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»The time shall come when Glosters heart shall bleed
In life's last hours with horrors of the deed;
When dreary visions shall at last present
Thy vengeful image.«
William Collins: An epistle addressed to Sir Thomas Hanmer, on his edition of Shakespeare's works (1743): »Die Zeit wird kommen, wenn Glosters Herz in den letzten Stunden des Lebens bluten wird ob den Schrecken der Tat; wenn düstere Visionen endlich Dein rachsüchtiges Bild vorführen.« –
D.Hg.
Collins.
Als die Nacht von Schedonis Verhör erschien, wurde Vivaldi wiederum in den Gerichtssaal gerufen. Es wurde jetzt alles der vollen Feierlichkeit des Orts gemäß geordnet; die Mitglieder des Gerichts waren zahlreicher als bei den vorigen Verhören: die Hauptinquisitoren trugen Kleider von ganz anderm Schnitt, als wodurch sie sich zuvor auszeichneten, und ihre Turbans von besondrer Form und größerem Umfang, schienen ihren Zügen eine gewisse finstre Wildheit mitzutheilen. Der Saal war wie gewöhnlich schwarz behangen, und alle, die darin erschienen, Inquisitoren, Handlanger, Zeugen, Gefangne waren in die nämliche traurige Farbe gekleidet, welches, verbunden mit der Art von Beleuchtung durch die hoch an der gewölbten Decke befestigten Lampen und durch Fackeln, welche die Bedienten, die an den verschiednen Thüren, und an verschiednen Orten dieses unermeßlichen Saales Wache hielten, in der Hand trugen, der Versammlung ein Ansehn düstrer Feierlichkeit gab, das beinahe ans Gräßliche gränzte.
Man hatte Vivaldi einen Platz angewiesen, von wo er das ganze Tribunal übersehn, und alles unterscheiden konnte, was im Saal vorgieng. Die Gesichter aller, die gegenwärtig waren, wurden jetzt durch die Fackelträger vollkommen beleuchtet, die auf den Stufen des Gerüstes, auf welchem die drei Hauptinquisitoren erhaben saßen, zu beiden Seiten des Platzes, den die untern Mitglieder einnahmen, eine Art von Halbzirkel bildeten. Der rothe Schimmer, den die Fackeln auf die Letztern warfen, trug gewiß nicht bey, den Ausdruck ihrer Gesichter, aus denen finstre Bosheit und wilde Tücke sprach, zu mildern; Vivaldi konnte es nicht ertragen, sie nur lange hinter einander anzusehn.
Vor den Schranken des Tribunals erkannte er Schedoni, und argwöhnte nicht, daß er in ihm, einem wegen Mordes angeklagten Verbrecher – des Mordes eines Bruders und eines Weibes angeklagt, den Vater seiner Ellena di Rosalba sähe!
Nicht weit von Schedoni saß der Beichtvater Ansaldo, der römische Priester, der einen Hauptzeugen abgeben sollte, und Nicola di Zampari, den Vivaldi selbst jetzt nicht anblicken konnte, ohne etwas von dem Schauder zu empfinden, der sich seines Gemüthes bemächtigte, als er geneigt war, den Fremden mehr als eine Erscheinung aus der andern Welt, als wie einen Bewohner von dieser zu betrachten. Der nämliche wilde und unbeschreibliche Ausdruck bezeichnete noch immer seine Miene, jeden seiner Blicke und Bewegungen, und Vivaldi konnte nicht anders glauben, als daß noch sehr außerordentliche Dinge von ihm zum Vorschein kommen müßten.
Als man die Zeugen zusammen rief, sah Vivaldi, daß man ihn darunter zählte, ohngeachtet er nur Nicolas Worte wiederholt hatte, die, wie es ihm deuchte, jetzt, da Nicola selbst als Zeuge gegen Schedoni gegenwärtig war, nicht im mindesten von Wichtigkeit bei dem Verhör seyn konnten.
Als Vivaldi, sobald die Reihe an ihn kam, seinen Namen gesagt hatte, drang aus einen fernen Winkel des Saals eine Stimme hervor, und rief: »es ist mein Herr, mein lieber Herr!« und als er seine Augen nach dem Orte richtete, woher sie kam, wurde er den treuen Paulo gewahr, der mit seiner Wache kämpfte. Vivaldi rief ihm zu, er sollte geduldig seyn, und sich aller Widersetzlichkeiten enthalten; allein diese Ermahnung vermehrte nur noch sein Bestreben, sich frei zu machen; er riß sich von den Händen der Gerichtsdiener los, sprang auf Vivaldi zu, warf sich ihm zu Füßen, umfaßte schluchzend seine Knie und rief: »O mein Herr! mein Herr! habe ich Sie endlich gefunden?«
Vivaldi, den diese Zusammenkunft eben so tief als Paulo rührte, vermochte nicht sogleich zu sprechen. Doch würde er aufgestanden seyn, und seinen zärtlichen Diener umarmt laben; allein Paulo, der noch immer schluchzend an seinen Knieen hieng, war so gerührt, daß er kaum verstand, was man ihm sagte, und auf Vivaldis gütige Versicherungen und zärtliche Vorstellungen stets so antwortete, als spräche er mit den Gerichtsdienern, die ihn fortschleppen wollten.
»Bedenke deine Lage, Paulo,« sagte Vivaldi; »bedenke auch die meinige, und laß dich durch Klugheit leiten.«
»Ihr sollt mich nicht von hier wegbringen!« rief Paulo, »Ihr könnt mir das Leben nur einmal nehmen; muß ich sterben, so sey es hier.«
»Besinne dich, Paulo, und fasse dich. Dein Leben ist, wie ich hoffe, in keiner Gefahr.«
Paulo blickte auf, brach aufs neue in eine Fluth von Thränen aus, und rief einmal übers andre: »o mein Herr! mein Herr! wo sind Sie diese ganze Zeit über gewesen? Leben Sie wirklich noch? Ich glaubte, ich würde Sie nimmermehr wieder sehn! Hundertmal habe ich geträumt, daß Sie todt und begraben wären, und gewünscht mit ihnen todt und begraben zu seyn. Ich glaubte, Sie wären aus dieser Welt in die zukünftige gegangen. Ich fürchtete, Sie wären zum Himmel gegangen, und glaubte, wir würden nie wieder zusammen kommen. Aber jetzt sehe ich Sie noch einmal wieder und weiß, daß Sie leben! o mein Herr, mein Herr!«
Da die Gerichtsdiener, die Paulo gefolgt waren, sich jetzt bemühten, ihn zurückzuziehn, wurde er noch wüthender.
»Thut Euer Aergstes auf einmal,« sagte er; »allein Ihr werdet ein hartes Stückchen Arbeit finden; wenn Ihr versuchen wollet, mich von hier zu treiben, so solltet Ihr Euch lieber damit begnügen, mich auf der Stelle zu tödten.«
Die aufgebrachten Gerichtsdiener wollten mit Gewalt Hände an ihn legen, als Vivaldi sich ins Mittel legte. »Ich bitte, ich flehe Euch,« sagte er, »daß Ihr ihn bei mir laßt.«
»Es ist unmöglich,« erwiederte ein Gerichtsdiener, »das dürfen wir nicht.«
»Ich will dafür gut sagen, daß er nicht einmal mit mir reden soll, wenn Ihr ihm nur erlauben wollt, in meiner Nähe zu bleiben,« setzte Vivaldi hinzu.
»Nicht mit Ihnen reden, Herr!« rief Paulo – »nein, ich will bei Ihnen bleiben, und mit Ihnen reden, so lange ich mag, bis zu meinem letzten Athemzuge. Laßt sie ihr Aergstes auf einmal thun; ich biete ihnen allen, und allen Teufeln von Inquisitoren auf ihren Fersen dazu, Trotz, mich von hier weg zu bringen. Ich kann nur einmal sterben, und damit müssen sie zufrieden seyn – was kann ich also fürchten? – Nicht reden dürfen!«
»Er weiß nicht, was er redet,« sagte Vivaldi zu den Gerichtsdienern, während er sich bemühte, Paulo mit der Hand zum Stillschweigen zu bringen – »ich bin überzeugt daß er mir gehorsamen und gänzlich schweigen wird; oder wenn er ja dann und wann ein Wort spricht, so wird er nur ganz leise flüstern.«
»Leise flüstern!« sagte ein Officier höhnisch. »Bilden Sie sich ein, Signor, das man hier irgend Jemand erlaubt, leise zu flüstern?«
»Flüstern!« rief Paulo, »ich verachte es zu flüstern. Ich will so laut sprechen, daß jedes Wort in den Ohren aller dieser alten schwarzen Teufel auf jenen Bänken dort, wieder tönen soll; ja auch in den Ohren derer auf dem Theater hier, die so grimmig und zornig aussehn, als hätten sie Lust, uns in Stücken zu reißen. Sie –«
»Stille!« sagte Vivaldi mit Nachdruck. »Paulo, ich befehle dir stille zu seyn.«
»Sie sollen doch wissen, wie ich es meine,« fuhr Paulo fort, ohne auf Vivaldi zu achten. »Ich will ihnen sagen, was sie für alle ihre grausame Behandlung meines armen Herrn zu erwarten haben. Mich soll doch wundern, wohin sie zu kommen denken, wenn Sie sterben werden? Ob sie gleich, was das anbetrift, an keinen schlimmern Ort kommen können, als wo sie bereits sind, und ich vermuthe, das ist es auch, warum sie sich nicht fürchten, noch so ruchlos zu seyn. Sie sollen hier wenigstens einmal in Ihrem Leben ein Bischen Wahrheit hören, sie sollen wissen –«
Während dieser ganzen Rede hatte Vivaldi, um die Folgen eines so unbesonnenen, obwohl redlichen Unwillens bekümmert, alle mögliche Mühe angewandt, ihn zum Schweigen zu bringen, und er war um so mehr besorgt, weil die Gerichtsdiener nicht weiter versuchten, ihn zum Schweigen zu bringen; eine Mäßigung, die Vivaldi bloß ihrer Bosheit und dem Wunsche zuschrieb, daß Paulo sich selbst fangen möchte. Endlich verschaffte er sich Gehör.
»Ich bitte flehentlich,« sagte Vivaldi.
Paulo hielt einen Augenblick inne.
»Paulo!« versetzte Vivaldi ernsthaft, »liebst Du deinen Herrn?«
»Ob ich meinen Herrn liebe?« sagte Paulo empfindlich, ohne daß er Vivaldi seine Rede erdigen ließ. »Bin ich nicht für ihn durch Feuer und Wasser gegangen, oder was eben so gut ist, habe ich mich nicht in die Inquisition begeben, und das alles um seinetwillen? und nun muß ich mich noch fragen lassen, ob ich meinen Herrn liebe! Wenn Sie glauben, Signor, daß sonst irgend etwas auf der Welt mich in diese abscheulichen Löcher bringen könnte, so sind Sie auf ganz unrechtem Wege – und wenn Sie mir das Garaus gemacht haben werden, wie Sie wohl Willens zu seyn scheinen, so werden Sie vielleicht besser von mir denken, und mich nicht mehr in Verdacht haben, daß ich zu meinem eignen Vergnügen hier her gekommen bin.«
»Das alles mag seyn, wie Du sagst, Paulo,« erwiederte Vivaldi kalt, während es ihm schwer wurde, seine Thränen zu unterdrücken; »allein Dein unbedingter Gehorsam ist das einzige, was mich von der Aufrichtigkeit Deiner Erklärungen überzeugen kann. Ich ersuche Dich inständigst still zu schweigen.«
»Sie ersuchen mich,« sagte Paulo, »o mein theurer Herr, was habe ich verbrochen, daß es dahin kommen mußte? Mich ersuchen,« wiederholte er schluchzend.
»Du willst mir also diesen Beweis Deiner Liebe geben?« fragte Vivaldi.
»Brauchen Sie doch nie wieder solche herzbrechende Worte gegen mich, mein Herr,« erwiederte Paulo, indem er die Thränen von seinen Wangen trocknete, »keine solche herzbrechende Worte, so will ich alles thun, was Sie verlangen.«
»Du willst also thun, was ich verlange, Paulo?«
»Ja, Signor, und wenn Sie sogar verlangten, daß ich zu den Füßen des Teufels von Inquisitor dort knieen sollte.«
»Ich verlange nichts weiter, als daß Du schweigst,« erwiederte Vivaldi, »dann soll es Dir erlaubt seyn, in meiner Nähe zu bleiben.«
»Gut, Signor, ich will alles thun, was Sie mir befehlen und sage nichts weiter als –«
»Keine Sylbe, Paulo!« erwiederte Vivaldi.
»Ich wollte nur sagen, Herr –«
»Kein Wort, Paulo,« setzte Vivaldi hinzu, »sonst wirst du auf der Stelle fortgeschafft werden.«
»Es hängt nicht davon ab, daß man ihn fortschafft,« sagte einer von den Gerichtsdienern, der sein lauerndes Stillschweigen brach; »er muß gehn, und das ohne weitern Aufschub.«
»Wie, nachdem ich versprochen habe, meine Lippen nicht zu öffnen,« sagte Paulo, »verlangt Ihr zu brechen, was Ihr zugestanden habt?«
»Es ist von keinem Verlangen die Rede, und es war auch nichts zugestanden,« erwiederte der Mann mit Schärfe, »gehorcht auf der Stelle, sonst wird es schlimm mit euch aussehn.«
Die Gerichtsdiener waren gereizt, und Paulo wurde immer wüthender und lauter, bis endlich der Lärmen bis zu dem andern Ende des Saals drang; man gebot Stillschweigen, und stellte sogleich eine Untersuchung über die Ursache dieses Aufruhrs an. Die Folge davon war ein Befehl, daß Paulo sich von Vivaldi fortbegeben sollte; allein er fürchtete in diesem Augenblick kein größeres Uebel, und erklärte dem Tribunal seine Weigerung mit eben so wenig Umständen, als er sie zuvor dem Gericht erklärt hatte.
Endlich traf man nach vieler Schwierigkeit eine Art von Uebereinkunft, und Paulo, den sein Herr endlich zur Willfährigkeit brachte, erhielt die Erlaubniß in einiger Entfernung von ihm zu bleiben.
Bald darauf nahm das Verhör seinen Anfang. Der Beichtvater Ansaldo, und Pater Nicola traten als Zeugen auf, so wie auch der römische Priester, der dabei gegenwärtig war, als der sterbende Mörder seine Aussage ablegte. Man hatte ihn besonders ins Verhör genommen, und er legte ein klares und befriedigendes Zeugniß über die Aechtheit des von Nicola vorgezeigten Papiers ab. Noch mehrere Zeugen waren herbeigerufen worden, die Schedoni nicht zu finden erwartet hatte.
Der Beichtvater trat mit ruhiger Miene herein. Seine Fassung blieb unverändert, als der römische Priester herbeigeführt wurde. Bei der Erscheinung eines andern Zeugen aber schien sie ihn zu verlassen. Ehe man indessen diesen Zeugen auffoderte, wurde die Aussage des Mörders öffentlich verlesen, worin folgende Thatsachen enthalten waren: Der Schluss lautet im Original: »Diese Ausführungen gaben in aller Kürze die wichtigsten Fakten an, die im Folgenden etwas ausführlicher erzählt werden.« Und der folgende Absatz beginnt im Original mit »It appeared, that« …: »Allem Anschein nach …« Die darauf im Original folgenden Anführungszeichen, die sich von Absatz zu Absatz wiederholen, sind hier im Sinne des Erzählerberichts fortgelassen. – D.Hg.
Im Jahr 1742 machte der verstorbene Graf Bruno eine Reise nach Griechenland, die sein Bruder, der gegenwärtige Beichtvater, lange erwartet und zu benutzen beschlossen hatte. Obgleich eine strafbare Leidenschaft Schedonis finstrer Seele zuerst den barbarischen Plan eingab, der seinen Bruder vernichten sollte, so trafen doch viele Umstände und Rücksichten zusammen, ihn zur Ausführung zu treiben. Das Betragen des verstorbenen Grafen, so vernünftig es auch war, erregte seinen Haß, weil es seinen eignen selbstsüchtigen Absichten widersprach. Schedoni, der als jüngerer Bruder seiner Familie damals den Titel Graf di Marinelli führte, hatte sein kleines Erbtheil frühzeitig verschleudert. Die Noth, statt ihm Klugheit zu lehren, hatte ihn nur zur Verstellung aufgemuntert, und reizte ihn, in eben den Ausschweifungen, die ihn darein gestürzt hatten, eine Zuflucht für den Augenblick zu suchen. So beschränkt auch die Vermögensumstände des Grafen Bruno waren, hatte er doch seinen Bruder häufig mit Geldsummen unterstützt, bis er endlich, da er fand, daß bei Marinelli alle Besserung verloren war, und daß er die Summen, welche Bruno seinen eignen Bedürfnissen entzog, ohne Ueberlegung verschwendete, ihm alle weitere Hülfe bis auf das, was er zu seinem Lebensunterhalt unumgänglich brauchte, versagte.
Es würde einem gutdenkenden Gemüth schwer seyn zu begreifen, wie ein so vernünftiges Betragen in irgend einer Brust Haß erregen, oder wie der Eigennutz den Verstand so weit verfinstern kann, daß Marinelli, den wir in Zukunft wiederum Schedoni nennen wollen, einen Haß auf seinen Bruder warf, weil er nicht, um seinen Ausschweifungen freies Feld zu lassen, sich selbst zu Grunde richten wollte. Schedoni nannte die Klugheit, welche Brunos Lage nothwendig machte, Niederträchtigkeit und kalte Fühllosigkeit gegen Anderer Wohlergehn, und fand Gründe darin, den Haß, den er schon gegen seinen Bruder im Herzen trug, zu rechtfertigen, ohne zu fühlen, daß die Niederträchtigkeit und Härte, welche er seinem Bruder Schuld gab, in der That Züge seines eignen Charakters waren, die sich selbst in den Gründen darlegten, welche er gegen seinen Bruder anführte.
Der auf solche Art entstandene Zwiespalt wurde durch unzählige Umstände genährt, und durch Neid, die niedrigste und bösartigste der menschlichen Leidenschaften zur Reife gebracht – durch Neid über die Vorzüge, womit Bruno beglückt war, das heißt, unverschuldete Güter und ein schönes Weib, wurde er gereizt, die That zu begehn, wodurch diese Güter ihm selbst zufallen sollten. Spalatro, dessen er sich zu diesem Zweck bediente, war ihm wohl bekannt, und er fürchtete sich nicht, die Vollbringung des Verbrechens diesem Manne anzuvertrauen, der eine kleine Wohnung am Ufer des Adriatischen Meeres kaufen, und mit einem bestimmten Jahrgeld daselbst leben sollte; die verfallne Wohnung, wohin Ellena gebracht wurde, war für ihn gemiethet worden, weil die einsame Lage derselben Schedonis Absichten angemessen war.
Schedoni, der von allen Schritten Brunos genau unterrichtet war, gab Spalatro von Zeit zu Zeit genaue Nachricht, wo er sich befand, und dieser Bösewicht überfiel ihn mit einem seiner Kameraden, als er auf seiner Rückreise von Ragusa bis Manfredonia über das Adriatische Meer gegangen war, und eben die Wälder des Garganus betrat. Sie schossen auf den Grafen und seine Begleiter, die nur aus einem Bedienten und einem Bauern, der ihnen den Weg zeigte, bestanden, und im dicken Gebüsch verborgen, wiederholten sie mit Sicherheit den Angriff. Der Schuß traf nicht gleich, und der Graf, der sich umsah, um seinen Feind zu entdecken, schickte sich zur Vertheidigung an; allein die Schüsse folgten einender so schnell, daß endlich sowohl di Bruno als sein Bedienter, mit Wunden bedeckt, fielen. Der Wegweiser nahm die Flucht.
Die unglücklichen Reisenden wurden von ihren Mördern auf der Stelle begraben: allein es sey nun, daß der Argwohn, der stets mit dem Bewußtseyn der Schuld verbunden ist, Spalatro antrieb, sich vor der Möglichkeit sicher zu stellen, jemals von den Mitschuldigen seines Verbrechens verrathen zu werden, oder was sonst sein Bewegungsgrund seyn mochte; er kehrte allein in den Wald zurück, und trug, unter dem Schutze der Nacht, die Leichname in eine Grube, die er unter dem Flur des Hauses, das er bewohnte, im Voraus gegraben hatte, um alle Beweise auf die Seite zu schaffen, wenn es ja seinem Mitschuldigen einmal einfallen sollte, der Gerechtigkeit den Ort anzuzeigen, wo er ihm Brunos verstümmelte Ueberreste niederlegen half.
Schedoni ersann eine glaubhafte Geschichte von dem Schiffbruch seines Bruders auf dem asiatischen Meer, und vom Untergange des ganzen Schiffsvolkes, und da Niemand außer den Mördern um die wahre Ursache seines Todes wußte, denn der Wegweiser, der die Flucht ergriffen hatte, und die Leute in der einzigen Stadt, durch die er gekommen war, seit er ans Land stieg, wußten nicht einmal Brunos Namen, so war folglich kein Umstand vorhanden, der seine Aussage widersprechen konnte. Sie wurde allgemein geglaubt, und selbst die Witwe des Grafen setzte vielleicht niemals einen Zweifel in die Wahrheit, oder wenn ja nach ihrer gezwungnen Heirath mit Schedoni sein Betragen einigen Verdacht erweckte, so war er doch zu wenig bestimmt, um ernstliche Folgen nach sich zu ziehn.
Während Spalatros Beichte abgelesen wurde, und besonders beim Schlusse derselben war Schedonis Ueberraschung und Schrecken zu groß, um sich verbergen zu können, und es machte nicht den kleinsten Theil seiner Verwunderung aus, daß Spalatro nach Rom gekommen seyn sollte, um diese Aussagen abzulegen; allein weiteres Nachdenken brachte ihn auf eine Vermuthung der Wahrheit.
Die Nachricht, welche Spalatro von der Ursache seiner Reise nach Rom gab, war, dass er kürzlich in der Meinung, daß Schedoni sich zu Rom aufhielt, ihm dahin gefolgt sey, um durch ein Bekenntniß seiner Verbrechen und durch Entdeckung derjenigen, die Schedoni begangen, sein Gewissen zu erleichtern. Dieses war indessen nicht so eigentlich der Wahrheit gemäß. Spalatros Absicht war, Geld von dem schuldigen Beichtvater zu erpressen, eine Absicht, wovor dieser so wie vor allen andern nachtheiligen Folgen sich geschützt zu haben meinte, indem er seinen Mitschuldigen über den Ort seines Aufenthalts irre leitete: er sah nicht vorher, daß eben der Kunstgriff, wodurch er, um ihn aufzusuchen, diesen Menschen nach Rom statt nach Neapel führte, das Mittel seyn würde, seine Verbrechen an den Tag zu bringen.
Spalatro war Schedonis Spur bis zu der Stadt, wo er am ersten Abend seiner Reise übernachtete, gefolgt, und hatte die Villa di Cambrusca erreicht, als er den Beichtvater herannahen sah, und sich in den Ruinen zu verbergen suchte. Die Ursache, warum er sich hütete, bemerkt zu werden, hatte zu dem Verdacht beigetragen, und begünstigte ihn noch, daß er Schedoni nach dem Leben trachtete, der sich vor einem Mörder gerettet zu haben glaubte, als er ihn verwundete. Doch waren Spalatros Wunden nicht so schwer, daß sie ihn verhindert hätten, seine Reise nach Rom, von der Stadt aus, fortzusetzen, wo sich der Weg trennte, der Schedoni nach Neapel führte.
Die Ermüdung einer langen, meistens zu Fuß zurückgelegten Reise zog dem verwundeten Spalatro ein Fieber zu, das seiner Reise und seinem Leben zugleich ein Ende machte, und er entlastete in seinen letzten Stunden sein Gewissen durch ein volles Bekenntniß seiner Schuld. Der Priester, den man zu ihm rief, erschrack über den wichtigen Inhalt seiner Beichte, die eine noch lebende Person betraf, und rief einen Freund zum Zeugen herbei. Dieser Zeuge war der Pater Nicola, Schedonis ehemaliger Vertrauter, der Bösartigkeit genug besaß, sich über jede Entdeckung zu freuen, wodurch er einen Mann strafen konnte, dessen wiederholte Versprechungen ihm nichts als vereitelte Erwartungen einbrachten.
Schedoni sah nunmehr, daß alle seine Absichten gegen Spalatro fehl geschlagen waren, und er hatte mehr im Schilde geführt, als bis jetzt erzählt worden ist. Man wird sich erinnern, daß der Beichtvater beim Abschiede seinem Wegweiser, dem Bauern, einen Dolch gab, um sich, wie er sagte, gegen Spalatros Angriff zu vertheidigen, im Fall er ihm unterwegens begegnete. Die Spitze dieses Dolches war in Gift getaucht, so daß die leichteste Verwundung schon genug war, den Tod herbeizuführen. Schedoni hatte seit mehrern Jahren aus Ursachen, die ihm allein bekannt waren, ein solches vergiftetes Werkzeug bei sich geführt. Er hatte gehoft, daß, wenn der Bauer Spalatro träfe, und gereizt würde, sich zu vertheidigen, dieser Dolch dem Leben seines Mitschuldigen ein Ende machen, und ihn vor aller Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, sichern würde, da der andre Mörder, dessen er sich bedient hatte, schon seit mehrern Jahren gestorben war. Diese List schlug in jedem Betracht fehl; der Bauer sah Spalatro nicht einmal, und ehe er seine Heimath erreichte, verlor er zu gutem Glück den fatalen Dolch, den Schedoni ihm gerne würde gelassen haben, um sich vielleicht über kurz oder lang selbst damit einen Schaden zuzufügen, der ihn außer Stand setzte, ferner von Umständen Erwähnung zu thun, die ihm bekannt zu seyn schienen. Der Dolch, den er nicht ordentlich an seiner Kleidung befestigen konnte, war zur Erde gefallen, und wurde von dem Strome fortgeschwemmt, über den er in diesem Augenblicke gieng.
Allein, wenn Schedoni über das Bekenntniß des Mörders erschrack, so war sein Entsetzen noch weit größer, als ein neuer Zeuge zum Vorschein gebracht wurde, und er einen alten Bedienten aus seinem Hause erkannte. Dieser Mensch erklärte Schedoni für den Grafen Fernando di Bruno, bei dem er nach dem Tode des Grafen seines Bruders als Bedienter gelebt hatte; er bekräftigte nicht nur Schedonis Person, sondern auch den Tod der Gräfin, seiner Frau. Giovanni erklärte, daß er einer von den Bedienten gewesen sey, die sie nach ihrem Zimmer bringen halfen, nachdem sie von Schedonis Dolche getroffen war, und daß er nachher ihre Leiche nach der Santa del Miracoli, einem Kloster nicht weit von di Brunos damaligem Aufenthalte begleiten half. Er bestätigte ferner, die Aerzte hätten berichtet, ihr Tod sey eine Folge der Wunde, die sie empfangen hatte, und bezeugte, daß sein Herr unmittelbar nach der Ermordung der Gräfin entflohen, und seitdem nie wieder auf seinem Gute erschienen sey.
Ein Inquisitor fragte, ob die Verwandten der verstorbenen Gräfin keine Maasregeln ergriffen hätten, den Grafen zu belangen?
Der Zeuge antwortete: man hätte sich lange Zeit bemüht, des Grafen Aufenthalt zu erforschen; allein er wäre aller Entdeckung völlig entwichen, und man hätte folglich nichts weiter in der Sache gethan. Diese Antwort schien nicht zu befriedigen. Das Tribunal schwieg und besann sich; der Groß-Inquisitor redete darauf den Zeugen an:
»Wie könnt Ihr wissen, daß die Person hier vor Euch, die sich Pater Schedoni nennt, der Graf di Bruno, euer voriger Herr ist, wenn Ihr ihn in dem langen Zwischenraum von Jahren, deren Ihr erwähnt, nie gesehn habt?«
Giovanni antwortete, ohne sich zu besinnen: obgleich die Jahre an den Zügen des Grafen genagt hätten, so habe er sich doch den Augenblick, wie er ihn gesehen, seiner erinnert; er erinnere sich nicht nur des Grafen, sondern auch der Person des Beichtvaters Ansaldo, den er häufig in di Brunos Hause gesehn hätte, obgleich auch sein Ansehn durch die Zeit und durch die geistliche Kleidung, die er trüge, sehr verändert wäre.
Der Groß-Inquisitor schien noch immer an dem Zeugnisse dieses Mannes zu zweifeln, bis Ansaldo selbst, da er aufgefodert wurde, sich erinnerte, daß er ein Bedienter des Grafen gewesen sey, ob er gleich der Person des Grafen selbst sich nicht erinnern konnte.
Der Groß-Inquisitor merkte an, es sey besonders, daß er sich des Gesichtes des Bedienten erinnerte, und doch den Herrn vergessen hätte, mit dem er lange im vertraulichen Umgange lebte. Ansaldo erwiederte hierauf, daß Schedonis stärkere Leidenschaften mit seiner besondern Lebensart zusammen genommen, wohl eine größere Veränderung in seinen Zügen hätten hervorbringen können, als Giovannis Lage und Charakter auf den seinigen zugelassen.
Schedoni erblaßte nicht ohne Grund bei dem Anblick dieses Bedienten, dessen ferneres Zeugniß einigen andern Punkten der Aussage solches Gewicht und Klarheit ertheilte, daß das Gericht über Schedoni als den Mörder seines Bruders des Grafen, das Urtheil aussprach, und da diese erste Anklage hinreichte, ihn zum Tode zu verdammen, so schritten sie nicht weiter zur zweiten, die seine Gemahlin betraf.
Die Bewegung, welche Schedoni beim Anblick des letzten Zeugen und während des Verhörs des zweiten verrieth, verschwand, sobald sein Schicksal entschieden war, und als das schreckliche Urtheil des Gesetzes ausgesprochen wurde, machte es keinen sichtlichen Eindruck auf ihn. Von diesem Augenblick an verließ seine Festigkeit oder Verhärtung ihn nicht mehr.
Vivaldi, der ein Zeuge dieses Urtheils war, schien unendlich mehr dadurch gerührt als Schedoni selbst; und ob ihm gleich, als er die Umstände von Pater Nicolas Aufforderung angab, die in der That zur Entdeckung von Schedonis Verbrechen führten, keine Wahl übrig gelassen wurde, so fühlte er sich doch in der That in diesem Augenblick so unglücklich, als hätte er wirklich gegen das Leben eines Mitgeschöpfes ein Zeugniß abgelegt: was würde er vollends empfunden haben, wenn er gewußt hätte, daß dieser auf solche Art verurtheilte Schedoni der Vater von Ellena di Rosalba sey!
Bald war es ihm bestimmt, auch dieses zu erfahren. Eine von Schedonis mächtigsten Leidenschaften zeigte sich auch bei diesem Auftritt und als er beim Herausgehn aus dem Gerichtssaal an Vivaldi vorbei kam, warf er ihm die Worte zu: Du hast den Vater von Ellena di Rosalba in mir ermordet!
Nicht in der Hoffnung, daß Vivaldis Vermittelung, der selbst noch Gefangner war, einen Ausspruch der Inquisition nur im mindesten mildern könnte, sagte er dieß, sondern blos um sich, wegen des Uebels, welches Vivaldis Zeugniß hatte herbei führen helfen, zu rächen, und ihm durch diese Nachricht eine tiefe Wunde zu schlagen. Der Versuch gelang nur zu wohl.
Anfangs zwar hielt Vivaldi diese Worte nur für die verzweifelte Aeußerung eines Mannes, der seine letzte Möglichkeit, der Strenge des Gesetzes zu entwischen, auf ihn gründete; er vergaß bei Ellenas Namen alle Vorsicht, und verlangte laut ihren Zustand zu wissen. Schedoni warf ein schreckliches Lächeln des Triumphs und der Schadenfreude auf ihn, und wollte, ohne zu antworten, weiter gehn; allein Vivaldi, der diesen Zustand der Ungewißheit nicht zu ertragen vermochte, bat das Tribunal um Erlaubniß, einige Augenblicke mit dem Gefangnen zu sprechen; eine Bitte, die ihm mit vieler Schwierigkeit und nur unter der Bedingung, daß das Gespräch öffentlich gehalten werden sollte, gewährt würde.
Auf Vivaldis Fragen über Ellenas Zustand, erwiederte Schedoni nichts weiter, als daß sie seine Tochter sey, und der Ernst, womit er dieses zu wiederholten malen versicherte, erregte bei Vivaldi quälende Angst und Zweifel, obgleich es ihn nicht von der Wahrheit überzeugte; als aber der Beichtvater, welcher fühlte, wie klug es seyn wurde, Vivaldi den Ort ihres Aufenthalts zu entdecken, seine Rachbegierde sänftigte, um sich die Verwendung seiner Familie zu sichern, und das Kloster Santa della Pieta als ihren gegenwärtigen Zufluchtsort nannte, überwältigte die Freude über diese Nachricht auf eine Zeitlang jede andre Betrachtung.
Die Gerichtsdiener machten indessen diesem Gespräch ein plötzliches Ende. Schedoni wurde in seine Zelle zurückgeführt, und Vivaldi bald darauf in seinen vorigen engen Verhaft gebracht.
Paulo gerieth aufs neue in Wuth, als er von seinem Herrn getrennt werden sollte, bis dieser, nachdem er das Gericht um die Gesellschaft seines Bedienten gebeten, und eine abschlägige Antwort erhalten hatte, die Heftigkeit seiner Verzweiflung zu stillen suchte. Der arme Paulo fiel seinem Herrn zu Füßen, und vergoß Thränen, äußerte aber keine Klagen weiter. Als er aufstand, richtete er schweigend seine Augen auf Vivaldi, und sie schienen zu sagen: Theurer Herr, ich werde dich nie wieder sehen! – und mit diesem traurigen Ausdruck fuhr er fort, ihn anzustaunen, bis er den Saal verlassen hatte.
So mancherlei Ursachen zur Traurigkeit Vivaldi auch hatte, konnte er es doch nicht ertragen, den mitleidsvollen Blicken dieses armen Menschen zu begegnen, und zog seine Augen von ihm ab; allein bei jedem neuen Schritte, den er that, begegneten sie stets seinem treuen Diener, bis die Thüren ihn von seinem Anblick ausschlossen.
Als Vivaldi den Saal verlassen hatte, that er, obwohl ohne Hoffnung, den Gerichtsdienern neue Bitten wegen Paulos; ersuchte sie, mit den Personen, welche die Wache über ihn hätten, zu sprechen und sie zu bewegen, ihm alle mögliche Nachsicht wiederfahren zu lassen.
»Es kann ihm keine andre Nachsicht vergönnt werden,« erwiederte einer dieser Leute, »außer Brot und Wasser und die Freiheit, in seiner Zelle auf- und abzugehn.«
»Keine andre!« sagte Vivaldi.
»Keine,« erwiederte der Gerichtsdiener. »Dieser Gefangne war schon einmahl nahe dabei, einen von seinen Wächtern in die Falle zu locken: denn auf eine oder die andre Art hatte er ihn so beschwatzt und so gewonnen; (es war nämlich einer, der noch neu ist) daß der Mensch ihm ein Licht und Feder und Dinte haben ließ; allein glücklicherweise kam es heraus, ehe noch ein Unheil damit angestiftet war.«
»Und was ist aus diesem ehrlichen Kerl geworden?« fragte Vivaldi.
»Ehrlich! er war nicht sogar ehrlich, Signor, weil er seine Pflicht nicht besser in Acht nahm.«
»Er wurde doch nicht bestraft?«
»Nein, Signor,« erwiederte der Mann, der still stand, und den langen Gang zurücksah, ob auch Niemand sein Gespräch mit einem Gefangnen bemerkte; »nein, Signor, es war ein junger Bursch, und so ließen sie ihn für dasmal laufen, und setzten ihn zur Wacht über einen Gefangnen, der nicht so voll loser Streiche war.«
»Paulo hatte ihn vielleicht zu lachen gemacht?« fragte Vivaldi. »Worin bestanden denn seine losen Streiche?«
»Zu lachen; Signor, nein, es machte ihn zu weinen, und das war eben so schlimm.«
»Ja wahrhaftig!« sagte Vivaldi, »dieser Mensch muß also nur sehr kurze Zeit hier gewesen seyn?«
»Nicht länger als einen Monat, oder so ungefähr, Signor.«
»Allein die losen Streiche, wovon Ihr sprachet. Worin bestanden doch die? – wohl in einem Dukaten oder so etwas?«
»Ein Dukaten,« rief der Mann; »nein, wahrlich nicht ein Schilling!«
»Wißt Ihr das so gewiß,« versetzte Vivaldi schalkhaft.
»O ja, gewiß genug. Dieser Kerl hat keinen Dukaten in seinem ganzen Vermögen!«
»Aber sein Herr hat es,« sagte Vivaldi mit sehr leiser Stimme, indem er ihm etwas Geld in die Hand gab.
Der Gerichtsdiener gab keine Antwort, brachte aber das Geld in Sicherheit, und es wurde nichts weiter gesagt.
Vivaldi hatte diese Bestechung ausgetheilt, um seinem Bedienten etwas gütigere Behandlung zu verschaffen, keineswegs aber aus Rücksicht für sich selbst; denn seine eigne mißliche Lage beschäftigte jetzt seine Gedanken nicht mehr. Sein Gemüth wurde von den entgegengesetztesten Regungen seltsam zerrissen. – Freude über die Entdeckung, daß Ellena in Sicherheit sey, und ein schrecklicher Verdacht, den Schedonis Behauptung seiner nahen Verwandtschaft mit ihr erzeigte. Daß seine Ellena die Tochter eines Mörders war; daß Ellenas Vater einen schimpflichen Tod erleiden sollte; und daß er selbst, wenn gleich unabsichtlich zu dieser Katastrophe beigetragen hatte, waren zu schreckliche Betrachtungen. Schedoni suchte ihnen durch verschiedene Vermuthungen über die Gründe, welche Schedoni konnten bewogen haben, hier eine Falschheit zu behaupten, zu entfliehen; allein er fand keinen Grund außer vielleicht den Wunsch, sich an ihm zu rächen; und selbst diese Vermuthung verlor sich, wenn er bedachte, daß Schedoni ihn von Ellenas Sicherheit versichert hatte; eine Versicherung, die Schedoni ihm gewiß nicht würde gegeben haben, wenn er boshaft gegen ihn gesinnt gewesen wäre. –
So dachte Vivaldi, weil er auf die eigennützigen Bewegungsgründe nicht fiel, die Schedoni zu dieser Aeußerung bewegten. Allein vielleicht war selbst diese Nachricht, worauf sein ganzer Trost beruhte, falsch und von ihm nur gegeben, um den Schmerz, den die Entdeckung der Wahrheit verursachen mußte, zu schärfen. Mit einer innern Angst, die ihm beinahe alle Kraft zu denken raubte, gieng er jede noch so geringfügige Wahrscheinlichkeit durch, die hiemit in Beziehung stand, und endigte damit zu glauben, daß Schedoni wenigstens in diesem letzten Punkte die Wahrheit gesagt hatte.
Ob er auch in seiner ersten Behauptung die Wahrheit geredet hatte, war eine Frage, die in Vivaldis Gemüthe einen Tumult von Vermuthungen und Entsetzen erregte: denn in eben dem Augenblick, wo er die Sache für zu erstaunlich hielt, um Glauben zu verdienen, war sie ihm auch zu schrecklich, um sie nicht selbst als Möglichkeit zu fürchten.