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»– Is it not dead midnight?
Cold fearfel drops stand on my trembling flesh.
What do I fear.«
Richard III, V, 3:
Ist's nicht um Mitternacht?
Mein schauerndes Gebein deckt kalter Schweiß.
Was fürcht' ich denn?
Shakespeare.
Ohngefähr um dieselbe Stunde, wie die Nacht zuvor, hörte Vivaldi Personen sich seinem Gefängniß nähern, die Thüre öffnete sich, und er sah seine vorigen Führer hereintreten. Sie warfen den nämlichen Mantel über ihn als jenesmal und noch einen schwarzen Schleier außerdem, der seine Augen vollkommen einhüllte, worauf sie ihn aus dem Zimmer führten. Vivaldi hörte die Thüre zuschließen, als er das Gefängniß verließ, und die Wache folgte seinen Schritten, als wäre ihr Dienst nunmehr geendigt, und als sollte er nie wieder dahin zurückkehren.
In diesem Augenblick erinnerte er sich der Worte des Fremden, als er ihm den Dolch zeigte, und fürchtete nunmehr das Schlimmste, weil er den Absichten eines dem Anschein nach so boshaften Menschen entgegen gehandelt hatte: allein er freute sich der Rechtschaffenheit, die ihn vor einer niedrigen Handlung schützte, und mit dem erhabnen Enthusiasmus der Tugend bewillkommnete er beinahe Leiden, welche, seine entschloßne Gerechtigkeit gegen einen Feind bewiesen; denn er nahm sich vor, lieber allem Trotz zu bieten, als Schedoni Dinge zur Last zu legen, deren Grund er durch nichts beweisen konnte.
Während Vivaldi, so wie in der vorigen Nacht, durch viele Gänge geführt wurde, bemühte er sich nach ihrer Länge und nach den Wendungen zu beurtheilen, ob es die nämlichen wären, durch die er das vorige Mahl kam. Als er den Grund erreichte, war er geneigt zu glauben, daß es nicht derselbe Weg sey, und die Sorgfalt, die man angewandt hatte, ihm die Augen zuzubinden, schien zu verrathen, daß er nach einem neuen Ort geführt würde.
Er kam durch verschiedne Gänge, und stieg dann aufwärts; bald darauf kam er wieder eine sehr lange Windeltreppe herab, die er sich nicht gegangen zu seyn erinnerte, worauf sie eine weite Strecke auf ebnem Boden zurücklegten. Aus dem hohlen Ton, den seine Schritte zurückgaben, schloß er, daß es über Gewölbe gienge. Man hörte die Fußtritte der Schildwachen nicht mehr, die ihm von der Zelle gefolgt waren, und er schien blos bei seinen Führern zurück geblieben zu seyn. Eine zweite Reihe Stuffen schien in unterirdische Gewölbe zu führen, denn er merkte, daß sich die Luft veränderte, und fühlte einen feuchten Dunst sich rings um ihn legen. Die Drohung des Mönchs, daß er ihn in dem Zimmer des Todes treffen würde, fiel Vivaldi oftmals ein.
Seine Führer standen in diesem Gewölbe stille, und schienen eine Berathschlagung zu halten; allein sie sprachen so leise, daß man ihre Worte nicht verstehen konnte, bis auf einige unzusammenhängende Reden, die mehr andeuteten, als Vivaldi begriff. Endlich wurde er wieder fortgeführt., und bald darauf hörte er das schwerfällige Krachen von Angeln, und merkte, daß er durch verschiedne Thüren gieng, aus deren Lage er schloß, daß es dieselben waren, durch die er die Nacht zuvor kam, und daß er sich vermuthlich auf dem Wege nach dem Gerichtssaal befand.
Seine Führer standen wiederum still, und Vivaldi hörte den eisernen Stab dreimal an eine Thüre schlagen: sogleich sprach eine fremde Stimme von innen und die Thüre wurde aufgeriegelt. Vivaldi gieng weiter und bildete sich ein, daß er in ein weites Gewölbe eingelassen würde, denn die Luft war freier und seine Schritte tönten in die Ferne.
Gleich darauf rief, wie in der vorigen Nacht, eine Stimme ihm zu, näher zu kommen, und Vivaldi merkte, daß er sich wiederum vor Gericht befand. Es war die Stimme des Inquisitors, der das Hauptverhör mit ihm gehalten hatte.
»Ihr, Vincentio di Vivaldi,« sagte die Stimme, »antwortet auf euern Namen und auf die Fragen, die man Euch vorlegen wird, ohne Zweideutigkeit und bei Strafe der Tortur.«
Vivaldi wurde, wie der Mönch voraus gesagt hatte, befragt, was er vom Pater Schedoni wüßte, und als er dieselbe Antwort gab, die er zuvor seinem geheimnißvollen Gaste gegeben hatte, sagte man ihm, er wüßte mehr, als er eingestände.
»Ich weiß nicht mehr,« erwiederte Vivaldi.
»Ihr sucht Ausflüchte,« versetzte der Inquisitor. »Erklärt, was Ihr gehört habt, und erinnert Euch, daß Ihr vorhin einen Eid darauf schwuret.«
Vivaldi schwieg, bis eine furchtbare Stimme vom Tribunal ihm befahl auf seinen Eid zu achten.
»Ich achte darauf,« sagte Vivaldi, »und beschwöre Sie zu glauben, daß ich auch die Wahrheit verehre, wenn ich erkläre, daß dasjenige, was ich jetzt erzählen will, sich nur auf ein Gerücht stützt, dem ich keinen Glauben beimesse, und über dessen Wahrscheinlichkeit sogar, ich nicht den mindesten Beweis beibringen kann.«
»Ehre die Wahrheit!« sagte eine andre Stimme vom Tribunal, und Vivaldi bildete sich ein, die Töne des Mönchs zu erkennen.
Er hielt einen Augenblick inne, und die Ermahnung wurde wiederholt. Vivaldi erzählte darauf, was ihm der Fremde über Schedonis Familie und über seine Verkleidung in einen Mönch des Klosters Spirito Santo gesagt hatte, hütete sich aber, des Beichtvaters Ansaldo und irgend eines Umstandes zu erwähnen, der mit dem außerordentlichen Bekenntniß im Zusammenhang stand, und erklärte noch einmal, daß er keine hinlängliche Autorität anführen könnte, um diesen Gerüchten Glauben zu geben.
»Auf wessen Autorität sagt Ihr sie denn nach?« fragte der Inquisitor finster.
Nach einem Algenblick Besinnen, sagte Vivaldi: »was ich jetzt erklären werde, ehrwürdige Väter, ist so seltsam –«
»Zittre!« sagte eine Stimme dicht an seinem Ohr, die er sogleich für des Mönchs Stimme erkannte, und die ihn in plötzliches Schrecken versetzte. Er war unvermögend weiter zu reden.
»Welche Autorität könnt Ihr für diese Gerüchte anführen?« fragte der Inquisitor.
»Es ist mir selbst sogar unbekannt!« antwortete Vivaldi.
»Macht keine Ausflüchte,« sagte der Groß-Inquisitor.
»Ich erkläre feierlich,« versetzte Vivaldi, »daß ich weder den Namen, noch den Stand meines Gewährsmannes kenne, und daß ich sogar bis auf den Augenblick, wo er von dem Pater Schedoni sprach, sein Gesicht nie gesehen habe.«
»Zittre!« tönte dieselbe tiefe, aber bedeutende, Stimme in sein Ohr. Vivaldi fuhr zusammen, und wandte sich unwillkührlich nach dem Tone hin, obgleich seine Augen seiner Neugier nicht zu Hülfe kommen konnten.
»Ihr habt wohlgethan, zu sagen, daß Ihr etwas Außerordentliches vorzutragen hättet,« merkte der Inquisitor an, »es ist sichtlich, daß Ihr auch von Euren Richtern etwas Außerordentliches erwartet, da Ihr glaubt, sie würden diesen Behauptungen Glauben beimessen.«
Vivaldi war zu stolz, um sich gegen eine so plumpe Anklage zu vertheidigen, oder nur eine Antwort zu geben.
»Warum foderst du nicht den Pater Ansaldo auf?« sagte die Stimme; »erinnere dich meiner Worte!«
Aufs neue durch die Stimme geschreckt, blieb Vivaldi einen Augenblick unschlüssig, was er thun sollte, und in diesem Augenblick kehrte sein Muth zurück.
»Mein Gewährsmann steht neben mir,« sagte Vivaldi dreist; »ich kenne seine Stimme! halten Sie ihn fest, es ist von Wichtigkeit.«
»Wessen Stimme?« fragte der Inquisitor. »Es hat Niemand gesprochen, außer mir.«
»Die Stimme war dicht neben mir,« erwiederte Vivaldi, »sie sprach leise, aber ich kannte sie wohl.«
»Das ist entweder die List, oder der Wahnsinn der Verzweiflung,« merkte der General-Vicar an.
»Es steht jetzt Niemand neben Euch, außer den Handlangern,« sagte der Inquisitor, »und diese warten, ihren Dienst zu thun, wenn Ihr Euch weigert, auf die vorgelegten Fragen zu antworten.«
»Ich beharre auf meiner Aussage,« erwiederte Vivaldi, »und bitte, mir die Augen loszubinden, damit ich meinen Feind sehen kann.«
Das Tribunal gewährte nach einer langen Privat-Conferenz diese Bitte; der Schleier wurde ihm abgenommen, und Vivaldi sah neben sich nur die Handlanger. Ihre Gesichter waren wie gewöhnlich verhüllt. Es schien, daß einer von diesen Folterknechten der geheime Feind seyn mußte, er ihn verfolgte, wenn anders dieser Feind ein Bewohner der Erde war! und Vivaldi bat, daß man ihnen befehlen möchte, ihre Gesichter aufzudecken. Man gab ihm einen strengen Verweis wegen einer so unverschämten Zumuthung, und erinnerte ihn an das unverletzliche Gesetz, worauf das Tribunal sein heiliges Ehrenwort gegeben hatte, ›daß Personen in ihren ehrwürdigen Amtsbeschäftigungen nie der Rache des Verbrechers ausgesetzt werden sollten, den zu strafen ihre Pflicht sey.‹
»Ihre Pflicht!« rief Vivaldi, durch die Heftigkeit seines Unwillens aus seiner Huth geworfen; »Und giebt es auch ein heiliges Ehrenwort bei Teufeln?«
Ohne den Befehl des Tribunals abzuwarten, bedeckten die Handlanger sogleich Vivaldis Gesicht mit dem Schleier, und er fühlte sich in ihren Klauen. Er gab sich alle Mühe, wenigstens seine Hände los zu machen, schüttelte endlich diese Menschen von sich los, und entschleierte seine Augen aufs neue – allein sie erhielten sogleich Befehl, ihm den Schleier wieder überzuwerfen.
Der Inquisitor ermahnte Vivaldi, sich zu erinnern, in wessen Gegenwart er sey, und die Strafe zu fürchten, die seine Widersetzlichkeit verdiente, und die ihm ohne Verzug auferlegt werden würde, wenn er nicht einen Beweis beibringen könnte, um die Wahrheit seiner letzten Aussagen darzuthun.
»Wenn Sie erwarten, daß ich mehr sagen soll,« erwiederte Vivaldi, »so verlange ich wenigstens Schutz vor der unberufnen Gewaltthätigkeit der Leute, die mich bewachen. Wenn man ihnen zuläßt, nach ihrer Willkühr mit dem Elend ihres Gefangnen zu spielen, so werde ich ein unverbrüchliches Stillschweigen beobachten, und wenn ich einmal leiden muß, so sey es wenigstens nach den Gesetzen des Gerichts.«
Der Groß-Inquisitor versprach Vivaldi den Schutz, den er verlangte, und fragte ihn zugleich, was das für Worte wären, die er eben gehört hätte.
Vivaldi bedachte, daß, wenn gleich die Gerechtigkeit verböte, einen Feind wegen verdächtiger Umstände anzuklagen, wovon er keine Beweise hatte, so foderte doch weder Vernunft noch Gerechtigkeit, daß er in dieser dringenden Verlegenheit, worein er gesetzt war, sich selbst zum Opfer machte: er gestand also, ohne weiteres Bedenken, daß die Stimme ihm befohlen hätte, das Tribunal aufzufordern, einen gewissen Pater Ansaldo, den großen Beichtvater der Santa del Pianto bei Neapel, so wie auch den Pater Schedoni vorzuladen, um die außerordentlichen Anklagen zu beantworten, welche Ansaldo gegen ihn vorbringen würde, zugleich aber erklärte er mit Ernst und zu wiederholten malen, daß er die Natur dieser Anklagen eben so wenig wüßte, als wenig es ihm bekannt sey, ob ein gerechter Grund dazu vorhanden wäre.
Diese Aussagen schienen das Tribunal in neue Verlegenheit zu setzen. Vivaldi hörte ihre geschäftigen Stimmen in leiser Berathschlagung, die eine geraume Zeit fortdauerten. Er hatte indeß Muße, manche Umstände zu erwägen, die es höchst unwahrscheinlich machten, daß einer von den Inquisitionsdienern der Fremde seyn könnte, der ihn auf eine so geheimnißvolle Art umgab, und darunter gehörte auch der Umstand, daß er so lange zu Neapel gelebt hatte.
Nachdem das Tribunal einige Zeit in Berathschlagungen zugebracht hatte, schritt es zum Verhör, und Vivaldi wurde befragt, was er von dem Pater Ansaldo wüßte. Er antwortete sogleich, daß Ansaldo ihm gänzlich unbekannt sey, und daß er auch nicht eine Person aus Santa del Pianto oder sonst Jemand kennte, der etwas von dem großen Beichtvater wüßte.
»Wie?« sagte der Groß Inquisitor: »Ihr vergeßt, daß die Person, die Euch dies Tribunal auffordern hieß, den Pater Ansaldo vorzuladen, ihn kennt.«
»Um Verzeihung, das vergesse ich nicht,« erwiederte Vivaldi, »ich bitte im Gegentheil wohl zu merken, daß ich diese Person nicht kenne. Gesetzt also auch, daß er mir einige Nachricht von Ansaldo gegeben hätte, so könnte ich mich doch nicht auf die Aechtheit der selben verlassen.«
Er bat darauf das Gericht nochmals, wohl zu merken, daß er weder Ansaldo, noch sonst Jemand vor sie lüde, sondern blos ihrem Befehl gehorcht und wiederholt hätte, was der Fremde gesagt hatte.
Das Tribunal gestand die Richtigkeit dieser Bemerkung zu, und sprach ihn von allen Folgen frei, die aus dieser Auffoderung entstehen könnten. Allein diese Versicherung der Sicherheit für ihn selbst war nicht hinlänglich, Vivaldi zu beruhigen, den der Gedanke quälte, das Mittel zu seyn, einen Unschuldigen in Verdacht zu bringen. Der Groß-Inquisitor redete ihn aufs neue an, nachdem er dem Gericht ein allgemeines Stillschweigen auferlegt hatte.
»Die Nachricht, die Ihr von Euerm Angeber ausgesagt habt,« sagte er, »ist so außerordentlich, daß sie keinen Glauben verdienen würde, hättet Ihr nicht die äußerste Abneigung gezeigt, die Anklagen, die er Euch eingab, zu entdecken, woraus erhellt, daß von Eurer Seite wenigstens die Anklage nicht aus Bosheit geschieht: allein wißt Ihr gewiß, daß die Stimme neben Euch keine Einbildung war, die Eure aufgeregten Lebensgeister erzeugten?«
»Ich weiß es gewiß,« erwiederte Vivaldi mit Festigkeit.
»Ist es wahr,« fieng der Groß-Inquisitor wieder an, »daß verschiedne Personen neben Euch waren, als Ihr ausriefet, daß Ihr die Stimme Eures Angebers hörtet, und daß doch Niemand außer Euch sie vernommen hat?«
»Wo sind diese Personen jetzt?« fragte Vivaldi.
»Sie haben sich zerstreut, über Eure Anklage erschrocken.«
»Wenn Sie sie herbei rufen und befehlen wollen, daß man mir die Augen losbindet,« sagte Vivaldi, »so will ich Ihnen, ohne Bedenken, die Person meines Angebers zeigen, wofern er noch unter uns verweilt.«
Das Tribunal befahl, daß sie erscheinen sollten, aber hier zeigte sich eine neue Schwierigkeit. Man erinnerte sich nicht, wer alles gegenwärtig gewesen war; nur auf einige Personen konnte man sich besinnen, und diese wurden herbei gerufen.
Vivaldi hörte voll gespannter Erwartung Schritte und ein Gesumse von Stimmen um ihn her sich versammeln, und erwartete ungeduldig die Worte, die ihm das Gesicht wieder geben, und ihn vielleicht aus seiner Ungewißheit reißen würden. Nach wenig Augenblicken hörte er den Befehl geben, der Schleier wurde ihm noch einmal von den Augen genommen, und ihm befohlen: den Angeber anzuzeigen.
Vivaldi warf einen schnellen Blick auf die Fremden umher.
»Das Licht brennt zu dunkel,« sagte er; »ich kann diese Gesichter nicht unterscheiden.«
Es wurde befohlen, eine Lampe von der Decke herunter zu lassen, und die Fremden sollten sich Vivaldi zu beiden Seiten stellen.
Als dieses geschehn war, und Vivaldi seine Augen wieder auf den Hausen warf, sagte er:
»Er ist nicht hier; keines dieser Gesichter gleicht dem Mönch von Paluzzi. Aber wartet, wer ist jener, der dort im Schatten hinter den Leuten zur Linken steht? Laßt ihn seine Kappe in die Höhe schlagen!«
Der Hau[f]en wich zurück, und die Person, auf welche Vivaldi gedeutet hatte, blieb allein in dem Zirkel.
»Es ist ein Diener der Inquisition,« sagte ein Mann, der neben Vivaldi stand, »und wir können ihn nicht zwingen sein Gesicht zu enthüllen, außer auf ausdrücklichen Befehl des Tribunals.«
»Ich fodre das Tribunal auf, es ihm zu befehlen,« sagte Vivaldi! ö
»Wer fodert es auf?« rief eine Stimme, und Vivaldi erkannte die Töne des Mönchs, wußte aber nicht genau, woher sie kamen.
»Ich, Vincentio di Vivaldi,« antwortete der Gefangene, »ich fodre das Recht, welches mir zuerkannt ist, und befehle euch, das Gesicht aufzudecken.«
Es erfolgte eine stumme Pause, und nur ein dumpfes Murmeln lief durch den Saal. Die Gestalt stand bewegungslos im Kreise, und blieb verhüllt.
»Schonen Sie seiner,« sagte der Mann, der Vivaldi zuvor angeredet hatte: »er hat Ursachen, warum er wünscht, verborgen zu bleiben, die Sie nicht errathen können. Er ist ein Inquisitionsbedienter, und nicht die Person, die Sie meinen.«
»Vielleicht kann ich seine Ursachen errathen,« erwiederte Vivaldi, und setzte, seine Stimme erhebend, hinzu: »ich wende mich an dieses Tribunal, und befehle Euch, der Ihr allein dort in schwarzen Kleidern im Zirkel steht, Eure Züge zu enthüllen.«
Sogleich erscholl eine laute Stimme vom Tribunal und sagte:
»Wir befehlen Euch im Namen der allerheiligsten Inquisition, Euch zu erkennen zu geben!«
Der Fremde zitterte, schlug aber, ohne daß er sich zu besinnen wagte, die Kappe auf: Vivaldis Augen waren starr auf ihn gerichtet; allein er erkannte – nicht das Gesicht des Mönchs! sondern eines Officials, den er sich schon einmal gesehn zu haben erinnerte, ob er sich gleich nicht genau besann, bei welcher Gelegenheit.
»Dies ist nicht mein Angeber!« sagte Vivaldi, und wandte sich mit tiefem Verdruß von ihm, während der Fremde seine Kappe fallen ließ, und die Menge sich dicht an ihn drängte.
Auf Vivaldis Aussage sahen die Beisitzer des Gerichts einander zweifelhaft an, und schwiegen, bis der Groß-Inquisitor mit der Hand winkte, als wollte er zur Aufmerksamkeit auffodern, und Vivaldi anredete:
»Es scheint also, daß Ihr das Gesicht Eures Angebers schon zuvor gesehn habt!«
»Ich habe es bereits erklärt,« erwiederte Vivaldi.
Der Groß-Inquisitor fragte, wann und wo er ihn gesehn hätte.
»Vergangne Nackt, und in meinem Gefängniß,« antwortete Vivaldi.
»In Eurem Gefängniß!« sagte der Inquisitor, der ihn vorher befragt hatte, verächtlich; »und wahrscheinlich im Traum dazu!«
»In Eurem Gefängniß!« riefen verschiedne Mitglieder des untern Tribunals.
»Er träumt noch!« merkte ein Inquisitor an. »Ehrwürdige Väter, er mißbraucht Ihre Geduld, der Wahnsinn des Schreckens hat ihn bethört. Wir lassen die Augenblicke verstreichen.«
»Wir müssen dieser Sache weiter nachforschen,« sagte ein andrer Inquisitor. »Hier ist ein Betrug im Spiel. Wenn Ihr, Vincentio di Vivaldi, eine Falschheit behauptet habt, so zittert!«
Ob des Mönchs Stimme noch in Vivaldis Gedächtniß zitterte, oder ob der Ton, womit dieses Wort aus gesprochen wurde, ihr glich, er fuhr beinahe zusammen, als der Inquisitor: Zittre! sagte, und fragte, wer es gesprochen hätte?
»Wir selbst.« antwortete der Inquisitor.
Nach einem kurzen Gespräch unter den Mitgliedern des Tribunals, gab der Groß-Inquisitor Befehl, daß die Soldaten, die in der vorigen Nacht vor Vivaldis Gefängniß Schildwache gestanden hatten, in den Gerichtssaal gebracht werden sollten. Den Leuten, die man kurz vorher ins Zimmer gerufen hatte, wurde nun befohlen, sich zurückzuziehn, und alle weitere Untersuchung bis zur Ankunft der Schildwachen verschoben. Vivaldi hörte nun die dumpfen Stimmen der Inquisitoren, die sich heimlich unterredeten, und blieb still, nachdenkend und voll Erstaunen.
Als die Schildwachen erschienen und befragt wurden, wer in der letzten Nacht zu Vivaldi ins Gefängniß gekommen sey, erklärten sie, ohne sich zu besinnen, oder bestürzt zu scheinen, daß nach der Stunde, wo der Gefangne vom Verhör zurückgekehrt sey, bis zum folgenden Morgen, wo die Wache ihm die gewöhnliche Portion Brod und Wasser brachte, Niemand ins Gefängniß gekommen sey. Sie beharrten ohne die mindeste Abweichung auf dieser Aussage, ohngeachtet der Groß-Inquisitor Befehl gab, sie ins Gefängniß zu bringen, bis die Sache im Reinen seyn würde.
Die Zweifel, die man in die Redlichkeit dieser Leute setzte, trugen indessen nicht bei, das Mißtrauen von der andern Seite aus dem Wege zu räumen. Im Gegentheil schien der Verdacht des Gerichts, der sich mit dessen Verlegenheit vermehrte, über jeden Punkt, der vor ihnen lag, hin und her zu schwanken, und statt ein Licht auf die Wahrheit zu werfen, dienten diese Umstände nur, sie in tiefere Dunkelheit einzuhüllen. Zweifelhafter als zuvor, ob Vivaldis außerordentliche Aussagen der Wahrheit gemäß wären, benachrichtigte ihn der Groß-Inquisitor, daß er sich einer sehr harten Strafe für seine Verwegenheit aussetzen würde, wenn es sich bei fernerer Untersuchung zeigte, daß er mit der Leichtgläubigkeit seiner Richter ein Spiel getrieben hätte: sollte sich aber von der andern Seite Ursache zeigen zu glauben, daß die Schildwachen an ihrer Pflicht etwas versehn hätten, und daß in der Nacht Jemand in sein Gefängniß gekommen sey, so würde das Gericht auf eine ganz andre Weise verfahren.
Da Vivaldi merkte, daß er, um Glauben zu finden, sich umständlicher auslassen müßte, beschrieb er aufs genaueste die Person und das Ansehn des Mönchs, ohne jedoch des Dolchs, den er gezeigt hatte, zu erwähnen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte im Zimmer, während er sprach; es schien eine Stille nicht nur der Aufmerksamkeit, sondern des Erstaunens. Vivaldi selbst fühlte sich von einer gewissen Furcht befangen, und erwartete beinahe, als er ausgeredet hatte, die Stimme des Mönchs zu hören, um ihn herauszufodern, oder ihm Rache zu drohn; allein es blieb alles still, bis der Inquisitor, der ihn zuerst verhört hatte, mit feierlicher Stimme sagte:
»Wir haben Euren Reden mit Aufmerksamkeit zugehört, und werden die Sache aufs genaueste untersuchen. Einige Punkte, die Ihr erwähnt habt, erregen unser Erstaunen und verdienen ganz besonders in Erwägung gezogen zu werden. Begebt Euch nur wieder dahin zurück, woher ihr kamet, und schlafet diese Nacht ohne Furcht – bald werdet ihr mehr erfahren.«
Vivaldi wurde sogleich aus dem Zimmer geführt und noch immer mit verbundnen Augen in das Gefängniß zurückgebracht, welches er nie wieder zu betreten geglaubt hatte. Sobald man ihm die Binde abnahm, bemerkte er, daß man seine Wache gewechselt hatte.
Der Stille seiner Zelle wiederum überlassen, wiederholte er sich alles, was in dem Zimmer der Gerechtigkeit vorgegangen war: die Fragen, die man ihm vorlegte, das verschiedne Betragen der Inquisitoren; die Stimme des Mönchs und die Aehnlichkeit, die er zwischen ihm und dem einen Inquisitor wahrzunehmen glaubte, als dieser das Wort zittre aussprach; allein die Erwägung aller dieser Umstände diente auf keine Weise, ihn aus seiner Verwirrung zu ziehn. Zuweilen war er geneigt zu glauben, daß der Mönch ein Inquisitor sey, und die Stimme hatte mehr als einmal von dem Tribunal zu kommen geschienen: allein er erinnerte sich auch, daß sie mehr als einmal dicht an sein Ohr sprach, und wußte, daß kein Mitglied dieses Tribunals seinen Platz während des Verhörs eines Gefangnen verlassen durfte, und daß, hätte der Unbekannte es auch gewagt, seine auszeichnende »singular«: ›außergewöhnliche‹. – D.Hg. Kleidung ihn der Beobachtung und folglich dem Verdacht in dem Augenblick würde ausgesetzt haben, wo Vivaldi rief, daß er die Stimme seines Angebers hörte.
Doch konnte Vivaldi nicht ohne Befremdung über die letzten Worte nachdenken, welche der Inquisitor, der das Hauptverhör mit ihm führte, ihm zuletzt sagte, als er vom Tribunal entlassen ward. Sie erregten eine um so größere Verwundrung bei ihm, da es die ersten waren, die gewissermaaßen einen Wunsch verriethen, den Gefangnen zu trösten oder zu beruhigen, und Vivaldi bildete sich sogar ein, sie verriethen, daß man vorher wüßte, er würde diese Nacht nicht durch die Gegenwart seines furchtbaren Gastes erschreckt werden. Er würde nichts mehr gefürchtet, obwohl alles erwartet haben, hätte man ihm ein Licht und Waffen vergönnt, wenn anders der Fremde in der That zu einer Gattung Wesen gehörte, welche Waffen fürchten müssen; allein so den Absichten eines geheimnißvollen, mächtigen Wesens ausgesetzt zu seyn, das beleidigt zu haben, er sich bewußt war, – eine solche Lage zu ertragen, ohne Angst zu fühlen, erfoderte etwas mehr als Muth, oder weniger als Vernunft.