerten selbst schriftlichen Bescheid. Am härtesten scheint der Erzbischof von Trier – damals ein Orsbek – wie in der Ausübung seiner geistlichen Rechte, so in seinem weltlichen Besitz und seinen Lehensherrlichkeiten bedrängt worden zu sein. Ludwig XIV. hat drei Ortschaften an der Maas in Anspruch genommen, weil König Pipin, der sie dem Stift geschenkt hatte, sich dabei königliche Macht und Schutz darüber vorbehalten habe. Oberstein, das dem Erzbistum seit einem halben Jahrtausend angehörte, ward jetzt von französischen Truppen besetzt; ebenso Homburg und Bitsch. Gegen das kurpfälzische Schloß Falkenburg wurde schweres Geschütz zur Anwendung gebracht, um es zu unterwerfen.

Kaiser und Reich verfehlten nicht, sich der Bedrängten anzunehmen, auch erklärte sich der König bereit, auf eine Konferenz einzugehen, und sobald diese begonnen sei, von allen weiteren Besitzergreifungen abzulassen: aber in demselben Augenblick schritt er noch erst zu den unerwartetsten, bedeutendsten von allen, und zwar mit der unbefangensten Miene von der Welt.

Straßburg

Gegen Ende September [1681] war ein Aufenthalt des Hofes in Chambord angesagt und Graf St. Aignan bereits dahin abgegangen, um einiges für die Vergnügungen, Komödie und Musik vorzubereiten, als der König plötzlich zu erkennen gab, er werde sich nicht nach Chambord, sondern nach Metz und in das Elsaß begeben. Wenn gefragt ward, in welcher Absicht, so machte man selbst dem kaiserlichen Gesandten kein Hehl daraus. Der König wolle, sagte man ihm, die ihm im Westfälischen Frieden abgetretenen Rechte vollends zur Ausführung bringen: er wolle die Huldigung der Stadt Straßburg einnehmen.

Die Huldigung einer freien Stadt, die seit unvordenklicher Zeit ihre Freiheit unter dem Schutze des deutschen Reichs genossen hatte!

Auch das war aber schon vorbereitet. Indem das Elsaß sich unterwarf, hat man auch der Stadt Straßburg, bereits gegen Ende des Jahres 1680, angemutet, sich von dem Reich freiwillig zu trennen, um fortan im Besitz ihrer alten Freiheit unter der Protektion von Frankreich zu leben. Da sie darauf nicht einging, so beschloß man, sie mit Gewalt zu unterwerfen.

Sich zu verteidigen war Straßburg damals nicht fähig. Die kaiserliche Besatzung, die es zuletzt aufgenommen, war auf Andringen des französischen Hofes abgezogen, der größte Teil der städtischen und schweizerischen entlassen; man zählte etwa 400 Kriegsleute von Gewerbe im Dienste der Stadt, von den vierzehn Bastionen der Befestigungen hätte kaum eine gehörig besetzt werden können. Wohl war die Bürgerschaft kaiserlich und von ganzem Herzen deutsch gesinnt, aber auch eine französische Partei gab es, deren Mittelpunkt die Domherren bildeten; der Rat der Stadt selbst nahm eine zweifelhafte Haltung an. Wenn Kaiser und Reich den Mut des Widerstandes nicht besaßen, woher sollte die Obrigkeit und eine einzelne Stadt ihn nehmen? Von der deutschen Seite hilflos gelassen, dachte der Rat nur noch auf eine Rettung der Stadt vor dem von Frankreich angedrohten Verderben. Man hat gesagt, einige Mitglieder desselben seien mit Geld bestochen worden. Bewiesen ist es nicht, und kaum sollte man glauben, daß Magistrate einer alten freien Stadt sich so tief hätten wegwerfen können. Aber anders ist es doch nicht: von der Bedrängnis ihrer Stadt, und zugleich auf eine Sicherstellung ihrer Personen Bedacht nehmend, mögen einige Ratsherren sich zu Schritten haben hinreißen lassen, bei denen sie ihre Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland aus den Augen verloren. Noch immer sind ihre Verhandlungen mit dem französischen Hofe in Dunkel begraben. Sehr unterrichtete, diesem Hofe nahestehende Männer hielten sich überzeugt, und es ist in der Tat wahrscheinlich, daß sie schon im voraus eine Kapitulation, durch welche die Freiheiten und Rechte ihrer Stadt gesichert werden sollten, mit Louvois verabredet hatten. Genug, mit so gut wie vollkommener Gewißheit des Gelingens konnte der König zur Unterwerfung von Straßburg schreiten. Doch wurden schon deshalb, um nicht eine Gegenwirkung von Deutschland her zu veranlassen, die Vorbereitungen dazu im tiefsten Geheimnis getroffen. Früh am Morgen des 28. September – es war eines Sonntags – nahmen zuerst ein paar tausend französische Dragoner die Rheinschanze in Besitz; dann erschienen eine Anzahl Regimenter und besetzten rings umher die Zugänge der Stadt. Sie hatten in der Stille um Freiburg und Breisach her gelagert und wurden plötzlich herangezogen. Des anderen Tages traf Louvois in dem Hauptquartier zu Illkirch ein. Auf den Grund des Ausspruches der Kammer zu Breisach, welcher das Recht der Souveränität über den Elsaß dem König zuerkannt habe, forderte er die Stadt auf, sich demselben ebenfalls zu unterwerfen: jede Unterhandlung darüber wies er von der Hand; würde die Stadt sich der königlichen Gnade würdig machen, so sei er ermächtigt, ihr die Erhaltung ihrer Privilegien zuzusichern; sollte sie widerstehen, so sei er stark genug, sie der Verwüstung preiszugeben, und werde die Bürger als Rebellen gegen ihren rechtmäßigen Herrn behandeln. Nur der entschlossenste Heldenmut hätte eine Verteidigung wagen können: einem eben in Belagerungen geübten Feinde gegenüber, wie dieser war – auch Vauban war bereits in die Nähe gekommen –, hatte ein solcher Versuch keinerlei Aussicht auf Erfolg; das Zeitalter, wo streitbare Bürgerschaften auf eigene Kraft sich mit mächtigen Fürsten messen konnten, und damit die Epoche der städtischen Freiheit, war längst vorbei. Der Magistrat hat keinen Augenblick an Widerstand gedacht. Absichtlich ließ er die Kanonen auf den Wällen ohne Munition, damit nicht der Unbedacht der Bürger einen Konflikt veranlassen möge; mit einer Art von Bedauern über die demokratische Verfassung, die das notwendig mache, bat er Louvois um ein paar Stunden länger Bedenkzeit, auf so lange, bis die Bürgerschaft zu derselben Gesinnung gebracht sei, welche er selber hege. Die Schöffen der Zünfte wurden zusammenberufen; als diese überzeugt waren, daß der Widerstand ins Verderben führen müßte, ward ihre Meinung den Bürgern, die auf den Wällen und unter den Waffen standen, kundgetan. Tausendmal lieber hätten sie sich zur Wehr gesetzt, sie verwünschten den Rat, aber sie unterwarfen sich der Notwendigkeit. Die Kapitulation, die man nun von beiden Zeiten unterschrieb, sicherte der Stadt ihre Verfassungen, Rechte, Besitztümer und die Ausübung ihrer Religion; nur den Münster hatten sie dem Bischof und das Zeughaus dem König zu überliefern; Privatgerechtsame konnte sie retten, die politische und religiöse Autonomie, welche sie beim deutschen Reich von jeher behauptet hatte, war auf immer verloren. Die französische Regierung, wo alles der großen Einheit Untertan war, konnte eine solche ihrer Natur nach nicht gestatten.

Vierzehn Tage darauf hielt der König einen prächtigen Einzug in Straßburg. Sein erster Besuch galt dem Platz, auf welchem Vauban die neu zu errichtende Zitadelle bereits abgesteckt hatte. Die vorhandenen Fortifikationen wurden besichtigt, der Entwurf zu denen gemacht, welche, um den Rhein zu sichern, hinzugefügt werden sollten. Ludwig XIV. verschaffte es nun auch unter den Deutschen eine gewisse persönliche Bewunderung, daß er überall selbst zur Stelle war und die Anordnungen traf, zu deren Ausführung des anderen Tages geschritten ward. Die aus der Umgegend aufgebotenen Landleute sah man auch Sonntags an den Schanzen arbeiten. Fünftausend Mann lagerten in der Nähe und hielten Wache an der gewonnenen großen Grenzfeste.

Das Reich protestierte, sah sich aber gezwungen, unter dem Druck eines Türkenkrieges dem mit einem Angriff drohenden Ludwig die Reunion auf zwanzig Jahre zu überlassen (1684). Da die Türken in den folgenden Jahren geschlagen wurden, beschloß Ludwig im September 1688 das Reich ohne Kriegserklärung zu überfallen, um es, solange die Türken noch im Felde standen, zur endgültigen Abtretung sowie zur Anerkennung angeblicher Ansprüche seines Bruders, des Herzogs von Orleans, auf die Pfalz zu zwingen.

Schon waren eine Anzahl Regimenter vorläufig in Marsch gesetzt; am 22. September erhielt der Dauphin Befehl, an ihrer Spitze in das überrheinische Deutschland einzudringen. Die Erlaubnis, sich dem Thronfolger und seinem Heere anzuschließen, wurde als eine persönliche Gunst betrachtet. Wie früher, so hielt man auch damals für das Ratsamste, den Krieg mit einer Belagerung zu beginnen; denn hauptsächlich in der Belagerung bestand die Stärke der französischen Armee. Man hatte Philippsburg ins Auge gefaßt, und bereits am 6. Oktober langte der Dauphin vor dem Platze an, um das Werk zu beginnen. Der Ingenieur Vauban wollte gleichsam ein Beispiel von Belagerungskunst aufstellen; er zeigte dem jungen Fürsten, wie er seine Angriffe zu machen habe, und bezeichnete den Tag, an welchem die Festung gefallen sein müsse. Niemand zweifelte, daß diese Eroberung und die daran sich knüpfende unfehlbare Besetzung der Rheinpfalz den größten Eindruck auf Kaiser und Reich machen würde. Der König erklärte in seinem Manifest, weder das eine noch das andere wolle er behalten, auch Freiburg, das er uneinnehmbar gemacht zu haben sich schmeichelte, wolle er herausgeben, nachdem er die Festungswerke zerstört habe; er verlange nichts als einen definitiven Frieden auf dieselben Bedingungen, wie am 15. August 1684 der Stillstand geschlossen worden sei; übrigens werde er zufrieden sein, wenn man dann auch Philippsburg schleife und den Anspruch seines Bruders auf die Pfalz durch eine Geldsumme abkaufe.

Das Manifest erzielte die beabsichtigte Wirkung nicht. Das Reich nahm im Bunde mit Spanien, England und Holland den Kampf auf, erlitt aber zunächst Nachteile.

Noch zwei Tage früher, als Vauban angekündigt hatte, war Philippsburg, und gleich darauf die gesamte Pfalz, in die Hand des Dauphin gefallen; eine Medaille rühmt ihn, daß er innerhalb eines Monats zwanzig Städte in Besitz genommen habe. Tief in Schwaben und in Franken trieben die Franzosen Brandschatzungen ein.

Schon in der Mitte Oktober erschien Marquis Boufflers an der Spitze von 20 000 Mann vor Mainz. Es war erst fünfzehn Jahre her, daß ein weitschauender und tatkräftiger Kurfürst-Erzbischof seine Hauptstadt regelmäßig hatte befestigen lassen, damit, durch die neuen Bastionen gesichert, Fürst und Kapitel ruhig bei Land und Leuten bleiben möchten. Kaum aber zeigte sich eine feindliche Macht vor den gewaltigen Bollwerken, so hatte weder der Fürst noch sein Kapitel den Mut, sich derselben zu bedienen, die Verteidigungswerke zu verteidigen. Bei der geringen Anzahl der Mannschaften, über die sie geboten, schien ihnen gerade der Umfang derselben ihre Behauptung unmöglich zu machen: sie wurden den Franzosen ohne Widerstand eingeräumt, die nun sofort Hand anlegten, sie noch zu verstärken, und eine Besatzung hineinwarfen, welche sie zu halten vermochte.

Koblenz und Köln wurden noch durch rechtzeitiges Eintreffen nachbarlicher Hilfe geschützt. Aber wie Trier, von seinem Erzbischof verlassen, in der Tat nicht hatte gerettet werden können, so wurden die Festungen des Kölner Erzstiftes, Neuß, Bonn, Rheinberg und Kaiserswerth, von dem Kardinal Fürstenberg von freien Stücken den Franzosen überliefert; diese sollten sie für ihn gegen Kaiser und Reich behaupten.

Auf diese Weise waren die Franzosen Meister der vier vorliegenden Kurfürstentümer geworden: sie beherrschten den Rhein weit und breit an beiden Ufern sowie den Neckar.

Unschätzbare Vorteile, wenn nun der Krieg mit den zuerst gefaßten Absichten weitergeführt werden konnte: sie waren recht geeignet, die deutschen Patrioten, die von der Haltbarkeit jener Festungen und Städte einen ganz anderen Begriff gehabt hatten, zu entmutigen und sie zur Annahme des Friedens zu stimmen. Aber als der große Bund geschlossen ward, fühlte sich alles in demselben Grade zum Widerstand angefeuert, da es am Tage lag, daß Frankreich nunmehr Feindseligkeiten von größerer Nachhaltigkeit zu bestehen haben würde als bisher.

Zunächst hatten die Franzosen für Verstärkung der Verteidigungsanstalten längs des Ozeans Sorge zu tragen. Bei 50 000 Mann Milizen, welche die Pfarren stellen mußten, wurden an den Küsten von Guyenne, Bretagne und Normandie verteilt und geübten Offizieren zur Einübung anvertraut, um die bedroht scheinenden Punkte zu schützen. Besonders auf Guyenne war die Aufmerksamkeit gerichtet, wie denn in der Tat in England gleich anfangs ein Anfall auf die Provinz beabsichtigt worden ist, weil sie noch Hugenotten in Menge enthielt, von denen man meinte, sie würden sich bei der ersten Gelegenheit erheben; Galeeren wurden daselbst instand gesetzt, um jede Annäherung kleiner Fahrzeuge zu hindern.

Aber überdies mußte der Krieg in den Niederlanden und an den Pyrenäen geführt werden. Die Franzosen versicherten zwar, daß sie 300 000 Mann aufstellen und von diesen gewiß die Hälfte im offenen Felde würden verwenden können, aber wenigstens in dem ersten Feldzug haben sie diese Anzahl nicht von ferne erreicht. Wohlunterrichtete Männer berechnen, daß sie anfangs an den Pyrenäen 10 000, in den Niederlanden etwa 40 000 Mann, in Deutschland gewiß ebenfalls nicht mehr im aktiven Dienst hatten. Wie es sich aber auch mit der Richtigkeit dieser Ziffern verhalte: auf keinen Fall waren die Franzosen stark genug, alle die Plätze, welche sie am Mittelrhein besetzt hatten, zu behaupten.

Die Unfähigkeit, dies zu bewirken, die Verlegenheit, in die sie dadurch gerieten, führte sie zu einer gräflichen Handlung. Sie entschlossen sich, von den eingenommenen Plätzen nur die beiden mit den besten Werken versehenen, Philippsburg und Mainz, ernstlich zu verteidigen: was sollte aber mit den übrigen geschehen? Sollten sie den vordringenden deutschen Heeren einfach wieder überlassen werden?

Vauban hatte von der Zitadelle von Mannheim, Friedrichsburg, die mehr durch Verrat als Überlegenheit der Waffen gewonnen worden, bemerkt, daß man sie um keinen Preis wieder in die Hände der Deutschen dürfe geraten lassen; sie könne dann an dieser wichtigen Stelle bis zur Unbezwinglichkeit befestigt werden und jetzt oder in Zukunft viel zu schaffen machen. Dann äußerte Marschall Duras, der mit dem Oberbefehl am Rhein betraut war, für die Verteidigung von Mainz und von Philippsburg werde aus jenen zwar nur mittelgroßen, aber begüterten Ortschaften eine Gefahr entspringen, da sie dem deutschen Heere Hilfsquellen zu seinen Angriffen bieten würden. Folgerichtigermaßen regte sich der Gedanke und ward von dem erbarmungslosen Louvois ergriffen, daß es das beste sei, die Städte zu zerstören und ihre Einwohner nach dem französischen Gebiete wegzuführen. Man wünschte besonders die Pfalz in einen so wehrlosen Zustand zu setzen, daß der Kurfürst nicht daran denken könne, dahin zurückzukehren und wieder festen Besitz zu ergreifen. Aber auch die Bemerkung soll gemacht worden sein, daß dann um so leichter zwischen den Verbündeten wegen der Quartiere Streit ausbrechen werde. In früheren Zeiten war immer der gute und der böse Krieg unterschieden worden. Daß die Maßregel, die Frankreich vorhatte, allem Kriegsgebrauch entgegenlief und ein unbeschreibliches Unheil über ein großes blühendes Land verhängte, konnte diejenigen nicht irren, die einer vermeinten Beleidigung wegen Genua beschossen, dem Vorurteil der religiösen Einheit zuliebe Hunderttausende ihrer eigenen Angehörigen mit den äußersten Gewalttätigkeiten bedrängt und schon in dem letzten Kriege ähnliche Verwüstungen, wiewohl in kleinerem Umfange, angeordnet hatten. Sie hatten nur dafür Sinn, daß sie dadurch in den Stand kommen würden, die eingenommene militärische Stellung im ganzen zu behaupten: – wie den Einwohnern von Speier angekündigt worden ist, der König habe nicht Truppen genug, eine so große Stadt wie die ihre zu bewahren, aber auch der Feind dürfe hier keinen Unterhalt finden, nicht die Handreichung eines einzigen Menschen solle ihm zugute kommen, deshalb müsse Speier verlassen und geschleift werden; nicht etwa durch Mißvergnügen über die Einwohner werde der König zu diesem Entschlusse bestimmt, die Beschaffenheit der Dinge bringe es so mit sich. Wie Speier, so wurden Worms, Mannheim und Heidelberg der Verwüstung preisgegeben; die Schlösser und die Dörfer, die Zinnen der Mauern und die Bürgerwohnungen, die Rathäuser und die Dome, die Brücken über die Flüsse, die Grabstätten der alten Kaiser: der Besitz der lebenden Generation und die Denkmale der Vergangenheit, unschätzbar in diesem alten Lande der Kultur. [Winter 1688/89.] Man kann noch heute die Holzschnitte der Zeit, in denen über den Türmen und Dächern so vieler altberühmten und kunstgeschmückten Städte die herausschlagenden Flammen und die darüberliegenden Rauchwolken abgebildet sind, nicht ohne Herzeleid ansehen.

Der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, hatte man den Dauphin, als er nach Philippsburg ging, als ihren Ritter bezeichnet, der ihr Recht an die Pfalz mit dem Schwerte verteidigte, und sie meinte später selbst, daß die Erinnerung an sie, die alte Hingebung an ihr Haus, dazu beigetragen habe, daß derselbe in der Pfalz so gut wie keinen Widerstand fand. Aber von Anfang an ahnte sie Unheil. Zum Erstaunen und Mißfallen des Hofes und des Königs verhielt sie sich schweigsam bei der Verteidigung ihrer Rechte oder äußerte sich mit Kälte und Besorgnis. Wie mußte sie es empfinden, als die Dinge nun, trotz der Bitte, die sie für Mannheim und Heidelberg einlegte, eine so entsetzliche Wendung nahmen. Sie betrachtet sich als die Ursache zu dem Ruin ihres Vaterlandes, den sie von der Ferne mit durchlebt, als wenn sie gegenwärtig wäre: mitten im Schlaf fährt sie auf, und alles stellt sich ihr vor, wie es früher gewesen war, sich unter dem fürsorgenden Auge ihres Vaters erst recht gestaltet hatte, und wie es nunmehr geworden sein mußte, und in welchem Zustande sie sich selber befand; in lautem Weinen brachte sie die Nächte zu.

Wenn aber diese Gewaltsamkeiten dienen sollten, Mainz zu verteidigen, so ward der Zweck dadurch nicht erreicht. Die deutschen Streitkräfte, welche sich unter dem Herzoge von Lothringen sammelten, wurden durch die Hilfstruppen, welche der Kurfürst von Bayern freiwillig herbeiführte, stark genug, um zugleich die Belagerung der Stadt zu unternehmen und die Belagernden vor einem Entsatz zu schützen. Aus den großen Magazinen von Frankfurt und Koblenz ward die Armee ununterbrochen auf das beste verpflegt. Die französische Besatzung, die aus mehr als 10 000 Mann bestand, wehrte sich gut; aber noch ehe der Versuch, sie zu entsetzen, zu dem sich Duras eben anschickte, ernstlich gemacht werden konnte, sah sie sich bereits zur Kapitulation genötigt [Sept. 1689]. Indessen waren Rheinbergen, Kaiserswerth und Bonn durch die brandenburgischen Waffen bezwungen worden. Wie ein Jahrhundert später, so haben schon damals die Deutschen die Gebiete am mittleren und niederen Rhein, die den Franzosen auf das leichteste in die Hände geraten waren, mit ungeheuren Anstrengungen wieder eingenommen. Am oberen Laufe dieses Stromes dagegen konnten sie nichts unternehmen; auch in den nächsten Jahren richteten sie daselbst nichts aus. Den Franzosen kam es für die Behauptung ihrer dortigen Stellung sehr zustatten, daß Kaiser und Reich einen ansehnlichen Teil ihrer Streitkräfte an der türkischen Grenze verwenden mußten, wo sie schon wieder nicht so entschieden im Vorteil waren.

*

Nach einem wechselvollen Kriege, in dem die Franzosen dauernd über den Rhein zurückgedrängt wurden, kam es im Jahre 1697 zu Friedensverhandlungen in Ryswick.

Verlust Staßburgs im Frieden.

Die Frage, um die es sich dabei handelte, betraf die Bestimmung der Grenzen zwischen den beiden Reichen. Die Deutschen, die sich infolge einer neuen Kreisassoziation besonders wohl gerüstet und ein Heer von 60 000 Mann zusammengebracht hatten, hegten die Hoffnung, den Zustand der Grenzen wiederzugewinnen, wie er im Westfälischen Frieden festgesetzt worden war. Schon von Anfang an aber setzten sich die Seemächte dieser Forderung entgegen; der [holländische] »Ratspensionär« verwarf den Gedanken, die zehn Städte des Elsaß in das alte Verhältnis zum Reich zurückzubringen, mit bitterem Hohn als den Traum eines kranken Gehirns. England und Holland begnügten sich damit, daß Ludwig XIV. die Herausgabe der übrigen Reunionen zusagte, und in bezug auf Straßburg die Alternative stellte, nach der Wahl der Deutschen entweder diese Stadt selbst oder Freiburg und Breisach herauszugeben. In seiner früheren Weise hatte er noch einmal einen Termin zur Annahme seiner Friedensbedingungen gesetzt; nach dessen Ablauf, vom Ende August an, er nicht länger daran gebunden sein wolle. Zwischen den beiden Vorschlägen war eigentlich kein Verhältnis, da Straßburg an das deutsche Reich, Freiburg und Breisach an das Haus Österreich zurückfallen sollten; ohne Zweifel hätten sich die deutschen Bevollmächtigten, da es einmal nicht anders war, zu der Wahl von Straßburg entschließen sollen; aber die Taktik der Negociationen haben die Deutschen als Gesamtheit von jeher am wenigsten verstanden: indem sie zögerten, arbeiteten sie selbst den französischen Gesandten in die Hände, deren Verhalten wenigstens auf die Engländer den Eindruck machte, als liege ihnen daran, das Einhalten des Termins geflissentlich zu hindern. Endlich sprachen sich die kaiserlichen Gesandten für die Annahme von Sraßburg aus, ohne aber die anderen Bedingungen anzunehmen: eine Einschränkung, die doch den Abschluß nicht hindern zu können schien, da sich England, Holland und Spanien bereit erklärten, unter Vorbehalt ihrer Accession, zugleich für den Kaiser und das Reich denselben zu unterzeichnen. Aber die französischen Gesandten wiesen dies Anerbieten von der Hand; am 1. September traten sie mit einer neuen Erklärung hervor, durch welche der König die gestellte Alternative zurücknahm und den Entschluß aussprach, Straßburg zu behaupten. Das Verfahren der Franzosen wurde hauptsächlich dadurch veranlaßt, daß das Glück ihrer Waffen jenseits der Pyrenäen und das Übergewicht in den Niederlanden ihre Zuversicht zu ihrer Sache erhöhte. Wilhelm III. empfing einen so widerwärtigen Eindruck, daß er in Beratung zog, ob er nicht den Krieg wieder erneuern solle. Aber bei den neuen Vorteilen der Franzosen, dem allgemeinen Friedenswunsche, der in England und in Holland herrschte, der Erschöpfung auch der diesseitigen Kräfte, erschien das unmöglich. Die Stadt Amsterdam, Holland überhaupt wären niemals zu bewegen gewesen, den Krieg zu erneuern. Und konnte man nicht der Anschlüssigkeit der Deutschen mit einem gewissen Schein den Nachteil schuld geben, in welchem sie abermals gerieten? In Deutschland überlegte man die Möglichkeiten einer Fortsetzung des Krieges, beschied sich aber auch diesmal, daß sie nicht ratsam sei. – An dem von den Franzosen für die Annahme der abgeänderten Friedensvorschläge aufs neue festgesetzten Termin, unterm 20. September 1697, unterzeichneten die übrigen Mächte den Frieden; diesmal ward für Kaiser und Reich die Accession vorbehalten: sie erfolgte am 1. November.

So ging Elsaß mit Straßburg für Deutschland definitiv verloren. In den abschließenden Dokumenten hütete man sich, von deutscher Seite irgend etwas einfließen zu lassen, was eine Anerkennung des französischen Rechts auf den Elsaß in sich geschlossen hätte; man bediente sich der Formel, daß die Franzosen alles herausgeben sollten, was sie außerhalb des Elsaß eingenommen: die deutsche Auslegung des Münsterschen Friedens war dabei gewissermaßen vorbehalten: in der Sache selbst trug das jedoch nur wenig aus; König Ludwig verlangte keine Anerkennung des Rechtes, das er für unzweifelhaft hielt; die Stadt Straßburg ward ihm sehr ausdrücklich abgetreten.


 << zurück weiter >>