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Neuntes Kapitel.

O holy nun! why bend ihe mournful head?
Why fall those tears from lids uplift in pray'r.
Why o'er thy pale cheek steals the feeble blush,
Then fades, and leaves it wan as the lily
On which a moon beam falls? O heilige Nonne, warum beugst du dein trauriges Haupt? Warum fallen jene Tränen von den im Gebet empor gehobenen Lidern? Warum stiehlt sich schwaches Erröten auf deine bleiche Wange, dessen Rot dann entschwindet, bis sie blass bleibt wie die Lilie, auf die ein Mondstrahl fällt? – D.Hg.

Während diese Dinge in den Gefängnissen der Inquisition zu Rom vorgiengen, blieb Ellena in dem heiligen Zufluchtsort Unsrer Dame des Mitleids mit Schedonis Verhaft und Vivaldis Lage unbekannt. Sie wußte, daß der Beichtvater damit umgieng, sie für seine Tochter anzuerkennen, und glaubte auch die Ursache seiner Abwesenheit zu errathen: allein ob er ihr gleich verbothen hatte, einen Besuch von ihm zu erwarten, bis er seine Anstalten völlig getroffen hätte, so hatte er ihr doch indeß zu schreiben, und sie von Vivaldis gegenwärtiger Lage genau zu unterrichten versprochen: sein unerwartetes Stillschweigen erregte daher eben so verschiedne, wenn gleich nicht so schreckliche, Vermuthungen bei ihr, als Vivaldi um ihrentwillen ausstand; auch Vivaldis Schweigen kam ihr nicht minder seltsam vor.

»Er muß in der That in sehr strenger Gefangenschaft seyn,« sagte die bekümmerte Ellena, »weil er meine Angst um ihn nicht einmal durch eine einzige Zeile lindern kann. Oder vielleicht hat er sich, durch unaufhörliches Widerreden gequält, dem Befehl seiner Familie unterworfen und eingewilligt, mich zu vergessen. Ach! warum ließ ich seiner Familie zu diesem Befehl Raum? Warum drang ich nicht selbst darauf?«

Allein indem sie diesen Vorwurf gegen sich selbst aussprach, widersprachen die Thränen, welche sie vergoß, dem Stolze, der ihn ihr eingab, und eine Ueberzeugung, die heimlich im Hinterhalt ihres Herzens saß, daß Vivaldi sie nicht so aufgeben könnte, zerstreute bald diese Thränen. Andre Vermuthungen aber riefen sie zurück – vielleicht war er krank? oder gar todt?

In solchen trüben und unbestimmten Zweifeln schlichen ihre Tage hin: Beschäftigungen konnten sie nicht länger von sich selbst abziehn, und Musik konnte auch nicht für einen Augenblick das Gefühl des Kummers hinweg zaubern; doch nahm sie regelmäßig an den verschiednen Beschäftigungen der Nonnen Theil, und war so weit entfernt, sich unnütze Ausbrüche des Schmerzes zu vergönnen, daß sie noch nie den ihr heiligen Gegenstand desselben verrathen hatte, so daß, ob sie gleich keine heitere Miene annehmen konnte, sie nie anders als ruhig schien. Ihre süßeste, obwohl zugleich schwermüthigste Stunde war, wenn sie bei Sonnenuntergang sich unbemerkt nach der Terrasse zwischen den Felsen, die das Kloster überragten und einen Theil seines Gebietes ausmachten, zurückziehn konnte. Hier, allein, und von allem ceremoniösen Zwang der Gesellschaft befreit, schienen ihre Gedanken sogar freier zu seyn. Wenn unter dem leichten Laubwerk der Acacienbäume, oder unter dem majestätischen Schatten der Palmen, deren hohe Zweige über den vielfärbigen Klippen dieser Terrasse wehten, Ellena auf das prächtige Schauspiel des Meerbusens herunter blickte, so rief es ihrem Gedächtniß mit trauriger und doch zugleich süßer Wahrheit die vielen glücklichen Tage zurück, die sie in Gesellschaft Vivaldis und ihrer verstorbenen Tante Bianchi zugebracht hatte, und jeder, durch solche Erinnerungen bezeichnete Punkt der Aussicht, den der Schleier der Entfernung ihr entzog, wurde von der Einbildungskraft aufgelöst, und von der Zärtlichkeit mit lebhafteren Farben ausgemahlt, als die glänzendsten der Natur.

Eines Abends hatte Ellena länger als gewöhnlich auf der Terrasse verweilt. Sie beobachtete, wie die Strahlen sich von den höchsten Gipfeln des Horizonts zurückzogen, und die tiefern Landschaften allmählich verschwanden, bis die Sonne in die Wellen gesunken war, und alle Farben bis auf einen sanften Purpurhauch sich verloren, der Wasser und Himmel überzog und alle Abrisse der Landschaft in sanfte Verwirrung verschmolz. Die Dächer und dünnen Thürme der Santa della Pieta, mit einem einzelnen Kirchthurm, der sich hoch über alle andern Theile des Gebäudes, aus welchen das Kloster bestand, erhob, verschwanden schnell vor dem Auge; allein der feierliche Nebel, der sie einhüllte, stimmte so gut zum Charakter des Ganzen, daß Ellena ungern sich von diesem interessanten Gegenstande abzog. Plötzlich nahm sie durch das Dämmerlicht eine ungewöhnliche Menge von Gestalten wahr, die sich im Vorhofe des Klosters hin und her bewegten; sie horchte und bildete sich ein, das Murmeln vieler Stimmen zu unterscheiden. Die weißen Gewänder der Nonnen machten sie dem Auge bemerklich, so wie sie sich bewegten; allein es war unmöglich, die andern Personen in diesem Gewühl zu unterscheiden. Den Augenblick darauf zerstreute sich die Menge, und Ellena, neugierig die Ursache von dem, was sie gesehn hatte, zu erfahren, schickte sich an, ins Kloster herunter zu gehn.

Sie hatte die Terrasse verlassen und trat eben in eine lange Allee von Wallnüssen, die sich bis zu einem Theil des Klosters hinzogen, der unmittelbar an den großen Vorhof stieß, als sie Schritte in der Entfernung vernahm, und da sie in den Gang trat, verschiedne Personen in der schattigten Ferne heran nahen hörte. Als die Stimmen näher kamen, unterschied sie eine, deren interessanter Ton alle ihre Aufmerksamkeit fesselte, und Erinnerungen bei ihr zu erwecken begann. Sie horchte, verwunderte sich, zweifelte, hoffte, fürchtete! Die Stimme sprach wieder! Ellena glaubte sich in diesen zärtlichen Tönen so voll Geist, so voll Ausdruck von Gefühl und Verstand, nicht irren zu können. Sie schritt mit schnellern Schritten fort, und schwankte doch, als sie der Gruppe näher kam, und stand still, um zu entdecken, ob eine Gestalt unter ihnen wäre, die zu dieser Stimme passen und ihre Hoffnungen rechtfertigen könnte.

Die Stimme sprach wieder; sie nannte ihren Namen, sprach ihn mit dem Zittern der Zärtlichkeit und Ungeduld aus, und Ellena wagte kaum ihren Sinnen zu trauen, als sie Olivien, die Nonne von San Stefano in den Kreuzgängen des Klosters della Pieta sah!

Ellena konnte keine Worte finden, ihre Freude und Verwunderung auszudrücken, als sie ihre Retterin in Sicherheit und in diesen ruhigen Schatten sah: Olivia erwiederte alle zärtliche Liebkosungen ihrer jungen Freundin, und während sie die Umstände zu erläutern versprach, die ihre gegenwärtige Erscheinung hier veranlaßt hatten, that sie ihrerseits unzählige Fragen an Ellena über die Begebenheiten, die ihr zugestoßen waren, seit sie San Stefano verlassen hatte. Allein sie waren jetzt von zu vielen Zuhörern umgeben, um sich ohne Zwang unterhalten zu können; Ellena führte daher die Nonne in ihr Zimmer, und Olivia erklärte ihr die Ursachen, weswegen Sie das Kloster San Stefano verlassen hatte, Ursachen, die in der That hinlänglich waren, selbst bei der strengsten Andächtigen sie wegen dieses Tausches zu rechtfertigen. Diese unglückliche Nonne, wie es schien, von dem Verdacht der Aebtissin verfolgt, welche erfahren hatte, daß sie bei Ellena's Befreiung behülflich war, hatte den Bischof ihres Kirchspiels um Erlaubniß gebeten, sich nach Santa della Pieta zu begeben. Die Aebtissin hatte keine Beweise, um sie förmlich als Mitschuldige bei der Flucht einer Novize zu belangen, denn obgleich Jeronimo die erforderlichen Beweise hätte geben können, war er doch zu tief in dieser Begebenheit verwickelt, um nicht zugleich sich selbst dabei zu verrathen. Daß er mit diesem Beweise zurückhielt, scheint zu bestätigen, daß mehr Zufall als Absicht an dem Hinderniß von Ellenas Flucht aus dem Kloster Schuld war. Allein obgleich die Aebtissin nicht Zeugnisse genug zu einer gesetzlichen Strafe hatte, waren ihr doch Umstände genug bekannt, um ihren Verdacht zu rechtfertigen, und sie besaß sowohl die Neigung als die Macht, Olivien das Leben sehr zu verbittern.

Mehrerlei Umstände bestimmten die Nonne, Santa della Pieta zu ihrem Aufenthalt in wählen, worunter vorzüglich die Gespräche gehörten, die sie mit Ellenen über die Verfassung dieser Gesellschaft geführt hatte. Sie konnte ihr Vorhaben ihrer Freundin nicht entdecken, um nicht der Aebtissin, wenn sie diesen Briefwechsel erführe, Gründe an die Hand zu geben, sie anzuklagen. Selbst bei ihrer Bitte an den Bischof mußte sie mit der äußersten Vorsicht und Stille zu Werke gehn, bis der Befehl ihren Aufenthalt zu verändern, den sie nicht ohne langes Zögern und Schwierigkeit erwürkt hatte, erschien; und als sie ihn erhielt, machte der eifersüchtige Zorn der Aebtissin eine unverzügliche Abreise nothwendig.

Olivia hatte sich in ihrem Kloster viele Jahre lang in einer unglücklichen Lage befunden; allein wahrscheinlich würde sie ihre Tage in den Mauern von San Stefano geendigt haben, wenn nicht die erhöhte Bedrückung der Aebtissin ihren Muth und ihre Thätigkeit erweckt, und die Niedergeschlagenheit zerstreut hätte, womit schwere Unglücksfälle ihre Aussichten verdunkelt hatten.

Ellena erkundigte sich sehr genau, ob irgend Jemand im Kloster um ihrentwillen gelitten hätte: hörte aber, daß außer Olivien Niemand zu Verdacht gerathen war, ihr Beistand geleistet zu haben, und daß der ehrwürdige Mönch, der es wagte, das Thor zu öfnen, welches ihr mit Vivaldi die Freiheit gab, sich durch seine Güte keine Unannehmlichkeit zugezogen hatte.

»Es ist etwas unangenehmes und sehr ungewöhnliches,« schloß Olivia, »sein Kloster zu verändern; allein Sie sehen, was für wichtige Gründe mich dazu bestimmten. Doch fiel mir vielleicht die harte Behandlung um so schwerer, da Sie, meine Schwester, mir die Gesellschaft dieses Klosters beschrieben hatten, und ich es für möglich hielt, daß Sie sich darin befänden. Als ich bei meiner Ankunft hier erfuhr, daß meine Wünsche mich in diesem Stücke nicht hintergangen hatten, verlangte mich sehr, Sie wieder zu sehn, und sobald die Ceremonien, die mit dem ersten Besuch bei der Aebtissin verbunden sind, vorüber waren, bat ich, daß man mich zu Ihnen führen möchte, und suchte Sie gerade, als wir uns im Gange trafen. Es wäre überflüssig, mich in vielen Worten über die Freude, welche diese Zusammenkunft mir verursacht, zu äussern; allein Sie wissen vielleicht nicht, wie sehr das Betragen der Aebtissin und unsrer ganzen Schwesterschaft, so weit ich nach einer ersten Zusammenkunft urtheilen kann, mich aufgerichtet haben. Die Dunkelheit, welche lange über meinen Aussichten hieng, scheint sich jetzt zu öfnen, und ein ferner Schimmer verspricht den Abend meines stürmischen Tages zu erhellen.«

Olivia hielt inne und schien sich zu besinnen: dies war das erstemal, daß sie so geradezu ihres eignen Mißgeschickes erwähnte; und während Ellena im Stillen diese Betrachtungen anstellte, und die Niedergeschlagenheit, die sich bereits auf das ausdrucksvolle Gesicht der Nonne schlich, bemerkte, wünschte sie, und fürchtete doch zugleich, sie auf die Veranlassung derselben zurückzuführen.

Olivia nahm mit sichtlichem Bemühn, alle peinlichen Erinnerungen zu verbannen, ein schmachtendes Lächeln an, und sagte:

»Jetzt, da ich die Geschichte meiner Wanderschaft erzählt, und meiner Selbstliebe lange genug nachgesehn habe, werden Sie mir auch wissen lassen, was für Begebenheiten Ihnen, meine junge Freundin, seit unserm letzten traurigen Lebewohl in den Gärten zu St. Stefano zugestoßen sind.«

Dies war ein Geschäft, wozu sich Ellena, so sehr auch Oliviens Gegenwart ihre Lebensgeister erheiterte, noch immer unfähig fühlte. Die Zeit hatte noch nicht ihren beschattenden Schleier über die Scenen ihres vergangnen Kummers gezogen: die Farben waren noch alle zu frisch und glänzend für ihr trübes Auge, und der Gegenstand hieng zu innig mit der Ursache ihres gegenwärtigen Schmerzens zusammen, als daß sie ihn ohne sehr peinliche Gefühle hätte betrachten können. Sie bat daher Olivien, sie für jetzt mit einer umständlichen Erzählung zu verschonen, die nur sehr peinliche Rückerinnerungen bei ihr erregen müßte; sie blieb Schedonis Warnung pünktlich treu, und erwähnte blos ihrer Trennung von Vivaldi an den Ufern des Celano, und daß mancherlei traurige Unfälle ihr zugestoßen wären, ehe sie den heiligen Schutzort der della Pieta wieder hätte erreichen können.

Olivia kannte die Art von Gefühlen, denen Ellena zu entgehen suchte, zu gut, um sie vorsetzlich einer Erneuerung derselben auszusetzen: sie fühlte ein zu großmüthiges Mitleid mit ihrem Schmerz, um nicht das Gefühl desselben durch alle diese zarten und namenlosen Künste zu besänftigen, die den ermüdeten Geist nur durch magischen Zauber fesseln.

Die Freundinnen setzten ihr Gespräch fort, bis das Geläut einer Klosterkapelle sie zu den letzten Vespern rief, und als der Gottesdienst zu Ende war, trennten sie sich für die Nacht.

Olivia hatte also bei der Schwesterschaft der della Pieta einen Zufluchtsort gefunden, worauf sie noch bis vor Kurzem nie zu hoffen gewagt hätte; allein so oft sie auch ihr Gefühl dieses Glücks äußerte, geschah es doch selten ohne Thränen, und Ellena bemerkte zu ihrer Verwunderung und Kränkung wenige Tage nach ihrer Ankunft, daß eine schwermüthige Wolke sich aufs neue vor ihre Seele zog.

Ein näheres Interesse aber zog bald Ellenas Aufmerksamkeit von Olivien ab, um sie auf Vivaldi zu richten; und als sie ihre schwache alte Haushälterin Beatrix in ein Zimmer des Klosters treten sah, ahndete sie, daß die Nachricht von einem außerordentlichen und allem Vermuthen nach unglücklichen Zufall sie hieher geführt hätte. Sie kannte Schedonis Vorsicht zu gut, um zu glauben, daß Beatrix mit einem Auftrag von ihm käme, und da Vivaldis ungewisse Lage der unablässige Gegenstand ihrer Angst war, schloß sie sogleich, daß Beatrix käme, um ihr ein Unglück, das ihn betroffen, anzukündigen. Krankheit, vielleicht wirklicher Verhaft in der Inquisition – denn sie hatte zeither oft gedacht, daß man Vivaldi nicht blos damit gedroht hatte, so wie ihr – oder wohl gar sein Tod! sein Tod in diesen Gefängnissen! – Dieses letzte war eine Möglichkeit, die sie beinahe unfähig machte, Beatrix um ihr Anbringen zu fragen.

Die alte Frau, zitternd und, blaß, entweder von der Ermüdung des Ganges oder von dem Bewußtseyn, daß sie unglückliche Nachrichten zu bringen hatte, setzte sich, ohne zu sprechen, nieder, und es verstrichen einige Augenblicke, ehe sie dahin gebracht werden konnte, Ellenas wiederholte Fragen zu beantworten.

»O Signora! sagte sie endlich, »Sie wissen nicht, was es sagen will, in meinem Alter einen so langen Weg Bergauf zu machen. Nun, der Himmel behüte Sie, ich hoffe, Sie werden nie in den Fall kommen!«

»Ich merke, daß Sie üble Neuigkeiten bringt,« sagte Ellena; »ich bin darauf gefaßt, und Sie darf sich nicht fürchten, mir alles, was sie weiß, zu sagen.«

»Heiliger Sanct Marcus!« rief Beatrix, »wenn ein Todesfall eine üble Nachricht ist, so haben Sie recht gerathen, Signora, denn es ist gewiß, daß ich Ihnen davon Nachricht bringe. Aber wie kamen Sie dazu, mein Anbringen zu wissen? Es ist mir einer zuvorgekommen, wie ich sehe, obwohl ich seit vielen Tagen nicht so geschwind den Berg herauf gelaufen bin, um Ihnen zu erzählen, was vorgefallen ist.«

Sie hielt inne, um die Veränderung auf Ellenens Gesicht zu beobachten, die sie zitternd bat, ihr zu erklären, was vorgefallen wäre – wer gestorben sey, und sie bat, ihr die Sache so schnell als möglich zu erzählen.

»Sie sagen, Sie wären vorbereitet, Signora,« sagte Beatrix, »allein Ihr Gesicht spricht anders.«

»Was ist es, das Sie mir eröfnen wollte,« sagte Ellena beinahe athemlos. »Wann ist es geschehen? Fasse Sie sich kurz.«

»Wenn es geschehen ist, Signora, kann ich nicht so genau sagen; allein ich habe es von einem Bedienten des Marquis selbst.«

»Des Marquis?« unterbrach Ellena sie mit stammelnder Stimme.«

»Ja, Signora, und Sie werden mir doch zugeben, daß das eine ganz sichre Quelle ist.«

»Todt! und in des Marquis Familie?« rief Ellena.

»Ja, Signora, ich habe es von seinem eigenen Bedienten gehört. Er gieng, eben als ich mit dem Maccaroni-Mann sprach, vor dem Gartenthore vorüber. – Aber Ihnen ist nicht wohl, Signora!«

»Ich befinde mich recht wohl, wenn Sie nur fortfahren will,« erwiederte Ellena schwach, die Augen starr auf Beatrix geheftet, als hätten nur sie die Kraft, ihre Meinung heraus zu bringen.

»›Ey, Frau Beatrix‹ sagte er zu mir, ›ich habe Sie ja seit langer Zeit nicht gesehn?‹ – ›Ja, wahrhaftig, das ist ein großes Unglück!‹ sagte ich, ›denn heut zu Tage denkt man an die alten Weiber nicht mehr viel – so aus den Augen so aus dem Sinn, wird es auch bei ihm wohl heißen.‹«

»Ich bitte Sie, komme Sie doch zur Sache,« unterbrach sie Ellena. »Wessen Tod kündigte er denn an?« – Sie hatte nicht den Muth, Vivaldis Namen auszusprechen.

»Sie werden es gleich hören, Signora. Ich merkte, daß er so verwirrt aussah, und fragte ihn, wie es zu Paluzzo gienge. ›Schlimm genug, Frau Beatrix,‹ sagte er, ›hat Sie nichts gehört?‹ – ›Gehört,‹ sagte ich, ›was sollte ich gehört haben?‹ ›Ey nun,‹ sagte er, ›was sich eben in unsrer Familie zugetragen hat.‹«

»O Himmel!« rief Ellena, »er ist todt! Vivaldi ist todt?«

»Sie werden es sogleich hören,« fuhr Beatrix fort.

»Fasse Sie sich doch kurz,« sagte Ellena; »antworte Sie mir blos ja oder nein.«

»Das kann ich nicht eher, bis ich an die rechte Stelle komme, Signora; wenn Sie nur ein klein wenig Geduld haben wollen, so sollen Sie alles erfahren. Allein wenn Sie mich so treiben, so bringen Sie mich ganz aus dem Conzept.«

»Himmel, gieb mir Geduld!« sagte Ellena, und suchte ihre Lebensgeister zu beruhigen.

»Und somit, Signora, bat ich ihn, herein zu kommen und sich auszuruhen und mir alles zu sagen. Er antwortete mir, er wäre in großer Eile und könnte sich keinen Augenblick aufhalten, und noch mehr solcher Worte; allein ich, sie ich weiß, Signora, daß alles, was in dieser Familie vorgeht, Ihnen am Herzen liegt, wollte ihn nicht so davon lassen, und als ich ihn bat sich mit einem Glas Citroneneis zu erfrischen, vergaß er in der Minute alle Geschäfte, und wir hatten ein langes Gespräch.«

Beatrix hätte jetzt ihrer Geschwätzigkeit noch lange freien Lauf lassen können, denn Ellena hatte alle Kraft verloren, weiter zu fragen, und hörte kaum, was gesprochen wurde. Sie sagte nichts und vergoß auch keine Thräne; das einzige Bild, welches ihre Phantasie beschäftigte, Vivaldis Bild fesselte alle ihre Kräfte wie mit einer Zauberruthe.

»Als ich ihn also wiederum fragte, was vorgegangen sey,« sagte Beatrix, »war er willfährig genug, mir alles zu erzählen.« ›Es ist nun beinahe ein Monat her,‹ sagte er, ›daß die Marquise zierst krank wurde – sie war –«

»Die Marquise!« wiederholte Ellena, bei der dieses einzige Wort die Bezauberung des Schreckens aufgelöst hatte – »die Marquise –«

»Ja, Signora, wahrhaftig. Wer sonst habe ich denn gesagt?«

»Fahre Sie doch fort, Beatrix, die Marquise?«

»Was macht Sie denn plötzlich so vergnügt aussehen, Signora? Ich dachte eben noch, es wäre Ihnen gewaltig leid. Aber ich wette, Sie dachten, es wäre von meinem jungen Herrn Vivaldi die Rede.«

»Fahre Sie doch fort,« sagte Ellena.

»Nun wohl; ›ohngefähr vor einem Monat wurde die Marquise zuerst befallen,‹ fuhr der Bediente fort. ›Sie hatte schon lange sehr übel ausgesehn, allein aus einer Conversazione Eine conversazione ist die Zusammenkunft von Gebildeten zum Zweck der Diskussion und der Unterhaltung, insbesondere über Kunst, Literatur, Medizin und Wissenschaft. Der Schriftsteller Horace Walpole (mit »The Castle of Otranto«, 1764, der Erfinder der ›gothic novel‹) hat 1739 den Gebrauch des Begriffs conversazione im Englischen eingeführt. – D.Hg. in dem di Voglio-Pallaste kam sie so übel nach Hause. Man vermuthete schon lange, daß es um ihre Gesundheit nicht gut stände; allein Niemand hätte sie ihrem Ende so nahe geglaubt, bis die Aerzte zusammen berufen wurden, und da sah es freilich sehr schlimm aus. Sie fanden, daß sie schon mehrere Jahre den Tod mit sich herum getragen hatte, obgleich Niemand einen Gedanken daran gehabt hatte, und ihr eigner Arzt wurde sehr getadelt, daß er es nicht früher ausfindig gemacht hatte. Allein,‹ setzte der Spitzbube hinzu, ›er hielt zu viel auf meine gnädige Frau. Er war sehr hartnäckig, denn er behauptete fast bis auf die Letzte, es wäre keine Gefahr, als fast Jedermann sagte, das es mit ihr aus wäre. Die andern Aerzte hielten bald ihr Wort, und die Marquise starb.‹«

»Und ihr Sohn,« sagte Ellena, »war er bei der Marquise, als sie starb?«

»Wie, der Signor Vivaldi, Signora? Nein, der war nicht da.«

»Das ist sehr sonderbar!« merkte Ellena mit Bewegung an. »Hat der Bediente seiner gar nicht erwähnt?«

»Ja, Signora; er sagte, wie betrübt es wäre, daß er zu einer solchen Zeit nicht gegenwärtig gewesen sey, und daß Niemand seinen Aufenthalt wüßte.«

»Weiß denn seine Familie nichts von ihm?« fragte Ellena mit erhöhter Bewegung.

»Kein sterbendes Wort, Signora, und sie haben schon die ganze Zeit her nichts von ihm gehört. Man weiß nichts weder von ihm, noch von einem gewissen Paul Mendrico, seinem Bedienten, obgleich des Marquis Leute die ganze Zeit über von einem Ende des Königreichs bis zum andern geritten sind.«

Erschrocken über die Gewißheit eines Umstandes, den sie bis vor Kurzem noch kaum möglich geglaubt hatte, Vivaldis Verhaftung »imprisonment«: ›Gefangenschaft‹. – D.Hg. in der Inquisition, verlor Ellena auf einige Zeit alles Vermögen weiter zu fragen; Beatrix aber fuhr fort:

»Der Marquise schien etwas schwer auf dem Herzen zu liegen, wie der Bediente mir sagte, und sie fragte oft nach dem Signor Vivaldi.«

»Die Marquise wußte also gewiß nicht, wo er war,« sagte Ellena mit neuem Erstaunen und Verwirrung, »wer die Person seyn könnte, die ihn verrätherischer Weise in die Inquisition gebracht, und die doch zu gleicher Zeit sie konnte entwischen lassen?«

»Nein, gewiß nicht, Signora, denn sie hatte ein klägliches Verlangen ihn zu sehn. Und als sie sterben wollte, schickte sie zu ihrem Beichtvater, Pater Schedoni glaube ich heißt er, und –«

»Und was ist mit dem?« sagte Ellena unbedachtsam.

»Nichts, Signora, denn er war nirgends zu finden.«

»Nicht zu finden!« wiederholte Ellena.

»Nein, Signora, das heißt gerade damals: er mag wohl von mehr Leuten noch Beichtvater gewesen seyn, vermuthe ich, und die haben gewiß Sünden genug zu bekennen gehabt, und so hat er nicht so geschwind von ihnen loskommen können.«

Ellena wußte sich genug zu fassen, um nicht weiter nach Schedoni zu fragen: und wenn sie die wahrscheinliche Ursache von Vivaldis Verhaftung überlegte, so tröstete sie sich wieder mit dem Gedanken, daß er nicht wirklichen Gerichtsdienern in die Hände gefallen wäre, weil die Kameraden der Leute, die ihn in Verhaft nahmen, sich in andrer Gestalt zeigten, und da seine Familie ihn noch immer nicht aufgespürt hatte, kam es ihr äußerst wahrscheinlich vor, daß er noch immer darauf ausgienge, den Ort ihres Verhaftes zu entdecken.

»Allein ich wollte eben erzählen,« fuhr Beatrix fort, »was es für einen Auftritt gab, als die gnädige Frau Marquise starb. Da man den Pater Schedoni nirgends finden konnte, wurde ein andrer Beichtvater geholt, der lange bei ihr im verschloßnen Zimmer blieb. Nachher wurde der Herr Marquis herein gerufen, und es schienen wichtige Dinge vorzugehn, denn die Bedienten im Vorzimmer hörten den gnädigen Herrn oftmals laut sprechen; zuweilen hörte man auch die Stimme der Marquise, so krank sie auch war! Endlich war alles still, und nach einiger Zeit kam der Marquis aus dem Zimmer und schien in großer Gemüthsbewegung, das heißt sehr aufgebracht und sehr bekümmert zugleich zu seyn. Der Beichtvater aber blieb noch lange Zeit bei der gnädigen Frau, und als er fortgieng, schien sie unruhiger als zuvor. Sie lebte noch die ganze Nacht und einen Theil des folgenden Tages, und es schien ihr etwas schwer auf dem Herzen zu liegen, denn sie weinte oft und seufzte so tief, daß es einem jammerte, sie anzusehn. Sie fragte oft nach dem Marquis, und wenn er kam, wurden die Bedienten hinausgeschickt, und sie führten lange Gespräche mit einander. Auch der Beichtvater wurde noch einmal geholt, als es eben zu Ende gehen wollte, und sie blieben alle zusammen eingeschlossen. Die Marquise schien hierauf weit ruhiger in ihrem Gemüth zu seyn, und nicht lange darauf starb sie.«

Ellena, die sehr aufmerksam diese kleine Erzählung angehört hatte, wurde durch Oliviens Eintritt verhindert, die Fragen thun, welche ihr dabei eingefallen waren. Die Nonne wollte wieder zurückgehn, als sie eine Fremde sah; allein Ellena, die ihre Fragen nicht für so wichtig hielt, bat sie, ihren Stuhl an dem Stickrahmen, den sie zuvor verlassen hatte, wieder einzunehmen.

Nachdem sie einige Augenblicke. mit Olivien gesprochen hatte, kehrte sie zu den Gegenständen, die ihr am Herzen lagen wieder zurück. Schedonis Abwesenheit schien ihr noch immer nicht bloß Zufall, und ob sie gleich mit keinen Fragen über den Mönch von Spirito Santo in Beatrix dringen konnte, wagte sie es doch sich zu erkundigen, ob sie kürzlich den Fremden gesehn hätte, der sie nach Altieri brachte: denn Beatrix kannte ihn nur unter dem Namen von Ellenas Befreier.

»Nein, Signora,« erwiederte Beatrix beinahe etwas spitzig, »ich habe sein Gesicht nicht wieder gesehn, seit er Sie nach der Villa brachte, obwohl, was das betrifft, ich auch damals nicht viel davon sah: ich begreife noch nicht, wie er es die Nacht anfieng, sich aus dem Hause zu begeben, ohne daß ich ihn sah, so oft ich auch nachher daran gedacht habe. Er hätte sich wahrhaftig nicht schämen dürfen, mir sein Gesicht zu zeigen, denn er würde nichts als Segen von mir zum Lohne empfangen haben, daß er Sie sicher wieder zu Hause brachte.«

Ellena fiel es einigermaaßen auf, daß Beatrix einen an sich so geringfügigen Umstand bemerkt hatte, und sie antwortete: sie selbst hätte ihrem Beschützer die Thüre aufgemacht.

Während Beatrix sprach, schlug Olivia ihre Augen von dem Stickrahmen auf, und richtete sie auf die alte Haushälterin, die ehrerbietig die ihrigen niederschlug: sobald aber die Nonne sich wieder mit ihrer Arbeit beschäftigte, wurde sie ihrer Seits von Beatrix genau betrachtet. Ellena glaubte in dieser gegenseitigen Aufmerksamkeit etwas Besonderes zu entdecken, so gewöhnlich es auch ist, daß Fremde eine gewisse Neugierde gegen einander bezeigen.

Beatrix erhielt von Ellenen noch einige Aufträge wegen einiger Zeichnungen, die sie sich ins Kloster wollte schicken lassen, und als die Alte eine Antwort darauf gab, schlug Olivia aufs neue die Augen auf, und sah ihr mit scharfer Neugierde ins Gesicht.

»Mich dünkt, ich sollte diese Stimme kennen,« sagte die Nonne mit großer Bewegung, »ob ich gleich nach den Gesichtszügen mich nicht zu urtheilen getraue. Sollte es seyn – ist es möglich, daß ich mit Beatrix Olca spreche? Es ist so viele Jahre her –«

Beatrix antwortete mit gleicher Ueberraschung: »Ich bin es, Signora, Sie irren sich nicht in meinem Namen. Aber wer sind Sie, die Sie mich kennen?«

Während sie Olivien aufmerksam betrachtete, lag in ihrem Gesicht ein gewisser Ausdruck von Entsetzen, der Ellenas Verlegenheit erhöhte. Die Farbe der Nonne wechselte mit jedem Augenblick, und die Stimme gebrach ihr, als sie zu sprechen versuchte. Beatrix rief indessen:

»Meine Augen betrügen mich, und doch ist es eine wunderbare Aehnlichkeit. Santa della Pieta! wie es mich erschreckt hat; das Herz schlägt mir noch immer – Sie sehn ihr so ähnlich, Signora, und doch sind Sie so sehr verschieden.«

Olivia, deren Blicke jetzt gänzlich auf Ellena gerichtet waren, sagte mit kaum hörbarer Stimme, während ihre ganze Gestalt unter einem beinahe unwiderstehlichen Gefühl zu erliegen schien:

»Sagt mir, Beatrix, ich beschwöre euch, sagt mir geschwind, wer ist dies?« –

Sie zeigte auf Ellena und die Worte erstarben auf ihren Lippen.

Beatrix, gänzlich mit ihren eignen Gedanken beschäftigt, gab keine Antwort, sondern rief:

»Es ist in der That die Signora Olivia! Sie ist es selbst! Im Namen von allem, was heilig ist, wie kamen Sie hieher? O welche Freude müssen Sie gehabt haben, einander zu finden!«

Sie sah noch immer voll Erstaunen Olivien an, während Ellena, ohne gehört zu werden, zu wiederholtenmalen nach dem Sinn ihrer Worte fragte, und im nächsten Augenblick sich an den Busen der Nonne gedrückt fühlte, die sie besser verstanden zu haben schien, und die weinend, zitternd und beinahe ohnmächtig sie schweigend an sich gedrückt hielt.

Nachdem einige Augenblicke auf diese Art verstrichen waren, bat Ellena ihr diesen Auftritt zu erklären, und fragte zu gleicher Zeit um die Ursache aller dieser Bewegung: »denn sollte es möglich seyn, daß Sie einander nicht kennten?« setzte sie hinzu.

»Was ist das für eine neue Entdeckung?« sagte Ellena furchtsam zu der Nonne. »Erst kürzlich habe ich meinen Vater gefunden; o sagen Sie mir, bei welchem zärtlichen Namen soll ich Sie nennen?«

»Ihren Vater!« rief Olivia. I

»Ihren Vater, Signora!« rief Beatrix nach.

Ellena, die durch die starke Bewegung, worin sie sich befand, zu dieser voreiligen Erwähnung Schedonis gebracht war, wurde verlegen und schwieg.

»Nein, mein Kind,« sagte Olivia, deren Erstaunen in Töne eines unauslöschlichen Schmerzes zerfloß, während sie Ellena aufs neue an ihr Herz drückte – »nein, dein Vater ruht im Grabe!«

Ellena erwiederte ihre Liebkosungen nicht länger. Erstaunen und Zweifel hoben jede zärtliche Regung auf: sie starrte Olivien mit einer Heftigkeit, die an Wildheit gränzte, an. Endlich sagte sie langsam:

»Ist es also meine Mutter, die ich vor mir sehe? Wann werden doch diese Entdeckungen endigen?«

»Es ist deine Mutter!« erwiederte Olivia feierlich. »Einer Mutter Segen ruht auf dir!«

Die Nonne bemühte sich, Ellenas aufgeregte Lebensgeister zu stillen, ob sie gleich selbst von den mannigfaltigen und schneidenden Gefühlen, welche diese Entdeckung erweckte, beinahe zu Boden gedrückt war. Lange Zeit vermochte sie außer kurzen Worten und zärtlichen Ausrufungen nichts zu sprechen; allein es war sichtlich, daß die Freude mehr bei der Mutter als bei dem Kinde herrschende Empfindung war.

Als Ellena indessen weinen konnte, wurde sie ruhiger, und empfand allmählig einen Grad von Wonne, den sie vielleicht noch nie erfahren hatte.

Beatrix schien indessen ganz in Erstaunen, mit Furcht vermischt, verloren. Sie bezeugte kein Vergnügen, ohngeachtet der Freude, wovon sie Zeugin war, sondern blieb unveränderlich ernsthaft und beobachtend.

Olivia fragte, sobald sie einige Fassung wieder erhielt, nach ihrer Schwester Bianchi. Ellenas Schweigen und plötzliche Niedergeschlagenheit verriethen ihr die Wahrheit. Bei dieser Erwähnung ihrer verstorbnen Gebieterin, erhielt Beatrix die Sprache wieder.

»Ach, Signora,« sagte die alte Haushälterin; »sie ist jetzt da, wo ich glaubte, daß Sie wären! und ich hätte eben so gut meine theure Herrschaft hier zu sehen erwartet als Sie.«

So gerührt auch Olivia über diese Nachricht war, fühlte sie doch das Schmerzhafte derselben nicht so scharf als in jedem andern Augenblick. Nachdem sie lange ihren Thränen freien Lauf gelassen hatte, setzte sie hinzu, daß sie aus Bianchis ungewöhnlichem Stillschweigen die Wahrheit geargwöhnt hätte, und besonders, seit sie auf den Brief, den sie bei ihrer Ankunft zu Santa della Pieta nach Altieri geschickt, keine Antwort erhalten.

»Ach,« sagte Beatrix, »ich wundre mich nur, daß die Frau Aebtissin Ihnen die traurige Nachricht nicht gesagt hat, denn sie wußte es nur zu gut! Meine theure Herrschaft liegt in der Kirche hier begraben; was aber den Brief betrifft, den habe ich mitgebracht, damit Signora Ellena ihn aufmachen sollte.«

»Die Aebtissin weiß nichts von unsrer Verwandtschaft,« erwiederte Olivia, »und ich habe meine Ursachen zu wünschen, daß sie auch für jetzt nichts davon erfahre. Selbst du, meine Ellena, darfst dich nur als meine Freundin zeigen, bis ich einige Nachfragen angestellt habe, die zu meiner Ruhe nothwendig sind.«

Olivia verlangte von Ellenen eine Erklärung, wegen ihrer sonderbaren Aeußerung über ihren Vater: allein dieses Verlangen wurde mit ganz andern Empfindungen, als Hoffnung oder Freude einflößen, geäußert. Ellena, welche glaubte, daß dieselben Umstände, die sie seit so vielen Jahren wegen seines Todes getäuscht hatten, auch Olivien irre geführt hätten, wunderte sich nicht über die Ungläubigkeit, die ihre Mutter verrieth, war aber sehr verlegen, wie sie ihre Fragen beantworten sollte.

Es war nunmehr zu spät, das Versprechen der Verschwiegenheit zu beobachten, welches Schedoni ihr abgepreßt hatte; die ersten Bewegungen der Ueberraschung hatten sie verrathen; doch fühlte sie, selbst indem sie zitterte, sein Verbot noch weiter zu überschreiten, daß eine volle Erklärung jetzt unvermeidlich war. Und da sie bedachte, daß Schedonis Verbot sich nicht auf ihre Mutter beziehen konnte, weil er die besondre Lage, worein sie gerathen war, unmöglich hatte vorhersehen können, so verschwanden ihre Bedenklichkeiten über diesen Punkt. Sobald daher Beatrix sich zurückzog, wiederholte Ellena ihre Behauptung daß ihr Vater noch lebte, welche zwar Oliviens Erstaunen erregte, aber ihre Ungläubigkeit nicht überwand. Oliviens Thränen floßen reichlicher, als sie dieser Versicherung widersprechend das Jahr erwähnte, wo der Graf di Bruno starb, und einige Umstände seines Todes hinzusetzte, die aber bei Ellenen keinen Glauben fanden, weil sie von ihrer Mutter verstand, daß sie nicht selbst Zeuge davon gewesen war. Um ihre eigne Aussage zu bestätigen, erzählte Ellena jetzt verschiedenes von ihrer zweiten Zusammenkunft mit Schedoni, und erbot sich zur Bestätigung, daß er lebte, das Gemählde vorzuzeigen, welches er als sein eignes in Anspruch nahm. Olivia verlangte mit großer Bewegung es zu sehn, und Ellena verließ das Zimmer, um es zu holen.

Jeder Augenblick ihrer Abwesenheit verlängerte Olivias Ungeduld zu Stunden: sie gieng im Zimmer auf und ab, horchte nach jedem Fußtritt, suchte ihre Lebensgeister zu beruhigen, und immer noch kehrte Ellena nicht zurück. Ein seltsames Geheimniß schien bei der Erzählung, die sie eben gehört hatte, zum Grunde zu liegen, sie wünschte und fürchtete zugleich es zu enthüllen; und als endlich Ellena mit dem Gemählde erschien, nahm sie es mit zitternder Heftigkeit, und nachdem sie es einen Augenblick angestarrt hatte, verlor sie die Farbe und sank in Ohnmacht.

Ellena zweifelte nun nicht länger an der Wahrheit von Schedonis Erklärung, und machte sich Vorwürfe, ihre Mutter nicht nach und nach auf eine Entdeckung vorbereitet zu haben, die sie, wie sie glaubte, mit Freude würde überwältigt haben. Die gewöhnlichen Mittel stellten indessen Olivien bald wieder her, die, sobald sie sich wieder mit ihrer Tochter allein sah, das Gemählde noch einmal zu sehen verlangte.

Ellena, welche die starke Bewegung, womit sie es betrachtete, der Ueberraschung und der Furcht einer betrügerischen Hoffnung Raum zu geben, zuschrieb, suchte sie durch erneuerte Versicherungen zu trösten, daß der Graf Bruno nicht nur wirklich noch lebte, sondern sich gegenwärtig in Neapel aufhielte, und daß er wahrscheinlich noch in dieser Stunde bei ihr seyn würde

»Als ich das Zimmer verließ, um das Gemählde zu holen,« setzte Ellena hinzu, »schickte ich eine Person mit einem Billet ab, worin ich meinen Vater bat, unverzüglich zu mir zu kommen, weil ich voll Ungeduld war, die Freude mit anzusehn, die eine solche Zusammenkunft zwischen meinen schon lange verlornen Eltern hervorbringen muß.«

In diesem Augenblick hatte Ellenas edelmüthige Theilnahme ihre Vorsicht überwältigt; denn obgleich der Inhalt des Billets an Schedoni sie nicht eigentlich hätte verrathen können, selbst wenn er wirklich zu Neapel gewesen wäre, so könnte doch eine Botschaft von ihr nach Spirito Santo statt nach dem Orte, den er selbst zur Bestellung ihrer Briefe angegeben hatte, zu frühe Erkundigungen nach ihrer Person veranlassen.

Als Ellena Olivien sagte, daß Schedoni wahrscheinlich bald bei ihnen seyn würde, erwartete sie mit Ungeduld eine freudige Ueberraschung auf ihrem Gesichte erscheinen zu sehn; wie schmerzlich fühlte sie sich getäuscht, als sie nur Schrecken und Abscheu darauf ausgedrückt las! und als den Augenblick darauf ihre Mutter in Ausrufungen des Schmerzens und sogar der Verzweiflung ausbrach!

»Wenn er mich sieht,« sagte Olivia, »so bin ich unwiederbringlich verloren! O unglückliche Ellena, deine Voreiligkeit hat mich ins Verderben gestürzt. Das Original dieses Gemähldes ist nicht der Graf di Bruno, mein theurer Gemahl, nicht dein Vater, sondern sein Bruder, der grausame Gatte –«

Olivia ließ die Rede unvollendet, als fürchtete sie mehr zu verrathen, wie die Klugheit für jetzt erlaubte: Ellena aber, die das Erstaunen anfangs verstummen machte, bat sie jetzt, ihre Worte und die Ursache ihres Schmerzens zu erklären.

»Ich weiß nicht,« sagte Olivia, »auf welche Weise dieses Gemählde in deine Hände gekommen ist; allein es ist das Bild des Grafen Fernando di Bruno, der Bruder meines Gemahls und mein –« zweiter Mann, wollte sie sagen, aber ihre Lippen weigerten sich, ihn mit diesem Namen zu beehren.

Sie hielt inne und war sehr gerührt, setzte aber gleich hinzu – »Ich kann jetzt mich nicht deutlicher über die Sache erklären, weil sie mir zu schmerzhaft ist. Laß mich lieber überlegen, wie ich einer Zusammenkunft mit di Bruno ausweichen und wo möglich ihm verbergen kann, daß ich noch lebe.«

Ellena beruhigte sie einigermaaßen durch die Versicherung, daß sie in dem Briefe sie nicht genannt, sondern blos den Beichtvater gebeten hätte, wegen eines sehr außerordentlichen Vorfalls zu ihr zu kommen.

Während sie noch berathschlagten, wie sie diese unbesonnene Einladung entschuldigen wollten, kam der Bote mit dem uneröfneten Billet und mit der Nachricht zurück, daß der Pater Schedoni auf einer Pilgerschaft begriffen sey, denn diese Auslegung hatten die Brüder von Spirito Santo seiner Entfernung zu geben beliebt, weil sie es für die Ehre ihres Klosters klüger hielten, seine wahre Lage zu verheelen.

Da Olivia nunmehr von ihrer Furcht befreit war, ließ sie sich erbitten, Ellenen einige Erklärung über diesen ihr so interessanten Gegenstand zu geben: allein es verstrichen verschiedne Tage nach dieser Entdeckung, ehe sie genug Herr über ihre Empfindung war, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Der erste Theil derselben stimmte vollkommen mit dem Inhalt der Beichte des Beichtvaters Ansaldo überein; was aber folgte, war nur ihr, ihrer Schwester Bianchi, einem Arzte und einem treuen Bedienten bekannt, dem man die Ausführung des Plans großentheils anvertraut hatte.

Man wird sich erinnern, daß Schedoni sein Haus unmittelbar nach der That verließ, welche der Gräfin, seiner Frau, den Tod bringen sollte, und daß man sie ohne Bewußtseyn in ihr Zimmer trug. Die Wunde war, wie es schien, nicht tödtlich; allein die barbarische Grausamkeit, womit sie ihr versetzt war, bestimmte sie die Gelegenheit, welche Schedonis Anwesenheit und ihre eigne besondre Lage ihr darbot, zu ergreifen, um sich von seiner Tyrannei zu befreien, ohne bei der Gerechtigkeit Zuflucht zu suchen, wodurch sie den Bruder ihres ersten Gemahls mit Schande würde bedeckt haben. Sie entfloh daher für immer aus seinem Hause, zog sich mit Hülfe der drei erst erwähnten Personen in eine entlegne Gegend von Italien zurück, und suchte eine Zuflucht in dem Kloster San Stefano, während in ihrem Hause das Gerücht ihres Todes durch ein öffentliches Leichenbegängniß bestätigt wurde. Bianchi blieb einige Zeit nach Oliviens Abreise in ihrer Wohnung nicht weit von der Villa di Bruno, und nahm die Tochter der Gräfin und des ersten Grafen di Bruno, so wie auch eine kleine Tochter des zweiten unter ihre Aufsicht.

Nach einiger Zeit zog sich Bianchi mit ihren kleinen Pflegetöchtern zurück, aber nicht in die Gegend von San Stefano. Die Freuden mütterlicher Zärtlichkeit wurden Olivien verweigert, denn Bianchi konnte nicht ohne Gefahr einer Entdeckung es wagen, sich in der Nähe des Klosters niederzulassen, weil sonst Schedoni, der wahrscheinlich ihre Schritte beobachtete, dadurch auf den Gedanken gebracht werden konnte, an dem Tode der Gräfin zu zweifeln.

Sie wählte daher einen Aufenthalt in einiger Entfernung von Olivien, obgleich noch nicht zu Altieri. Ellena war um diese Zeit noch nicht zwei Jahre, und Schedonis Tochter kaum so viele Monate alt: diese starb vor Verlauf des ersten Jahres. Für dieses sein Kind hielt der Beichtvater, der sich zu gut verborgen hatte, als daß Bianchi ihn mit dessen Tode hätte bekannt machen können, Ellenen, und wurde zu diesem Mißverständniß durch sein eignes Gemählde verleitet, welches Ellena für das Bild ihres Vaters erklärte. Sie hatte dieses Miniaturgemählde nach Bianchis Tode in ihrem Kabinet gefunden, und da sie den Namen des Grafen Bruno darauf geschrieben fand, es seitdem stets mit kindlicher Zärtlichkeit getragen.

Als Bianchi ihr das Geheimniß ihrer Geburt bekannt machte, hielten sowohl Klugheit als Menschenliebe sie ab, ihr anzuvertrauen, daß ihre Mutter noch lebte; allein ohne Zweifel war es dieses, was sie auf ihrem Todtenbette so ängstlich schien zu entdecken, als der plötzliche Ueberfall der Krankheit ihr die Kraft dazu raubte. Dieser plötzlich eingetretne Todesfall trug also bei, Mutter und Tochter einander unbekannt zu halten, selbst als der Zufall sie nachher zusammen führte, und der Name Rosalba, den Bianchi von Kindheit an Ellenen gab, um sie vor einer Entdeckung von ihrem Onkel zu sichern, half das Geheimniß erhalten. Beatrix, welche nicht mit in das Geheimniß gezogen war, glaubte das Gerücht von Oliviens Tode, und hätte folglich, ob sie gleich wußte, daß Ellena die Tochter der Gräfin Bruno war, nie das Mittel werden können, sie einander zu entdecken, hätte es nicht der Zufall gewollt, daß Olivia dieses alte Mädchen »this ancient servant«: ›diese alte Dienstmagd‹. – D.Hg. von Bianchi in Ellenas Gegenwart erkannte.

Als Bianchi sich in der Nachbarschaft der Neapel niederließ, war sie weit entfernt zu glauben, daß Schedoni, von dem sie seit seinem mörderischen Versuch nichts gehört hatte, daselbst wohnte; und sie verließ so selten das Haus, daß es nicht zu verwundern ist, dass sie ihn niemals, wenigstens nicht daß sie es wußte, antraf: denn ihr Schleier und die Mönchskappe hätten sie leicht vor einander verborgen halten können, selbst auch wenn sie, sich begegnet wären.

Es schien Bianchis Absicht gewesen zu seyn, Vivaldi Ellenas Herkunft zu eröfnen, ehe ihre Hochzeit gefeiert wurde, weil sie am Abend ihres letzten Gespräches, als ihre Lebensgeister durch die Gewalt, die sie sich anthat, erschöpft waren, erklärte, daß ihr noch vieles zu sagen übrig bliebe, welches ihre Schwachheit sie bis zu einer andern Gelegenheit zu verschieben nöthigte. Ihr unerwarteter Tod verhinderte alles weitere Zusammenkommen.

Daß sie nicht früher darauf dachte, einen Umstand zu eröfnen, der die Einwendungen der Vivaldischen Familie gegen die Verbindung mit Ellenen großentheils hätte aus dem Wege räumen müssen, scheint sonderbar, wenn man nicht andere Umstände ihrer Familie in Erwägung zieht. Es ließ sich vermuthen, daß ihre gegenwärtige Armuth, und noch mehr, die Schande, die auf der Person eines Brunos ruhte, nicht minder starke Einwendungen bei Vivaldis Familie seyn würden, wenn auch das Hinderniß des ungleichen Ranges aus dem Wege geräumt wäre.

Fernando di Bruno hatte selbst in der kurzen Zeit zwischen dem Tode seines Bruders und dem vermeinten Morde seiner Gemahlin, seine Angelegenheiten aufs neue in Verwirrung gebracht, und bald nach seiner Flucht wurden die Einkünfte seiner Güter, es sey mit Recht oder nicht, aufs neue von seinen Gläubigern ergriffen; und da er in einer Lage war, welche ihm nicht zu streiten erlaubte, so blieb Ellena gänzlich von ihrer Tante abhängig. Bianchis kleines Vermögen war durch die Unterstützung, die sie Olivien gab, für deren Aufnahme in das Kloster San Stefano sie eine beträchtliche Summe hatte herschießen müssen, sehr vermindert worden, und gieng nachher gänzlich auf den Ankauf der Villa Altieri. Diese Ausgabe war indessen wohl angewandt, weil Bianchi die Gemächlichkeit und Unabhängigkeit einer angenehmen Wohnung, mit Fleiße verbunden, einer unthätigen Lebensart vorzog, welche sie in die Nothwendigkeit gesetzt haben würde, sich mit einer geringern Wohnung zu begnügen; sie kannte die Mittel, diesen Fleiß einträglich zu machen, ohne daß er entehrend war. Sie hatte es in manchen schönen Künsten und feinen Arbeiten weit gebracht und die Erzeugnisse ihres Pinsels und ihrer Nadel wurden insgeheim den Nonnen von Santa della Pieta übergeben. Sobald Ellena das Alter erreichte, wo sie ihr behülflich seyn konnte, übertrug sie ihr vieles von diesen Beschäftigungen und vom Ertrag derselben; Ellenas Genie entfaltete sich immer mehr und die Schönheit ihrer Muster und Ausführung sowohl im Zeichnen als im Sticken wurden von den Käufern am Gitter des Klosters so sehr geschätzt, daß Bianchi ihr zuletzt diese Beschäftigungen ganz allein überließ.

Olivia hatte indessen ihr Leben gänzlich der Andacht im Kloster San Stefano gewidmet; die Wahl, die sie freiwillig traf, weil ihr Gemüth noch weich von Schmerz über den Tod ihres ersten Gemahls und durch die Grausamkeit, die sie nachher erlitten hatte, ermattet war. Die ersten Jahre ihrer Abgeschiedenheit verstrichen in Ruhe, außer wenn die Erinnerung an ihr Kind, das sie nicht ins Kloster kommen zu lassen wagte, mütterliche Schmerzen in ihr rege machte. Mit Bianchi wechselte sie indessen so oft als möglich Briefe, und genoß wenigstens den Trost zu wissen, daß der Gegenstand, der ihrem Herzen am theuersten war, lebte, bis kurze Zeit vor Ellenas Ankunft in demselben Zufluchtsorte, den ihre Mutter gewählt hatte, durch Bianchis ungewöhnliches Stillschweigen einige Besorgnisse bei ihr erregt wurden.

Als Olivia Ellenen zuerst in der Kapelle von San Stefano sah, fiel ihr eine leichte Aehnlichkeit, die sie mit dem verstorbenen Grafen Bruno hatte, auf, und sie untersuchte oft nachher mit einer peinlichen Neugierde ihre Züge: allein nach der Lage, worin sie sich befand, konnte Olivia unmöglich in der Fremden ihre Tochter vermuthen. Einmal zwar überwältigte der Gedanke an diese Möglichkeit ihre Ueberlegung so sehr, daß sie Ellenen nach ihrem Zunamen fragte; allein die Antwort, daß sie Rosalba hieße, dämpfte alle fernern Vermuthungen.

Was würde die Nonne empfunden haben, wenn man ihr gesagt hätte, als ihr großmüthiges Mitleid eine Fremde von der Tyrannei befreien half, daß sie ihr eignes Kind errettete! Es verdient wohl bemerkt zu werden, daß Oliviens Menschenliebe, die sich so uneigennützig äußerte, ihr, ohne daß sie es wußte, zu dem Glück verhalf, ihre Tochter zu erretten, während Schedonis Laster ihn eben so unbewußt beinahe dahin brachten, seine Nichte ins Verderben zu stürzen, und ihn durch die Mittel selbst, wozu sie ihn antrieben, stets verhinderten, den Zweck, den er unablässig vor Augen hatte, zu erreichen.



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