Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
But if yon be afraid to hear the worst
Then let the worst, unheard, fall on your head.
König Johann, IV, 2, V.141 f.:
»Doch scheut Ihr Euch, das Schlimmste anzuhören,
So laßt es ungehört aufs Haupt Euch fallen!«
Shakespeare.
Schedoni brachte die Nacht schlaflos zu. Die Begebenheit des vorigen Abends hatte nicht nur die Qual der Gewissensbisse, sondern auch die des Stolzes und ängstliche Besorgniß erregt. In dem Betragen des Bauern gegen ihn war etwas, das er nicht ganz verstehn konnte, wenn auch sein Verdacht allein hinlänglich gewesen wäre, sein Gemüth in einen Zustand der äußersten Unruhe zu setzen. Unter der Miene der höchsten Einfalt hatte dieser Mensch von Spalatro gesprochen, hatte verrathen, daß er mit einem großen Theil seiner Geschichte bekannt war, und zu verstehn gegeben, daß er wohl wüßte, wer ihn gebraucht hätte: doch schien er zugleich nicht zu wissen, daß Schedoni die Meisterhand war, welche die Haupthandlungen des Mörders geleitet hatte. Zu andern Zeiten aber schien sein Betragen wiederum der Vermuthung seiner Unwissenheit über diesen Punkt zu widersprechen: nach einigen Umständen, deren er erwähnte, schien es nicht anders möglich, als daß er wissen mußte, wer Schedoni wirklich war, und er schien dies sogar durch sein eignes Betragen einzugestehn, besonders als er sich zu entschuldigen suchte, da er in seiner Geschichte von Spalatro unterbrochen wurde, und die Worte sagte: er hätte nicht gewußt, daß diese Geschichte Schedoni angienge: auch konnte der schuldbewußte Schedoni nicht glauben, daß die auffallende Art, womit der Bauer ihn bei der Vorstellung der Virginia anredete, blos Zufall gewesen sey. Er wünschte, diesen Menschen auf der Stelle fortzuschicken; allein zuerst war es nothwendig, sich zu vergewissern, was er von ihm wüßte, und dann sich über die zu nehmenden Maaßregeln zu bestimmen.
Es war indessen eine schwere Sache, sich diese Nachricht zu verschaffen, ohne eine Aengstlichkeit blicken zu lassen, die ihn verrathen konnte, wenn vielleicht der Führer jetzt nur einen allgemeinen Verdacht an der Wahrheit hatte; und nicht weniger schwer war es zu bestimmen, wie er sich gegen ihn benehmen sollte, wenn es sich zeigte, daß sein Verdacht auf Spalatro haftete. Ihn nach Neapel mitzunehmen, hieß einen Verräther nach seiner Heimath bringen; ihn mit dieser Entdeckung zurückkehren zu lassen, da er wahrscheinlich jetzt den Ort von Schedonis Aufenthalt wußte, war beinahe eben so gefährlich. Sein Tod allein konnte das Geheimniß sichern.
Nach einer im Aufruhr ähnlicher Betrachtungen hingebrachten Nacht rief der Beichtvater den Bauer in sein Zimmer, und sagte ihm mit kurzen Worten, daß er seiner Dienste nicht länger bedürfte, indem er nachlässig hinzusetzte, er riethe ihm auf seiner Hut zu seyn, wenn er vor der Villa vorüber käme, damit nicht Spalatro, der vielleicht dort noch lauerte, die erlittne Schmach an ihm rächte.
»Nach dem, was Ihr von ihm sagt, ist er ein sehr gefährlicher Kerl,« sagte Schedoni, »allein vielleicht sind Eure Nachrichten falsch.«
Der Führer rechtfertigte nun auf eine mürrische Art seine Aussage, und der Beichtvater suchte von ihm herauszulocken, was er über die Sache wußte. Allein es sey nun, daß der Mensch über die gestrige Behandlung empfindlich war, oder daß er andre Ursachen zur Zurückhaltung hatte; er schien nicht so zur Mittheilung geneigt zu seyn, als den Tag zuvor.
»Was Ihr mir von diesem Kerl zu verstehen gabt,« sagte Schedoni, »hat gewissermaßen meine Neugier rege gemacht: ich habe jetzt einige Augenblicke Zeit, und Ihr könnt mir, wenn Ihr Lust habt, etwas von der wunderbaren Geschichte erzählen, wovon Ihr sprachet.«
»Es ist eine lange Geschichte, Signor, und Sie würden es überdrüssig werden, ehe ich damit zu Ende käme,« erwiederte der Bauer, »und dann, erlauben Sie mir, Signor, ich lasse mich nicht gerne so abbeissen »I don't much like to be snapped up so«: ›ich lasse mir nicht gerne so das Wort abschneiden‹. – D.Hg..«
»Wo hat sich dieser Mensch aufgehalten?« sagte der Beichtvater. »Ihr erwähntet etwas von einem Hause am Seeufer.«
»Ja, Signor, zu dem Hause gehört auch eine seltsame Geschichte – allein wie ich sage, dieser Mann kam auf einmal dahin und Niemand wußte wie! und der Ort ist immer verschlossen gewesen, seit der Marquis –«
»Der Marquis,« sagte Schedoni kalt; »welcher Marquis, Freund?«
»Ey nun, ich meine natürlich den Baron di Cambrusca, Signor, wie ich Ihnen von selbst würde gesagt haben, hätten Sie mich nur ausreden lassen. Verschlossen geblieben, seit der Baron – da blieb ich doch stehn, denke ich.«
»Ich verstand, daß der Baron todt wäre!« merkte der Beichtvater an.
»Ja, Signor,« erwiederte der Bauer und heftete seine Augen auf Schedoni; »allein was hat sein Tod mit meiner Erzählung zu thun? Dies geschah, ehe er starb.«
Schedoni, durch diese unerwartete Bemerkung etwas außer Fassung gebracht, vergaß die Vertraulichkeit derselben zu ahnden.
»Dieser Mensch, dieser Spalatro war mit dem Baron di Cambrusca bekannt?« sagte er.
»Man vermuthet es sehr stark, Signor.«
»Wie? man vermuthete es nur?«
»Ja, Signor, und ich wette, das war mehr als dem Baron gefiel. Er nahm sich zu gut in Acht, daß man nichts Gewisses gegen ihn aussagen konnte, und er that wohl daran, denn – sonst würde es schlimm mit ihm ausgesehn haben. Aber ich wollte Ihnen die Geschichte erzählen, Signor.«
»Woraus schloß man denn also, Freund, daß Spalatro ein Werkzeug des Barons di Cambrusca wäre?«
»Ich glaubte, Sie wünschten die Geschichte zu hören, Signor?«
»Zu seiner Zeit, aber zuerst sagt mir Eure Gründe zu dieser Vermuthung.«
»Einer ist schon genug, Signor, und hätten Sie mich nur geraden Wegs mit der Geschichte fortfahren lassen, so würden Sie das jetzt schon wissen, Signor.«
Schedoni runzelte die Stirne, ohne aber diese Unverschämtheit ihm auf andre Art zu verweisen.
»Meinem Bedünken nach, Signor,« fuhr der Bauer fort, »war es Ursach genug, daß Niemand außer dem Baron di Cambrusca ein solches Verbrechen könnte begangen haben: Niemand in unsrer Gegend war ruchlos genug dazu außer ihm. Nun, Signor, ist das nicht Ursach genug? Warum sehn Sie mich so an? Wahrhaftig, der Baron selbst könnte mich nicht ärger ansehn, wenn ich ihm so viel gesagt hätte.«
»Seyd weniger weitschweifig,« sagte der Beichtvater mit verhaltner Stimme.
»Gut also, um beim Anfang anzufangen. Es sind nun viele Jahre her, daß Marco zuerst nach unsrer Stadt kam. Nun heißt die Geschichte, daß in einer stürmischen Nacht –«
»Ihr könnt Euch die Mühe sparen, sie zu erzählen, sagte Schedoni kurz abgebrochen. »Habt Ihr jemals den Baron gesehn, von dem Ihr sprecht, Freund?«
»Warum hießen Sie mich es denn erzählen, Signor, wenn Sie es schon wissen! Ich habe die ganze Zeit hier gestanden und will eben anfangen, und das alles um nichts.«
»Es ist sehr sonderbar,« fieng der listige Schedoni wieder an, ohne zu bemerken, was der Mensch gesagt hatte, »daß, wenn dieser Spalatro als ein solcher Bösewicht bekannt war, wie Ihr sagt, daß man keinen Schritt that, ihn vors Gericht zu bringen! Wie kam das? Allein, vielleicht war die ganze Geschichte nichts weiter als ein Gerücht.«
»Ey nun, Signor, es war Jedermanns Sache und Niemands Sache, wie man wohl sagen kann; und überdies konnte Niemand beweisen, was er gehört hatte, und obgleich Jedermann die Geschichte so fest glaubte, als wenn er sie mit Augen gesehn hätte, so wären sie doch damit vor Gericht nicht zu Rechte gekommen, sondern hätten es beweisen müssen. Nun ist es aber kaum einmal unter Zehnen der Fall, daß man etwas beweisen kann, Signor, wie Sie wohl wissen; doch glaubt darum Niemand weniger daran.«
»So, Ihr wolltet also diesen Mann wegen eines Mordes bestrafen lassen, den er wahrscheinlich niemals begieng?« sagte der Beichtvater.
»Wegen eines Mordes?« wiederholte der Bauer.
Schedoni schwieg, antwortete aber sogleich: »Sagtet Ihr nicht, er wäre ein Mörder?«
»Das habe ich Ihnen nicht gesagt, Signor.«
»Was war denn das Verbrechen?« fieng Schedoni nach eines Augenblicks Pause wiederum an. »Ihr sagtet, es sey barbarisch, und was kann barbarischer seyn als Mord?« Seine Lippen bebten, als er das letzte Wort aussprach.
Der Bauer antwortete nicht, blieb mit seinen Augen unbeweglich auf dem Beichtvater gehaftet, und wiederholte endlich: »Sagte ich, es wäre Mord, Signor?«
»Wenn es das nicht war, so sagt, was war es denn?« fragte der Beichtvater stolz; »aber sagt es mit zwei Worten.«
»Als wenn man eine Geschichte mit zwei Worten erzählen könnte, Signor!«
»Nun so faßt euch wenigstens kurz.«
»Wie kann ich das, Signor, wenn die Geschichte so lang ist!«
»Ich will keine Zeit mehr verderben, sagte Schedoni im Fortgehn.
»Nun, Signor, ich will mein Möglichstes thun, es kurz zu machen. Es war in einer stürmischen Dezember-Nacht, daß Marco Torma aufs Fischen ausgegangen war. Marco, Signor, war ein alter Mann, der in unsrer Stadt lebte, als ich noch ein Knabe war: Ich kann mich kaum auf ihn besinnen; allein mein Vater kannte ihn recht gut und liebte den alten Marco, und pflegte oft zu sagen –«
»Zur Geschichte,« sagte Schedoni.
»Nun ich erzähle sie ja so geschwind als ich kann. Dieser alte Marco lebte damals, als sie sich ereignete, nicht in unsrer Stadt, sondern an einem Orte, ich habe den Namen vergessen, nahe am Seeufer. Wie hieß doch der Ort – es klang wie –«
»Gut, und was geschah diesem alten Gecken?«
»Sie sind unrecht daran, Signor, es war kein Geck – allein Sie werden hören. Zu der Zeit, Signor, lebte Marco an dem Orte, dessen Namen ich vergessen habe, und war ein Fischersmann – nachher aber kamen beßre Zeiten – doch das gehört nicht hierher. Der alte Marco war aufs Fischen gegangen; es war in einer stürmischen Nacht, und er war froh genug, ans Ufer zu kommen. Es war ganz dunkel, so dunkel, Signor, glaube ich, als in der vergangnen Nacht, und er eilte, so schnell er konnte, mit seinen Fischen am Ufer hin, verlor es aber dem ohngeachtet »with some fish … he lost it«: da Liebeskind » seinen Fischen« übersetzt, muss in korrektem Bezug fortgefahren werden: »verlor sie …«. Dass es sich um mehrere Fische handelt, zeigt sich einige Absätze später. – D.Hg.. Der Regen schlug, der Wind blies und er wanderte lange fort und konnte kein Licht sehn, noch etwas hören, außer den Wellen neben ihm, die zuweilen herbei zu stürzen schienen, als wollten sie ihn mit sich wegspülen. Er machte sich so weit davon als er konnte; allein er wußte, daß hohe Felsen über das Ufer ragten, und fürchtete, wie ich mir vorstelle, mit dem Kopf dagegen zu rennen, wenn er sich zu nahe daran machte. Doch kam er endlich dicht hinan, und da er eine kleine Zuflucht fand, beschloß er sich für jetzt nicht weiter zu wagen. Ich erzähle es Ihnen, Signor, gerade so wie es mein Vater mir erzählt hat, und dieser hatte es von dem alten Manne selbst.«
»Ihr braucht nicht so umständlich zu seyn,« erwiederte der Beichtvater: »sprecht zur Sache.«
»Gut, Signor; als der alte Marco also unter den Klippen verborgen lag, dünkte es ihm, als hörte er Jemand kommen, und ich wette, er richtete den Kopf auf – der arme alte Narr! als hätte er sehen können, wer es wäre; doch konnte er hören, ob es gleich so dunkel war, und er hörte die Schritte heran nahen: allein noch sagte er nichts, und dachte sie nahe heran kommen zu lassen, ehe er sich zu erkennen gäbe. Sogleich sieht er ein kleines Licht sich bewegen – es kommt näher und näher, bis es ihm gerade gegenüber ist, und dann sieht er den Schatten eines Mannes auf der Erde – und bald späht er den Mann selbst aus, der mit einer Blendlaterne am Ufer hinschleicht.«
»Schön, schön, nur zur Sache –« sagte Schedoni.
»Der alte Marco, wie mein Vater sagt, gehörte niemals unter die Beherzten, und setzte sich in den Kopf, daß es ein Räuber seyn könnte, weil er die Laterne hatte, – ob er gleich, was das betrifft, froh gewesen seyn würde, wenn er selbst eine Laterne gehabt hätte – und lag ganz still. Allein er gerieth sogleich in ein schönes Schrecken – der Mann stand still, um die Last, die er auf dem Rücken trug, auf ein Felsenstück neben ihm abzusetzen, und der alte Marco sah ihn einen schweren Sack absetzen und tief Athem holen, als wäre er gewaltig ermüdet. Ich erzähle es gerade so, wie ich es von meinem Vater gehört habe, Signor!«
»Und was war in dem Sacke?« fragte Schedoni kalt.
»Alles zu seiner Zeit, Signor: vielleicht machte der alte Marco es niemals ausfindig; allein Sie sollen es hören. Er fürchtete sich ein Glied zu rühren, als er den Sack sah, denn er dachte, er enthielte Beute: allein der Mann hub ihn, ohne ein Wort zu sagen, sogleich wieder auf die Schultern, und schwankte damit längs dem Ufer hin, und Marco sah nichts weiter von ihm.«
»Nun, was hat er dann mit Eurer Geschichte zu thun,« sagte der Beichtvater. »War dies Spalatro?«
»Alles zu seiner Zeit, Signor; Sie bringen mich aus dem Concept. Sobald der Sturm sich ein wenig gelegt hatte, kroch Marco hervor, und da er glaubte, es müßte ein Dorf, oder ein Weiler oder eine Hütte nicht weit entfernt seyn, weil dieser Mann des Wegs gegangen war, so nahm er sich vor, es noch ein wenig weiter zu versuchen. Er hätte besser gethan, er wäre geblieben wo er war, denn er wanderte lange umher, und konnte nichts erblicken, und was noch schlimmer war, der Sturm erhub sich stärker als zuvor, und er hatte jetzt keine Felsen, ihn zu beschützen. Während er in dieser Noth ist, sieht er ein Licht in der Ferne: es fällt ihm ein, daß dies wiederum die Laterne seyn könnte, aber er beschloß dem ohngeachtet fortzugehn, denn wenn sie es war, so konnte er auch stehn bleiben, und war sie es nicht, so durfte er vielleicht eine Zuflucht erwarten: er gieng also, und ich glaube, Signor, wir hätten es auch so gemacht.«
»Gut, aber diese Geschichte wird nimmermehr zu Ende kommen!« sagte Schedoni.
»Nun, Signor, er war noch nicht weit gekommen, als er entdeckte, daß es keine Laterne, sondern ein Licht vor einem Fenster war. Als er an das Haus kam, klopfte er leise an die Thüre; allein Niemand erschien.«
»An welches Haus?« fragte der Beichtvater scharf.
»Es regnete scharf, Signor, und ich wette, der arme alte Marco wartete lange, ehe er wieder klopfte, denn er war sehr geduldig, Signor. O wie aufmerksam habe ich ihn einer Geschichte zuhören sehen, wenn sie auch noch so lang war!«
»Ich bedarf seiner Geduld!« sagte Schedoni.
»Als er wieder klopfte, Signor, wich die Thüre ein wenig zurück, und er fand, daß sie offen war, und da Niemand kam, hielt er es für das Beste, auf seine eigne Hand hinein zu gehn.«
»Der alte Narr, was brauchte er so neugierig zu seyn!« rief Schedoni. ?
»Neugierig, Signor! er suchte nur Zuflucht. Er tappte eine ganze Weile im Zimmer umher, und konnte Niemand finden, auch sich bey Niemand Gehör verschaffen; endlich aber kam er in ein Zimmer, wo noch einige Ueberreste von Feuer im Kamin brannten, und gieng darauf zu, um sich zu wärmen, bis Jemand käme.«
»Wie, es war Niemand in dem Hause!« sagte der Beichtvater.
»Sie werden es hören, Signor. Er war, wie er sagte, gewiß noch nicht über zwei Minuten da gewesen, als er ein seltsames Geräusch in dem nämlichen Zimmer hörte, wo er sich befand; allein das Feuer brannte so kläglich, daß er nicht erkennen konnte, ob Jemand darin war.
»Was war das für ein Geräusch?«
»Sie bringen mich aus dem Zusammenhang, Signor. Er sagte, es hätte ihm nicht sehr gefallen; allein was konnte er machen! Er schürte das Feuer an, und versuchte es in Flamme zu bringen; allein es blieb so dunkel, als zuvor, und er konnte nichts erkennen. Den Augenblick darauf aber hörte er Jemand kommen, und sah ein Licht, und dann einen Mann, der auf das Zimmer zukam, wo er sich befand; er gieng auf ihn zu, und bat ihn um eine Zuflucht.«
»Wer war dieser Mann,« sagte Schedoni.
»Bat um Zuflucht. Er sagte, der Mann wäre, als er an die Thüre des Zimmers kam, so weiß wie Kalch geworden, als er einen Fremden sah, und wahrlich das konnte er auch wohl, einen Fremden bei Nachtzeit dort zu finden – ich glaube, es würde mir eben so gegangen seyn. Der Mann schien nicht sehr geneigt, ihn da zu lassen, sondern fragte ihn, was er da wollte, und dergleichen; allein der Sturm war sehr laut, und so ließ Marco sich nicht so leicht abschrecken, und als er dem Manne zeigte, was für schöne Fische er in seinem Korbe hätte, und sagte, daß sie ihm zu Dienste ständen, schien er williger zu seyn!«
»Unglaublich,« rief Schedoni, »der Dummkopf!«
»Er war doch klug genug, Signor. Marco sagt, er hätte schrecklich hungrig zu seyn geschienen –«
»Ist das ein Beweis seiner Klugheit?« sagte der Beichtvater mürrisch.
»Sie werden mich in alle Ewigkeit nicht ausreden lassen, Signor – erschrecklich hungrig, denn er legte sogleich mehr Holz an, um etwas von dem Fisch zurechte zu machen. Während er sich damit beschäftigte, sagt Marco, hätte ihm sein Herz gesagt, daß dieß derselbe Mann sey, den er am Ufer gesehn hätte: er sah ihn starr an, bis der andre ihn ganz kurz fragte; warum er ihn so anstarrte? Allein Marco hütete sich wohl, es ihm zu sagen. Doch hatte Marco, während er geschäftig den Fisch zurechte machte, Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten, und jedesmal, daß der Mann sich im Zimmer umsah, welches sehr oft geschah, däuchte ihn, es wäre derselbe.«
»Nun, und wenn es derselbe gewesen wäre?« sagte Schedoni.
»Als aber Marco zufälliger Weise den Sack entdeckte, der in einem Winkel lag, zweifelte er nicht länger an der Sache. Er sagt, das Herz wäre ihm ganz gesunken, und er hätte sich weit aus dem Hause gewünscht, und in seinem Gemüthe beschlossen, sich, sobald er könnte, aus dem Staube zu machen, ohne den Mann. argwöhnen zu lassen, was er von ihm dächte. Er errieth nun leicht, warum der Mann sich so oft im Zimmer umsah; vorher hatte Marco geglaubt, er thäte es, um zu entdecken, ob er Jemand mit sich gebracht hätte, nun aber war er überzeugt, er sahe zu, ob sein Schatz sicher wäre.«
»Das ist wahrscheinlich genug,« merkte Schedoni an.
»Der alte Marco saß also nicht sehr behaglich, während der Fisch zurecht gemacht wurde, und glaubte, es gienge aus der Bratpfanne ins Feuer mit ihm; allein was sollte er machen?«
»Was sonst, als aufstehn und davon gehn,« sagte der Beichtvater; »und das werde ich auch, wenn Eure Geschichte noch länger dauert.
»Sie werden es hören, Signor, – er würde gegangen seyn, wenn er geglaubt hätte, daß der Mann ihn fortließe, aber –«
»Nun gut, dieser Mann war also Spalatro,« sagte Schedoni ungeduldig, »und dies war das Haus am Ufer, dessen Ihr vorhin erwähntet.«
»Wie gut Sie errathen haben, Signor, obwohl, die Wahrheit zu gestehn, ich schon diese ganze halbe Stunde lang erwartet habe, daß Sie es ausfindig machen würden.«
Schedoni gefiel der bedeutende Blick nicht, womit der Bauer dies sagte, doch hieß er ihn fortfahren.
»Anfangs, Signor, sprach Spalatro beinahe kein Wort, nach und nach aber kam er zu sich, und um die Zeit, als der Fisch beinahe fertig war, wurde er gesprächig genug.«
Hier stand der Beichtvater mit einiger Bewegung auf, und gieng im Zimmer auf und ab.
»Der arme alte Marco, Signor, fieng an eine beßre Meinung von ihm zu fassen, und als er den Regen an die Fenster schlagen hörte, mochte er an kein Fortgehn denken. Indem gieng Spalatro aus dem Zimmer, um eine Schüssel zum Fisch zu holen –«
»Aus dem Zimmer?« sagte Schedoni, und hielt seine Schritte an.
»Ja Signor, aber er trug Sorge, das Licht mit sich zu nehmen. »Allein Marco, der sehr neugierig war zu –«
»Ja, das scheint er in der That gewesen zu seyn!« sagte der Beichtvater, drehte sich um und erneuerte seinen Schritt.
»Nicht doch, Signor so weit bin ich noch nicht gekommen, das hat er noch nicht gezeigt – Marco also, der sehr neugierig war zu wissen, was in dem Sacke wäre, ehe er sich zu einem längern Aufenthalte entschloß, hielt dies für eine gute Gelegenheit zuzusehn, und da das Feuer jetzt ganz hell brannte, beschloß er sich zu überzeugen. Er gieng also hin zu dem Sack und versuchte ihn aufzuheben, fand ihn aber zu schwer, obgleich er nicht voll zu seyn schien.«
Schedoni hielt seinen Schritt aufs neue an, und blieb starr vor dem Bauer stehn.
»Doch hob er ihn ein wenig in die Höhe, Signor; allein er fiel ihm aus den Händen, und mit einem so schweren Gewicht zur Erde, daß er wohl sah, es könnte keine gewöhnliche Beute darin enthalten seyn. Gerade in diesem Augenblick, sagte er, däuchte es ihn, als hörte er Spalatro kommen, und da das Geräusch von dem Sacke genug gewesen seyn würde, ihn zu schrecken, eilte Marco davon weg; allein er hatte sich geirrt und gieng aufs neue darauf zu. Aber Sie scheinen mich nicht zu hören, Signor – Sie sehen wieder aus, als hätten Sie Beängstigungen – so nachdenkend, und ich –«
»Fahrt fort,« rief Schedoni finster, und erneuerte seine Schritte – »ich höre Euch.«
»Gieng aufs neue darauf zu, –« fuhr der Bauer fort, indem er vorsichtig die Geschichte bei den letzten Worten, die er hatte fallen lassen, wieder aufnahm. »Er band den Strick los, Signor, womit der Sack zugebunden war, und öffnete ihn ein wenig – allein denken Sie, Signor, wie ihm zu Muthe ward, als er – kaltes Fleisch fühlte – und als er bei dem Lichte des Feuers das Gesicht einer Leiche inwendig sah – O Signor!«
Der Bauer war in dem Eifer, womit er diesen Umstand erzählte, Schedoni bis ans andre Ende des Zimmers gefolgt, und ergriff ihn jetzt beim Kleide, als wollte er seine Aufmerksamkeit für das übrige der Geschichte fest halten. Der Beichtvater setzte indessen seinen Schritt fort, und der Bauer hielt sich neben ihm, indem er ihn beim Kleid faßte.
»Marco,« fieng er wieder an, »war, wie mein Vater sagte, so erschrocken, daß er kaum wußte, wo er war, und ich wette, wenn man ihn hätte sehen können, daß er eben so weiß aus sah, als jetzt Sie, Signor.«
Der Beichtvater riß plötzlich sein Kleid von dem Bauer los, und sagte einwärts gekehrt: »Wenn ich mich schon vor der bloßen Erwähnung eines solchen Schauspiels entsetze, so ist es kein Wunder, daß derjenige außer sich gerieth, der es mit Augen sah.« Nach einem Augenblick Stillschweigen setzte er hinzu: »aber was erfolgte?«
»Marco sagt, er hätte nicht die Kraft gehabt, den Sack wieder zuzubinden, und als er zur Besinnung kam, war seine einzige Furcht, daß Spalatro zurück kommen würde, obgleich er kaum eine Minute fort war, ehe er aus dem Hause konnte, denn er kümmerte sich jetzt nichts mehr um den Sturm. Und gewiß genug hörte er ihn kommen; allein er machte, daß er durch einen andern Weg als den Gang, wo sich Spalatro befand, aus dem Zimmer kam. Zu gutem Glück war es derselbe Weg, durch den er herein gekommen war, und führte ihn aus dem Hause. Er nahm weiter keinen Abschied, sondern lief geraden Wegs davon, ohne sich aufzuhalten, und stand die Nacht im Walde viel Angst und Gefahr aus, bis –«
»Wie kam es aber,« sagte Schedoni, »daß dieser Spalatro nach einer solchen Entdeckung nicht ergriffen wurde? Was für Folgen entstanden denn daraus?«
»Ey, Signor, der alte Marco dachte, er hätte diese Nacht den Tod davon getragen. Bis auf die Haut durchnäßt, und starr von Schrecken, legte er sich mit einem Fieber und der Kopf drehte sich mit ihm um. Er sagte in der Raserei so seltsame Dinge, daß die Leute ihm nichts mehr glauben wollten, als er wieder zu Sinnen kam.«
»Ja wohl,« sagte Schedoni, »die Erzählung sieht mehr einem fieberhaften Traume, als einer wahren Geschichte gleich. Ich stimme ihrer Meinung von diesem fieberhaften alten Manne vollkommen bei.«
»Allein Sie werden hören, Signor, daß man nach einer kleinen Weile besser davon dachte, und es entstand auch einiger Lärm darüber; allein was konnten die armen Leute machen, denn es konnte nichts bewiesen werden. Das Haus wurde untersucht; allein der Mann war fort und man fand nichts. Von dieser Zeit an wurde der Ort verschlossen, bis viele Jahre nachher Spalatro erschien; auch der alte Marco sagte, er wäre überzeugt, daß dies der Mann sey; allein er konnte es nicht beschwören, und so war weiter nichts zu machen.«
»Aus allem diesem erhellt also, daß Ihr nicht gewiß wißt, ob diese lange Geschichte wirklich diesen Spalatro betrifft,« sagte der Beichtvater: »ja nicht einmal, daß die Geschichte selbst etwas anders ist, als die Erscheinung eines kranken Gehirns.«
»Ich weiß nicht, Signor, was Sie gewiß nennen; allein ich weiß, was wir alle glauben. Allein das Seltsamste von der Geschichte kommt noch – etwas, das Niemand glauben wollte, kaum wenn –« »Ich habe genug gehört,« sagte Schedoni, »und verlange nichts weiter zu wissen!«
»Allein, Signor, ich habe Ihnen noch nicht die Hälfte erzählt, und ich weiß, als ich es selbst hörte, daß es mich so erschreckt hat –«
»Ich habe dieser elenden Geschichte lange genug zugehört,« sagte der Beichtvater, »es scheint kein vernünftiger Grund dazu vorhanden zu seyn. Hier habt Ihr Eure Bezahlung und könnt Euch fortbegeben.«
»Gut, Signor, es ist augenscheinlich, daß Sie das übrige schon wissen, sonst würden Sie mich nimmermehr so fortlassen. Allein vielleicht wissen Sie nicht, Signor, was für ein unerklärliches – ich weiß, daß sich mein Haar empor sträubte, als ich davon hörte – was für ein unerklärliches –«
»Ich will nichts weiter von diesem albernen Zeuge hören,« unterbrach ihn Schedoni mürrisch – »ich mache mir Vorwürfe, einem solchen Gevattermährchen so lange zugehört zu haben, und bin gar nicht weiter neugierig darauf. Ihr könnt gehn und dem Wirth sagen, daß er mich begleitet »bid the host attend me«: ›richte dem Wirt aus, dass er zu mir komme‹. – D.Hg..«
»Wenn Sie freilich so leicht zu befriedigen sind, Signor,« erwiederte der Bauer verdrüßlich, »so läßt sich nichts weiter sagen, allein –«
»Doch bleibt noch,« sagte Schedoni, »damit ich Euch warne, wenn Ihr die Villa vorüber kommt, wo dieser Spalatro sich vielleicht noch aufhält – denn wenn ich gleich über die Geschichte, die Ihr erzählt habt, nur lächeln kann –«
»Erzählt, Signor! Ich habe sie noch nicht zur Hälfte erzählt – und wenn Sie nur Geduld haben wollten –«
»Wenn ich gleich über die einfältige Geschichte nur lachen kann,« wiederholte Schedoni mit lauterem Ton –
»Was das betrifft, Signor, so kann ich bezeugen, daß Sie auch die Stirne dabei zusammenziehen können,« murmelte der Führer.
»Hört mich an,« sagte der Beichtvater mit noch dringenderm Tone – »ich sage, ob ich gleich Eurer merkwürdigen Geschichte keinen Glauben beimesse, so scheint mir doch dieser Spalatro ein verzweifelter Kerl zu seyn, und ich wünschte daher, daß Ihr auf Eurer Huth wäret. Wenn Ihr ihn seht, so könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß er einen Angriff auf Euer Leben wagen wird, um die Wunde, die ich ihm zugefügt habe, zu rächen. Ich gebe Euch daher noch außer Eurer Trombone diesen Dolch, um Euch zu vertheidigen.«
Schedoni zog, während er sprach, einen Dolch aus seinem Busen; allein es war nicht derjenige, den er gewöhnlich trug, oder den man ihn wenigstens tragen sah. Er händigte ihn dem Bauer ein, der ihn mit einer Art von stupider Verwundrung annahm, und gab ihm darauf einige Anweisungen über die Art, wie er ihn gebrauchen sollte.
»Ey, Signor,« sagte der Mann, der ihm mit vieler Aufmerksamkeit zugehört hatte, »ich bin Ihnen großen Dank schuldig, daß Sie so an mich denken; allein ist etwas in diesem Dolche, das von andern verschieden ist, weil man ihn so gebrauchen muß?«
Schedoni sah den Bauer einen Augenblick ernsthaft an, und antwortete darauf: »Zuverlässig nicht, Freund, ich wollte Euch nur lehren, wie ihr ihn am besten führen könntet – Lebt wohl!«
»Ich danke Euch vielmals, Signor; allein – allein ich dächte, ich hätte ihn nicht nöthig. Meine Trombone ist mir genug.«
»Dies wird Euch noch besser schützen,« erwiederte Schedoni, der sich weigerte, den Dolch zurück zu nehmen, »und zudem könnte Euer Feind, während Ihr die Trombone ladet – seinen Dolch zu seinem Vortheil brauchen. Behaltet ihn also, Freund; er wird Euch mehr helfen, als ein Duzend Trombonen. Steckt ihn ein.
Vielleicht überzeugte Schedonis besondrer Blick mehr als seine Gründe den Führer von dem Werth seines Geschenks: er nahm es unterwürfig, aber mit einer Art von dummer Verwundrung an – wahrscheinlich wäre eine argwöhnische Verwundrung besser für ihn gewesen. Er dankte Schedoni nochmals und wollte das Zimmer verlassen, als der Beichtvater ihm zurief:
»Schickt mir sogleich den Wirth herauf, ich werde ohne Verzug nach Rom abreisen!«
»Ja, Signor,« erwiederte der Bauer, »Sie sind an dem rechten Orte, der Weg scheidet sich hier; allein ich glaubte, Sie giengen nach Neapel.«
»Nach Rom,« sagte Schedoni.
»Nach Rom, Signor! Nun ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie wohlbehalten hinkommen mögen,« sagte der Führer und verließ das Zimmer.
Während dieses Gespräch zwischen Schedoni und dem Bauer geführt wurde, überlegte Ellena in ihrer Einsamkeit, wie sie den Beichtvater bewegen könnte, sie entweder nach Altieri, oder nach dem benachbarten Kloster unsrer Dame des Mitleids zurückkehren zu lassen, statt sie weit von Neapel zu bringen, bis er es für gut fände, sie anzuerkennen. Der Plan, dessen er erwähnt hatte, schien ihrem lange gequälten Gemüth, sie auf immer von Glückseligkeit und allem, was ihrem Herzen theuer war, zu verbannen; es schien ihr wie eine zweite Verbannung nach San Stefano und jede Aebtissin, außer der von Santa della Pieta, erschien ihrer Einbildungskraft in dem Lichte eines unerbittlichen Kerkermeisters. Während dieser Gegenstand sie beschäftigte, wurde sie zu Schedoni gerufen, der voll Ungeduld war; sich in den Wagen zu setzen, den sie sich in dieser Stadt hatten verschaffen können. Als sich Ellena nach dem Führer umsah, erfuhr sie, daß er sich bereits nach seiner Heimath aufgemacht hätte – und wußte nicht, wie sie sich diese Eile erklären sollte.
Die Reisenden traten sogleich ihren Weg an. Schedoni, der über das letzte Gespräch nachdachte, sagte wenig, und Ellena las in seinem Gesichte nichts, was sie ermuntern konnte, die Bitte, die sie auf dem Herzen hatte, vorzutragen. So von beiden Seiten beschäftigt, legten sie einige Stunden von dem Wege nach Neapel zurück, denn dahin hatte Schedoni, ohngeachtet seiner Aeußerung gegen den Führer, den er mit Vorbedacht unrecht berichtete, zu gehn beschlossen.
Sie hielten in einer ziemlich bedeutenden Stadt stille, um Mittag zu machen, und als Ellena den Beichtvater sich nach den vielen Klöstern darinnen erkundigen hörte, merkte sie, daß es nothwendig war, ihre Bitte nicht länger zu verschieben. Sie stellte ihm also vor, wie unglücklich ihr Zustand sey, und in welcher Gemüthsunruhe sie sich befinden müßte, wenn sie fern von den Scenen und den Menschen gebracht würde, welche Zuneigung und frühe Gewohnheit ihr theuer gemacht hatten: besonders jetzt, da ihre Lebensgeister sich kaum von dem schweren Druck langen Leidens erholt hatten, und da, um sie zu besänftigen und neu aufzuleben, nicht nur Ruhe, sondern auch das Bewußtseyn von Sicherheit erfordert wurde; ein Bewußtseyn, welches sie unmöglich – besonders nach ihren neuerlichen Erfahrungen, unter Fremden erlangen konnte, bis sie aufhörten, fremd für sie zu seyn.
Schedoni hörte diese Bitten nachdenkend an; allein sein finstrer Blick schien nicht zu verrathen, daß sie ihn zum Mitleid gerührt hatte, und Ellena fuhr fort, ihm einen zweiten Bewegungsgrund vorzustellen, den sie ihm zuerst würde vorgetragen haben, wäre sie listiger gewesen, oder hätte sie weniger alle List verachtet. So aber hatte sie mit dem angefangen, was ihr das Wichtigste war, wenn es auch auf Schedoni wenig Einfluß haben konnte. Sie stellte ihm vor, daß ihr Aufenthalt in der Nachbarschaft von Altieri so eingeleitet werden könnte, dass sein Geheimniß eben so sicher verwahrt bliebe, als wenn sie hundert Meilen von Neapel entfernt wäre.
Es scheint vielleicht sonderbar, daß ein Mann von Schedonis gewöhnlicher Kälte und genauer Berechnung, seine Einsichten bei dieser Gelegenheit so von Furcht verdunkeln ließ, und dies ist ein starker Beweis, von welcher Wichtigkeit die Sache war, die eine solche Wirkung auf sie haben konnte. Indem er jetzt Ellena anhörte, nahm er Umstände wahr, die seiner eignen Beobachtung entwischt waren, und gab endlich zu, daß es sichrer seyn dürfte, sie nach der Villa Altieri zurückkehren zu lassen, und daß sie von dort aus, wie es vorhin ihre Absicht war, nach der Santa della Pieta gienge, als wenn er sie in ein noch so fernes Kloster brächte, wo er genöthigt wäre, sie selbst einzuführen. Seine einzige Einwendung, sie in die Nähe von Neapel zu bringen, war nun noch, daß der Zufall der Marquise di Vivaldi Gelegenheit geben könnte, Ellenas Aufenthalt zu entdecken, ehe er es für gut fände, ihr seine Familie bekannt zu machen, und seine Kenntniß vom Charakter der Marquise rechtfertigte seinen schrecklichsten Verdacht über die Folgen einer solchen vorzeitigen Entdeckung.
Indessen mußte er bei jeder Lage, die er für Ellena wählte etwas wagen, und ihr Aufenthalt in Santa della Pieta, einem großen, wohl verwahrten Kloster, wo sie von Kindheit auf bekannt gewesen war, und dessen Aebtissin und Schwestern an ihrer Wohlfahrt gewiß Antheil nahmen, schien ihr Sicherheit gegen alle wirkliche Gewaltthätigkeiten, welche die Bosheit der Marquise an ihr ausüben konnte, zu versprechen – gegen ihre schlaue Hinterlist aber war jeder Ort gleich unvermögend, Ellenen zu schützen. Hier, wo Ellena in dem Charakter erschien, wie man sie immer gekannt hatte, konnte keine Neugier erregt, kein Verdacht über ihre Familie erweckt werden, und hier ließ sich also aller Wahrscheinlichkeit nach erwarten, daß Schedonis Geheimniß besser aufgehoben seyn würde, als sonst irgend wo.
Da dieses unter allen, der herrschende Punkt seiner Aengstlichkeit war, den er, so unnatürlich das auch scheinen mag, selbst Ellenas Sicherheit nachsetzte, so beschloß er endlich, daß sie nach der Santa della Pieta zurückkehren sollte, und sie dankte ihm beinahe mit Thränen für eine Bewilligung, die sie als großmüthige Gefälligkeit aufnahm, die aber in der That nicht viel mehr als eine Wirkung eigennütziger Besorgnisse war.
Das übrige der Reise, die einige Tage dauerte, verstrich, ohne daß etwas Merkwürdiges vorfiel. Schedoni war bis auf einige kurze Zwischenräume immer in trübes Schweigen und Tiefsinn gehüllt, und Ellena, deren Gedanken unablässig mit dem einzigen, was sie interessirte, mit ihrer gegenwärtigen Lage und Vivaldis Zustand beschäftigt waren, unterwarf sich gerne dieser verlängerten Stille.
Als sie endlich Neapel nahe kamen, wurden ihre Empfindungen stärker und mannigfaltiger; und als sie die Spitze des Vesuvs unterschied, der über jeden zwischenliegenden Hügel hervorragte, weinte sie, indem ihre Einbildungskraft ihr das ganze wohlbekannte Land bezeichnete, das man von dort aus übersah. Als sie aber einen Hügel erreichten, und der Hafen von Neapel, in die weiteste Ferne hingestrecket, vor ihr ausgebreitet lag, als jeder Berg des prächtigen Horizonts, der die Landschaft, wo sie gebohren war, das Land, welches, wie Sie glaubte, Vivaldi bewohnte, einschloß, entfaltet da lag, wie rührend, wie überwältigend waren da ihre Gefühle! Jeder Gegenstand schien von ihrer Heimath, von Vivaldi, von entflohner Glückseligkeit zu sprechen! Und so innig mischte sich Wehmuth mit Hoffnung, zärtlicher Schmerz der Erinnerung mit dem Anziehenden der Erwartung, daß es schwer war zu sagen, welches Gefühl die Oberhand hatte.
Ihr ausdrucksvolles Gesicht enthüllte dem Beichtvater den Lauf ihrer Gedanken und Gefühle; Gefühle, die er zwar verwarf, aber doch vollkommen zu verstehn glaubte, wovon er aber in der That, da er sie nie in irgend einem Grade empfunden hatte, nichts verstand. Der verhärtete Schedoni setzte vermöge eines nicht ungewöhnlichen Mißverständnisses, besonders bei einem Charakter seiner Art, Worte an die Stelle von Wahrheiten, verwirrte nicht nur die Scheidewege an einander gränzender Eigenschaften, sondern mißverstand auch selbst ihre Grundursachen. Unfähig ihre feinen Unterschiede wahrzunehmen, nannte er die Personen, die sie sahen, blos phantastisch, und machte auf solche Art seine Unfähigkeit selbst zu einem Grunde seiner höhern Weisheit, und während er Delikatesse des Gefühls mit Schwäche des Gemüths, Geschmack mit Eigensinn, und Einbildungskraft mit Irrthum verwechselte, hieng er gerade zu der Zeit, wo er sich am meisten auf seinen Scharfsinn zu gute that, Täuschungen nach, die, obgleich weniger glänzend, doch nicht minder irrig waren, als diejenigen, wozu Gefühl und Einbildungskraft verleiten.
Um der Beobachtung besser zu entgehn, hatte Schedoni sich so eingerichtet, daß er Neapel nicht vor Abends erreichte, und es war ganz dunkel, als der Wagen vor dem Thore der Villa Altieri still hielte. Ellena sah mit einer Mischung von Schwermuth und Freude noch einmal ihre lange verlaßne Heimath wieder, und während sie wartete, bis Jemand das Thor öffnete, erinnerte sie sich, wie oft sie so gewartet hatte; als noch eine geliebte Freundin, die nun auf immer dahin war, sie hier mit Lächeln bewillkommte. Endlich erschien die Haushälterin Beatrix und nahm sie mit eben so aufrichtiger, wenn auch nicht so starker Zärtlichkeit auf, als einst die Verwandtin, um welche sie trauerte.
Schedoni stieg hier aus, und nachdem er den Wagen fortgeschickt hatte, trat er ins Haus, um auch seine Verkleidung abzulegen, und seinen Mönchshabit wieder anzunehmen. Ehe er abreiste, wagte es Ellena, Vivaldis zu erwähnen, und den Wunsch zu äußern, von seiner Lage genau unterrichtet zu seyn; allein obgleich Schedoni nur zu gut im Stande gewesen wäre, ihr hiervon Auskunft zu geben, behauptete doch die Politik, die ihn bisher über diesen Gegenstand schweigen ließ, noch immer ihre Rechte über ihn, und er antwortete nur, sobald er über Vivaldis Zustand nähere Nachricht erhalten würde, sollte es ihr nicht unbekannt bleiben.
Diese Versichrung belebte Ellena aus zwei Gründen: sie gab ihr die Hoffnung, aus ihrer gegenwärtigen Ungewißheit erlöst zu werden, und schien zugleich eine Billigung des Gegenstandes ihrer Zärtlichkeit zu enthalten, die der Beichtvater ihr noch nie hatte blicken lassen. Schedoni setzte hinzu, er würde sie nicht eher wiedersehn, bis er sie für seine Tochter erkennen könnte; wenn aber unterdessen Umstände einträten, die es nothwendig machten, so würde er ihr schreiben. Zugleich gab er ihr eine Addresse, wie sie unter fremdem Namen und nach einem Orte, der von seinem Kloster entfernt lag, an ihn schreiben könnte. Obgleich Ellena von der Nothwendigkeit dieses Verfahrens überzeugt war, konnte sie sich doch nicht ohne einen Widerwillen, der deutlich aus ihrem Betragen hervorleuchtete, den aber Schedoni nicht zu bemerken für gut fand, zu dieser Verstellung bequemen. Er bat sie, wenn ihr Leben ihr lieb sey, das Geheimniß ihrer Geburt strenge bei sich zu verwahren, und keinen Tag auf der Villa Altieri zuzubringen, sondern sich sogleich nach der Santa della Pieta zu begeben – und diese Verhaltungsregeln wurden ihr auf eine so nachdrückliche und feierliche Art gegeben, daß sie sich einer gewissen Verwundrung darüber nicht enthalten konnte, obgleich die Nothwendigkeit, sie zu erfüllen, sich ihrem Gemüthe tief einprägte.
Nach einer kurzen und allgemeinen Anweisung wegen ihres zukünftigen Betragens, sagte Schedoni ihr Lebewohl, verließ heimlich die Villa in seiner geistlichen Kleidung, und begab sich nach dem Dominikaner-Kloster, wo er sich als ein Bruder, der eben von einer fernen Pilgrimschaft zurückgekommen sey, introducirte. Er wurde wie gewöhnlich von der Gesellschaft aufgenommen, und fand sich noch einmal in seiner Rolle, als der strenge Vater Schedoni von der Spirito Santo wieder.
Was ihm nun zunächst am Herzen lag, war seine Rechtfertigung bei der Marquise di Vivaldi. – Zuerst mußte er sich vergewissern, in wie weit er es wagen dürfte, ihr die Wahrheit zu entdecken und zu erforschen suchen, was ihre Entscheidung seyn würde, wenn er sie von der ganzen Sache benachrichtigte. Sein zweiter Schritt mußte seyn, Vivaldis Befreiung zu bewirken, und da sein Verfahren in dieser Sache sich größtentheils nach dem Ausgang seiner Conferenz mit der Marquise richten mußte, so konnte er für jetzt über diesen letzten Punkt nichts bestimmen. Wie peinlich es aber Schedoni auch seyn mußte, ihr jetzt unter die Augen zu treten, da er den Abgrund der Schuld, worein sie ihn stürzen wollte, entdeckt hatte, beschloß er doch, diese wichtige Unterredung am folgenden Morgen zu suchen, und brachte die Nacht zum Theil in unruhigen Erwartungen des künftigen Tages, hauptsächlich aber im Ausdenken von Umständen und Anordnen von Gründen hin, die ihn siegreich zur Vollendung seines großen Vorhabens führen könnten.