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Siebentes Kapitel.

– It came o'er my soul as doth the thunder,
While distant yet, with an unexpected burst
It threats the trembling ear. Now to the trial. Es überkam meine Seele wie der Donner, der, zwar noch in der Ferne, das zitternde Ohr doch schon mit unerwartetem Ausbruch bedroht. Nun auf zum Gericht. – D.Hg.

Caractacus.

Infolge dessen, was bei Vivaldis letztem Verhör an den Tag gekommen war, wurde der Beichtvater Ansaldo nebst dem Pater Schedoni vor die Tafel des heiligen Gerichtes geladen.

Schedoni wurde auf seinem Wege nach Rom angehalten, wohin er heimlich gieng, um noch weitere Versuche für Vivaldis Befreiung zu machen, dessen Erlösung aus dem Kerker er schwerer zu bewirken fand, als seine Gefangennehmung: die Person, auf deren Unterstützung der Beichtvater vorzüglich rechnete, hatte sich eines größern Einflußes gerühmt, als sie besaß, oder vielleicht aufzubieten für gut fand. Es lag Schedoni um so mehr am Herzen, Vivaldis Befreiung unverzüglich zu bewirken, damit nicht ohngeachtet der Vorsicht, die man gewöhnlich anwandte, eine undurchdringliche Hülle über die Gefangnen dieses schrecklichen Tribunals zu werfen, und sie auf immer vor ihren Freunden zu begraben, ein Gerücht von seiner Lage zu seiner Familie dränge.

Eine solche vorzeitige Entdeckung von Vivaldis Umständen dürfte auch, wie Schedoni fürchtete, eine Entdeckung des Verfolgers nach sich ziehn, und ihm den Abscheu und die In der Vorlage: »der«. – D.Hg. Rache einer Familie zuziehn, welche sich geneigt zu machen jetzt mehr als je sein Wunsch und Vortheil war. Noch immer war es seine Absicht, Vivaldi unmittelbar nach seiner Befreiung heimlich mit Ellena zu vermählen, damit, wenn er ja Ursache hätte, Schedoni für seinen Verfolger zu halten, sein eignes Interesse ihm auflegte, seinen Verdacht auf immer zu verheelen, und Schedoni folglich vor allen nachtheiligen Folgen geschützt bliebe.

Wie wenig sah Vivaldi vorher, daß er durch die Vorladung des Pater Schedoni seine Verbindung mit Ellena di Rosalba verzögerte, oder vielleicht gar verhinderte! Wie wenig vermuthete er, was die weitern Folgen einer Entdeckung seyn würden, welche die besondre Lage, worein er sich gesetzt sah, ihn nicht wohl zurückhalten ließ; doch würde er, wenn er den Ausgang davon hätte vorhersehn können, lieber allen Schrecknissen des Gerichts, ja dem Tode selbst Trotz geboten haben, ehe er sich den Gewissensvorwurf zugezogen hätte, Ursach daran zu seyn.

Der Grund seiner Verhaftnehmung wurde Schedoni verheelt, der nicht den mindesten Verdacht davon hatte, sondern sie darauf schob, daß das Tribunal in ihm Vivaldis Angeber entdeckt haben würde. Diese Entdeckung schrieb er seiner eignen Unbesonnenheit zu, weil er zum Beweise, wie sehr Vivaldi den katholischen Glauben verachte, angeführt hatte, daß er einen Priester, während einer heiligen Bußhandlung in der Spirito Santo beleidigt hätte.

Durch was für Kunstgriffe aber das Gericht entdeckt hatte, daß er dieser Priester und der Urheber der Anklage sey, konnte Schedoni auf keine Weise herausbringen. Er war geneigt zu glauben, daß dieser Verhaft keinen andern Zweck haben könnte, als den, Beweise von Vivaldis Schuld zu erhalten, und der Beichtvater wußte, daß er seiner Aussage eine solche Wendung geben konnte, daß der Gefangne, allem Vermuthen nach, ganz frei gesprochen werden würde, und von ihm durfte der Beichtvater keine Ahndung seines vorhergegangnen Betragens fürchten, sobald es ihm nur gelang, zu einer Erklärung mit ihm zu kommen. Doch fühlte er sich dem allen ohngeachtet nicht völlig ruhig, denn er hielt es für möglich, daß die Nachricht von Vivaldis Lage und von dem Urheber derselben In der Vorlage: »desselben«. – D.Hg., bis zu seiner Familie gedrungen sey, und seinen Arrest herbeizogen hätte; allein je länger er über diesen Gegenstand nachdachte, je unwahrscheinlicher fand er es, daß diese Entdeckung, wenigstens in so fern sie ihn betraf, bis zu ihnen gekommen seyn sollte, und er suchte alle Besorgnisse darüber zu verbannen.

Vivaldi wurde von der Nacht seines letzten Verhörs an, nicht wieder vorgeladen, bis Schedoni und der Pater Ansaldo zusammen im Gerichtssaal erschienen. Die beiden letztern waren schon abgesondert verhört worden, und Ansaldo hatte die nähern Umstände der Beichte ausgesagt, die ihm am Abend des St. Marcusfestes im Jahr 1752 abgelegt wurde, und hatte wegen dieser Eröffnung seine förmliche Absolution erhalten. Was bei diesem Verhör vorgieng, ist nicht bekannt geworden; bei dem zweiten aber wurde er aufgefodert, den ganzen Vorgang und die Umstände der Beichte zu wiederholen. Dieses geschah wahrscheinlich in der Absicht, zu beobachten, welche Wirkung sie bei Schedoni und Vivaldi hervorbringen würde und daraus auf die Schuld des Beichtvaters und die Wahrhaftigkeit des jungen Gefangnen zu schließen.

Man gab in dieser Nacht sehr genau auf die Personen Acht, die in den Gerichtssaal eingelassen wurden; alle Beamten, deren Gegenwart bei den Ceremonien des Tribunals nicht durchaus erforderlich war, wurden ausgeschlossen, so wie alle andre zur Inquisition gehörigen Personen, die nicht zu den Zeugen oder Richtern gehörten. Sobald diese Untersuchung vorüber war, wurden die Gefangnen hereingebracht, und ihren Führern befohlen, sich zurückzuziehn. Ein Stillschweigen von einigen Minuten herrschte im Saal, und so verschieden auch die Betrachtungen der Gefangnen seyn mochten, befanden sich doch wahrscheinlich alle in einem gleichen Grade von ängstlicher Erwartung.

Nachdem der Groß-Vicar insgeheim einige Worte zu einer Person ihm zur Linken gesagt hatte, stand ein Inquisitor auf.

»Wenn Jemand in diesem Gerichtssaal,« sagte er, »unter dem Namen des Pater Schedoni, zur Dominikaner-Gesellschaft der Spirito Santo zu Neapel gehörig, bekannt ist, so laßt ihn hervortreten!«

Schedoni beantwortete die Auffoderung. Er trat mit festem Schritt hervor, machte ein Kreuz, verneigte sich gegen das Tribunal, und erwartete stillschweigend seine Befehle.

Der Beichtvater Ansaldo wurde zunächst vorgeladen. Vivaldi bemerkte, daß er schwankte, als er heran nahte, und daß er dem Gericht einen noch tiefern Gehorsam bezeigte, als Schedoni. Vivaldi selbst wurde nun vorgeladen. Seine Miene war ruhig und voll Würde, und sein Gesicht drückte den feierlichen Schwung seiner Gefühle, aber keine Niedergeschlagenheit aus.

Schedoni und Ansaldo wurden nun zum erstenmale mit einander verhört. Was auch Schedonis Gefühle seyn mochten, als er den Beichtvater der Santa del Pianto sah, so gelang es ihm doch sie zu verheelen.

Der Groß-Vicar selbst eröffnete das Verhör.

»Ihr, Pater Schedoni, von Spirito Santo,« sagte er, »antwortet und erkläret, ob die Person, die jetzt vor Euch steht, die den Namen des großen Beichtvaters vom Orden der Schwarzen Büßenden führt, und im Kloster der Santa Maria del Pianto den Vorsitz hat, euch bekannt ist.«

Schedoni verneinte es mit Festigkeit.

»Ihr könnt euch nicht erinnern, ihn vor dieser Stunde gesehn zu haben?«

»Niemals,« sagte Schedoni.

»Legt ihm den Eid vor,« sagte der Groß-Vicar. Nachdem Schedoni ihn abgelegt hatte, wurden Ansaldo die nämlichen Fragen wegen des Beichtvaters vorgelegt, als zum Erstaunen Vivaldis und des größern Theils vom Gericht der Beichtvater alle Bekanntschaft mit Schedoni abläugnete. Doch verneinte er es auf weniger entscheidende Art als Schedoni der Beichtvater, und als ihm der gewöhnliche Eid vorgelegt wurde, weigerte er sich, ihn abzulegen.

Vivaldi wurde nun zunächst herbeigerufen, um ein Zeugniß von Schedonis Person abzulegen: er erklärte, daß er die Person, welche man ihm jetzt zeigte, nie unter einem andern Namen, als dem des Pater Schedoni gekannt, und daß er immer gehört hätte, es sey ein Mönch aus der Spirito Santo; doch trug er zu gleicher Zeit Sorge, zu wiederholen, dass er von seiner übrigen Lehensgeschichte nichts wüßte.

Schedoni wurde anfangs über den Edelmuth und die Billigkeit, die Vivaldi ihm zu beweisen schien, befremdet; gewohnt aber, allen Handlungen, die er nicht deutlich begreifen konnte, einen üblen Bewegungsgrund unterzuschieben, trug er kein Bedenken zu glauben, daß bei dieser anscheinend redlichen Erklärung über ihn, eine verborgne böse Absicht zum Grunde liege.

Nach einigen vorläufigen Formalitäten erhielt Ansaldo Befehl, die nähern Umstände der Beichte zu erzählen, die ihm am Abend des St. Marcus-Festes abgelegt worden war. Man vergesse nicht, daß dieses noch immer ein sogenanntes geheimes Inquisitionsverhör war.

Nachdem er die gewöhnlichen Eide abgelegt hatte, nicht mehr und nicht weniger als die reine Wahrheit dessen, was vor ihm geschehn war, zu erklären, wurden Ansaldos Aussagen ohngefähr in folgenden Worten niedergeschrieben, welche Vivaldi, beinahe zitternd vor Ungeduld, anhörte; denn außer der Neugier, welche verschiedne vorhergegangne Umstände in ihm erregt hatten, glaubte er, daß sein eignes Schicksal gewissermaaßen von der Entdeckung der Thatsache, worauf sie hinführten, abhieng. Ach! wenn er hätte vermuthen können, wie sehr! wenn er gewußt hätte, daß die Person, welche er vor dieses schreckliche Gericht zu treten gewissermaaßen behülflich gewesen war, der Vater seiner Ellena di Rosalba sey!

Ansaldo bestätigte nochmals seinen Namen und Würden, und gab alsdann folgende Aussage:

»Am Abend des fünf und zwanzigsten Aprils, im Jahr 1752, als ich meiner Gewohnheit nach in dem Beichtstuhl von San Marco saß, wurde ich durch ein tiefes Stöhnen beunruhigt, das aus dem Beichtstuhl mir zur Linken kam.«

Vivaldi bemerkte, daß dieses angegebne Datum mit dem, welches der Fremde angegeben hatte, übereinstimmte, und wurde dadurch um so geneigter, das folgende zu glauben, und dieser außerordentlichen und unsichtbaren Person sein Vertrauen zu schenken.

Ansaldo fuhr fort:

»Diese Töne beunruhigten mich um so mehr, weil ich nicht darauf vorbereitet war: ich wußte nicht, daß sich Jemand im Beichtstuhl befand, und hatte eben so wenig Jemand den Flügel herauf kommen sehn; allein die Dunkelheit der Stunde kann vielleicht Schuld gewesen seyn, daß ich es nicht bemerkte, es war nach Sonnenuntergang, und die Fackeln bei dem Schrein des heiligen Antonius brannten noch schwach in der Dämmerung.«

»Faßt Euch kurz, heiliger Vater,« sagte der Inquisitor, der sich das vorigemal am thätigsten bei Vivaldis Verhör bewiesen hatte – »sprecht näher, was zur Sache gehört.«

»Die Seufzer hörten zuweilen auf,« sagte Ansaldo, »und es erfolgten lange Pausen des Stillschweigens: sie schienen aus einer Brust zu kommen, die vom tiefsten Schmerz zusammengepreßt war, die mit dem Bewußtseyn ihrer Schuld kämpfte, und doch nicht Entschlossenheit genug fühlte, sie zu bekennen. Ich bemühte mich, dem Büßenden Muth einzusprechen, und hielt ihm jede Hoffnung von Mitleid und Vergebung vor, welche meine Pflicht mir zuließ; allein es war lange Zeit umsonst: die ungeheure Sünde schien zu schwer, um sie auszusprechen, und doch schien der Büßende sie eben so wenig bei sich verschließen zu können. Sein Herz wollte von dem Geheimniß brechen, und schmachtete nach dem Trost, losgesprochen zu werden, selbst um den Preis der schwersten Buße.«

»Thatsachen,« sagte der Inquisitor; »dies sind nur Vermuthungen.«

»Es werden bald Thatsachen genug zum Vorschein kommen,« erwiederte Ansaldo, und verneigte sein Haupt. »Die Erwähnung derselben wird Sie versteinern, heilige Väter, so wie sie mich versteinert hat, wiewohl nicht aus denselben Gründen. Während ich den Büßenden aufzumuntern suchte, und ihn versicherte, daß ich ihm auf das Geständniß seiner Verbrechen, so schrecklich sie auch seyn möchten, die Absolution ertheilen würde, wofern seine Reue nur aufrichtig wäre, fieng er mehr als einmal sein Geständniß an, und brach auch wieder ab. Einmal verließ er sogar den Beichtstuhl; sein gequälter Geist bedurfte Ruhe, und jetzt erst, als er mit unruhigen Schritten über den Chor gieng, bemerkte ich seine Gestalt. Er war in einen weißen Mönchshabit gekleidet, und soviel ich mich besinnen kann, ohngefähr von der Statur des Pater Schedoni, der hier neben mir steht.«

Als Ansaldo diese Worte sagte, richtete sich die Aufmerksamkeit des ganzen Tribunals auf Schedoni, der unbeweglich, die Augen zur Erde gesenkt, da stand.

»Sein Gesicht,« fuhr der Beichtvater fort, »habe ich nicht gesehn, denn er trug aus guten Gründen Sorge, es zu verheelen: eine andre Aehnlichkeit also, als die der Statur, kann ich nicht zwischen ihnen angeben. Die Stimme zwar, die Stimme des Büßenden werde ich nie vergessen. Mich dünkt, ich würde sie nach noch so langer Zeit wieder erkennen.«

»Hat sie denn nicht Ihr Ohr getroffen, seit Sie in diese Mauern kamen,« sagte ein Mitglied des Tribunals.

»Davon nachher,« erinnerte der Inquisitor, »Ihr geht von der Sache ab, Vater.«

Der Groß-Inquisitor merkte an, daß die eben erzählten Umstände von Wichtigkeit waren, und daß man sie nicht als unbedeutend übergehen dürfe. Der Inquisitor unterwarf sich dieser Meinung, wandte aber ein, daß sie nicht für diesen Augenblick gehörten, und Ansaldo erhielt aufs neue Befehl zu wiederholen, was er im Beichtstuhl vernommen hätte.

»Als der Fremde zu den Stuffen des Beichtstuhls zurückkehrte,« fuhr Ansaldo fort, »hatte er Muth genug gefaßt, das Geschäft, was er sich auferlegt hatte, zu bestehn, und eine schneidende Stimme sprach durch das Gitter die Thatsachen, die ich zu erzählen im Begriff bin.«

Der Vater Ansaldo hielt inne, und ließ Unruhe blicken. Es schien, als bemühte er sich, Muth zu sammeln, um zu vollenden, was er angefangen hatte. Während dieser Pause bemächtigte sich die Stille der Erwartung des ganzen Gerichts, und die Augen des Tribunals waren abwechselnd auf Ansaldo und Schedoni gerichtet, der gewiß mehr als menschliche Festigkeit bedurfte, um unerschüttert die strenge Untersuchung und den noch strengern Verdacht, dem er ausgesetzt da stand, zu ertragen. Allein es mochte nun die Stärke selbstbewußter Unschuld oder die Verhärtung des barbarischen Lasters seyn, was den Beichtvater beschützte: er ließ nicht die mindeste Bewegung blicken, und Vivaldi, der ihn von Anfang des Verhörs an, unablässig beobachtet hatte, fühlte sich geneigt zu glauben, daß er nicht der beschriebne Büßende sey. Ansaldo, der sich endlich gefaßt hatte, fuhr folgendermaaßen fort:

»›Ich bin als Sklave meiner Leidenschaften durchs Leben gegangen,‹ sagte der Beichtende‚ ›und sie haben mich zu erschrecklichen Ausschweifungen verleitet. Ich hatte einst einen Bruder –‹ Er hielt inne, und tiefe Seufzer verriethen aufs neue die Quaal seiner Seele; endlich setzte er hinzu – ›Dieser Bruder hatte ein Weib! – Hören Sie mich jetzt an, ehrwürdiger Vater, und sagen Sie, ob ein Verbrechen, wie das meinige, Lossprechung hoffen darf! Sie war schön, ich liebte sie, sie war tugendhaft und ich verzweifelte. Sie, mein Vater,‹ fuhr er mit fürchterlicher Stimme fort, ›kannten nie die Wuth der Verzweiflung. Sie überwältigte jede andre Kraft meiner Seele, oder theilte ihr vielmehr ihre eigne Gewalt mit, und ich suchte, mich auf welche Art es auch sey, von ihren Quaalen zu befreien. Mein Bruder starb!‹ – Der Büßende hielt wiederum inne, ich zitterte, während er schwieg, und hörte ihn endlich folgende Worte sagen – ›Mein Bruder starb fern von seiner Heimath‹ – Aufs neue hielt der Büßende inne, und das Stillschweigen dauerte so lange, daß ich es für passend hielt, ihn zu befragen, an welcher Krankheit sein Bruder gestorben sey? – ›Vater, ich war sein Mörder!‹ – sagte der Büßende mit einer Stimme, die ich nie vergessen werde – sie drang mir ins Herz.«

Ansaldo schien durch die Erinnerung erschüttert zu werden, und schwieg einen Augenblick. Bei den letzten Worten hatte Vivaldi Schedoni besonders beobachtet, um aus der Wirkung, die sie auf ihn machen würden, zu schließen, ob er schuldig sey: allein er blieb in seiner vorigen Stellung, und seine Augen waren noch immer zur Erde geheftet.

»Fahret fort, Vater,« sagte der Inquisitor, »was antwortetet Ihr auf dieses Geständniß?«

»Ich schwieg,« sagte Ansaldo; »aber endlich hieß ich den Büßenden fortfahren. ›Ich wußte es so einzurichten,‹ sagte er, ›daß mein Bruder fern von seiner Heimath sterben mußte, und leitete die Sache so ein, daß seine Witwe niemals die Ursache seines Todes argwöhnte. Nicht lange nachher, als die gewöhnliche Trauerzeit verflossen war, wagte ich es, um ihre Hand zu bitten; allein sie hatte meinen Bruder noch nicht vergessen, und schlug mich aus. Meine Leidenschaft wollte nicht länger mit sich spielen lassen. Ich ließ sie aus dem Hause entführen, und sie willigte nachher ein, ihre Ehre durch die priesterliche Einsegnung wieder zu gewinnen. Ich hatte meine Gewissensruhe aufgeopfert, ohne Glückseligkeit gefunden zu haben. Sie ließ sich nicht einmal herab, ihre Verachtung zu verheelen. Gekränkt, aufgebracht über ihr Betragen, fieng ich an zu argwöhnen, daß ein andres Gefühl als bloße Empfindlichkeit an dieser Verachtung Schuld sey, und zuletzt von allem setzte noch Eifersucht, ja Eifersucht meinem Elend die Krone auf – entzündete alle meine Leidenschaften bis zum Wahnsinn.‹

Der Büßende,« fuhr Ansaldo fort, »schien wirklich in diesem Augenblick beinahe wahnsinnig zu seyn, und krampfhafte Seufzer erstickten bald seine Worte. Als er in seiner Beichte wieder fortfuhr, sagte er: ›Ich fand bald einen Gegenstand für meine Eifersucht. Unter den wenigen Personen, die uns in der Einsamkeit unsers ländlichen Aufenthaltes besuchten, war ein Edelmann, der, wie ich mir einbildete, meine Frau liebte: auch bildete ich mir ein, daß, so oft er erschien, eine besondre Freude auf ihrem Gesichte strahlte. Sie schien Vergnügen daran zu finden, mit ihm zu sprechen, und ihm einen Vorzug zu beweisen. Zuweilen dünkte mich sogar, daß sie einen Stolz darin fände, mir den Vorzug, den sie ihm ertheilte, zu erkennen zu geben, und daß sie einen Blick des Triumphs und sogar der Verachtung auf mich warf, so oft sie seinen Namen nannte. Vielleicht nahm ich Unwillen für Liebe, und sie wünschte wohl nur mich zu strafen, indem sie meine Eifersucht erregte. Unglücklicher Irrthum! sie bestrafte zugleich sich selbst.‹«

»Seyd weniger umständlich, Vater,« sagte der Inquisitor.

Ansaldo verneigte sich und fuhr fort.

»›Eines Abends,‹ fuhr der Büßende fort, ›als ich unerwartet zu Hause kam, sagte man mir, daß meine Frau Besuch hätte. Als ich mich dem Zimmer näherte, wo sie saßen, hörte ich Sachchi's Stimme: sie schien klagend und flehend. Ich stand still, um zu horchen, und vernahm genug, um mich mit Rache zu erfüllen. Doch hielt ich mich so weit zurück, daß ich nur leise an ein Fenster im Gange schlich, von welchem man das Zimmer übersehn konnte. Der Verräther lag auf den Knien vor ihr ob sie meinen Schritt gehört, oder mich am Fenster wahrgenommen hatte, oder ob sein Betragen sie beleidigte, weiß ich nicht – allein sie stand sogleich vom Stuhl auf. Ich hielt mich nicht damit auf, nach der Ursache zu forschen, sondern ergriff meinen Dolch, und stürzte mit der Absicht, ihn dem Schurken ins Herz zu stoßen, ins Zimmer. Der vermeinte Mörder meiner Ehre entfloh in den Garten, und man hörte nichts mehr von ihm‹ – ›Aber Ihre Frau –‹ sagte ich – ›Ihre Brust empfieng den Dolch!‹ erwiederte der Büßende.«

Ansaldos Stimme schwankte als er diesen Theil der Beichte wiederholte, und er war ganz außer Stande weiter fortzufahren. Das Tribunal, das seinen Zustand sah, erlaubte ihm sich zu setzen, und nach dem Kampf einiger Augenblicke setzte er hinzu:

»Denken Sie, heilige Väter! denken Sie, was ich in dem Augenblicke empfinden mußte! Ich selbst war der Liebhaber des Weibes, die er ermordet zu haben bekannte!«

»War sie unschuldig?« sagte eine Stimme, und Vivaldi, dessen Aufmerksamkeit in der letzten Zeit ganz auf Ansaldo gerichtet war, blickte jetzt Schedoni an, und fand, daß er es war, der gesprochen hatte. Bei dem Laut seiner Stimme wandte sich der Beichtvater sogleich nach ihm hin. Es herrschte eine allgemeine Pause, während welcher Ansaldos Augen sich mit Ernst auf den Angeklagten hefteten. – Endlich sprach er: »Sie war unschuldig!« mit dem feierlichsten Nachdruck setzte er hinzu: »sie war höchst tugendhaft!«

Schedoni war in sich selbst zurückgesunken; er fragte nichts weiter. Ein Murmeln lief durch das Gericht, welches nach und nach begann, bis es in laute Unterredung ausbrach – endlich wurde der Sekretair angewiesen, Schedonis Frage niederzuschreiben.

»War das die Stimme des Büßenden, die Ihr so eben gehört habt?« fragte der Inquisitor Ansaldo. »Erinnert Euch wohl, Ihr habt gesagt, daß Ihr sie wieder erkennen würdet!«

»Mich dünkt, sie war es,« erwiederte Ansaldo, »allein ich kann nicht darauf schwören.«

»Welche gebrechliche Urtheilskraft!« sagte der nämliche Inquisitor, welchen selten die Bescheidenheit des Zweifels über irgend einen Gegenstand quälte. Ansaldo wurde aufgefodert, seine Erzählung fortzusetzen.

»Bei dieser Entdeckung des Mörders,« sagte der Beichtväter, »verließ ich den Beichtstuhl, und meine Sinnen wichen von mir, ehe ich Befehl geben konnte, ihn anzuhalten. Als ich sie wieder erhielt, war es zu spät; er war entwischt! Von dieser Stunde an bis jetzt, habe ich ihn nicht wieder gesehn, auch wage ich nicht zu behaupten, daß er die Person ist, die jetzt vor mir steht.«

Der Inquisitor war im Begrif zu sprechen, allein der Groß-Inquisitor winkte mit der Hand zum Zeichen, daß er Aufmerksamkeit fodre und sagte, indem er sich zu Ansaldo wandte:

»Wenn Ihr auch Schedoni, den Mönch von Spirito Santo, nicht kennt, ehrwürdiger Vater, könnt Ihr Euch denn auch nicht der Person des Grafen di Bruno, Eures ehemaligen Freundes, erinnern?«

Ansaldo sah Schedoni aufs neue mit forschendem Auge an. Er betrachtete ihn lange; allein Schedonis Gesicht blieb unverändert.

»Nein,« sagte der Beichtvater endlich, »ich nehme es nicht auf mich zu behaupten, daß dieser der Graf di Bruno ist. Ist er es, so haben die Jahre tief an seinen Zügen genagt. Daß der Beichtende der Graf Bruno war, davon habe ich Beweise; er erwähnte meines Namens und besondrer Umstände, die nur dem Grafen und mir bekannt waren; allein daß Pater Schedoni der Büßende sey, wiederhole ich, wage ich nicht zu behaupten.«

»Aber ich wage es;« sagte eine andre Stimme, und Vivaldi sah, als er sich umdrehte, den geheimnißvollen Fremden herannahn; seine Kappe war jetzt zurückgeschlagen, und eine drohende Miene über jeden schrecklichen Zug verbreitet. Schedoni schien in dem Augenblicke, als er ihn wahrnahm, bewegt; sein Gesicht erlitt zum erstenmale eine Veränderung.

Das Tribunal beobachtete ein tiefes Schweigen; allein Verwunderung und eine gewisse unruhige Erwartung bezeichneten jede Stirn.

Vivaldi war im Begrif auszurufen: »Das ist mein Angeber!« als die Stimme des Fremden ihn zurückhielt.

»Kennst du mich?« sagte er finster zu Schedoni, und seine Stellung wurde fest.

Schedoni gab keine Antwort.

»Kennst du mich?« wiederholte sein Ankläger mit fester feierlicher Stimme.

»Dich kennen!« sagte Schedoni schwach.

»Kennst du dies?« rief der Fremde, und hob die Stimme, indem er etwas, das einem Dolche glich, unter seinem Gewande hervorzog. »Kennst du diese unauslöschlichen Flecken?« sagte er, hob den Dolch auf, und hielt ihn mit aufgehobnem Arm Schedoni hin.

Der Beichtvater wandte sein Gesicht ab – sein Herz schien zu erkranken »it seemed as if his heart sickened«: ›es schien, als versage sein Herz den Dienst‹. – D.Hg..

»Mit diesem Dolche wurde dein Bruder erschlagen?« sagte der schreckliche Fremde. »Soll ich mich erklären?«

Schedoni verließ der Muth, und er sank aufs neue an einen Pfeiler des Saals, um sich zu stützen.

Die Bestürzung wurde nun allgemein; die außerordentliche Erscheinung, und das Betragen des Fremden schien den größten Theil des Tribunals, eines Inquisitionstribunals selbst ›und das, obwohl es sich um ein Inquisitionstribunal handelte!‹ – D.Hg., mit Schrecken zu erfüllen. Verschiedne Mitglieder standen von ihren Plätzen auf; andre riefen laut die Bedienten herbei, die an den Thüren des Saals Wache hielten, und fragten, wer den Fremden eingelassen hätte, während der General-Inquisitor und einige andre Inquisitoren heimlich zusammen sprachen, und oft den Fremden und Schedoni ansahen, als wären sie die Gegenstände ihres Gesprächs. Der Mönch blieb unverrückt stehn, den Dolch in der Hand, und die Augen starr auf den Beichtvater gerichtet, dessen Gesicht noch immer abgewandt war, und der sich gegen den Pfeiler stützte.

Endlich rief der Groß-Inquisitor die Mitglieder herbei, die aufgestanden waren, um sich wiederum auf ihre Plätze zu begeben, und befahl, daß die Unterbedienten sich auf ihre Plätze zurückziehn sollten.

»Ehrwürdige Brüder!« sprach der Groß-Inquisitor, »wir empfehlen Euch in dieser wichtigen Stunde Stille und Ueberlegung. Laßt uns das Verhör des Angeklagten fortsetzen, und uns nachher über die Zulassung des Anklägers zu Rathe gehn. Für jetzt verstattet ihm zu hören, und den Vater Schedoni zu antworten.«

»Wir verstatten es ihm,« antwortete das Tribunal und verneigte sich.

Vivaldi, der bei dem Tumult umsonst versucht hatte, sich Gehör zu verschaffen, benutzte jetzt die Stille, welche auf die Zustimmung der Inquisitoren folgte, um ein kleines Gehör zu fodern: allein sobald er den Mund öfnete, verlangten verschiedne Mitglieder, daß das Verhör fortgesetzt werden sollte, und der Groß-Inquisitor sah sich aufs neue genöthigt, Stillschweigen zu gebieten, ehe man Vivaldis Begehren verstehn konnte. Sobald ihm die Erlaubniß zu sprechen zugestanden war, sagte er, indem er auf den Fremden zeigte:

»Dies ist der nämliche, der mich in meinem Gefängniß besucht hat, und der Dolch, den er jetzt zeigt, ist auch der nämliche! Er war es, der mir befahl, den Beichtvater Ansaldo und den Pater Schedoni vorzuladen. Ich habe mich meines Auftrags entledigt, und nehme keinen Antheil weiter an diesen Kämpfen.«

Das Tribunal war aufs neue beunruhigt, und ein geheimes Murmeln verbreitete sich wiederum. Schedoni schien indessen einige Herrschaft über sich wieder gewonnen zu haben; er richtete sich auf, verneigte sich gegen das Tribunal und schien sich zum Sprechen vorzubereiten, nur wartete er, bis das verworrne Geräusch, das den Saal erfüllte, nachlassen würde. Endlich konnte er sich verständlich machen, er wandte sich an das Tribunal und sagte:

»Ehrwürdige Väter! der Fremde, der jetzt vor Ihnen steht, ist ein Betrüger. Ich will beweisen, daß mein Ankläger einst mein Freund war – Sie müssen mir es anmerken, wie tief mich die Entdeckung seiner Treulosigkeit erschüttert. Die Anklage, die er vorbringt, ist höchst falsch und boshaft!«

»Einst dein Freund!« wiederholte der Fremde mit besonderm Nachdruck, »und was hat mich zu deinem Feinde gemacht! Sieh diese Flecken!« fuhr er fort, und zeigte auf die Scheide des Dolchs – »Sind diese Flecken auch falsch und boshaft? spiegelt nicht im Gegentheil dein Gewissen sie zurück?«

»Ich kenne sie nicht,« erwiederte Schedoni; »mein Gewissen ist unbefleckt.«

»Eines Bruders Blut hat es befleckt,« sagte der Fremde mit dumpfer Stimme.

Vivaldi, dessen Aufmerksamkeit jetzt auf Schedoni gerichtet war, bemerkte, daß eine bleiche Farbe sein Gesicht überzog, und daß seine Augen sich mit Entsetzen von diesem außerordentlichen Wesen abwandten: der Geist seines Bruders hätte kaum einen stärkern Ausdruck hervorlocken können. Er konnte nicht sogleich über seine Stimme gebieten – sobald er es vermochte, wandte er sich aufs neue an das Tribunal.

»Ehrwürdige Vater,« sagte er, »verstattet mir, mich zu vertheidigen.«

»Ehrwürdige Väter,« sagte der Ankläger mit feierlicher Stimme, »hört! hört, was ich entdecken werde!«

Schedoni, der nur mit großer Anstrengung zu sprechen schien, wandte sich wiederum an die Inquisitoren.

»Ich will beweisen,« sagte er, »daß dieses Zeugniß nicht von der Art ist, Glauben zu verdienen.«

»Ich werde solche Beweise des Gegentheils zum Vorschein bringen,« sagte der Mönch. »Und hier, indem er auf Ansaldo zeigte, ist Beweis, daß der Graf di Bruno sich des Mordes schuldig bekannte.«

Das Gericht gebot Stillschweigen, und weil der Fremde sich auf Ansaldo berief, so wurde der Beichtvater befragt, ob er ihn kenne. Er antwortete nein.

»Besinnet euch wohl!« sagte der Groß-Inquisitor; »es ist von der äußersten Wichtigkeit, daß Ihr diesen Punkt genau beantwortet.«

Der Beichtvater betrachtete den Fremden mit tiefer Aufmerksamkeit, und wiederholte dann seine Aussage.

»Habt Ihr ihn nie zuvor gesehn?« sagte ein Inquisitor.

»Meines Wissens nie!« antwortete Ansaldo.

Die Inquisitoren sahen einander stillschweigend an.

»Er redet die Wahrheit,« sagte der Fremde.

Diese außerordentliche Erklärung fiel dem Tribunal auf, und setzte Vivaldi in Erstaunen. Da der Ankläger sie bestätigte, so konnte Schedoni sich auf keine Weise erklären, auf welche Art und Weise ihm Schedonis Verbrechen könnte bekannt geworden seyn, denn es ließ sich nicht vermuthen, daß dieser Vergehungen von solcher Größe, als diese Anklage enthielt, irgend Jemand außer seinem Beichtvater sollte bekannt haben, und dieser Beichtvater schien so weit entfernt, sein Versprechen gegen den Ankläger gebrochen zu haben, daß er ihn sogar nicht einmal kannte. Vivaldi zerbrach sich nicht weniger den Köpf darüber, von welcher Art das Zeugniß seyn würde, womit der Ankläger seine Behauptungen unterstützen wollte; allein die Pause allgemeinen Erstaunens, welche Vivaldi zu diesen Betrachtungen Zeit gelassen hatte, war nun zu Ende: das Tribunal schritt wiederum zum Verhör, und der Groß-Inquisitor rief laut:

»Ihr, Vincentio di Vivaldi, antwortet mit Pünktlichkeit auf die Fragen, die wir euch vorlegen werden.«

Man legte ihm nun einige Fragen über die Person vor, die ihn im Gefängniß besucht hatte. Vivaldi gab kurze und bestimmte Antworten und behauptete standhaft, daß der Fremde der nämliche wäre, der jetzt Schedoni anklagte.

Als der Ankläger befragt wurde, gestand er, ohne sich zu besinnen, daß Vivaldi die Wahrheit gesagt hätte. Er wurde darauf um die Ursache dieses außerordentlichen Besuch befragt.

»Die Ursache,« erwiederte der Mönch, »war keine andre als die, einen Mörder vor Gericht zu bringen.«

»Dieses,« merkte der Groß-Inquisitor an, »hätte durch eine redliche und ofne Anklage können bewürkt werden. Wäret ihr Euch der Gerechtigkeit Eurer Anklage bewußt gewesen, so würdet ihr Euch wahrscheinlich geradezu an dieses Tribunal gewandt haben, statt daß Ihr gesucht hättet, durch hinterlistige Mittel Euch einen Einfluß auf das Gemüth eines Gefangnen zu verschaffen, und ihn zum Werkzeug zu machen, den Angeklagten zur Strafe zu bringen.«

»Doch habe ich mich der Beobachtung nicht entzogen,« merkte der Fremde ruhig an: »ich bin freiwillig erschienen.«

Bei diesen Worten schien Schedoni aufs neue sehr bewegt zu seyn, und zog sogar seine Kappe über die Augen.

»Das ist ganz richtig,« sagte der Groß-Inquisitor, sich zu dem Fremden wendend; »aber ihr habt weder gesagt, wie Ihr heißt, noch von wannen ihr kommt!«

Der Mönch antwortete nichts auf diese Bemerkung; allein Schedoni führte mit wieder auflebendem Muth diesen Umstand als einen Beweis der Bosheit und Falschheit des Anklägers an.

»Willst du mich zwingen, meinen Beweis vorzulegen? Wagst du dies zu thun?«

»Warum sollte ich dich fürchten?« antwortete Schedoni.

»Frage dein Gewissen,« sagte der Fremde mit schrecklich gerunzelter Stirne.

Das Tribunal verschob aufs neue das Verhör, und hielt insgeheim eine Berathschlagung.

Schedoni schwieg auf die letzte Erinnerung des Mönchs. Vivaldi bemerkte, daß der Beichtvater, während dieses kurzen Gesprächs, seine Augen nicht einmal auf den Fremden gerichtet hatte, sondern ihn sichtlich vermied, als fürchtete er durch seinen Anblick zu sehr erschüttert zu werden. Er schloß aus diesem Umstand, und aus einigen andern Erscheinungen in seinem Betragen, daß Schedoni schuldig sey; doch dünkte es ihm, daß das Bewußtseyn der Schuld allein die starke Bewegung, womit er den Fremden vermied, nicht genug rechtfertigte, wofern er nicht in der That wußte, dass dieser Ankläger nicht nur ein Mitschuldiger an seinem Verbrechen, sondern der Mörder selbst war. In diesem Falle schien es natürlich, daß selbst der strenge und schlaue Schedoni seinen Schrecken verrieth, als er die Person des Mörders selbst mit dem Werkzeug des Verbrechens in seiner Hand erblickte. Von der andern Seite aber konnte Vivaldi nicht umhin, es höchst unwahrscheinlich zu finden, daß dieselbe Person, welche würklich die That begangen hatte, freiwillig in einen Gerichtshof kam, um seinen Anstifter anzuklagen, daß er es wagte, öffentlich denjenigen anzuklagen, dessen Schuld, so ungeheuer sie auch seyn mochte, dennoch nicht größer war, als seine eigne.

Auch die außerordentliche Art, wie der Ankläger sich beim Anfang der Sache benommen hatte, erregte Vivaldis Aufmerksamkeit; seine anscheinende Abneigung, sich bei diesem Handel sehn zu lassen, und der schlaue, geheimnißvolle Plan, womit er verfuhr, um Schedoni vor das Tribunal zu bringen, und es so einzuleiten, daß er daselbst von Ansaldo angeklagt werden mußte, verrieth, wie es Vivaldi däuchte, die Feigheit des Vergehens, und noch mehr, daß Bosheit und ein Durst nach Rache ihn zu dieser Verfolgung getrieben hatten. Wäre der Fremde nur durch Liebe der Gerechtigkeit getrieben worden, so würde er nicht so verborgne und weitschweifige Wege gewählt, sondern sie auf die gewöhnliche Art gesucht, und die Beweise beigebracht haben, die er von Schedonis Verbrechen zu besitzen jetzt behauptete.

Zu den Umständen, welche die Vermuthung von Schedonis Unschuld zu verstärken schienen, kam noch, daß der Ankläger vermied, zu gestehn, wer er sey und woher er käme. Bei diesem Umstande aber hielt Vivaldi wiederum inne: es schien ihm unbegreiflich, und er konnte sich keinen Grund denken, warum der Ankläger ein Geheimniß annahm, welches, wenn er darauf der harrte, den Zweck der Anklage selbst vernichten mußte; denn Vivaldi glaubte nicht, daß das Gericht einen Gefangnen auf das Zeugniß einer Person verurtheilen würde, die sich, ohngeachtet man sie auffoderte, öffentlich weigerte, sich selbst ihnen zu entdecken. Es ließ sich vermuthen, daß der Ankläger diesen Umstand reiflich würde erwogen haben, ehe er sich vor das Gericht wagte, und doch war er erschienen!

Diese Betrachtungen leiteten Vivaldi auf verschiedene Vermuthungen über den Besuch, den er selbst von dem Mönch erhalten hatte, über den Traum, der ihm vorher gieng, über die außerordentlichen Mittel, wodurch er sich Eingang in das Gefängniß verschaft haben mußte, da die Schildwachen erklärt hatten, daß Niemand durch die Thüre gekommen war, und über manche andere unerklärliche Umstände mehr – er sah die wilde Gesichtsbildung des Fremden an, und fast wähnte er, wie jenesmal, keine Erscheinung dieser Erde zu sehen.

»Ich habe einmal gehört,« sagte er zu sich selbst, »daß die Geister der Ermordeten – rastlos, bis ihnen Gerechtigkeit wiederfahren ist in unserer Welt sichtbar werden –«

Vivaldi unterdrückte den noch unvollendeten Gedanken, und obgleich seine Einbildungskraft ihn zum Wunderbaren geneigt und für Ideen empfänglich machte, die, indem sie alle Kräfte der Seele ausfüllen und erweitern – Gefühle hervorbringen, die an das Erhabene gränzen, so widerstand er doch diesem Hange und verbannte als ungereimt einen Gedanken, bei dem alle seine Nerven vor Schrecken erbebten. Er erwartete weiter mit unruhiger Spannung, wie das Verhör sich endigen und wie der Fremde sich ferner betragen würde.

Als das Tribunal endlich über die Art seines Verfahrens einen Beschluß gefaßt hatte, wurde zuerst Schedoni herbeigerufen und befragt, was er von dem Ankläger wüßte. Derselbe Inquisitor, welcher Vivaldi schon viermal befragt hatte, nahm jetzt das Wort.

»Ihr, Pater Schedoni, Mönch aus dem Spirito Santo-Kloster zu Neapel, sonst Fernando, Graf von Bruno genannt, antwortet auf die Fragen, die wir euch vorlegen werden. Wißt Ihr den Namen dieses Mannes, der jetzt als Euer Ankläger erscheint?«

»Ich antworte nicht auf den Titel Graf di Bruno,« erwiederte der Beichtvater, »allein ich will erklären, daß ich diesen Mann kenne. Er heißt Nicola di Zampari.«

»Was ist sein Stand?«

»Er ist ein Mönch aus dem Dominikaner-Kloster der Spirito Santo,« erwiederte Schedoni; »von seiner Familie weiß ich wenig.«

»Wo habt Ihr ihn gesehn?«

»In der Stadt Neapel, wo er einige Jahre unter einem Dache mit mir wohnte, als ich in dem Kloster San Angiola war, und nachher in der Spirito Santo«

»Ihr habt Euch also in dem Kloster San Angiola aufgehalten? sagte der Inquisitor.

»Ja,« erwiederte Schedoni, »und dort lebten wir zuerst in vertrauter Freundschaft mit einander.«

»Ihr seht jetzt, wie übel angebracht dieses Vertrauen war,« sagte der Inquisitor, »und bereuet ohne Zweifel eure Unbesonnenheit.«

Der vorsichtige Schedoni ließ sich durch diese Bemerkung nicht in die Falle locken.

»Es muß mir weh thun, Undankbarkeit zu entdecken,« sagte er, »mein Vertrauen aber bezog sich auf zu reine Gegenstände, als daß ich Ursache hätte es zu bereuen.«

»Dieser Nicola di Zampari war also undankbar? Ihr hattet ihm Dienste geleistet?« sagte der Inquisitor.

»Die Ursache seiner Feindschaft kann ich wohl erklären,« merkte Schedoni an, indem er der Frage auswich.

»Erklärt Euch,« sagte der Fremde feierlich.

Schedoni besann sich – eine plötzliche Betrachtung schien ihn in Verlegenheit zu setzen.

»Ich fordere dich im Namen deines verstorbenen Bruders auf, die Ursache meiner Feindschaft zu entdecken!« sagte der Ankläger.

Vivaldi, über den Ton, womit der Fremde diese Worte aussprach, betroffen, richtete seine Augen auf ihn, wußte aber nicht, wie er sich die Bewegung erklären sollte, die sich auf seinem Gesichte zeigte.

Der Inquisitor befahl Schedoni sich zu erklären; dieser vermochte nicht sogleich zu antworten; als er aber einige Herrschaft über sich wieder gewann, setzte er hinzu:

»Ich versprach diesem Ankläger, diesem Nicola di Zampari, sein Weiterkommen durch den geringen Einfluß, den ich besaß – und dieser war nur sehr gering – zu unterstützen. Einige Umstände, die nachher eintraten, ließen mich glauben, daß ich ihm noch mehr leisten könnte, als ich versprochen hatte. Seine Hoffnungen stiegen höher, und auf dem Gipfel seiner Erwartung sah er sich betrogen; denn ich selbst wurde durch die Person hintergangen, auf die ich mein Vertrauen gesetzt hatte. Dem Verdrusse eines heftigen, zornsüchtigen Menschen muß ich diese ungerechte Anklage zuschreiben.«

Schedoni schwieg, und Angst und Unmuth zeigten sich auf seinem Gesicht. Sein Ankläger schwieg auch, aber ein boshaftes Lächeln verkündigte seinen Triumph.

»Ihr müßt Euch erklären,« sagte der Inquisitor, »welche Dienste die Belohnung verdienten, die Ihr verspracht.«

»Diese Dienste waren für mich unschäzbar,« fieng Schedoni nach einem kurzen Besinnen wiederum an, »ob sie gleich di Zampari wenig kosteten, und waren Tröstungen der Sympathie, Rathschläge der Freundschaft, die er mir gab, und von welchen Dankbarkeit mir sagte, daß sie nie genug vergolten werden könnten.«

»Der Sympathie! der Freundschaft!« sagte der Groß-Inquisitor. »Sollen wir glauben, daß ein Mensch, der falsche Anklagen von so schrecklicher Art, als jetzt vor uns liegen, an den Tag bringt, den Trost der Sympathie und der Freundschaft zu schenken fähig ist? Ihr müßt entweder gestehn, daß Dienste von weniger eigennütziger Art Euch ein Versprechen der Belohnung abgewonnen haben, oder wir müssen schließen, daß Eures Anklägers Beschuldigung gegründet ist. Eure Behauptungen haben keinen Zusammenhang, und Eure Erklärung ist zu geringfügig, um nur einen Augenblick zu täuschen.«

»Ich habe die Wahrheit erklärt,« sagte Schedoni stolz.

»In welchem Falle?« fragte der Inquisitor: »denn Eure Behauptungen widersprechen sich.«

Schedoni schwieg. Vivaldi konnte nicht beurtheilen, ob der Stolz, der sein Stillschweigen verursachte, Folge der Unschuld oder eines bösen Gewissens war.

»Aus Eurem eignen Zeugniß,« sagte der Inquisitor, »erhellet, daß der Undank auf Eurer und nicht auf Eures Anklägers Seite war, da er Euch mit einer Güte tröstete, die Ihr ihm nie erwiedert habt! – Wißt Ihr noch sonst etwas zu sagen?«

Schedoni schwieg noch immer.

»Dies ist also Eure einzige Erklärung?« setzte der Inquisitor hinzu.

Schedoni verneigte sich. Der Inquisitor wandte sich darauf an den Ankläger und fragte, was er zu antworten hätte.

»Ich habe nichts zu antworten,« sagte der Fremde mit boshafter Schadenfreude, »der Angeklagte hat für mich geantwortet!«

»Wir müssen also schließen, daß er die Wahrheit gesagt hat, als er Euch für einen Mönch von Spirito Santo zu Neapel ausgab?« sagte der Inquisitor.

»Ihr selbst, ehrwürdiger Vater,« sagte der Fremde ernsthaft, indem er sich an den Inquisitor wandte, »könnt für mich antworten, ob ich es bin.«

Vivaldi hörte mit Bewegung zu.

Der Inquisitor stand von seinem Stuhle auf und sagte mit Feierlichkeit: »ich antworte also, daß Ihr kein Mönch von Neapel seyd.«

»Aus dieser Antwort« – sagte der Groß-Inquisitor mit leiser Stimme zu dem Inquisitor – »?sehe ich, daß Ihr den Pater Schedoni für schuldig haltet.«

Die Gegenantwort des Inquisitors wurde so leise gesagt, daß Vivaldi sie nicht verstehen konnte. Er wußte nicht, wie er die Antwort deuten sollte, die auf die Aufforderung des Fremden gegeben wurde. Er glaubte, daß der Inquisitor sich nicht so bestimmt würde geäußert haben, wenn seine Meinung sich nur auf Vermuthungen gegründet hätte: und daß er den Ankläger kannte, während er sich als ein Fremder gegen ihn betrug, setzte Vivaldi in Erstaunen, gleichsam als hätte er den Charakter eines Inquisitors für eben so unschuldig als den seinigen gehalten. Von der andern Seite hatte er den Fremden so oft in der Kleidung eines Mönchs zu Paluzzi gesehn, daß er die Behauptung Schedonis über seine Person kaum in Zweifel ziehn konnte.

Der Inquisitor wandte sich zu Schedoni:

»Wir wissen, daß ein Theil Eurer Aussage falsch ist: Euer Ankläger ist kein Mönch von Neapel, sondern ein Mitglied der heiligen Inquisition. Nach diesem Theil Eurer Aussage zu schließen, muß uns das Ganze verdächtig seyn.«

»Ein Diener der Inquisition!« rief Schedoni mit unverstellter Verwunderung. »Ehrwürdiger Vater! Eure Aussage setzt mich in Erstaunen! Man hintergeht Euch! So seltsam das auch scheinen mag, glaubt mir, Ihr werdet hintergangen! Ihr zweifelt an meinem Wort; ich will daher nichts weiter hinzusetzen; allein, fragt den Signor Vivaldi; fragt ihn, ob er nicht oft und noch kürzlich meinen Ankläger zu Neapel in der Kleidung eines Mönchs gesehen hat?«

»Ich habe ihn in den Ruinen von Paluzzi bei Neapel und in geistlicher Kleidung gesehn,« erwiederte Vivaldi, ohne die Frage in Form abzuwarten – »und unter Umständen, die nicht weniger außerordentlich waren, als diejenigen, worunter er hier erscheint. Allein zur Erwiederung für dieses freimüthige Geständniß verlange ich von Ihnen, Pater Schedoni, daß Sie einige Fragen beantworten, die ich dem Tribunal anzugeben wagen werde. Auf welche Art erfuhren Sie, daß ich den Fremden oftmals zu Paluzzi gesehn habe? und hatten Sie Antheil an seinem geheimnißvollen Betragen gegen mich oder nicht?«

Auf diese Fragen, ob sie ihm gleich förmlich vom Gericht vorgelegt wurden, würdigte Schedoni nicht zu antworten.

»Es scheint also,« sagte der Groß-Inquisitor, »daß der Ankläger und der Angeklagte einstmals Mitschuldige waren.«

Der Inquisitor machte die Einwendung, daß dieses nicht zuverlässig erhellte, und daß im Gegentheil Schedoni seine letzten Fragen in der Verzweiflung angegeben zu haben scheine – eine Bemerkung, die Vivaldi bei einem Inquisitor auffallend fand.

»Mögen wir Mitschuldige gewesen seyn, wenn es Ihnen so beliebt,« sagte Schedoni, und verneigte sich gegen den Groß-Inquisitor, ohne auf den Inquisitor zu achten – »Sie mögen uns Mitschuldige nennen; allein ich sage, daß wir Freunde waren. Da es für meine eigne Ruhe nothwendig ist, daß ich mich ausführlicher über die nähern Umstände unsrer vertrauten Bekanntschaft erkläre, so will ich gestehen, daß ich mich bei einigen Gelegenheiten meines Anklägers bedient habe, und daß er mir behülflich war, die Würde einer erlauchten Familie zu Neapel, der Familie Vivaldi, aufrecht zu halten. Und dies, ehrwürdiger Vater,« setzte Schedoni hinzu, indem er auf Vincentio zeigte, »ist der Sohn dieses alten Hauses, für das ich so viel gewagt habe!«

Vivaldi wurde durch dieses Geständniß von Schedoni beinahe überwältigt, wiewohl er bereits einen Theil der Wahrheit geargwöhnt hatte. Er glaubte in dem Fremden Ellenas Verläumder, das niedrige Werkzeug von Schedonis Ehrgeiz und von der List der Marquise zu sehn, und sein ganzes Betragen, wenigstens zu Paluzzi, schien ihm jetzt verständlich. Er sah in Schedoni seinen geheimen Ankläger, und den unerbittlichen Feind, der, wie er glaubte, Ellenas Gefängniß verursacht hatte. Bei diesem letzten Gedanken verließ ihn alle Vorsicht, alle Klugheit: er erklärte mit Nachdruck, daß er nach diesem Geständniß von Schedoni ihn für seinen geheimen Ankläger, und auch für den Ankläger von Ellena di Rosalba halten müßte, und daß er das Tribunal auffoderte, Erkundigung einzuziehen, was den Beichtvater zu dieser Anklage bewogen hätte, und ihn nachher dessen Erklärung wissen zu lassen.

Der Groß-Vicar antwortete hierauf, daß man Vivaldis Verlangen in Ueberlegung ziehen würde, und befahl in dem gegenwärtigen Geschäfte fortzufahren.

Der Inquisitor wandte sich an Schedoni und sagte:

»Die Uneigennützigkeit Eurer Freundschaft ist nun hinlänglich erläutert, und wir wissen jetzt recht gut, welchen Glauben wir Euren letzten Behauptungen beizulegen haben. Euch befragen wir nicht weiter; allein wir wenden uns an den Pater Nicola di Zampari und fragen ihn, was er zur Unterstützung seiner Anklage vorzutragen hat. Welche Beweise habt Ihr, Nicola di Zampari, daß der angebliche Pater Schedoni, Fernando, Graf von Bruno ist, und daß er sich des Mordes, des Mordes seines Bruders und Weibes, schuldig gemacht hat? Antwortet auf unsre Anklage.«

»Auf Eure erste Frage,« sagte der Mönch, »antworte ich, daß er bei einer Gelegenheit, die ich hier nicht zu erwähnen brauche, gegen mich selbst erklärt hat, daß er der Graf di Bruno sey. Zur Beantwortung der letztern zeige ich den Dolch vor, den ich mit dem Todesbekenntniß des Mörders, dessen er sich bediente, erhielt.«

»Stille,« merkte der Groß-Inquisitor an; »dies sind keine Beweise, sondern Behauptungen, und die erste verbietet uns, der zweiten Glauben beizumessen. Wenn, wie ihr erkläret, Schedoni selbst euch gestanden hat, daß er Graf di Bruno sey, so müßt Ihr wirklich ein so vertrauter Freund von ihm gewesen seyn, als er sagt, sonst würde er Euch nicht ein für ihn selbst so gefährliches Geheimniß anvertraut haben. Und wenn Ihr diesen Freund nennt, wie können wir denn Euern Behauptungen wegen des Dolches trauen, da Ihr Euch, sie mögen wahr seyn oder nicht, der Verrätherei schuldig macht, indem Ihr sie zum Vorschein bringet?«

Es setzte Vivaldi in Erstaunen, solche edelmüthige Gesinnungen von einem Inquisitor zu hören.

»Hier ist mein Beweis,« sagte der Fremde, und zog ein Papier hervor, das, wie er behauptete, das Todesbekenntniß des Mörders enthielt. Es war von einem Priester in Rom so wie von ihm selbst unterzeichnet, und schien nach dem Datum erst vor einigen Wochen ausgestellt zu seyn. Der Priester, wie er sagte, lebte noch, und könnte vorgeladen werden. Das Tribunal ließ einen Befehl ergehn, sich dieses Priesters zu versichern, und ihn den folgenden Abend herbeizuschaffen, um sein Zeugniß auszustellen – worauf man mit dem Geschäft der Nacht ohne weitere Unterbrechung bis zum Ende fortfuhr.

Der Groß-Inquisitor nahm wiederum das Wort.

»Nicola di Zampari,« sagte er, »ich fodre Euch auf zu sagen, warum Ihr, wenn Euer Beweis von Schedonis Schuld so klar ist, als das Geständniß des Mörders selbst es machen muß, – warum Ihr es für nothwendig hieltet, den Pater Ansaldo als Zeugen von der Sträflichkeit des Grafen di Bruno herbeizurufen? Das Todesbekenntniß des Mörders ist unstreitig von mehr Gewicht, als jedes andere Zeugniß.«

»Ich rief den Pater Ansaldo auf,« erwiederte der Fremde, »um zu beweisen, daß Schedoni der Graf di Bruno ist. Das Geständniß des Mörders beweist hinlänglich, daß der Graf der Anstifter des Mordes war, aber nicht, daß Schedoni der Graf ist.«

»Allein das ist mehr, als ich mich anheischig machen will zu beweisen,« erwiederte Ansaldo; »ich weiß, daß die Person, welche mir ihre Beichte ablegte, der Graf di Bruno war; allein ich weiß nicht, daß der Pater Schedoni hier vor mir, diese Person ist.«

»Das ist gewissenhaft bemerkt,« sagte der Groß-Inquisitor, den Fremden unterbrechend, der im Begrif war zu antworten: »allein Ihr, Nicola di Zampari, habt Euch über diesen Punkt nicht deutlich genug erklärt. Woher wißt Ihr, daß Schedoni der Büßende ist, der am Abend des St. Marcus-Festes bei Ansaldo beichtete?«

»Ehrwürdiger Vater, das ist der Punkt, den ich so eben zu erläutern im Begrif bin,« versetzte der Mönch. »Ich selbst begleitete Schedoni am Abend des St. Marcus-Festes, nach der Kirche der Santa Maria del Pianto in der nämlichen Stunde, wo diese Beichte abgelegt seyn soll. Schedoni sagte mir, daß er zur Beichte gieng; und als ich eine ungewöhnliche Bewegung an ihm bemerkte, verrieth sein Betragen ein Bewußtseyn außerordentlicher Schuld: er verrieth es sogar durch einige Worte, die er in der Verwirrung seines Gemüths fallen ließ. Ich trennte mich an der Kirchenthüre von ihm. Er gehörte damals zu einem weißen Mönchsorden, und war genau so gekleidet, wie Ansaldo beschreibt. Wenige Wochen nach diesem Geständniß, verließ er sein Kloster, aus welcher Ursache, habe ich nie erfahren können, ob wohl ich es oft vermuthet habe, und ließ sich in der Spirito Santo nieder, wohin auch ich mich begeben hatte.«

»Das ist kein Beweis,« sagte der Groß-Inquisitor. »Andre Mönche von demselben Orden konnten ebenfalls in dieser Kirche und um die nämliche Stunde beichten.«

»Allein hier ist eine starke Vermuthung,« merkte der Inquisitor an. »Ehrwürdiger Vater, wir müssen nach Wahrscheinlichkeiten sowohl als nach Beweisen urtheilen.«

»Allein die Wahrscheinlichkeiten selbst,« erwiederte der Groß-Inquisitor, »sprechen stark gegen das Zeugniß eines Mannes, der einen Andern nach Worten, die ihm in den unbewachten Augenblicken einer gewaltsamen Bewegung entfallen sind, zu verrathen fähig ist.«

»Sind das die Gesinnungen eines Inquisitors?« sagte Vivaldi zu sich selbst; »kann solcher Edelmuth in der Mitte eines Inquisitions-Gerichtes erscheinen?« Thränen der Rührung fielen dick auf Vivaldis Wange, wenn er diesen gerechten Richter anstaunte, dessen Großmuth keine stärkern Regungen der Achtung und Bewunderung in ihm hätte hervorbringen können, wäre sie auch in seiner eignen Sache ausgeübt worden. »Ein Inquisitor,« wiederholte er bei sich selbst, »ein Inquisitor!«

Der zweite Inquisitor war indessen so weit von aller Uebereinstimmung mit dem Charakter seines Obern entfernt, daß ihn die liberale Denkungsart des Groß-Inquisitors sichtlich verdroß, und er sagte sogleich:

»Hat der Ankläger noch sonst etwas zum Beweise anzuführen, daß der Pater Schedoni der Büßende ist, der dem Beichtvater Ansaldo bekannte?«

»Ich habe es,« erwiederte der Mönch mit Bitterkeit. »Als ich Schedoni in der Kirche verlassen hatte, wartete ich, unsrer Verabredung gemäß, außerhalb der Mauern auf seine Zurückkunft; allein er erschien weit früher, als ich ihn erwartete, und in einer Zerrüttung, die ich noch nie an ihm wahrgenommen hatte. In einem Augenblick war er bei mir vorüber, und meine Stimme vermochte ihn nicht aufzuhalten. Verwirrung schien in der Kirche und im Kloster zu herrschen, und als ich hinein gehen wollte, um mich nach der Ursache zu erkundigen, wurden die Thüren plötzlich verschlossen und aller Eingang untersagt. Nachher hat man erfahren, daß die Mönche den Beichtenden suchten, und mir kam das Gerücht zu Ohren, daß eine Beichte diesen Auflauf verursacht hätte; daß der Beichtvater Ansaldo den Beichtstuhl vor Entsetzen über das Angehörte verlassen und es für nothwendig erklärt hätte, eine Untersuchung nach dem Beichtenden anzustellen, der ein weißer Mönch war. Dieses Gerücht, ehrwürdige Vater, erregte allgemeine Aufmerksamkeit – bei mir erregte es mehr, denn ich glaubte den Beichtenden zu kennen. Als ich am folgenden Tage Schedoni wegen seines plötzlichen Verschwindens aus der Kirche der Schwarzen Büßenden befragte, waren seine Antworten dunkel, aber heftig, und er erpreßte ein Versprechen von mir Unbesonnenen, es nie zu entdecken, daß er den Abend zuvor in Santa del Pianto gewesen sey. Ich wußte nun gewiß, wer der Beichtende war.«

»Beichtete er denn auch gegen Euch?« sagte der Groß-Inquisitor.

»Nein, Vater. Ich merkte, daß er der Beichtende war, von dem das Gerücht sprach; allein ich argwöhnte nichts von der Art seines Verbrechens, bis der Mörder seine Beichte anfieng, deren Schluß mir den Inhalt von Schedonis Beichte deutlich erklärte: es erklärt auch den Bewegungsgrund, warum er mich stets in sein Intresse zu ziehn suchte.«

»Ihr habt euch nun,« sagte der Groß-Inquisitor, »für ein Mitglied des Klosters von Spirito Santo zu Neapel, und für einen Vertrauten des Pater Schedoni bekannt, einen, den er viele Jahre hindurch zum Freunde sich zu erhalten bemühte. Es ist noch keine Stunde her, daß Ihr das alles läugnetet; den letzten Umstand zwar verneintet Ihr nur durch Winke, den ersten aber läugnetet Ihr geradezu und ausdrücklich ab!«

»Ich läugnete, daß ich ein Mönch von Neapel bin,« erwiederte der Ankläger, »und berief mich auf den Inquisitor. Dieser hat erklärt, daß ich jetzt in Diensten der allerheiligsten Inquisition stehe.«

Der General-Vicar sah mit einiger Befremdung den Inquisitor an, als wollte er eine Erklärung fodern: noch mehrere Mitglieder des Gerichts thaten dasselbe: die übrigen schienen mehr zu wissen, als sie für nöthig gefunden hatten zu bekennen. Der Inquisitor, den man aufgefodert hatte, stand auf und antwortete:

»Nicola di Zampari hat die Wahrheit gesprochen. Er ist erst seit wenigen Wochen in unsern Dienst getreten. Eine Bescheinigung aus seinem Kloster zu Neapel bezeugt die Wahrheit dessen, was ich sage, und hat ihm den Eingang hier verschafft.«

»Es ist seltsam, daß Ihr nicht früher erklärt habt, daß Ihr diesen Menschen kennet,« sagte der Groß-Inquisitor.

»Ehrwürdiger Vater, ich hatte gewisse Ursachen,« erwiederte der Inquisitor, »Sie werden sich erinnern, daß der Angeklagte gegenwärtig war, und werden mich verstehn«

»Ich verstehe Euch,« sagte der Groß-Inquisitor; »allein ich kann es weder billigen, noch die Nothwendigkeit einsehn, warum Ihr die Ausflucht dieses Nicola di Zampari zu begünstigen suchtet. Doch nachher mehr davon.«

»Es erhellt also,« fuhr der Groß-Inquisitor mit lauter Stimme fort, »es erhellt also so viel, daß dieser Nicola di Zampari einstmals der Freund und Vertraute des Pater Schedoni war, den er jetzt anklagt. Die Anklage ist offenbar boshaft; ob sie auch falsch ist, muß erst entschieden werden. Eine wesentliche Frage entspringt aus der Sache selbst. Warum geschah diese Anklage nicht früher?«

Des Mönchs Gesicht strahlte von Freude über einen im Voraus genoßnen Triumph, und er antwortete sogleich:

»Ehrwürdigster Vater, sobald ich des Verbrechens gewiß war, schickte ich mich an, den Thäter zu verfolgen. Es ist noch nicht lange, daß der Mörder sein Bekenntniß ablegte. In dieser Zwischenzeit entdeckte ich den Signor Vivaldi in diesen Gefängnissen, und errieth sogleich, auf wessen Anstiften er verhaftet war. Ich kannte den Ankläger und den Angeklagten genug, um zu beurtheilen, welcher von beiden unschuldig war, und hatte also einen doppelten Bewegungsgrund, Schedoni vorladen zu lassen. Ich wünschte eben so sehr, den Unschuldigen zu befreien, als den Verbrecher zur Strafe zu ziehn. Die Frage, was mich zu seinem Feinde machte, da er einst mein Freund war, ist bereits beantwortet: es war ein Gefühl der Gerechtigkeit und keine Eingebung der Bosheit.«

Der Groß-Vicar lächelte, fragte aber nicht weiter, und dieses lange Verhör endigte damit, daß Schedoni wieder in engen Verhaft gebracht wurde, bis man entweder volle Beweise seiner Schuld erhielte, oder bis seine Unschuld an den Tag käme. Ueber die Art von seiner Frauen Tode hatte man noch keinen andern Beweis, als sein eignes angebliches Geständniß, welches vielleicht hinlänglich war, einen Verbrecher vor dem Inquisitions-Tribunal zu verurtheilen, aber nicht den gegenwärtigen Großinquisitor zu befriedigen, der Befehl gab, daß man Beweise von jedem Punkte der Anklage zu erhalten suchen sollte, damit man, wenn ja Schedoni von der Beschuldigung, seinen Bruder ermordet zu haben, losgesprochen würde – Belege vorzeigen könnte, um ihn wegen des Todes seiner Frau zu verfolgen.

Als Schedoni sich aus dem Saale begab, verneigte er sich ehrerbiethig gegen das Tribunal, und es sey nun, daß er sich des Anscheins ohngeachtet unschuldig fühlte, oder daß seine Verschlagenheit ihm seinen gewöhnlichen Anstand annehmen half, sein Betragen zeigte keine Spuren von Schuldbewußtseyn. Seine Miene war fest und sogar ruhig, und sein Anstand voll Würde. Vivaldi, der beinahe während dieses ganzen Verhörs von seiner Strafbarkeit überzeugt gewesen war, erlaubte sich jetzt nur einen Zweifel an seiner Unschuld. Vivaldi selbst wurde wieder in sein Gefängniß zurückgeführt, und die Sitzung des Tribunals gieng aus einander.



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