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Beneath the silent gloom of solitude
Tho' peace can sit and smile, tho' meek content
Can keep the chearful tenor of her soul,
Ev'n in the loneliest shades, yet let not wrath
Approach, let black revenge keep far aloof,
Or soon they flame to madness …
Aus der Tragödie »Elfrida« (1752) von William Mason:
Mag auch im Dunkel stiller Einsamkeit lächelnd der Friede weilen, mag auch sanfte Zufriedenheit den fröhlichen Ton der Seele bewahren: doch lass, selbst am abgeschiedensten Schattenplatz, den Zorn sich nicht nähern, halte schwarze Rachsucht dir fern, sonst entflammen sie bald zum Wahnsinn. –
D.Hg.
Elfride.
Schedoni überlegte und erwog auf seinem Wege nach dem Vivaldischen Pallast aufs neue jeden Grund, oder vielmehr jeden scheinbaren Umstand, der die Marquise zur Einwilligung in die Hochzeit die er so sehr wünschte, bewegen konnte. Seine Familie war edel, obgleich nicht mehr reich, und er glaubte, da der vermeinte Mangel einer guten Abkunft bisher die Haupteinwendung gegen Ellena gewesen sey, so würde vielleicht die Marquise dahin zu bringen seyn, den Schiffbruch seines Vermögens zu übersehn.
Er hörte im Pallast, daß die Marquise sich in einem ihrer Lustschlösser am Hafen »bay«: hier Bucht. - Dass ein ›Lustschloss‹ sich nicht an irgendeinem Hafen befindet, leuchtet wohl ein. – D.Hg. befände und war zu voll Unruhe, um ihr nicht sogleich dahin zu folgen. Dieser entzückende Aufenthalt lag auf einem luftigen Vorgebürge, welches das Wasser überragte, und beinahe von Wäldern eingefaßt war, die sich längs den Anhöhen hinbreiteten, und mit voller Pracht von Laub und Farben bis zum Rande der Wellen herabstiegen. Es schien kaum möglich, daß das Elend einen so bezaubernden Aufenthalt bewohnen könnte; doch war die Marquise unglücklich mitten unter alle diesem üppigen Genuß der Natur und der Kunst, der die Glückseligkeit eines unschuldigen Herzens erhöht haben würde. Ihr Herz war von bösen Leidenschaften besessen, und alle ihre Vorstellungen waren verzerrt und verfärbt durch diese, welche die Kraft besaßen, die schönsten Scenen in Dunkel und Oede zu verwandeln.
Die Bedienten hatten Befehl, dem Pater Schedoni zu jeder Zeit den Eingang zu verstatten, und man führte ihn in einen Salon, worin sich die Marquise allein befand. Alles in diesem Zimmer verkündigte Pracht und Geschmack. Die Vorhänge waren von Purpur und Gold; die gewölbte Decke war von einem der schönsten »one of the first painters«: schön müssen höchstens seine Bilder sein. – D.Hg. Mahler aus der Venetianischen Schule gemahlt; die marmornen Statuen, welche die Vertiefungen des Zimmers füllten, waren nicht weniger auserlesen, und die ganze Symmetrie und Bauart leicht und prächtig zugleich: lebhaft und doch keusch, glich dieser Ort dem Pallast einer Fee, und schien beinahe gleiche Zauberkräfte zu besitzen. Die Fenster waren geöffnet, um sowohl die Aussicht als die mit Wohlgerüchen von einem Orangenwäldchen, das sich vor ihnen ausbreitete, geschwängerte Luft herein zu lassen. Hohe Palmen und Acacien warfen ihren grünen und erfrischenden Hauch »their green and refreshing tint«: ›ihren grünen, erfrischen Farbton‹. – D.Hg. über die Fenster und auf die Wiese, die bis zum Saume des Hügels herab hieng; ein schattigter Hügel, hinter welchem das weite Gewässer des Meerbusens erschien, wo die leichten Segel der Seluccas und der sich ausbreitende Kannevas größerer Schiffe, wie in einer Camera obscura auf der Scene erschien und hinweg glitt. An der Küste jenseits sah man den Vesuv und die Stadt Neapel mit manchem Hafen und hohen Vorgebürge des langen Strichs der kühnen und buntfärbigten Gegend, die sich nach dem Kap Campanella hinstreckt, von zurückweichenden Bergketten gekrönt, die in allem Zauber eines italienischen Sonnenscheins prangten.
Die Marquise lag auf einem Sopha vor einem offnen Fenster: ihre Augen waren auf die Aussicht vor ihr geheftet, ihre Aufmerksamkeit aber war ganz mit den Erscheinungen beschäftigt, welche böse Leidenschaften ihrer Einbildungskraft vormahlten. Auf ihren noch immer schönen Zügen lag kranke Ermattung und Verdruß, und obgleich ihr Betragen, so wie ihre Kleidung die schöne Nachlässigkeit der Grazien darstellte, verrieth es doch zugleich die Bewegungen eines bekümmerten und selbst eines gequälten Herzens.
Als sie Schedoni wahrnahm, erhellte ein schwaches Lächeln ihr Gesicht, und sie reichte ihm ihre Hand dar, bei deren Berührung er schauderte.
»Mein guter Vater, ich freue mich, Sie zu sehn,« sagte die Marquise, »ich habe die Entbehrung Ihres Gesprächs sehr gefühlt, und vorzüglich in diesem Augenblick der Krankheit.«
Sie winkte ihrer Kammerfrau hinauszugehen, während Schedoni, der sich in ein Fenster gestellt hatte, kaum die Bewegung verheelen konnte, womit er jetzt zum erstenmal die muthwillige Verderberin seines Kindes ansah. Eine neue Schmeichelei von der Marquise rief ihn wieder zu sich selbst. Er gewann bald seine ganze Fassung wieder, näherte sich ihr und sagte:
»Tochter, Sie schicken mich immer verschlimmerter von sich fort, als ich wieder komme. Ich nähere mich Ihnen mit Demuth, obschon ich von Stolz aufgeblasen fortgieng, und werde mir auch jetzt eine große Buße auflegen müssen, um wieder zu der Stuffe, die mir gebührt, herabzusteigen.«
Nachdem noch einige andre Schmeicheleien unter ihnen ausgewechselt waren, erfolgte ein Stillschweigen von einigen Augenblicken, während dessen keines von beiden Muth genug zu haben schien, die Gegenstände herbeizuführen, welche ihre Gedanken beschäftigten; Gegenstände, bei welchen ihr Interesse jetzt so unerwarteter Weise einander schnurstracks entgegenlief.
Wäre Schedoni weniger mit seinen eignen Empfindungen beschäftigt gewesen, so würde er die außerordentliche Bewegung der Marquise, das Zittern ihrer Nerven und die schweren Seufzer, die ihren Busen hoben, bemerkt haben; sie wünschte und getrauete sich doch nicht zu fragen, ob Ellena nicht mehr sey, und kehrte ihre Blicke von ihm ab, in dessen Person sie einen Mörder zu sehn, beinahe überzeugt war.
Schedoni, nicht minder bewegt, obgleich dem Anschein nach ruhig, vermied eben so geflissentlich, der Marquise ins Gesicht zu sehn, die er mit einem Grade von Verachtung, der beinahe seinem Unwillen gleich kam, betrachtete – seine Gefühle hatten in diesem Augenblick alle seine Meinungen über den Gegenstand ihrer vorigen Untersuchungen gänzlich verändert, und ihn, wenigstens einmal richtig denken gelehrt. Jeder Augenblick des Stillschweigens erhöhte jetzt seine Verlegenheit und seine Abneigung Ellenen nur zu nennen. Er fürchtete sich zu sagen, daß sie lebte, und verachtete sich doch wegen dieser Furcht, und schauderte bei der Erinnerung an das Betragen, welches eine Versicherung über ihr Leben nothwendig gemacht hatte. Er wußte nicht, wie er mit einer Behutsamkeit, welche den eifersüchtigen Stolz der Marquise schönte, und zugleich ihren Verdruß besänftigte, ihr die Entdeckung beibringen sollte, daß Ellenas Familie einer Verbindung mit der ihrigen nicht unwürdig sey, und sann noch immer darüber nach, wie er dieses Gespräch einleiten könnte, als die Marquise selbst das Stillschweigen brach.
»Vater,« sagte sie, »ich blicke immer nach Trost zu Ihnen auf, und finde mich selten getäuscht. Sie wissen zu gut, welche Besorgniß mich seit langer Zeit niedergedrückt hat; werde ich erfahren, daß die Ursache derselben aus dem Wege geräumt ist?« – Sie schwieg und setzte dann hinzu: »Darf ich hoffen, daß mein Sohn nicht länger von der Beobachtung seiner Pflicht abgeleitet werden wird?«
Schedoni schwieg, die Augen fest auf die Erde geheftet, sagte aber endlich: »Die Hauptursache Ihrer Besorgnisse ist gewiß aus dem Wege geräumt –« er schwieg wieder.
»Wie,« rief die Marquise mit dem Scharfblick des Argwohns, während alle ihre Verstellung dem Drange ihrer Furcht wich – »haben Sie verfehlt – ist sie nicht todt? –«
Im Eifer ihrer Frage heftete sie ihre Augen auf Schedonis Gesicht, und da sie Zeichen von außerordentlicher Bewegung darauf wahrnahm, setzte sie hinzu: »Reißen Sie mich aus meiner Angst, guter Vater, ich bitte Sie; sagen Sie mir, daß es Ihnen gelungen ist, und daß sie die Schuld der Gerechtigkeit bezahlt hat.«
Schedoni schlug die Augen zu der Marquise auf, zog sie aber sogleich wieder ab: Unwillen hatte sie ihn aufschlagen gemacht, und Widerwillen und erstickter Abscheu ließen ihn sie abwenden. Obgleich wenig von diesen Gefühlen auf seinem Gesichte erschien, entdeckte doch die Marquise einen Ausdruck darauf, den sie noch nie wahrgenommen hatte – ihre Befremdung und Ungeduld stieg, sie wiederholte noch einmal die Frage und mit einer entscheidendern Miene als zuvor.
»Ich habe den großen Zweck nicht verfehlt,« erwiederte Schedoni, »Ihr Sohn läuft nicht länger Gefahr, eine schimpfliche Verbindung zu knüpfen.«
»Was haben Sie denn verfehlt?« fragte die Marquise – »denn ich merke, daß es Ihnen nicht ganz gelungen ist.«
»Ich sollte wohl nicht sagen, daß es mir in irgend einer Rücksicht mißlungen ist,« erwiederte Schedoni mit Bewegung, »da die Ehre Ihres Hauses gerettet, und ein Leben geschont ist.«
Seine Stimme wankte, als er diese letzten Worte aussprach, und er schien aufs neue die Schrecken des Augenblicks zu empfinden, als er, mit aufgehobnem Dolch in der Hand, in Ellena seine Tochter entdeckte.
»Geschont,« wiederholte die Marquise zweifelhaft – »erklären Sie sich, guter Vater.«
»Sie lebt,« erwiederte Schedoni; »allein Sie haben dem ohngeachtet nichts zu fürchten.«
Die Marquise, nicht weniger durch den Ton, womit er sprach, befremdet, als über den Inhalt seiner Worte aufgebracht, veränderte das Gesicht, während sie ungeduldig sagte:
»Sie sprechen in Räthseln mein Vater!«
»Dame! ich spreche die einfache Wahrheit – sie lebt.«
»Das verstehe ich nur mehr als zu gut,« – erwiederte die Marquise – »allein wenn Sie mir sagen, daß ich nichts zu besorgen habe –«
»So sage ich Ihnen ebenfalls die Wahrheit,« versetzte der Beichtvater, »und Ihre wohlwollende Natur darf sich freuen, daß die Gerechtigkeit die Ausübung des Mitleids nicht länger verbietet.«
»Das ist alles recht schön an seinem Orte,« versetzte die Marquise, die der Verdruß, den sie empfand, verrieth; »solche Empfindungen und Gesinnungen sind wie Gallakleider, die man bei schönem Wetter anlegt. Mein Tag ist trübe; lassen Sie mich ein wenig klare gesunde Vernunft hören; benachrichtigen Sie mich von den Umständen, welche diese Veränderung in dem Gange Ihrer Beobachtung hervorgebracht haben; allein seyn Sie kurz, guter Vater!«
Schedoni enthüllte nunmehr mit seiner gewöhnlichen Kunst solche Umstände von Ellenas Herkunft, wodurch er die Abneigung der Marquise gegen diese Verbindung zu besänftigen, und sie zu bewegen hoffte, aus Rücksicht auf ihres Sohnes Glück sie endlich zu genehmigen: zugleich trug er ihr eine glaubhafte Erzählung vor, auf welche Art er diese Entdeckung gemacht hätte.
Die Geduld der Marquise konnte kaum den Schluß dieser Erzählung abwarten, und eben so wenig konnte der Verdruß ihrer fehlgeschlagnen Erwartung sich dem Zaum der Vorsicht unterwerfen. Als er endlich seine Geschichte geendigt hatte, sagte sie mit stirnrunzelndem Mißvergnügen:
»Ist es möglich, daß Sie sich durch die Glattzüngigkeit eines Mädchens konnten hintergehn lassen, von der sich erwarten ließ, daß sie jede Unwahrheit äußern würde, wovon sie sich nur einigen Schutz versprechen konnte! Hat ein Mann von Ihrem Scharfsinn diesem leeren, unwahrscheinlichen Mährchen Glauben beimessen können! Sagen Sie lieber, mein Vater, daß es Ihnen in diesem kritischen Augenblick an Entschlossenheit gefehlt hat, und daß Sie sich jetzt vor sich selbst wegen eines so kleinmüthigen Betragens zu entschuldigen suchen.«
»Ich bin nicht so geneigt, dem bloßen Scheine zu trauen,« erwiederte Schedoni ernsthaft, »und noch weniger, vor einer Handlung zurück zu schrecken, die ich als gerecht und nothwendig erkenne. Ihren letzten Wink beantworte ich gar nicht; es geziemt sich nicht für meinen Charakter mich gegen eine Beschuldigung von Falschheit zu vertheidigen.«
Da die Marquise merkte, daß ihre Leidenschaft sie zu einer Unbesonnenheit verleitet hatte, ließ sie sich herab, sich mit ihrer außerordentlichen Aengstlichkeit über die Folgen, die aus einer so unbehutsamen Nachsicht hätten entstehn können, zu entschuldigen, und Schedoni nahm eben so willfährig ihre Entschuldigung an, weil jeder den Beistand des andern zur Ausführung seiner Plane nothwendig glaubte
Schedoni sagte ihr nunmehr, daß er seine Aeußerungen von Ellena mit einer bessern Autorität belegen könnte, und erwähnte einige Umstände, welche bewiesen, daß ihm mehr der Ruf als die Wahrheit seines Wortes am Herzen lag. Da er glaubte, daß seine Herkunft der Marquise gänzlich unbekannt sey, so wagte er es, ihr einige Umstände von Ellenas Familie zu entdecken, ohne zu befürchten, daß sie dadurch einen Verdacht wegen der seinigen bekommen könnte.
Obgleich die Marquise sich dadurch weder befriedigt noch überzeugt fühlte, besaß sie doch so viel Herrschaft über ihre Gefühle, um ruhig zu scheinen, während der Beichtvater ihr mit der feinsten Behutsamkeit das Unglück ihres Sohnes und die Befriedigung schilderte, die es ihr am Ende gewähren müßte, wenn sie sich in seine Wahl fügte, seit der Gegenstand derselben seiner Verbindung würdig befunden sey. Er setzte hinzu, so lange er das Gegentheil geglaubt hätte, wäre er eben so eifrig bedacht gewesen, diese Verbindung zu hintertreiben, als aufrichtig er sie jetzt billigte, und schloß damit, ihr sanft zu verweisen, daß sie ihren vortrefflichen Verstand durch Vorurtheil und einige Ueberreste von Empfindlichkeit verdunkeln ließe.
»Ich rechne auf die natürliche Klarheit Ihrer Einsichten,« setzte er hinzu, »und zweifle nicht, wenn Sie die Sache reiflich überlegt haben werden, daß jede Einwendung den Rücksichten für Ihres Sohnes Glückseligkeit weichen wird.«
Der Eifer, womit Schedoni sich für Vivaldi verwandte, erregte einige Verwunderung bei der Marquise; allein ohne weder seine Gründe noch Vorstellungen einer Antwort zu würdigen, fragte sie ihn, ob Ellena etwas von der Absicht argwöhnte, weswegen man sie in die Waldungen des Garganus gebracht hätte, oder vermuthete, daß alle ihre Verfolgungen von einer Person herrührten? Schedoni, der sogleich merkte, worauf diese Fragen abzielten, antwortete mit der Leichtigkeit, womit er gewöhnlich sein Gewissen nach seinem Vortheil zu fügen wußte, daß es Ellenen gänzlich unbekannt sey, wer ihre unmittelbaren Verfolger wären, und daß sie eben so wenig argwöhnte, daß man ihr ein andres Uebel als eine kurze Gefangenschaft zugedacht hätte.
Das Letzte ließ die Marquise als wahrscheinlich gelten, bis die Dreistigkeit der ersten Behauptung ihr einen Zweifel an beiden beibrachte, und neue Verwundrung und Vermuthungen über die Ursache erregte, die Schedoni bewegen konnte, diese Unwahrheiten zu behaupten. Sie erkundigte sich nunmehr, was man jetzt mit Ellenen angefangen hätte; allein er war zu klug, ihr den Ort ihres Aufenthalts zu entdecken, mit so scheinheiliger Miene man auch die Frage vorlegte, und bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf Vivaldi zu ziehen. Doch wagte der Beichtvater es für jetzt nicht, ihr etwas davon merken zu lassen, daß er sich in den Händen der Inquisition befände, sondern behielt sich diese Entdeckung mit dem eifrigen Anerbiethen seiner Dienste zugleich, ihn aus der Gefahr zu befreien, bis zu einer günstigern Gelegenheit vor.
Die Marquise, welche glaubte, daß ihr Sohn noch immer beschäftigt sey, Ellenen nachzusetzen, that viele Fragen nach ihm, ohne aber irgend eine Bekümmerniß um sein Wohl zu äußern; Unwillen schien die einzige Empfindung zu seyn, die sie gegen ihn übrig behielt. Während Schedoni mit Behutsamkeit auf ihre Fragen antwortete, suchte er selbst zu erforschen, wie der Marquis Vivaldis lange Abwesenheit ertrüge, um daraus abzunehmen, in wie fern er es nachher wagen durfte, sich bei seiner Befreiung thätig zu beweisen, und welchen Anstrich er seinem Betragen gegen Ellena geben sollte.
Es schien, daß der Marquis nicht gleichgültig bei seines Sohnes Abwesenheit war, und ob er gleich anfangs geglaubt hatte, daß Ellenen aufzusuchen, der einzige Grund davon sey, beunruhigten ihn doch jetzt andre Besorgnisse, und lehrten ihn die Gefühle eines Vaters wieder empfinden. Doch verhinderten seine unzähligen Beschäftigungen und die andern Gegenstände seines Strebens, daß diese Sorge nicht an seinem Herzen nagte, und nachdem er Personen ausgeschickt hatte, um Vivaldi aufzusuchen, brachte er seine Zeit in dem gewöhnlichen Kreise seiner Gesellschaft und des Hofes zu. Weder er noch die Marquise hatten nur den entferntesten Gedanken an die wirkliche Lage ihres Sohnes, und dies war ein Umstand, wovon sich der Beichtvater sehr sorgfältig zu überzeugen suchte.
Ehe er Abschied nahm, wagte er es, Vivaldis Liebe aufs neue zu erwähnen, und sanft für ihn zu bitten. Allein die Marquise schien nicht auf seine Vorstellungen zu achten, bis sie endlich aus ihrer Träumerei erwachend, sagte: »Vater, Sie haben unrichtig geurtheilt –« und ehe sie ihre Rede endigte, wieder in ein gedankenkenvolles Stillschweigen zurückfiel. Schedoni glaubte ihre Meinung zu errathen, und wollte sich aufs neue wegen seines Betragens gegen Ellena zu entschuldigen suchen –
»Sie haben unrecht gehabt, Vater,« fieng die Marquise mit derselben nachdenkenden Miene wieder an, »das Mädchen in eine solche Lage zu bringen, wo es meinem Sohn nicht fehlschlagen kann, sie zu entdecken.«
»Sie möchte seyn, wo sie wollte,« erwiederte der Beichtvater, der die Meinung der Marquise zu verstehen glaubte, »so würde es nicht möglich seyn, sie vor seiner Aufsuchung lange zu verbergen.«
»Wenigstens hatte man die Nähe von Neapel vermeiden sollen,« merkte die Marquise an.
Schedoni schwieg, und sie setzte hinzu: »So nahe also seinem eignen Aufenthalt! Wie weit ist Santa della Pieta von dem Vivaldischen Pallast?«
Obgleich Schedoni glaubte, daß die Marquise sich nur stellte, als wüßte sie Ellenas Aufenthalt, um ihn dadurch wirklich zu erfahren, erschreckte es ihn doch, den Ort, wo sie sich befand, von ihr nennen zu hören; allein er antwortete sogleich, ohne sich zu besinnen:
»Ich weiß nicht, wie weit es ist; denn bis jetzt war es mir nicht bekannt, das es ein Kloster dieses Namens giebt: allerdings aber scheint es mir, daß dieses Santa della Pieta der Ort ist, den man vor allen andern zu vermeiden suchen müßte. Wie konnten Sie mich im Verdacht einer so gewaltigen Unvorsichtigkeit haben, gnädige Frau!«
Die Marquise betrachtete ihn aufmerksam, während er sprach:
»Es wird mir erlaubt seyn, guter Vater, Ihre Klugheit in diesem Falle in Zweifel zu ziehn, da Sie mir so eben in einem andern einen so unzweideutigen Beweis derselben gegeben haben.«
Sie wollte darauf das Gespräch auf einen andern Gegenstand lenken; allein Schedoni, welcher dies für einen Beweis hielt, daß sie sich versichert hielte, Ellenas Aufenthalt wirklich entdeckt zu haben, und der nur zu viel Ursache hatte, den Gebrauch, den sie von dieser Entdeckung zu machen gedachte, zu fürchten, gab sich Mühe, ihr ihre Meinung auszureden und sie über den Ort von Ellenas Aufenthalt irre zu führen. Er läugnete nicht nur geradeswegs ihren gegenwärtigen Aufenthalt zu Santa della Pieta, sondern trug auch kein Bedenken, bestimmt zu behaupten, ›daß sie in einiger Entfernung von Neapel sey, indem er zugleich einen erdichteten Ort nannte, dessen Verborgenheit, wie er hinzusetzte, sie am besten vor Vivaldis Verfolgung sichern würde‹.
»Wohl wahr, Vater,« merkte die Marquise an; »ich glaube, daß mein Sohn das Mädchen nicht leicht an dem Orte entdecken wird, den Sie genannt haben.«
Die Marquise mochte Schedonis Behauptung Glauben beimessen oder nicht, genug, sie äußerte weiter keine Neugierde über die Sache und schien weit ruhiger als zuvor. Sie sprach ganz unbefangen über allgemeine Gegenstände, während der Beichtvater den eigentlichen Punkt seiner geheimen Wünsche nicht weiter zu betreiben wagte; nachdem er eine kurze Zeit ein Gespräch ausgehalten hatte, das sich mit seiner Gemüthsstimmung schlecht vertrug, nahm er Abschied und kehrte nach Neapel zurück.
Auf dem Wege dahin, gieng er das Benehmen der Marquise in Gedanken genau durch, und der Ausgang seiner Untersuchung war der Entschluß – den Gegenstand ihres Gesprächs nie zu erneuern, sondern ohne ihre Einwilligung Vivaldis und Ellenas Hochzeit zu feiern.
Die Marquise blieb, als Schedoni sie verließ, genau in der Stellung, worin er sie verlassen hatte, und versenkt in das Nachdenken, welches sein Besuch bei ihr erregte. Die plötzliche Veränderung in seinem Betragen setzte sie in Erstaunen und Bestürzung, und sie fand sich dadurch auf eine unangenehme Art in ihrer Erwartung betrogen. Es war ihr unmöglich, Grund und Ursache dieses Betragens zu finden. Zuweilen fiel es ihr wohl ein, dass Vivaldi ihn vielleicht durch reiche Versprechungen bewogen hätte, die Heirath zu befördern, die er zu hintertreiben beitrug; wenn sie aber bedachte, welche hohe Erwartungen sie selbst in ihm erregt hatte, so fiel alle Wahrscheinlichkeit dieser Vermuthung weg. Daß sie sich aber, aus was für Ursachen es auch sey, bei diesem Geschäft nicht länger auf Schedoni verlassen konnte, sah sie nur zu gut ein; doch suchte sie sich mit der Hoffnung zu trösten, daß sie vielleicht eine noch zuverlässigere Person finden würde. Einen Theil von Schedonis Entschluß machte sie ebenfalls zu dem ihrigen, nämlich, den Gegenstand ihres letzten Gesprächs nie wieder auf die Bahn zu bringen. Allein während sie im Stillen ihre eignen Pläne befolgte, beschloß sie, sich gegen Schedoni in jedem Betracht wie gewöhnlich zu betragen, ihn nicht argwöhnen zu lassen, daß sie ihm ihr Vertrauen entzogen hätte, sondern ihn vielmehr glauben zu lassen, sie hätte alle fernern Absichten gegen Ellena aufgegeben.