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II.

Der Marquis, in den Vergnügungen von Neapel versunken, dachte selten an das Schloß und seine Bewohner. Sein Sohn, der unter seiner unmittelbaren Aufsicht erzogen wurde, war der einzige Gegenstand seines Stolzes, so wie die Marquise der alleinige Gegenstand seiner Liebe war. Er hing mit romantischer Zärtlichkeit an ihr, die sie mit anscheinendem Gegengefühle und geheimer Untreue vergalt. Sie erlaubte sich freyen Genuß der ausschweifendsten Vergnügungen, beobachtete aber eine so schlaue Vorsicht, daß sie aller Entdeckung, ja sogar dem Verdachte selbst auswich. Sie war in ihren Liebschaften eben so unbeständig als feurig, bis der junge Graf Hippolytus de Vereza ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ihre natürliche Unbeständigkeit schien bey ihm zu verschwinden, und alle Wünsche ihres Herzens concentrirten sich auf ihn allein.

Der Graf von Vereza hatte in früher Kindheit seinen Vater verloren. Er war jetzt mündig, und hatte eben den Besitz seiner Güter angetreten. Seine Person war angenehm und männlich zugleich, sein Verstand aufgeklärt, seine Sitten fein und gefällig. Sein Gesicht drückte eine glückliche Mischung von Muth, Adel und Wohlwollen aus, welches die Hauptzüge seines Charakters waren. Ein edleres Gefühl lehrte ihn die wollüstigen Laster der Neapolitaner verachten, und nach höheren Zwecken streben. Er war der ausgewählte und frühe Freund des jungen Ferdinands, und kam fast täglich in des Marquis Haus. Die Marquise behandelte ihn vom ersten Augenblicke an mit auffallender Auszeichnung, und machte ihm endlich Avancen, die weder die Ehre noch Neigung des jungen Grafen ihm zu bemerken erlaubte. Er betrug sich gegen sie mit eiskalter Höflichkeit, welche die Leidenschaft, die sie ertödten sollte, nur noch mehr entflammte. Bis auf diesem Augenblick hatte man gierig um die Gunst der Marquise gebuhlt, mit Entzücken sie empfangen, und die zurück stoßende Kälte, die sie jetzt fand, rief allen ihren Stolz auf, und setzte jede Kunst der Koketterie in Bewegung.

Gerade um diese Zeit fiel Vincent in eine Krankheit, die so schnell zunahm, daß sie in kurzer Zeit mit äußerster Gefahr drohte. An seinem Leben verzweifelnd, verlangte er, daß man sogleich einen Bothen an den Marquis schickte, um ihn von seinem Zustande zu benachrichtigen, und schien inständigst zu wünschen, ihn, ehe er stürbe, zu sehen. Der Fortschritt seiner Krankheit both jeder Kunst der Arzeney Trotz, und seine sichtliche Seelenangst schien sein Schicksal zu beschleunigen. Als er fühlte, daß seine Stunde heran nahte, verlangte er einen Beichtvater. Man hohlte einen Mönch aus einem benachbarten Kloster, der lange Zeit bey ihm eingeschlossen blieb, und schon hatte er die letzte Öhlung empfangen, als Madame de Menon an sein Bett gerufen wurde. Die Hand des Todes lag bereits auf ihm; kalter Schweiß stand auf seiner Stirne, und mühsam schlug er seine schweren Augen nach ihr auf. Er winkte ihr, näher zu treten, bath sie, niemand ins Zimmer zu lassen, und schwieg einige Augenblicke. Seine Seele schien unter einer quälenden Erinnerung zu arbeiten; er versuchte zu verschiedenen Mahlen zu sprechen; aber es gebrach ihm an Entschlossenheit oder Kraft. Endlich haftete er einen Blick unaussprechlicher Angst auf sie.

»Ach Madame!« sprach er, »der Himmel gewährt die Bitte eines so Elenden nicht! Ich muß sterben lange bevor der Marquis ankommen kann. Da ich ihn nicht mehr sehen werde, wünschte ich Ihnen ein Geheimniß zu offenbaren, das schwer auf meinem Herzen liegt, und meine letzten Augenblicke eben so furchtbar macht, als Sie ohne Hoffnung sind.«

»Beruhigen sie sich,« unterbrach ihn Madame, die sein feyerlicher Ton bis ins Innerste bewegte; »beruhigen Sie sich: man hat uns glauben gelehrt, daß Vergebung nie aufrichtiger Reue verweigert wird.«

»O Madame! Sie kennen mein ungeheures Verbrechen noch nicht, wissen nicht das schreckliche Geheimniß, das auf meiner Brust liegt. Meine Schuld ist in dieser Welt ohne Hülfe, und ich fürchte, sie wird in der zukünftigen ohne Vergebung bleiben. Doch ist es noch in meiner Macht, etwas Gutes zu thun; lassen Sie mich denn Ihnen das Geheimniß offenbaren, das so wunderbar mit den Erscheinungen im südlichen Theile des Schlosses« –

»Wie?« unterbrach ihm Madame voll Ungeduld; »mit diesen nächtlichen Erscheinungen?« –

Vincent gab keine Antwort mehr; erschöpft von der Anstrengung des Redens, war er in Ohnmacht gesunken. Madame rief nach Hülfe, und durch wirksame Mittel kehrten seine Sinne zurück; seine Sprache aber war dahin, und eine Stunde nach dieser mystischen Unterredung verschied er. – Madame's Verwirrung und Erstaunen war durch diesen letzten Auftritt zu einem peinlichen Grade erhöht. Sie erinnerte sich an alle besondern Umstände, die sich auf den südlichen Flügel des Schlosses bezogen – die vielen Jahre, die er unbewohnt stand – das tiefe Schweigen, das man stets darüber beobachtete – die Erscheinung des Lichts und der Gestalt – das fruchtlose Suchen nach den Schlüsseln – das allgemein geglaubte Gerücht – und so stellte ihr Gedächtniß ihr eine Reihe von Umständen dar, die nur ihre Befremdung vermehrten, ihre Neugierde erhöhten. Ein geheimnißvoller Schleyer hüllte diesen Theil des Schlosses ein, und es schien jetzt unmöglich, ihn je zu durchdringen, da die einzige Person, die ihn wegziehen konnte, nicht mehr war. – Den Tag nach Vincents Tode langte der Marquis an. Er kam nur von wenigen Dienern begleitet, und stieg mit einem ungeduldigen Wesen und einem Gesichte, das starke Bewegung ausdrückte, vor dem Thore ab. Madame und die jungen Fräulein empfingen ihn in der Halle. Er grüßte eilends seine Töchter, ging in das angrenzende Zimmer, und bath Madame, ihm zu folgen. Sie gehorchte, und er fragte mit großer Unruhe nach Vincent. Als er seinen Tod vernahm, ging er mit hastigem Schritte im Zimmer auf und ab, schwieg eine Weile, setzte sich endlich, sah Madame mit durchforschenden Blicken an, und that einige Fragen über die nähern Umstände von Vincents Tode. Sie erwähnte sein ernstliches Verlangen, den Marquis zusehen, und wiederhohlte seine letzten Worte. Der Marquis wollte sie unterbrechen, schwieg aber sogleich wieder, und sie erzählte ihm nun weiter alle Umstände von dem südlichen Flügel des Schlosses und die nächtlichen Erscheinungen, die sie ihm zu entdecken für unumgänglich nothwendig hielt. Er behandelte die Sache sehr oben hin, lachte über ihre Folgerungen, stellte ihr die Erscheinungen, die sie beschrieb, als Täuschungen eines schwachen furchtsamen Kopfes vor, und brach das Gespräch ab, um in Vincents Zimmer zu gehen, worin er lange Zeit verweilte. – Den folgenden Tag aßen Emilie und Julie mit dem Marquis. Er war finster und schweigend; ihr Bestreben, ihn zu unterhalten, schien ihm nur mißfällig zu seyn, und so bald die Mahlzeit vorbey war, ging er in sein Zimmer, und ließ seine Töchter voll Verwunderung und Betrübniß zurück. – Vincent sollte nach seinem eignen Wunsche in der Kirche des St. Nicolas-Klosters begraben werden. Einer von den Bedienten, dem der Marquis einige nöthige Befehle wegen des Leichenbegängnisses ertheilte, wagte es, ihn von den Lichterscheinungen im südlichen Thurme zu benachrichtigen. Er erwähnte die abergläubigen Gerüchte, die im Hause umher gingen, und klagte, daß die Bedienten sich weigerten, nach Dunkelwerden über den Hof zu gehen.

»Und wer hat euch diese Geschichte aufgetragen?« sagte der Marquis in mißfälligem Tone: »müssen die kindischen, schwachen Grillen der Weiber und Bedienten mir vorgetragen werden? – Fort! laßt euch nicht wieder vor mir sehen, bis ihr von Dingen zu sprechen gelernt habt; die mir zu hören geziemen.«

Robert zog sich beschämt zurück, und niemand wagte seit dem, der Sache gegen den Marquis wieder zu erwähnen.

Die Volljährigkeit des jungen Ferdinands nahte nunmehr heran, und der Marquis beschloß, diesen Zeitpunct mit festlicher Pracht auf dem Schlosse Mazzini zu feyern. Er rief die Marquise, und seinen Sohn von Neapel herbey, und ließ prächtige Zurüstungen veranstalten. Emilie und Julie fürchteten die Ankunft der Marquise, deren Einfluß sie lange gefühlt hatten, und von deren Gegenwart sie einen peinlichen Zwang voraus ahndeten. Unter der sanften Führung der Madame de Menon waren ihre Stunden in glücklicher Ruhe hingeschwunden; sie kannten eben so wenig die Freuden, als das Ungemach der Welt. Dieses beugte sie nicht nieder, und jene entflammten sie nicht. Mit Streben nach Kenntnissen und mit der Erwerbung verschönernder Talente beschäftigt, flohen ihre Augenblicke leicht dahin, und nur die Fortschritte ihrer Vervollkommnung bezeichneten den Flug der Zeit. Madame vereinigte die Zärtlichkeit einer Mutter mit der Theilnahme einer Freundinn, und sie hingen mit warmer, unverbrüchlicher Liebe an ihr. – Der nahe Besuch ihres Bruders, den sie seit vielen Jahren nicht gesehen hatten, erfüllte sie mit Freude. Zwar erinnerten sie sich seiner nicht deutlich; allein sie dachten sich ihn mit warmer, entzückender Erwartung, voll Tugend und Talente, und hofften in seiner Gesellschaft einen Trost für das Mißvergnügen zu finden, das die Gegenwart der Marquise ihnen verursachen würde. Auch sah Julie die heran nahenden Festlichkeiten auf keine Weise mit gleichgültigen Augen an. Eine neue Scene eröffnete sich ihr, die ihre jugendliche Einbildungskraft mit den wärmstem glühendsten Farben der Freude ausmahlte. Die wirkliche Annäherung des Vergnügens erweckt oft das Herz zu Empfindungen, die eine entfernte und abgezogene Betrachtung nie hervor bringen würde. Julie, die aus der Ferne ruhig auf die bunten, schimmernden Scenen des Lebens hingeblickt hatte, durchseufzte jetzt in ungeduldiger Erwartung die Augenblicke, die noch zwischen dem Genusse standen. Emilie, deren Gefühl weniger lebhaft, deren Einbildungskraft weniger stark war, sah das nahe Fest mit ruhiger Betrachtung kommen, und beklagte beynahe die stillen Freuden unterbrochen zu sehen, die ihrem Geiste und Herzen angemeßner waren. – Nach Verlauf von wenig Tagen langte die Marquise auf dem Schlosse an. Ein großer Zug folgte ihr, und Ferdinand mit verschiedenen vom italienischen Adel, die das Vergnügen an ihr Gefolge haftete, begleitete sie. Der Schall der Musik verkündigte ihren Einzug, und die Thore, die lange an ihren rostigen Angeln hingen, wurden aufgerissen, sie zu empfangen. Die Vorhöfe und Hallen, die noch vor kurzem Dunkelheit und Verödung verkündigten, erschienen jetzt mit plötzlichem Glanze, und hallten die Töne der Fröhlichkeit und Freude wieder. Julie sah aus einem verborgenen Fenster die Scene an, und als der Schall des Triumphs durch die Lüfte bebte, klopfte ihr Herz vor Freude, und ihre Furcht vor der Marquise verlor sich in einer Art von wildem Entzücken, das ihr bisher unbekannt gewesen war. In der That schien die Ankunft der Marquise das Signal zu allgemeinem, unbegrenztem Vergnügen zu seyn. Als der Marquis heraus kam, sie zu empfangen, schmolz die Finsterniß, die bisher auf seinem Gesichte hing, in gefälliges Lächeln, welches die ganze Gesellschaft als Einladung zur Freude zu betrachten schien. – Emiliens ruhiges Herz konnte gegen einen so einladenden Auftritt nicht Stand halten; sie seufzte, bey dem Anblicke, ohne selbst zu wissen warum. Julie zeigte ihrer Schwester die einnehmende Gestalt eines jungen Mannes, der der Marquise folgte, und äußerte den Wunsch, daß dieß ihr Bruder seyn möchte. Man rief sie von ihrem fernern Anschauen ab zur Marquise. Julie zitterte vor Furcht, und wünschte auf einige Augenblicke das Schloß in seinen alten Zustand zurück. Sowie sie durch den Saal gingen, in welchem sie der Marquise vorgestellt werden sollten, überzog eine hohe Röthe Juliens Wangen; Emilie aber, obgleich eben so furchtsam, behielt ihre ungezwungene Würde bey. Die Marquise empfing sie mit einem Lächeln, worin Herablassung und Höflichkeit gemischt waren, und ihre Eleganz und Schönheit zog sogleich die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf sich. Juliens forschende Augen suchten vergebens ihren Bruder zu entdecken, dessen dunkel ihr vorschwebendes Bild sie in keinem der Gegenwärtigen fand. Endlich führte ihr Vater ihn zu ihr; und mit einem Seufzer sah sie, daß er nicht der Jüngling war, den sie vom Fenster bemerkt hatte. Er nahete sich ihr mit einem sehr einnehmenden Wesen, und sie sagte ihm ein unerkünsteltes Willkommen. Seine Figur war schlank und majestätisch; er hatte einen edlen, muthvollen Anstand, und sein Gesicht drückte Milde und Hoheit zugleich aus. Das Abendessen wurde im östlichen Saale aufgetragen, und die Tische waren verschwenderisch mit Leckereyen besetzt. Eine Bande Musikanten spielten während der Mahlzeit, und ein Concert schloß den Abend.


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