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VI.

Diese mystischen Ereignisse hatten Julien so sehr beschäftigt, daß sie ihre Aufmerksamkeit von einem Gegenstande abzogen, der für ihren Frieden noch gefährlicher war. Doch schlich sich noch oft Vereza's Bild vor ihre Fantasie, erweckte die Erinnerung an jene glücklichen Gefühle, und lockte einen Seufzer hervor, den alle ihr Bemühen nicht unterdrücken konnte. Gern mochte sie der Schwermuth ihres Herzens in der Einsamkeit der Wälder nachhangen. Eines Abends ging sie mit ihrer Laute nach einem Plätzchen am Seeufer, überließ sich ganz einer süßen Melancholie, und ergoß sich in klagenden Tönen. Der Himmel war mit der Purpurröthe des Abends überzogen. Die Sonne, in Wolken von glänzenden unzählig schattirten Farben gehüllt, ging im Meere unter, in dessen Spiegelfläche ihr Glanz wiederstrahlte. Die Schönheit des Anblicks, das leise Murmeln auf den hohen Bäumen, deren Laub von der leichten Berührung des Zephyrs über ihr zitterte, das sanfte Plätschern der Wellen, die über das Ufer hinaus schäumten, versenkte ihre Seele in süßer Ruhe. Sie berührte die Saiten ihrer Laute, und sang ein Lied voll schwärmerischen Ausdrucks Das im Original an dieser Stelle stehende Lied wurde von der Übersetzerin ausgelassen. Es lautet:

Evening.

Evening veil'd in dewy shades,
   Slowly sinks upon the main;
See th'empurpled glory fades,
   Beneath her sober, chasten'd reign.
Around her car the pensive Hours,
   In sweet illapses meet the sight,
Crown'd their brows with closing flow'rs
   Rich with crystal dews of night.
Her hands, the dusky hues arrange
   O'er the fine tints of parting day;
Insensibly the colours change,
   And languish into soft decay.
Wide o'er the waves her shadowy veil she draws.
   As faint they die along the distant shores;
Through the still air I mark each solemn pause,
   Each rising murmur which the wild wave pours.
A browner shadow spreads upon the air,
   And o'er the scene a pensive grandeur throws;
The rocks – the woods a wilder beauty wear,
   And the deep wave in softer music flows;
And now the distant view where vision fails,
   Twilight and grey obscurity pervade;
Tint following tint each dark'ning object veils,
   Till all the landscape sinks into the shade.
Oft from the airy steep of some lone hill,
   While sleeps the scene beneath the purple glow:
And evening lives o'er all serene and still,
   Wrapt let me view the magic world below!
And catch the dying gale that swells remote,
   That steals the sweetness from the shepherd's flute:
The distant torrent's melancholy note
   And the soft warblings of the lover's lute.
Still through the deep'ning gloom of bow'ry shades
   To Fancy's eye fantastic forms appear;
Low whisp'ring echoes steal along the glades
   And thrill the ear with wildly-pleasing fear.
Parent of shades! – of silence! – dewy airs!
   Of solemn musing, and of vision wild!
To thee my soul her pensive tribute bears,
   And hails thy gradual step, thy influence mild.
hinein – ihr Gefühl überwältigte sie; die Laute entfiel ihrer Hand, und sie blieb stumm, verloren in den Empfindungen, welche die Musik und der Schauplatz in ihr erregten. Ein Seufzer, der sich durch die Bäume schlich, weckte sie aus ihrer Träumerey – sie richtete ihre Augen nach dem Orte, woher er kam, und sah Hippolytus. – Tausend süße und gemischte Regungen durchdrangen ihr Herz; kaum wagte sie ihren Augen zu trauen. Er trat hervor, und warf sich zu ihren Füßen. »Lassen Sie mich,« sagte er mit bebender Stimme, »Ihnen die Empfindungen entdecken, die Sie mir eingeflößt haben, und Ihnen die Weihe eines Herzens darbringen, das nur von Liebe und Bewunderung schlägt.«

»Stehen Sie auf, Graf!« sagte Julie, und hob sich mit Würde von ihrem Sitze empor; »diese Stellung geziemt weder Ihnen anzunehmen, noch mir zu dulden. Der Abend bricht an, und Ferdinand wird ungeduldig seyn, Sie zu sehen.«

»Nimmer, nimmer will ich aufstehen, Donna!« antwortete der Graf mit leidenschaftlichem Blicke; – »nimmer, bis –«

Die Erscheinung der Marquise, die in diesem Augenblicke ins Hölzchen trat, unterbrach ihn. Als sie den Grafen in dieser Stellung sah, wollte sie zurückgehen. – »Bleiben Sie, Madame!« rief Julie vor Scham halb versinkend. –

»Auf keine Weise,« antwortete die Marquise in spöttischem Tone; »meine Gegenwart würde nur eine sehr angenehme Scene unterbrechen. Der Graf wünscht, wie ich sehe, Ihnen am frühesten seine Begrüßung zu bringen.« – Mit diesen Worten verschwand sie, und ließ Julien verwirrt und beleidigt, und den Grafen aufs höchste aufgebracht, zurück. Er wollte den Gegenstand wieder anknüpfen; allein Julie folgte eilends der Marquise nach, und ging ins Schloß. Die Scene, von der sie Augenzeuginn war, erregte einen Aufruhr schrecklicher Bewegungen in dem Herzen der Marquise. Liebe, Haß, Eifersucht tobten abwechselnd in ihrer Brust, und bothen allem Zwange Trotz. Der wechselsweisen Gewalt derselben unterworfen, empfand sie einen herbern Schmerz, als sie noch je gefühlt hatte. Ihre Einbildungskraft, durch Widerstand nur noch mehr entflammt, erhöhte Hippolytus Reize; ihr Busen glühte von heißerer Leidenschaft, und ihr Gehirn wurde endlich beynahe bis zum Wahnsinne erhitzt. – In Julien erregte diese plötzliche unerwartete Zusammenkunft ein gemischtes Gefühl von Liebe und Schmerz, das nicht so bald nachließ. Endlich hob das entzückende Bewußtseyn von Vereza's Liebe sie über alle andern Empfindungen hinaus; die Scene vor ihr glänzte heller als je, und noch ein Mahl überwand ihre Fantasie jede Möglichkeit eines Übels. – Den ganzen Abend über zeichnete eine zärtliche und ehrerbiethige Aufmerksamkeit das Betragen des Grafen gegen Julien aus, die, in der gewissen Überzeugung, geliebt zu seyn, ihre Empfindung zu verhehlen beschloß, bis er ihr eine befriedigende Erläuterung seiner plötzlichen Abreise von Mazzini und seiner langen Abwesenheit gegeben hätte. Sie sah, daß die Marquise sie den ganzen Abend unablässig beobachtete, und vermied sorgfältig, dem Grafen eine Gelegenheit zu geben, den Gegenstand ihrer Unterredung wieder anzuknüpfen, der, so oft er sich ihr nahte, auf seinen Lippen zu schweben schien. – Die Nacht kehrte zurück, und Ferdinand verfügte sich in Juliens Zimmer, um seine Untersuchung fortzusetzen. Noch nicht lange war er daselbst geblieben, als der grausige, fremde Schall von unten sich aufs neue hören ließ. Der Umstand, der die Seelen der Schwestern in Schrecken versenkte, befeuerte Ferdinanden mit neuer Begierde; er ergriff eilends ein Licht, stürzte durch die Thür, und verschwand aus ihren Augen. – Er stieg in eben die wüste Halle hinab, durch die er den Abend zuvor gegangen war. Kaum hatte er die untern Stufen erreicht, als ein schwaches Licht durch die Halle schimmerte, und sein Auge den Schatten einer Gestalt auffaßte, die schnell durch die niedrige Thür, welche zum südlichen Thurme führte, davon eilte. Er zog sein Schwert, und drang vorwärts. Ein schwacher Laut erstarb längs dem Gange, dessen Krümmungen ihn verhinderten, die Gestalt, welche er verfolgte, zu sehen. In der That hatte er nur einen so flüchtigen Blick von ihr gehascht, daß er kaum wußte, ob sie eine menschliche Form hatte. Das Licht verschwand schnell, und er hörte die Thür, die zum Thurme führte, plötzlich zufallen. Er erreichte sie, zwang sie auf, stürzte hinein; aber der Ort war dunkel und einsam, und niemand schien hindurch gegangen zu seyn. Er sah den Thurm hinauf, und die Lücke auf der Treppe überzeugte ihn, daß kein menschliches Wesen hinauf gedrungen seyn konnte. Versteinert stand er da; er untersuchte mit forschendem Auge den Ort, nahm eine Thür wahr, welche die herüber hangende Treppe zum Theile verbarg, und die bis jetzt seiner Bemerkung entwischt war. Hoffnung verstärkte seine Begierde; allein seine Erwartung wurde schnell vereitelt, denn auch diese Thür war verschlossen. Vergebens versuchte er sie zu öffnen; er klopfte, und ein dumpfer, hohler Schall wiederhallte durch die Mauern und verlor sich in einiger Entfernung. – Er konnte nun nicht länger zweifeln, daß jenseit dieser Thüre Zimmer von großem Umfange seyn müßten; allein nach langen fruchtlosen Versuchen, hinein zu dringen, mußte er endlich abstehen, und verließ den Thurm eben so unwissend und weniger befriedigt, als er hinein gegangen war. Er ging in die Halle zurück, die er nun zum ersten Mahle frey überschaute. Es war ein großer verödeter Platz, dessen hohes gewölbtes Dach Pfeiler von schwarzem Marmor unterstützten. Der Fußboden so wie die Treppe waren von eben der Substanz. Die Fenster waren hoch und in gothischem Geschmacke. Eine stolze Größe, mit wunderbarer Wildheit vereint, charakterisirte diese Halle, an deren äußersten Ende einige gothische Wölbungen aufstiegen, welche den Raum dahinter dunkel beschatteten. Zur Linken sah man zwey Thüren; jede derselben war befestigt; und zur Rechten war der große Eingang von den Vorhöfen. Ferdinand beschloß den dunkeln Raum hinter der Halle zu untersuchen, und so wie er hindurch ging, vervielfachte seine erhitzte Einbildungskraft den Wiederhall seiner Fußtritte in gewisse Töne von fremder, furchtbarer Bedeutung. Er erreichte die Wölbungen, und entdeckte jenseit derselben eine Art von innerer Halle von beträchtlichem Umfange, die am äußersten Ende durch ein Paar massive Flügelthüren, schwer mit Schnitzwerk überladen, verschlossen war. Ein starkes Schloß hing davor, das seiner äußersten Stärke Trotz both. – Als er in schweigender Verwunderung den Platz übersah, stieg ein dumpfes Geheul unter dem Orte, wo er stand, empor. Sein Blut erstarrte; es ward wieder still, und da nichts sich weiter hören ließ, schrieb er den vermeinten Ton der Täuschung einer von Schrecken geschwängerten; Fantasie zu. Er machte noch einen Versuch, die Thür zu sprengen, als das Geheul dumpfer und gräßlicher, als zuvor, wiederhohlt ward. In diesem Augenblicke verließ ihn sein Muth; er verließ die Thür, und eilte zur Treppe, die er halb athemlos vor Entsetzen hinauf stieg. – Madame de Menon und seine Schwestern erwarteten mit peinlicher Angst seine Zurückkunft, und zwey Mahl getäuscht in seinem Bestreben, das Geheimniß dieser Gebäude zu durchdringen, des fruchtlosen Forschens müde, beschloß er, alle weitere Nachsuchung einzustellen. – Als er seinen Schwestern alle Umstände seines letzten Abenteuers noch erzählte, stieg ihr Schrecken dermaßen, daß er alle Rücksichten der Klugheit überwältigte. Ihre Furcht vor des Marquis Zorn verlor sich in einem stärkern Gefühle, und sie beschlossen, nicht länger in Zimmern zu bleiben, die ihrer Fantasie nur Schreckbilder darbothen. Madame de Menon nicht minder beunruhigt, und bestürzter gemacht durch diese Kette seltsamer unerklärlicher Erscheinungen, widersetzte sich ihnen nicht länger. Man beschloß also, daß Madame morgendes Tags der Marquise, so viel nöthig war, ihre Furcht zu rechtfertigen, von der Sache sagen, ihr nur den Umstand mit der verborgenen Thür, und was unmittelbar damit im Zusammenhange stand, verhehlen, und dann ernstlich auf eine Veränderung der Zimmer dringen sollte. – Madame ging dem gemäß zur Marquise. Sie hörte die Nachricht Anfangs mit Verwunderung, und nachher mit Gleichgültigkeit an, und ließ sich herab, der Madame Vorwürfe zu machen, daß sie ihre jungen Zöglinge zum Aberglauben aufmunterte. Sie schloß damit, die erzählten Umstände zu bespotten, und erklärte, daß sie, wegen der vielen Besuche im Schlosse die Forderung auf keine Weise gewähren könnte. – Das Schloß war allerdings voller Besuche. Die vorigen Zimmer der Madame de Menon waren die einzigen leeren, und diese hatte man zum Vergnügen der Marquise, die nicht gewohnt war, ihre Wünsche dem Besten anderer aufzuopfern, prächtig aufgeputzt. Sie behandelte also die Sache obenhin, weil sie, im ernsthaften Lichte betrachtet, ihren neuen Plan des Vergnügens in Gefahr gesetzt haben würde. – Emilie und Julie aber waren zu ernsthaft beunruhigt, um den Bedenklichkeiten der Delicatesse zu gehorchen, oder sich so leicht abweisen zu lassen. Sie bewegten Ferdinanden, dem Marquis die Sache vorzutragen. – Während dessen hatte Hippolytus, der die Nacht in schlafloser Angst durchbrachte, mit schmerzlicher Ungeduld auf eine Gelegenheit geharrt, Julien die Leidenschaft, die in seinem Herzen glühte, deutlicher zu entdecken. Der erste Augenblick, wo er sie sah, hatte eine Bewunderung in ihm erregt, die seitdem zu einem zärtlicheren Gefühle gereift war. Der Umstand, der ihn so plötzlich nach Neapel rief, eine gefährliche Krankheit des Marquis von Lomelli, seines nächsten Verwandten, hatte ihn abgehalten, seine Liebe förmlich zu erklären. Ganz schweigend aber abzureisen, war ihm zu schwer, und ehe er dem Bothen folgte, der in der Nacht nach dem Balle ankam, ging er unter Juliens Fenster, und sang ihr seine Leidenschaft in den Tönen, die so tiefen Eindruck auf ihr Herz machten.

Als Hippolytus nach Neapel kam, lebte der Marquis noch; starb aber wenig Tage nach seiner Ankunft, und hinterließ dem Grafen die kleinen Besitzungen, welche die Verschwendung ihrer Vorfahren übrig gelassen hatte. – Das Geschäft, seine Rechte in Ordnung zu bringen, hatte ihn bis jetzt von Sicilien entfernt gehalten, wohin er einzig in der Absicht, seine Liebe zu erklären, kam. Er traf hier auf unerwartete Hindernisse. Die eifersüchtige Wachsamkeit der Marquise schien mit Juliens Delicatesse im Bunde zu stehen, ihm die Gelegenheit, die er so feurig wünschte, zu entziehen. – Als Ferdinand dem Marquis die Geschichte mit dem südlichen Gebäude vortrug, vermied er geflissentlich, der verborgenen Thür zu erwähnen. Der Marquis hörte eine Weile mit finsterm Schweigen der Geschichte zu; endlich aber nahm er eine mißfällige Miene an, und warf Ferdinanden vor, daß er auf leere Hirngespinste, die bloße Eingebungen einer furchtsamen Einbildungskraft wären, baute; – »Hirngespinnste,« fuhr er er fort, »die im schwachen Kopfe eines Weibes leicht Eingang finden können, welche aber die stärkere Seele des Mannes verachten sollte. Entarteter Knabe! belohnest du so meine Sorgfalt? Muß ich erleben, meinen Sohn zum Spiele jedes schalen Weibermährchens gemacht zu sehen? Lerne deiner Vernunft und deinen Sinnen trauen, und dann wirst du meiner Achtung würdig seyn.«

Mit diesen Worten wollte der Marquis fortgehen und Ferdinand fühlte nun, daß es nothwendig war, ihm zu sagen, daß er ein Augenzeuge dessen, was er anführte, gewesen sey. »Noch einen Augenblick, mein Vater!« sagte er; »in dem letzten Punkte habe ich gehandelt, wie Sie mir in Zukunft zu thun vorschrieben. Meine Sinne sind die einzigen Zeugen gewesen, denen ich traute; ich habe die Töne gehört, an deren Wirklichkeit ich nicht länger zweifeln kann.« –

Der Marquis schien zu erschrecken. Ferdinand bemerkte die Veränderung, und führte seine Sache so nachdrücklich, daß der Marquis plötzlich eine feyerlich ernsthafte Miene annahm, und ihm befahl, gegen Abend in sein Cabinett zu kommen. – Als Ferdinand von dem Marquis ging, begegnete er Hippolytus. Er ging mit schnellen Schritten in dem Gange auf und ab; so bald er aber Ferdinanden sah, kam er auf ihn zu. »Ich bin herzenskrank,« sagte er klagend; »stehe mir mit deinem Rathe bey. Wir wollen in dieß Zimmer gehen, wo wir ungestört reden können.« – »Du kennst,« fuhr er fort; und warf sich in einen Stuhl, »du kennst die zärtlichen Empfindungen, welche deine Schwester mir eingeflößt hat. Ich beschwöre dich bey der heiligen Freundschaft, die uns seit so langer Zeit vereinigt, verschaffe mir eine Gelegenheit, ihr meine Liebe zu erklären. Ihr Herz, das andern Eindrücken so offen steht, ist, fürchte ich, der Liebe unempfänglich. Verschaffe mir aber wenigstens die Befriedigung, Gewißheit über einen Punct zu erhalten, wo die Qualen des Zweifels die schrecklichsten sind.«

»Dein Scharfsinn,« erwiederte Ferdinand, »hat dich einmahl verlassen, sonst würdest du dir die Qualen, worüber du klagest, ersparet, und entdeckt haben, was ich längst bemerkte, daß Julie dich nicht mit gleichgültigem Auge ansieht.«

»Mache nicht durch Schmeicheley die Vereitlung meiner Hoffnungen noch schrecklicher, und laß nicht die Parteylichkeit der Freundschaft dein Urtheil irre führen. Was du wahrgenommen haben willst, gab dir nur dein warmes Gefühl ein, und weil du denkest, daß ich ihre Aufmerksamkeit verdiene, glaubest du auch, daß ich sie besäße. Ach! du täuschest dich, aber mich nicht!« –

»Gerade das Gegentheil!« antwortete Ferdinand; »du selbst täuschest dich, oder vielmehr täuscht dich allzu besorgliche Liebe, die deiner Anerkennung einer Wahrheit, wobey deine Glückseligkeit so sehr im Spiele ist, entgegen wirket. Glaube mir, ich spreche nicht ohne Grund – wahrlich sie liebt dich!« –

Bey diesen Worten sprang Hippolytus von seinem Sitze auf, als wollte er Ferdinanden umarmen. »Bezaubernde Worte!« rief er mit leidenschaftlichem Entzücken, »könnte ich sie, dürfte ich sie glauben; o Gott! wie glücklich wäre ich!«– Bey diesem Ausrufe denke man sich Juliens Bewegung, die in dem angrenzenden Cabinette saß. Eine Thür, die in das Zimmer ging, in welchem dieses Gespräch gehalten wurde, stand halb offen. So großes Entzücken auch diese Erklärung bey ihr erregte, zitterte sie doch vor Furcht, entdeckt zu werden. Kaum wagte sie zu athmen, noch weniger zur andern Thür des Cabinetts hinaus auf den Gang zu gehen, von wo sie wahrscheinlich unbemerkt hätte entwischen können; allein sie fürchtete, ihr Fußtritt möchte sie verrathen. Gezwungen also zu bleiben, wo sie war, saß sie in peinlicher Angst, die keine Sprache abschildern kann. »Ach!« fuhr Hippolytus fort; »ich ließ zu geschwinde die Möglichkeit von dem zu, was ich wünsche. Wenn du willst, daß ich dir wirklich glauben soll, so bestätige durch Beweise, was du gesagt hast.«

»Von Herzen gern! sagte Ferdinand. – Juliens Herz klopfte schnell. – »Als du wegen der Krankheit des Marquis Lomelli so plötzlich nach Neapel gerufen würdest, habe ich ihr Betragen sorgfältig beobachtet, und die Empfindungen ihres Herzens darin gelesen. Den Morgen beym Frühstücke bemerkte ich auf ihrem Gesichte eine Unruhe, die ich nie zuvor gesehen hatte. Mit begieriger Erwartung, die eben so oft vereitelt wurde, bewachte sie die Thür, so oft jemand herein trat. Bey Tische wurde deiner Abreise gedacht – sie verschüttete den Wein, den sie an ihre Lippen bringen wollte, und blieb den ganzen Tag über niedergeschlagen und traurig. Ich sah ihr furchtloses Kämpfen, den Druck ihres Herzens zu verbergen. Von dieser Zeit an, ergriff sie alle Gelegenheit, sich von der Gesellschaft zurück zu ziehen. Die Fröhlichkeit, die noch vor kurzem sie bezaubert hatte, bezauberte sie nicht mehr; sie wurde tiefsinnig, stille, und oft habe ich sie an einem einsamen, entlegenen Orte die rührendsten Arien singen hören. Deine Zurückkunft brachte eine sichtliche, augenblickliche Veränderung hervor; sie hat jetzt ihre Heiterkeit wieder bekommen, und die süße Verwirrung auf ihrem Gesichte, so oft du erscheinst, könnte dich allein schon von der Wahrheit dessen, was ich sage, überführen.«

»O, sprich ewig so!« rief Hippolytus; – »diese Worte sind meiner Seele so süß, daß ich dir zuhören könnte, und die Grenzen der Zeit vergessen. – Ja, Ferdinand! ich zweifle nun nicht länger; süße Überzeugung öffnet meiner Seele eine Fluth von Entzücken, das ich noch nie kannte. O, führe mich zu ihr, daß ich die Empfindungen meines überströmenden Herzens vor ihr aushauchen kann!«

Sie standen auf, als Julie, in deren Herzen Scham und Entzücken abwechselnd kämpften, durch eine unwiderstehliche Furcht augenblicklicher Entdeckung getrieben, ebenfalls aufstand, und leise nach dem Gange eilte. Der Schall ihrer Tritte beunruhigte den Grafen, und besorgt, daß man ihn behorcht haben könnte, stürzte er in das Cabinett, um zu sehen ob jemand darin wäre, und – entdeckte Julien. Sie ergriff einen Stuhl, um ihren zitternden Körper zu unterstützen, und überwältigt von Scham und Verwirrung sank sie hinein, und verbarg ihr Gesicht in ihrem Kleide. Hippolytus warf sich zu ihren Füßen, ergriff ihre Hand, und drückte sie in seelenvollem Schweigen an seine Lippen. Einige Augenblicke verstrichen, ehe ihre gegenseitige Verwirrung ihnen zu sprechen erlaubte. Endlich bekam er Sprache wieder: »Können Sie, Donna! diese so unschuldige Überraschung vergeben? oder wird sie mich der Achtung berauben, die ich kühn genug war, zu hoffen,; und die ich mehr schätze, als das Daseyn selbst? O sprechen Sie meine Verzeihung aus! Lassen Sie mich nicht glauben, daß ein einziger Zufall meinen Frieden auf immer zerstört hat!« –

»Wenn Ihr Friede, Graf,« antwortete Julie mit bebender Stimme, von einer Überzeugung meiner Achtung abhangt, so ist er Ihnen bereits gesichert. Wenn ich sogar wünschte, Ihnen meine Empfindungen zu verhehlen, so würde es jetzt vergebens seyn, und ich kann es auch nicht mehr wünschen.«

Hippolytus konnte nur seinen Dank in heißen Küssen auf ihrer Hand ausathmen. – »O lassen Sie mich jetzt!« sagte Julie; »ich bedarf der Einsamkeit!« – Er wagte es nicht, sie zurück zu halten; sie verließ eilends das Cabinett, und ließ Hippolytus zurück, von der süßen Bestätigung seiner Wünsche beynahe überwältigt und Ferdinanden peinlich überrascht durch Juliens unerwarteten Anblick. Er fühlte, wie tief seine Unbehuthsamkeit ihre Delicatesse verwundet haben müßte, und daß keine Entschuldigungen ihr die Ruhe wieder geben würden, die er so grausam, obwohl unschuldig, tränkte.


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