Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Entstehung des Deutschen Reiches

Nicht immer aber konnte es eine so gewaltige, gebietende Persönlichkeit geben, und für die Entwicklung der Welt, die Karl der Große gegründet, kam nun alles darauf an, wie die Elemente, aus denen sie zusammengesetzt war, sich gegeneinander verhalten, sich verschmelzen oder abstoßen, sich vertragen oder bekämpfen würden. Denn nur aus der freien Bewegung der inneren Triebe wird das Leben geboren.

Da konnte es aber wohl nicht anders sein, als daß der Klerus zuerst seine Kräfte fühlte. Er bildete eine auch von dem Kaiser unabhängige geschlossene Genossenschaft, entsprungen und ausgebildet in den romanischen Nationen, ihr eigentümlichstes Produkt in dem letzten Jahrhundert, nunmehr auch über die germanischen ausgebreitet, wo er, durch das Mittel einer gemeinschaftlichen Sprache, immer neue Proselyten machte, immer festeren Boden gewann.

*

Man darf es wohl nicht in Abrede stellen, daß die Thronfolgeordnung, welche Ludwig der Fromme, ohne auf die Warnungen seiner Getreuen zu hören, im Widerspruch mit allen germanischen Ideen, im Jahre 817 festsetzte, hauptsächlich unter dem Einfluß der Geistlichen getroffen ward. Es sollten, wie Agobardus sagt, nicht drei Reiche entstehen: ein einziges sollte es bleiben; die Teilung des Reiches schien die Einheit der Kirche zu gefährden. Wie es hauptsächlich geistliche Motive sind, welche der Kaiser anführt, so wurden die getroffenen Anordnungen mit allem Pomp religiöser Zeremonie bekräftigt: mit Messen, Fasten, Verteilung von Almosen; jedermann beschwor sie: man hielt dafür, Gott habe sie eingegeben.

Und nun hätte niemand sich beikommen lassen dürfen, davon abzuweichen: selbst der Kaiser nicht.

Wenigstens schlug es ihm zu großem Unheil aus, als er, aus Liebe zu einem später geborenen Sohn, das doch versuchte. Die aufgebrachte Geistlichkeit verband sich mit seinen älteren, über die Art und Weise der Reichsverwaltung ohnehin mißvergnügten Söhnen: der Oberpriester kam in Person von Rom herbei und erklärte sich zu ihren Gunsten: ein allgemeiner Abfall erfolgte. Ja, diese erste Machtentwicklung genügte der Geistlichkeit noch nicht einmal. Um ihrer Sache für immer gewiß zu sein, vereinigte sie sich zu dem verwegenen Unternehmen, den geborenen und gesalbten Kaiser, dem sie jetzt nicht mehr traute, seiner geheiligten Würde, die er ihr wenigstens nicht verdankte, zu entsetzen und dieselbe auf den im Jahre 817 bestimmten Thronfolger, den natürlichen Repräsentanten der Einheit des Reiches, unmittelbar zu übertragen. Wenn es unleugbar ist, daß die geistliche Macht im achten Jahrhundert zur Gründung des Gehorsams im Reiche vieles beigetragen hatte, so schritt sie in dem neunten auf das rascheste dazu, die Herrschaft selbst in die Hände zu nehmen. Schon in der Kapitulariensammlung des Benediktus Levita wird es als einer der obersten Grundsätze betrachtet, daß keine Konstitution der Welt gegen die Beschlüsse der römischen Päpste Gültigkeit habe; bei einem und dem anderen Kanon werden die Könige, die dagegen handeln sollten, mit göttlichen Strafen bedroht. Die Monarchie Karls des Großen schien sich in einen geistlichen Staat umwandeln zu wollen.

Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß es besonders die Deutschen waren, welche dieser Entwicklung entgegentraten; ja, daß ihr nationales Bewußtsein eben an diesem Widerstande erwachte.

Denn von einer deutschen Nation im vollen Sinne des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich nicht reden. In den ältesten Zeiten hatten die verschiedenen Stämme gar nicht einmal einen gemeinschaftlichen Namen, an dem sie sich erkannt hätten; in den Zeiten der Völkerwanderung schlugen sie sich mit so voller Feindseligkeit untereinander wie mit Fremden, verbanden sich mit denselben so gut wie mit ihren Stammesgenossen; unter den Merowingern kam der Widerstreit der Religionen hinzu, dem fränkischen Christentum gegenüber hielten die Sachsen um so starrer an ihrer Verfassung und an ihren alten Göttern fest. Erst als Karl der Große alle germanischen Stämme, außerhalb Englands und Skandinaviens, in einen und denselben geistlichen und weltlichen Gehorsam vereinigt hatte, fingen die Deutschen an, sich als Nation zu fühlen; da erst im Anfang des neunten Jahrhunderts erschien im Gegensatz gegen die romanischen Bestandteile des Reiches der deutsche Name.

Da ist es nun auf immer merkwürdig, daß die erste Handlung, in der die Deutschen vereinigt erscheinen, der Widerstand gegen jenen Versuch der Geistlichkeit ist, den Kaiser und Herrn abzusetzen.

Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin sie sich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von der Rechtmäßigkeit eines Fürsten übriggeblieben, als daß sie dieselbe von einer angeblichen Eingebung Gottes, d. i. von dem Ausspruch der geistlichen Gewalt, abgeleitet hätten. Ludwig dem Frommen, der sich namentlich um die sächsischen Großen besondere Verdienste erworben, waren sie ohnehin zugetan; leicht war ihr Widerwille gegen jene Absetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deutschen, der bei ihnen in Bayern Hof hielt, sammelten sich auch die übrigen Stämme, Sachsen, Schwaben und die Franken diesseits des karbonarischen Waldes, unter seine Fahnen: zum erstenmal waren sie in einer Absicht vereinigt. Da ihnen von dem südlichen Frankreich her eine analoge, wiewohl bei weitem schwächere Bewegung zu Hilfe kam, so sahen sich die Bischöfe gar bald gezwungen, den Kaiser von seiner Buße loszusprechen, ihn wieder als ihren Herrn anzuerkennen.

Die erste historische Handlung der vereinigten Nation ist diese Erhebung zugunsten des angeborenen Fürsten gegen die geistliche Macht. Auch war sie jetzt nicht mehr geneigt, sich jene Abweichung von ihrem Erbrecht, die Thronfolge eines einzigen über die ganze Monarchie, gefallen zu lassen. Als nach dem Tode Ludwigs des Frommen [840], Lothar, allem, was vorangegangen, zum Trotz, den Versuch machte, das gesamte Reich anzutreten, fand er in den Deutschen anfangs zweifelhaften, aber jeden Augenblick wachsenden und endlich siegreichen Widerstand. Sie brachten seinen Truppen die erste bedeutende Niederlage bei – auf dem Rieß –, durch welche die Absonderung Deutschlands von der großen Monarchie begründet ward. Lothar trotzte auf seine von der Geistlichkeit anerkannten Ansprüche; die Deutschen, mit den Südfranzosen vereinigt, forderten ihn auf, sich dem Gottesurteil einer Feldschlacht zu unterwerfen. Da trennte sich der große Heerbann des Frankenreiches in zwei feindselige Massen, die eine mit überwiegend romanischen, die andere mit überwiegend germanischen Bestandteilen. Jene verfocht die Einheit des Reichs, diese forderte nach ihren deutschen Begriffen die Trennung. Wir haben ein Lied über die Schlacht von Fontenay übrig, in welchem ein Mitkämpfer seinen Schmerz über diesen blutigen Bürger- und Bruderkrieg ausdrückt »über diese bittere Nacht, in der die Tapfern gefallen, die Kundigen der Schlachten«; für die Folgezeit des Abendlandes war sie entscheidend. Das Gottesurteil trug den Sieg davon über den Ausspruch der Geistlichkeit: es kamen nun wirklich drei Reiche zustande statt des einen. [843]

Die weltlich germanischen Grundsätze, die seit der Völkerwanderung ihre Analogien tief in die romanische Welt erstreckten, behielten den Platz: auch in den nachfolgenden Irrungen wurden sie festgehalten.

Als von den drei Linien zuerst eben die abging, auf welche die Einheit hatte gegründet werden sollen, kam es zwischen den beiden anderen zu Streitigkeiten, in denen aufs neue der Gegensatz zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Prinzip eine große Rolle spielte.

Der König der Westfranken, Karl der Kahle, hatte sich ganz an die Geistlichkeit angeschlossen: seine Heere wurden von den Bischöfen angeführt; dem Erzbischof Hinkmar von Reims überließ er großenteils die Reichsverwaltung. Daher fand er, als im Jahre 869 Lothringen erledigt wurde, bei den Bischöfen auch dieses Landes eifrige Unterstützung. »Nachdem sie«, wie sie sagen, »den Gott, der die Reiche, wem er will, verleiht, angerufen, ihnen einen König nach seinem Herzen zu bezeichnen, nachdem sie dann mit Gottes Hilfe eingesehen, daß die Krone dem gebühre, dem sie dieselbe anvertrauen würden«, wählten sie Karl den Kahlen zu ihrem Herrn. Allein so wenig damals wie früher konnte dies Staatsrecht die Deutschen überzeugen. Der ältere Bruder hielt sich für nicht minder berechtigt als der jüngere; mit Gewalt der Waffen nötigte er denselben, in die Teilung von Marsna zu willigen, durch die er zuerst das überrheinische Deutschland mit dem diesseitigen vereinigte. [870] Dieser Gang der Dinge wiederholte sich, als hierauf im Jahre 875 auch Italien und das Kaisertum erledigt wurden. Anfangs setzte sich Karl der Kahle, wie dort von den Bischöfen, so hier von dem Papste begünstigt, ohne Schwierigkeit in Besitz der Krone. Aber der Sohn Ludwigs des Deutschen, Karlmann, auf das Vorrecht der älteren Linie gestützt und überdies von dem letzten Kaiser zum Erben eingesetzt, eilte mit Bayern und Oberdeutschen nach Italien und brachte sie im Widerspruch mit dem Papst als sein unzweifelhaftes Erbteil an sich. Wie viel weniger konnte es Karl dem Kahlen mit Versuchen gelingen, die er darauf an den deutschen Grenzen selber machte. Er ward hier wie dort geschlagen: das Übergewicht der Deutschen in den Waffen war so entschieden, daß sie jetzt alle lothringische Landschaften sich zueigneten. Noch unter den Karolingern zogen sie die Grenzen des gewaltigen Reiches; die Krone Karls des Großen und zwei Dritteil seiner Gebiete fielen ihnen anheim; die Autonomie der weltlichen Macht hielten sie auf das gewaltigste und glänzendste aufrecht.


 << zurück weiter >>