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Zwölftes Kapitel.

»Master, go on, and I will follow thee
To the last gasp wich truth and loyalty.« Wie es euch gefällt II, 3:

Shakespeare.

Zufolge des Geständnisses, welches Schedoni im Tode abgelegt hatte, wurde wenig Tage darauf ein Befehl zu Vivaldis Befreiung von dem heiligen Amte erlassen, und der Marquis führte seinen Sohn aus den Gefängnissen der Inquisition in die Wohnung seines Freundes, des Grafen di Maro, bei dem er seit seiner Ankunft zu Rom gewohnt hatte.

Während sie die Glückwünsche des Grafen und einiger Adelichen empfiengen, die sich versammlet hatten, um den befreiten Gefangnen zu bewillkommnen, hörte man eine laute Stimme aus dem Vorzimmer rufen:

»Laßt mich durch! Es ist mein Herr, laßt mich durch! Mögen alle diejenigen, die mich verhindern wollen, selbst in die Inquisition geschickt werden!«

Gleich darauf drang Paulo in den Saal, von einem Haufen Lackayen begleitet, die zwar an der Thüre stehen blieben, weil sie das Mißfallen ihres Herrn fürchteten, aber kaum im Stande waren, ein Lachen zu unterdrücken, während Paulo vorwärts sprang, und beinahe einige von der Gesellschaft umgerannt hätte, die gerade in dem Augenblick sich mit tiefer Freude gegen Vivaldi verneigten.

»Es ist mein Herr! mein geliebter Herr!« rief Paulo, stieß mit jedem Ellbogen einen adlichen Herrn zurück, indem er sich zwischen ihnen durchdrängte, und rief zu wiederholten Malen, indem er Vivaldi in seine Arme schloß: »O mein Herr, mein Herr!« bis der Sturm der Leidenschaft und Freude seine Stimme überwältigte, und er weinend zu seines Herrn Füßen fiel.

Dieses war ein Augenblick höherer Freude für Vivaldi, als er noch seit seiner Zusammenkunft mit seinem Vater gekannt hatte, und sein treuer Bedienter beschäftigte ihn zu innig, als daß er Muße gehabt hätte, sich bei der erstaunten Gesellschaft wegen seiner Unhöflichkeit zu entschuldigen. Während die Bedienten den Unfug, den Paulo angestellt hatte, wieder gut machten, die umherrollenden Tabatieren, die er bei seinem Durchbruche den Herren aus den Händen geschleudert hatte, wieder aufnahmen, und den Schnupftoback von den beschmutzten Kleidern wischten, theilte Vivaldi alles Entzücken und alle Zärtlichkeit seines Bedienten, und war so ganz mit diesen angenehmen Gefühlen beschäftigt, daß er kaum merkte, daß noch außer ihm Personen im Zimmer waren. Der Marquis machte indessen tausend Entschuldigungen wegen des Unheils, das Paulo verursacht hatte, hieß ihn bald sich besinnen, in wessen Gegenwart er wäre, und bald das Zimmer verlassen – setzte der Gesellschaft ins Licht, daß er Vivaldi nicht gesehen hätte, seit sie zusammen in der Inquisition gewesen waren, und verweilte vorzüglich bei der Bemerkung, daß er seinem Herrn sehr ergeben sey.

Allein Paulo, der weder auf des Marquis wiederholte Befehle, noch auf Vivaldis Bemühungen, ihn aufzuheben, achtete, fuhr noch immer fort, sein ganzes Herz zu seines Herrn Füßen auszugießen.

»Ach mein Herr!«, sagte er, »wenn Sie nur wüßten, wie nahe es mir gieng, als ich aus dem Gefängniß der Inquisition kam!«

»Er raset!« merkte der Graf gegen den Marquis an – »Sie sehen, daß die Freude ihm den Verstand verrückt hat!«

»Wie ich die halbe Nacht durch um die Mauern hinschlich, und was es mich kostete, sie zu verlassen! Und als ich sie nun aus dem Gesicht verlor! O heiliger Gott, ich glaubte, das Herz müßte mir brechen. Ich hätte große Lust gehabt, wieder zurückzugehn, und mich selbst auszuliefern, und wer weiß, hätte ich es nicht wirklich gethan, wenn nicht mein Freund, die Schildwache, die mit mir davon lief, mich abgehalten hätte; denn ich wollte den armen Kerl, der es gut mit mir gemeint hatte, als er mich heraus ließ, nicht ins Unglück stürzen. Und gewiß und wahrhaftig, so wie die Dinge gegangen sind, war es auch so am besten: denn jetzt bin ich hier, Signor, so gut als Sie, und kann Ihnen alles sagen, was ich empfand, als ich glaubte, daß ich Sie nie wieder sehen würde.«

Der Abstand zwischen seiner gegenwärtigen Freude und der Erinnerung an seinen Schmerz lockte Paulo aufs neue Thränen in die Augen: er lächelte und weinte, und schluchzte und lachte mit so schnellem Uebergang, daß Vivaldi wirklich um ihn besorgt wurde, als er plötzlich ruhiger werdend, seinem Herrn ins Gesicht sah, und ernsthaft, aber mit Eifer, sagte:

»Ich bitte Sie, Signor, war nicht das Dach von Ihrem kleinen Gefängniß ein wenig verfallen, und ragte nicht an dem einen Winkel ein kleiner Thurm hervor? und war nicht –«

Vivaldi antwortete lächelnd, nachdem er ihn einen Augenblick angesehn hatte:

»Wahrhaftig, mein guter Paulo, mein Kerker war so weit vom Dach entfernt, daß ich nie Gelegenheit gehabt habe, es zu betrachten.«

»Das ist wohl sehr natürlich, Signor,« erwiederte Paulo, »in der That, sehr natürlich! Allein es fiel mir wahrhaftig nicht ein; doch wollte ich darauf schwören, daß es so war, als ich sage, und ich war damals meiner Sache gewiß. O Signor, ich glaubte, das Dach müßte mir das Herz brechen, o wie betrübt sah ich es an! und nun zu denken, daß ich wieder hier bin, mit meinem geliebten Herrn noch einmal wieder zusammen!«

Bei diesen Worten fieng Paulo heftiger an zu schluchzen und zu weinen als zuvor, und Vivaldi, der keinen nothwendigen Zusammenhang zwischen dieser Erwähnung des Dachs seines vorigen Gefängnisses und der Freude, die sein Bedienter behauptete, ihn wieder zu sehn, auffinden konnte, fieng wirklich an zu fürchten, daß seine Sinnen zerrüttet wären, und verlangte eine Erklärung seiner Worte.

Paulos Bericht, so unverfeinert und einfach er auch war, ließ ihn bald den Zusammenhang zwischen diesen anscheinend widersprechenden Dingen wahrnehmen, als Vivaldi, durch diesen neuen Beweis von Paulos starker Liebe hingerissen, ihn von ganzem Herzen umarmte, ihn aufzustehen zwang, und ihn der Gesellschaft als seinen treuen Freund und vornehmsten Befreier vorstellte.

Der Marquis, von dem Auftritt, den er mit ansah, und von der Wahrheit von Vivaldis Worten gerührt, ließ sich herab, Paulo herzlich die Hand zu drücken, und ihm mit Wärme für die Tapferkeit und Treue, die er für seinen Herrn bezeugt hatte, zu danken.

»Ich bin nie im Stande, deine Liebe nach Würden zu belohnen,« setzte der Marquis hinzu; »allein was ich thun kann, soll geschehn. Von diesem Augenblicke an mache ich dich unabhängig, und verspreche, in Gegenwart dieser edeln Gesellschaft, dir tausend Zechinen als eine kleine Erkenntlichkeit für deine Dienste zu geben.«

Paulo äußerte nicht alle Dankbarkeit für dieses Geschenk, welche der Marquis erwartete. Er stammelte, verneigte sich, erröthete und brach endlich in Thränen aus; und als Vivaldi ihn fragte, was ihn bekümmerte, antwortete er:

»Ach, Signor, was helfen mir die tausend Zechinen, wenn ich unabhängig sein soll! was sollen sie mir, wenn ich nicht bei Ihnen bleiben darf?«

Vivaldi versicherte Paulo'n aufs herzlichste, daß er immer bei ihm bleiben sollte, und daß er es für seine Pflicht halten würde, sein künftiges Leben glücklich zu machen.

»Du sollst von jetzt an,« setzte er hinzu, »an der Spitze meines Haushaltes stehn, die Aufsicht über meine Bedienten, und die ganze Führung meiner häuslichen Angelegenheiten soll dir zum Beweise meines unumschränkten Vertrauens in deine Redlichkeit und Treue übertragen werden, so wie auch aus dem Grunde, weil dieses eine Lage ist, die dir erlauben wird, immer um mich zu seyn.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« erwiederte Paulo mit einer Stimme, die durch seine Gefühle der Dankbarkeit beinahe erstickt wurde. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Wenn ich nur bei Ihnen bleiben darf, das ist genug für mich; weiter verlange ich nichts!; allein ich hoffe, mein gnädiger Herr Marquis wird nicht ungehalten werden, daß ich die tausend Zechinen, die er so gut war, mir anzubieten, wenn ich außer Dienst gehen wollte, ausschlage, denn ich bin ihm so dankbar, als wenn ich sie empfangen hätte, und noch mehr.«

Der Marquis lächelte über Paulo's Mißverständniß, und erwiederte:

»Da ich nicht einsehe, mein guter Freund, wie der Umstand, daß Ihr bei Euerm Herrn bleibt, Euch außer Stand setzt, tausend Zechinen zu empfangen, so befehle ich Euch bei Strafe meines Unwillens, sie anzunehmen, und wenn Ihr Euch jemals verheirathet, so erwarte ich, daß Ihr mir euern Gehorsam wiederum beweiset, und noch tausend als Heirathsgut für Eure Frau von mir empfanget.«

»Das ist zu viel, Signor,« sagte Paulo schluchzend – »zu viel, um es zu ertragen!« – und lief aus dem Saal. Allein mitten unter dem Murmeln des Beifalls, den sein Betragen ihm von den edeln Zuschauern zuzog, denn Paulos warmes Heiz hatte sogar ihren kalten Stolz überwunden, verrieth ein konvulsivisches Schluchzen aus dem Vorzimmer das Uebermaaß der Rührung, welche zu verheelen er sich so schnell zurückgezogen hatte.

Nach wenig Stunden nahmen der Marquis und Vivaldi von ihren Freunden Abschied und begaben sich auf den Weg nach Neapel, wo sie ohne weitern Aufenthalt am vierten Tage anlangten. Allein für Vivaldi war es, ohngeachtet seiner Freude über seine Befreiung, eine traurige Reise; denn der Marquis, der das Gespräch auf Ellena di Rosalba brachte, sagte ihm, daß er unter den gegenwärtigen, unvorhergesehnen Umständen sein Versprechen gegen die verstorbene Marquise nicht für bindend halten konnte, und daß Vivaldi Ellenen aufgeben müßte, wenn es sich zeigte, daß sie wirklich die Tochter des verstorbenen Schedoni wäre.

Demohngeachtet aber eilte Vivaldi gleich nach seiner Ankunft zu Neapel mit einer Ungeduld, der seine äußerste Eile nicht Genüge leisten konnte, und mit neubelebter und so starker Freude, daß sie jede Furcht und selbst jede traurige Betrachtung, die das letzte Gespräch mit seinem Vater erregt hatte, besiegte, dem Kloster Santa della Pieta zu.

Ellena. hörte seine Stimme vom Sprachgitter aus, wo er sich bei einer Nonne nach ihr erkundigte, und den Augenblick darauf sahen sie einander noch einmal »they beheld each other yet once again«: ›sahen sie einander von Angesicht zu Angesicht endlich wieder‹. – D.Hg. wieder.

Bei einer solchen Zusammenkunft, nach der langen Ungewißheit und Angst, die Einer um des Andern Schicksal ausgestanden, nach allen Gefahren und Ungemach, das sie wirklich erlitten hatten, stieg ihre Freude bis zur Extase. Ellena weinte, und es verstrichen einige Minuten, ehe sie auf Vivaldis wenige Worte voll zärtlicher Ausrufung antworten konnte; es dauerte lange, ehe sie Ruhe genug hatte, die Veränderung zu bemerken, welche der strenge Verhaft in seinem Aeußern hervorgebracht hatte; der beseelte Ausdruck seines Gesichtes war unverändert; allein, sobald der erste Schimmer der Freude erlosch, und Ellena Muße fand, seine verfallnen Züge zu betrachten, sah sie nur zu deutlich, daß er ein Gefangner der Inquisition gewesen war.

Er erzählte, auf Ellenas Verlangen, alles was ihm zugestossen war, seit er sich in der Kapelle San Stefano von ihr trennte: als er aber an den Theil der Erzählung kam, wo er Schedonis erwähnen mußte, hielt er mit unüberwindlicher Verlegenheit und einem mit Entsetzen vermischten Schmerze inne. Vivaldi konnte es kaum über sich erhalten, Ellenen nur einen Wink von dem ungerechten Betragen des Beichtvaters gegen ihn zu geben, und doch war es unmöglich, seine Erzählung zu beendigen, ohne ihr weit mehr als Winke zu äußern; eben so wenig konnte er es ertragen, sie durch die Nachricht von dem Tode desjenigen zu betrüben, den er für ihren Vater hielt, wenn es ihm auch gelänge, ihr die schrecklichen Umstände dieser Begebenheit zu verheelen. Seine Verlegenheit war sichtbar, und wurde noch mehr durch Ellenas Fragen erhöht.

Endlich wagte er es als Einleitung der Nachricht, die er ihr eröffnen mußte, und zur vollständigen Erläuterung über einen Gegenstand, den er noch nicht zu berühren gewagt hatte, ihr zu sagen, daß er entdeckt hätte, ihr Vater sey noch am Leben. Die Freude, die sogleich auf Ellenas Gesichte erschien, erhöhte seinen Schmerz und seine Abneigung, weiter fortzufahren, weil er glaubte, daß der traurige Vorgang, den er ihr mitzutheilen hatte, ihre Freude in Kummer verwandeln müßte.

Ellena ließ sich indessen, so bald er eines für sie beide so interessanten Gegenstandes erwähnte, mit vieler Lebhaftigkeit über die Freude aus, die sie bei der Entdeckung eines Vaters empfunden hätte, dessen Tugenden schon lange zuvor, ehe sie gewußt, in wie nahem Zusammenhang sie mit ihr ständen, ihre Bewundrung erregt hätten. Es wurde Vivaldi schwer, seine Befremdung über eine so seltsame Vorliebe zu verheelen; denn Schedoni, von dem er glaubte, daß sie spräche, war gewiß nie dazu gemacht gewesen, Zärtlichkeit einzuflößen. Allein seine Verwunderung fiel bald auf einen andern Gegenstand, als Olivia, die gehört hatte, daß ein Fremder am Gitter sey, ins Sprachzimmer trat, und als die Mutter von Ellena di Rosalba angekündigt wurde.

Ehe Vivaldi das Kloster verließ, kam es von beiden Seiten zu einer vollständigen Erklärung, und er erfuhr zu seiner unaussprechlichen Freude, daß Ellena nicht Schedonis Tochter war; so wie es Olivien zur Beruhigung gereichte, zu hören, daß sie fernerhin kein Uebel von demjenigen zu besorgen hatte, der bisher ihr ärgster Feind gewesen war. Doch hatte Vivaldi Delikatesse genug, ihr die Art seines Todes mit allen Umständen, die bei dem letzten Verhör seinen Charakter enthüllten, zu verheelen.

Als Ellena das Zimmer verließ, legte Vivaldi Olivien ein volles Geständniß seiner lange genährten Liebe zu ihrer Tochter ab, und bat sie um ihre Einwilligung zu seiner Verbindung mit ihr. Olivia antwortete auf diesen Antrag: Obgleich ihre gegenseitige Liebe und die mancherlei Umstände, welche sowohl die Standhaftigkeit derselben bewiesen, als ihre Stärke auf die Probe gestellt hätten, ihr nicht unbekannt wären, so würde sie doch nie zugeben, daß ihre Tochter ein Glied einer Familie würde, deren Haupt ihren Werth nicht fühlte, oder nicht geneigt wäre, ihn anzuerkennen, und daß, wenn er seine Absicht zu erreichen wünschte, nicht nur er, sondern auch sein Vater sich bewerben müßten, – unter dieser Bedingung allein erlaubte sie ihm, auf ihre Genehmigung zu hoffen.

Diese Bedingung machte Vivaldis Hofnungen nur wenig erkalten, da es jetzt erwiesen war, daß Ellena nicht die Tochter des Mörders Schedoni, sondern eines Grafen di Bruno war, dessen Charakter nicht weniger Achtung verdiente, als sein Rang, und er zweifelte gar nicht, daß sein Vater bereit seyn würde, das Versprechen zu erfüllen, welches er der sterbenden Marquise gegeben hatte.

Er hatte sich in dieser Hoffnung nicht betrogen. Der Marquis versprach, sobald er Vivaldis Nachricht von Ellenas Familie angehört hatte, daß er, wofern sich kein zweites Mißverständniß bei dieser Sache zeigte, sich den Wünschen seines Sohnes nicht länger widersetzen wollte.

Der Marquis stellte sogleich unter der Hand eine Untersuchung über die Person Oliviens, der gegenwärtigen Gräfin di Bruno, an: und wiewohl dieses nicht ohne viele Schwierigkeit bewerkstelligt werden konnte, setzte doch das Zeugniß des Arztes sowohl, der zu ihrer Flucht vor der Grausamkeit Fernando di Brunos behülflich gewesen war, als Beatrix Zeugniß, die sich der Schwester ihrer verstorbenen Herrschaft vollkommen erinnerte, es endlich außer allem Zweifel, daß Olivia mit der Gräfin di Bruno eine Person sey.

Da also nunmehr alle Zweifel des Marquis aus dem Wege geräumt waren, legte er einen Besuch zu Santa della Pieta ab, und hielt in aller Form um Oliviens Einwilligung in Vivaldis Heirath mit Ellenen an, die sie ihm mit voller Freude gewährte. Der Marquis wurde bei dieser Zusammenkunft so oft von dem Betragen der Gräfin und von Ellenas feinem und angenehmen Wesen eingenommen, daß seine Einwilligung nicht länger erzwungen war, und er willig die Aussichten auf höhern Rang und Vermögen, die er ehmals für seinen Sohn gehabt hatte, gegen die Tugenden und dauerhafte Glückseligkeit vertauschte, die jetzt vor ihm lag.

Am zwanzigsten May, dem Tage, wo Ellena ihr achtzehntes Jahr begieng, wurde ihre Verheirathung mit Vivaldi in der Kirche Santa Maria della Pieta in Gegenwart des Marquis und der Gräfin di Bruno gefeiert. Als Ellena durch die Kirche gieng, erinnerte sie sich, wie sie bei einer frühern Gelegenheit Vivaldi am Altare gesehn hatte – die Scenen im Kloster San Sebastian stiegen in ihrem Gedächtniß auf, und die Scenen des Glücks, welche ihre gegenwärtige Lage ihr entgegen stellte, lockten Thränen zärtlicher Freude und Dankbarkeit in ihre Augen. Damals, unschlüssig, verlassen, von Fremden und listigen Feinden, die ihr Fallstricke legten, umgeben, glaubte sie Vivaldi zum letztenmale zu sehn: jetzt, durch die Gegenwart einer geliebten Mutter, durch den willigen Beifall des Mannes, der sich ihnen bisher so strenge widersetzte, unterstützt, kamen sie hier zusammen, um nie wieder zu scheiden; und als die Erinnerung an den Augenblick, wo sie aus der Kapelle weggeschleppt wurde, vor ihre Seele drang, an den Augenblick, wo sie ihn um Hülfe anrief, wo sie flehte, seine Stimme noch einmal zu hören, und nur eine öde Stille, die Stille des Todes, wie sie glaubte, darauf erfolgte – als Ellena sich jetzt da der Angst jenes Augenblicks erinnerte, fühlte sie lebhafter als je die Glückseligkeit des gegenwärtigen.

Olivia sah nicht ohne Schmerz die Tochter, die sie so kürzlich erst gefunden hatte, aus ihren Armen gehen; allein sie fühlte sich durch die schöne Aussicht der Glückseligkeit, die sich für Ellenen öfnete, getröstet, und durch die Betrachtung erheitert, daß sie zwar von ihr getrennt, aber nicht für sie verloren war, da Vivaldis Aufenthalt dem Kloster della Pieta so nahe lag, daß sie sich häufig sehen konnten.

Als einen Beweis besonderer Achtung wurde es Paulo erlaubt, bei der Trauung seines Herrn gegenwärtig zu seyn, und er sah, wie aus der Luft, von einer hohen Gallerie in der Kirche auf die Ceremonie herab, und als er von dem Entzücken auf Vivaldis Gesichte, von der Zufriedenheit auf dem Gesichte seines alten gnädigen Herrn, des Marquis, von der nachdenkenden Glückseligkeit der Gräfin Bruno und dem zärtlichen Wohlgefallen auf Ellenas Zügen, welches ihr halbzurückgeschlagner Schleier ihn bemerken ließ, Zeuge war, konnte er sich kaum enthalten, die Freude, die er empfand, zu bezeugen, und laut auszurufen: » O! giorno felice O! giorno felice!«



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