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Zehntes Kapitel.

What, wouldst thou have a serpent sting thee twice? »Wie? würdest du dich zweimal von einer Schlange stechen lassen?« [Der Kaufmann von Venedig IV, 1. – D.Hg.]

Shakespeare.

Die Marquise, über einige Winke, die Vivaldi bei dem letzten Gespräch zwischen ihnen fallen ließ, und durch verschiedne Umstände seines Betragens beunruhigt, ließ ihren treuen Rathgeber, Schedoni, rufen. Dieser, noch immer an der Schmach leidend, die er in der Kirche Spirito Santo erlitten hatte, gehorchte mit mürrischem Widerstreben, doch nicht ohne die boshafte Hoffnung, eine Gelegenheit zur Rache zu finden. Die Schmach, welche seine Heuchelei traf, und die feierliche Abziehung »solemn abstraction«: frömmlerische Versunkenheit«. – D.Hg., die er annahm, lächerlich machte, war tief in sein Herz gedrungen, wo sie die bittersten Leidenschaften seiner Natur rege machte, und ihn antrieb, auf schreckliche Rache zu denken. Diese Schmach setzte ihn Kränkungen von mancherley Art aus. Ehrgeitz war eine seiner stärksten Triebfedern, und er hatte seit langer Zeit einen Schein strenger Heiligkeit vorzüglich deswegen angenommen, um einst zu höherer Beförderung zu steigen. Er wurde in der Gesellschaft, von welcher er ein Mitglied war, nicht geliebt; und viele von der Brüderschaft, die sichs angelegen seyn ließen, seine Bemühungen zu vereiteln und seine Fehler aufzudecken; die ihn wegen seines Stolzes haßten und wegen seines Rufs der Heiligkeit beneideten, frohlockten jetzt über die Kränkung, die er erlitten hatte, und bemühten sich, die Sache zu ihrem eignen Vortheil zu drehn. Sie waren schon so weit gegangen durch Anspielungen und spitzige Reden ihren Triumph zu verkündigen, und seinem Rufe zu drohen, und Schedoni, wenn er gleich Verachtung verdiente, war nicht von einem solchen Temperament, sie zu ertragen.

Vor allem aber beunruhigten ihn einige Winke über sein vergangnes Leben, die Vivaldi fallen ließ, und die Ursache waren, daß er so schnell die Kirche verließ. Sie hatten ihn in der That in ein solches Schrecken gesetzt, daß er vielleicht sein Geheimniß mit dem Tode würde versiegelt, und Vivaldi dem Grabe geweiht haben, wenn nicht Furcht vor der Rache der Vivaldischen Familie ihn zurückgehalten hätte. Er hatte seit dieser Stunde keine Ruhe, keinen Schlaf gekannt, er hatte kaum einige Nahrung zu sich genommen, und lag unaufhörlich auf den Stufen des Hochaltars auf den Knien. Seine Verehrer, die ihn sahen, standen still und bewunderten ihn; diejenigen von den Brüdern, die ihn nicht leiden konnten, hohnlächelten und giengen weiter. Schedoni schien für beides gleich fühllos zu seyn, verloren für diese Welt und sich zu einer höhern. vorbereitend.

Die Qualen seiner Seele und die harte Buße, die er sich auflegte, hatten eine erstaunliche Veränderung in seinem Gesicht hervorgebracht, so daß er mehr einem Geist als einem menschlichen Wesen glich. Sein Gesicht war eingefallen und verstört; seine Augen lagen tief und waren beinahe ohne Bewegung, und sein ganzes Wesen und Stellung zeigten die wilde Wuth von etwas – nicht auf dieser Erde »of something – not of this earth«: von etwas, das nicht von dieser Welt zu sein schien. – D.Hg..

Als er zu der Marquise gerufen wurde, flüsterte sein Gewissen ihm zu, daß dies vielleicht eine Folge von Umständen sey, die Vivaldi entdeckt hätte, und er beschloß anfangs, nicht hinzugehn; da er aber überlegte, daß, wenn es so wäre, seine Weigerung den Verdacht bestättigen würde, beschloß er, sich noch einmal auf seine Schlauheit und Gewandtheit im Ausweichen zu verlassen.

Mit solchen Besorgnissen, durch diese Hoffnung gemildert, trat er in das Kabinett der Marquise. Sie fuhr beinahe zurück, als sie ihn erblickte, und konnte die Augen nicht sogleich von seinem veränderten Gesichte abziehn, während Schedoni durchaus unfähig war, die Verwirrung, welche dieses aufmerksame Betrachten ihm verursachte, zu verheelen.

»Friede sey mit Ihnen, Tochter,« sagte er, und setzte sich, ohne seine Augen von der Erde aufzuheben.

»Ich wünschte über wichtige Angelegenheiten, die Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannt sind, mit Ihnen zu sprechen,« sagte die Marquise. Sie hielt inne und Schedoni verneigte, in ängstlicher Erwartung was folgen würde, das Haupt.

»Sie schweigen, mein Vater,« fuhr die Marquise fort, »wie soll ich das verstehn?«

»Daß man Sie falsch benachrichtigt hat,« versetzte Schedoni, dessen bereitwilliges Gewissen seine Klugheit verrieth.

»Um Vergebung,« sagte die Marquise; »ich bin nur zu gut unterrichtet, und würde Sie nicht haben rufen lassen, wenn mir noch ein Zweifel übrig geblieben wäre.«

»Signora, sehn Sie sich wohl vor, was Sie glauben,« sagte der Beichtvater unbedachtsam; »Sie kennen die Folgen einer raschen Leichtgläubigkeit nicht.«

»Wollte der Himmel, es wäre nur eine rasche Leichtgläubigkeit,« erwiederte die Marquise, »aber es ist nur zu gewiß – wir sind verrathen.«

» Wir« – wiederholte der Mönch, und fieng an aufzuleben; »was ist denn geschehn?«

Die Marquise benachrichtigte ihn von Vivaldi's Abwesenheit und schloß, weil sie so lange dauerte, – denn er war schon seit mehreren Tagen fort – daß er gewiß sowohl den Ort von Ellenas Gefangenschaft, als die Urheber derselben entdeckt hätte.

Schedoni war nicht der Meinung, gab aber zu verstehn, daß man sich keinen Gehorsam der Jugend versprechen könnte, wenn man nicht strenge Mittel gebrauchte.

»Noch strengere,« rief die Marquise; »guter Vater, ist es nicht strenge genug, sie lebenslänglich einzusperren?«

»Ich meine, strengere in Rücksicht Ihres Sohns,« erwiederte Schedoni. »Wenn ein junger Mensch alle Achtung für einen heiligen Orden so ganz aus den Augen setzt, die Bekenner desselben öffentlich zu beschimpfen, und noch mehr, wenn ein solcher Bekenner gerade bei der Ausübung seiner heiligsten Pflichten begriffen ist, so ist es Zeit, ihn mit strenger Hand einzuschränken. Ich bin nicht gewohnt, solche Maaßregeln anzurathen; allein das Betragen des Signor Vivaldi ist so, daß es laut darum schreit. Der öffentliche Anstand erfordert es; ich für mein Theil würde die Schmach, die er mir angethan hat, als eine heilsame Demüthigung, als eine von den Prüfungen, welche die Seele von dem Stolze reinigen, den die heiligsten Menschen unbewußt nähren können, betrachtet haben; aber es ist mir nicht länger erlaubt, bloß auf mich selbst Rücksicht zu nehmen; das öffentliche Wohl erfordert, daß man ein Beispiel an der schrecklichen Ruchlosigkeit statuirt, die Ihr Sohn – es schmerzt mich, meine Tochter, es zu sagen – die Ihr Sohn, der einer solchen Mutter unwürdig ist, begangen hat.«

Es war sichtlich, daß Schedoni wenigstens in dem Ton dieser Anklage, seine Rache über seine gewöhnliche Gewandtheit, über die feine und glatte Art, womit er sonst seine Sachen vorzubringen wußte, den Sieg davon tragen ließ.

»Was meinen Sie denn, gestrenger Vater, fragte die in Erstaunen gesetzte Marquise, »welche Ruchlosigkeit, welches Verbrechen hat denn mein Sohn begangen? Ich bitte Sie, deutlich zu reden, damit ich beweisen kann, daß ich die Mutter in der strengen Schärfe der Richterin zu vergessen im Stande bin.«

»Das nenne ich mit der Größe des Geistes gesprochen, die Sie stets ausgezeichnet hat, meine Tochter! Starke Seelen begreifen, daß Gerechtigkeit das höchste Attribut der Moral, Barmherzigkeit nur die Eigenschaft schwacher Seelen ist!«

Schedoni hatte bei diesem Lobe noch eine andre Absicht, als die Marquise in ihrem gegenwärtigen Entschluß gegen Vivaldi zu bestärken. Er wünschte, sie auf Maaßregeln vorzubereiten, die in der Folge nothwendig seyn könnten, um die Rache, die er im Sinne führte, zu vollenden, und er wußte, daß es ihm durch Kitzelung ihrer Eitelkeit am leichtesten gelingen würde. Er pries sie daher wegen Eigenschaften, die er ihr zu besitzen wünschte, munterte sie auf, die allgemeine Meinung zu verachten, indem er die bequeme Moral, nach welcher sie zuweilen zu handeln pflegte, als ein Zeichen eines größern Geistes bewunderte, und Strenge Gerechtigkeit nennend, das als Stärke der Seele erhob, was nur verhärtete Fühllosigkeit und Selbstsucht war.

Er beschrieb ihr darauf Vivaldis Betragen in der Kirche Spirito Santo, übertrieb einige Beleidigungen, erfand andre, und machte aus dem Ganzen eine Geschichte unerhörter Ruchlosigkeit und muthwilliger Beleidigung.

Die Marquise hörte die Erzählung mit nicht weniger Unwillen als Erstaunen an, und ihre Bereitwilligkeit, des Beichtvaters Rath anzunehmen, machte, daß er mit erneutem Muthe und triumphirender Hoffnung fort gieng.

Der Marchese erfuhr nichts von dieser Unterredung mit Schedoni. Man hatte anfangs seine Meinung zu erforschen gesucht, und da man fand, daß er durchaus gegen die finstre Politik war, deren man sich zu bedienen für nöthig hielt, so wurde er nachher nie wieder über Vivaldi zu Rathe gezogen. Väterliche Sorge und Zärtlichkeit fieng wieder an bei ihm zu erwachen, als man die verlängerte Abwesenheit seines Sohnes bemerkte. So stolz er auch auf seinen Rang war, liebte er doch Vivaldi zärtlich, und ob er sich gleich nie überzeugen konnte, daß er in feierliche Verbindung mit einer Person treten könnte, die der Marquis so sehr unter sich hielt, als Ellena, so litt er doch an Zweifeln, die ihn sehr beunruhigten.

Vivaldis ausserordentliche Abwesenheit erneuerte jetzt seine Unruhe. Er fürchtete, daß er jetzt, wo die Furcht, Ellena auf immer zu verlieren, und der vielfache Widerstand, den man ihm entgegengesetzt, alle Leidenschaften dieses jungen Mannes gespannt hatte, leicht dazu hingerissen werden könnte, sich ihren Besitz durch unauflösliche Bande zu sichern. Von der andern Seite fürchtete er die Würkung von Vivaldi's Verzweiflung, wenn sein Suchen ihm fehl schlüge; und da ihm auf solche Art in dem einen Augenblicke vor dem bange war, was er im andern wünschte, litt der Marchese einen beinahe eben so heftigen Aufruhr von Leidenschaften in seinem Gemüthe, als sein Sohn.

Die Befehle, die er den Bedienten, welche er Vivaldi nachschickte, ertheilte, wurden in solcher Verwirrung der Gedanken gegeben, daß kaum einer seinen Willen ganz verstand! und da die Marquise ihm Ellenas Aufenthalt sorgfältig verschwiegen hatte, so giengen seine Anweisungen nicht auf den Weg nach San Stefano.

Während die Marquise zu Neapel sich auf solche Art beschäftigte, und Schedoni mit seinen Projecten gegen Ellena umgieng, wanderte Vivaldi von Dorfe zu Dorfe, und von Stadt zu Stadt, um sie aufzusuchen, die alle seine Bemühungen bisher nicht wieder erreichen konnten. Von den Leuten im Posthause zu Bracelli hatte er wenig Nachrichten erhalten, die ihm zum Wegweiser dienen konnten: sie wußten nur, daß ein Wagen, wie man ihn bereits Vivaldi beschrieben hatte, mit aufgezognen Blenden, dort des Morgens Pferde wechselte und den Weg nach Morgagni nahm.

Als Vivaldi dort ankam, war alle Spur von Ellenen verloren. Der Postmeister konnte sich auf keinen Umstand, nach dem er fragte, besinnen; und hätte er auch die Reisenden bemerkt, so würde es Vivaldi nichts geholfen haben, wenn er nicht zugleich den Weg, den sie weiter nahmen, anzeigen konnte; denn es liefen von diesem Orte verschiedne Straßen nach entgegengesetzten Richtungen aus. Vivaldi konnte also nichts weiter thun, als eine von diesen wählen, so wie es Zufall oder Phantasie ihm eingab: und da es ihm wahrscheinlich däuchte, daß die Marquise Ellenen in ein Kloster geschafft hätte, so beschloß er, in einem jeden, das auf seinem Wege lag, Nachfrage zu halten.

Er war nun über einige der wildesten Striche der Appenninischen Gebürge durch Scenen gekommen, welche die civilisirte Gesellschaft den Banditen, die in ihren Klüften hausten, überlassen zu haben schien. Aber selbst hier, in diesen beinahe unzugänglichen Wildnissen, waren Klöster, jedes mit seinem kleinen, dazu gehörigen Dorfe, ausgestreut; durch Wälder und Berge vor der Welt geschützt, genossen sie unbeargwöhnt manche von ihren Annehmlichkeiten, und prangten unbemerkt mit manchem von ihrem Schmucke. Vivaldi, der um Ellenas willen verschiedne besuchte, wurde durch die verfeinerte Höflichkeit der Gastfreiheit, womit man ihn aufgenommen hatte, überrascht.

Am siebenten Tage seiner Reise, nahe vor Sonnenuntergang, verirrte er sich in den Wäldern von Rugieri. Er hatte sich den Weg, den er nehmen mußte, in einem Dorfe, das einige Meilen entfernt lag, beschreiben lassen, und war ihm zuversichtlich bis jetzt gefolgt, wo der Pfad sich in verschiedne Spuren, die zwischen den Bäumen ausliefen, verlor. Der Tag neigte sich, und Vivaldi ließ den Muth sinken; aber Paulo, leichten Herzens und immer froh, lobte den Schatten und die angenehme Kühle der Wälder, und meinte, wenn sein Herr den Weg verlöre, und die Nacht hier bleiben müßte, so würde es kein großes Unglück seyn, denn sie könnten zwischen die Zweige eines Kastanienbaums hinauf klettern und ein reinlicheres und luftigeres Nachtquartier finden, als sie noch in irgend einem Wirthshause gehabt hätten.

Während Paulo sich auf diese Art bemühte, der Sache den besten Anstrich zu geben, und sein Herr in Träumerei versank, hörten sie plötzlich den Ton von Instrumenten und Stimmen in der Ferne. Die Dunkelheit, welche die Bäume umher warfen, hielt sie ab, die Gegenstände zu unterscheiden, und weder ein einziges menschliches Wesen, noch eine Spur seiner Kunst »art«: hier im Sinne von ›Kunstfertigkeit‹, ›menschlicher Arbeit‹. war unter der schattigten Scene zu sehn. Sie horchten, um sich zu vergewissern, woher der Ton käme, und vernahmen einen Chor von Stimmen, die, von einigen wenigen Instrumenten begleitet, den Abend-Gottesdienst feierten.

»Wir sind nahe bei einem Kloster, Signor,« sagte Paulo; »horch! sie sind bei der Vesper!«

»So ist es,« erwiederte Vivaldi, »und wir wollen, so schnell wir können, darauf zueilen.«

»Wohl, Signor! ich muß sagen, wenn wir es eben so gut dort finden, als bei den Capuzinern, so werden wir eben nicht Ursach haben, unsre alfresco Betten Freiluftbetten. – D.Hg. zwischen den Zweigen zu bedauern.«

»Siehst du einige Mauern oder Thürme hinter den Bäumen?« sagte Vivaldi, als er voraus gieng.

»Nein, Signor, aber wir kommen den Tönen näher. Ach hören Sie diese Note! wie sie dahin schmilzt! Und diese Instrumente, die eine Symphonie anstimmen! Das ist keine Musik von Bauern. Es muß ein Kloster in der Nähe seyn.«

Doch sahen sie noch immer keine Mauern, und bald nachher verschwand die Musik ganz; andre Töne aber leiteten Vivaldi zu einer angenehmen Gegend des Waldes, wo sich die Bäume öffneten, und er eine Gesellschaft von Pilgrimmen auf dem Grase sitzen sah. Sie lachten und sprachen sehr fröhlich, indem jeder sein Abendessen, das er aus seiner Tasche zog, vor sich hinbreitete; während der, welcher der Anführer dieser Pilgrimschaft zu seyn schien, mit jovialischem Gesichte in der Mitte der Gesellschaft saß, Scherze und lustige Geschichten austheilte, und zur Vergeltung einen Zoll aus jeder Tasche erhielt. Weine von verschiedner Art wurden ihm vorgesetzt, er trank reichlich und schien keinen Leckerbissen, der ihm angeboten wurde, zu verschmähn.

Vivaldi, dessen Besorgnisse nunmehr gestillt waren, blieb stehn, um die Gruppe zu betrachten, so wie die Abendstrahlen, die längs dem Saume des Waldes hinglitten, einen Schein auf ihre verschiedenen Gesichter warfen; nur ein Geist der Fröhlichkeit, der mehr die Glieder einer Gesellschaft zum Vergnügen, als die einer Pilgrimschaft zu charakterisiren schien, war allgemein über Alle verbreitet. Der Vater und seine Heerde schienen einander vollkommen zu verstehn; der Prior gab willig die feierliche Strenge seines Amtes auf, und erlaubte der Gesellschaft in Rücksicht des Ueberflußes, den er von dem Besten, was sie hatten, erhielt, sich so lustig als möglich zu machen; doch mischte sich eine gewisse Würde in seine Herablassung, welche ihnen auflegte, selbst seine Scherze mit einer Art von Achtung aufzunehmen, und vielleicht lachten sie weniger über den Witz, als über die Gunstbezeugung, die er ihnen dadurch widerfahren ließ.

Vivaldi wandte sich an das Oberhaupt und bat um eine Zurechtweisung, wie er seinen Weg wieder gewinnen könnte. Der Vater sah ihn einen Augenblick an, ehe er antwortete; da er aber die Eleganz seiner Kleidung und einen gewissen vornehmen Anstand an ihm bemerkte, und zugleich wahrnahm, daß Paulo sein Bedienter war, versprach er ihm seine Dienste und lud ihn ein, sich zu seiner Rechten nieder zu setzen und an dem Abendessen Theil zu nehmen.

Als Vivaldi hörte, daß die Gesellschaft seinen Weg gieng, nahm er die Einladung an; Paulo band die Pferde an einen Baum und beschäftigte sich bald mit dem Abendessen. Wahrend Vivaldi mit dem Anführer sprach, zog Paulo die ganze Aufmerksamkeit der andern Pilgrimme auf sich; sie erklärten, er wäre der artigste und fröhlichste Bursch, den sie je gesehn hätten, und äusserten oft den Wunsch, daß er mit ihnen bis zu dem Schrein eines Karmeliter-Klosters, dem Ziele ihrer Pilgrimschaft, gehn möchte. Sobald Vivaldi vernahm, daß dieses Heligenbild in der Kirche eines Klosters war, das zum Theil von Nonnen bewohnt wurde, und daß es nur eine Stunde entfernt läge, beschloß er, sie zu begleiten, weil er es für eben so möglich hielt, daß Ellena dort, als in einem andern Kloster eingesperrt seyn könnte, und daß sie in einem Kloster eingesperrt war, wurde ihm immer gewisser, je mehr er den Charakter und die Absichten seiner Mutter bedachte. Er machte sich also zu Fuß mit den Pilgrimmen auf, und gab sein Pferd an den müden Vater.

Die Dunkelheit überfiel sie lange vorher, ehe sie das Dorf, wo sie die Nacht zuzubringen dachten, erreichten; allein sie verkürzten den Weg mit Liedern und Geschichten, und standen nur dann und wann auf Befehl des Vaters still, um ein Gebet zu sagen, oder eine Hymne anzustimmen. Als sie aber dem Dorfe am Fuße des Berges, wo das Heiligenbild stand, nahe kamen, machten sie Halt, um sich in Prozession zu ordnen; der Prior brach mitten in einem seiner besten Scherze kurz ab, stieg vom Pferde herunter, stellte sich an ihre Spitze, stimmte eine laute Melodie an, und schritt im vollen Chor einer Trauermusik mit ihnen vorwärts.

Sobald die Bauern ihre sonoren Stimmen hörten, kamen sie ihnen entgegen, um sie in ihre Hütten zu führen. Das Dorf war bereits mit Andächtigen angefüllt; allein diese armen Bauern, die sie mit Liebe und Verehrung betrachteten, wandten alles an, um alle, die kamen, zu beherbergen: demohngeachtet fand Paulo bald, wenn er sich auf seinem Strohlager wälzte, mehr als eine Ursache, seine Matratze auf dem Kastanienbaume zurück zu wünschen.

Vivaldi brachte eine ängstliche Nacht zu, und erwartete mit Ungeduld den Anbruch des Tages, der ihm vielleicht Ellena wieder geben sollte. Da er überlegte, daß ein Pilgerhabit ihn nicht nur vor Verdacht schützen, sondern ihm auch Gelegenheit zu Beobachtungen geben würde, die seine eigne Kleidung nicht zuließ, so trug er Paulo auf, ihm eines zu verschaffen. Die Gewandtheit dieses Bedienten, von einem einzigen Dukaten unterstützt, verschaffte es ihm leicht, und mit frühem Morgen trat er seine Entdeckungsreise an.



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