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Zehntes Kapitel.

Those hours, wich lately smil'd, where are they now?
Pallid to thought, and ghastly! Edward Young: The Complaint: or Night-Thoughts on Life, Death, & Immortality (1742-45). Night II: On Time, Death, and Friendship. V. 386 f.

»So freundlich lächelten die Stunden kaum;
Wo sind sie nun? Wie Geister bleich vor dem Gedanken!«

(Eduard Young's Nachtgedanken. Im Versmaas der Urschrift übersetzt von Ch. E. Gr. v. Bentzel Sternau. Frankfurt a. M. 1825. S. 44.) – D.Hg.

Young.

Die Marquise di Vivaldi, von deren Tode Beatrix eine unvollständige Nachricht gegeben hatte, von Gewissensbissen über das Verbrechen, das sie gegen Ellenen im Sinn geführt, und von Schrecken über die ihm gebührende Strafe verzehrt, hatte auf ihrem Todbette einen Beichtvater rufen lassen, dem sie ihr Gewissen entlastete, und von dem sie dafür eine Vermindrung ihrer Verzweiflung zu erhalten hofte. Dieser Beichtvater war ein Mann von gesundem Verstande und Menschenliebe, und als er Vivaldis und Ellena di Rosalbas Geschichte ganz erfuhr, erklärte er, daß ihre einzige Hoffnung, sowohl für das Verbrechen, welches sie im Sinne führte, als für das unverdiente Leiden, das sie verursacht hatte, Vergebung zu erhalten, in ihrer Willfährigkeit bestände, diejenigen jetzt glücklich zu machen, die sie zuvor elend gemacht hatte. Ihr Gewissen hatte ihr bereits dieselbe Lehre ertheilt, und jetzt, da sie sich dem Grabe nahte, welches allen Unterschied gleich macht, und da kein Stolz mehr sich ihrer gerechten Furcht vor einer Wiedervergeltung entgegen setzte, lag es ihr eben so sehr am Herzen, Vivaldis Heirath mit Ellenen zu befördern, als sie sichs zuvor angelegen seyn ließ, sie zu hintertreiben. Sie ließ daher den Marquis rufen, gestand ihm die Kunstgriffe, deren sie sich gegen Ellenas Frieden und guten Ruf bedient hatte, ohne ihm indessen den ganzen Umfang ihres vorgehabten Verbrechens zu gestehn, und machte es zu ihrer letzten Bitte, daß er in die Glückseligkeit seines Sohnes willigen wollte.

Auf den Marquis, so sehr ihn auch diese Entdeckung der Falschheit und Grausamkeit seines Weibes traf, konnten weder Furcht vor der Zukunft noch Gewissensbisse wegen des Vergangnen, die auf seine Frau wirkten, Einfluß behaupten, und er widerstand ihrem Eindringen, bis die Angst ihrer letzten Stunden jede andre Rücksicht außer der, ihr Linderung zu verschaffen, überwältigte; er gab darauf in Gegenwart des Beichtvaters ein feierliches Versprechen, sich der Heirath zwischen Vivaldi und Ellenen nicht länger zu widersetzen, wenn sein Sohn auf seiner Neigung zu ihr beharrte. Dieses Versprechen war der Marquise genug, und sie starb mit einiger Ergebung. Indessen war es nicht wahrscheinlich, daß der Marquis sobald würde aufgefordert werden, das Versprechen zu erfüllen, das er so ungern gegeben hatte: denn alle Erkundigungen nach Vivaldi waren bisher fruchtlos geblieben.

Während dieses fruchtlosen Forschens nach seinem Sohne, und während der Marquis ihn beinahe als todt beklagte, wurden die Bewohner des Vivaldischen Pallastes einstmals des Nachts durch ein heftiges Klopfen an dem großen Thore aus dem Schlafe geweckt. Das Lärmen war so laut und anhaltend, daß der Marquis, dessen Zimmer vorn heraus gieng, beunruhigt wurde, und noch ehe der Thürsteher eilen konnte, einen Bedienten aus seinem Vorzimmer herunter schickte, um sich zu erkundigen, was es gäbe.

Sogleich hörte man eine Stimme aus dem ersten Vorzimmer laut rufen: »ich muß den Herrn Marquis sogleich sprechen; er wird nicht ungehalten werden, daß man ihn aufweckt, wenn er weiß, warum?« und ehe noch der Marquis Befehl geben konnte, Niemand, unter welchem Vorwande es auch sey, herein zu lassen, war schon Paulo, bleich, hager, zerlumpt und mit Koth bedeckt im Zimmer. Sein abgezehrtes, erschrocknes Gesicht, seine unordentliche Kleidung und seine Stellung sogar, denn er drehte sich im Hereintreten halb um, und sah nach dem Vorzimmer zurück, gleich einem, der eben den Fesseln entronnen ist und sich nachgesetzt wähnt, hatten etwas so Auffallendes und Schreckliches, daß der Marquis, der eine unglückliche Nachricht von Vivaldi voraus ahndete, kaum das Herz hatte, nach ihm zu fragen. Paulo machte inzwischen auch alle Fragen überflüssig, denn ohne Umschweif oder Vorrede benachrichtigte er sogleich den Marquis, ›daß der Signor, sein theurer Herr, sich in den Gefängnissen der Inquisition zu Rom befände, wofern sie ihm nicht schon bereits das Garaus gemacht hätten.‹

»Ja, gnädiger Herr,« sagte Paulo, »ich selbst bin erst eben entronnen, denn sie wollten mich nicht zu dem Signor lassen, und so konnte es mir zu nichts helfen, daß ich länger dort blieb. Allein es fiel mir sehr hart, weg zu gehn, und meinen theuren Herrn in diesen traurigen Mauern zu lassen; gewiß hätte mich auch nichts auf der Welt dazu bringen können, wenn ich nicht gehofft, daß Ew. Gnaden, sobald Sie wüßten, wo der Signor wäre, im Stande seyn würden, ihn zu befreien. Allein wir haben keinen Augenblick zu verlieren, gnädiger Herr, denn sobald einmal Jemand in die Klauen dieser Inquisitoren gerathen ist, kann man nicht gut dafür sagen, wie bald es ihnen einfallen kann, ihn in Stücken zu zerreissen. Soll ich Pferde nach Rom bestellen, gnädiger Herr? ich bin bereit auf der Stelle wieder umzukehren.«

Eine solche plötzliche Nachricht von einem einzigen Sohn hätte stärkere Nerven als die des Marquis erschüttern können; er wurde so sehr dadurch erschreckt, daß er nicht sogleich einen Entschluß fassen, oder Paulos wiederholte Fragen beantworten konnte. Als er sich aber genug gesammelt hatte, um sich näher nach Vivaldis Lage zu erkundigen, sah er wohl ein, wie nothwendig es war, unverzüglich abzureisen: allein es war der Klugheit gemäß, zuvor mit einigen Freunden zu Rathe zu gehn, die in Rom Verbindungen hatten, wodurch sie ihm bei der wichtigen Angelegenheit, die ihn dahin führte, sehr behülflich seyn konnten, und dieses konnte nicht vor dem folgenden Morgen geschehen. Indessen gab er seinen Leuten Befehl, jeden Augenblick zur Abreise bereit zu seyn, und nachdem er sich alles, was Vivaldis Lage betraf, so vollständig als möglich hatte erzählen lassen, schickte er Paulo fort, um den übrigen Theil der Nacht auszuruhen.

So sehr aber auch Paulo der Ruhe bedurfte, war er doch in zu großer Gemüthsbewegung, um sie zu suchen, oder zu finden, und die Furcht, die er blicken ließ, als er in des Marquis Zimmer trat, rührte mehr von der Unruhe seiner Lebensgeister als von einer bestimmten Besorgniß eines neuen Uebels her. Seine Freiheit hatte er der jungen Schildwache zu danken, die man bei einem frühern Vorfall von seiner Thüre wegnahm, die aber durch Vermittelung des Gerichtsdieners, dem Vivaldi an dem Abend, wo er vom Tribunal zurückkehrte, Geld zugesteckt hatte, seitdem wieder Gelegenheit bekam, mit ihm zu sprechen. Dieser Mann, der ein viel zu gefühlvolles Herz für seine Lage »situation«, hier in der Bedeutung von ›Arbeitsstelle‹. – D.Hg. besaß, fühlte sich höchst unglücklich darin, und dachte auf Mittel, sich daraus zu befreien. Er fand, daß ein Gefangenwärter beinahe ein eben so unglückliches Geschöpf sey, als ein Gefangner selbst:

»Ich finde weiter keinen Unterschied unter ihnen,« sagte er, »außer daß der Gefangne an einer Seite der Thüre und der Gefangenwärter an der andern wacht.«

Entschlossen sich zu befreien, gieng er mit Paulo zu Rathe, dessen Gutmüthigkeit und Fühlbarkeit des Herzens unter so vielen Menschen von entgegengesetztem Charakter sein Zutrauen und seine Liebe gewonnen hatte, und legte seinen Plan so gut an, daß er auf dem Punkt war, ihn glücklich ins Werk zu setzen, als Paulos Hartnäckigkeit, eine Unmöglichkeit zu versuchen, beinahe alles vereitelt hätte. Es gienge ihm ans, Herz, sagte er, seinen Herrn im Gefängniß zurückzulassen, während er in Sicherheit davon zöge, und er würde lieber seinen Hals in Gefahr setzen, als eine solche Handlung begehen. Er schlug daher vor, weil Vivaldis Wächter von zu grausamer Natur wären, um mit sich reden zu lassen, eine Mauer des Hofes, woran ein Gitter von Vivaldis Kerker stieß, zu erklettern. Allein wäre auch diese hohe Mauer zugänglich gewesen, so war es doch das Gitter nicht, und der Versuch hätte Paulo nicht nur beinahe seine Freiheit, sondern auch sein Leben gekostet.

Als er sich endlich seinen Weg durch die gefährlichen Zugänge des Gefängnisses gebahnt hatte, und glücklich jenseits der Mauern war, konnte sein Gefährte ihn kaum bewegen, sie zu verlassen. Beinahe eine Stunde wandelte er unter ihrem Schatten umher, weinte, schrie und rief seinen theuren Herrn bei Namen, ohne auf offenbare Gefahr, wieder ergriffen zu werden, zu achten, und würde wahrscheinlich noch länger verweilt haben, hätte nicht die Morgendämmerung seinen Gefährten zum Verzweifeln gebracht. Gerade in dem Augenblick, wo dieser ihn gewaltsam hinwegriß, wähnte Paulo bei dem sich verstärkenden Licht das Dach des Gebäudes, in dessen Kerker sein Herr verhaftet war, zu erkennen, und Vivaldis Anblick selbst hätte ihm kaum einen plötzlichern Ausbruch von Freude, worauf ein eben so heftiger Schmerzenserguß folgte, verursachen können.

»Dieß ist das Dach, ja es ist das nämliche Dach!« rief Paulo, sprang hoch von der Erde auf und schlug in die Hände; »es ist das Dach! das Dach! O mein Herr; mein Herr! das Dach; das Dach!« – fuhr er abwechselnd fort zu rufen, bis sein Gefährte anfieng zu fürchten, daß er wahnsinnig sey, da ihm Thränen die Wangen herunter strömten, und jeder Blick und jede Bewegung die ausschweifendste und seltsamste Vereinigung von Freude und Kummer verrieth. Endlich setzte die ausdrückliche Gefahr, entdeckt zu werden, seinen Gefährten in die Nothwendigkeit, ihn mit Gewalt von dieser Stelle weg zu treiben. –

Sobald er aber das Gebäude, welches Vivaldi einschloß, aus dem Gesicht verloren hatte, setzte er mit einer Eile, die aller Unterbrechung Trotz bot, seinen Weg nach Neapel fort, und kam dort in dem Zustande, den ich beschrieben habe, an, ohne sich weder Schlaf noch irgend Nahrung vergönnt zu haben, seit er die Inquisition verließ. Allein selbst in diesem erschöpften Zustande blieb der Muth, den seine treue Liebe ihm gab, unerschüttert, und als am folgenden Morgen der Marquis Neapel verließ, konnte weder seine Müdigkeit, noch die dringende Gefahr, der diese Reise ihn aussetzen mußte, ihn abhalten, mit nach Rom zu gehn.

Der Rang des Marquis, und der Einfluß, den er bekanntlich am Hofe zu Neapel besaß, waren Dinge, die bei dem heiligen Amte ihres Einflusses nicht verfehlen konnten, und eine baldige Befreiung für Vivaldi hoffen ließen: mehr aber noch versprachen die hohen Verbindungen, welche der Graf di Maro, des Marquis Freund, in der Römischen Kirche besaß.

Dem allen ungeachtet aber fanden die Vorstellungen, die man den Inquisitoren machte, nicht so bald Gehör, als es des Marquis Wünsche erwartet hatten, und er war schon über vierzehn Tage in der Stadt gewesen, ehe man ihm erlaubte, seinen Sohn zu besuchen. Als er ihn aber wirklich wieder sah, trug auf beiden Seiten die Zärtlichkeit über alle Erinnerung des Vergangenen den Sieg davon. Vivaldis Zustand, sein bleiches Ansehen, wozu die Wunden, die er zu Celano empfieng, und wovon er noch nicht ganz geheilt war, beigetragen hatten – seine Lage in einem düstern und schrecklichen Gefängniß – alles erweckte die volle Zärtlichkeit des Vaters; seine Fehler wurden verziehen, und der Marquis fühlte sich geneigt, alles zu bewilligen, was seine Glückseligkeit wieder herstellen konnte, hätte er auch nur ihm die Freiheit wieder herstellen können.

Als Vivaldi seiner Mutter Tod erfuhr, vergoß er bittre Thränen des Kummers und Schmerz, ihr so viel Betrübniß verursacht zu haben. Die Unbilligkeit ihrer Forderungen wurde vergessen, ihre Fehler waren vertilgt – zum Glück für seine Ruhe hatte er nie den ganzen Umfang ihrer sträflichen Absichten gekannt, und als er erfuhr, daß ihre letzte Bitte noch dahin gieng, seine Glückseligkeit zu befördern, verursachte ihm das grausame Bewußtseyn, die ihrige unterbrochen zu haben, schmerzliche Angst; und er war genöthigt, sich ihr voriges Betragen gegen Ellenen zu San Stefano zurückzurufen, ehe er sich mit sich selbst wieder aussöhnen konnte.



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