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VII.

Als man den Grund der Zelle aufgrub, zeigte sichs, daß sie mit dem Kerker zusammen hing, worin Ferdinand gesessen, und wo er das Winseln, welches ihm solches Entsetzen verursachte, gehört hatte. Es war augenscheinlich, daß der Marquis die Geschichte, die er jenes Mahl seinem Sohne von den südlichen Gebäuden erzählte, nur geschmiedet hatte, um das Gefängniß der Marquise zu verhehlen. Unstreitig zeigte er viel Kunst in der Wahl dieses Gegenstandes; denn die erzählten Umstände waren ganz geschaffen, Schrecken einzuprägen, und weiteres Forschen nach den Behältnissen dieser Gebäude abzuhalten. Auch wurde dadurch, vermöge übernatürlicher Beweise, die Ursache der Töne und die nächtliche Erscheinung erklärt, welche in der That keine andere, als der Marquis selbst, war.

Der Ausgang der Untersuchung der Zelle stürzte Ferdinanden in neue Verwirrung. Der Marquis hatte bekannt, daß er seine Gemahlinn vergiftet hätte – doch waren ihre Gebeine nirgends zu finden, und der Ort, den er als ihren Verhaftungsplatz angab, zeigte keine Spur von ihr. Man sah keinen Weg, durch den sie aus dem Gefängnisse hätte entwischen können; so wohl die Thür, die in die Zelle ging, als die, welche den Ausgang hinter derselben verschloß, waren verschlossen, als Ferdinand sie untersuchte. – Allein der junge Marquis hatte jetzt keine Zeit zu fruchtlosen Speculationen – ernsthafte Pflichten riefen ihn auf. Er glaubte, daß Julie noch immer in den Händen der Banditen sey, und so bald seines Vaters Leichenbegängniß vorüber war, machte er sich auf den Weg nach Palermo, um von dem Aufenthalte der Räuber Nachricht zu geben, und mit den Gerichtsdienern, von einem Theile seiner eignen Leute begleitet, zur Befreyung seiner Schwester zu eilen. Bey seiner Ankunft zu Palermo erfuhr er, daß eine Bande, die sich in den Ruinen eines Klosters im Walde Marentino aufgehalten hätte, bereits entdeckt sey; daß man ihre Wohnung durchsucht, und sie eingezogen hätte, um ein Beyspiel öffentlicher Gerechtigkeit an ihnen zu zeigen, daß aber kein gefangenes Frauenzimmer unter ihnen gefunden sey. Diese letzte Nachricht bekümmerte Ferdinanden sehr ernstlich, und er wußte nicht, was er von ihrem Schicksale denken sollte. Er erhielt indessen Erlaubniß, diejenigen von den Räubern, die zu Palermo verhaftet, waren, zu befragen, konnte aber keine befriedigende oder gewisse Nachricht von ihnen einziehen. – Endlich verließ er Palermo, und machte sich selbst nach dem Walde Marentino auf, weil er es für möglich hielt, in der Nachbarschaft desselben etwas von Julien zu hören. Traurig und niedergeschlagen ritt er vor sich hin, und der Abend hatte ihn längst überfallen, ehe er den Ort seiner Bestimmung erreichte. Die Nacht kam schwer in Wolken gehüllt, und ein heftiger Sturm von Wind und Regen machte sich auf. Der Weg ging durch ein wildes, felsiges Land, und Ferdinand konnte keine Zuflucht erhalten. Seine Bedienten bothen ihm ihre Mäntel an; allein er mochte keinen von seinen Leuten dem Ungemache Preis geben, dem er selbst sich nicht unterziehen wollte. Er reiste einige Stunden in schwerem Regen fort, und der Wind, der furchtbar zwischen den Felsen pfiff, und dessen feyerliche Pausen durch das ferne Gebrüll der See ausgefüllt wurden, erhöhte das Schreckliche der Scene. Endlich sah er zwischen der Dunkelheit von weitem eine rothe Flamme in den Wind wehen; sie drehte sich mit dem Blasen desselben, verschwand aber nie ganz. Er setzte sein Pferd in Galopp, und sprengte darauf zu. Die Flamme fuhr fort, seinen Lauf zu leiten; und so wie er näher kam, sah er durch ihren rothen Wiederstrahl, der einen langen Schimmer auf das Wasser unten warf, ein Lichthaus, das auf einer Felsenspitze stand, die über die See hing. Er klopfte eingelassen zu werden, und ein alter Mann öffnete ihm die Thür, und hieß ihn willkommen. Innerhalb zeigte sich ein freundliches, flackerndes Feuer, um welches rings im Kreise einige Leute saßen, die, wie er, vor dem Sturme Zuflucht gesucht zu haben schienen. Der Anblick des Feuers erfreute ihn; er ging darauf zu, als ein plötzliches Geschrey ihn erschreckte – die Gesellschaft stand in Verwirrung auf, und in eben dem Augenblicke entdeckte er Julien und Hippolytus. Die Freude dieses Augenblicks ist nicht zu beschreiben; allein seine Aufmerksamkeit wurde schnell von ihm selbst auf eine Frau gezogen, die unter dem allgemeinen Entzücken in Ohnmacht fiel. Was empfand er, als er hörte, daß es seine Mutter war! Sie lebte wieder auf. »Mein Sohn!« rief sie mit schwacher Stimme, indem sie ihn an ihr Herz drückte. – »Großer Gott! ich bin belohnt. Gewiß kann dieser Augenblick ein Leben voll Elend vergüten!« Er konnte nur schweigend ihre Liebkosungen erwiedern; die plötzlichen Thränen aber, die in seinen Augen schimmerten, sprachen eine zu deutliche Sprache, um mißverstanden zu werden. – Als die erste Erschütterung des Augenblicks vorüber war, fragte Julie, durch was für Mittel Ferdinand hierher gekommen sey. Er antwortete in allgemeinen Ausdrücken, und vermied für jetzt den letzten, schauderhaften Auftritt auf dem Schlosse Mazzini zu erwähnen. Julie erzählte ihm die Geschichte ihrer Abenteuer, seit sie sich von ihm trennte. Es erhellte aus ihrer Erzählung, daß Hippolytus, der von dem Herzoge von Luovo an der Mündung der Höhle gefangen genommen war, nachher entwischte, und wieder in die Höhle zurück ging, um Julien aufzusuchen. Er sah bey dem Lichte seiner Fackel die tiefe Spalte im Felsen, durch welche Julie schlüpfte; er drang bis jenseit der Höhle, und von da in das Gefängniß der Marquise. Keine Sprache kann die Scene, welche nun folgte, schildern. Genug, daß die ganze Gesellschaft beschloß, mit Einbruch der Nacht die Zelle zu verlassen. Weil die Marquise aber in dieser Nacht den Marquis vermuthete, kamen sie überein, ihre Abreise zu verschieben, bis er da gewesen wäre, und so der Gefahr zu entgehen, die eine zu frühe Entdeckung der Flucht der Marquise nach sich ziehen könnte. – So bald sie Fußtritte von oben hörten, verbargen sich Julie und Hippolytus in dem Gange, und so bald der Marquis fort war, eilten sie alle nach der Höhle, und ließen in der Eile ihrer Flucht die vergifteten Speisen, die sie, ohne sie zu berühren, mitgenommen hatten, zwischen den Felsen zurück. Nachdem sie glücklich aus den Felsen gekommen waren, gingen sie nach einem benachbarten Dorfe, wo sie Pferde nach Palermo nahmen. Hier langten sie nach einer ermüdenden Reise an, und wollten sich nun nach Italien einschiffen. Ungünstige Winde hatten sie bis zu dem Tage, wo Ferdinand die Stadt verließ, aufgehalten; sie mietheten ein kleines Schiff, und beschlossen, dem Winde Trotz zu biethen. Bald fanden sie Ursache, ihre Verwegenheit zu bereuen; das Schiff war noch nicht lange auf der See gewesen, als der Sturm sich aufmachte, sie an das Ufer von Sicilien zurück warf, und sie nach dem LLichthause brachte, wo Ferdinand sie entdeckte.

Am folgenden Morgen kehrte Ferdinand mit seinen Freunde nach Palermo zurück, und erst hier enthüllte er ihnen die letzten, unglücklichen Begebenheiten auf dem Schlosse. Sie entwarfen nunmehr ihre zukünftigen Plane, und Ferdinand eilte auf das Schloß Mazzini, um Emilien zu hohlen, und Veranstaltung zu treffen, seinen Haushalt nach seinem Pallaste zu Neapel zu verlegen, wo er seine künftige Residenz aufzuschlagen dachte. Emiliens Schmerz machte der Freude und Verwunderung Platz, als sie das Daseyn ihrer Mutter und die Sicherheit ihrer Schwester hörte. Sie reiste mit Ferdinanden nach Palermo, wo ihre Freunde sie erwarteten, und wo die Freude des Wiedersehens durch Madame de Menons Gegenwart noch erhöht ward, der die Marquise einen Bothen in das St. Augustinerkloster geschickt hatte. Madame hatte diesen Aufenthalt mit einem andern Kloster vertauscht, wohin indessen der Bothe gewiesen wurde. Die glückliche Gesellschaft schiffte sich nunmehr vereint nach Neapel ein.

Von diesem Zeitpuncte an wurde das Schloß Mazzini, welches der Schauplatz einer gräßlichen Katastrophe gewesen war, und dessen Anblick in den Seelen derer, die so nahen Antheil daran gehabt hatten, nur schmerzhaft schreckende Betrachtungen aufregen mußte, verlassen. Bey ihrer Ankunft zu Neapel überreichte Ferdinand dem Könige eine aufrichtige, befriedigende Angabe der letzten Begebenheiten, zu Folge welcher die Marquise wieder in ihren Rang eingesetzt, und Ferdinand als sechster Marquis von Mazzini anerkannt wurde. – Die Marquise so der Welt und der Glückseligkeit wieder gegeben, zog zu ihren Kindern in den Pallast von Neapel, woselbst, nachdem die Zeit die Erinnerung ihres Ungemachs einiger Maßen gemildert hatte, Hippolytus und Juliens Vermählung gefeyert wurde. Die Erinnerung an die Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, an das Leiden, welches sie für einander erduldeten, erhöhte jetzt nur durch den Contrast ihre jetzige Glückseligkeit. Ferdinand nahm bald nachher ein Commando bey der neapolitanischen Armee an, und zeichnete unter den vielen Helden dieses kriegerischen und unruhigen Zeitalters durch seinen Muth und Talente sich aus. Die Scenen des Kriegs gaben seinem thätigen Geiste Beschäftigung, während sein Herz das Glück seiner Familie zu befördern strebte. – Madame de Menon, deren großmüthige, treue Liebe sich aufs vollgütigste bewiesen hatte, fand in ihrer wieder geschenkten Freundinn einen lebenden Zeugen ihrer Vermählung, und bekam die Güter heraus, die ihr so ungerechter Weise vorenthalten waren. Allein die Marquise und ihre Kinder, dankbar für ihre Freundschaft, und ihre Tugend verehrend, bewogen sie, den Überrest ihres Lebens im Pallaste der Mazzini zuzubringen. Emilie, ganz an ihre Familie gekettet, lebte immer bey der Marquise, die ihr Geschlecht in Hippolytus und Juliens Kindern erneut sah. So von ihren Kindern und Freunden umgeben, und beschäftigt, die Seelen der aufkeimenden Generation zu bilden, schien sie zu vergessen, daß sie je anders als glücklich gewesen war.

Hier schließen die Annalen der Urschrift. Wir sehen in dieser Geschichte einen wunderbaren, auffallenden Beweis moralischer Gerechtigkeit, und lernen, daß für die, welche auf dem rechten Pfade wandeln, das Unglück nur eine Prüfung ihrer Tugend ist, die, wohl überstanden, ihnen den sichersten Anspruch auf den Schutz des Himmels gibt.

Ende.

 


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