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IV.

Die öffentlichen Freudenfeste auf dem Schlosse gingen mit der Woche zu Ende; allein der lebhafte Geist der Marquise ließ keine Zurückkehr zur Ruhe zu, und sie wußte an die Stelle dieser lärmenden Vergnügungen andre zu setzen, die zwar nicht so geräuschvoll, aber kaum weniger glänzend waren, als jene. Mit Verdruß hatte sie am Abende des Concerts Hippolytus Betragen, und mit Schmerz seine Abreise bemerkt; doch verachtete sie es, Mißvergnügen durch Betrachtung zu verlängern, und suchte im Taumel der Zerstreuung das Gefühl ihrer vereitelten Hoffnung zu ersticken. Allein ihr Bemühen, ihn aus ihrem Gedächtnisse zu tilgen, blieb unwirksam. Nicht gewöhnt, sich dem Strome ihrer Neigungen zu widersetzen, behaupteten sie jetzt eine ungebundene Herrschaft, und sie fand zu spät, daß wir, um unsre Leidenschaften zu unterjochen, sie an frühen Gehorsam gewöhnt haben müssen. Unbezähmte Leidenschaft bringt eben so wohl Schwäche als Ungerechtigkeit hervor. Sie besaß nicht Seelenstärke genug, den Schmerz getäuschter Hoffnung, der jetzt auf ihrem Herzen lag, zu ertragen, und suchte durch Kränkung des Unschuldigen ihn zu mildern. Julie, deren Schönheit, wie sie glaubte, den Grafen gefesselt, und ihn in seiner Gleichgültigkeit gegen sie bestärkt hätte, war jetzt der Gegenstand ihres Unmuths, und sie quälte sie unaufhörlich durch die mannigfaltigen, boßhaften kleinen Künste, die dem Auge des gewöhnlichen Beobachters entwischen, und nur dem merklich werden, der sie gefühlt hat; Künste, die einzeln unbedeutend sind, gehäuft aber eine grausame, entscheidende Wirkung hervor bringen. In Juliens Seele war jetzt das Bild der Glückseligkeit erstorben. Freude hatte ihren Strahl von der Aussicht abgezogen, und die Gegenstände, welche ihr Sonnenschein nicht mehr erhellte, waren finster und farbenlos geworden. So oft ihre Lage es vergönnte, zog sie sich von der Gesellschaft zurück, und suchte in ihrer Einsamkeit Freyheit, ihren schwermüthigen Gedanken nachzuhängen, und der Verzweiflung freyen Lauf zu lassen, die so leicht der Täuschung unsrer ersten Hoffnung folgt. Woche nach Woche verstrich, und man gedachte noch keiner Rückkehr nach Neapel. Endlich erklärte der Marquis, daß er den Überrrest des Winters auf dem Schlosse zuzubringen dächte. Die Marquise unterwarf sich diesem Entschlusse ohne Widerstreben; sie war hier mit einem Haufen von Anbethern umgeben, und ihre Erfindungskraft wußte stets neue Vergnügungen herbey zu schaffen; die Fröhlichkeit, welche Neapel ihr so theuer machte, schimmerte in den Wäldern von Mazzini, und ertönte durch das Schloß. – Madame de Menons Zimmer waren groß und prächtig. Die Fenster stießen auf die See, und gaben eine Aussicht auf die Meerenge von Messina, an einer Seite von den schönen Ufern der Insel Sicilien, und an der andern durch Calabriens hohe Gebirge begrenzt. Der Canal voller Schiffe, deren bunte Fahnen in den Sonnenstrahlen schimmerten, stellte dem Auge eine sich immer bewegende Scene dar. Das Hauptzimmer ging auf einen Balcon, der über der Terrasse des Schlosses hing, und von dem man eine Aussicht hatte, die an Schönheit und Umfang alles übertraf. Diese Zimmer wurden vormahls für die schönsten im Schlosse gehalten, und als der Marquis das Schloß mit Neapel vertauschte, hatte er sie der Madame de Menon und ihren jungen Zöglingen zur Wohnung angewiesen. Der Marquise gefiel die Aussicht aus den Fenstern und von dem Balcon so sehr, daß sie die Zimmer in ihren vorigen Rang wieder einzusetzen beschloß. Sie sagte ihre Absicht der Madame, für die andre Zimmer zurecht gemacht wurden. Da Juliens und Emiliens Zimmer einen Theil der Reihe ausmachten, wurden sie ebenfalls von der Marquise in Anspruch genommen, und Julie behielt blos ihr Lieblings-Cabinett. Die Zimmer, wohin sie verlegt wurden, waren geräumig, aber dunkel; sie waren verschiedene Jahre unbewohnt gewesen, und ob man sie gleich zur Aufnahme ihrer neuen Bewohner aufgeputzt hatte, herrschte doch eine gewisses Verödung darin, die unwillkürlich melancholische Gefühle erregte. Julie bemerkte, daß ihr Zimmer, welches über Madame's Zimmern hinaus lag, zu dem südlichen Flügel gehörte, mit welchem es aber keine Gemeinschaft zu haben schien. Die geheimnißvollen Erscheinungen in diesem Theile des Gebäudes stellten sich ihrer Einbildungskraft wieder dar, und erzeugten einen Schrecken, den die Vernunft nicht überwältigen konnte. Sie theilte ihrer Hofmeisterinn ihre Besorgnisse mit, und diese, mehr klug als aufrichtig, lachte sie mit ihrer Furcht aus. Das Betragen des Marquis, die Worte des sterbenden Vincents und alle vorher gehenden Umstände hatten sich tief in Madame's Seele geprägt; allein sie sah die Nothwendigkeit ein, Zweifel, welche die Zeit allein auflösen konnte, in ihrer Brust zu verschließen.

Julie suchte sich in die Veränderung zu schicken, und bald ereignete sich ein Umstand, der alle ihre gegenwärtigen Gefühle in Vergessenheit senkte und neue, weit anziehendere in ihr schuf. Eines Tages, da sie einige Papiere in den Auszügen eines kleinen Schreibkästchens, das in ihrem Zimmer stand, in Ordnung legte, fand sie ein Gemählde, das ihre ganze Aufmerksamkeit fesselte. Es war ein Miniaturgemählde einer Dame, deren Gesicht mit tiefem Kummer bezeichnet war, und einen Ausdruck milder Ergebung athmete. Der sanft klagende Blick ihrer Augen, die flehend zum Himmel aufgeschlagen waren, die schmachtende Schwermuth, welche ihre Züge beschattete, rührte Julien so tief, daß ihre Augen unwillkürlich sich mit Thränen füllten. Sie seufzte; sie konnte ihre Blicke nicht von dem Gemälde los reißen, das mir einer Art von Zauberkraft sie zu fesseln schien. Es schien ihr, als ob es athmete, und als ob seine Augen mit einem Blicke durchdringender Zärtlichkeit sich auf die ihrigen hafteten. Innigst bewegt zeigte sie es der Madame, deren Schmerz und Erstaunen ihre Neugierde erhöhten. Aber welcher Strom von Gefühlen drang in ihr Herz, als sie hörte, daß sie über dem Bilde ihrer Mutter geweint hatte! Einer Mutterzärtlichkeit beraubt, ehe sie den Werth derselben fühlen konnte, klagte sie nun erst über einen Verlust, den keine Klagen zurück zu rufen vermochten. Emilie vermischte mit nicht minder starkem Gefühle ihre Thränen mit den Thränen ihrer Schwester. Mit feuriger Ungeduld drangen sie in Madame, ihnen die Ursache des Kummers zu entdecken, der so unverkennbar den Zügen ihrer Mutter aufgeprägt war. – »Ach meine Kinder!« sagte Madame tief seufzend, »ihr legt mir ein zu schweres Geschäft auf, nicht nur für euren, auch meinen Frieden, weil ich bey der Erzählung, die ihr verlangt, Scenen aus meinem eignen Leben zurück rufen muß, die ich auf immer vergessen zu können wünschte: dennoch aber wäre es grausam und ungerecht, euch eine Erläuterung vorzuenthalten, die euch so nahe angeht, und ich will meine Ruhe euren Wünschen aufopfern. – Louise von Bernini, eure Mutter, war, wie ihr wißt, die zweyte Tochter des Grafen Bernini; das Unglück eurer Familie aber, wißt ihr, glaube ich, noch nicht. Die Hauptgüter des Grafen lagen im Val di Demona; ein Thal, das wegen der Nähe des Berges Ätna, den die gemeine Sage mit Teufeln bevölkert, diesen Rahmen hat. In einem der schrecklichen Ausbrüche des Ätna, die dieses Thal mit einer Feuerfluth überschwemmten, wurde ein großer Theil von eures Großvaters Gebiethe verwüstet. Der Graf befand sich gerade damahls mit einem Theile seiner Familie zu Messina, die Gräfinn aber und ihr Sohn, die auf den Gütern waren, kamen um. Die übrigen Güter des Grafen waren verhältnißmäßig unbeträchtlich, und der Verlust seiner Gattinn und seines Sohnes beugten ihn tief. Er zog sich mit Louisen, seinem einzigen lebenden Kinde, die damahls funfzehn Jahre alt war, nach einem kleinen Gute bey Catanea zurück. Euer Großvater war mit dem meinigen Geschwisterkind, und eure Mutter hing durch Bande der Empfindungen an mir, die uns, so wie wir heran wuchsen, stärker noch, als die Bande des Blutes, verknüpften. Unser Geschmack, unsere Vergnügungen waren dieselben, und eine Gleichförmigkeit des Unglücks war vielleicht der Keim unserer frühen Freundschaft. Ich verlor, so wie sie, einen Blutsfreund bey dem Ausbruche des Ätna. Meine Mutter war gestorben, ehe ich ihren Werth fühlen konnte, mein Vater aber, den ich zärtlich verehrte und liebte, kam in einer dieser erschrecklichen Überschwemmungen um: seine Güter wurden unter der Lava begraben, und er ließ nur einen Sohn und mich zurück, um sein Schicksal zu bejammern, und dem Übel der Armuth entgegen zu kämpfen. Der Graf, der unser nächster lebender Verwandter war, nahm uns großmüthig zu sich ins Hans, und erklärte, das er uns als seine Kinder betrachten wollte. Zur Beschäftigung seiner Mußestunden übernahm er es selbst, die Erziehung meines Bruders zu vollenden, der damahls siebzehn Jahre alt war, und dessen aufkeimendes Genie die Bemühungen des Grafen zu belohnen versprach. Auch Louise und ich genossen oft den Unterricht unsers Vaters, und in diesen Stunden war Orlando gewöhnlich gegenwärtig. Die ruhige Stille, worin der Graf lebte, die vernünftige Eintheilung seiner Zeit zwischen eignem Studieren, der Erziehung derer, die er gütig seine Kinder nannte, und dem Umgange einiger vertrauten Freunde, verfrühte die Wirkung der Zeit, und stimmte seinen herben Schmerz zu stiller sanfter Melancholie herab. Louise und ich waren noch Neulinge im Leben; unsere Lebensgeister besaßen noch die glückliche Spannkraft der Jugend, und nach und nach gingen unsere Herzen von Kummer zur Ruhe, von Ruhe zur Glückseligkeit über. Oft, wenn mein Bruder uns eine schöne Stelle verlas, glaubte ich auf Louisens Gesichte eine zärtliche Theilnahme zu lesen, welche mehr der Vorleser als der Verfasser hervor zu bringen schien. Diese Tage, gewiß die beneidenswürdigsten unsers Lebens, verflossen in reinem Genusse, in stufenweiser Ausbildung unsers Geistes und Herzens. Der Graf bestimmte meinen Bruder für die Armee, und die Zeit rückte heran, wo er zu dem Regimente gehen sollte, bey dem er eine Stelle hatte. Die Gedankenabwesenheit, die Niedergeschlagenheit meiner Muhme enthüllten mir jetzt das Geheimniß, welches sie so lange vor sich selbst verborgen hatte. Erst als Orlando im Begriffe stand abzureisen, fühlte sie, wie theuer er ihrem Herzen war. Am Abende vor seiner Abreise beklagte der Graf mit väterlicher obgleich männlicher Zärtlichkeit die Entfernung, welche bald uns trennen sollte. »Aber wir werden uns wieder sehen,« sagte er,« wenn mein Sohn, mit dem Ruhme seiner Tapferkeit gekrönt zurück kehren wird.« Louise erblaßte, ein halb unterdrückter Seufzer entwischte ihr, und sie eilte zum Claviere, um ihre Bewegung zu verhehlen. Mein Bruder hatte ein kleines Hündchen, das sein Favorit war; er schenkte ihn Louisen, ehe er fortging, und bath, daß sie gütig gegen ihn seyn, und sich zu Zeiten seines Herrn bey ihm erinnern möchte. – Er unterdrückte eine Bewegung; als er sich aber von ihr wendete, sah ich eine Thräne über seine Wangen rollen. Er ging, und mit ihm schien der Geist unsers Glücks verschwunden zu seyn. Die Scenen, welche seine Gegenwart vormahls belebte, waren jetzt verödet und traurig; doch mochten wir gern an den Orten wandeln, die einst sein Lieblingsaufenthalt waren. Louise enthielt sich, meines Bruders zu erwähnen, selbst gegen mich; oft aber, wenn sie sich unbemerkt glaubte, schlich sie an ihr Clavier, und wiederhohlte die Melodie, die sie am Abende vor seiner Abreise gespielt hatte. Von Zeit zu Zeit hörten wir von ihm, daß er wohl war, und obgleich seine Bescheidenheit ihm nicht zuließ, selbst seiner Thaten zu erwähnen, so erfuhren wir doch durch andere, daß er sich sehr tapfer bewies. Endlich nahte die Zeit seiner Zurückkunft heran, und Louisens neu belebte Geister zeigten den Einfluß, den er über ihr Herz behalten hatte. Er kam zurück, und trug das öffentliche Zeugniß seiner Tapferkeit in den Ehrenstellen, die ihm ertheilt waren. Er wurde mit allgemeiner Freude empfangen; der Graf bewillkommete ihn mit dem Stolz und der Zärtlichkeit eines Vaters, und die Villa wurde wiederum der Sitz des Glücks. Seine Person und Sitten hatten sich gebildet; die zarte Schönheit der Jugend hatte sich in die einnehmende Würde des Mannes verwandelt, und Kenntniß der Welt hatte seine wissenschaftlichen Kenntnissse bereichert. Die Freude, welche aus seinem Gesichte strahlte, als er Louisen sah, sprach zugleich seine Bewunderung und Liebe aus, und die Röthe, welche ihre Wangen überzog, würde selbst dem gleichgültigsten Zuschauer entdeckt haben, daß diese Freude gegenseitig war. Orlando brachte einen jungen Franzosen, einen Officier von seinem Regimente, mit, der ihn in der Schlacht aus einer dringenden Gefahr befreyet hatte, und den er dem Grafen als seinen Erhalter vorstellte. Der Graf nahm ihn mit Dank und Auszeichnung auf, und er blieb lange zum Besuche in unserer Villa. Seine Sitten waren äußerst einnehmend, sein Verstand angebaut und verfeinert. Er verrieth eine Zärtlichkeit für mich, und war in der That zu liebenswürdig, um mit gleichgültigen Augen angesehen zu werden. Dankbarkeit für das unschätzbare Leben, welches er erhalten hatte, war vielleicht der Grundkeim einer Hochachtung, die bald zur heißesten Liebe anwuchs. Unsere Zuneigung wuchs mit unsrer Bekanntschaft, und endlich hielt der Chevalier de Menon bey dem Grafen um mich an. Dieser zärtliche Pflegevater zog mein Herz zu Rathe; und da er es günstig für ihn gestimmt fand, zog er nähere Erkundigungen von der Familie des Fremden ein. Er erhielt gute befriedigende Nachrichten, der Chevalier war der Sohn eines französischen Edelmanns, der vor einigen Jahren gestorben war, und ansehnliche Güter in Frankreich besaß. Er hinterließ mehrere Söhne, und das Familienvermögen fiel folglich auf den ältesten; allein auch den beyden jüngsten hatte er ein ansehnliches Erbtheil ausgesetzt. Unsere Vermählung wurde in aller Stille im Beyseyn des Grafen, Louisens und meines Bruders vollzogen. Bald nach der Hochzeit wurden mein Gemahl und Orlando nach ihren Regimentern zurück berufen. Meines Bruders Zärtlichkeit war jetzt unveränderlich auf Louisen gehäftet; allein Delicatesse und Edelmuth legten ihm Schweigen auf. Arm, wie er war, um Louisens Hand zu werben, würde, glaubte er, die Güte des Grafen mit Undank belohnen heißen. Ich habe den innern Kampf seines Herzens gesehen, und das meinige hat vor ihm geblutet. Der Graf und Louise bathen mich so dringend, während des Feldzugs bey ihnen zu bleiben, daß mein Gemahl endlich einwilligte. Wir trennten uns – o daß ich diesen Zeitpunct vergessen könnte! – Hätte ich ihn begleitet, so, wäre vielleicht alles gut gegangen, und die langen Jahre des Elends, die nun folgten, wären mir ersparet worden!« –

Das Signal zum Mittagsessen ertönte jetzt, und unterbrach Madame's Erzählung. Ihre schönen Zuhörerinnen trockneten die Thränen aus den Augen und gingen mit äußerstem Widerstreben in den Saal hinab. Der Tag wurde in Gesellschaft und Zerstreuungen hingebracht, und erst spät Abends durften sie sich zurück ziehen. So bald sie erlöst waren, eilten sie zur Madame, und zu ungeduldig, um schlafen zu können, zu dringend, um abgewiesen zu werden, bathen sie um die Fortsetzung ihrer Geschichte. Sie schützte die späte Stunde vor, gab aber endlich ihren Bitten nach. Sie zogen ihre Stühle dicht zu dem ihrigen, und jeden Sinn einzig in den Sinn des Gehörs verloren, folgten sie ihr bis zum Ende ihrer Erzählung. »Mein Bruder,« fuhr Madame de Menon fort, »reiste wieder fort, ohne seine Gefühle zu entdecken; die Anstrengung, welche dieses Verheelen ihm kostete, war sichtliche; allein sein Gefühl von Ehre überwand jede andere Betrachtung. Louise senkte aufs neue ihr Haupt, und schmachtete in stillem Kummer. Ich trauerte nicht minder um meine Freundinn als um meinen Bruder, und habe tausend Mahl die falsche Delicatesse verwünscht, welche sie von einer Glückseligkeit zurück hielt, die sie so leicht und auf so unschuldigem Wege hätten erlangen können. Das Betragen des Grafen schien zu versprechen, daß er mit Freude diese Verbindung zugeben würde. Ungefähr um diese Zeit sah der Marquis von Mazzini Louisen, und liebte sie. So schmeichelhaft seine Anträge auch waren, wollte sich doch der Graf der unbegrenzten Gewalt eines Vaters nicht bedienen, und drang nicht weiter auf diese Verbindung, als er sah, daß sie Louisen wirklich zuwider war. Sie fühlte die Großmuth seines Betragens, und konnte kaum ohne einen Seufzer, den ihre Dankbarkeit der Güte ihres Vaters zollte, den Antrag abweisen. Bald aber ereignete sich ein Umstand, der alle unsere Luftgebäude zu Boden stürzte. Ein Streit, der durch eine Kleinigkeit veranlaßt zu seyn schien, aber sehr ernsthaft wurde, entstand zwischen dem Chevalier de Menon und meinem Bruder. Das Schwert mußte ihn entscheiden, und ach! mein Bruder starb von der Hand meines Gemahls. – Ich kann nicht bey dieser Erinnerung verweilen – schwer fiel sein Tod auf Louisen. Die Welt war ihr gleichgültig geworden, und da sie keine Aussicht auf Glückseligkeit für sich selbst mehr hatte, wollte sie wenigstens ihrem Vater, der es so sehr um sie verdiente, sie nicht verweigern. Sie gab dem Marquis, der noch immer in seiner Bewerbung beharrte, ihre Hand. Die Charaktere des Marquis und seiner Gemahlinn waren ihrer Natur nach zu verschieden, um eine glückliche Vereinigung schaffen zu können. Louise fühlte es bald, und obgleich ihre sanfte Gemüthsart sich der harten Gewalt ihres Mannes geduldig unterwarf, drang dennoch sein Betragen tief in ihr Herz, und geheimer Gram verzehrte sie. Sie konnte nicht umhin, den Charakter des Marquis mit dem zu vergleichen, an dem so gerecht und zärtlich ihre Liebe hing. Diese Vergleichung erhöhte ihre Leiden, nagte an ihren Kräften, und zerrüttete bald ihren Körper. Ihr Zustand ging dem Grafen tief zu Herzen, und traf mit den Schwachheiten des Alters zusammen, sein Leben zu verkürzen. Nach seinem Tode sagte ich meiner Muhme Lebewohl, und ging nach Italien, woselbst der Chevalier de Menon mich seit geraumer Zeit erwartet hatte. Unsere Zusammenkunft war äußerst rührend. Mein Unwillen gegen ihn schmolz hinweg, als ich sein bleiches, eingefallenen Gesicht sah, und die Melancholie wahrnahm, welche an seinem Herzen nagte. Alle seine ehemahlige Lebhaftigkeit war dahin, und er war zur Beute unablässigen Schmerzens und folternder Gewissensbisse geworden. Sein ermordeter Freund stand stets vor ihm, und meine Gegenwart schien aufs neue Wunden zu öffnen, welche die Zeit zu heilen anfing. Sein Kummer, mit dem meinigen vereinigt, war mehr, als ich ertragen konnte; allein ich war bestimmt zu leiden und ein noch härteres Geschick war über mich verhängt. In einem Feldzuge, der bald erfolgte, stürzte sich mein Gemahl, des Daseyns müde, in die Hitze der Schlacht, und erkämpfte einen ehrenvollen Tod. In einem Papier, das er zurück ließ, hatte er geschrieben, es sey seine Absicht, in der Schlacht umzukommen; lange hätte er den Tod gewünscht, und auf eine Gelegenheit geharrt, ihn zu finden, ohne seinen Nahmen mit der feigen That eines Selbstmords zu beflecken, oder mich durch eine brutale Handlung zu kränken. – Dieser Fall gab mir den letzten Stoß. – Aber laßt mich zurück gehen! noch sein anderes Unglück wartete meiner, als ich es am wenigsten erwartete. Der Chevalier de Menon starb ohne Testament, und seine Brüder weigerten sich, sein Vermögen heraus zu geben, wenn ich nicht ein Zeugniß meiner Heirath herbey schaffen könnte. Ich ging nach Sicilien zurück, wo ich zu meinem unaussprechlichen Schmerz fand, daß eure Mutter, während meiner kurzen Abwesenheit – wie ich fürchte, eine Beute des Schmerzens – gestorben war. Dem Priester, der unsere Heirath vollzog, war um eines Kirchenvergehens willen Strafe angedroht worden, und er hatte heimlich das Land verlassen. So war ich also der Beweise beraubt, die meine Ansprüche auf meines Mannes Nachlaß bekräftigen konnten. Meine Brüder, die mich nie gesehen hatten, waren entweder zu eingenommen gegen mich, um an die Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche zu glauben. oder zu unredlich, sie einzugestehen. Ich war also mit einem Streiche dem Kummer und der Armuth hingegeben, und ein kleines Vermächtniß vom Grafen Bernini war alles, was mir übrig blieb. Als der Marquis sich mit Maria de Vellorno vermählte, welches ungefähr um diese Zeit geschah, beschloß er Mazzini mit Neapel zu vertauschen. Sein Sohn sollte ihn begleiten, euch aber, die ihr noch sehr jung waret, wollte er der Sorgfalt einer Person anvertrauen, die eurer Erziehung vorstehen konnte. Meine Umstände machten mir diese Stelle wünschenswerth und meine ehemahlige Liebe zu eurer Mutter ließ mich süße Freude in meiner Pflicht finden. Der Marquis war, wie ich glaube, froh, sich die Mühe erspart zu sehen, weiter nach dem zu suchen, was er bisher schwer zu erhalten gefunden hatte, eine Person, die Neigung so wohl, als Pflicht, an sein Interesse bände.« – Hier hörte Madame auf zu reden, und beyde Schwestern weinten über das Gedächtniß ihrer Mutter, deren Unglück diese Geschichte ihnen sagte. Das Leiden der Madame, ihre Freundschaft für die verstorbene Marquise machten sie ihren Pflegetöchtern theuer, die von diesem Augenblicke an durch alles, was Zärtlichkeit und feine Aufmerksamkeit nur aufbiethen konnten, die Spuren ihres Kummers auszutilgen suchten. Madame erkannte ihre Zärtlichkeit, und sie brachte im innigern Grade die gewünschte Wirkung hervor. Bald aber erschien ein Gegenstand, der ihre Seelen von der Betrachtung über ihrer Mutter Schicksal zu einem wundervolleren und ebenso interessanten Gegenstande rief.


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