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Drittes Kapitel.

– Art thou any thing?
Art thou some God, some Angel, or some Devil?
That mak'st my blood cold, and my hair to stand?
Speak to me, what thou art. »Bist du ein Etwas? – Bist du ein Gott, ein Engel oder ein Teufel? Der du mein Blut erstarren, mein Haar sich empor sträuben machst? Sprich, was du bist!«

Julius Cæsar.

Von seinem letzten Besuche zu Altieri an, hatte Vivaldi seinen Zutritt bei Signora Bianchi, und Ellena ließ sich endlich bewegen, zu der Gesellschaft zu kommen, wo meistens von gleichgültigen Gegenständen gesprochen wurde. Bianchi, die ihrer Nichte Gesinnung und Vivaldis gebildeten Geist und feine Sitten kannte, urtheilte mit Recht, daß er bei ihr weit mehr durch stille Aufmerksamkeit, als durch eine förmliche Erklärung seiner Gesinnungen gewinnen würde. Durch solche Erklärungen würde vielleicht Ellena, bis ihr Herz fester für ihn eingenommen war, zurückgeschreckt und dahin gebracht worden seyn, ihn ganz auszuschlagen, da er hingegen durch den bloßen Umgang mit jedem Tage bei ihr gewinnen mußte.

Signora Bianchi hatte Vivaldi eingestanden, daß er keinen Nebenbuhler zu befürchten hätte, daß Ellena bisher jeden Anbether, der sich in den Schatten ihrer Einsamkeit gedrängt, auf gleiche Art zurückgewiesen hätte, und daß ihre gegenwärtige Zurückhaltung mehr aus Rücksichten wegen seiner Familie, als aus Abneigung gegen ihn herrühre. Er enthielt sich also in sie zu dringen, bis er sich einen stärkern Vorsprecher in ihrem Herzen würde gesichert haben, und Signora Bianchi, deren sanfte Vorstellungen für ihn mit jedem Tage einnehmender und überzeugender wurden, munterte ihn in dieser Hoffnung auf.

Verschiedene Wochen verstrichen in diesem Umgange, bis Ellena, den Vorstellungen der Signora Bianchi und den Regungen ihres eignen Herzens nachgebend, Vivaldi als ihren erklärten Anbether annahm, ohne sich weiter um die Gesinnungen seiner Familie zu bekümmern; oder wenn sie ja daran dachte, so war es mit der Hoffnung, daß sie durch mächtigere Rücksichten besiegt werden würden.

Die Liebenden machten oft mit Signora Bianchi und einem gewissen Signor Giotto, einem weitläufigen Verwandten, kleine Lustreisen in der bezaubernden Gegend von Neapel; denn Vivaldi scheute sich nicht länger, seine Liebe zu erklären, sondern wünschte vielmehr, durch sein öffentliches Betragen, jedem nachtheiligen Gerücht zu widersprechen. Die Betrachtung, daß Ellenas Name durch seine Unbesonnenheit gelitten hatte, vereinigte sich mit der arglosen Unschuld und Gefälligkeit ihres Betragens gegen ihn, der die Ursache ihrer Kränkung gewesen war, ein rührendes Mitleid in seine Liebe zu mischen, das alle Familienrücksichten aus seiner Seele vertilgte, und sie unauflöslich an sein Herz band.

Diese kleinen Lustpartien führten sie zuweilen nach Puzzuoli, Baja, oder den waldigten Klippen von Pausilippo, und wenn sie auf ihrem Rückwege längs der vom Monde erleuchteten Bay hinglitten, so schienen die Melodien des italienischen Gesangs eine Bezauberung über das schöne Ufer zu gießen. Oft hörte man in dieser kühlen Stunde die Stimmen der Winzer in einem Trio, wenn sie nach der Arbeit des Tags auf einem anmuthigen von Pappeln beschatteten Hügel ruhten, oder die fröhliche Musik des Tanzes von den Fischern, unten am Saume der Wellen. Die Matrosen ruhten auf ihren Rudern, während ihre Gesellschaft Stimmen zuhörte, die durch die Fühlbarkeit einer schönern Beredsamkeit, als die Macht der Kunst allein zu entwickeln vermag, modulirt wurden: an einer andern Truppe bemerkten sie mit Vergnügen die leichte natürliche Grazie, welche den Tanz der Neapolitanischen Fischer und Bauern auszeichnet. Oft wenn sie um ein Vorgebürge bogen, dessen buntschäckige Masse weit über die See hinaus ragte, so entfalteten sich solche magische Scenen der Schönheit, durch die tanzenden Gruppen unten am Hafen geschmückt, die kein Pinsel zu schildern vermag. Das tiefe, klare Wasser spiegelte jedes Bild der Landschaft zurück; die Klippen, die in wilden Formen da standen, mit Wäldchen gekrönt, deren rauhes Laub sich oft in pittoresker Ueppigkeit die steilen Stufen herab ausbreitete; eine verfallne Villa auf einer kühnen Spitze, durch die Bäume schimmernd; – Bauernhütten, die an Abgründen hiengen, und die tanzenden Figuren am Strande – alles in das Silberlicht und in die sanften Schatten des Mondes getaucht. Von der andern Seite stellte die See, auf der ein langer Streif vom Glanze zitterte, und in der hellen Ferne die Segel von Schiffen sehen ließ, die sich nach allen Richtungen längs der Oberfläche hinschlichen, eine Aussicht dar, die eben so groß, als die Landschaft reizend war.

Eines Abends, als Vivaldi mit Ellena und Signora Bianchi in dem nämlichen Pavillon saß, wo er zuerst das kurze, aber für ihn wichtige, Selbstgespräch belauschte, welches ihn von ihrer Neigung überzeugte, drang er ernstlicher als je auf die Beschleunigung ihrer Heirath. Signora Bianchi widersprach seinen Vorstellungen nicht; sie hatte sich schon seit einiger Zeit nicht wohl befunden, und wünschte, weil sie ihre Kräfte schnell abnehmen fühlte, die Hochzeit vollzogen zu sehn. Sie betrachtete mit matten Blick die Scene, die sich vor dem Pavillon ausbreitete. Der Strahlenschimmer, den die untergehende Sonne über die See warf, und der ihnen unzählige buntgemahlte Gondeln und Fischerboote zeigte, die aus Santa Lucia in den Hafen von Neapel zurückkehrten, konnte sie nicht mehr erheitern. Selbst der römische Thurm, der das Bollwerk unten beschloß, von den gesenkten Strahlen gefärbt, die verschiednen Gestalten der Fischer, die ihr Pfeifchen rauchend unter den Mauern im langen Schatten lagen, oder im Sonnenscheine am Ufer standen, und die herannahenden Boote ihrer Kameraden abwarteten, bildeten ein Gemählde, das auf sie keinen Eindruck mehr machte.

»Ach,« sagte sie, ihr tiefsinniges Stillschweigen unterbrechend – »diese prächtige Sonne, die alle mannigfaltigen Farben dieser Ufer bestrahlt; der Glanz dieser majestätischen Berge, wird nicht lange für mich mehr scheinen – ich fühle es, meine Augen werden sich bald auf immer dieser Aussicht verschließen!«

Auf Ellenas zärtlichen Vorwurf über diese traurige Besorgniß, antwortete Bianchi nur durch die Aeußerung des sehnlichen Wunsches, vorher noch Zeuge von der Handlung zu seyn, die ihr die Gewißheit seines Schutzes zusicherte. Ellena, sowohl durch diese Weissagung vom nahen Ende ihrer Tante, als durch diesen offenbaren Wink von ihrer eignen Lage in Vivaldis Gegenwart äußerst betroffen, brach in Thränen aus, während ihr Geliebter, von den Wünschen Bianchis unterstützt, mit erhöhter Wärme in sie drang.

»Es ist jetzt nicht Zeit zu feinen Bedenklichkeiten,« sagte Bianchi, »jetzt, da eine feierliche Wahrheit uns zuruft. Mein liebes Kind, ich will meine Gefühle nicht verbergen; sie versichern mir, daß ich nicht lange mehr zu leben habe. Gewähre mir also die einzige Bitte, die ich an dich zu thun habe, und die meine letzten Stunden ruhiger machen wird.«

Nach einer Pause setzte sie hinzu, indem sie die Hand ihrer Nichte ergriff: »Es wird allerdings eine feierliche Trennung für uns beide seyn, und sie muß auch schmerzhaft seyn, Signor!« sagte sie zu Vivaldi, »denn sie ist mir eine Tochter gewesen, und ich bin mir bewußt, die Pflichten einer Mutter treu gegen sie erfüllt zu haben. Urtheilen Sie also selbst, was sie empfinden wird, wenn ich nicht mehr bin. Es sey dann Ihre Sorge, sie zu trösten.«

Vivaldi sah Ellena an und wollte etwas sagen, aber die Tante fuhr fort. »Meine eignen Gefühle würden nicht weniger bitter seyn, wenn ich nicht hoffte., sie einer Zärtlichkeit anzuvertrauen, die sich nicht verringern, kann; – wenn ich nicht hoffte, sie zu bewegen, den Schutz eines Gatten nicht von sich zu weisen. Ihnen, Signor, übertrage ich mein Kind zum Vermächtniß. Wachen Sie über ihre künftigen Augenblicke; schützen Sie sie eben so wachsam, als ich es gethan habe, vor Unruhe, und wo möglich vor Unglück; ich habe noch viel zu sagen, aber meine Kräfte sind erschöpft.«

Bei dem Anhören dieses heiligen Auftrages, bei der Erinnerung an das Unrecht, welches Ellena schon um seinetwillen durch die grausame Schmach die der Marquis auf ihren Namen warf, erlitten hatte, empfand er einen edeln Unwillen, dessen Ursache er kaum verbergen konnte, auf welchen eine Zärtlichkeit folgte, die ihn beinahe bis zu Thränen rührte. Er gelobte sich selbst, ihren Namen zu vertheidigen und ihre Ruhe auf Kosten jeder andern Rücksicht zu vertheidigen.

Als Bianchi ausgeredet hatte, gab sie Ellenas Hand an Vivaldi, der sie mit einer Bewegung, die er nur durch seine Blicke ausdrücken konnte, ans Herz preßte, und mit einem feierlichen Blick zum Himmel schwur, dass er nie das in ihn gesetzte Vertrauen verrathen, und mit eben so zärtlicher, unermüdeter Sorgfalt über Ellenas Glückseligkeit wachen wollte, als sie selbst. Er schwur, daß er sich von diesem Augenblick an mit nicht weniger heiligen Banden, als die Kirche auflegen kann, gebunden glaubte, sie als sein Weib zu beschützen und daß er dieses bis zum letzten Augenblick seines Daseyns thun würde. Die Innigkeit seines Wesens bekräftigte die Wahrheit seiner: Gefühle.

Ellena, noch immer weinend und von verschiednen Regungen hin und her gerissen, konnte nicht sprechen: allein sie nahm ihr Tuch vom Gesicht und blickte ihn durch ihre Thränen mit einem sanften, zärtlichen, furchtsamen und doch zutraulichen Lächeln an, das alle gemischten Empfindungen ihres Herzens ausdrückte, und beredter als die kräftigste Sprache zu dem seinigen drang.

Ehe Vivaldi die Villa verließ, hatte er noch eine kleine Unterredung mit Signora Bianchi. Es wurde ausgemacht, daß die Hochzeit die nächste Woche gefeiert werden sollte, wenn Ellena sich bewegen ließe, so bald einzuwilligen. Sie hoffte, ihm den folgenden Tag, wenn er wieder käme, Ellenas Entschluß sagen zu können.

Er gieng noch einmal mit dem leichtfüßigen Schritt der Freude nach Neapel zurück, die aber bald durch eine Bestellung von dem Marchese, in sein Kabinett zu kommen, gedämpft wurde. Er errieth den Gegenstand des Gesprächs und gehorchte ungern dem Rufe.

Er fand seinen Vater so in Gedanken vertieft, daß er ihn nicht gleich gewahr wurde. Als er die Augen vom Boden aufschlug, an welchen Unwillen und Verlegenheit sie zu heften schienen, warf er einen finstern Blick auf Vivaldi.

»Ich höre,« sagte er »daß du bei der unwürdigen Absicht, wogegen ich dich gewarnt habe, beharrest. Ich habe dich so lange deiner eignen Klugheit überlassen, weil ich dir gerne Gelegenheit geben wollte, die Erklärung., die du mir von deinen Grundsätzen und Absichten gegeben hast, mit guter Art zurück zu nehmen: allein dein Betragen ist darum nicht weniger beobachtet worden. Ich weiß, daß deine Besuche bei diesem unglücklichen jungen Mädchen, die schon einmal der Gegenstand unsers Gesprächs war, eben so häufig gewesen sind, als sonst, und daß du noch eben so sehr von ihr verblendet bist.«

»Wenn Sie Signora Rosalba meinen, gnädiger Herr, so muß ich. Ihnen sagen, daß sie nicht unglücklich ist; und ich trage kein Bedenken zu gestehn, daß ich ihr eben so aufrichtig ergeben bin als je. Warum, mein theurer Vater,« fuhr er fort, indem er die Empfindungen zu unterdrücken suchte, die diese Herabwürdigung Ellenas in ihm erregte, »warum beharren Sie darauf, sich dem Glück Ihres Sohnes zu widersetzen; und vor allem, warum fahren Sie fort, ungerecht von derjenigen zu denken, die Ihre Achtung eben so sehr als meine Liebe verdient?«

»Da ich kein Liebhaber bin,« erwiederte der Marquis, »und da ich das Alter kindischer Leichtgläubigkeit zurückgelegt habe, so bin ich nicht so geneigt, meine Augen der Untersuchung zu verschließen; ich lasse mich durch Beweise leiten und gebe nur der Ueberzeugung Gehör.«

»Welcher Beweis hat Sie denn so leicht überzeugt, gnädiger Herr!« sagte Vivaldi; »wer ist denn derjenige, der so hartnäckig darauf besteht, Ihr Vertrauen zu mißbrauchen und meinen Frieden zu zerstören?«

Der Marquis gab seinem Sohne einen stolzen Verweis über diese Zweifel und Fragen, und es erfolgte ein langes Gespräch, welches weder die Vortheile noch Meinungen beider Partheien zu vereinigen schien. Der Marchese beharrte auf Anklagen und Drohungen, und Vivaldi fuhr fort, Ellena zu vertheidigen und zu bekräftigen, daß seine Neigung und Absichten unwiderruflich bestimmt wären.

Keine Kunst der Ueberredung konnte den Marquis bewegen, seine Beweise anzuführen, oder den Namen seines Benachrichtigers zu sagen; eben so wenig konnte eine Drohung Vivaldi schrecken, und ihn bewegen, Ellena zu entsagen; sie trennten sich mit gegenseitiger Unzufriedenheit. Der Marchese hatte bei dieser Gelegenheit seine gewöhnliche Politik vergessen: denn seine Drohungen und Anklagen hatten Stolz und Unwillen erweckt, da hingegen gute und sanfte Vorstellungen gewiß die kindliche Liebe aufgerufen und einen Kampf in Vivaldis Brust würden erregt haben. Jetzt theilte kein Kämpfen entgegengesetzter Pflichten seinen Entschluß. Er war über den Gegenstand ihres Streites gar nicht in Zweifel: da er seinen Vater als einen stolzen Unterdrücker betrachtete, der ihn seines heiligsten Rechtes berauben wollte; als einen, der kein Bedenken trug, den Namen des Unschuldigen und Wehrlosen, wenn sein Vortheil es erfoderte, auf die zweideutige Aussage eines niedrigen Angebers zu beflecken, so traten weder Mitleid noch Gewissensbisse dem Entschluß entgegen, seine angebohrne Freiheit zu behaupten; und er war sogar noch eifriger als vorher bedacht, eine Heirath zu vollziehn, die, wie er glaubte, seine eigne Glückseligkeit und Ellenas guten Namen zugleich sichern würde.

Er kehrte daher den folgenden Tag mit erhöhter Ungeduld nach der Villa Altieri zurück, um den Ausgang von Signora Bianchis fernerem Gespräch mit ihrer Nichte und den Tag der Hochzeitsfeier zu erfahren. Auf dem Wege dahin waren seine Gedanken gänzlich mit Ellena beschäftigt und er schritt mechanisch fort, ohne zu bemerken, wo er war, bis der Schatten, den der wohlbekannte Schwibbogen über den Weg warf, ihn an die Umstände des Ortes erinnerte, und eine Stimme sogleich seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war die Stimme des Mönchs, dessen Gestalt wieder vor ihm vorüber schwebte.

»Gehe nicht nach der Villa Altieri,« sagte er feierlich, »denn der Tod ist in dem Hause.«

Ehe Vivaldi sich von dem Schrecken erholen konnte, worein diese abgerißne Warnung und die plötzliche Erscheinung ihn gesetzt hatte, war der Fremde verschwunden. Er hatte sich in die Dunkelheit des Ortes geflüchtet, und schien sich in die Verborgenheit zurückgezogen zu haben, aus der er so plötzlich erschienen war; denn man sah ihn nicht unter dem Schwibbogen hervorkommen. Vivaldi verfolgte ihn mit seiner Stimme, beschwor ihn zu erscheinen und ihm zu sagen, wer todt wäre? aber keine Stimme antwortete.

Er glaubte, daß der Fremde durch keinen Weg unbemerkt aus dem Schwibbogen hätte entwischen können, außer durch den, der nach der Festung führte; er war schon im Begriff, die Stufen herauf zu steigen, als ihm einfiel, daß er die Bedeutung dieser schauderhaften Worte am sichersten erfahren könnte, wenn er sich unverzüglich nach der Villa Altieri begäbe: er verließ also diese weitläuftigen Ruinen und eilte dahin.

Eine gleichgültige Person würde gewiß diese Worte des Mönchs auf Signora Bianchi bezogen haben, deren Kränklichkeit einen plötzlichen Tod nicht unwahrscheinlich machte: allein Vivaldis aufgeschreckter Phantasie erschien blos die sterbende Ellena. Seine Besorgnisse, sie mochten nun durch Wahrscheinlichkeit bekräftigt oder durch den Ausgang gerechtfertigt werden, waren einer heißen Leidenschaft natürlich; allein eine eben so außerordentliche als schreckliche Vorahndung begleitete sie. Es fiel ihm mehr als einmal ein, daß Ellena ermordet sey. Er sah sie verwundet und sich zu Tode bluten – sah ihr aschfarbiges Gesicht und ihre starren Augen, in welchen der Funke des Lebens schnell erlosch, kläglich auf ihn gerichtet, als wollte sie ihn anflehen, sie von dem Schicksal zu retten, das sie zum Grabe schleppte. Als er die Verzäunung des Gartens erreichte, zitterte er von schrecklicher Angst am ganzen Körper so sehr, daß er eine Weile stehn blieb, unfähig sich näher zu der Wahrheit zu wagen. Endlich faßte er Muth; er schloß eine kleine Thüre auf, zu welcher er kürzlich den Schlüssel erhalten hatte, weil sie ihm eine weite Strecke Wegs ersparte, und näherte sich dem Hause. Alles war still und verlassen; beinahe alle Fenster waren dicht zugemacht und bei dem Bemühen, aus allen geringfügigen Umständen eine Vermuthung zusammen zu setzen, sank ihm der Muth mit jedem Schritt, bis, da er das Portico bis auf einige Schritte erreicht hatte, alle seine Besorgnisse bestätigt wurden. Er hörte inwendig ein schwaches Klagen und dann einige Töne des feierlichen und besondern Recitativs, welches in einigen Gegenden von Italien das Requiem der Sterbenden ist. Die Töne waren so tief und fern, daß sie nur in sein Ohr summeten; er drang in das Portico, ohne sich weiter aufzuhalten und köpfte laut an die Flügelthüren, die jetzt gegen ihn verschlossen waren.

Nach wiederholten Auffoderungen erschien die alte Haushälterinn Beatrix. Sie wartete nicht auf Vivaldis Erkundigungen.

»Ach, Signor!« sagte sie, »ach Herr Gott, wer hätte das wohl gedacht! wer sollte sich wohl eine solche Verändrung vorgestellt haben! Es war erst gestern Abend, als Sie hier waren. Sie befand sich damals ebenso wohl als ich! Wer hätte gedacht, daß sie heute schon todt sehn würde!«

»Sie ist also todt?« rief Vivaldi tief ins Herz getroffen, sie ist todt?«

Er schwankte bis zu einem Pfeiler im Saal und suchte sich daran aufrecht zu harten. Beatrix, über seinen Zustand erschrocken, wollte Hülfe herbei rufen, aber er winkte ihr zu bleiben.

»Wann starb sie,« sagte er, mühsam Athem holend, »wie und wo?«

»Ach, hier in der Villa, Signor,« erwiederte Beatrix weinend. »Wer hätte wohl gedacht, daß ich diesen Tag erleben würde! Ich hoffte, meine alten Gebeine in Frieden nieder zu legen.«

»Was hat ihren Tod verursacht,« unterbrach Vivaldi sie ungeduldig, »und wann starb sie?«

»Um zwei Uhr diesen Morgen, Signor, gerade um zwei Uhr! O unglücklicher Tag, daß ich das erleben mußte!«

»Es ist mir besser,« sagte Vivaldi, sich aufrichtend; »führe sie mich in das Zimmer – ich muß sie sehn. Zögre sie nicht; bringe sie mich hin.«

»Ach! Signor, es ist ein trauriger Anblick – warum wollen Sie sie sehn? Lassen Sie sich zureden; gehn Sie nicht hin, Signor!«

»Führe sie mich hin,« erwiederte Vivaldi finster – »wenn sie sich weigert, werde ich den Weg schon alleine finden.«

Beatrix, durch seinen Blick und Bewegung in Schrecken gesetzt, widerstand ihm nicht länger; sie bath ihn nur zu warten, bis sie ihrer Herrschaft seine Ankunft gemeldet hätte; allein er folgte ihr dicht auf dem Fuße die Treppe herauf und durch einen Gang, der rings um die westliche Seite des Hauses nach einer Reihe Zimmer führte, die durch die zugemachten Fensterladen ganz dunkel waren, und durch die er nach dem Zimmer kam, wo der Leichnam lag. Das Requiem hatte aufgehört, und kein Laut störte die feierliche Stille, die in diesen verlaßnen Zimmern herrschte. An der Thüre des letzten Zimmers, wo er stille stehn mußte, war seine Bewegung so groß, daß Beatrix, die jeden Augenblick erwartete, ihn zur Erde sinken zu sehn, einen Versuch machte, ihn mit ihren schwachen Kräften zu unterstützen; allein er gab ihr ein Zeichen, sich zurückzuziehn. Er erholte sich bald und gieng. in das Zimmer des Todes, dessen Feierlichkeit in einer andern Stimmung seiner Lebensgeister einen tiefen Eindruck auf ihn würde gemacht haben; allein sein Geist war jetzt von wirklichem Leiden zu sehr niedergedrückt, als daß er den Einfluß des Orts hätte fühlen können. Er näherte sich dem Bette, auf welchem der Leichnam lag, richtete seine Augen auf die Leidtragende, die weinend über ihm hieng und sah – Ellena, die durch seinen plötzlichen Eintritt und noch mehr durch Vivaldis freudige Bewegung überrascht, ihn zu wiederholtenmalen nach der Ursache fragte. Allein er hatte weder Kraft noch Willen, ihr eine Ursache zu erläutern, die ihr Herz tief hätte verwunden müssen, weil es ihr würde verrathen haben, daß derselbe Umstand, der ihren Schmerz erregte, ihm durch einen sonderbaren Zufall Freude machen mußte.

Er drang sich der Heiligkeit ihren Kummers nicht lange auf, und die kurze Zeit seines Bleibens brachte er mit dem Bemühen hin, seine eigne Bewegung zu beherrschen, und die ihrige zu lindern.

Als er Ellena verlassen hatte, erkundigte er sich bei Beatrix näher nach den Umständen von Bianchis Tode, und hörte, daß sie sich die vergangne Nacht wie gewöhnlich zu Bette gelegt hätte.

»Es war ohngefähr ein Uhr Morgens, Signor,« fuhr Beatrix fort, »als ich durch ein Geräusch in meiner Herrschaft Zimmer aufgeweckt wurde. Gleich darauf hörte ich meines Fräuleins Stimme Beatrix! Beatrix! rufen. Das arme Fräulein, sie war in der That in großem Schrecken, und sah so blaß aus wie der Tod, und zitterte am ganzen Leibe. Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern eilte fort. Die heilige Jungfrau beschütze mich! ich dachte, ich sollte auf der Stelle in Ohnmacht sinken.«

»Aber Ihre Herrschaft?« sagte Vivaldi, dessen Geduld durch die langweilige Geschwätzigkeit der alten Beatrix erschöpft war.

»Ach meine arme Herrschaft, Signor! Ich glaubte, ich würde ihr Zimmer nimmermehr erreichen, und als ich herein kam, war ich nicht viel lebendiger als sie selbst. – Da lag sie auf ihrem Bette! Ach, es war ein herzschneidender Anblick! da lag sie so kläglich! Ich sah, daß der Tod schon an ihr war: Sie konnte nicht sprechen, so oft sie es auch versuchte, aber sie verstand noch alles, denn sie sah Signora Ellena so beweglich an und versuchte dann wieder zu sprechen – es brach einem beinahe das Herz, sie zu sehn. Es schien ihr etwas auf der Seele zu liegen, und sie that ihr Aeußerstes, um es hervorzubringen – und wann sie Signora Ellenas Hand ergriff, sah sie ihr so schmerzlich ins Gesicht, daß man ein Herz von Stein haben mußte, um es auszuhalten! Mein armes junges Fräulein war ganz außer sich, und weinte, als wollte ihr das Herz brechen. Das liebe Kind! sie hat eine Freundin verloren, die sie niemals wieder finden wird.«

»Wenigstens soll sie einen eben so zärtlichen und festen Freund finden!« rief Vivaldi feurig.

»Der große Gott möge es geben,« antwortete Beatrix zweifelhaft. »Alles, was für unsre theure Herrschaft geschehen konnte, wurde versucht, aber vergebens. Sie konnte nicht herunter bringen, was der Doctor ihr gab. Sie wurde immer schwächer und schwächer, und stieß solche tiefe Seufzer aus, und faßte mich dann so fest bei der Hand! Endlich wandte sie die Augen von Signora Ellena ab, und sie wurden trüber und starrer, bis sie nicht mehr zu sehn schien, was um sie vorgieng: Ach, ich sah nun, daß sie dahin gehen würde; ihre Hand drückte die meinige nicht mehr, so wie ein oder zwei Minuten vorher, und eine Todten-Kälte hatte sie überzogen. Auch ihr Gesicht veränderte sich in wenig Minuten so sehr. Dies war um zwei Uhr Morgens und sie verschied, ehe ihr der Beichtvater das heilige Abendmahl reichen konnte.«

Beatrix hörte auf zu sprechen und weinte. Vivaldi weinte beinahe mit ihr und es dauerte einige Zeit, ehe er seiner Stimme so weit Herr wurde, um zu fragen, was denn die Zeichen ihrer Krankheit gewesen wären, und ob sie jemals so plötzliche Anfälle gehabt hätte.

»Niemals, Signor!«antwortete die alte Haushälterinn, »und ob sie gleich in der That seit langer Zeit sehr kränklich war und schnell verfiel, so meine ich doch –«

»Was meint sie?« fragte Vivaldi? –

»In der That, Signor, ich weiß nicht recht, was ich von meiner Herrschaft Tode denken soll. Zwar bin ich meiner Sache nicht gewiß, und ich könnte mich in Verantwortung bringen, wenn ich meine Gedanken sagte – denn niemand würde es mir glauben,weil es so seltsam klingt – doch bleibe ich dabei, daß nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist.«

»Spreche sie doch deutlich,« sagte Vivaldi, »von mir braucht sie doch nichts zu fürchten.«

»Nicht von Ihnen, Signor, aber wenn das Gerüchte weiter käme, und es würde bekannt, daß ich es zuerst ausgesagt hätte –«

»Kein Mensch soll es von mir erfahren. Sage sie mir nur ohne Furcht, gute Beatrix,« sagte Vivaldi mit steigender Ungeduld, »alles, was sie vermuthet.«

»Nun dann, Signor« – sie schüttelte den Kopf – »ich gestehe, daß mir der plötzliche Tod, die Art und Weise, wie sie starb – und ihr Aussehn nach dem Tode nicht gefällt.«

»Spreche sie doch deutlich und was zur Sache gehört.« sagte Vivaldi.

»Nun, ja doch, Signor, es giebt Leute, die einen nicht verstehn wollen, wenn man auch noch so deutlich spricht; mich dünkt, ich spreche deutlich genug. Wenn ich meine Meinung sagen dürfte – ich glaube wenigstens nicht, daß sie eines natürlichen Todes gestorben ist!«

»Wie,« sagte Vivaldi – »und ihre Gründe?«

»Ey, Signor, die habe ich ja schon angeführt. Ich sagte, daß mir die plötzliche Art ihres Todes nicht gefallen hat – und auch ihr Aussehn nach dem Tode nicht – auch –«

»Großer Gott!« unterbrach Vivaldi, »sie spricht von Gift?«

»Stille, um Jesu Marter willen, stille! das habe ich nicht gesagt, aber sie schien keines natürlichen Todes zu sterben.«

»Wer ist denn zeither auf der Villa gewesen,« sagte Vivaldi mit bebender Stimme.

»Ach, Signor, niemand ist hier gewesen; sie lebte so eingezogen, daß sie keinen Menschen sah.«

»Keinen Menschen?« sagte Vivaldi. »Besinne sie sich wohl, Beatrix; hatte sie keinen Besuch

»Seit Langer Zeit nicht, außer Sie selbst und ihrem Vetter, Signor Giatti. Die einzige fremde Person, die seit vielen Wochen hier ins Haus gekommen ist, so viel ich mich besinnen kann, ist eine Nonne, die das Seidenzeug ins Kloster abholt, was mein junges Fräulein stickt.«

»Stickt! welches Kloster?«

»Das Kloster Santa Maria della Pieta dort –«

»Und wie lange ist es, seit diese Nonne hier gewesen ist?«

»Wenigstens drey Wochen, Signor!«

»Und weiß sie gewiß, daß seit der Zeit niemand anders angesprochen ist?«

»Niemand, außer der Fischer und der Gärtner, und ein Mann, der Maccaroni und dergl. bringt: denn es ist ein so weiter Weg nach Neapel, und man hat so wenig Zeit.«

»Drey Wochen, sagte sie: Ja, mich dünkt, sie sagte drei Wochen. Ist das gewiß?«

»Drey Wochen, Signor! Santa della Pieta! Denken Sie, daß wir drey Wochen fasten können! Nein, sie sprechen fast jeden Tag an.«

»Ich rede von der Nonne,« sagte Vivaldi.

»O ja doch, das ist wenigstens so lange her.«

»Das ist doch seltsam,« sagte Vivaldi nachdenkend, aber ich will ein andresmal weiter mit ihr davon sprechen. Indessen wünschte ich, daß ich ihrer verstorbenen Herrschaft Gesicht sehen könnte, ohne daß Signora Ellena es wüßte. Aber ich bitte sie, Beatrix, behalte sie ihre Zweifel wegen des Todes ja bey sich. Hüte sie sich doch ja, daß ihre junge Herrschaft keinen Verdacht bekömmt. Sie weiß doch noch von nichts?«

Beatrix versicherte ihn, daß Signora Ellena keinen Verdacht hätte, und versprach, seiner Vorschrift pünktlich nachzukommen.

Er verließ die Villa nachdenkend über die Umstände, die er so eben erfahren hatte, und über die prophetischen Worte des Mönches, zwischen welchem und der Ursache von Bianchi's Tode, er sich nicht enthalten konnte einen gewissen Zusammenhang zu ahnden; es fiel ihm jetzt zum erstenmale ein, daß dieser Mönch, dieser geheimnißvolle Fremde kein anderer als Schedoni seyn möchte, den er seit kurzem häufiger, als sonst, zu seiner Mutter hatte gehn sehn. Er schauderte vor Schrecken über den Verdacht, worauf diese Vermuthung leitete, und verwarf ihn schnell als ein Gift, das seinen Frieden auf immer zerstören würde. Allein wenn er gleich den schrecklichen Verdacht von sich warf, so konnte er doch die Vermuthung nicht los werden, und suchte sich auf die Stimme und Gestalt des Fremden zu besinnen um sie mit der des Beichtvaters zu vergleichen. Die Stimmen waren, wie es ihm schien, verschieden und auch die Personen von verschiedner Größe. Diese Vergleichung hinderte ihn indeß nicht zu glauben, daß der Fremde vielleicht ein Werkzeug des Beichtvaters seyn könnte, daß er wenigstens ein geheimer Spion seiner Handlungen und Ellenas Verläumder wäre, und daß beide, wenn in der That zwei Personen im Spiele wären, im Solde seiner Eltern ständen. Glühend von Unwillen über die niedrigen Kunstgriffe, deren man sich, wie er glaubte, gegen ihn bediente und voll Ungeduld, den Verläumder Ellenas aufzufinden, beschloß er, einen entscheidenden Schritt zur Entdeckung der Wahrheit zu thun, und entweder den Beichtvater zu zwingen, sie ihm zu offenbaren, oder den Helfershelfer aufzusuchen, der sich, wie er vermuthete, in den Ruinen von Paluzzi aufhalten müßte.

Die Nonnen des Klosters, deren Beatrix erwähnt hatte, entgiengen ebenfalls seinem Nachdenken nicht: allein er sah keine Ursache, sie für Feinde von Ellena zu halten, die im Gegentheil, wie er hörte, seit mehrern Jahren in freundschaftlichem Umgang mit ihnen gestanden hatte. Die Stickereien, wovon die alte Person sprach, erklärten ihm hinlänglich die Art dieser Verbindung; er erhielt dadurch noch eine nähere Kenntniß von Ellenas Lage, und ihr Betragen erhöhte die zärtliche Bewunderung, die er stets für sie empfunden hatte.

Die Winke, Wie ihm Beatrix über die Ursache von ihrer Herrschaft Tode gegeben hatte, lagen ihm unaufhörlich im Sinn; es däuchte ihm seltsam und im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß der Tod einer so unschädlichen Frau irgend jemand hätte wichtig genug seyn können, um ihr Gift zu geben. Was für einen Grund man zu einer so abscheulichen That gehabt haben könnte, war noch unerklärlicher. Es ist wahr, daß sie schon seit langer Zeit gekränkelt hatte; doch machte ihr plötzlicher Tod und die Umstände desselben ihn wenigstens stutzig. Er hoffte indeß, daß seine Zweifel verschwinden würden, sobald er den Leichnam gesehn hätte; und Beatrix hatte ihm versprochen, wenn er Abends spät, um die Zeit, wo Ellena sich schlafen gelegt hätte, wieder kommen könnte, ihn in das Zimmer der Verstorbenen zu führen. Es war seinem Gefühl etwas anstößig, so heimlich, oder in der That überhaupt in dieser bedenklichen Zeit, Ellenas Aufenthalt zu besuchen; doch war es so nothwendig, daß er einen Arzt dahin führte, auf dessen Urtheil über die Ursache von Signora Bianchis Tod er sich verlassen konnte; und da er glaubte, daß er so bald das Recht erhalten würde, Ellenas Ehre zu rechtfertigen, so kostete es ihm weniger diese Bedenklichkeit zu überwinden. Die Untersuchung, die ihn dahin führte, war ohnehin von zu feierlicher und wichtiger Art, um so leicht aufgegeben zu werden; er hatte also Beatrix versprochen, sich um die bestimmte Stunde pünktlich einzustellen – und seine Absicht, den Mönch aufzusuchen, wurde folglich für diesesmal wieder gestört.



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