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– He, like the tenant
Of some night-haunted rain, bore an aspect
Of horror, worn to habitude.
Gleich dem Einwohner von Ruinen, in welchen Nachtgespenster umher wanken, war der Blick des Grausens durch Gewohnheit auf seinen Zügen festgewurzelt.
Mysterious Mother.
Nachdem der kühne Vivaldi und sein Bedienter Paulo die Nacht der Abreise Ellenas von der Villa Altieri in einem der unterirrdischen Gemächer der Festung Paluzzi zugebracht, und endlich der erschöpften Natur nachgegeben hatten, erwachten sie in Schrecken und äusserster Finsterniß, denn die Fackel war erloschen. Sobald die Erinnerung an die Begebenheiten des vorigen Abends zurückkehrte, strebten sie mit neuem Feuer, sich zu befreien. Das Gitterfenster wurde aufs neue untersucht, und da sie fanden, daß es nur in einen eingeschloßnen Hof der Festung gieng, sahen sie keine Hoffnung zu entwischen.
Die Worte des Mönchs kehrten mit Vivaldis erster Besinnung zurück, um Vivaldi mit der Besorgniß, daß Ellena nicht mehr sey, zu erfüllen; Paulo, unvermögend seinen Herrn zu trösten, oder zu erleichtern, saß ihm niedergeschlagen zur Seite. Er wußte keine Hoffnung mehr herbeizurufen, keinen Scherz mehr aufzubringen, und konnte sich nicht enthalten zu bemerken, daß der Hungerstod einer der schrecklichsten sey, oder die Raschheit zu beklagen, die sie einer so traurigen Wahrscheinlichkeit ausgesetzt hatte.
Er war mitten in einer sehr pathetischen Rede begriffen, wovon sein Herr kein einziges Wort hörte, so ganz war seine Aufmerksamkeit mit seinen eignen melancholischen Gedanken beschäftigt; als er plötzlich schwieg, zu seinen Füßen sprang und ausrief:
»Signor, was ist dort? Sehn Sie nichts?«
Vivaldi sah sich um.
»Es ist zuverläßig ein Lichtstrahl, und ich will sogleich wissen, woher er kommt.«
Mit diesen Worten sprang er vorwärts, und sein Erstaunen glich beinahe seiner Freude, als er entdeckte, daß das Licht durch die Thüre des Gewölbes kam, die ein wenig offen stand. Kaum konnte er seinen Sinnen trauen, da die Thüre den Abend zuvor stark befestigt gewesen war, und er die schweren Riegel nicht hatte aufziehen hören. Er riß sie weit auf, besann sich aber, und stand still, um in das anstoßende Gewölbe zu blicken, ehe er sich hervorwagte: Vivaldi schoß schnell vor ihm vorbei, hieß ihn ohne Zögern folgen, und stieg mit ihm an das Tageslicht empor. Die Höfe der Festung waren still und öde, und Vivaldi erreichte den Schwibbogen, athemlos vor Eile, ohne Jemand wahrgenommen zu haben, und wagte kaum zu glauben, daß er seine Freyheit wieder erlangt hätte.
Unter dem Schwibbogen stand er still, um Athem zu schöpfen, und zu überlegen, ob er den Weg nach Neapel oder nach der Villa Altieri nehmen sollte; denn es war früh Morgens, und um eine Stunde, wo er nicht vermuthen konnte, Ellenas Leute schon wach zu finden. Die Besorgniß vor ihrem Tode war verschwunden, so wie seine Lebensgeister erwachten, welches die Pause des Besinnens deutlich zeigte; allein auch diese Pause dauerte nur einen Augenblick; eine gewaltige Angst bestimmte ihn, nach der Villa Altieri zu gehen; so unpassend die Stunde auch war, um wenigstens ihr Haus zu bewachen, und zu warten, bis sich Jemand von den Leuten sehn ließe.
»Ich bitte Sie, Signor,« sagte Paulo, während sein Herr mit sich zu Rathe gieng; »lassen Sie uns nicht hier stehn bleiben, damit nicht der Feind wieder erscheint. Wir wollen den nächsten Weg nach irgend einem Hause nehmen, wo wir frühstücken können; denn die Furcht Hungers zu sterben, hat mich so ergriffen, daß sie beinahe die Wirkung der Würklichkeit hervorgebracht hat.«
Vivaldi ergriff schnell den Weg nach der Villa. Paulo, indem er fröhlich neben ihm hin tanzte, äusserte alles Erstaunen, das seine Seele erfüllte, über ihre Gefangenschaft und Befreiung; aber Vivaldi, der jetzt nicht Muße hatte, die Sache zu überlegen, achtete nicht auf sein Gespräch. Die einzige Gewißheit, die er fühlte, war, daß er nicht von Räubern eingefangen gewesen sey, und was für Interesse Jemand anders dabei gehabt haben könnte, ihn die Nacht einzusperren, und am andern Morgen entwischen zu lassen, begriff er nicht.
Als er in den Garten zu Altieri trat, befremdete es ihn, zu bemerken, daß einige von den untern Fensterladen so früh offen wären; als er aber das Portico erreichte, hörte er ein klägliches Wimmern aus dem Vorsaale, und erhielt nach lautem Rufen Beatrix klägliches Geschrei zur Antwort. Die Thüre war zugeschlossen, und da Beatrix nicht im Stande war, sie zu öffnen, sprang Vivaldi, von Paulo begleitet, zum Fenster herein. Er fand die arme Alte an einen Pfeiler gebunden, und erfuhr, daß Ellena in der Nacht von bewaffneten Menschen fortgeschleppt sey.
Im ersten Augenblicke war er von Schrecken beinahe betäubt; dann aber that er tausend Fragen an Beatrix, ohne ihr Zeit zu lassen, eine zu beantworten. Als er aber endlich die Geduld hatte, zu hören, erfuhr er, daß der Räuber viere an der Zahl waren; daß sie Masken trugen; daß zweie Ellena durch den Garten trugen, während die andern Beatrix an einen Pfeiler banden, und sie zu erschießen drohten, wenn sie Lärm machte; daß sie von ihnen bewacht wurde, bis sie ihre Beute in Sicherheit gebracht hatten, und dann als Gefangne gebunden blieb. Dies war alle Nachricht, die sie ihm über Ellena geben konnte.
Sobald Vivaldi im Stande war, nachzudenken, glaubte er die Anstifter und die Absicht der ganzen Sache, so wie auch die Ursache seiner Gefangenschaft entdeckt zu haben. Ellena schien auf Befehl seiner Familie entführt zu seyn, um die Heirath mit ihr zu verhindern, und ihn hatte man in die Festung Paluzzi gelockt, und gefangen gehalten, damit nicht seine Gegenwart zu Altieri den Plan vereitelte. Er hatte selbst von seinem vorigen Abentheuer zu Paluzzi gesprochen, und es schien, daß seine Familie sich seine Neugier zu Nutze gemacht hatte, um ihn in die Gewölbe zu verleiten. Der Erfolg dieses Plans war um so sichrer, da Vivaldi nicht nach Altieri gehn konnte, ohne die Festung zu passiren, und von den Kreaturen der Marquise bemerkt zu werden, die ihn durch einen listigen Kunstgriff zum Gefangnen machen konnten, ohne Gewalt zu gebrauchen.
So wie er diese Umstände überlegte, schien es ihm ebenfalls gewiß, daß Pater Schedoni in der That der Mönch war, der so lange seine Schritte belauert hatte; daß er der geheime Rathgeber seiner Mutter, und einer von den Urhebern der voraus geweissagten Unglücksfälle sey, die er in Erfüllung zu bringen, nur zu gewisse Mittel zu besitzen schien. Doch dachte Vivaldi, während sich ihm die Wahrscheinlichkeit von diesem Allen aufdrang, mit neuem Erstaunen an Schedonis Betragen in der Marquise Kabinett zurück, – an die Miene voll Unschuld und Würde, womit er seine Beschuldigungen zurückwies; an die anscheinende Natürlichkeit, womit er Umstände über den Fremden, die gegen ihn selbst zu sprechen schienen, angab, und Vivaldis Meinung über des Beichtvaters Doppelzüngigkeit fieng aufs neue an zu schwanken.
»Aber welche andre Person,« sagte er, »könnte so genau mit meinen Angelegenheiten bekannt seyn, oder Theil genug an mir nehmen, um mich so unabläßig zu verfolgen, ausser dieser Beichtvater, den man für seine Beharrlichkeit gewiß belohnen wird? Der Mönch kann kein anderer seyn, als Schedoni; doch ist es sonderbar, daß er nicht seine Person zu verstellen gesucht hat, und daß er bei seinem geheimnißvollen Geschäfte in demselben Kleide erscheint, das er gewöhnlich trägt.«
Was aber auch an seinen Vermuthungen über Schedoni seyn mochte, so litt es doch keinen Zweifel, daß Ellena auf Befehl der Vivaldischen Familie entführt war, und er kehrte sogleich nach Neapel zurück, um sie von ihren Händen zu verlangen. Wenn er sich auch keine Hoffnung machte, daß sie ihm willfahren würden, so glaubte er doch, vielleicht einiges Licht über die Sache zu erhalten. Sollte es ihm aber mißlingen, auf diese Art etwas von ihrem Aufenthalte zu erfahren, so beschloß er, zu Schedoni zu gehn, ihn geradezu der Verrätherei anzuklagen, auf eine volle Erläuterung seines Betragens zu dringen, und Ellenas Aufenthalt von ihm zu erfragen.
Als er endlich eine Zusammenkunft mit dem Marquis erhielt, sich zu seinen Füßen warf, und ihn anflehte, Ellena ihrer Heimath wieder zu geben; so erfüllte ihn die unerkünstelte Befremdung seines Vaters mit Erstaunen und Verzweiflung. Der Blick und das Betragen des Marchese ließ keinen Zweifel zu; Vivaldi war überzeugt, daß er von allen Schritten, die man gegen Ellena gethan hatte, durchaus nichts wußte.
»So unanständig Du Dich auch betragen hast,« sagte der Marquis, »habe ich meine Ehre doch nie durch Falschheit befleckt. So sehr ich auch diese Deiner unwürdige Verbindung abzubrechen wünschte, würde ich es doch verachten, mich hinterlistiger Mittel zu bedienen. Bist Du wirklich Willens, diese Person zu heirathen, so werde ich keinen andern Versuch machen, es zu verhindern, als daß ich die Folge, die Du davon zu erwarten hast, voraus sage – nämlich, daß ich Dich hinfort nicht mehr für meinen Sohn erkennen werde.«
Der Marchese verließ mit diesen Worten das Zimmer, und Vivaldi machte keinen Versuch ihn aufzuhalten. Obgleich seine Worte nicht viel mehr enthielten, als er schon sonst geäussert hatte, so machte ihn doch diese ausdrückliche Drohung betroffen. Die stärkere Leidenschaft seines Herzens besiegte bald diesen Eindruck, und dieser Augenblick, wo er fürchtete, den Gegenstand seiner zärtlichsten Liebe auf immer verloren zu haben, war nicht der Zeitpunkt, wo er lange entferntere Uebel fühlen, oder die Größe eines Unglücks, das vielleicht nie eintraf, berechnen konnte. Das nähere Interesse seines Herzens drang einzig auf seine Seele, und er fühlte nichts, als Ellenens Verlust.
Die Zusammenkunft mit seiner Mutter war von ganz andrer Art, als die mit dem Marchese. Der scharfe Pfeil des Argwohns, mehr geschärft noch durch Liebe und Verzweiflung, drang durch den Schleier ihrer Falschheit, und Vivaldi entdeckte eben so schnell ihre Heuchelei, als schnell die Ueberzeugung von des Marchese Aufrichtigkeit in seine Seele gedrungen war. Allein hier blieb seine Macht auch stehen; er besaß kein Mittel, ihr Mitleid einzuflößen, oder auf ihre Gerechtigkeit zu würken, und konnte nicht einmal einen Wink von ihr herausbringen, der ihn bei Ellena's Aufsuchung hätte leiten können.
Nur mit Schedoni blieb ihm noch ein Versuch übrig: denn er zweifelte nicht länger, dass dieser Mönch mit der Marquise kabalirt, und ein hülfreiches Werkzeug gewesen wäre, Ellena fortzuschaffen. Ob er das Gespenst war, das in den Ruinen von Paluzzi hauste, blieb noch zweifelhaft: wenn auch verschiedne Umstände zu beweisen schienen, daß er es war, so sprachen doch wieder andre für das Gegentheil.
Sobald Vivaldi das Zimmer seiner Mutter verließ, begab er sich nach dem Kloster Spirito Santo, und fragte nach dem Vater Schedoni. Der Layenbruder, der ihm das Thor öffnete, benachrichtigte ihn, daß der Pater in seiner Zelle wäre; Vivaldi gieng ungeduldig in den Hof, und bat, daß man ihn dahin führen möchte.
»Ich darf das Thor nicht verlassen, Signor,« sagte der Layenbruder; »wenn Sie aber über den Hof gehen, und die Windeltreppe hinter jenem Thorwege zur Linken hinauf steigen, so werden Sie in einen Gang kommen, wo die dritte Thüre in Pater Schedonis Zimmer führt.«
Vivaldi gieng, ohne irgend ein andres menschliches Wesen zu sehn; kein Laut störte die Stille dieses Heiligthums, bis, als er die Treppe herauf stieg, ein schwacher Klageton von der Gallerie zu ihm drang, der von einem Büßenden in der Beichte zu kommen schien.
Er stand an der dritten Thüre still, wie man ihm angezeigt hatte. Bei seinem leisen Klopfen hörte der Klageton auf, und dieselbe tiefe Stille kehrte wieder. Vivaldi klopfte aufs neue, erhielt aber keine Antwort, und wagte es, die Thüre zu öffnen. Zwar wurde er auf den ersten Blick in der düstern Zelle Niemand gewahr, doch sah er sich im ganzen Zimmer um, weil er glaubte, daß vielleicht nur die Dunkelheit ihn verhinderte, Jemand zu entdecken. Das Zimmer enthielt nichts weiter, als eine Matratze, einen Stuhl, einen Tisch und ein Crucifix: einige Andachtsbücher lagen auf dem Tische; eins oder zwei davon waren in unverständlicher Schrift geschrieben; neben ihnen lagen verschiedne Instrumente der Qual. Vivaldi schauderte, als er sie eilig besah, ob er gleich die Art ihres Gebrauchs nicht verstand; er verließ das Zimmer, ohne Jemand anders zu bemerken, und gieng in den Hof zurück. Der Thürsteher sagte ihm, da Pater Schedoni nicht in seiner Zelle wäre, so hielte er sich wahrscheinlich entweder in der Kirche oder im Garten auf, denn er wäre diesen Morgen noch nicht aus dem Thore gekommen.
»Ist er gestern Abend aus gegangen?« fragte Vivaldi hastig.
»Ja, aber er kam zur Vesper zu Hause,« erwiederte der Bruder mit Verwunderung.
»Wissen Sie das gewiß, mein Freund?« versetzte Vivaldi, »sind Sie gewiß, daß er die vorige Nacht im Kloster schlief?« –
»Wer ist denn derjenige, der diese Fragen thut,« sagte der Layenbruder unwillig; »und was für ein Recht hat er dazu? Sie kennen die Regeln unsers Hauses nicht, Signor, sonst würden Sie wissen, wie überflüßig diese Fragen sind; jedes Mitglied unsers Ordens macht sich einer schweren Strafe schuldig, wenn es ausserhalb dieser Mauern schläft, und Pater Schedoni würde gewiß der letzte unter uns seyn, dies Gesetz zu übertreten. Er ist einer der Frömmsten in der ganzen Brüderschaft; wenige haben in der That den Muth, sein strenges Beispiel nachzuahmen. Seine freiwilligen Leiden wären genug, ihn zum Heiligen zu machen. Er! die Nacht ausser Hause zuzubringen! Gehn Sie, Signor, dort ist die Kirche; vielleicht werden Sie ihn da finden.«
Vivaldi hielt sich nicht auf, um zu antworten.
»Der Heuchler,« sagte er zu sich selbst, als er queer über den Hof nach der Kirche gieng, die eine Seite des Vierecks ausmachte; »aber ich will ihm die Maske abreißen!«
Die Kirche, in die er trat, war still und öde, wie der Hof.
»Wohin können die Bewohner dieses Orts sich zurückgezogen haben?« sagte er zu sich selbst. »Wo ich gehe, höre ich nur den Nachhall meiner eignen Tritte; es ist, als wenn überall der Tod herrschte! Aber vielleicht ist jetzt eine von den Stunden der allgemeinen Betrachtung, und die Mönche haben sich nur in ihre Zellen zurückgezogen.«
Als er durch die langen Flügel gieng, stand er plötzlich still, um den rauschenden Ton, der durch die hohe Decke murmelte, aufzufangen; allein es schien nur das Zumachen einer fernen Thüre zu seyn. Doch sah er oft in die heilige Dunkelheit hin, welche die bemahlten Fenster über die ferne Perspektive warfen, in der Hoffnung, einen Mönch zu entdecken. Seine Erwartung wurde nicht lange betrogen; er sah Jemand in einem dunkeln Winkel des Kreuzganges, in dem Ordenshabit dieser Gesellschaft gekleidet, still stehn, und gieng auf ihn zu.
Der Mönch vermied ihn nicht; er drehte sich nicht einmal um, zu sehen, wer heran käme, sondern blieb in derselben Stellung unbeweglich wie eine Bildsäule. Die lange und plumpe Figur hatte Vivaldi in der Ferne an Schedoni erinnert, und als er jetzt unter die Kaputze sah, erkannte er das geistermäßige Gesicht des Beichtvaters.
»Habe ich Sie endlich gefunden?« sagte Vivaldi. »Ich wollte insgeheim mit Ihnen sprechen, ehrwürdiger Herr, und dieser Ort scheint mir zu unsrer Unterredung nicht schicklich.«
Schedoni gab keine Antwort, und Vivaldi, der ihn wieder ansah, bemerkte, daß seine Züge starr und seine Augen auf den Boden geheftet waren. Vivaldis Worte schienen nicht bis zu seinem Verstande gedrungen zu seyn, ja nicht einmal einen Eindruck auf seine Sinnen gemacht zu haben.
Er wiederholte sie lauter; aber auch nicht ein Zug von Schedonis Gesicht erkannte ihre Würkung an.
»Was soll diese Mummerei bedeuten,« sagte er mit erschöpfter Geduld und gereiztem Unwillen. »Diese elende Ausflucht soll Sie nicht schützen; Sie sind entdeckt, Ihre Kunstgriffe sind bekannt! Geben Sie Ellena di Rosalba heraus, oder gestehn Sie, wo Sie sie versteckt haben.«
Schedoni blieb immer still und unbewegt. Achtung für sein Alter und seinen Stand hielt Vivaldi ab, ihn zu ergreifen und zur Antwort zu zwingen; allein seine krampfhafte Ungeduld und Heftigkeit machte einen auffallenden Kontrast mit der todtengleichen Unbeweglichkeit des Mönches.
»Ich erkenne Sie jetzt ebenfalls,« fuhr Vivaldi fort, »für meinen Plagegeist zu Paluzzi; für den Weissager von Uebeln, die Sie nur zu gut in Erfüllung zu setzen wußten; für den Propheten von Signora Bianchis Tode;« (Schedoni runzelte die Stirne) »für den Verkündiger von Ellena's Entführung; für das Phantom, welches mich in den Kerker von Paluzzi lockte; für den Propheten und Anstifter all meines Unglücks.«
Der Mönch schlug die Augen von der Erde auf, und heftete sie mit einem schrecklichen Ausdruck auf Vivaldi, schwieg aber noch immer.
»Ja, Vater,« setzte Vivaldi hinzu; »ich kenne Sie, und will Sie der Welt bekannt machen. Ich will die heilige Heuchelei von Ihnen abstreifen, in welche Sie sich hüllen, Ihrer ganzen Gesellschaft die verächtlichen Kunstgriffe entdecken, deren Sie sich bedient, das Sie gestiftet haben. Ihr Charakter soll laut bekannt gemacht werden.«
Während Vivaldi sprach, hatte der Mönch die Augen von ihm abgezogen und sie wieder zur Erde geheftet. Sein Gesicht hatte seinen gewöhnlichen Ausdruck angenommen.
»Elender, gieb mir Ellena di Rosalba heraus!« rief Vivaldi mit der plötzlichen Wuth erneuter Verzweiflung. »Sage mir wenigstens, wo ich sie finden kann, oder Du sollst dazu gezwungen werden. Wohin, wohin hast du sie geschleppt?«
Indem er diese Worte laut und mit leidenschaftlicher Heftigkeit sagte, traten verschiedne Geistliche in den Kreuzgang und wollten nach dem Chore zugehen, als seine Stimme ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie standen still, und da sie Schedonis sonderbare Stellung und Vivaldi's wahnsinnige Gebehrden bemerkten, giengen sie eilig auf sie zu.
»Enthalten Sie sich,« sagte einer von den Fremden, und ergriff Vivaldi beim Mantel, »bemerken Sie nicht »Forbear! … do you not observe!« im Sinne von: ›Unterlassen Sie das! … Bemerken Sie nicht, an was für einem Ort Sie sich befinden?‹ – D.Hg.!«
»Ich bemerke einen Heuchler,« antwortete Vivaldi, der zurück trat, und sich losmachte; »ich bemerke einen Zerstörer des Friedens, den zu beschützen seine Pflicht war. Ich – Ich –«
»Mäßigen Sie dieses verzweifelte Betragen,« sagte der Priester, »damit Sie nicht die gerechte Rache des Himmels reizen. Sehn Sie nicht, in welches heilige Geschäft er versunken ist?« (er zeigte auf den Mönch) »Verlassen Sie die Kirche, so lange Sie es noch mit Sicherheit thun können; Sie vermuthen die Ahndung »punishment«: ›Bestrafung‹. – D.Hg. nicht, welche Sie reizen könnten.«
»Ich will diesen Ort nicht verlassen, ehe Sie meine Fragen beantworten,« sagte Vivaldi zu Schedoni, ohne daß er den Priester nur eines Blicks würdigte. »Wo, ich wiederhole es, wo ist Ellena di Rosalba?«
Der Beichtvater blieb noch still und unbeweglich.
»Dies übersteigt alle Geduld und Glauben,« fuhr Vivaldi fort. »Sprechen Sie, antworten Sie mir, oder fürchten Sie, was ich entdecken könnte? Noch immer dies Schweigen! – Kennen Sie das Kloster del Pianto? Kennen Sie den Beichtstuhl der Schwarzen Büßenden?«
Vivaldi glaubte eine Veränderung auf dem Gesichte des Mönchs wahrzunehmen: »Erinnern Sie sich an jenen schrecklichen Abend,« fuhr er fort, wo auf den Stufen dieses Beichtstuhls eine Geschichte erzählt wurde –«
Schedoni schlug die Augen auf und heftete sie noch einmal mit einem Blick, der ihn in den Staub schmettern zu sollen schien, auf Vivaldi.
»Hebe dich weg!« rief er mit fürchterlicher Stimme. »Hebe dich weg, gotteslästerischer Bube! Zittre vor den Folgen Deines ruchlosen Frevels!«
Mit diesen Worten fuhr er von seiner Stellung auf und schlüpfte mit der stummen Schnelligkeit eines Schatten längs den Kreuzgängen hin, wo er in einem Augenblick verschwand.
Als Vivaldi ihm nachsetzen wollte, hielten die umstehenden Mönche ihn auf. Fühllos gegen sein Leiden und aufgebracht durch seine Aeußerungen, drohten sie ihm, wenn er nicht sogleich das Kloster verließe, sollte er verhaftet werden und die schwere Strafe leiden, deren er sich dadurch schuldig gemacht, daß er ein Mitglied ihres heiligen Ordens in einer Handlung der Buße gestört und sogar geschmäht hätte.
»Er bedarf solcher Handlanger,« sagte Vivaldi; »aber durch welche Buße kann er die Glückseligkeit wieder herstellen, die seine Verrätherei zerstört hat? Ihr Orden, ehrwürdige Väter, wird durch ein solches Mitglied geschändet, Ihr –«
»Stille,« rief ein Mönch, »er ist der Stolz unsers Hauses; er ist strenge in seiner Andacht und in seinen Selbstbestrafungen schrecklich, über die Kräfte der – Aber ich werfe mein Lob hinweg – ich spreche mit einem, dem es nicht vergönnt ist, die heiligen Mysterien unsers Gottesdienstes zu erkennen oder zu schätzen.«
»Fort mit ihm zu dem Padre Abbate!« rief ein wüthender Priester; »fort mit ihm in den Kerker!«
»Fort, fort,« wiederholten seine Gefährten, und bemühten sich, Vivaldi durch die Kreuzgänge zu schleppen. Allein mit der plötzlichen Stärke, die Stolz und Unwillen ihm lieh, riß er sich aus ihren vereinigten Armen los, verließ die Kirche durch eine andre Thüre und entwischte in die Straße.
Vivaldi kam in einem Zustande der Seele zu Hause, der jedes Herz, welches Vorurtheil oder Selbstsucht nicht verhärtet hatte, zum Mitleiden hätte bringen müssen. Er vermied seinen Vater, suchte aber die Marquise auf, die, über das Gelingen ihres Plans triumphirend, fühllos gegen die Leiden ihres Sohnes blieb.
Als die Marquise von seiner bevorstehenden Heirath Nachricht erhielt, gieng sie, wie gewöhnlich, mit ihrem Beichtvater über die Mittel, ihr vorzubeugen, zu Rathe; er rieth zu dem Plane, den sie befolgte; ein Plan, der um so leichter ausgeführt wurde, da die Marquise in ihrer Jugend mit der Aebtissin von San Stefano vertraut gewesen war, und ihren Charakter hinlänglich kannte, um sich in dieser wichtigen Sache auf sie verlassen zu können. Die Antwort der Aebtissin lautete nicht nur willfährig, sondern sogar begierig und es schien, daß sie das auf sie gesetzte Vertrauen nur zu treulich rechtfertigte. Nachdem dieser Plan so glücklich ausgeführt war, ließ sich wohl nicht hoffen, daß die Marquise sich durch die Thränen, Schmerzen oder mannigfaltigen Leiden ihres Sohnes würde bewegen lassen, ihn aufzugeben. Vivaldi verwies sich selbst das Vertrauen, womit er es gehofft hatte, und verließ ihr Kabinett mit einer Trostlosigkeit, die an Verzweiflung gränzte.
Der treue Paulo erschien auf den eiligen Ruf seines Herrn; allein es war ihm noch nicht gelungen, Nachricht von Ellena einzuziehn; und nachdem Vivaldi ihn wieder auf dieselbe Kundschaft ausgeschickt hatte, zog er sich in sein Zimmer zurück, wo das Uebermaaß seines Schmerzes und die schwache Hoffnung, auf ein glücklicheres Hülfsmittel zu verfallen, ihn bald hin und her trieb, bald auf einen Fleck heftete.
Rastlos und sich nach Veränderung sehnend, verließ er Abends den Pallast, ob er gleich kaum wußte, wohin er sich wenden sollte, und irrte das Seeufer hinab. Nur einige wenige Fischer und Lazaroni schlenderten am Ufer und warteten auf Boote von St. Lucia. Vivaldi, mit über einander geschlagnen Armen, und tief in die Augen gezognem Huth, um seinen Kummer der Beobachtung zu entziehn, schritt am Saume der Wellen hin, hörte ihrem Murmeln zu, wie sie sich sanft zu seinen Füßen brachen, und starrte ihre wellenförmige Schönheit an, während sich sein ganzes Bewußtseyn in melancholischen Träumereien über Ellena verlor. Ihr voriger Aufenthalt, der über dem Ufer aufstieg, sprang ihm ins Auge. Er erinnerte sich, wie oft sie von dort aus, diese liebliche Scene betrachteten! Sie hatte jetzt ihren Reiz verloren; alle Schönheiten schienen ihm farbenlos und gleichgültig, oder erregten nur traurige Ideen bei ihm. Die unter der sinkenden Sonne sich bewegende See, der lange Hafen und sein in die letzten Strahlen getauchter Leuchtthurm; die im Schatten ruhenden Fischer, die kleinen Kähne, über dem glatten Wasser hingleitend, waren nur Bilder, welche den rührenden Abend, wo er zuletzt dies Gemählde von der Villa Altieri aus, sahe, in sein Gedächtniß zurückriefen. Er erinnerte sich, wie er mit Ellena und Bianchi an der Nacht vor dem Tode der letzten in dem Orangenwäldchen saß, wie sie Ellena so feierlich seiner Sorge übergab und diese mit so zärtlicher Rührung in die letzte Bitte ihrer mütterlichen Freundin willigte.
Die Erinnerung dieses Auftritts drang mit aller Gewalt des jetzigen Abstandes in seine Seele und erneuerte allen Schmerz der Verzweiflung: er lief mit schnellern Schritten das Ufer auf und ab, und tiefe Seufzer brachen aus seinem Herzen. Er klagte sich selbst der Gleichgültigkeit und Unthätigteit an, daß er seit diesem ganzen Zeitraume keinen Umstand herausgebracht hatte, der seiner Nachsuchung hätte zu Hülfe kommen können, und ob er gleich nicht wußte, wohin er gehn sollte, beschloß er doch, Neapel unverzüglich zu verlassen, und nicht eher wieder in seines Vaters Haus zurück zu kommen, bis er Ellena befreit hätte.
Er fragte einige Fischer, die am Ufer mit einander sprachen, ob sie ihm nicht ein kleines Boot geben könnten, womit er an der Küste hinzufahren dachte: denn er hielt es für wahrscheinlich, daß Ellena zu Wasser von Altieri nach einer Stadt oder einem Kloster am Ufer fortgeschaft sey: die Heimlichkeit und Leichtigkeit eines solchen Fahrzeugs schien den Absichten seiner Feinde sehr angemessen zu seyn.
»Ich habe nur ein Boot, Signor,« sagte der Fischer, »und das hat genug zu thun, zwischen hier und Santa Lucia hin und her zu schiffen; aber mein Kamerad kann Ihnen vielleicht dienen. Heh, Carlo! kannst du dem Herrn dein kleines Schiff geben?«
Allein sein Kamerad war mit drei oder vier Menschen, die um ihn standen, zu tief im Gespräch begriffen, um zu antworten. Als Vivaldi näher gieng, um die Frage zu wiederholen, fiel ihm das Feuer, womit er erzählte, so wie seine plumpe Gestikulation, auf, und er blieb einen Augenblick aufmerksam stehen.
Einer von den Zuhörern schien an etwas zu zweifeln, das er behauptet hatte.
»Wie gesagt,« antwortete der Redner, »ich pflegte dort zwei- oder dreimal die Woche zu fischen, und es waren sehr gute Leute; sie haben mir manchen Dukaten zu verdienen gegeben. Aber wie gesagt, als ich hin kam und an die Thüre klopfte, hörte ich auf einmal ein gewaltiges Winseln, und sogleich die Stimme der alten Haushälterin, die um Hülfe schrie: aber ich konnte ihr keine geben, denn die Thüre war zu, und während ich hinlief, um den alten Bartoli zu rufen, kommt ein Herr durchs Fenster gesprungen und setzt sie auf einmal in Freiheit. Ich hörte darauf die ganze Geschichte –«.
»Welche Geschichte?« sagte Vivaldi, »von wem sprecht Ihr?«
Alles zu seiner Zeit, Maestro, Sie werden schon hören,« sagte der Fischer, der ihm ins Gesicht sah und dann hinzusetzte: »Aber wie, Signor, mich dünkt, ich sollte Sie dort gesehn haben? waren Sie nicht derselbe Herr, der Beatrix losband?«
Vivaldi, der schon vorher vermuthet hatte, daß der Mann von der Villa Altieri spräche, legte ihm nun tausend Fragen über den Weg vor, den die Räuber Ellena geschleppt hatten, erhielt aber keine Linderung seiner Ungewißheit.
»Ich sollte mich nicht wundern,« sagte ein Lazaroni, der die Erzählung angehört hatte, »wenn der Wagen, der früh Morgens durch Bracelli fuhr, und ohngeachtet es so heiß war, daß man kaum Athem holen konnte, alle Blenden zugezogen hatte, derjenige gewesen wäre, worin man das Fräulein entführt habe.«
Dieser Wink war genug, um Vivaldi anzufeuern der alle Nachricht, die der Lazaroni geben konnte, begierig aufraffte; allein dieß war nicht viel mehr, als daß ein Wagen, so und so beschrieben, in aller Frühe mit wüthender Eile durch Bracelli gefahren sey. Vivaldi zweifelte keinen Augenblick, daß es der Ihrige gewesen sey; und beschloß, sich sogleich nach dem Orte zu begeben, wo er vom Postmeister weitere Auskunft über den Weg, den sie genommen hatte, zu erhalten hoffte.
In dieser Absicht kehrte er noch einmal in seines Vaters Haus zurück, nicht um diesen mit seinem Vorsatz bekannt zu machen, oder ihm Lebewohl zu sagen, sondern Paulos Zurückkunft zu erwarten, der ihn auf der Reise begleiten sollte. Sein Geist war nun von Hoffnung befeuert, so geringfügig auch die Umstände waren, worauf er sie baute: und da er glaubte, daß keiner von denen, die geneigt seyn könnten, sein Vorhaben zu stören, es beargwohnen würde, so hütete er sich vor keinen Maaßregeln, die seine Abreise aus Neapel erschweren, oder ihn auf seiner Reise anhalten könnten.