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»Sullen and sad to fancy's frighted eye
Did shapes of dun and marky hue advance‚
In train tumultous, all of gesture strange,
And passing horrible.«
Aus der Tragödie »Caractacus« (1752) von William Mason:
Mürrisch und traurig traten vor das ängstliche Auge der Phantasie graue, blasse Gestalten und zogen stürmisch und mit seltsamen Gebärden schauererregend vorüber. –
D.Hg.
Caractacus.
Während diese Dinge im Garganus und zu Neapel vorgiengen, blieben Vivaldi und sein Bedienter Paulo in abgesonderten Zimmern der Inquisition verhaftet. Sie wurden aufs neue abgesondert befragt. Aus dem Bedienten konnte nichts herausgebracht werden; er behauptete nur seines Herrn Unschuld, ohne daß es ihm jemals einfiel, seiner eignen zu erwähnen; zog mit mehr Wahrheit als Klugheit gegen die Personen zu Felde, die seine Verhaftung verursacht hatten, und gab sich ernstlich Mühe, die Inquisitoren zu überzeugen, daß er selbst aus keinem andern Bewegungsgrunde verlangt hätte, in diese Gefängnisse gebracht zu werden, als um seinen Herrn zu trösten; stellte ernstlich die Ungerechtigkeit vor, sie zu trennen, und setzte hinzu, er wäre überzeugt, wenn sie die Sache nach dem Rechte überlegten, so würden sie ihn in das Gefängniß des Signor Vivaldi bringen lassen.?
»Ich versichre Eure Serenissimo Illustrissimo,« fuhr Paulo fort, und wandte sich mit tiefem Ernst an den Hauptinquisitor, »daß dieses der letzte Ort ist, wohin ich würde gegangen seyn, wäre es nicht um dieser Ursache willen gewesen: und wenn Sie sich nur herablassen wollen, Ihre Leute zu befragen, die meinen Meister aufgriffen, so werden sie ihnen dasselbe sagen. Sie wissen lange genug, weswegen ich kam, weswegen ich hier bin, und hätten sie gewußt, daß es alles vergebens wäre, so würde es weit höflicher gewesen seyn, es mir zu sagen, und mich nicht hieher zu bemühn; denn, wie gesagt, dies ist der letzte Ort in der Welt, wohin ich aus freier Wahl mich würde begeben haben.«
Man erlaubte Paulo, diese Rede nach seiner Weise zu halten, weil seine Examinatoren hofften, daß er durch seine Redseligkeit Dinge, die seinen Herrn beträfen, an den Tag bringen würde. In dieser Erwartung aber betrogen sie sich; denn Paulo war bei aller Einfalt seines Herzens sowohl wachsam als schlau, wo es Vivaldis Vortheil betraf. Als er aber merkte, daß sie wirklich überzeugt waren, er habe sich in der einzigen Absicht seinen Herrn zu trösten, in die Inquisition begeben, und doch auf dem Entschluß beharrten, ihn abgesondert zu verhaften, kannte sein Unwillen keine Gränzen. Er verachtete auf gleiche Art ihre Verweise, ihre donnernden Drohungen und ihre listigern Reden: zählte ihnen alles auf, was sie sowohl hier als nach diesem, für ihre Grausamkeit gegen seinen theuern Herrn zu erwarten hätten, und sagte, sie könnten mit ihm anfangen was sie wollten, er fodere sie heraus, ihn unglücklicher zu machen, als er es bereits wäre.
Nicht ohne große Mühe schafften sie ihn aus dem Zimmer fort, wo er seine Examinatoren in Erstaunen über seine Dreistigkeit, und voll eines Unwillens über seine Ehrlichkeit zurückließ, den sie wahrscheinlich noch nie gefühlt hatten.
Als Vivaldi wiederum vor den Tisch des heiligen Amtes gerufen wurde, mußte er eine längere Untersuchung aushalten als zuvor. Mehrere Inquisitoren waren gegenwärtig, und man both alle Kunst auf, um ihn dahin zu bringen, Verbrechen zu gestehn, deren man ihn beargwöhnte, und noch andre zu offenbaren, die selbst dem Verdacht entgangen seyn könnten. Noch immer vermieden die Examinatoren sorgfältig, ihn von dem Gegenstande der Anklage, um derentwillen er verhaftet war, zu unterrichten, und Vivaldi schloß folglich nur aus den frühern Versicherungen des Benediktinermönchs und der Leute, die ihn in der Kapelle San Sebastiano gefangen nahmen, das man ihn beschuldigte, eine Nonne entführt zu haben. Seine Antworten bei dem jetzigen Verhör waren kurz und fest, und sein ganzes Betragen unerschrocken. Er fühlte weniger Besorgniß für sich selbst, als Unwillen über die Ungerechtigkeit und Grausamkeit, die man diesem Gericht gegen Andre auszuüben erlaubte, und dieser tugendhafte Unwillen gab seiner Seele eine Erhabenheit, eine ruhige, heldenmäßige Größe, die ihn nie auch nur auf einen Augenblick verließ, außer wenn er sich mit Vermuthungen über Ellenas Leiden quälte. Dann aber wich plötzlich seine Stärke und Seelengröße von ihm, und sein gequältes Gefühl stieg fast bis zum Wahnsinn.
Man legte ihm bei diesem zweiten Verhör dieselben dunkeln Fragen vor, und er beantwortete sie mit der nämlichen Offenheit als das erstemal. Doch verfehlte [die] einfache und kräftige Wahrheit ihres Eindrucks auf Gemüther, welche diese Tugend selbst nicht länger besaßen und nicht fähig waren, ihre Kennzeichen an Andern zu unterscheiden. Man bedrohte Vivaldi aufs neue mit der Tortur und schickte ihn wiederum ins Gefängniß.
Auf dem Wege nach diesem schrecklichen Aufenthalte gieng eine Person an ihm vorbei, deren Gestalt und Wesen eine gewisse Erinnerung bei ihm erweckte, und so wie dieser Fremde hinweg schlich, erkannte er plötzlich den prophetischen Mönch in ihm, der ihn zwischen den Ruinen von Paluzzi verfolgt hatte. Im ersten Augenblick der Ueberraschung verlohr Vivaldi seine Gegenwart des Geistes so sehr, daß er keinen Versuch wagte, ihn aufzuhalten; gleich nachher aber stand er still, und sah sich um, in der Absicht ihn anzureden; allein diese geheimnißvolle Person war bereits am äußersten Ende des Ganges. Vivaldi rief ihm nach, und bat ihn still zu stehn; allein ohne zu sprechen, oder nur den Kopf umzudrehen, verschwand er sogleich hinter einer Thüre, die sich bei seiner Annäherung öffnete.
Als Vivaldi den Weg nehmen wollte, den der Mönch gegangen war, hielten ihn seine Wächter zurück, und als er sie fragte, wer der Fremde gewesen sey, den er gesehn hatte, fragten sie ihn statt der Antwort, ›was für einen Fremden er meinte?‹
»Den, der eben vor uns vorbeigegangen ist,« erwiederte Vivaldi.
Die Gerichtsdiener schienen verwundert. »Es muß in eurem Kopfe nicht richtig seyn,« merkte der eine an, »ich sah Niemand vorübergehen!«
»Er gieng so dicht vorbei,« sagte Vivaldi, »daß es nicht wohl möglich ist, daß Sie ihn nicht könnten gesehn haben!«
»Ich habe nicht einmal einen Fußtritt gehört,« erwiederte der eine.
»Den erinnere ich mich auch nicht gehört zu haben« antwortete Vivaldi; »allein ich sah seine Gestalt so deutlich, als ich jetzt die Ihrige sehe: sein schwarzes Gewand streifte beinahe an mir hin! War es ein Inquisitor?«
Sein Begleiter schien verwundert, und seine Verwunderung mochte nun wirklich, oder nur in der Absicht angenommen seyn zu verheelen, daß er etwas von der erwähnten Person wüßte, so hatte es doch wirklich das Ansehn, als fühlte er eine gewisse Verlegenheit und Scheu. Vivaldi beobachtete mit eben so viel Neugier als Verwunderung die Furcht, welche sein Gesicht ausdrückte, merkte aber zu gleicher Zeit, daß es ihm zu nichts helfen würde, seine Fragen zu wiederholen.
Als sie längs dem Gange kamen, hörte man von Zeit zu Zeit in der Ferne ein halb ersticktes Winseln.
»Woher kommen diese Töne,« sagte Vivaldi? »Sie treffen mir ins Herz!«
»Das sollten sie auch,« erwiederte der Wärter.
»Woher kommen sie?« wiederholte Vivaldi noch ungeduldiger und mit einem Schauder.
»Von dem Orte der Folter,« sagte der Inquisitionsbediente.
»O Gott, Gott!« rief Vivaldi mit einem tiefen Seufzer.
Er gieng mit schnellen Schritten nach der Thüre des schrecklichen Zimmers, und der Wärter machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten.
Die Gerichtsdiener hatten ihn zu Folge der erhaltnen Befehle so geführt, daß er diese schrecklichen Töne hören mußte, um seinem Gemüthe die Schrecken der ihm angedrohten Strafe einzuprägen, und ihn zum Geständniß zu bringen, ohne daß er sich ihnen unterzöge.
An diesem nämlichen Abend erhielt Vivaldi in seinem Gefängniß einen Besuch von einem Manne, den er sich nie zuvor gesehn zu haben erinnerte. Er schien zwischen vierzig und funfzig zu seyn; hatte eine ernsthafte und bedeutende Gesichtsbildung, und ein Wesen, das zwar etwas strenge, aber nicht abschreckend war. Die Nachricht, die er von sich selbst und dem Bewegungsgrunde seines Besuchs gab, war merkwürdig. Er sagte, daß er ebenfalls ein Gefangner der Inquisition sey; allein da der Grund der Anklage gegen ihn leicht sey, so hätte man ihm innerhalb gewisser Gränzen, einen kleinen Grad von Freiheit vergönnt; sobald er von der Lage gehört hätte, worin Vivaldi sich befände, hätte er um Erlaubniß gebeten, zu ihm zu gehn, und sie auch erhalten, und zwar aus dem Wunsche, seine Leiden so sehr zu mildern, als die Bezeugung von Mitleid und Theilnahme das vermochte.
Während er sprach, betrachtete Vivaldi ihn mit tiefer Aufmerksamkeit, und das Unwahrscheinliche dieses Vorwandes eutgieng ihm nicht; doch war er so klug, den Verdacht, der bei ihm entstand, zu verheelen. Der Fremde sprach über verschiedne Gegenstände. Vivaldis Antworten waren kurz und vorsichtig; allein nicht einmal lange Pausen des Stillschweigens ermüdeten die mitleidige Geduld seines Besuches. Unter andern Gegenständen brachte er endlich das Gespräch auf Religion.
»Ich bin selbst der Ketzerei angeklagt worden,« sagte er, »und weiß Andre zu erkennen, die sich in gleicher Lage befinden!«
»Der Ketzerei bin ich also angeklagt,« unterbrach ihn Vivaldi, der Ketzerei!«
»Es half mir nichts, meine Unschuld zu behaupten,« fuhr der Fremde fort, ohne auf Vivaldis Ausrufung zu achten; »ich wurde zur Folter verurtheilt. Meine Leiden waren zu gräslich, als daß ich sie aushalten konnte; ich bekannte mein Vergehn –«
»Um Vergebung,« unterbrach ihn Vivaldi, »aber erlauben Sie mir zu bemerken, wenn man Ihnen, da der Grund der Anklage gegen Sie so leicht war, ein so schweres Leiden auferlegte, was mag denn die Strafe derjenigen seyn, die schwerere Vergehungen begangen haben?«
Der Fremde schien etwas verlegen – »Mein Vergehn war geringe,« fuhr er fort, ohne eine vollständige Antwort zu geben.
»Ist es möglich,« unterbrach ihn Vivaldi aufs neue, »daß vor dem Tribunal der Inquisition Ketzerei als ein leichtes Vergehn kann betrachtet werden?«
»Es war nur ein geringer Grad von Ketzerei,« erwiederte sein Besuch und erröthete vor Unwillen, »dessen man mich beschuldigte, und –«
»Nimmt denn die Inquisition Grade der Ketzerei an?« sagte Vivaldi.
»Ich gestand mein Vergehn,« setzte der Fremde mit lautem Nachdruck hinzu, »und dieses Geständniß zog eine Erlassung der Strafen nach sich. Nach einer kleinen Buße werde ich abgefertigt seyn, und wahrscheinlich in wenig Tagen das Gefängniß verlassen. Ehe ich es aber verließ, wünschte ich einem Leidensgefährten einigen Trost zuzusprechen: wenn Sie etwa Freunde haben, die Sie von Ihrer Lage zu benachrichtigen wünschen, so tragen Sie kein Bedenken, mir ihren Namen und die Bestellung an sie aufzutragen.«
Diese letzten Worte wurden mit leiser Stimme gesagt, als fürchtete er behorcht zu werden. Vivaldi schwieg, während er mit schärferer Aufmerksamkeit das Gesicht. des Fremden beobachtete. Es war von der äußersten Wichtigkeit für ihn, seine Familie mit seiner Lage bekannt zu machen, doch wußte er nicht genau, wie er sich dieses Anerbieten erklären oder sich darauf verlassen sollte. Vivaldi hatte gehört, daß oftmals Kundschafter die Gefangenen besuchten, und unter dem Schein von Güte und Mitleid hier ein Geständniß ihrer Meinung ablockten, dessen sie sich nachher gegen sie bedienten; und daß sie sich oftmals Nachrichten von ihren Verwandten und Freunden zu verschaffen suchten, die durch solche hinterlistige Künste, oftmals mit in ihr Verderben gezogen würden. Vivaldi, der sich seiner Unschuld bewußt war, hatte bei seinem ersten Verhör den Inquisitor mit dem Namen und Aufenthalt seiner Familie bekannt gemacht, und hatte also nichts Neues zu fürchten, wenn er sie diesem Fremden entdeckte: nur fühlte er, wenn es herauskäme, daß er versucht hätte, eine Bestellung zu machen, so kurz und unbedeutend sie auch seyn möchte, so würde diese Entdeckung die eifersüchtigen Inquisitoren gegen ihn aufbringen, und als eine neue Vermuthung seiner Schuld angesehn werden. Diese Rücksichten, mit dem Mißtrauen zusammen genommen, welches die unzusammenhängenden Reden des Fremden, und die Verlegenheit, die er von Zeit zu Zeit verrieth, in ihm erregt hatten, bestimmten Vivaldi, der Versuchung, die sich ihm jetzt darboth, zu widerstehn; er dankte dem Fremden, der ungern fortzugehn schien, und ihm beim Abschied sagte, wenn ein unvorhergesehner Umstand ihn länger in der Inquisition aufhalten sollte, als er es zu erwarten Ursache hätte, so würde er um Erlaubniß bitten, ihn noch einmal zu besuchen. Vivaldi beantwortete diese Aeußerung nur mit einer Verbeugung; allein er bemerkte, daß des Fremden Gesicht sich veränderte, und daß ein finsteres Brüten sein Gemüth zu umwölken schien, als er das Zimmer verließ.
Verschiedne Tage verstrichen, ohne daß Vivaldi wiederum etwas von seinem neuen Bekannten hörte. Er wurde darauf zu einem neuen Verhör gerufen, aus welchem er wie zuvor fortgeschickt wurde; hierauf folgten einige Wochen der Einsamkeit und drückender Ungewißheit, nach welchen er zum viertenmale vor die Tafel des heiligen Amts gerufen wurde. Sie war jetzt von Inquisitoren umgeben, und das Ganze hatte ein Ansehn von ungewöhnlicher Feierlichkeit.
Da man keine Beweise von Vivaldis Unschuld erhalten hatte, so war folglich der Verdacht seiner Examinatoren nicht aus dem Wege geräumt, und da er darauf beharrte, die Wahrheit der Anklage, die man, wie er verstand, gegen ihn aufstellte, zu leugnen, und sich weigerte, irgend ein Geständniß von Verbrechen abzulegen, so erfolgte der Befehl, ihn in Zeit von drei Stunden auf die Folter zu bringen. Bis dahin wurde er noch einmal in sein Gefangen Zimmer geschickt. Sein Entschluß blieb unerschüttert; aber er konnte nicht ohne Grausen auf die Schrecknisse hinblicken, die man für ihn bereitete. Die Zwischenzeit der Erwartung zwischen dem Ausspruch, und der Vollziehung dieser vorläufigen Strafe war in der That schrecklich. Das anscheinend Schimpfliche seiner Lage, die Ungewißheit, welches Grades der Tortur man sich bei ihm bedienen würde, überwältigten die Ruhe, die er zuvor gezeigt hatte, und so wie er in seiner Zelle auf- und abgieng, verrieth ein kalter Schweiß auf seiner Stirne die Bewegung seines Gemüths.
Doch quälte ihn das Gefühl von Schande nicht lange; sein besseres Urtheil sagte ihm, daß die Unschuld durch keine Lage oder Umstände beschimpft werden kann, und er gewann noch einmal den Muth und die Festigkeit wieder, welche der Tugend gebühren.
Es war um Mitternacht, als Vivaldi herannahende Schritte und ein Murmeln von Stimmen vor der Thüre seiner Zelle hörte. Er verstand, daß es die Personen waren, welche herbei kamen, um ihn zur Folter abzurufen. Die Thüre wurde aufgeriegelt, und zwei schwarz gekleidete Männer zeigten sich. Ohne zu sprechen, traten sie näher, warfen eine besondre Art von Mantel über ihn, und führten ihn aus dem Zimmer.
Auf den Gallerien und andern Gängen, durch welche sie kamen, war Niemand zu sehn, und nach der tiefen Stille, die allenthalben herrschte, schien es, als hätte der Tod bereits in diesen Regionen des Schreckens sein Werk im Voraus begonnen, und den Gequälten und Quäler zugleich verurtheilt.
Sie stiegen zu dem großen Saale herab, wo Vivaldi in der ersten Nacht gewartet hatte, und giengen von da durch einen Vorsaal eine lange Reihe von Stuffen herab, die zu unterirdischen Zimmern führte. Seine Führer sprachen auf dem ganzen Wege keine Sylbe: Vivaldi wußte zu gut, daß Fragen ihm nur noch härtere Behandlung zuziehn würden, und enthielt sich ihrer.
Diese Thüren, durch welche sie giengen, öfneten sich regelmäßig auf Berührung eines eisernen Stabes, den einer von seinen Begleitern trug, ohne daß Jemand erschien. Der andre trug eine Fackel, und die Gänge waren so dunkel erleuchtet, daß man den Weg ohne solche schwerlich hätte finden können. Sie kreuzten durch einen Ort, der ihm ein Todtengewölbe zu seyn schien; allein der weite Umfang und die Dunkelheit ließ ihm nicht zu, sich darüber zu vergewissern, und nachdem sie eine eiserne Thüre erreicht hatten, standen sie still. Ein Gerichtsdiener schlug mit seinem Stabe dreimal an; allein sie öfnete sich nicht, wie die andern sich geöfnet hatten. Während sie warteten, glaubte Vivaldi von innen leise Zwischentöne zu hören, als von Personen, die in letzten Zügen lagen; allein, obgleich inwendig, schienen sie doch aus der Ferne zu kommen. Sein ganzes Herz erstarrte, nicht von Furcht, denn er dachte in diesen Augenblicken nicht an sich selbst, sondern von Schrecken.
Nachdem sie eine lange Zeit gewartet hatten, ohne daß sein Begleiter das Signal wiederholte, wurde die Thüre ein wenig von einer Person geöfnet, die Vivaldi im Dunkeln nicht erkennen konnte, und mit der einer von seinen Begleitern sich durch Zeichen unterhielt, worauf die Thüre wieder zugemacht wurde.
Verschiedne Minuten waren verstrichen, als Töne von tiefen Stimmen, Vivaldis Aufmerksamkeit auf sich zogen. Diese Töne waren laut und rauh, und wurden in einer ihm unbekannten Sprache gesprochen. Der Gerichtsdiener löschte sogleich seine Fackel aus – die Stimmen kamen näher, die Thüre öfnete sich wiederum, und zwei Gestalten standen vor Vivaldi, die bei einem dämmernden Lichte inwendig gesehn, ihn mit Erstaunen und Schrecken erfüllten. Sie waren, wie seine Führer, schwarz gekleidet, aber auf andre Art, denn ihre Kleider waren ihrer Gestalt dicht angepaßt. Ihre Gesichter waren gänzlich unter einer besondern Art von Kappe verborgen, die vom Kopf bis zu den Füßen herabhieng, und ihre Augen waren nur durch kleine Oefnungen sichtbar, die zum Sehen angebracht waren. Es fiel Vivaldi ein, daß diese Leute Folterknechte wären; ihr Ansehn war eines Teufels würdig. Wahrscheinlich waren sie auf solche Art gekleidet, um sich den Personen, welche sie quälten, unkenntlich zu machen, oder vielleicht war es nur zu dem Zwecke, die Seelen der Angeklagten mit Schrecken zu erfüllen und sie dadurch ohne weitere Schwierigkeit zum Geständniß zu bringen.
Welcher Bewegungsgrund aber auch ihr schreckliches Ansehn veranlassen und was auch ihr Geschäft seyn mochte – so wurde doch Vivaldi ihren Händen überliefert, und hörte in dem nämlichen Augenblick die eiserne Thüre verschließen, die ihn mit ihnen in einen engen Gang einschloß, der durch eine von der gewölbten Decke herabhängende Lampe dunkel erleuchtet wurde. Sie giengen schweigend ihrem Gefangnen zu beiden Sekten, und kamen zu einer zweiten Thüre, welche sie sogleich in einen andern Gang einließ. Eine dritte Thüre in kleiner Entfernung führte sie in einen dritten Gang, an deren Ende einer von seinen geheimnißvollen Führern an eine Flügelthür schlug, wo sie still standen. Die ungewissen Töne, die Vivaldi zu hören gewähnt hatte, waren nun verständlicher, und er erkannte mit unaussprechlichem Grausen, daß sie von leidenden Personen kamen.
Die Flügelthür wurde endlich von einer Figur geöfnet, die wie seine Begleiter gekleidet war, und da zwei andre eiserne Thüren, die ebenfalls sehr nahe bei einander angebracht waren, ebenfalls geöfnet wurden, befand Vivaldi sich in einem geräumigen schwarz behangnen Zimmer, dunkel beleuchtet von Lampen, die in dem hohen Gewölbe schimmerten. Gleich bei seinem Eintritt lief ein seltsames Geräusch längs den Mauern hin, und hallte zwischen andern Gewölben wieder, die sich, nach dem Fortlaufen des Schalles zu urtheilen, weit über dieses hinaus zu erstrecken schienen.
Vivaldi konnte sich anfangs nicht genug fassen, um irgend einen Gegenstand um sich her zu bemerken; und selbst, als er ein wenig zu sich kam, verhinderte ihn die Dunkelheit des Ortes, ein sichres Urtheil über die Erscheinungen zu fällen, die ihn umgaben. Schattigte Gesichter und ungewisse Formen schienen durch die Dämmerung zu schwirren, und mehrere Instrumente, deren Gebrauch er nicht begriff, erfüllten ihn mit schrecklichem Verdacht. Noch immer hörte er von Zeit zu Zeit ein halb ersticktes Winseln, und sah sich rings im Zimmer nach den elenden Schlachtopfern um, denen sie ausgepreßt wurden, als eine Stimme aus einer fernen Gegend des Zimmers ihn heran nahen hieß.
Die Entfernung und Dunkelheit des Ortes, aus welchem die Stimme hervorgieng, hatte Vivaldi verhindert, Jemand dort zu bemerken, und er schickte sich langsam an zu gehorchen, als auf eine zweite Aufforderung seine Führer ihn beim Arm ergriffen und vorwärts trieben.
In einem fernen Theile dieses großen Zimmers sah er drei Personen unter einem schwarzen Thronhimmel auf Stühlen sitzen, die einige Stuffen von der Erde erhaben waren; sie schienen sich in der Eigenschaft von Richtern oder Examinatoren, oder Direktoren der Strafen, daselbst zu befinden. Unten an einem Tisch saß ein Secretär, über dem die einzige Lampe hieng, die ihn in Stand setzen könnte, zu Papier zu bringen, was während des Verhörs vorgieng.
Vivaldi erfuhr nunmehr, daß die drei Personen, die das Tribunal ausmachten, aus dem General-Vicar, oder Groß-Inquisitor, dem Advocaten des Gerichts und einem gewöhnlichen Inquisitor bestanden, der zwischen den andern beiden saß, und sich der Geschäfte seines grausamen Amtes am eifrigsten anzunehmen schien. Eine dicke Finsterniß hüllte ihre Personen und ihre Handlungen auf gleiche Art ein.
In einiger Entfernung von dem Tribunal stand eine große eiserne Maschine, die Vivaldi für die Folter hielt, und dicht darneben eine andre, die der Form nach einem Sarge glich; allein zu gutem Glück konnte er durch die ferne Dunkelheit nicht unterscheiden, ob Jemand würklich litt. Doch schienen in den Gewölben weiter hinten, die teuflischen Befehle der Inquisitoren würklich vollzogen zu werden; denn so oft eine Thüre in der Ferne sich einen Augenblick öfnete, giengen klagende Töne hervor, und man sah Leute, die er für Handlanger hielt, gekleidet wie diejenigen, die neben ihm standen, ab und zu gehn.
Vivaldi glaubte sich beinahe im Höllenreiche zu seyn; der traurige Anblick dieses Ortes, die schreckliche Zurüstung zur Strafe, und vor allem die Stimmung und der Anblick der Personen, die bereit waren, sie aufzulegen, bestätigten die Aehnlichkeit. Daß irgend ein menschliches Wesen ein Mitgeschöpf, das es nie gekränket oder nur beleidigt hatte, freiwillig quälen, sich zum Werkzeug hergeben sollte, es zu foltern, schien Vivaldi beinahe unglaublich! Als er aber die drei Personen ansah, die das Tribunal ausmachten, und in Erwägung zog, daß sie nicht nur freiwillig das grausame Geschäft, das sie ausführten, übernommen, sondern es auch wahrscheinlich lange Zeit als den Gipfel ihres Ehrgeizes betrachtet hatten, kannte sein Erstaunen und Unwillen keine Gränzen.
Der Groß-Inquisitor rief Vivaldi von neuem bei Namen auf, ermahnte ihn, die Wahrheit zu gestehen und das Leiden, das seiner wartete, zu vermeiden.
Da Vivaldi bei frühern Verhören die Wahrheit gesagt hatte, die keinen Glauben fand, so sah er keine andre Möglichkeit, sich dem gegenwärtigen Leiden zu entziehn, außer wenn er eine Falschheit behauptete: vielleicht hätte es Entschuldigung verdient, wenn er dadurch eine so abscheuliche Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu vermeiden gesucht hätte, wäre er überzeugt gewesen, daß ein solche Aeußerung blos für ihn allein Folgen haben konnte: da er aber wußte, daß die Folgen sich auch auf Andre erstrecken mußten, und daß vorzüglich Ellena di Rosalba darein verwickelt werden müßte, so besann er sich keinen Augenblick, allen Qualen Trotz zu bieten, die nur seine Standhaftigkeit auf die Probe Probe stellen konnten. Allein wenn auch sein moralisches Gefühl bei so außerordentlichen Umständen sich eine Falschheit hätte verzeihen können, so würde doch die Klugheit sie verboten haben, weil die Entdeckung von Kunstgriffen wahrscheinlich zum äußersten Verderben der angeklagten Person führen mußte.
Gern würde er jetzt, so mißlich die Frage auch war, sich nach Ellenas Lage erkundigt, ihre Unschuld aufs neue dargethan, und selbst bei Inquisitoren Mitleid für sie erfleht haben, hätte er nicht eingesehn, daß er ihnen dadurch nur noch auserlesnere Mittel ihn zu quälen an die Hand geben würde, als jetzt anzuwenden in ihrer Gewalt war. Denn sobald er ihnen alle Angst seiner Seele um sie zu erkennen gab, so mußte er vermuthen, daß sie ihm als Strafe seiner Hartnäckigkeit drohen würden, ihre Leiden zu erhöhn, um sich dadurch eben so sehr zu Meistern seiner Rechtschaffenheit zu machen, als sie es über seine Person waren.
Das Tribunal drang aufs neue zu wiederholten Malen in Vivaldi, sich für schuldig zu erklären, und der Inquisitor schloß endlich mit der Aeußerung, daß die Richter an allen Folgen, die aus seiner Hartnäckigkeit entstehen könnten, unschuldig wären, und daß, wenn er unter seinen Leiden erläge, er selbst sich seinen Tod zugezogen hätte.
»Ich bin unschuldig an allem. was man mir, wie ich höre, zur Last legt,« sagte Vivaldi feierlich; »ich wiederhole es, daß ich unschuldig bin! Könnte ich, um den Schrecknissen dieser Augenblicke zu entgehen, schwach genug seyn, mich für schuldig zu erklären, so würden alle Ihre Foltern die Wahrheit nicht verändern und mich dazu machen können, diese einzige Behauptung ausgenommen. Die Folge Ihrer Qualen komme also über Ihr eignes Haupt!«
Der Groß-Inquisitor hörte Vivaldi aufmerksam an, und schien über seine Rede nachzudenken: der andre Inquisitor aber wurde durch die Kühnheit seiner Rede aufgebracht, statt sich durch die Richtigkeit seiner Gründe überzeugen zu lassen, und gab den Gerichtsdienern ein Signal, sich zur Folter anzuschicken.
Während sie gehorchten, bemerkte Vivaldi, ohngeachtet der Bewegung, die er erlitt, eine Person quer durchs Zimmer gehn, die er sogleich für die nämliche erkannte, welche jenesmal im Vorsaal der Inquisition an ihm vorüber gieng, und welche er damals für den geheimnißvollen Fremden von Paluzzi hielt. Vivaldi heftete jetzt die Augen auf ihn; allein seine eigne bedrängte Lage verhinderte ihn, einen so lebhaften Antheil wie das erstemal an dieser Erscheinung zu nehmen.
Die Figur, der Gang und das ganze Wesen dieses Menschen waren so auffallend, und glichen jenem Mönch von Paluzzi so sehr, daß Vivaldi nicht länger zweifeln konnte, daß es dieselbe Person sey. Er zeigte ihn einem von den Gerichtsdienern, und fragte, wer es wäre. Indem er sprach, schlüpfte der Fremde voraus, und ehe Vivaldi noch eine Antwort erhielt, verschloß ihn eine Thüre, die nach den andern Gewölben führte, vor seinem Blick. Doch wiederholte Vivaldi die Frage, welche der Gerichtsdiener nicht beantworten zu können schien, und ein Verweis vom Tribunal erinnerte ihn, daß er hier keine Fragen vorlegen müsse. Vivaldi bemerkte, daß es der Groß-Inquisitor war, welcher sprach, und daß das Betragen des Gerichtsdieners sich auf der Stelle veränderte.
Die Handlanger, die Vivaldi ins Zimmer geführt hatten, nahten sich ihm, sobald sie die Folter zurecht gestellt hatten, nahmen ihm Mantel und Weste ab, und banden ihn mit starken Stricken. Sie warfen ihm das gewöhnliche schwarze Gewand über den Kopf, das seine ganze Gestalt einhüllte und ihn verhinderte, die weitern Zurüstungen, die noch erfolgten, zu bemerken. In diesem Zustande der Erwartung wurde er wiederum von dem Groß-Inquisitor befragt.
»Waren Sie jemals in der Kirche Spirito Santo zu Neapel?« fragte er.
»Ja!« erwiederte Vivaldi.
»Aeußerten Sie jemals daselbst eine Verachtung für den katholischen Glauben?«
»Niemals!« sagte Vivaldi.
»Weder durch Worte noch durch Handlungen,« fuhr der Inquisitor fort?
»Niemals! durch keines von beiden!«
»Besinnen Sie sich wohl,« setzte der Inquisitor hinzu. »Beleidigten Sie niemals daselbst einen Diener unsers heiligen Glaubens!«
Vivaldi schwieg; er fieng an die wahre Natur der Anklage, die man gegen ihn aufbrachte, einzusehn, und fühlte, daß sie zu viel Schein für sich hatte, als daß er hoffen dürfte, der Strafe, die für Ketzerei bestimmt ist, zu entgehn. Nie hatte man ihm bei seinen vorigen Verhören solche unmittelbare und genaue Fragen vorgelegt, sondern sie für einen Zeitpunkt verspart, wo man glaubte, daß er ihnen nicht ausweichen könnte: ja man hatte ihm wahrscheinlich die eigentliche Anklage verheelt, damit er außer Stand gesetzt würde, sich darauf vorzubereiten.
»Antworten Sie,« wiederholte der Inquisitor. »Haben Sie jemals einen Diener des katholischen Glaubens in der Kirche Spirito Santo zu Neapel beleidigt?«
»Schmähtest du ihn nicht, während er in einer Handlung heiliger Buße begriffen war?« fragte eine andre Stimme.
Vivaldi bebte zusammen, denn er erinnerte sich sogleich der wohlbekannten Töne des Mönche von Paluzzi.
»Wer frägt da?« sagte Vivaldi.
»Sie sind es, der hier zu antworten hat,« erwiederte der Inquisitor. »Antworten sie auf meine Frage.«
»Ich habe einen Diener der Kirche beleidigt,« erwiederte Vivaldi, »konnte aber nie die Absicht haben, unsre heilige Religion zu schmähen. Sie wissen nicht, ehrwürdige Väter, durch was für Beleidigungen ich gereizt –«
»Genug,« unterbrach der Inquisitor, »sprechen Sie zur Sache. Haben Sie nicht durch Schmach und Drohungen einen frommen Bruder gezwungen, die Handlung der Buße, die er sich aufgelegt hatte, unvollendet zu lassen? Zwangen Sie ihn nicht die Kirche zu verlassen und in sein Kloster zu fliehn, um sich vor Ihnen zu retten?«
»Nein,« erwiederte Vivaldi. »Es ist wahr, daß er die Kirche verließ, und zwar wegen meines Betragens daselbst: allein es war nicht nothwendig, daß er sie verließ; hätte er nur auf meine Frage geantwortet, oder versprochen, mir diejenige wieder zu geben, die er mir verrätherischer Weise geraubt hatte, so hätte er meinetwegen bis diesen Augenblick ruhig in der Kirche bleiben können!«
»Wie!« sagte der General-Vicar, »wollten Sie ihn zum Reden zwingen, wenn er in heiliger Bußübung begriffen war? Sie gestehn, daß Sie ihm Anlaß gaben, die Kirche zu verlassen, und das ist genug.«
»Wo sahest du Ellena di Rosalba zuerst? –« sagte die Stimme, die schon einmal zuvor gesprochen hatte.
»Ich frage nochmals, wer diese Frage thut?« antwortete Vivaldi.
»Erinnern Sie sich,« sagte der Inquisitor, »daß ein Verbrecher keine Frage thun darf.«
»Ich sehe den Zusammenhang zwischen Ihrem Verweise und Ihrer Aeußerung nicht ein,« merkte Vivaldi an.
»Sie scheinen mir beinahe etwas zu ungezwungen zu seyn,« sagte der Inquisitor. »Antworten Sie auf die Frage, die Ihnen zuletzt vorgelegt wurde, sonst werden die Gerichtsdiener ihre Schuldigkeit thun.«
»Lassen Sie dieselbe Person die Frage thun,« erwiederte Vivaldi.
Die Frage wurde von der vorigen Stimme wiederholt.
»In der Kirche San Lorenzo zu Neapel,« sagte Vivaldi mit einem schweren Seufzer, »sah ich Ellena di Rosalba das Erstemal.«
»War sie damals schon eingekleidet?« fragte der General-Vicar.
»Sie hat nie den Schleier genommen, und war nie Willens ihn zu nehmen,« erwiederte Vivaldi.
»Wo hielt sie sich damals auf?
»Sie hielt sich bei einer Verwandtin auf der Villa Altieri auf, und würde noch daselbst, wohnen, hätten nicht die Intriguen eines Mönchs sie aus ihrer Heimath gerissen und in ein Kloster gesperrt, woraus ich sie eben hatte befreien helfen, als sie aufs neue ergriffen wurde – ergriffen wegen einer höchst falschen und grausamen Anklage! O ehrwürdige Väter, ich beschwöre Sie; ich flehe –«
Vivaldi hielt sich mit Gewalt zurück, denn er war auf dem Wege sich zu verrathen, und alle Gefühle seines Herzeis der Willkühr seiner Inquisitoren Preis zu geben.
»Der Name des Mönchs?« sagte die fremde Stimme dringend.
»Wenn ich mich nicht irre, so ist er Ihnen bereits bekannt,« erwiederte Vivaldi. »Der Mönch wird Vater Schedoni genannt. Er ist aus dem Dominikaner-Kloster der Spirito Santo in Neapel, und ist derselbe, der mich anklagte, ihn in der Kirche dieses Namens beleidigt zu haben.«
»Woher weißt du, daß er dein Ankläger ist?« fragte dieselbe Stimme.
»Weil er mein einziger Feind ist,« erwiederte Vivaldi.
»Ihr Feind!« wiederholte der Inquisitor: »in einer frühern Aussage heißt es, Sie wären sich nicht bewußt, einen Feind zu haben! Ihre Antworten stimmen nicht überein.«
»Sie wurden gewarnt, die Villa Altieri nicht zu besuchen,« sagte der Unbekannte.
»Warum machten Sie sich die Warnung nicht zu Nutze?«
»Sie waren es, der mich warnte,« antwortete Vivaldi: »ich kenne Sie jetzt recht gut.«
»Ich!« sagte der Fremde mit feierlichem Ton.
»Ja, Sie!« wiederholte Vivaldi; »Sie, der mir auch den Tod der Signora Bianchi vorher sagte; und Sie sind der Feind, eben dieser Vater Schedoni, der mich angeklagt hat.«
»Woher kommen diese Fragen?« sagte der Groß-Inquisitor. »Wer ist berufen, unserm Gefangenen solche Fragen vorzulegen?«
Es wurde keine Antwort gegeben. Ein geschäftiges Flüstern von Stimmen vom Tribunal folgte auf das Stillschweigen. Endlich ließ das Murmeln nach, und man hörte von neuem des Mönches Stimme.
»So viel will ich erklären,« sagte er, und wandte sich an Vivaldi, »daß ich nicht Pater Schedoni bin.«
Der besondre Ton und Nachdruck, womit er diese Worte sprach, überzeugte Vivaldi mehr als die Aussage selbst, daß der Fremde die Wahrheit redete: und ohngeachtet er noch immer die Stimme des Mönchs, von Paluzzi erkannte, hielt er sie doch nicht für die Stimme Schedonis. Er war voll Erstaunen! Er hätte den Schleier von seinen Augen reißen, und diesen geheimnißvollen Fremden noch einmal sehen mögen, wären seine Hände ungebunden gewesen. So aber konnte er ihn nur beschwören, ihm seinen Namen und die Bewegungsgründe seines vorigen Betragens zu entdecken.
»Wer ist unter uns?« sagte der Groß-Inquisitor mit der Stimme eines Menschen, der Andern die Furcht einzuflößen denkt, die er selbst empfindet.
»Wer ist unter uns gekommen?« wiederholte er mit lauterm Tone.
Noch immer kam keine Antwort zurück; allein aufs neue ertönte ein dumpfes Murmeln von dem Tribunal, und es schien eine allgemeine Bestürzung zu herrschen. Niemand sprach deutlich genug, um von Vivaldi verstanden zu werden; es schien etwas Außerordentliches vorzugehn, und er erwartete den Ausgang mit aller Geduld, die er nur in seiner Gewalt hatte. Bald nachher hörte er Thüren öfnen und ein Geräusch von Personen, die das Zimmer verließen. Eine tiefe Stille erfolgte; allein er war überzeugt, daß die Handlanger noch immer hinter ihm standen, um ihr Werk der Qual anzufangen.
Es verstrich eine lange Zeit, bis Vivaldi Fußtritte heran nahen und Jemand Befehl ertheilen hörte, ihn loszubinden und in seine Zelle zurück zu führen.
Als der Schleier von seinen Augen genommen war, bemerkte er, daß das Gericht aus einander gegangen und der Fremde fort war. Die Lampen starben hinweg, und das Zimmer, schien dunkler und schrecklicher als zuvor.
Die Handlanger führten ihn nach dem Orte zurück, wo sie ihn in Empfang genommen hatten, und die Gerichtsdiener, die ihn dahin brachten, führten ihn wieder nach seinem Gefängniß zurück. Hier, auf seinem Strohlager ausgestreckt, im Einsamen und Dunkeln hatte er Muße genug über das Vergangne nachzudenken und sich mit pünktlicher Genauigkeit an jeden vorhergehenden Umstand zu erinnern, der mit dem Fremden in Zusammenhang stand. Er verglich diese Umstände mit dem Gegenwärtigen, und bemühte sich einen zuverlässigern Schluß über die Erscheinung dieses Menschen, und über das so sehr seltsame Betragen, das er beobachtet hatte, zu ziehn. Er rief sich die erste Erscheinung dieses Fremden zwischen den Ruinen von Paluzzi, wo er gesagt hatte, daß Vivaldis Schritte beobachtet würden, und ihm abrieth, nach der Villa Altieri zurückzukehren, ins Gedächtniß zurück. Auch erinnerte er sich seiner zweiten Erscheinung an der nämlichen Stelle und seiner zweiten Warnung – der sonderbaren Dinge, die er selbst in dieser Festung erfuhr – des Mönchs Vorhersagung von Bianchis Tode, und seine schlimmen Nachrichten von Ellena, in der nämlichen Stunde, wo sie ergriffen und von ihrer Heimath weggeführt wurde.
Je länger er diese verschiednen Umstände erwog, desto mehr war er geneigt zu glauben, daß ohngeachtet der anscheinenden Stimme der Wahrheit, die ihn so eben des Gegentheils versichert hatte, die unbekannte Person Niemand anders seyn könnte, als Schedoni selbst, und daß die Marquise ihn gebraucht hätte, um Vivaldis Besuche auf der Villa Altieri zu verhindern. War er nun auf solche Art ein Werkzeug bei den Begebenheiten, wovor er Vivaldi warnte, so war er nur zu gut im Stande, sie vorher zu sagen. Vivaldi blieb bei der Erinnerung an Signora Bianchi's Tod stehen: er erwog die außerordentlichen und zweideutigen Umstände, die damit verbunden waren, und schauderte vor der neuen Vermuthung, die seine Seele durchfuhr. – Der Gedanke war zu schrecklich, um ihm nachzuhängen, und er gab sich Mühe, ihn auf der Stelle zu verbannen.
Doch erinnerte er sich mancher Umstände des Gesprächs, das er in der Marquise Kabinet mit dem Beichtvater führte, welche seine Zweifel, daß der Fremde eine Person mit ihm sey, erneuerten; Schedonis Betragen, da er ihn unerwartet als Mönch von Paluzzi herausfoderte, schien noch immer das Betragen eines Mannes, der sich keiner Verstellung bewußt ist, und vor allem fiel Vivaldi die anscheinende Aufrichtigkeit auf, womit er einen Umstand angab, welcher die Wahrscheinlichkeit, daß der Fremde ein Bruder von Santa del Pianto sey, aus dem Wege räumte.
Auch stimmte verschiednes in dem Betragen des Fremden nicht mit dem überein, was man von Schedoni hätte erwarten können, selbst auch, wenn er würklich Vivaldis Feind gewesen wäre – ein Umstand, woran der Letzte nicht länger zweifeln konnte. Auch schien es ihm nicht, daß die Art seines Benehmens sich für ein Wesen aus dieser Welt paßte, und wenn er sich dachte, wie plötzlich und geheimnißvoll der Fremde immer erschien und verschwand, so fühlte er sich geneigt, eine von seinen frühern Vermuthungen wieder anzunehmen, welcher ohne Zweifel die Schrecknisse seines gegenwärtigen Aufenthalts leichtern Eingang in seiner Einbildungskraft verschaften, da schon jenesmal seine ängstliche Lage in den Gewölben von Paluzzi, und ein der Jugend so gewöhnlicher Hang für das Wunderbare seinem Gemüthe sich eingeprägt hatten.
Er schloß seine gegenwärtigen Betrachtungen, wie er sie angefangen hatte – mit Zweifel und Verwirrung – fand aber endlich im Schlafe eine Erholung von Nachdenken und Leiden.
Die Mitternacht war in den Gewölben der Inquisition verstrichen; allein es mochte noch nicht zwei Uhr seyn, als er sich verworren durch einen Ton aufgeweckt fühlte, der, wie er glaubte, aus dem Innern seines Zimmers hervorgieng. Er richtete sich auf, um zu erfahren, was dieses Geräusch veranlaßt hatte; allein es war ihm unmöglich einen Gegenstand in der Dunkelheit zu erkennen; doch gab er Acht, ob der Ton sich nicht würde wieder vernehmen lassen. Nur der Wind aber pfiff zwischen den innern Gebäuden des Gefängnisses, und Vivaldi vermuthete, daß sein Traum ihn mit einer nachgeahmten Stimme getäuscht hätte.
Durch diese Vermuthung befriedigt, legte er sein Haupt wieder aufs Strohküssen nieder, und versank in Schlummer. Der Gegenstand seiner wachenden Gedanken schwebte noch immer um seine Einbildungskraft, und der Fremde, dessen Stimme er diese Nacht für die des Mönchs von Paluzzi erkannte, erschien vor ihm. Vivaldi fühlte bei dem Anblick dieses Unbekannten beinahe dieselben Regungen von Furcht, Neugier und Ungeduld, die er würde empfunden haben, wenn er die Substanz dieses Schattens erblickt hätte. Es dünkte ihm, daß der Mönch, dessen Gesicht noch immer verhüllt war, herannahte, bis er einige Schritte von Vivaldi stille stand, die fürchterliche Kappe, die ihn bisher verborgen hatte, aufschlug, und nicht Schedoni's Gesicht, sondern ein andres enthüllte, welches Vivaldi sich nie zuvor gesehn zu haben erinnerte. Dieses Gesicht war nicht minder merkwürdig für die Neugier, als es das Gefühl sonderbar traf. Vivaldi fuhr bei dem ersten Anblick zurück – etwas von diesem seltsamen und unbeschreiblichen Wesen, das wir mit der Idee eines übernatürlichen Wesens verbinden, lag über diesen Zügen, und die einwärts gekehrten feurigen Augen schienen mehr einem bösen Geiste, als einem menschlichen Wesen anzugehören. Er zog einen Dolch aus einer Falte seines Gewandes hervor, und deutete, indem er ihn hinhielt, mit finsterm Stirnrunzeln auf die Flecke, welche die Klinge entfärbten. Vivaldi sah, daß sie voll Blut waren, er wandte mit Entsetzen die Augen ab, und als er sich im Traume wieder rings umsah, war die Gestalt verschwunden.
Ein tiefer Seufzer erweckte ihn – allein was empfand er, als er aufblickte, und dieselbe Gestalt vor sich stehen sah! Doch konnte er sich nicht gleich überzeugen, daß die Erscheinung mehr als das Gebilde seines Traums wäre, der sich einer empörten Phantasie stark eingedrückt hatte. Die Stimme des Mönchs, denn sein Gesicht war wie gewöhnlich verborgen, rief Vivaldi aus seinem Irrthum zurück, aber kaum läßt sich seine Bewegung beschreiben, als der Fremde langsam die Kappe zurückschlug, und ihm dasselbe schreckliche Gesicht zeigte, welches die Erscheinung seines Schlummers charakterisirt hatte. Unvermögend nach der Ursache dieser Erscheinung zu fragen; staunte Vivaldi sie mit Schrecken und Bestürzung an, und bemerkte nicht sogleich, daß der Mönch statt des Dolchs eine Lampe in der Hand hielt, die über jede tiefe Furche seiner Züge schimmerte, und die schattigten Bezeichnungen sehen ließ, welche die Geschichte und die Leidenschaften eines außerordentlichen Lebens andeuteten.
»Für diese Nacht bist du verschont,« sagte der Fremde, »aber morgen –« er hielt inne.
»Im Namen von allem was heilig ist,« sagte Vivaldi, der seine Gedanken zu sammeln suchte, »wer bist du, und was ist dein Begehren?«
»Frage nicht,« erwiederte der Mönch feierlich, »sondern antworte mir.«
Der Ton, womit er dies sagte, fiel Vivaldi auf, und er wagte es für den Augenblick nicht, die Frage zu wiederholen.
»Wie lange ists schon, daß Sie den Pater Schedoni kennen?« fuhr der Fremde fort, »wo trafen Sie ihn zuerst?«
»Ich hab ihn ohngefähr seit einem Jahre als meiner Mutter Beichtvater gekannt,« erwiederte Vivaldi; »ich sah ihn zuerst in einem Gange des Vivaldischen Pallastes; es war Abend und er kam aus dem Kabinet der Marquise zurück!«
»Wissen Sie das gewiß?« sagte der Mönch mit besonderm Nachdruck. »Es ist von Wichtigkeit, daß Sie es wissen.«
»Ich weiß es gewiß,« wiederholte Vivaldi.
»Es ist sonderbar,« merkte der Mönch nach einer Pause an, »daß ein Umstand, der Ihnen im ersten Augenblick so unbedeutend scheinen mußte, so tiefen Eindruck in Ihrem Gedächtniß zurückgelassen hat. In einem Jahre haben wir Zeit, so vieles zu vergessen!«
Er seufzte bei diesen Worten.
»Ich erinnere mich des Umstandes,« sagte Vivaldi, »weil mir sein Anblick auffiel; der Tag neigte sich schon zu Ende; es war dämmerig und er kam plötzlich auf mich zu. Seine Stimme erschreckte mich; als er an mit vorbei gieng, sagte er zu sich selbst: Es ist Zeit zur Vesper – in demselben Augenblick hörte ich die Glocke der Spirito Santo.«
»Wissen Sie, wer er ist?« sagte der Fremde feierlich.
»Ich weiß nur, was er zu seyn scheint!« erwiederte Vivaldi.
»Haben Sie nie etwas von seinem vergangnen Leben gehört?«
»Nie,« antwortete Vivaldi.
»Nie etwas Außerordentliches von ihm?« setzte der Mönch hinzu.
Vivaldi schwieg einen Augenblick: denn er erinnerte sich jetzt der dunkeln und unvollständigen Geschichte, die Paulo in dem Gewölbe von Paluzzi von einer Beichte, die in der Kirche der Schwarzen Büßenden abgelegt worden sei, erzählte: allein er konnte nicht mit Zuverlässigkeit behaupten, daß sie Schedoni betraf. Auch erinnerte er sich an die mit Blut befleckten Mönchskleider, die er in den Gewölben der Festung fand. Das Betragen des geheimnißvollen Wesens, das jetzt vor ihm stand, nebst vielen andern Umständen seiner dortigen Abentheuer glitt wie ein Traum vor seinem Gedächtniß hin. Seine Seele glich einem magischen Spiegel, aus welchem die Erscheinungen lange begrabner Begebenheiten hervorsteigen, und indem sie zerrinnen, bedeutend auf Gestalten hindeuten, die halb im Dunkel der Zukunft verborgen sind. Eine ungewöhnliche Furcht stieg in ihm auf, und ein Aberglaube, den er noch nie in dem Grade bei sich hatte aufkommen lassen, bemeisterte sich seiner Urtheilskraft. Er blickte zu dem schattigten Gesicht des Fremden hinauf, und glaubte beinahe einen Bewohner der Geisterwelt zu sehn.
Der Mönch nahm wieder das Wort, und wiederholte mit strengerm Tone: »Haben Sie nie etwas Außerordentliches von dem Vater Schedoni gehört?«
»Ist es wohl der Klugheit gemäß,« sagte Vivaldi und nahm seinen Muth zusammen, »daß ich die Fragen, die so genauen Fragen eines Mannes beantworte, der sich weigert, mir nur seinen Namen zu sagen?«
»Mein Name ist verschwunden – ausgelöscht aus der Erinnerung,« erwiederte der Fremde, und wandte sich von Vivaldi ab »ich überlasse Sie Ihrem Schicksal.«
»Welchem Schicksal?« fragte Vivaldi »und was ist die Absicht dieses Besuchs? Ich beschwöre Sie bei dem furchtbaren Namen der Inquisition, es mir zu sagen!«
»Sie werden es bald genug deutlich erfahren: haben Sie Mitleid mit sich selbst!«
»Welches Schicksal?« wiederholte Vivaldi.
»Dringen Sie nicht weiter in mich,« sagte der Fremde; »aber antworten Sie auf meine Fragen. Schedoni –«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von ihm weiß,« unterbrach ihn Vivaldi; »das übrige ist nur Vermuthung.«
»Und worin besteht diese Vermuthung? Bezieht sie sich auf eine Beichte, die in der Kirche der Schwarzen Büßenden der Santa Maria del Pianto abgelegt wurde?«
»Ich kann das nicht läugnen,« versetzte Vivaldi mit Verwunderung.
»Worin bestand diese Beichte?«
»Ich weiß es nicht,« erwiederte Vivaldi.
»Erklären Sie die Wahrheit,« sagte der Fremde finster.
»Eine Beichte,« versetzte Vivaldi, »ist heilig und muß auf ewig in der Brust des Priesters, dem sie abgelegt wird, verborgen bleiben. Wie läßt es sich also vermuthen, daß ich mit dem Inhalt dieser bekannt seyn sollte?«
»Haben Sie nie gehört, daß Pater Schedoni sich einiger großen Verbrechen schuldig gemacht hat, die er durch strenge Buße aus seinem Gewissen zu vertilgen suchte?«
»Niemals!« sagte Vivaldi.
»Hörten Sie nie, daß er ein Weib, einen Bruder hatte?«
»Nie!«
»Noch welcher Mittel er sich bediente – keinen Wink von – Mord – von –«
Der Fremde hielt inne, als wünschte er, daß Vivaldi den Sinn seiner Worte ausfüllen sollte. Vivaldi war stumm und geisterblaß.
»Sie wissen also nichts von Schedoni?« fieng der Mönch nach einer tiefen Pause wieder an – »Nichts von seinem. vergangnen Leben!«
»Nichts, außer was ich gesagt habe,« erwiederte Vivaldi.
»Dann merken Sie auf, was ich Ihnen entdecken werde!« fuhr der Mönch feierlich fort. »Morgen Nachts wird man Sie wieder auf den Folterplatz führen; Sie werden in ein Zimmer hinter demjenigen, worin Sie diese Nacht waren, gebracht werden. Sie werden daselbst Zeuge mancher außerordentlichen Dinge seyn, wovon Sie bis jetzt keinen Verdacht hatten. Lassen Sie sich nicht schrecken; ich werde dort seyn, obgleich vielleicht nicht sichtbar –«
»Nicht sichtbar!« – rief Vivaldi.
»Unterbrechen Sie mich nicht, sondern hören Sie mich an. Wenn Sie um Pater Schedoni befragt werden, so sagen Sie: daß er fünfzehn Jahre in der Verkleidung eines Mönchs – eines Mitglieds der Dominikaner der Spirito Santo zu Neapel gelebt hat. Frägt man Sie, wer er ist, so antworten Sie – Fernando Graf von Bruno. Man wird Sie um die Ursache dieser Verkleidung fragen – Zur Antwort darauf verweisen Sie auf die Schwarzen Büßenden der Santa Maria del Pianto nicht weit von jener Stadt: heißen Sie die Inquisitoren einen gewissen Pater Ansaldo di Rovalli, den ersten Beichtvater der Brüderschaft, vor ihr Tribunal rufen, und ihm zu befehlen, daß er die Verbrechen aussagt, die im Jahr 1752 am Abend des vier und zwanzigsten Aprils, welches damals der Festabend von Sanct Marco war, in dem Beichtstuhl der Santa del Pianto abgelegt wurden.«
»Es ist wahrscheinlich, daß er in so langer Zeit diese Beichte vergessen hat.«
»Seyn Sie unbesorgt; er wird sich schon daran erinnern,« erwiederte der Fremde.
»Aber wird sein Gewissen ihm zulassen, die Geheimnisse seiner Beichte zu verrathen?« sagte Vivaldi.
»Das Gericht befiehlt, und sein Gewissen ist frei gesprochen,« erwiederte der Mönch. »Er darf sich nicht weigern zu gehorchen! Sie müssen noch ferner Ihre Examinatoren auffordern, daß Sie den Pater Schedoni herbei kommen lassen, um sich wegen der Verbrechen zu verantworten, die Ansaldo entdecken wird.«
Der Mönch schwieg, und schien Vivaldis Antwort zu erwarten, der nach einem kurzen Besinnen sagte:
»Wie kann ich dies alles thun, und zwar auf Anstiften eines Fremden! Weder Gewissen noch Klugheit erlauben mir zu behaupten, was ich nicht beweisen kann. Es ist wahr, daß ich Ursache habe, Schedoni für meinen bittersten Feind zu halten; allein ich will demohngeachtet selbst gegen ihn nicht ungerecht seyn. Ich habe keine Beweise, daß er der Graf Bruno ist, oder daß er die Verbrechen, worauf Sie anspielen, begangen hat, worin Sie auch bestehen mögen, und ich will mich nicht zum Werkzeug machen lassen, einen Mann vor ein Tribunal zu rufen, wo Unschuld keinen Schutz vor der Schande gewährt, und wo Verdacht allein schon genug ist, den Tod herbeizuführen.«
»Sie zweifeln also an der Wahrheit dessen, was ich behaupte,« sagte der Mönch mit stolzem Tone.
»Kann ich das glauben, wovon ich keinen Beweis habe?« erwiederte Vivaldi.
»Ja, es giebt Fälle, welche keine Beweise zulassen; in Ihrer besondern Lage ist dies einer davon. Ich rufe« – fuhr der Mönch fort, indem er seine dumpfe Stimme zu einem furchtbar feierlichen Tone erhub – »ich rufe die Mächte, die über dieser Erde sind, an, die Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, zu bezeugen.«
Wie der Fremde diese Beschwörung aussprach, bemerkte Vivaldi mit Bewegung den besondern Ausdruck seiner Augen. Doch verließ ihn seine Gegenwart des Geistes nicht, und er sagte gleich darauf:
»Aber wer ist derjenige, der dieses Zeugniß ablegt? Kann ich mich in Ermangelung von Beweisen auf das Zeugniß eines Fremden verlassen? Es ist ein Fremder, der mich auffodert, eine feierliche Anklage gegen einen Mann aufzustellen, von dessen Schuld ich nichts weiß.«
»Man verlangt nicht von Ihnen, Anklagen vorzubringen, sondern nur die Person aufzufodern, die sie vorbringen wird.«
»Ich würde auf diese Art immer behülflich seyn, Anklagen vors Licht zu bringen, die sich vielleicht auf Irrthum gründen,« erwiederte Vivaldi. »Wenn Sie von der Wahrheit derselben überzeugt sind, warum fodern Sie nicht selbst Ansaldo auf?«
»Ich werde mehr thun,« sagte der Mönch.
»Aber warum nicht auch ihn auffodern?« wiederholte Vivaldi.
»Ich werde erscheinen,« sagte der Fremde mit Nachdruck.
Obgleich etwas bestürzt über die Art, wie diese Worte gesagt wurden, setzte Vivaldi doch seine Fragen fort.
»Als Zeuge?« sagte er.
»Ja, als furchtbarer Zeuge!« erwiederte der Mönch.
»Aber darf nicht ein Zeuge auch noch Andre vor das Inquisitionsgericht laden?« fuhr Vivaldi stammelnd fort.
»Das darf er!« sagte der Fremde.
»Warum werde denn ich,« merkte Vivaldi an, »ich, der ich Ihnen ein Fremder bin, aufgefodert zu thun, was Sie selbst verrichten könnten?«
»Fragen Sie nicht weiter,« sagte der Mönch, »aber antworten Sie, ob Sie die Auffoderung ausrichten werden!« ö
»Die Anklagen, welche darauf folgen müßten,« erwiederte Vivaldi, »scheinen mir von zu feierlicher Art zu seyn, als daß ich es mir verzeihen könnte, sie zu befördern. Ich übertrage Ihnen das Geschäft.«
»Wenn ich auffodere,« sagte der Fremde, »so müssen Sie gehorchen.«
Vivaldi, durch das Wesen dieses sonderbaren Menschen aufs neue geschreckt, unterstützte seine Weigerung mit neuen Gründen, und wiederholte am Ende seine Verwunderung, daß man ihn auffoderte, in dieser verborgnen Sache behülflich zu seyn, »da ich weder Sie, noch den Beichtvater Ansaldo kenne, den Sie mir aufzurufen gebieten,« setzte er hinzu.
»Nach diesem werden Sie mich kennen lernen,« sagte der Fremde mit finsterer Stirne, und zog einen Dolch unter seinem Kleide hervor!
Vivaldi dachte an seinen Traum.
»Bemerken Sie dies Flecken,« sagte der Mönch.
Vivaldi sah hin, und fand Blut!
»Dieses Blut,« setzte der Fremde hinzu, und deutete auf die Scheide – »würde das deinige gerettet haben! Hier ist ein Stempel der Wahrheit! Morgen Nachts wirst du mich in den Gemächern des Todes treffen!«
Indem er sprach, wandte er sich hinweg, und das Licht verschwand, ehe Vivaldi sich von seiner Bestürzung erholt hatte. Er merkte nur an der Stille, die im Gefängnisse herrschte, daß der Fremde es verlassen hatte.
Er blieb in Gedanken versunken, bis mit Tagesanbruch die Wache die Thüre seiner Zelle aufriegelte, und wie gewöhnlich einen Krug Wasser und etwas Brod brachte. Vivaldi fragte nach dem Namen des Fremden, der ihn die Nacht besucht hätte. Die Schildwache sah verwundert aus, und Vivaldi wiederholte die Frage, ehe er eine Antwort erhalten konnte.
»Ich habe seit der ersten Stunde Wache gestanden,« sagte der Mann, »und Niemand ist in dieser Zeit durch die Thüre gegangen.«
Vivaldi sah den Menschen aufmerksam an, während er dies sagte, und merkte in seinem Gesichte keine Spur von Falschheit: doch wußte er nicht, wie er seiner Behauptung glauben sollte.
»Habt Ihr auch kein Geräusch gehört?« sagte Vivaldi, »war alles die Nacht über still?«
»Ich habe nur die Glocke des Sanct Dominikaner-Klosters Ein Kloster kann nicht ›Sankt Dominikaner‹ heißen. Im Original: »San Dominico«, also: ›die Glocken von Sanct Dominico. – D.Hg. die Stunde anzeigen, und die Schildwachen einander ablösen hören.«
»Das ist unbegreiflich,« rief Vivaldi. »Wie? keine Fußtritte, keine Stimme!«
Der Mann lächelte verächtlich. »Nichts als die Schildwachen,« erwiederte er.
»Wie könnt Ihr wissen, daß Ihr nur die Schildwache gehört habt,« setzte Vivaldi hinzu.
»Weil sie nichts als die Parole sprechen, und weil man zu gleicher Zeit das Klirren ihrer Gewehre hört.«
»Aber ihre Fußtritte! – wie kann man ihre Fußtritte von andern unterscheiden?«
»An der Schwere ihres Tritts: unsre Halbstiefel sind mit Eisen beschlagen. Aber warum thun Sie diese Fragen, Signor?«
»Ihr habt vor der Thüre dieses Zimmers Wache gehalten?« sagte Vivaldi.
»Ja, Signor!«
»Und habt nicht einmal die ganze Nacht hindurch eine Stimme von innen gehört?«
»Keine, Signor!«
»Fürchtet nicht verrathen zu werden, Freund! Gesteht, daß Ihr geschlummert habt.«
»Ich hatte einen Cameraden,« erwiederte die Schildwache aufgebracht, »hat der auch geschlafen! und wenn er es hätte, wer könnte sich denn ohne unsre Schlüssel den Eingang verschaffen.
»Die konnte man sich wohl leicht verschaffen, Freund, wenn Ihr vom Schlafe überwältigt waret. Ihr könnt euch auf mein Versprechen der Verschwiegenheit verlassen.«
»Was,« sagte der Mann, »habe ich drei Jahre in der Inquisition Wache gestanden, um von einem Ketzer beargwöhnt zu werden, daß ich meine Schuldigkeit vernachlässige?«
»Wenn Ihr von einem Ketzer beargwöhnt würdet,« sagte Vivaldi, »so solltet Ihr Euch mit dem Gedanken trösten, daß seine Meinungen als irrig betrachtet werden müssen.«
»Wir waren jede Minute der Nacht wachsam,« sagte die Schildwache im Fortgehn.
»Das ist unbegreiflich,« sagte Vivaldi; »auf welche Art hat denn dieser Fremde in mein Gefängniß kommen können?«
»Signor, Sie träumen noch immer!« erwiederte die Schildwache und stand stille. »Niemand ist hier gewesen.«
»Träumen noch immer,« wiederholte Vivaldi, »wie könnt Ihr wissen, daß ich überhaupt geträumt habe?«
Sein Gemüth, das durch die seltsamen Umstände des Traumes, und durch die noch außerordentlichere Begebenheit, die darauf folgte, tief bewegt war, gab den Worten der Schildwache eine Bedeutung, die ihnen nicht zukam.
»Wenn die Leute schlafen, so sind sie geneigt zu träumen,« erwiederte der Mann trocken: »ich vermuthete, Sie hätten geschlafen, Signor!«
»Ein Mensch, wie ein Mönch gekleidet, kam in der Nacht zu mir,« fuhr Vivaldi fort, und beschrieb das Ansehn des Fremden: die Schildwache wurde ernsthaft und nachdenkend, während sie zuhörte.
»Kennt Ihr Jemand, der dieser Beschreibung gleicht?« sagte Vivaldi.
»Nein,« erwiederte die Wache.
»Wenn Ihr ihn gleich nicht in mein Gefängniß habt kommen hören,« fuhr Vivaldi fort, »so besinnt Ihr Euch vielleicht auf eine solche Person, die in der Inquisition wohnt.«
»Sanct Dominiko, behüte!«
Vivaldi über diese Ausrufung verwundert, fragte nach der Ursache davon.
»Ich kenne ihn nicht,« versetzte die Schildwache, veränderte das Gesicht, und verließ schnell das Gefängniß.
Was auch an diesem plötzlichen Fortgehn Schuld seyn mochte, so kann man doch seiner Aeußerung, daß er drei Jahre lang in der Inquisition gedient habe, schwerlich Glauben beimessen, weil er ein so langes Gespräch mit einem Gefangenen führte, und sich der Gefahr nicht bewußt schien, der er sich dadurch aussetzte.