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Siebentes Kapitel

Kampf zwischen Kaiser und Papst.

Unter diesen Umständen stieg Gregor VII. auf den päpstlichen Stuhl. [1073] Gregor hat einen kühnen, einseitigen, hochfliegenden Geist; folgerecht, man könnte sagen, wie ein scholastisches System das ist; unerschütterlich in der logischen Konsequenz, und dabei ebenso gewandt, wahren und gegründeten Widerspruch mit gutem Schein zu eludieren. Er sah, wohin der Zug der Dinge führte; in all dem kleinlichen Treiben der Tageshändel nahm er die großen welthistorischen Möglichkeiten wahr; er beschloß, die päpstliche Gewalt von der kaiserlichen zu emanzipieren. Als er dies Ziel ins Auge gefaßt, griff er ohne alle Rücksicht, ohne einen Moment zu zögern, zu dem entscheidenden Mittel. Der Beschluß, den er von einer seiner Kirchenversammlungen fassen ließ, daß in Zukunft niemals wieder eine geistliche Stelle durch einen Weltlichen verliehen werden dürfe, mußte die Verfassung des Reiches in ihrem Wesen umstoßen. Diese beruhte, wie berührt worden, auf der Verbindung geistlicher und weltlicher Institute: das Band zwischen beiden war die Investitur: es kam einer Revolution gleich, daß dieses alte Recht dem Kaiser entrissen werden sollte.

Es ist offenbar: Gregor hätte dies nicht in Gedanken zu fassen, geschweige durchzusetzen vermocht, wäre ihm nicht die Zerrüttung des deutschen Reiches während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. und die Empörung der deutschen Stämme und Fürsten gegen diesen König zustatten gekommen. An den großen Vasallen fand er natürliche Verbündete. Auch sie fühlten sich von dem Übergewicht der kaiserlichen Gewalt gedrückt; auch sie wollten sich befreien. In gewisser Hinsicht war ja auch der Papst ein Magnat des Reiches. Es stimmt sehr gut zusammen, daß der Papst Deutschland für ein Wahlreich erklärte – die fürstliche Macht mußte dadurch unendlich wachsen –, und daß die Fürsten so wenig dawider hatten, wenn der Papst sich von der kaiserlichen Gewalt freimachte. Selbst bei dem Investiturstreit ging ihr Vorteil Hand in Hand: der Papst war noch weit entfernt, die Bischöfe geradezu selbst ernennen zu wollen: er überließ die Wahl den Kapiteln, auf welche der höhere deutsche Adel den größten Einfluß ausübte. Mit einem Wort: der Papst hatte die aristokratischen Interessen auf seiner Seite.

*

Bei den weiteren Kollisionen des Kaisertums und des Papsttums kam nun alles darauf an, welche Unterstützung der Kaiser jedesmal bei ihnen finden würde.

Ich will hier nicht in eine nähere Erörterung der Verhältnisse der welfisch-hohenstaufischen Zeiten eingehen: es würde nicht möglich sein, ohne die Einzelheiten ausführlicher zu entwickeln, als es für diese kurze Übersicht dienlich ist: fassen mir nur die großartigste Erscheinung dieser Epoche, Friedrich I. [1152–1190], ins Auge.

So lange Friedrich I. mit seinen Fürsten gut stand, konnte er sogar daran denken, die Rechte des Kaisertums im Sinne der alten Imperatoren und ihrer Rechtsbücher erneuern zu wollen; er hielt sich für berechtigt, Kirchenversammlungen zu berufen, wie Justinian und Theodosius; er erinnerte die Päpste, daß ihr Besitz von der Gnade der Kaiser herrühre, und mahnte sie an ihre kirchlichen Pflichten, die Gelegenheit einer streitigen Wahl konnte er benutzen, um auf die Besetzung des Papsttums erneuerten Einfluß zu gewinnen.

Wie ganz anders aber, als er sich mit seinem mächtigen Vasallen Heinrich dem Löwen wieder entzweit hatte. Der Anspruch dieses Fürsten auf eine kleine norddeutsche Stadt, auf Goslar am Harz, den der Kaiser nicht anerkennen wollte, entschied in den italienischen, den allgemeinen Verhältnissen der abendländischen Christenheit. Dann blieb dem Kaiser die gewohnte Unterstützung aus, dann ward er im Felde geschlagen: dann mußte er einem geleisteten Eide zum Trotz den Papst anerkennen, den er verworfen hatte [1177].

Und nun wandte er sich zwar wider den empörerischen Vasallen: es gelang ihm, die gesamte Gewalt aufzulösen, die derselbe besaß; allein das war doch hinwiederum vor allem der Vorteil der Fürsten zweiten Ranges, mit deren Unterstützung er das bewirkte und die er dafür aus den seinem Nebenbuhler entrissenen Reichslanden großmachte; auf die Verhältnisse des Papsttums hatte es keine Rückwirkung. Die venezianische Zusammenkunft Friedrichs I. und Alexanders III. [1177] hat meines Erachtens bei weitem mehr zu bedeuten als die Szene von Kanossa. [1077] In Kanossa suchte ein junger leidenschaftlicher Fürst die ihm aufgelegte Buße nur rasch abzumachen; in Venedig war es ein gereifter Mann, der Ideen aufgab, die er ein Vierteljahrhundert mit allen Kräften verfolgt hatte, jetzt aber mußte er bekennen, in seiner Behandlung der Kirche habe er mehr der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. Von Kanossa ging der eigentliche Kampf erst aus; in Venedig ward das Übergewicht der kirchlichen Gewalt vollständig anerkannt.

Denn wie wirksam auch der indirekte Anteil sein mochte, den die Deutschen an diesem Erfolge hatten, so fiel doch der Glanz und der große Gewinn des Sieges ganz dem Papsttum anheim. Nun erst fing es an zu herrschen.

Man sah es bei der nächsten Gelegenheit, als noch am Ende des zwölften Jahrhunderts in Deutschland ein Zwiespalt über die Krone ausbrach. [1197]

Das Papsttum, in einem der geistvollsten, herrschbegierigsten und kühnsten Priester, die je gelebt, der sich als das natürliche Oberhaupt der Welt ansah, Innozenz III., repräsentiert, trug kein Bedenken, die Entscheidung dieses Streites in Anspruch zu nehmen.

Die deutschen Fürsten waren nicht so verblendet, um die Bedeutung dieses Anspruches zu verkennen. Sie erinnerten Innozenz, daß das Reich die Befugnis, auf die Papstwahl einzuwirken, zu der es vollkommen berechtigt gewesen, aus Verehrung für den römischen Stuhl habe fallen lassen: wie unerhört sei es, daß dagegen nun der Papst, ohne alles Recht, sich Einfluß auf die Kaiserwahl anmaße. Unglücklicherweise aber waren sie in einer Stellung, in welcher sie dagegen nichts Ernstliches tun konnten. Sie hätten wieder einen mächtigen Kaiser aufstellen, sich ihm anschließen, unter seinen Fahnen das Papsttum bekämpfen müssen: dazu waren sie weder geneigt noch machte es die Lage der Dinge ausführbar. An und für sich liebten sie das Papsttum nicht, das geistliche Regiment war ihnen zuwider; aber ihm die Spitze zu bieten hatten sie auch den Mut nicht. Die Entschlossenheit Innozenz III. trug einen neuen Sieg davon. In dem Streite der beiden Nebenbuhler, eines Hohenstaufen und eines Welfen, unterstützte er anfangs den Welfen, weil er aus einer kirchlich gesinnten Familie sei: als dieser aber dennoch, sowie er zur Macht gelangt war, und in Italien erschien, sich den gewohnten Antipathien des Kaisertums gegen das Papsttum hingab, stand er nicht an, ihm doch wieder einen Hohenstaufen entgegenzusetzen [1212]. Mit welfischen Kräften hatte er den Hohenstaufen bekämpft; jetzt bot er die hohenstaufischen wider den Welfen auf; es war ein Kampf, in den die Bewegungen auch des übrigen Europa eingriffen; die Ereignisse entwickelten sich hier und dort so vorteilhaft, daß sein Kandidat auch diesmal den Platz behielt.

Seitdem hatte nun die päpstliche Gewalt einen leitenden Einfluß auf alle deutschen Wahlen.

Als eben der von dem Papst beförderte Hohenstaufe, Friedrich II., nach einigen Jahrzehnten den Versuch machte, die Selbständigkeit des Reiches wenigstens in einigen Verhältnissen wiederherzustellen, hielt sich das Papsttum für befugt, ihn auch wieder zu entsetzen. Es trat jetzt mit seinem Anspruch, daß ihm die Zügel so gut der weltlichen wie der geistlichen Gewalt anvertraut seien, unverhohlen hervor. »Wir befehlen Euch,« schrieb Innozenz IV. 1246 an die deutschen Fürsten, »da unser geliebter Sohn, der Landgraf von Thüringen, bereit ist, das Reich zu übernehmen, daß ihr denselben ohne allen Verzug einmütig wählt.«

Für die Wahl Wilhelms von Holland belobt er die, welche daran teilgenommen, in aller Form: er ermahnt die Städte, dem Erwählten getreu zu sein, um sich die apostolische und die königliche Gnade zu verdienen.

Gar bald weiß man das in Deutschland nicht mehr anders. Gleich bei dem Empfange der Huldigung muß Richard von Cornwallis auf den Gehorsam der Städte Verzicht leisten, für den Fall, daß es dem Papst gefalle, ihm einen anderen Bewerber vorzuziehen.

Nach dem Tode Richards fordert Gregor X. die deutschen Fürsten auf, eine neue Wahl vorzunehmen; wo nicht, so werde er mit seinen Kardinälen den Kaiser setzen. Nach vollzogener Wahl ist es wieder der Papst, der den Prätendenten, Alfons von Kastilien, dahin bringt, auf seine Ansprüche und die Insignien des Reiches Verzicht zu leisten, und dem Gewählten, Rudolf von Habsburg, die allgemeine Anerkennung verschafft [1273].

Was kann von der Selbständigkeit einer Nation übrigbleiben, sobald sie es sich gefallen läßt, daß eine auswärtige Gewalt ihr ein Oberhaupt gebe? Es versteht sich, daß der Einfluß, der die Wahlen beherrscht, auch in alle allgemeine Anerkennung verschafft [1273].

Wohl hatte indes auch das deutsche Fürstentum Fortschritte gemacht. Im dreizehnten Jahrhundert, in jenen Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Thronbewerbern, zwischen Kaisertum und Papsttum hatte es sich in Besitz fast aller Prärogativen der Landeshoheit gesetzt. Auch sorgte man mit bedächtiger Voraussicht, daß die kaiserliche Macht nicht wieder zu überwiegender Größe erwachsen konnte. Am Ende des dreizehnten, im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts wählte man diese Oberhäupter fast methodisch aus verschiedenen Häusern. Unbewußt oder bewußt hatte man die Maxime, jeder eben begonnenen Konsolidation wieder eine neue Berechtigung auf einer anderen Seite entgegenzusetzen: wie der schon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das habsburgische Haus, und diesem dann wieder bald Nassau, bald Luxemburg oder Bayern; zu mehr als vorübergehender Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam auch kein anderes Geschlecht zu selbständiger Haltung: das geistliche Fürstentum, welches vorzugsweise die allgemeinen Geschäfte führte, bedeutete fast mehr als das weltliche.

Um so mächtiger ward dann das Papsttum, von dem die geistlichen Fürsten abhingen: zu dem auch die weltlichen eine sehr untergeordnete Stellung annahmen. Was soll man sagen, wenn sie im dreizehnten Jahrhundert einmal erklären, die römische Kirche habe sie in Deutschland gepflanzt und mit ihrer Gnade gepflegt und emporgebracht. Der päpstliche Stuhl hatte den deutschen Fürsten wenigstens ebensoviel zu verdanken wie diese ihm: aber er hütete sich wohl, davon zu sprechen: niemand mochte ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaisertum waren andere, über andere weltliche Gewalten zur Seite gegangen: es besaß nun fast unbestritten die oberste Hoheit in Europa. Jene Pläne, die schon im neunten Jahrhundert hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenommen, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen.


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