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»Your's in the ranks of death.« König Lear IV, 2: »Der Eurige bis in den Tod.« – D.Hg.
Shakespeare.
Beinahe drei Wochen waren seit des Marquis Ankunft zu Rom verstrichen, und noch hatte die Inquisition keine entscheidende Antwort auf sein Gesuch ertheilt, als er und Vivaldi zu gleicher Zeit eine Auffoderung erhielten, den Pater Schedoni in seinem Kerker zu besuchen. Es war dem Marquis äußerst schmerzhaft, den Mann zu sehen, der seiner Familie so viel Leiden verursacht hatte; allein er durfte diese Zusammenkunft nicht ablehnen. Um die bestimmte Stunde verfügte er sich nach Vivaldis Gefängniß, und sie giengen, von zwei Gerichtsdienern begleitet, mit einander zu Schedoni.
Während sie an der Thüre des Gefangenzimmers warteten, bis die unzähligen Riegel und Schlösser geöffnet waren, kehrte die Bewegung, die Vivaldi empfunden hatte, als er die Auffoderung erhielt, mit verdoppelter Stärke zurück – er stand jetzt im Begriff, noch einmal diesen elenden Mann zu sehn, der sich den Vater von Ellena di Rosalba nannte. Der Marquis hatte Empfindungen von ganz andrer Art, und es mischte sich in seine Abneigung, Schedoni zu sehn, eine gewisse Neugierde über die Ursache dieser Auffoderung.
Nachdem die Thüre geöffnet war, traten zuerst die Gerichtsdiener herein, und der Marquis und Vivaldi, die ihnen folgten, entdeckten den Beichtvater, der auf einer Madratze lag. Er stand nicht auf, um sie zu empfangen.; als er aber den Kopf aufrichtete und sich verneigte, schien sein Gesicht vermöge des wenigen Lichts, das durch das dreifache Gitter seines Kerkers schimmerte, geistermäßiger als gewöhnlich; seine Augen waren hohl, und seine zusammengeschrumpften Züge schienen bereits vom Tode gefärbt zu seyn. Vivaldi seufzte tief, als er ihn ansah, und wandte das Gesicht ab; bald aber gewann er die Herrschaft über sich selbst wieder und näherte sich dem Lager.
Der Marquis, jede Regung von Unwillen gegen einen Feind, der in diesen kläglichen Zustand gerathen war, unterdrückend, fragte, was er ihnen mitzutheilen hätte?
»Wo ist Pater Nicola,« sagte Schedoni zu einem Gerichtsdiener, ohne auf die Frage zu achten, »ich sehe ihn nicht hier. Ist er sobald fortgegangen, und ohne die Ursache meiner Auffoderung gehört zu haben? Laßt ihn rufen.«
Der Gerichtsdiener sagte etwas zu einer Schildwache, die sogleich das Zimmer verließ.
»Wer sind diese hier um mich?« sagte Schedoni. »Wer ist der, welcher zum Fuße des Bettes steht?«
Während er sprach, richtete er seine Augen auf Vivaldi, der in tiefer Niedergeschlagenheit und in Gedanken verloren da stand, bis er, durch Schedonis Stimme aufgeregt, antwortete:
»Ich bin es, Vincentio di Vivaldi. Ich gehorche Ihrer Auffoderung und frage nach der Ursache derselben?«
Der Marquis wiederholte die Frage. Schedoni schien nachzudenken; zuweilen richtete er seine Augen einen Augenblick auf Vivaldi, und wenn er sie zurückzog, schien er in tiefere Niedergeschlagenheit zu versinken. Als er sie noch einmal aufschlug, nahmen sie einen besondern Ausdruck von Wildheit an, hefteten sich dann gleichsam als auf einen leeren Raum, und ein plötzlicher Strahl schoß aus ihnen hervor, während er sagte:
»Wer ist das, der in der Dunkelheit dort hingleitet?«
Seine Augen giengen über Vivaldi weg, und dieser sah, als er sich umdrehte, den Mönch hinter ihm gehn.
»Ich bin hier,« sagte Nicola, »was verlangt ihr von mir?«
»Daß Ihr die Wahrheit dessen, was ich erklären werde, bezeuget,« erwiederte Schedoni.
Nicola und ein Inquisitor, der ihn begleitet hatte, stellten sich sogleich an eine Seite des Bettes, während der Marquis an die andre trat. Vivaldi blieb am Fuße stehn.
Schedoni fieng nach einer Pause an:
»Was ich jetzt bekannt zu machen habe, betrifft die Kabbale, welche dieser Pater Nicola und ich vor einiger Zeit gegen die Ruhe eines unschuldigen jungen Mädchens geschmiedet haben, das er auf mein Anstiften niederträchtiger Weise hintergangen hat.«
Bei diesen Worten versuchte Nicola den Beichtvater zu unterbrechen; allein Vivaldi hielt ihn zurück.
»Ellena di Rosalba ist Ihnen bekannt?« fuhr Schedoni fort, indem er sich zu dem Marquis wandte.
Vivaldis Gesicht veränderte sich, als er so plötzlich Ellena nennen hörte; allein er schwieg.
»Ich habe von ihr gehört,« erwiederte der Marquis kalt.
»Und Sie haben falsch von ihr gehört,« versetzte Schedoni. »Schlagen Sie die Augen auf, gnädiger Herr, und sagen Sie, ob Sie sich dieses Gesichtes nicht erinnern?«
Er deutete auf Nicola. ö
Der Marquis betrachtete den Mönch aufmerksam: »Es ist ein Gesicht, das man nicht leicht vergißt,« erwiederte er; »ich erinnere mich, es mehr als einmal gesehn zu haben.«
»Wo haben Sie ihn gesehn, gnädiger Herr?«
»In meinem eignen Pallaste zu Neapel, und Sie selbst führten ihn dort bei mir ein.«
»Das that ich,« erwiederte Schedoni.
»Warum schuldigen Sie ihn denn jetzt der Falschheit an,« bemerkte der Marquis, »da Sie eingesehen, daß Sie selbst der Anstifter seines Betragens sind?«
»O Himmel,« rief Vivaldi, »dieser Mönch, diese Pater Nicola also ist, wie ich argwöhnte, der Verläumder von Ellena di Rosalba!«
»Allerdings,« versetzte Schedoni, »und in der Absicht, um sie zu rechtfertigen –«
»Und Sie bekennen sich selbst für den Urheber dieser infamen Verläumdungen,« unterbrach ihn Vivaldi mit Heftigkeit »Sie, der sich erst kürzlich für ihren Vater erklärt hat!«
In dem Augenblick, wo Vivaldi diese Worte gesagt hatte, fühlte er seine Unvorsichtigkeit; denn bis jetzt hatte er vermieden, den Marquis zu benachrichtigen, daß Schedoni Ellenen für seine Tochter erklärt hatte. Diese unvorbereitete Entdeckung und in einem solchen Augenblick konnte, wie er sogleich fühlte, seinen Hoffnungen schädlich seyn, und es ließ sich nicht vermuthen, daß der Marquis das Versprechen, welches er seiner sterbenden Gemahlin gegeben hatte, so feierlich es auch seyn mochte, unter so besondern und unvorhergesehenen Umständen als bindend betrachten würde.
Es ist unmöglich, sich das Erstaunen des Marquis bei dieser Entdeckung vorzustellen; er sah seinen Sohn an, als wollte er eine Erklärung dessen, was er gehört hatte, fordern, und blickte dann mit erhöhtem Abscheu auf den Beichtvater: allein Vivaldi war in diesem Augenblick nicht in der Gemüthsstimmung, eine Erklärung zu geben, und bat seinen Vater, selbst seine Vermuthungen zu verschieben, bis er mit ihm allein reden könnte.
Der Marquis stand für jetzt von allem weitern Fragen ab; allein es war deutlich zu sehen, daß seine Meinung und sein Entschluß über Vivaldis Heirath bereits gefaßt war.
»Sie also sind der Urheber dieser Verläumdungen!« wiederholte Vivaldi.
»Hören Sie mich,« rief Schedoni, mit einer Stimme, welche die Stärke seiner Empfindung, die mit seinem schwachen Zustande stritt, hohl und schrecklich machte. »Hören Sie mich!«
Er hielt inne, unvermögend sich sogleich von der Gewalt, die er sich angethan hatte, zu erholen. Endlich fuhr er fort:
»Ich habe erklärt, und fahre fort zu erklären, daß Ellena di Rosalba, wie sie, ich beschwöre es, blos um sie vor ihrem unwürdigen Vater zu verheelen, genannt wurde, meine Tochter ist!«
Vivaldi seufzte im Uebermaaß seiner Verzweiflung, machte aber weiter keinen Versuch, Schedoni zu unterbrechen. Der Marquis verhielt sich nicht so leidend »passive«, hier: ›duldsam‹. – D.Hg..
»Deswegen also hat man mich hieher gerufen, um die Rechtfertigung Ihrer Tochter anzuhören? Meinetwegen sey diese Signora Rosalba wer sie wolle, von welcher Wichtigkeit kann es für mich seyn, ob sie unschuldig ist oder nicht!«
Vivaldi enthielt sich mit Mühe, die Gefühle zu äußern, welche diese Erklärung in ihm erregte. Schedonis ganzer Stolz schien dadurch rege zu werden.
»Sie ist die Tochter eines edeln Hauses,« sagte der Beichtvater stolz, während er sich halb von seiner Madratze aufrichtete. »Sie sehen in mir den letzten Zweig der Grafen di Bruno.«
Der Marquis lächelte verächtlich Schedoni fuhr fort.
»Ich fodre Euch auf, Nicola di Zampari, der Ihr euch bei einer frühern Gelegenheit als einen so eifrigen Anhänger der Gerechtigkeit erklärtet; ich fodre Euch jetzt auf, in diesem Falle Gerechtigkeit zu üben, und vor diesem Zeugen zu erklären, daß Ellena di Rosalba an allen Vergehungen, die Ihr vormals bei der Marquise di Vivaldi Ihr andichtetet, unschuldig ist!«
»Niederträchtiger!« sagte Vivaldi, »nehmt Ihr noch Anstand, die grausamen Verläumdungen zu widerrufen, womit Ihr ihren Namen befleckt habt, und die vielleicht auf immer ihre Ruhe zerstörten? Beharrt Ihr –«
Der Marquis unterbrach seinen Sohn –
»Laßt mich dieser Verlegenheit ein Ende machen, indem ich diese Zusammenkunft endige. Ich merke, daß meine Gegenwart wegen einer Ungelegenheit verlangt ist, die mich nichts angeht.«
Ehe der Beichtvater noch antworten konnte, hatte sich der Marquis von ihm gewandt, um das Zimmer zu verlassen; Vivaldis Heftigkeit aber hielt ihn zurück, und so vernahm er von Schedoni, daß die Rechtfertigung der unschuldigen Ellena, obwohl er sie als den Gegenstand, der ihm zunächst am Herzen lag, zuerst erwähnt hatte, nicht das Einzige war, was ihn diese Zusammenkunft suchen ließ.
»Wenn Sie so geneigt seyn wollen, auf die Rechtfertigung meines Kindes zu hören.« setzte Schedoni hinzu, »so werden Sie nachher sehen, Signor, daß, so tief ich auch gefallen bin, ich doch immer bemüht war, dem Uebel, das ich veranlaßt hatte, so viel als möglich, entgegen zu wirken. Sie werden selbst zugestehn, daß das, was ich Ihnen bekannt machen werde, von äußerster Wichtigkeit für die Ruhe des Marquis di Vivaldi ist, so hoch an Einfluß und stolz im Glück er auch jetzt scheint.«
Dieser letzte Theil der Versicherung hätte beinahe die Würkung des ersten über den Haufen gestoßen; der Stolz des Marquis schwoll hoch, er that einige Schritte nach der Thüre, kehrte aber wieder um, als ihm einfiel, daß die Sache, worauf Schedoni anspielte, vielleicht seines Sohnes Befreiung beträfe, und ließ sich gefallen anzuhören, was Nicola zu entdecken hätte.
Dieser Mönch hatte indessen überlegt, daß es nicht möglich seyn würde, sich gegen die Beschuldigung, die Rolle eines Verläumders gespielt zu haben, zu vertheidigen; allein weder Gewissensbisse, noch Reue, und eben so wenig Schedonis Auffoderung, sondern die entschloßne Art, womit Vivaldi, der keinen Zweifel in seine Schuld zu setzen schien, ihn anredete, ließ in die Gefahr fürchten, auf seiner Falschheit zu beharren. Er bekannte also, nach vielen Umschweifen, womit er sich zu vertheidigen suchte, indem er alles Gehässige des ersten Entwurfs auf den Beichtvater zu werfen suchte, daß er sich durch Schedonis arglistige Künste hätte bewegen lassen, die Leichtgläubigkeit des Marquis wegen Ellenas Aufführung zu täuschen. Er bekräftigte dieses Geständniß mit einem Eidschwur, und Schedoni, der ihm die Fragen vorlegte, trug Sorge, es ihm so vollständig und umständlich ablegen zu lassen, daß selbst der eingenommenste Zuhörer sich von der Wahrheit überzeugt fühlen mußte, und auch der Unempfindlichste sich nicht enthalten konnte, bittern Unwillen gegen den Verläumder, und Mitleid mit dem Verläumdeten zu empfinden.
Die Wirkung, die bei den gegenwärtigen Zuhörern hervorgebracht wurde, war sehr verschieden. Der Marquis hatte mit unveränderter Miene, aber tiefer Aufmerksamkeit, die ganze Erklärung angehört. Vivaldi hielt mit fester Aufmerksamkeit so begierige und finstre Blicke auf den Pater Nicola geheftet, als wollte er in seiner Seele lesen; und als der Mönch ausgeredet hatte, erhellte ein Lächeln triumphirender Freude seine Züge, als er den Marquis ansah und ein Geständniß seiner Ueberzeugung, daß man Ellena verläumdet hätte, von ihm zu fodern schien.
Der kalte Blick, den der Marquis ihm zurück gab, traf den edelmüthigen und leidenschaftlichen Vivaldi tief ins Herz; er merkte, daß sein Vater nicht nur völlig gleichgültig gegen die Ungerechtigkeit war, die ein unschuldiges hülfloses junges Mädchen erlitten hatte, sondern daß er auch ungeneigt schien, der Wahrheit Zugang zu verstatten, welche sein Urtheil ihm nicht länger zu verwerfen erlaubte.
Schedoni schien indessen beinahe unter seinem Seelenschmerz zu erliegen, und nur durch eine gewaltsame Anstrengung erhielt er sich so lange bei Kraft, um das Verhör, welches er mit Nicola anzustellen für nothwendig hielt, beendigen zu können. Als es zu Ende war, sank er auf sein Kissen zurück, und indem seine Augen sich schlossen, überzog eine so bleiche und dann wieder so gelbe Farbe, seine Züge, daß Vivaldi einen Augenblick glaubte, er stürbe; und nicht ihm allein schien es so, denn selbst ein Gerichtsdiener schien von des Beichtvaters Zustande gerührt zu werden, und war herzugetreten, um ihm beizustehn, als er seine Augen aufschloß, und wieder aufzuleben schien.
Der Marquis verlangte, ohne sich über das Geständniß des Pater Nicola auszulassen, den Aufschluß, der nach Schedonis Erklärung mit seiner Ruhe in genauer Beziehung stand. Schedoni erkundigte sich, ob ein Sekretair der Inquisition, dessen Gegenwart er sich ausgebeten hatte, um die förmliche Aussage von dem, was er erklären würde, niederzuschreiben, im Zimmer sey. Man antwortete ihm: daß der Sekretair bereits wartete; er fragte darauf, was sonst noch für Personen im Zimmer wären, und setzte hinzu, daß er einige Mitglieder der Inquisition zu Zeugen verlangte: man antworte ihm, daß ein Inquisitor und zwei Gerichtsdiener gegenwärtig wären, deren Zeugniß seiner Absicht mehr als hinlänglich sey.
Der Sekretair begehrte eine Lampe; da sie aber nicht gleich bei Hand war, wurde statt dessen eine Fackel von einer Schildwache, die dem dunkeln Gange außen wartete, gebracht, und Schedoni konnte nunmehr die verschiednen Gestalten in seiner dunkeln Kammer, so wie sie das geistermäßige Gesicht und die abgezehrte Figur des Beichtvaters erkennen. Als Vivaldi ihn jetzt bei dem stärkern Fackellicht sah, schien ihm wiederum, daß der Tod auf seinen Zügen säße.
Jedermann war nun bereit, Schedonis Erklärung zu hören: er selbst aber schien noch nicht ganz vorbereitet. Er blieb einige Augenblicke schweigend, mit verschloßnen Augen auf sein Kissen gelehnt, während die Veränderung in seinen Zügen die starke Bewegung seiner Seele verrieth. Plötzlich aber, als durch gewaltsame Anstrengung, richtete er sich halb in die Höhe, und legte ein volles Geständniß der Kunstgriffe ab, deren er sich gegen Vivaldi bedient hätte. Er erklärte sich für den ungenannten Ankläger, der ihn in das Gefängniß der Inquisition gebracht hatte, und gestand, daß die Anklage der Ketzerei, die er gegen ihn vorgebracht, falsch und boshaft sey.
Sobald Vivaldi diese Bestätigung seines Verdachtes über die Person seines Anklägers erhielt, wurde er völlig überzeugt, daß die gegen ihn eingegebne Anklage nicht dieselbe war, die man ihm in der Kapelle San Sebastian anführte, und worin Ellena mit begriffen war. Er foderte eine Erklärung dieses Umstandes; und Schedoni gestand, daß die Personen, welche ihn dort verhafteten, keine Inquisitionsbedienten waren, und daß der Verhaftsbefehl, welcher die Anklage, mit einer Nonne davon gelaufen zu seyn., enthielt, von ihm selbst geschmiedet worden sey, um die Kerls, deren er sich bediente, in Stand zu setzen, Ellenen ohne Widerspruch von den Einwohnern des Klosters, wo sie sich damals aufhielt, mit sich zu nehmen.
Auf Vivaldis Frage, warum er es für nothwendig gehalten hätte, sich einer List zu bedienen, um Ellena fortzubringen, da er sie ohne alle Umwege hätte fodern können, wenn er sie nur für seine Tochter erklärt hätte? antwortete der Beichtvater, er hätte damals von der Verwandtschaft zwischen ihnen nichts gewußt. Auf die andern Fragen aber, in welcher Absicht, und wohin Ellena fortgeschafft sey, und auf welche Art er seine Tochter in ihr erkannt hätte, schwieg Schedoni und sank von der Erinnerung, die dadurch in ihm erweckt wurde, überwältigt, zurück.
Schedonis Aussage, welche der Sekretair niederschrieb, wurde von dem Inquisitor und den gegenwärtigen Gerichtspersonen förmlich unterzeichnet, und Vivaldi sah auf solche Art seine Unschuld durch die nämliche Person gerechtfertigt, welche ihn den Gefahren der Inquisition Preis gegeben hatte. Allein die nahe Aussicht auf Befreiung, die er jetzt vor sich sah, konnte ihn nicht zur Freude reizen, da er hörte, daß Ellena die Tochter Schedonis, das Kind eines Mörders sey, den er selbst zu einem schrecklichen und schimpflichen Tode hatte führen helfen. Doch war er noch immer geneigt zu hoffen, daß Schedoni über seine Verwandtschaft mit Ellena nicht die Wahrheit gesagt haben könnte, und verlangte in Rücksicht der Zärtlichkeit, die er so lange für sie genährt hätte, eine vollständige Erläuterung der Umstände, die mit der Entdeckung ihrer Familie zusammenhiengen.
Bei dieser öffentlichen Erklärung seiner Zärtlichkeit erblickte man eine stolze Ungeduld auf des Marquis Zügen, der ihm verbot, dieser Sache weiter zu erwähnen und sich sogleich anschickte, das Zimmer zu verlassen.
»Meine Gegenwart wird hier nicht länger erfodert,« setzte er hinzu: »der Gefangne hat die einzige Nachricht, welche mir von Wichtigkeit seyn konnte, nunmehr gegeben, und in Rücksicht des Geständnisses, das er von der Unschuld meines Sohnes abgelegt hat, verzeihe ich ihm das Leiden, was seine falsche Anklage mir und meiner Familie verursachte. Das Papier, welches seine Aussage enthält, ist Ihnen anvertraut, ehrwürdiger Vater,« – indem er sich an den Inquisitor wandte, »und Sie werden aufgefodert, es auf dem Tische des heiligen Amtes niederzulegen, damit Vincentio di Vivaldis Unschuld erhelle, und er ohne weitern Verzug aus diesen Gefängnissen befreit werde. Zuvor aber verlange ich eine Abschrift dieser Erklärungen und zwar von den gegenwärtigen Zeugen unterschrieben.«
Der Sekretär erhielt Befehl sie zu schreiben, und während der Marquis auf das Papier wartete – denn er wollte das Zimmer nicht verlassen, ohne es gesichert zu haben – drang Vivaldi aufs neue mit unermüdeter Beharrlichkeit auf eine Erklärung wegen Ellenas Familie. Schedoni, der diesen Fragen nicht länger ausweichen, und eben so wenig eine umständliche Erläuterung geben konnte, ohne wenigstens zum Theil die gehässigen Absichten zu entdecken, die er und die verstorbne Marquise di Vivaldi ausgesonnen hatten, deren Tod ihm unbekannt war, beschränkte seine Erzählung darauf, daß ein Gemählde, welches sie getragen, und für ihres Vaters Bild erklärt hätte, die erste Veranlassung zur Entdeckung ihrer Familie gewesen sey.
Während der Beichtvater diese kurze Erklärung gab, stand Nicola, der sich ein wenig aus dem Zirkel zurückgezogen hatte, und starrte ihn mit der Bosheit eines Teufels an. Seine glänzenden Augen sahen eben unter dem Saum seiner Kappe hervor, während, in sein dunkles Gewand eingewickelt, die untern Züge seines Gesichtes verhüllt waren: allein die Gegend um die Augen, welche von dem vollen Schein der Fackel bestrahlt wurde, enthüllte alle schrecklichen und sprechenden Züge. Vivaldi sah, indem sein Auge auf ihn fiel, aufs neue den leibhaften Mönch von Paluzzi, und glaubte auch einen Menschen zu sehn, welcher der nämlichen Verbrechen fähig war, deren er Schedoni angeklagt hatte. In diesem Augenblicke erinnerte er sich des schrecklichen Gewandes, das man in einem Kerker der Festung entdeckt hatte, und noch mehr, er erinnerte sich der schrecklichen Umstände, die Bianchis Tod begleiteten, und der schleunigen Nachricht, die ihm der Mönch davon gab.
Da sein Verdacht wegen der Art ihres Todes jetzt neu wieder erregt wurde, beschloß er, sich, wo möglich, Aufklärung darüber zu verschaffen, und beschwor Schedoni, der bereit zum Tode verurtheilt zu werden, nichts mehr von der Entdeckung der Wahrheit, wie sie auch lauten möchte, zu fürchten hatte, alles was er von der Sache wüßte, was es auch seyn möchte, zu erklären. Er sah Nicola an, um zu beobachten, was für Würkung diese Aufforderung bei ihm hervorbringen würde; allein das Gesicht des Mönchs war so verhüllt, daß man wenig von seinem Ausdruck sehen konnte; doch bemerkte Vivaldi, daß er sein Gewand dichter um den untern Theil seines Gesichtes zog, und sogleich seine Augen von ihm auf den Beichtvater richtete.
Mit den feierlichsten Betheurungen erklärte Schedoni, daß er sowohl unwissend als unschuldig an Bianchis Tod sey.
Vivaldi fragte darauf, ›wie denn sein Gehilfe Nicola so plötzlich Nachricht von einer übrigens für ihn unbedeutenden Begebenheit hätte haben können, und warum man ihm jene Warnung gegeben hätte?‹
Nicola machte keinen Versuch Schedonis Antwort zuvorzukommen, der nach einem kurzen Stillschweigen sagte:
»Diese Warnung, junger Mann, wurde Ihnen gegeben, um Sie von den Besuchen zu Altieri abzuhalten, und diesen nämlichen Zweck hatten alle Rathschläge und Nachrichten, die Sie unter dem Schwibbogen von Paluzzi erhielten.«
»Vater,« erwiederte Vivaldi, »Sie haben niemals geliebt, sonst würden Sie sich Kunstgriffe erspart haben, die so unwürksam sind, einen Liebhaber irre zu führen oder abzuschrecken. Konnten Sie glauben, daß ein ungenannter Rathgeber mehr Einfluß auf mich haben könnte, als meine Liebe, oder daß ich mich durch solche Kunstgriffe zur Entsagung des Gegenstandes derselben könnte schrecken lassen?«
»Ich glaubte,« versetzte der Beichtvater, »daß der uneigennützige Rath eines Fremden einiges Gewicht bei Ihnen haben könnte; allein ich rechnete noch mehr auf den Eindruck von Furcht, welchen das Betragen und die anscheinende Weissagung dieses Fremden, auf ein Gemüth wie das Ihrige haben könnten, und suchte mir auf solche Art Ihre herrschende Schwäche Nutze zu machen.«
»Und was nennen Sie meine herrschende Schwäche?« sagte Vivaldi erröthend.
»Eine Empfänglichkeit, die Sie besonders geneigt zu abergläubischen Eindrücken macht,« erwiederte Schedoni.
»Wie! ein Mönch nennt Aberglauben eine Schwäche,« versetzte Vivaldi In der Vorlage »Schedoni«. – D.Hg.: »allein das bei Seite, bei welcher Gelegenheit habe ich eine solche Schwäche verrathen?«
»Haben Sie ein Gespräch vergessen, das ich einmal über unsichtbare Geister mit Ihnen führte?« sagte Schedoni.
Indem er diese Frage that, wurde Vivaldi von dem Ton seiner Stimme betroffen: sie war verschieden von seiner gewöhnlichen, daß er Schedoni aufmerksamer ansah, um sich zu vergewissern, daß er die Person war, die gesprochen hatte. Des Beichtvaters Augen waren starr auf ihn gerichtet, und er wiederholte langsam in demselben Tone:
»Haben Sie es vergessen?«
»Ich habe das Gespräch, welches Sie meinen, nicht vergessen,« erwiederte Vivaldi; »allein ich erinnre mich nicht, eine Meinung geäußert zu haben, die Ihre Behauptung rechtfertigen könnte.«
»Die Meinungen, die Sie äußerten, waren sehr vernünftig,« sagte Schedoni: »allein man sah daraus Ihre feurige Einbildungskraft, und war wohl eine heiße Einbildungskraft jemals mit der einfachen Ueberzeugung der Vernunft, oder dem Zeugniß der Sinne zufrieden? Sie schränkt sich ungern, auf die langweiligen Wahrheiten dieser Erde ein, sondern schwingt sich voll Begierde, ihre Kräfte zu erweitern und ein eignes, besonders Entzücken zu genießen, nach neuen Wundern in eine andre, selbstgeschafne Welt empor.«
Vivaldi erröthete über diesen Vorwurf, dessen Richtigkeit er jetzt einsah, und erstaunte, daß Schedoni die Beschaffenheit seines Gemüths so gut verstand, da er selbst, der seine Vermuthungen über die Sache, worauf der Beichtvater anspielte, nie zu einer festen Meinung hatte erheben können, den Hang desselben nicht gekannt hatte.
»Ich gestehe die Wahrheit Ihrer Bemerkung, so weit sie mich selbst betrift, zu,« sagte Vivaldi, »doch habe ich noch Fragen über einen weniger abstrakten Gegenstand zu thun, zu dessen Aufklärung mir das Zeugniß meiner eignen Sinne wenig hat helfen können. Wem gehörten die blutigen Kleider, die ich in dem Kerker zu Paluzzi fand, und was ist aus der Person, der sie gehörten, geworden?«
Bestürzung mahlte sich einen Augenblick auf Schedonis Zügen.
»Was für Kleider?« sagte er.
»Sie schienen einer Person zu gehören, die gewaltsamen Todes gestorben war,« erwiederte Vivaldi, »und ich entdeckte sie an einem Orte, den Ihr erklärter Gehülfe, der Mönch Nicola, zu besuchen pflegte.«
Vivaldi sah bei diesen Worten Nicola an, auf den jetzt die Aufmerksamkeit aller Anwesenden gerichtet war.
»Es waren meine eignen Kleider!« sagte dieser Mönch.
»Ihre eignen? und in solchem Zustande?« rief Vivaldi. »Sie waren mit Blut bedeckt!«
»Es waren meine eignen,« wiederholte Nicola, »und ihren Zustand hatte ich Ihnen zu verdanken. Die Wunde, die Ihr Pistol mir versetzte, war Schuld daran.«
Vivaldi erstaunte über diese scheinbare »apparent«: ›offensichtliche‹. – D.Hg. Ausrede. »Ich hatte kein Pistol,« versetzte er; »mein Degen war meine einzige Waffe!«
»Halten Sie einen Augenblick inne,« sagte der Mönch.
»Ich wiederhole, daß ich kein Schießgewehr hatte,« erwiederte Vivaldi.
»Ich wende mich an den Pater Schedoni,« versetzte Nicola, »ob ich nicht durch einen Pistolenschuß verwundet wurde.«
»An mich habt Ihr nicht länger ein Recht Euch zu wenden,« sagte Schedoni. »Warum sollte ich Euch von einem Verdachte zu befreien suchen, der Euch in einen Zustand, gleich demjenigen, wozu Ihr mich gebracht habt, versetzen könnte!«
»Eure Verbrechen haben Euch darein versetzt,« erwiederte Nicola; »ich habe nur meine Pflicht gethan, und dieß hätte auch ein Andrer ohne mein Zuthun gekonnt: – der Priester, welchem Spalatro sein letztes Geständniß ablegte.«
»Dieß ist übrigens eine Pflicht,« merkte Vivaldi an, »die ich nicht gern auf meinem Gewissen haben möchte. Sie haben das Leben Ihres vorigen Freundes verrathen, und mich gezwungen, zum Verderben eines Mitgeschöpfes beizutragen.«
»Sie haben, wie ich, einen Verderber verderben helfen,« erwiederte der Mönch. »Er hat Andern das Leben genommen, und verdient daher es wieder zu verlieren. Wenn es Ihnen indeß zum Trost gereichen kann, daß Sie keinen wesentlichen Antheil an seinem Verderben gehabt haben, so will ich Ihnen nachher Beweise dieser Versicherung geben. Es gab noch andere Mittel zu beweisen, daß Schedoni Graf Bruno war, als Ansaldos Zeugniß, ohngeachtet es mir unbekannt war, als ich Sie diesen herbey rufen ließ.«
»Hätten Sie dieses früher erklärt,« sagte Vivaldi,« so würde die Behauptung glaubwürdiger gewesen seyn. Jetzt kann ich nur vermuthen, daß Sie mich dadurch zum Stillschweigen bestechen, und mich abhalten wollen, Ihren eignen Grundsatz auf Sie anzuwenden, daß derjenige, welcher einem Andern das Leben genommen hat, sein eignes zu verlieren verdient. – Wem gehörten jene blutigen Kleider?«
»Mir selbst, ich wiederhole es,« versetzte Nicola. »Schedoni kann bezeugen, daß ich zu Paluzzi eine Wunde mit dem Pistol erhielt.«
»Unmöglich,« sagte Vivaldi, »ich war nur mit meinem Degen bewafnet!«
»Sie hatten einen Begleiter,« merkte der Mönch an, »hatte nicht dieser [ein] Schießgewehr?«
Vivaldi erinnerte sich nach einem kurzen Nachdenken, daß Paulo mit Pistolen bewafnet war, und daß er im ersten Schrecken, den des Fremden Stimme ihm verursachte, unter dem Schwibbogen von Paluzzi eine davon losschoß. Er gestand sogleich, daß er sich besänne; »allein ich hörte keinen Laut, kein Zeichen von Schmerz,« setzte er hinzu. »Zudem lagen auch die Kleider in weiter Entfernung von dem Orte, wo die Pistole losgeschossen wurde! Wie konnte eine Person mit so schwerer Verwundung, als diese Kleider verriethen, sich schweigend bis zu einem entfernten Kerker zurückziehn, oder hätte sie es gekonnt, so würde sie gewiß ihre Kleider von sich geworfen haben!«
»Das alles ist darum nicht minder wahr,« erwiederte Nicola. »Meine Entschlossenheit machte mich fähig, den Ausdruck meines Schmerzens zu unterdrücken: ich zog mich nach dem Innern der Ruinen zurück, um Ihnen zu entwischen; allein Sie verfolgten mich bis zu dem Kerker, wo ich meine entstellten Kleider abwarf, weil ich nicht damit in mein Kloster zurückzukehren wagte, und durch einen Weg davon gieng, den Sie mit alle Ihrem Scharfsinn nicht entdecken konnten. Die Leute, die bereits in der Festung waren, um Sie und Ihren Bedienten in der Nacht, wo die Signora Rosalba von Altieri weggeführt wurde, verhaften zu helfen, verschaften mir ein andres Kleid und halfen meine Wunde verbinden. Allein ob Sie mich gleich die Nacht über nicht sahen, blieb ich doch von Ihnen nicht ganz unbemerkt, denn mein Winseln drang mehr als einmal aus einer angränzenden Kammer hervor, und meine Gefährten belustigten sich sehr an der Angst Ihres Bedienten. – Sind Sie nun überzeugt?«
Vivaldi erinnerte sich des Winselns sehr deutlich, und viele Umstände von Nicolas Erzählung stimm[t]en so gut mit andern, deren er sich von dieser Nacht her erinnerte, überein, daß er nicht länger an der Wahrheit der Erzählung zweifelte.
Bianchis plötzlicher Tod erregte indeß noch immer einen Verdacht über die Ursache bei ihm; doch hatte Schedoni erklärt, daß er nicht nur unschuldig an der Ursache desselben sey, sondern sie auch nicht einmal wüßte, und da er so wenig geneigt war, seinem Helfershelfer ein günstiges Zeugniß zu geben, so ließ sich nicht vermuthen, daß er dieses behauptet haben würde, wenn er den Mönch hiebei nur irgend schuldig gewußt hätte. Daß Nicola keine andre Anreizung haben konnte, Bianchi nach dem Leben zu trachten, außer eine Belohnung, die Schedoni ihm etwan versprochen hätte, war offenbar, und Vivaldi überzeugte sich, nachdem er alle diese Umstände reiflich überlegt hatte, daß ihr Tod nur die Folge einer natürlichen Abnahme ihrer Kräfte gewesen sey.
Während dieses Gesprächs trieb der Marquis, voll Ungeduld ihm ein Ende zu machen, den Sekretair mehrmals an, zu eilen, und als er jetzt diese Bitte nochmals ernstlich wiederholte, antwortete eine andre Stimme für den Sekretair, daß er gleich fertig seyn würde. Vivaldi glaubte, diese Stimme schon vormals gehört zu haben, und als er seine Augen nach der Person richtete, die gesprochen hatte, erkannte er diesen Fremden für dieselbe Person, die ihn zuerst im Gefängniß besuchte. Da er an seiner Kleidung merkte, daß er ein Inquisitionsbedienter war, sah er nur zu gut ein, welche Absicht dieser Mensch bei seinem Besuche gehabt hatte, und daß er nur gekommen war, um ihn durch verstellte Theilnahme zum Geständniß einiger ketzerischen Meinungen zu verleiten. Vivaldi hatte wohl gehört, daß man sich solcher Verräthereien oftmals gegen angeklagte Personen bediente; allein er hatte bis jetzt, da er an sich selbst die Erfahrung gemacht, eine solche Grausamkeit nie für möglich halten können.
Bei dem Besuche dieses Menschen erinnerte er sich zugleich an den spätern, den er von Nicola erhielt, und fragte ihn, ob die Schildwachen ihn würklich in seine Zelle gelassen hätten, oder ob er auf andre Art hereingekommen sey. Der Mönch schwieg auf diese Frage; allein das Lächeln auf seinen Zügen, wenn anders eine so seltsame Verzerrung Lächeln genannt werden kann, schien zu antworten: »Glaubst du, daß ich, ein Diener der Inquisition, ihre Geheimnisse verrathen werde?«
Vivaldi ließ sich indessen nicht so leicht abschrecken, denn er wünschte zu wissen, ob die Wache, die ihrem Dienste treu zu seyn schien, der angedrohten Strafe entwischt wäre.
»Die Wache war ehrlich,« erwiederte Nicola, »forschet nicht weiter.«
»Ist das Tribunal von ihrer Redlichkeit überzeugt?«
Nicola lächelte wiederum spöttisch und erwiederte: »Es hat nie' daran gezweifelt.«
»Wie!« sagte Vivaldi, »warum wurden denn diese Leute in Verhaft genommen, wenn man nicht einmal an ihrer Treue gezweifelt hat?«
»Seyn Sie zufrieden mit der Kenntniß, welche die Erfahrung Ihnen von den Geheimnissen der Inquisition gegeben hat,« erwiederte Nicola feierlich, »und forschen Sie nicht weiter.«
»Sie hat schreckliche Geheimnisse,« sagte Schedoni, der lange geschwiegen hatte. »Wissen Sie, junger Mann, daß beinahe jede Zelle jedes Gefangenen einen verborgenen Eingang hat, durch welchen die Minister des Todes unbemerkt zu ihren Schlachtopfern gelangen können. Dieser Nicola ist jetzt einer dieser schrecklichen Boten des Todes, und ist mit allen geheimen Zugängen, die zum Morde führen, bekannt.«
Vivaldi fuhr mit Entsetzen von Nicola zurück, und Schedoni hielt inne; allein während er sprach, hatte Vivaldi wiederum die außerordentliche Veränderung in seiner Stimme bemerkt, und schauderte nicht weniger vor ihrem Ton zurück, als vor der Nachricht, die sie ihm mitgetheilt hatte. Nicola schwieg, aber seine schrecklichen Augen waren mit Rache auf Schedoni geheftet.
»Sein Amt ist kurz gewesen,« fuhr der Beichtvater fort, und richtete seine schweren Augen auf Nicola – »und sein Werk ist beinahe vollendet.«
Indem er diese letzten Worte aussprach, stammelte seine Stimme; allein der Mönch hörte sie und trat näher ans Bett, um eine Erklärung zu fodern. Ein geistermäßiges Lächeln frohlockte auf Schedonis Zügen:
»Du wirst die Erklärung nur zu bald erhalten,« sagte er.
Nicola stellte sich vor den Beichtvater und neigte seine Augenbraunen auf ihn, als wollte er ihm in der Seele forschen. Als Vivaldi Schedoni wiederum ansah, erschrack er über die plötzliche Veränderung in seinem Gesicht; doch zögerte ein schwaches Lächeln des Triumphs noch immer darauf. Während aber Vivaldi ihn noch anstaunte, wurden seine Züge plötzlich erschüttert; im nächsten Augenblick zuckte seine ganze Gestalt, und schwere Seufzer arbeiteten aus seiner Brust. Er lag sichtlich in letzten Zügen.
Vivaldis und des Marquis Schrecken, der aus dem Zimmer zu kommen suchte, war eben so groß, als die allgemeine Verwirrung, die daselbst entstand. Jedermann schien wenigstens eine augenblickliche Regung von Mitleid zu fühlen, ausgenommen Nicola, der ungerührt neben Schedoni stand, und unverwandt seine Quaalen ansah, während ein höhnisches Lächeln sein Gesicht bezeichnete.
Als Vivaldi mit Abscheu diesen Ausdruck bemerkte, fuhr ein leichtes Zucken über Nicolas Gesicht, und auch seine Muskeln schienen unter einem plötzlichen Krampfe zu arbeiten; allein diese Bewegung war nur vorübergehend und verschwand eben so schnell, als sie erschienen war. Doch wandte sich der Mönch von dem jämmerlichen Schauspiel von ihm ab, und ergriff unwillkührlich, indem er sich umdrehte, den Arm eines Andern, der neben ihm stand, und lehnte sich an seine Schulter, um sich aufrecht zu halten. Sein Betragen schien zu verrathen, daß es ihm nicht erlaubt gewesen war, über die Leiden seines Feindes zu triumphiren, ohne wenigstens das Schreckliche derselben an sich zu erfahren.
Schedonis Zuckungen ließen nun nach, und in kurzer Zeit lag er ohne Bewegung da. Als er seine Augen aufschlug, saß der Tod darinnen. Er war nunmehr fast ohne Empfindung; allein sogleich schoß ein schwacher Strahl von Besinnung aus ihnen hervor, und so wie sie sich nach und nach erhellten, zeigte sich der Charakter seiner Seele darinnen; der Ausdruck war in der That schwach, aber wahr. Er bewegte seine Lippen, als wollte er sprechen, und sah langsam in der Kammer umher, als suchte er Jemand. Endlich stieß er einen Laut hervor; allein er hatte noch nicht Gewalt genug über seine Muskeln, um diesen Laut zu einem Worte zu bilden, bis nach wiederholten Versuchen der Name Nicola verständlich wurde.
Bei diesem Ruf richtete der Mönch den Kopf von der Schulter der Person, an die er sich gelehnt hatte, auf, und drehte sich um. Schedoni, wie man an der plötzlichen Veränderung des Ausdrucks in seinem Gesichte sah, wurde ihn gewahr – seine – Augen, als sie sich auf Nicola hefteten, schienen all ihr gewohntes Feuer wieder zu sammeln, und die boshafte Schadenfreude, die noch vor Kurzem in seinem Gesichte herrschte, erschien wiederum in dem nächsten Augenblick, als er auf ihn blickte. Sein Blick schien plötzlich mit der zerstörenden Kraft begabt, die man dem Basilisk zuschreibt; denn als er jetzt auf Nicola traf, schien dieser Mönch wie auf dem Fleck angewurzelt, und unvermögend, seine Augen von Schedonis Blick abzuziehen; in ihrem Ausdruck las er den schrecklichen Ausspruch seines Geschicks; den Triumph der Rache und List. Von dieser schrecklichen Ueberzeugung betroffen, überzog eine bleiche Farbe sein Gesicht; zu gleicher Zeit zog eine unwillkührliche Bewegung seine Züge zusammen, ein kaltes Zittern erschütterte seine Gestalt, mit einem lauten Aechzen sank er zurück, und wurde in den Armen der Leute, die neben ihm standen, aufgefangen.
In dem Augenblick, wo er fiel, stieß Schedoni einen so seltsamen und schrecklichen, so krampfhaften und doch so lauten, so triumphirenden und doch einer menschlichen Stimme so ungleichen Laut aus, daß alle Personen in dem Zimmer, ausgenommen diejenigen, welche Nicola beistanden, von unwiderstehlichem Schrecken ergriffen, hinaus zu eilen suchten; allein dieses war unmöglich, denn die Thüre war verschlossen, bis ein Arzt, nach dem man geschickt hatte, ankommen, und eine Untersuchung über diese geheimnißvolle Begebenheit anstellen würde. Die Bestürzung des Marquis und Vivaldis, die sich gezwungen sahen, Zeugen dieser schrecklichen Scene zu seyn, kann man sich nicht leicht denken.
Es wurde Schedoni nicht vergönnt, diesen teuflischen Ton des Frohlockens zu wiederholen, denn seine Quaalen kehrten wieder, und er lag in starken Verzuckungen, als der Arzt ins Zimmer trat. Sobald er Schedoni sah, erklärte er ihn für vergiftet, und fällte auch über Nicola ein gleiches Urtheil; zugleich aber behauptete er, daß das Gift, wie man aus der Heftigkeit der Würkung sähe, von zu feiner und eingreifender Art sey, um ein Gegenmittel zuzulassen; doch war er bereit, die in solchen Fällen gewöhnlichen Mittel anzuwenden.
Während er einen von den Bedienten fortschickte, ließen Schedonis heftige Krämpfe noch einmal nach, Nicola aber schien in den letzten Zügen zu seyn. Er litt unaufhörlich; seine Sinne kehrten auch nicht auf einen Augenblick zurück und er gab den Geist auf, ehe die Arzenei, wonach man geschickt hatte, ankam. Als sie gebracht wurde, gebrauchte man sie mit einigem Erfolg bei Schedoni, der nicht nur seine Besinnung, sondern auch die Stimme wieder erhielt, und das erste Wort, das er aussprach, war, wie vorhin, der Name Nicola.
»Lebt er noch?« setzte der Beichtvater mit äusserster Mühe und nach einer langen Pause hinzu. Die Personen um ihn her schwiegen; allein die Wahrheit, die dieses Stillschweigen andeutete, schien ihn zu beleben.
Als der Inquisitor, der gewartet hatte, sah, daß Schedoni den Gebrauch seines Verstandes wieder erlangt hatte, hielt er es jetzt für rathsam, ihm einige Fragen über seinen gegenwärtigen Zustand und über die Ursache von Nicolas Tode vorzulegen.
»Gift!« erwiederte Schedoni ohne Bedenken.
»Von wessen Hand?« sagte der Inquisitor; »überlegt wohl, was Ihr antwortet; Ihr liegt auf dem Todtenbette!«
»Ich habe keinen Wunsch, die Wahrheit noch meine Freude zu verheelen,« – sagte Schedoni; er mußte inne halten, setzte aber sogleich hinzu: »Ich habe ihn zerstört, der mich zerstören wollte, und – und bin einem schimpflichen Tode entgangen.«
Er hielt wieder inne, mit großer Mühe hatte er soviel herausgebracht, und war jetzt von der Anstrengung überwältigt. Der Sekretär, der das Zimmer nicht hatte verlassen dürfen, erhielt Befehl, Schedoni's Worte niederzuschreiben.
»Ihr gesteht also,« fuhr der Inquisitor fort, »daß das Gift für den Pater Nicola sowohl als für Euch selbst von Euren Händen gekommen ist?«
Schedoni vermochte nicht sogleich zu antworten; sobald er es aber im Stande war, sagte er: »ich bekenne es.«
Man fragte ihn nunmehr, wie er es angefangen hätte, sich das Gift zu verschaffen, und befahl ihm, seinen Mitschuldigen zu nennen.
»Ich hatte keinen Mitschuldigen,« sagte Schedoni.
»Wie verschafftet ihr euch denn das Gift?«
Schedoni antwortete langsam und mit Mühe: »Es war in meiner Weste verborgen.«
»Bedenkt, daß ihr dem Tode nahe seyd,« sagte der Inquisitor, »und gesteht die Wahrheit. Was ihr jetzt behauptet habt, ist nicht glaubhaft. Es ist unwahrscheinlich, daß Ihr nach Euerm Verhaft Gelegenheit gehabt haben solltet, Euch mit Gift zu versehn, und eben so unwahrscheinlich ist es, daß Ihr vor dieser Zeit darauf gedacht haben solltet. Bekennet: Wer ist Euer Mitschuldiger.«
Diese Beschuldigung einer falschen Aussage rief Schedonis Stolz wiederum auf; mit seinem körperlichen Leiden kämpfend, und es für einen Augenblick besiegend, sagte er mit festerm Tone:
»Es war das Gift, worein ich meinen Dolch tauche, um mich desto besser zu vertheidigen.«
Der Inquisitor lächelte verächtlich über diese Erklärung, und Schedoni, der es bemerkte; verlangte, daß man eine besondre Stelle an seiner Weste untersuchen möchte, wo man einige Ueberreste von dem verborgenen Gifte finden würde. Man willfahrte seinem Verlangen und fand das Gift in einer breiten Falte seines Gewandes.
Doch blieb es noch immer unbegreiflich, wie er es angefangen hatte, dem Nicola dieses Gift beizubringen; denn ob man gleich wußte, daß Nicola eine Weile bei ihm allein gewesen war, so ließ es sich doch kaum denken, daß er einem Feinde so weit vertrauen würde, etwas von ihm anzunehmen. Der Inquisitor, noch immer begierig, seinen Mitschuldigen zu entdecken, fragte Schedoni, wer ihm geholfen hätte, dem Nicola den Todt beizubringen; allein der Beichtvater war nicht mehr im Stande zu antworten. Das Leben wich schnell von ihm: der Schimmer von Stolz und Charakter, der in seine Augen zurückgekehrt war, war verschwunden, und ließ sie hohl und starr – und den Augenblick darauf war ein gelber Leichnam alles, was von dem einst schrecklichen Schedoni übrig blieb!
Wahrend dieses schaudervollen Auftritts hatte der Marquis, der die grausamste Unruhe ausstand, sich nach dem fernen Gitter des Kerkers zurückgezogen, wo er mit einer Gerichtsperson darüber sprach, was wohl aus seiner eignen Lage werden würde. Vivaldi aber hatte, von Angst und Entsetzen erfüllt, unablässig nach der Arzenei gerufen, welche dem Schmerze, wovon er Zeuge war, einige Linderung schaffen könne, und sobald sie kam, hatte er sie dem Leidenden reichen helfen.
Endlich, da das Aergste vorüber war, und und da die verschiednen. Zeugen Schedonis letztes Bekenntniß unterschrieben hatten, wurde allen Anwesenden erlaubt, sich fortzubegeben, und Vivaldi wurde von dem Marquis begleitet wieder in sein voriges Gefängniß zurückgeführt, wo er bleiben sollte, bis die Entscheidung des heiligen Amts wegen seiner Unschuld, so wie sie aus Schedonis Zeugniß erhellte, bekannt seyn würde. Er war durch den letzten Auftritt zu sehr gerührt, um dem Marquis einen Aufschluß über Ellena di Rosalbas Familie zu geben, und dieser begab sich, nachdem er noch ein Weilchen bei seinem Sohne geblieben war, nach dem Aufenthalte seines Freundes zurück.