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Erstes Kapitel.

What is this secret sin, this untold tale
That art cannot extract, nor pennance cleanse?

»Was ist das für eine geheime Sünde, für eine unnennbare That, welche keine Kunst ans Licht zu ziehn, keine Buße rein zu waschen vermag?« [»The Mysterious Mother« (1791), Trauerspiel von Horace Walpole (1717-97), der als Begründer der Gothic Novel gilt. – D.Hg.]

Mysterious Mother.

In der Kirche St. Lorenzo zu Neapel, im Jahr 1758 sah Vincentio di Vivaldi zum erstenmale Ellena di Rosalba. Ihre süße und ausdrucksvolle Stimme zog seine Aufmerksamkeit auf ihre Gestalt, welche Feinheit und hohe Grazie umschwebten; ihr Gesicht aber verbarg ein Schleier. Die schöne Stimme allein schon hatte ihn so sehr bezaubert, daß er die peinlichste Neugierde fühlte, ein Gesicht zu sehn, dem seine Phantasie allen Ausdruck des fühlbarsten Herzens gab, welches die Modulation ihrer Töne verrieth. Er horchte mit entzückter Aufmerksamkeit auf den himmlischen Ausdruck, und konnte kaum seine Augen von ihr losreißen, bis die Frühmesse geendigt war, und sie mit einer ältlichen Frau, die sich auf Ihren Arm lehnte, und die er für ihre Mutter hielt, die Kirche verließ.

Vivaldi folgte ihnen auf dem Fuße nach, um sich wo möglich, den Anblick ihres Gesichtes zu verschaffen und das Haus zu entdecken, wohin sie sich begeben würden. Sie giengen schnell, ohne sich weder rechts noch links umzusehn, und als sie sich in die Straße di Toledo wandten, hätte er sie beinahe aus dem Gesicht verloren; er beschleunigte seinen Schritt, ohne sich die behutsame Entfernung, worin er sich bisher gehalten hatte, weiter aufzulegen und holte sie ein, als sie eben die neue Terrasse betraten, die längs dem Hafen hin nach dem Corso führt. Er hatte sie nun zwar eingeholt, aber die schöne Unbekannte blieb dicht in ihren Schleier gehüllt, und er wußte nicht, wie er ein Gespräch mit ihr anfangen, oder sich den Anblick der Züge verschaffen sollte, die seine Neugier so sehr reizten. Eine ehrerbietige Furchtsamkeit, die sich in seine Neugierde mischte, machte ihn verlegen und band ihm die Zunge, so sehr er auch wünschte zu sprechen.

Bei dem Herabsteigen der letzten Stufen der Terrasse aber, glitt der Fuß des ältern Frauenzimmers aus, und während Vivaldi hinzusprang, um ihr beizustehen, fieng sich das Seelüftchen in dem Schleier, den Ellenas Hand nicht mehr unbeschäftigt genug war zu halten, wehte ihn ein wenig zur Seite und ließ ihn ein Gesicht sehn, dessen rührende Schönheit seine kühne Einbildungskraft noch weit überstieg. Ohngeachtet ihre Züge, von griechischem Umriß, die Ruhe einer schönen Seele ausdrückten, funkelten doch ihre dunkelblauen Augen von Geist. Sie war so ängstlich beschäftigt, ihrer Begleiterin beizustehen, daß sie die Bewunderung, die sie eingeflößt hatte, nicht gleich bemerkte; sobald aber ihre Augen Vivaldis Blicken begegneten, fühlte sie den Eindruck, und zog eilends den Schleier herunter.

Die alte Dame hatte durch den Fall keinen Schaden gelitten; nur das Gehen schien ihr sauer zu werden und Vivaldi ergriff die Gelegenheit, ihr seinen Arm anzubiethen. Sie lehnte es mit höflichem Danke ab; allein er wiederholte seine Bitte so dringend und ehrerbietig zugleich, daß sie sich endlich ergab und an seiner Seite ihrer Wohnung zugieng.

Unterwegens versuchte er mehrmals ein Gespräch mit Ellena anzufangen; allein ihre Antworten waren sehr kurz, und sie hatten schon das Ende ihres Weges erreicht, als er noch bei sich überlegte, was er wohl sagen könnte um ihr eine gute Meinung von sich einzuflößen und diese strenge Zurückhaltung zu überwinden. Aus der Art ihrer Wohnung hielt er sie für Personen, die in einer anständigen, aber eingeschränkten Unabhängigkeit lebten. Das Haus war klein, hatte aber ein Ansehn von Bequemlichkeit und sogar von Eleganz. Es stand auf einer Anhöhe, von einem Garten und Weinbergen umgeben, die eine Aussicht auf die Stadt und den Hafen – ein stets bewegliches Gemählde – gewährten, und hinter ihm wölbte sich ein dichtes Wäldchen von Fichten und majestätischen Dattelbäumen. Das kleine Portico und die Säulenreihe vor dem Hause waren zwar nur von gewöhnlichem Marmor, aber in sehr feinem Geschmack gebaut. Vor der Sonne geschützt, fühlte man hier die Erfrischung des kühlen Lüftchens, das unten vom Hafen aufstieg und genoß einer Aussicht auf die bezaubernden Ufer.

Vivaldi stand an dem kleinen Thore, das in den Garten führte, still wo die ältere Dame ihren Dank für seine Artigkeit wiederholte, ohne ihn aber herein zu nöthigen. Zitternd von Herzensbeklemmung und über seine vereitelte Erwartung niedergeschlagen, blieb er einen Augenblick in Ellenas Anschaun versunken stehn, unvermögend Abschied zu nehmen und doch verlegen, was er sagen sollte, um sein Bleiben zu verlängern, bis die alte Dame ihm zum zweitenmale Adieu! sagte. Er faßte nun Muth, um die Erlaubniß zu bitten, sich nach ihrer Gesundheit zu erkundigen, und als er sie erhalten hatte, sagten seinen Augen ein Lebewohl an Ellena, die jetzt beim Abschied es wagte, ihm für seine Bemühung gegen ihre Tante zu danken. Der Ton ihrer Stimme und dieser Ausdruck ihrer Verbindlichkeit diente eben nicht, ihm das Fortgehen leichter zu machen; endlich aber riß er sich los. Ihr schönes Gesicht schwebte vor seiner Einbildungskraft, die rührenden Töne ihrer Stimme zitterten noch auf seinem Herzen; er gieng ans Ufer unter ihrer Wohnung und labte sich an dem Gedanken, ihr nahe zu seyn, wenn er sie gleich nicht mehr sehen konnte. Zuweilen machte er sich Hoffnung, sie, wenn auch nur in der Ferne, auf einem Balcon des Hauses zu erblicken, dessen seidne Vorhänge das Lüftchen von der See einzuladen schienen. Er zögerte Stunde auf Stunde unter den schattigten Fichten, die über das Ufer wehten, ausgestreckt, oder, ohne der Hitze zu achten, auf den Klippen, welche es krönten, umher klimmend. Er rief ihr bezauberndes Lächeln vor seine Phantasie zurück und schien noch auf ihre Töne zu horchen.

Abends kehrte er nach seines Vaters Pallaste zurück, tiefsinnig und doch in einem behaglichen Zustande; voll unruhiger Sehnsucht und doch glücklich. Er verweilte mit allem Entzücken der Hoffnung bei der Erinnerung an den Dank, den er von Ellena's Lippen erhielt, ohne es aber zu wagen, sich irgend einen Plan für die Zukunft zu machen. – Er kam zeitig genug nach Hause, um seine Mutter nach dem Corso zu begleiten, wo er in jedem bunten Wagen, der vorüber fuhr, den Gegenstand seiner unablässigen Gedanken zu sehn hoffte. Sie erschien nicht. Seine Mutter, die Marchesa di Vivaldi bemerkte seine Unruhe und ungewöhnliche Stille, und that einige Fragen, um eine Erklärung herbei zu führen; allein seine Antworten schärften nur ihre Neugierde, und ohngeachtet sie sich enthielt, mit Gewalt in ihn zu bringen, ließ sich doch vermuthen, daß sie schlauere Mittel anwenden würde, um hinter die Wahrheit zu kommen.

Vincentio di Vivaldi war der einzige Sohn des Marchese di Vivaldi, ein Edelmann aus einer der ältesten Familien im Königreiche Neapel; ein Günstling des Hofes und noch höher an Macht als an Rang. Der Stolz auf seine Geburt stand weder diesem Range noch seiner Macht nach; allein er war mit dem gerechten Stolze eines wohlgeordneten Gemüthes vermischt, und diente eben so sehr seinem moralischen Betragen zur Richtschnur, als er ihn nach äußerer Auszeichnung begierig machte; er adelte seine Handlungen in eben dem Maaße, wie er seine Ansprüche erhöhte. Sein Stolz war zugleich sein Laster und seine Tugend, seine Schutzwehr und seine Schwäche.

Vivaldi's Mutter, die aus einem eben so alten Geschlechte abstammte, hielt nicht weniger strenge auf ihr Ansehn; allein ihr Stolz gieng nur auf Geburt und Rang, nicht aber auf moralischen Werth. Sie war von heftigen Leidenschaften, hochmüthig, rachsüchtig, aber verschlagen und listig zugleich; beharrlich in Ränken und unermüdet, ihre Rache an den unglücklichen Gegenständen zu stillen, die ihre Empfindlichkeit gereitzt hatten. Sie liebte ihren Sohn nicht sowohl mit Mutterzärtlichkeit, als darum, weil sie den letzten Zweig zweier erlauchter Häuser in ihm sah, der Beyder Ehre in sich vereinigen und aufrecht halten sollte.

Vincentio hatte viel vom Charakter seines Vaters und sehr wenig von seiner Mutter geerbt. Sein Stolz war edel und groß wie der Stolz des Marchese; allein er verband etwas von den feurigen Leidenschaften der Marquise damit, nur war er von ihrer List, Falschheit und Rachsucht frei. Offen, freimüthig und wahr von Charakter und Empfindung, schnell auffahrend, aber eben so schnell versöhnt, durch jeden anscheinenden Mangel an Ehrerbietung beleidigt, aber durch jedes offne Eingeständniß wieder gewonnen, machte eine zarte Menschlichkeit ihn eben so bereit zur Aussöhnung, eben so sorgsam, die Gefühle anderer zu schonen, als ein hohes Ehrgefühl ihn reizbar gegen jede Kränkung machte.

Den Tag, darauf, als er Ellena gesehn hatte, gieng er nach der Villa Altieri, um sich die erhaltene Erlaubniß zu Nutze zu machen. Die Hoffnung, Ellena zu sehn, erfüllte ihn mit ungeduldiger Freude und zitternder Erwartung, die immer höher stieg, so wie er sich ihrem Aufenthalt näherte, bis er an der Gartenthüre einige Augenblicke still stehn mußte, um Athem zu schöpfen und sich zu fassen.

Er ließ sich durch eine alte Magd, die ans Thor kam, melden; sie kam bald zurück und führte ihn in ein kleines Vorzimmer, wo er Signora Bianchi mit Seide abwinden beschäftigt und allein fand, ob er gleich aus einem Stuhle, der neben dem Stickrahmen stand, schloß, daß Ellena erst eben das Zimmer mußte verlaßen haben. Signora Bianchi empfieng ihn mit zurückhaltender Höflichkeit und gab sehr abgemeßene Antworten auf seine Erkundigungen nach ihrer Nichte, die er jeden Augenblick hereintreten zu sehn hoffte. Er verlängerte seinen Besuch beynahe bis zur Unschicklichkeit; bis er alle Gegenstände des Gesprächs erschöpft hatte, und das Stillschweigen der Signora Bianchi ihm ein Wink schien, daß man sein Fortgehn erwartete. Mit niedergeschlagenem Herzen empfahl er sich und nahm die nur ungern ertheilte Erlaubniß mit, einmal wieder kommen zu dürfen.

Auf seinem Wege nach dem Garten stand er oft still, um sich nach dem Hause umzusehen, wo er durch die Fensterladen einen Schimmer von Ellena zu erhalten, oder sie unter dem Schatten der üppigen Pappeln sitzen zu sehn hoffte; allein sein Blick suchte sie allenthalben vergebens, und er verließ den Ort mit dem langsamen, schwerfälligen Schritte der Niedergeschlagenheit. Der Tag wurde mit Bemühungen hingebracht, Nachrichten von Ellenas Familie einzuziehen; allein er erfuhr wenig Befriedigendes. Man sagte ihm, daß sie eine Waise wäre, die unter der Aufsicht ihrer Tante, der Signora Bianchi, lebte, daß ihre Familie, die nie hohen Rang gehabt hatte, sehr herunter gekommen war, und daß sie ganz von dieser Tante abhieng. Allein er wußte nicht, was sehr geheim gehalten wurde, daß sie diese betagte Verwandte unterstützen half, deren einzige Habe in dem kleinen Guthe bestand, auf welchem sie wohnten, und daß sie ganze Tage mit Seidenstickereien hinbrachte, die an die Nonnen eines benachbarten Klosters gegeben und von diesen sehr vortheilhaft an die Neapolitanischen Damen verkauft wurden, die das Sprachgitter besuchten. Er ließ sich nicht einfallen, daß ein schönes Kleid, welches er oft an seiner Mutter gesehn hatte, Ellenas Arbeit war, oder daß einige Kopien von Antiken, die ein Kabinet im Vivaldischen Pallaste schmückten, von ihrer Hand gezeichnet waren. Hätte er diese Umstände gewußt, so würden sie dennoch nur die Leidenschaft vermehrt haben, die sie als Beweise einer Ungleichheit des Glücks, welche unfehlbar seine Familie einer Verbindung mit der ihrigen abgeneigt machen mußte, vernünftigerweise hätten unterdrücken sollen.

Ellena konnte Armuth, aber nicht Verachtung ertragen; und um sich vor dieser Würkung der eingeschränkten Vorurtheile der Menschen um sie her zu schützen, verbarg so sie sorgfältig einen Fleiß, der ihrem Charakter Ehre machte. Sie schämte sich der Armuth, oder des Fleißes, der sie überwand, zwar nicht; allein ihre Seele bebte vor dem fühllosen Lächeln und der demüthigenden Herablassung zurück, womit sich der Reichthum zuweilen zu der Armuth herunter läßt. Ihr Geist war noch nicht stark, ihre Begriffe noch nicht erweitert genug, um sie das Hohnlächeln der lasterhaften Thorheit verachten zu lehren und sich in der Würde tugendhafter Abhängigkeit erhaben zu fühlen. Ellena war die einzige Stütze des sinkenden Alters ihrer Tante; ertrug ihre Schwachheiten mit Geduld und tröstete sie in ihren Leiden;sie vergalt die mütterliche Liebe, die sie genoß, mit der Zärtlichkeit einer Tochter. Sie hatte ihre Mutter, die sie als kleines Kind verlor, nicht gekannt, und Signora Bianchi hatte von der Zeit an ihre Stelle vertreten.

So unschuldig und glücklich in der stillen Erfüllung ihrer Pflichten und im Schleier der Einsamkeit, lebte Ellena Rosalba, als sie zuerst Vincentio di Vivaldi sah. Er war nicht von einer Gestalt, die uns unbemerkt vorüber geht, wenn sie gesehn wird; der Geist und die Würde seines Anstandes, seine freie, edle Gesichtsbildung, voll von dem Ausdruck, der Kraft der Seele verräth, hatten einen tiefen Eindruck auf Ellena gemacht. Allein sie hütete sich sehr, ein zärtlicheres Gefühl, als Bewunderung zuzulassen; sie bemühte sich, sein Bild aus ihrem Gemüthe zu entfernen, und durch ämsigen Fleiß in ihren gewöhnlichen Beschäftigungen die Ruhe wieder zu gewinnen, die seine Erscheinung in etwas gestört hatte.

Vivaldi hatte indessen rastlos und ungeduldig den größten Theil des Tags mit Nachforschungen zugebracht, die ihm nur Zweifel und Besorgnisse einbrachten, und beschloß, wenn der Abend seine Schritte einhüllen würde, nach der Villa Altieri zurück zu kehren, getröstet durch die Gewißheit, dem Gegenstande seiner Gedanken nahe zu seyn, und voll Hoffnung, daß der Zufall ihn noch einmal mit einem, auch nur flüchtigen, Anblick von Ellena beglücken würde.

Die Marquise Vivaldi gab diesen Abend eine Gesellschaft, und ein Verdacht über die Unruhe, die er verrieth, machte, daß sie ihn sehr spät bei sich zu behalten suchte, und ihm die Aufsicht über die Aufführung eines neuen Stückes auftrug, die Arbeit eines Componisten, den sie in die Mode gebracht hatte. Ihre Gesellschaften waren die glänzendsten und zahlreichsten in Neapel und der Adel, der diesen Abend den Pallast besuchte, theilte sich in zwei Partheien über das Verdienst des musikalischen Genies, das sie beschützte, und eines andern Mitwerbers im Ruhm. Die Aufführung des Abends mußte, aller Erwartung nach, den Sieg auf einmal entscheiden; es war also ein sehr wichtiger und unruhiger Abend für die Marquise: denn der Ruhm ihres Lieblings-Componisten lag ihr eben so sehr am Herzen, als ihr eigner und die Wohlfahrt ihres Sohns hatte für heute nur einen geringen Antheil an ihrer Aufmerksamkeit.

Sobald er sich unbemerkt fortschleichen konnte, verließ er die Gesellschaft, hüllte sich in seinen Mantel und eilte nach der Villa Altieri, die nicht weit vom westlichen Theile der Stadt entfernt lag. Er erreichte sie unbemerkt, und athemlos vor Ungeduld, sprang er an die Gränze des Gartens, wo er, frei von steifem Höflichkeitszwang und dem Gegenstande seiner Zärtlichkeit nahe, in den ersten Augenblicken eine so hohe Freude empfand, als ihre Gegenwart selbst ihm nur hätte geben können. Allein dieses Entzücken schwand mit der Neuheit und im Kurzen fühlte er sich so verlassen, als wäre er auf immer von Ellena getrennt, in deren Gegenwart er sich kurz zuvor beinahe geträumt hatte.

Es war schon spät in der Nacht, und da kein Licht im Hause schien, schloß er, daß die Bewohner sich bereits zur Ruhe gelegt hätten; alle Hoffnung, sie zu sehen, verschwand aus seiner Seele. Doch war es ihm noch so süß, ihr nahe zu seyn, und er suchte ängstlich Eingang in den Garten zu finden, um sich dem Fenster zu nähern, wo sie vielleicht schlief. Die Hecke, die aus Bäumen und dichtem Gesträuch bestand, war nicht schwer zu überspringen, und er befand sich noch einmal im Eingang der Villa.

Es war nahe an Mitternacht und die Stille wurde durch das sanfte Rauschen des Wassers im Hafen unten, und durch das hohle Murmeln des Vesuvs, der von Zeit zu Zeit seine plötzliche Flamme den Horizont hinauf schickte und ihn dann in Dunkelheit zurück ließ, mehr gemildert als unterbrochen. Das Feierliche der Scene stand im Einklang mit der Stimmung seines Geistes und er horchte mit tiefer Aufmerksamkeit auf die wiederkehrenden Töne, welche gleich einem fernen Donner, der nur in den Wolken murmelt, in sein Ohr drangen. Die stillen Pausen, die auf jedes Krachen des Berges folgten, wenn die Erwartung nach dem aufsteigenden Tone lauschte, erregten in Vivaldis Einbildungskraft diesesmal einen besondern Schauer, und in Gedanken, vertieft, starrte er die erhabnen und in Schatten gehüllten Umrisse des Ufers und die See an, die er in der Dämmerung eines wolkenlosen Himmels eben unterscheiden konnte. Längs der grauen Oberfläche verfolgten mehrere Schiffe ihren stillen Lauf, nur durch den Polarstern, der mit festem Glanze brannte, über das tiefe Wasser geleitet. Die Luft war ruhig und stieg mit balsamischer, erfrischender Kühle aus dem Meerbusen auf; kaum bewegte sie die Häupter der breiten Fichten, welche die Villa überschatteten, und trug keinen andern Laut als von den Wellen und vom Stöhnen des weit entlegenen Berges – bis ein Gesang tiefer Stimme in der Ferne heran schwoll. Der feierliche Gang der Melodie machte seine Aufmerksamkeit rege; er erkannte es für ein Requiem und suchte zu entdecken, von welcher Seite es käme. Es rückte aus der Ferne heran und verschwand dann in der Luft. Der Gesang fiel ihm auf; er wußte, daß es an einigen Orten von Italien gewöhnlich ist, diese Melodie über dem Bette des Sterbenden zu singen; allein hier schienen die Sänger auf der Erde, oder in der Luft zu wandeln. Ueber die Melodie selbst war er nicht im Zweifel – er hatte sie schon einmal gehört, und unter Umständen, die es ihm unmöglich machten, sie je zu vergessen. Indem er auf die Choralstimmen horchte, die in der Entfernung sanfter lauteten, brachten ihm einige rührende Noten die göttliche Melodie, die er in der Kirche San Lorenzo von Ellena hörte, ganz wieder ins Gedächtniß. Ueberwältigt von dieser Erinnerung, fuhr er zurück, und gieng durch den Garten nach einer andern Seite der Villa, wo er bald Ellenas Stimme selbst hörte, wie sie die Mitternachts-Hymne an die heilige Jungfrau sang und mit einer Laute begleitete, die sie mit dem rührendsten, zartesten Ausdruck spielte. Er stand einen Augenblick wie eingewurzelt und wagte kaum Athem zu schöpfen, um nicht eine Note von der sanften, heiligen Melodie zu verlieren, die aus einer beinahe entkörperten Andacht zu strömen schien. Als er sich rund umher sah, um den Gegenstand seiner Bewunderung zu erblicken, führte ihn ein Licht, das zwischen dem schattigten Laube hervorgieng, an ein Fenster und zeigte ihm Ellena. Sie hatte den Laden geöffnet, um die kühle Luft herein zu lassen, und er genoß einen vollen Anblick von ihr und ihrem Zimmer. Sie stand von einem kleinen Altar auf, wo sie ihre Andacht beendigt hatte; eine strahlende Glorie schwebte noch auf ihrem Gesicht, als sie die Augen aufschlug und sie mit einer entzückten Innigkeit gen Himmel richtete. Sie hielt die Laute in der Hand, belebte sie aber nicht länger, und schien für jeden Gegenstand um sie her verloren. Ihr schönes Haar war nachlässig in ein seidnes Netz aufgeschlagen, und einige Flechten, die ihm entwischt waren, spielten um ihren Nacken und um ihr schönes Gesicht, das jetzt auch nicht einmal zum Theil von einem Schleier verhüllt war. Das dünne Zeug ihres Gewandes, ihre ganze Gestalt, Wesen und Stellung konnte zur Abbildung einer griechischen Nymphe dienen.

Vivaldi schwankte voll Unruhe zwischen dem Wunsche, sich eine Gelegenheit von seiner Liebe zu reden, die vielleicht niemals wieder kehrte, zu Nutze zu machen, und der Furcht, sie zu beleidigen, wenn er zu einer so geheiligten Stunde ihre Einsamkeit unterbräche, hin und her; während er noch unschlüssig da stand, hörte er sie seufzen, und dann mit allem süßen Ausdruck ihrer Stimme seinen Namen aussprechen. Bei seinem zitternden Lauschen, was auf dieses Nennen seines Namens folgen würde, bewegte er das Laub vor ihrem Fenster und sie richtete ihre Augen dahin; allein Vivaldi war ganz im Laube verborgen. Doch stand sie auf, um das Fenster zuzumachen, als Vivaldi, unvermögend, seine Empfindung länger zu bekämpfen, vor ihr erschien. Sie stand einen Augenblick ganz erstarrt und eine Todtenblässe überzog ihr Gesicht – endlich verschloß sie mit zitternder Eile das Fenster und verließ das Zimmer. Es war Vivaldi'n zu Muthe, als wären alle seine Hoffnungen mit ihr verschwunden.

Nachdem er noch eine Weile im Garten gezögert hatte, ohne in einer andern Gegend des Hauses ein Licht zu sehn, oder einen Laut hervorgehn zu hören, nahm er traurig seinen Rückweg nach Neapel. Er legte sich nun einige Fragen vor, die er früher an sich hätte thun sollen, und untersuchte bei sich selbst, warum er das gefährliche Vergnügen suchte, Ellena zu sehn, da ihre Familie von einem Stande war, der es ihm beinahe unmöglich machte, jemals die Einwilligung seiner Eltern zu einer Heirath mit ihr zu erhalten.

Im Nachsinnen über diesen Gegenstand verloren, halb entschlossen, sie nicht mehr aufzusuchen und dann vor einem Entschlusse zurückbebend, der ihn mit aller Gewalt der Verzweiflung ergriff, hielt ihn, als er eben aus dem dunkeln Schwibbogen einer Ruine, die auf seinem Wege lag, hervorgieng, ein Mann in Mönchskleidern an, dessen Gesicht mehr durch die Kaputze, als durch die Dämmerung beschattet wurde. Der Fremde nannte ihn beim Namen und sagte: »Signor! Ihre Schritte werden beobachtet; hüten Sie sich, Altieri wieder zu besuchen!« Mit diesen Worten verschwand er, ehe Vivaldi den halb herausgezogenen Degen wieder in die Scheide stecken, oder eine Erklärung dieser Worte fordern konnte. Er rief laut und zu wiederholtenmalen; beschwor den Unbekannten, wieder zu erscheinen, und verweilte noch lange auf den Stelle, allein die Erscheinung kam nicht wieder.

Vivaldi kam ganz voll von dieser Begebenheit, und gequält von der Eifersucht, die dadurch in ihm erregt wurde, zu Hause an: denn nach verschiednen Muthmaßungen blieb er dabei stehn, daß diese Warnung von einem Nebenbuhler käme, und daß die Gefahr, welche ihm drohte, keine andere als der Dolch der Eifersucht sey. Dieser Gedanke ließ ihn auf einmal den Umfang seiner Leidenschaft sehn und überzeugte ihn, wie unbesonnen er gehandelt hatte, ihr solchen Eingang zu verstatten. Doch war diese neue Erkenntniß so weit entfernt, ihn zu heilen, daß er vielmehr mit schärferer Pein, als er noch je gefühlt hatte, seine Liebe auf alle Gefahr zu erklären und um Ellena's Hand zu werben beschloß. Verblendeter Jüngling! er wußte nicht, in welches unglückliche Labyrinth seine Leidenschaft ihn stürzte!

Bei seiner Ankunft im Vivaldischen Pallaste erfuhr er, daß seine Mutter mehrmals nach ihm gefragt und Befehl gegeben hätte, ihr anzuzeigen, um welche Zeit er nach Hause gekommen sey. Sie lag schon zu Bette, allein der Marquis, der den König auf einer Lustparthie am Wasser in einem der königlichen Lustschlösser begleitet hatte, kam bald nach seinem Sohne zu Hause; er warf einen ungewöhnlich finstern Blick auf ihn, als er ihn im Saale traf, vermied aber jede Erklärung und verließ ihn nach einem kurzen Gespräch.

Vivaldi schloß sich in sein Zimmer ein, um zu überlegen, wenn anders ein Kampf der Leidenschaften, wobei die Urtheilskraft übertäubt wird, diesen Namen verdient. Er gieng mehrere Stunden in seinem Zimmer auf und ab, von Eifersucht und Unruhe über den unbesonnenen Schritt, den er thun wollte, abwechselnd gefoltert. Er kannte den Charakter seines Vaters und einige Züge vom Charakter seiner Mutter genug, um zu fürchten, daß ihr Verdruß über diesen Schritt unversöhnlich seyn würde. Wenn er aber bedachte, daß er ihr einziger Sohn war, so schmeichelte er sich mit der Hoffnung, Vergebung zu erhalten, ohngeachtet gerade dieser Umstand ihren Unwillen sehr erhöhen mußte. Die Besorgniß aber, daß Ellena ihr Herz schon vielleicht einem eingebildeten Nebenbuhler geschenkt haben könnte, überstieg allen andern Schmerz. Doch tröstete ihn einigermaaßen der Seufzer, bei dem er sie belauscht hatte, die Erinnerung an die Zärtlichkeit, womit sie nachher seinen Namen aussprach. Aber selbst auch, wenn sie ihm nicht abgeneigt war, wie konnte er es wagen, um ihre Hand zu bitten, wie konnte er hoffen, daß sie ihn zum Gemahl annehmen würde, wenn er ihr erklärte, daß es insgeheim seyn müßte? Er getraute sich kaum zu glauben, daß sie sich herablassen würde, in eine Familie zu treten, die es verschmähte, sie aufzunehmen und Niedergeschlagenheit bemeisterte sich seiner aufs neue.

Der Morgen fand ihn eben so verstört, als der Abend ihn gelassen hatte; doch war sein Entschluß fest gefaßt, das, was er jetzt als einen nichtswürdigen Vorzug der Geburt betrachtete, einer Wahl aufzuopfern, die seines Lebens Glückseligkeit sichern würde. Ehe er es aber wagte, sich Ellenen zu erklären, schien es ihm nothwendig, sich zu vergewissern, ob auch ihr Herz für ihn spräche, oder ob sie es dem Nebenbuhler ihrer Liebe gewidmet hätte, und wer dieser Nebenbuhler eigentlich sey. Es war so sehr viel leichter, eine solche Gewißheit zu wünschen, als sie sich zu verschaffen, daß nach tausend Projecten stets die Zartheit seiner Neigung für Ellena, die Furcht, sie zu beleidigen, oder die Besorgniß, von seiner Familie entdeckt zu werden, ehe er sich ihrer Neigung versichert hätte, den Mitteln, worauf er gefallen war, widersprachen.

In dieser Beklemmung eröffnete er sein Herz einem Freunde, der seit langer Zeit sein Vertrauen besaß und dessen Rath er mit mehr Aufrichtigkeit und Wärme suchte, als es bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist. Er verlangte nicht eine Bekräftigung seiner eignen Meinung, sondern das unpartheiische Urtheil eines andern Verstandes. Bonarmo säumte nicht seinen Rath zu geben, so wenig er auch zu dem Amte eines Rathgebers taugte. Er schlug vor, daß sie, um Ellenas Gesinnung gegen Vivaldi zu erforschen, eine Nachtmusik nach der Sitte des Landes bringen wollten. Wäre sie ihm nicht abgeneigt, so würde sie gewiß, behauptete Bonarmo, ein Zeichen des Beifalls geben; im andern Fall aber würde sie still und unsichtbar bleiben. Vivaldi hatte gegen diese plumpe und einer so heiligen Liebe als die seinige, wenig angemeßne Erklärung vieles einzuwenden; er besaß eine zu hohe Meinung von Ellenas Herzen und der Zartheit ihres Gefühls, um zu glauben, daß die armselige Huldigung einer Nachtmusik ihrer Eigenliebe schmeicheln, oder sie zu seinem Vortheil einnehmen würde; und noch weniger konnte er glauben, daß sie selbst, wenn sie ihm auch nicht ungünstig wäre, sich herablassen würde, ihm ein Zeichen des Beifalls zu geben.

Sein Freund lachte über seine Bedenklichkeiten und über seine Begriffe von Delikatesse, die er so romanhaft fand, daß er sie nur durch Vivaldi's Unerfahrenheit und Mangel an Weltkenntniß einigermaaßen entschuldigte. Allein Vivaldi unterbrach diese Spöttereien, und ließ ihm nicht zu, auch nur einen Augenblick in solchem Tone von Ellena zu sprechen, oder seine Delikatesse romanhaft zu nennen. Bonarmo aber bestand durchaus auf der Serenade, die er wenigstens für ein mögliches Mittel hielt, Ellenas Gesinnung zu erforschen, ehe sein Freund eine förmliche Erklärung wagte, und Vivaldi, von Unruhe und Ungeduld, seiner peinlichen Ungewißheit ein Ende zu machen, gequält, ließ sich endlich, mehr durch seinen eigenen Unmuth, als durch seines Freundes Zureden, die Bewilligung entreißen, die folgende Nacht das Abentheuer einer Serenade zu unternehmen. Er sah es mehr als eine Zuflucht vor sich selbst an, als daß er sich einen Erfolg davon versprochen hätte; denn er glaubte noch immer, daß Ellena ihn durch keinen Wink aus seiner Ungewißheit reissen würde.

Sie trugen musikalische Instrumente unter ihren Mänteln, verhüllten ihre Gesichter so, daß man sie nicht erkennen konnte, und schritten in tiefsinnigem Stillschweigen nach der Villa Altieri fort. Schon waren sie vor dem Schwibbogen vorüber, wo Vivaldi vergangene Nacht von dem Fremden angehalten wurde, als er ein plötzliches Geräusch neben sich hörte, und da er den Kopf aus dem Mantel empor richtete, dieselbe Gestalt wahrnahm! Ehe er noch Zeit hatte, einen Ausruf auszustoßen, gieng der Fremde wieder quer vor ihm vorüber. »Gehe nicht nach der Villa Altieri,« sagte er mit feierlicher Stimme, »damit dich nicht das Schicksal trifft, welches du fürchten solltest.«

»Welches Schicksal!« fragte Vivaldi zurückweichend. »Sprich, ich beschwöre dich!«

Allein der Mönch war davon gegangen und die Dunkelheit machte es ihnen unmöglich, seinen Weg zu bemerken.

» Dio mi guardi!« rief Bonarmo, »das ist beinahe unerhört! Aber laß uns nach Neapel zurückkehren; diese zweyte Warnung muß befolget werden.«

»Es ist nicht auszuhalten,« rief Vivaldi, »wohin gieng er?«

»Er schlüpfte an mir vorbei,« antwortete Bonarmo, »und war fort, ehe ich ihm in den Weg treten konnte!«

»Ich will das ärgste auf einmal versuchen,« sagte Vivaldi; »wenn ich einen Nebenbuhler habe, so ist es am besten, ihm entgegen zu gehn. Komm mit mir.«

Bonarmo sprach dagegen und stellte ihm die ernstliche Gefahr eines so raschen Schrittes vor. »Es ist offenbar, daß du einen Nebenbuhler hast,« sagte er, »und dein Muth wird dich gegen gedungene Banditen nicht schützen.« – Vivaldis Herz schwoll bei der Erwähnung eines Nebenbuhlers. »Wenn du es für gefährlich hältst, mit zu kommen,« sagte er, »so will ich alleine gehn.«

Durch diesen Vorwurf beleidigt, begleitete Bonarmo seinen Freund stillschweigend und sie erreichten ungestört die Gränzen der Villa. Vivaldi führte ihn an den Ort, wo er vergangene Nacht hereingekommen war, und sie gelangten ohne Schwierigkeit in den Garten.

»Wo sind denn diese schrecklichen Banditen, vor denen du mich gewarnt hast?« sagte Vivaldi mit spöttischem Triumph.

»Sprich doch vorsichtig,« erwiederte sein Freund; »vielleicht daß wir jetzt in ihrer Gewalt sind!«

»Sie können auch in der unsrigen seyn,« merkte Vivaldi an.

Endlich erreichten die nächtlichen Abentheurer die Orangerie, welche nahe beim Hause war, als sie, vom Heraufsteigen müde, sich ausruhten, um Athem zu schöpfen, und ihre Instrumente zu der Serenade zu stimmen. Die Nacht war still, und sie hörten jetzt zum erstenmale ein Geräusch, als von einer entfernten Menge, und gleich darauf brach der plötzliche Glanz von Feuerwerken am Himmel aus, der aus einer Villa am westlichen Rande der Bay aufstieg. Diese Feierlichkeit wurde der Geburt eines der königlichen Prinzen zu Ehren gegeben. Die Racketen stiegen bis zu einer unermeßlichen Höhe; ihr Glanz, der durch das Dunkel der Nacht brach, beleuchtete die tausend in die Höhe gekehrten Gesichter der staunenden Menge, so wie das Wasser der Bay mit jeder kleinen Gondel, die auf seiner Oberfläche schwamm, und ließ deutlich den ganzen Strich der aufsteigenden Ufer, das stattliche Neapel unten am Strande nebst seinen sich weit zwischen den Anhöhen verbreitenden terrassirten Dächern mit Zuschauern besäet, und den Corso, mit einem Gewühle von Wagen und flammenden Fackeln sehn.

Während Bonarmo dieses prächtige Schauspiel übersah, richtete Vivaldi seine Augen auf Ellenas Wohnung, die zum Theil zwischen den Bäumen hervorsah, und hoffte, daß der Anblick sie auf den Balcon locken würde; allein sie erschien nicht, auch war kein Licht zu sehn, das ihre Annäherung hätte verrathen können.

Sie ruhten noch immer auf dem Rasen der Orangerie, als sie ein plötzliches Rauschen zwischen dem Laube hörten. Vivaldi, dem es vorkam, als würden die Zweige durch jemand erschüttert, der sich einen Weg zwischen ihnen zu machen suchte, fragte, wer da wäre? Er erhielt keine Antwort, und es folgte ein langes Stillschweigen.

»Wir werden bemerkt,« sagte Bonarmo endlich, »und sind jetzt vielleicht beinahe unter dem Dolche eines gedungnen Mörders – laßt uns gehn.«

»O daß mein Herz so sicher vor den Pfeilen der Liebe, der Mörderin meiner Ruhe, wäre,« rief Vivaldi aus, »als das deinige vor diesen Banditen! Mein Freund, dein Herz muß wohl sehr unbeschäftigt seyn, da deine Gedanken so viel Raum zur Furcht haben.«

»Meine Furcht entsteht aus Vorsicht, nicht aus Schwäche,« versetzte Bonarmo etwas bitter – »du wirst vielleicht finden, daß ich keine habe, wenn du sie mir gerade am liebsten wünschen würdest.«

»Ich verstehe dich,« erwiederte Vivaldi; »laß uns die Sache aufs Reine bringen, und du sollst Ehrenvergütung erhalten, da du dich doch einmal gekränkt glaubst. Ich bin eben so bereit eine Beleidigung gut zu machen, als wenig ich sie mir gefallen lassen.«

»Schön,« erwiederte Bonarmo, »du wolltest die Kränkung, die du deinem Freunde zugefügt hast, mit seinem Blute vergüten?«

»O! nimmermehr, nimmermehr!« sagte Vivaldi, und fiel ihm um den Hals. »Vergieb meine rasche Heftigkeit; halte der Zerrüttung meines Gemüthes etwas zu Gute!«

Bonarmo erwiederte die Umarmung. »Es ist genug,« sagte er, »kein Wort mehr! ich drücke meinen Freund wieder an mein Herz.«

Während dieses Gesprächs hatten sie die Orangerie verlassen und die Mauern der Villa erreicht, wo sie ihren Stand unter einem Balcon nahmen, der über dem Fenster hieng, durch welches Vivaldi Ellenen die Nacht zuvor gesehn hatte. Sie stimmten ihre Instrumente und eröffneten die Serenade mit einem Duett.

Vivaldi sang einen schönen Tenor, und dieselbe Fühlbarkeit, die ihn so leidenschaftlich für Musik einnahm, lehrte ihn auch, sie mit der äußersten Delikatesse vortragen, und den einfachsten und rührendsten Ausdruck in seine Melodien legen. Seine Seele schien in den Tönen zu athmen, die so zart, so flehend und doch so kraftvoll ans Herz drangen. Diese Nacht flößte ihm sein Enthusiasmus die höchste Beredsamkeit ein, deren vielleicht die Musik fähig ist; welche Wirkung sie auf Ellena machte, blieb ihm unbekannt, denn sie zeigte sich weder auf dem Balcon noch am Fenster; eben so wenig gab sie irgend ein Zeichen des Beifalls. Kein Laut, außer ihrer Musik, schlich sich durch die Stille der Nacht; kein Lichtstrahl fiel aus der Villa auf die Dunkelheit aussen; einmal zwar dünkte es Bonarmo, als würde er leise Stimmen neben sich gewahr? er horchte aufmerksam, aber ohne seiner Sache gewiß zu werden. Zu Zeiten schienen sie schwer in sein Ohr zu tönen, und dann herrschte wieder eine todtengleiche Stille. Vivaldi behauptete, es wäre nichts als das verworrne Gemurmel der fernen Menge am Ufer; allein Bonarmo war nicht so leicht überzeugt.

Da den Spielenden ihr erster Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, so sehr mißlang, verfügten sie sich an die andere Seite des Gebäudes und stellten sich vor den Eingang, aber mit eben so wenig Glück. – Nachdem sie die Kraft der Harmonie und ihre Geduld über eine Stunde erschöpft hatten, gaben sie alle fernern Versuche auf, die hartnäckige Ellena zu gewinnen. So wenig Hoffnung sich auch Vivaldi von Anfang an gemacht hatte, sie zu sehn, schmerzte ihn doch jetzt diese Vereitlung tief in der Seele, und Bonarmo, dem vor den Folgen seiner Verzweiflung bange war, gab sich jetzt eben so viel Mühe, ihn zu überreden, daß er keinen Nebenbuhler hätte, als er ihn noch vor kurzem hartnäckig vom Gegentheil zu überzeugen gesucht hatte.

Endlich verließen sie den Garten; Vivaldi betheuerte, daß er nicht ruhen würde, bis er den Fremden, der so muthwillig seine Ruhe störte, entdeckt, und ihn gezwungen haben würde, seine zweideutigen Warnungen zu erklären. Bonarmo hingegen stellte ihm vor, wie unbesonnen und schwierig ein solches Unternehmen seyn würde, und daß er fürchten mußte, durch solche Schritte seine Liebe gerade an den Orten bekannt zu machen, wo ihm am meisten daran liegen mußte, sie zu verheelen.

Vivaldi wollte weder Vorstellungen, noch Rücksichten Gehör geben. »Wir wollen sehn,« sagte er, »ob dieser Dämon, in der Gestalt eines Mönchs, mich an dem gewohnten Orte wiederum anfallen wird; thut er es, so soll er meinen Händen nicht entwischen.; zeigt er sich nicht, so werde ich eben so sorgfältig auf seine Zurückkunft lauern, als er auf die meinige gelauert zu haben scheint. Ich will mich im Schatten der Ruinen verbergen und auf ihn warten, sollte es auch bis zum Tode seyn!«

Die Heftigkeit, womit er diese letzten Worte sagte, fiel Bonarmo besonders auf, doch widersetzte er sich seines Freundes Absicht nicht länger, und bat ihn, nur zu überlegen, ob er auch gut bewaffnet wäre: »denn,« setzte er hinzu, »du dürftest dort wohl Waffen nöthig haben, ob du sie gleich auf der Villa Altieri nicht gebraucht hast. Erinnre dich, daß der Fremde dir sagte, daß deine Schritte bewacht würden.«

»Ich habe meinen Degen,« erwiederte Vivaldi, »und den Dolch, den ich gewöhnlich bei mir führe: aber ich sollte dich auch fragen, was für Waffen zur Vertheidigung du bei dir hast?«

»Still,« sagte Bonarmo, als sie, um eine Klippe kamen, die über den Weg hieng; »wir nähern uns der Stelle; dort ist der Bogen!« – Sie sahen ihn dunkel in gerader Linie vor sich, zwischen zwei Klippen hängend, wo sich der Weg aus dem Gesichte wand; auf der einen standen die Ruinen der römischen Festung, wozu dieser Schwibbogen gehörte, und auf der andern schattigte Fichten und ein Dickigt von Eichen, das den Felsen bis zum Fuße bekleidete.

Sie giengen mit leisen Schritten stillschweigend fort, und warfen oft einen argwöhnischen Blick um sich, weil sie jeden Augenblick erwarteten, daß der Mönch sich aus einer Bucht der Felsen auf sie heran schleichen würde, allein sie gelangten unbelästigt bis zu dem Schwibbogen.

»Hier sind wir gewiß vor ihm,« sagte Vivaldi, als sie in die Dunkelheit traten. –

»Sprich leise, mein Freund,« sagte Bonarmo, es können noch andre, außer uns, in dieser Finsterniß verborgen seyn. Der Ort gefällt mir nicht.«

»Wer wurde wohl, außer uns eine so traurige Zuflucht wählen,« flüsterte Vivaldi, »wenn es nicht Banditen wären; die Wildheit des Orts scheint freilich diesen Menschen angemessen zu seyn, und sie paßt auch zu meiner Stimmung.«

»Es würde auch ihrer Absicht eben so angemessen seyn als ihrem Charakter,« merkte Bonarmo an. »Laß uns aus diesem tiefen Schatten in die offne Straße hervorgehen, wo wir eben so genau bemerken können, was vorüber geht.«

Vivaldi wandte ihm ein, daß sie auf der Straße selbst bemerkt werden könnten; »und wenn mein unbekannter Verfolger mich sieht,« setzte er hinzu, »so ist unsre Absicht vereitelt, denn er überfällt uns entweder plötzlich, oder gar nicht, um uns keine Zeit zur Vorbereitung zu geben.«

Vivaldi nahm bei diesen Worten seinen Posten in der dicksten Finsterniß des Bogens, der eine ansehnliche Tiefe hatte, und neben einer Treppe, die im Felsen ausgehauen war und zu der Festung herauf führte. Sein Freund stellte sich ihm dicht zur Seite. Nach einem Stillschweigen, während welchem Bonarmo nachdachte und Vivaldi ungeduldig wartete, sagte der erste: »Glaubst du wirklich, daß es uns etwas helfen würde, wenn wir ihn fest halten wollten? Er schlüpfte mit einer wunderbaren Leichtigkeit an mir vorbei; es war gewiß etwas mehr als menschliches!«

»Was meinst du?« fragte Vivaldi.

»Ich denke, du könntest mich für abergläubig halten. Dieser Ort steckt meine Seele vielleicht mit gleicher Dunkelheit an: denn ich fühle, daß in diesem Augenblick beinahe kein Aberglaube zu groß für meine Leichtgläubigkeit seyn würde.«

Vivaldi lächelte, »Du mußt doch zugeben,« fuhr Bonarmo fort, »daß er uns unter etwas sonderbaren Umständen erschienen ist. Wie kann er deinen Namen wissen, bei dem er dich doch das erstemal angeredet hat?. Wie konnte er wissen, woher du kamest oder wohin du zurückgehn wolltest? Durch welche Zauberei konnte er deine Absichten wissen?«

»Auch bin ich nicht gewiß, ob er sie weiß,« merkte Vivaldi an; »allein es bedurfte wohl auf keinen Fall übernatürlicher Hülfe, um dahinter zu kommen.«

»Der Fremde warnte dich, nicht nach der Villa Altieri zu gehn,« erwiederte Bonarmo; »er schien die Aufnahme, die du dort finden würdest, voraus zu sehn, und eine Gefahr zu kennen, der du bisher glücklich entwischt bist.«

»Freilich hat er diese Aufnahme nur zu gut voraus gesehn,« sagte Vivaldi, der seine Vorsicht in einem leidenschaftlichen Ausrufe vergaß; »er ist vielleicht selbst der Nebenbuhler, den er mich zu fürchten gelehrt hatte. Er hat diese Verhüllung angenommen, um meine Leichtgläubigkeit desto besser zu täuschen und mich von Ellena abzuhalten. Und soll ich hier Jahre liegen und auf seine Annäherung warten? Soll ich wie ein nichtswürdiger Mörder diesem Nebenbuhler auflauern?«

»Ums Himmelswillen,« rief Bonarmo, »mäßige doch diese Heftigkeit! Bedenke, wo wir sind! Deine Vermuthung ist im höchsten Grade unwahrscheinlich.«

Es gelang ihm, seinen Freund zu besänftigen und sie horchten noch lange still und aufmerksam, als Bonarmo eine Person sich dem Ende des Schwibbogens nähern sah, der nach der Seite der Villa Altieri lag. Er hörte keinen Fußtritt, sah aber eine Schattengestalt sich dem Eingauge des Schwibbogens nähern, der auf einige Schritte das Dämmerlicht dieses glänzenden Himmelsstriches zuließ. Vivaldis Augen waren auf den Weg nach Neapel gerichtet, und er bemerkte daher den Gegenstand nicht, der Bonarmos Aufmerksamkeit erregte. Bonarmo, der seines Freundes Heftigkeit fürchtete, enthielt sich, ihm etwas zu sagen, weil er es für klüger hielt, die Bewegungen dieses Unbekannten zu beobachten, um sich zu vergewissern, ob es wirklich der Mönch sey. Die Größe der Figur und die dunkle Kleidung, worin er gehüllt schien, machten es ihm endlich wahrscheinlich, daß dies der erwartete Fremde sey, und er ergriff Vivaldi beim Arm, um seine Aufmerksamkeit dahin zu richten, als die Gestalt vorwärts glitt und in der Dunkelheit verschwand; doch hatte Vivaldi vorher die Ursache von seines Freundes Bewegung und bedeutendem Stillschweigen verstanden. Sie hörten keinen Fußtritt vor sich vorübergehn, und da sie überzeugt waren daß dieses Wesen, wer es auch seyn mochte, den Weg durch den Schwibbogen noch nicht gemacht hatte, behielten sie mit aufmerksamer Stille ihren Platz. Augenblicklich hörten sie ein Rauschen, als von einem Kleide neben sich, und Vivaldi, der sich nicht länger zurückhalten konnte, stürzte aus seinem Winkel hervor und fragte mit vorgehaltnem Degen, um niemand entwischen zu lassen, ›wer da wäre?‹ Das Geräusch verschwand und sie erhielten keine Antwort. Bonarmo zog seinen Degen, und schwur, er wolle die Luft durchhauen, bis die Person, die sich hier verborgen hielte, zum Vorschein käme: gäbe er sich aber zu erkennen, so sollte ihm kein Leid geschehn. Vivaldi bekräftigte diese Versicherung. Es erfolgte keine Antwort, aber indem sie auf einen Laut horchten, war es, als schlüpfte etwas an ihnen vorbei, denn der Gang war nicht schmal genug, um dieses zu verhindern. Vivaldi drang hervor, sah aber nicht, daß jemand aus dem Bogen auf die Landstraße gieng, wo das stärkere Dämmerlicht ihn müßte verrathen haben.

»Es ist gewiß jemand vorüber gegangen,« flüsterte Bonarmo, »und mich dünkt, ich hörte etwas auf der Treppe, die nach der Festung führt.«

»Laßt uns folgen,« rief Vivaldi, und wollte die Treppe herauf steigen.

»Bleib, um Gottes willen bleib!« sagte Bonarmo, »bedenke, was du thust! biethe der äußersten Dunkelheit dieser Ruinen nicht Trotz, verfolge den Mörder nicht bis in seine Höhle.«

»Es ist der Mönch selbst,« rief Vivaldi, der kühn heraufstieg; »er soll mir nicht entwischen!«

Bonarmo stand einen Augenblick unten an den Stufen still, und sein Freund verschwand; er war unschlüssig, was er thun sollte, bis er endlich beschämt, ihn der Gefahr allein entgegen gehn zu lassen, auf die Treppe sprang und nicht ohne Schwierigkeit die rauhen Stufen herauf kletterte.

Nachdem er die Spitze des Felsens erreicht hatte, fand er sich auf einer Terrasse, die oben auf dem Schwibbogen fortlief, und einmal befestigt gewesen war; diese Terrasse, die quer über den Weg gieng, bestrich den Paß von allen Seiten. Einige Ueberreste dicker Mauern, wo man noch einige Schießscharten bemerkte, waren alles, was jetzt ihren ehmaligen Gebrauch verrieth. Der Weg führte zu einem Wachtthurm, der beinahe in dicken Fichten verborgen lag, welche die Klippe gegenüber krönten, und diente auf solche Art nicht nur zu einer starken Batterie über dem Wege, sondern verband auch die entgegengesetzten Seiten des Passes und bildete eine Vereinigungslinie zwischen der Festung uns diesem Aussenposten.

Bonarmo sah sich vergebens nach seinem Freunde um, und nur der Wiederhall seiner eignen Stimme zwischen den Felsen beantwortete sein wiederholtes Rufen. Nach einigem Besinnen, ob er in die Mauern des Hauptgebäudes gehn, oder den Wachtthurm betreten sollte, entschloß er sich zum ersten, und trat in eine verfallne Area, deren Mauern man kaum mehr, den Abhang des Vorgebürges hinunter, aufspüren konnte. Die Citadelle, ein runder Thurm von majestätischer Stärke, mit einigen verstümmelten Schwibbogen daneben, war alles, was von dieser einst wichtigen Festung übrig blieb; eine Masse von Ruinen am Sturme der Klippe ausgenommen, die nicht mehr errathen ließen, zu welchem Zwecke sie gedient hatten.

Bonarmo betrat die unermeßlichen Mauernder er Citadelle, aber die äußerste Dunkelheit hemmte seine Schritte; er begnügte sich, Vivaldi laut zu rufen und gieng in die freie Luft zurück.

Als er sich der Masse von Ruinen näherte, deren besondre Form seine Neugierde erregt hatte, glaubte er die tiefen Töne einer menschlichen Stimme zu erkennen; er horchte ängstlich, und sah einen Mann mit gezognem Schwerte hervordringen. Es war Vivaldi selbst. Bonarmo sprang ihm entgegen, er war bleich und athemlos und es verstrichen einige Minuten, ehe er sprechen konnte, oder die wiederholten Fragen seines Freundes zu hören schien.

»Laß uns gehn,« sagte Vivaldi, »laß uns diesen Ort verlassen.«

»Von Herzen gern,« erwiederte Bonarmo, »aber wo bist du gewesen, und was hast du gesehn, das dich so sehr erschüttert hat?«

»Frage mich nicht weiter und laß uns gehn,« wiederholte Vivaldi.

Sie stiegen mit einander den Felsen herab und als am Wege durch den Schwibbogen Bonarmo seinen Freund halb im Scherze fragte, ob sie noch länger auf der Wache bleiben wollten, versetzte er mit einem Nachdruck, der ihn bestürzt machte: nein! Sie giengen eilfertig den Weg nach Neapel; Bonarmo wiederholte Fragen, die Vivaldi zu beantworten nicht geneigt schien, und wunderte sich nicht weniger über die Ursache dieser plötzlichen Zurückhaltung, als er begierig war, zu wissen, wen er gesehn hätte.

»Es war also der Mönch,« sagte Bonarmo; »du hast ihn doch wenigstens fest gehalten?«

»Ich weiß nicht, was ich denken soll,« versetzte Vivaldi; »ich bin mehr in Ungewißheit als je.«

»Er entwischte dir also?«

»Wir wollen künftig mehr davon sprechen,« sagte Vivaldi; »aber dem sey, wie ihm wolle, die Sache ist hiemit nicht zu Ende. Ich will morgen Nacht mit einer Fackel wieder kommen; getraust du dir, mit mir zu gehn?«

»Ich weiß nicht,« erwiederte Bonarmo, ob ich es sollte, da du nicht für gut findest, mir zu sagen, zu welchem Zweck?«

»Ich will nicht weiter in dich dringen,« sagte Vivaldi, »mein Zweck ist bereits bekannt.«

»Ist es dir wirklich nicht gelungen, den Fremden zu entdecken? – Bist du noch im Zweifel über die Person, die du verfolgtest?«

»Ich habe Zweifel, die ich morgen Abend hoffentlich auflösen werde.«

»Das ist doch seltsam,« sagte Bonarmo; »ich war erst eben jetzt Zeuge von dem Schrecken, womit du die Festung Paluzzi verließest, und du sprichst schon wieder davon, dahin zurück zu kehren. Und warum in der Nacht? Warum nicht am Tage, wo du weniger Gefahr laufen würdest?«

»Das wüßte ich eben nicht,« erwiederte Vivaldi; »du mußt bedenken, daß das Tageslicht niemals in die Höhlen eindringt, die ich durchforscht habe: wir brauchen Fackeln, um welche Zeit wir auch den Ort durchsuchen.«

»Wenn das so nothwendig ist, wie kam es denn, daß du in der völligen Dunkelheit den Rückweg fandest?«

»Ich war zu beschäftigt, um zu wissen wie; ich wurde gleichsam durch eine unsichtbare Hand geführt.«

»Wenn ich dich begleiten soll,« bemerkte Bonarmo, »so müssen wir aber um Tageszeit, wenn auch nicht bei Tageslicht gehn. Es wäre nicht viel weniger als Wahnsinn, einen Ort, der wahrscheinlich von Räubern besetzt ist, zweimal um ihre eigentliche Stunde in der Nacht zu besuchen.«

»Ich werde wieder an dem gewohnten Orte aufpassen,« erwiederte Vivaldi, »ehe ich das äußerste wage, und das kann nicht füglich am Tage geschehn. Außerdem ist es nöthig, daß ich zu einer besondern Stunde gehe, zu der Stunde, in welcher der Mönch gewöhnlich erschienen ist.«

»Er entwischte dir also?« fragte Bonarmo nochmals, »und du weißt noch immer nicht, wer er ist?«

Vivaldi fragte statt der Antwort nun, ›ob ein Freund ihn begleiten wollte.‹ »Wo nicht,« setzte er hinzu, »so muß ich einen andern Gesellschafter zu finden hoffen.«

Bonarmo sagte, ›er müßte es überlegen und wollte ihm vor dem folgenden Abend Bescheid bringen.‹

Sie befanden sich am Ende dieses Gesprächs in Neapel und vor den Thüren des Vivaldischen Pallastes, wo sie sich für den Ueberrest der Nacht trennten.



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